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Wenn's Mailüfter'l weht

             Eine Reim-Plauderei
             Vom lieblichen Mai,
             Dem Monat der edeln Dichterei.
             Die Reime auf »Mai«,
             Sie strömen herbei,
             Nicht zwei oder drei,
             Nein – tausenderlei!
             Es gibt für die ganze Poeterei
Kein anderes Wörtchen, was es auch sei,
Auf das sich's so prächtig reimt wie auf »Mai«.
Ich könnte die ganze Plauderei,
Die ich dem Monat Mai heut weih',
Verfassen in lauter Reimen auf »Mai«.
Doch diese Maien-Spielerei
Wär' nur ein klingendes Einerlei,
Drum reim' ich jetzt nicht weiter auf Mai, –
Das ist nun vorbei.

In dieser reichen Reim-Bescherung
Liegt aber wahrscheinlich die Erklärung
Dafür, daß die Dichter, die schwachen und kräftigen,
Sich mit dem Mai so gerne beschäftigen.
Geibel, der große Emanuel,
Schmettert aus voller Dichterseel':
             »Der Mai ist gekommen,
             Die Bäume schlagen aus,
             Da bleibe, wer Lust hat,
             Mit Sorgen zu Haus!
             Wie die Wolken dort wandern
             Am himmlischen Zelt,
             So steht auch mir der Sinn
             In die weite, werte Welt.«

Hermann Adam von Kamp schrieb vor genau hundert Jahren das Maienliedchen, das noch heute lebt und blüht:

»Alles neu
Macht der Mai,
Macht die Seele frisch und frei.
Laßt das Haus,
Kommt heraus,
Windet einen Strauß!«

Fast genau so alt ist Heinrich Heine's entzückendes Mailied, das zuerst 1823 gedruckt erschien:

»Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.«

Mozart war es, der einen noch älteren Maiensang vertonte; ich meine die zauberhaft lieblichen Verse Christian Adolf Overbeck's:

»Komm lieber Mai und mache
Die Bäume wieder grün!«

Nikolaus Lenau begann sein berühmtes Gedicht »Der Postillion« mit den Worten:

»Lieblich war die Maiennacht,
Silberwölklein flogen,
Ob der holden Frühlingspracht
Freudig hingezogen.«

Von Anastasius Grün stammt der sinnreiche Spruch:

»Maienwonne, Maienblüte,
Auf den Fluren, im Gemüte,
Ach, so bald, so schnell vorbei!
Doch auch das ist Maiengabe:
Ging der eigene Lenz zu Grabe,
Freudig segne fremden Mai

Ebenso elegisch sagt Schiller in seinem Gedichte »Resignation«:

»Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder«,

und auch den Dichter Hermann von Gilm darf ich in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen; denn er war es, der im Jahre 1844 schrieb:

»Stell' auf den Tisch die duftenden Reseden,
Die letzten blüh'nden Astern trag' herbei
Und laß uns wieder von der Liebe reden
Wie einst im Mai!«

Aber alle diese Lieder, auch ihre zahlreichen Parodien, Verulkungen, Verlängerungen, Umdichtungen und Travestierungen übertrifft vielleicht an Bekanntheit noch jenes Gedicht, das 1845 der Dichter Anton Freiherr von Klesheim schrieb und 1853 der Komponist Josef Kreipl vertonte, und das auch diesem Vortrage den Titel gab:

» Wenn's Mailüfterl weht,
Z'geht im Wald drauß der Schnee,
Da heb'n die blau'n Veigerl
Die Köpferl in d' Höh.
Und d' Vögerl, die g'schlafen hab'n
Die ganze Winterszeit,
Die werden wieder munter
Und singen voll Freud.

Und blühen die Rosen,
Wird's Herz nimmer trüb',
Denn die Rosenzeit ist ja
Die Zeit für die Lieb.
Die Rosen tun blühen
So frisch alle Jahr,
Doch die Lieb blüht nur einmal
Und nachher ist's gar.

Jed's Jahr kommt der Frühling,
Ist der Winter vorbei.
Doch der Mensch nur allein hat
Einen einzigen Mai.
Die Schwalben ziehn fort,
Doch sie ziehn wieder her;
Nur der Mensch, wenn er fortgeht,
Der kehrt nimmermehr.«

Immer wieder die dichterische Verknüpfung von Auferstehen und Vergehen, das Goethe'sche:

»Stirb und werde!«

Immer wieder die strahlende Maienheiterkeit und der Ernst des Daseins. Na – so wird's eben in meinem Vortrag jetzt auch zugehen: ein bischen Spaßvergnügen und ein Schuß Ernst. Es kann nicht anders sein. Was durchzittert uns lebensreifere Menschen denn so wohlig-bang, wenn wir jetzt das keimende Grün an den Bäumen erkennen? Doch wohl nur die Freude: daß der Himmel es uns vergönnt hat, auch diesen Frühling noch zu erleben! Diesen Frühling!

Himmel, ja! Es ist dieses Mal ein Frühling! Wie hatte ich mir so fest vorgenommen, alle Lauge des Spottes über diesen Lenz auszufunken, wenn es kein richtiger Lenz geworden wäre! Ich glaube, er hat doch Angst vor dem Rundfunk gehabt! Es wäre ihm wohl zu peinlich gewesen, so vor Millionen von Ohren in Spottversen abgekanzelt zu werden? Da hat er klein beigegeben und ist dieses Mal ein echter, rechter, hundertprozentiger Frühling geworden, wie er im Buch steht.

Das heißt: es kommt natürlich sehr darauf an, welches Buch man gerade vornimmt. Heißt dieses Buch zufällig »Das Freibad der Musen« von Alexander Moszkowski, so kommt der Lenz dabei ziemlich schlecht weg. In seinem Gedicht » Ooch 'ne Frühlingsahnung« sagt der gefeierte Humorist da:

»Wenn rechts und links die Spiegelscheiben knallen,
Und Ihnen uf'n Kopp Klamotten fallen,
Wenn sich die Schornsteinröhren mächtig biejen,
Und Dacharbeeter uf det Flaster fliejen,
Wenn alle Zäune wackeln mit Veh'menz –
              Det is der Lenz!

Wenn Ihr Zylinder, oder wat Se tragen,
Hinieberkugelt untern Schlächterwagen,
Wenn Aeste, von de Beeme abjebrochen,
Im Schneesturm Ihnen priejeln Ihre Knochen,
Wenn Blitzableiter durch de Lifte huppen,
Wenn Ihn' de Oogen überjehn vor Schnuppen,
Vor Rachenbräune und vor Influenz –
              Det is der Lenz!

Un wenn de Meechens, wo se immer singen,
Een Kilo Dreck mit von de Straße bringen,
Nachdem se von dem »Zephyr« rumjebullert
Verschiedene Mal uf den Asphalt jekullert,
Wobei se merschtens wie de Kälber schrien –
Det is de Frühlingsahnung in Berlin!

 

In diesem Jahre sieht es ja ausnahmsweise glücklichermaßen nicht so aus, als ob Moszkowski recht hätte. Aber in wie zahlreichen Lenzen hat er recht gehabt! In diesem Jahre indessen möchte ich einem optimistischeren Frühlingspoeten das Wort erteilen, nämlich – mir selber, der ich mir gestattet habe, den König Lenz bei seinem Einzug in die Republik mit diesen untertänigsten Versen zu begrüßen:

»Frühling! Aus Palast und Hütten
Quillt die lichte Schar hervor,
Crepe-de-chine-Kleid, ausgeschnitten,
Strümpfchen zarter Seidenflor.
So viel Jungsein, so viel Schönsein –
Jüngling, ist es nicht Tortur?
Tausend Mädels wollen gesehn sein,
Ein paar Augen hast du nur!

Das spaziert durch alle Straßen,
Das flaniert in Feld und Wald,
Promeniert auf grünem Rasen,
Kokettiert auf dem Asphalt.
Lust darf nie zu stark gesüßt sein,
Freude wird sonst fast zur Wut:
Tausend Mädels wollen begrüßt sein –
Und du hast nur einen Hut!

Alle haben schlanke Taillen,
Die im braun' und blonden Haar,
Sanfte Täubchen und Kanaillen –
Sechzehn, achtzehn, zwanzig Jahr ...
Ach, da muß man Pessimist sein!
Fehlervolles Erdenrund!
Tausend Mädels wollen geküßt sein –
Und man hat nur einen Mund!«

 

Solche Gedanken erweckt das »Mailüfterl« an sonnigen Tagen. An kühlen Tagen passieren andersgeartete Dinge – so z. B. klagt der Dichter und Kladderadatsch-Schriftleiter Max Brinkmann herzbewegend über einen frostigen Maientag und dessen betrübsame Folgen in einem neuen, lustigen Gedicht, das ich Ihnen, meine verehrten Damen und Herren, nicht vorenthalten Möchte. Es heißt:

»Das Rendezvous im Mai
oder
Die allzu kurzen Röcke!

Auf Otto wartet Lene
Vorm Kaffee treu und fest;
Es saust ihr um die Beene
Ein eisiger Nordwest.

Sie harrt im Sehnsuchtstriebe,
Ach, schon seit morgens früh;
So weit reicht ihre Liebe –
Ihr Rock nur bis zum Knie.

Die Aeuglein schau'n aus Pelzen,
Die Nase ebenso;
Die Beine, dünn wie Stelzen,
Aus seidenem Trikot!

Wie doch der Stunden Dauer
So endlos träge rinnt!
Die Beine werden blauer,
Das macht der eisige Wind!

Doch er, den sie erkoren,
Betrog ihr hoffend Herz;
Mit Beinen, die erfroren,
Stelzt heim sie voller Schmerz.

Sie möchte den Otto keilen,
Den Kerl mit dem falschen Gemüt,
Wenn sie die Mai-Frost beulen
An ihren Beinen sieht!«

 

Welch ein Unterschied zwischen einem kalten und einem warmen Mailüfterltag. An einem Sonnentag benütze ich, wenn ich's eilig habe, gerne einen offenen Taxameter, er kann gar nicht offen genug sein, er kann die Offenheit selbst sein. Aber an kühlen Tagen warte ich, bis ich einen geschlossenen Taxameter finde, er kann gar nicht geschlossen genug sein. Und die Fenster schließe ich auch noch.

Die Fenster! ja, die Fenster!

Manches geht auf der Welt natürlich zu, manches geht widernatürlich zu, aber das Taxameterfenster geht überhaupt nicht zu. Das Taxameterauto wird von Tag zu Tag verbessert. Es hat die wundervollsten, elektrisch beleuchteten Abwinker – vorn, links –, die mit den Händen reden können wie ein leibhaftiger Verkehrs- Schutzmann. Das Taxameterauto hat elegante Klubsessel, Diwandecke, elektrischen Zigarrenanzünder, Aschbecher, Blumenvasen, Spiegel, echten Perserteppich, elektrische Innenbeleuchtung; – aber ein geschlossenes Auto, bei dem die Fenster auf und zu gehen, gibt es nicht. Manchmal geht ja das Fenster ausnahmsweise nach oben, aber dann fällt es gleich wieder nach unten. Manchmal geht es halb hochzuziehen und sinkt dann langsam ruckweise wieder. Die Autos sind flink, gut, billig. Aber lebt ein Fahrgast, der je ein wirklich richtiggehendes Taxameterautofenster gesehen hat? ...

Nachdem ich dem Chauffeur das Ziel genannt habe, schmiege ich mich in das hochmoderne Polstergefüge, das an die Anlage der D-Zug-Sessel erinnert. Der Wagen fährt ab. Langsam. Schneller. Ganz schnell. Jetzt erst merke ich: es zieht!

Ich zerre am Fenster-Riemen.

Das Glas taucht aus der Versenkung auf.

Aber da – klemmt sich die Sache. Noch ein paar schüchterne Versuche, dann resigniere ich. Das Fenster ist wenigstens halb zu. Doch schon etwas! Ich lasse den Riemen los – schnurr! gleitet das Glas wieder in seinen Rahmen hinunter. Merkwürdig: nach oben klemmt es sich – aber dabei sitzt es immer noch lose genug, um nach unten hinunterzurutschen. Da reißt mir die Geduld. Ich will doch einmal sehen, wer stärker ist, ich oder das Fenster? Ich fasse den Riemen wieder an, ich zerre, reiße, ziehe mit all meinen Kräften, da – klirr! – saust das Fenster hoch und zersplittert im gleichen Augenblick zu tausend Scherben.

Der Chauffeur hört während des Fahrens niemals, was der Fahrgast ihm zuruft. Aber wenn während der Fahrt ein Fenster zerbricht, das hört der Chauffeur. Er hält, besichtigt den Unfall und erklärt: »Macht drei Mark fünfzig!«

Zwar werde ich dann stets, mehr oder weniger freundlich, auf ein Plakat aufmerksam gemacht, das im Innern des Wagens hängt und klar besagt, daß » nur der Chauffeur das Fensterschließen besorgen soll« ... Aber wenn ich meine Schuld gesühnt und noch etwas Trinkgeld hinzugefügt habe, denn belehrt mich der Wagenlenker jedesmal in der Kunst des » richtigen« Fensterschließens, daß ich für das nächste Mal Bescheid zu wissen glaube. Und wenn ich daraufhin bei meiner nächsten Frühlingsfahrt versuche, das Fenster selbst zu schließen – dann – – – falle wieder ich herein und wieder das Fenster heraus. Das sind eben so die kleinen Maienfreuden. Ich glaube, ich lerne es nie. Das richtige Droschkenfensterschließen und das richtige Krebse-Essen – das sind zwei schwierige Frühlingsangelegenheiten.

Essen Sie auch so gerne Krebse? Das ist ein billiges und nahrhaftes Vergnügen, aber verstehen muß man es.

Der Krebs ist ein unglaublich merkwürdiges Tier. Mit seinem vollen Namen heißt er » Fluß- Krebs«, weil er hauptsächlich in Bächen und Seen vorkommt. Da er acht Füße hat, wird er in der Naturgeschichte zu den » Zehnfüßlern« gerechnet. Die Naturgeschichte ist nämlich so unlogisch, die beiden Scheren auch noch als Füße zu rechnen. Welch ein Widersinn! Da müßte ja jeder Redakteur ein Dreifüßler sein; denn er besitzt doch mindestens zwei Füße und – eine Schere!

Der Krebs ist ein wahnsinnig merkwürdiges Tier. Das Meer ist kein »Fluß«, und der Krebs ist kein »Fisch« – aber in allen besseren Kochbüchern findest du den » Flußkrebs« unter der Rubrik » Seefische«.

Und wie alles am Krebs, so ist auch sein Name höchst merkwürdig. Der Buchhändler versteht unter »Krebs« jedes Buch, das an den Verlag zurückgeschickt wird. Der Arzt versteht unter »Krebs« ein bösartiges Gewächs. Der Gärtner denkt bei »Krebs« an eine Pflanzenkrankheit. Und schließlich bleibt überhaupt kaum jemand übrig, der bei dem Wort »Krebs« an einen Krebs denkt!

Die Miniaturausgabe des Krebses ist die »Krabbe«. Und auch da offenbart sich wieder die ganze Merkwürdigkeit des Krebsgeschlechtes: ich habe erst heute mittag eine ganz harmlos dreinblickende, niedliche kleine Krabbe gesehen, die zwölf große Krebse aufaß. – Und noch nicht einmal satt war!

 

Von dem zehnfüßigen möchte ich zu einem sechsfüßigen Maienfreunde übergehen – dem guten, lieben, alten, braunen Maikäfer. Prägt euren Kindern ein, daß sie ihn nicht quälen dürfen, erzählt ihnen diese kleine Geschichte:

Ein Maikäferjüngling flog – brumm, brumm! –
Um manchen blühenden Kirschbaum herum
Und sah sich nach einem Feinsliebchen um;
Auch Maikäfer mögen gern glücklich sein,
Sie sind – wie die Menschen – nur glücklich zu Zwei'n,
Und grämen sich bitter, wenn sie allein.

Der Maikäferjüngling flog lange und weit.
Er fand nach weidlich geraumer Zeit
Eine reizende, schwarzbraune Maikäfermaid,
Die krabbelt ihm gleich in das Herze hinein,
Er wagte und fragte; sie sagte nicht nein;
Sie mochte wohl sein Feinsliebchen sein.

Und als er ihr in der grünen Natur
Von Herzen urewige Treue schwur,
Da kam ein Knabe über die Flur.
Der Maikäferjüngling sah ihn kaum,
Da schüttelt der Knabe den Kirschenbaum
Und aus war's mit Maikäfers Liebestraum.

Der Maikäferjüngling – brumm, brumm! schwipp, schwapp! –
Der fiel von dem blühenden Kirschbaum herab
Und drunten griff ihn der böse Knab',
Gern nähme der Käfer zappelnd Reißaus,
Da riß ihm der Knabe – o Frevel und Graus! –
Das linke und rechte Hinterbein aus ...

Kein Wort beschreibt, was das Tierlein fühlt;
Der kleine Körper ist schmerzdurchwühlt.
Der Knabe hat sein Mütchen gekühlt
Und singt nun höhnisch: »Maikäfer flieg,
Im Pommerland ist Krieg, ist Krieg!«
Der arme Krüppel schwirrte und stieg ...

Er stieg durch die Luft – wie deucht's ihm weit!–
Bis zu der schwarzbraunen Käfermaid.
Die zuckte die Fühler: »Es tut mir leid!
Ich leiste auf Ihre Liebe Verzicht –
Mein Herr, einen Krüppel nehm' ich nicht!«
Und schwirrte und flog flink außer Sicht ...

Dem Maikäfer brennt's in der Seele wie Kerzen.
Er fiel zur Erde und starb unter Schmerzen
An gebrochenem Bein und gebrochenem Herzen.
– – – – – – – – – – –
Mein Junge, hör' das und merk' es dir!
Und quälst du jemals ein armes Tier –
Dann geht's dir einst selbst, wie dem Käfer hier!

 

Das sollen die Kinder beherzigen. Denn wenn ein Kind Tiere quält, das ist schlimm, schlimmer, am schlimmsten.

Wissen Sie übrigens, meine Damen, daß der Monat Mai der einzige Monat ist, der sich steigern läßt? Auch hierin ist der Mai ganz einzig. Die Steigerungsformen lauten: Mai – Maier – am meisten. Machen Sie das mal mit einem anderen Monat! Das geht nur mit dem Mai.

Wenn das Mailüfterl weht, dann keimt auch das lieblich duftende Maikraut, der Waldmeister, aus dem wir den herrlichen Maitrank, auch Maibowle genannt, zu bereiten wissen. Das altbewährte Rezept lautet: zwei Flaschen Weißwein, ein Viertelpfund Zucker, eine Hand voll Kraut, eine Viertelstunde ziehen lassen, weiter nichts dran tun! Das ist das ganze Geheimnis. Und die Hauptsache: am besten taugt der Waldmeister, bevor er blüht. Wem die Maibowle zu teuer ist, der kann den Anbruch des lieblichsten Monats auch billiger begrüßen, nämlich mit einem Glase Maibock – so wird das letzte Starkbier geheißen, mit dem man im trunkfesten deutschen Süden von der Wintersaison endgültig Abschied nimmt, weil man sich zur wärmeren Jahreszeit mit leichterem Bier begnügen will. Aber womit ihr auch immer an sonnenreichen Tagen euren Durst stillen möget, beachtet mir die kurze Trinkregel, die ich hier zum besten geben will:

Wer lieblich-wonnevollen Saft
Hinunterzieht saugpumpenhaft,
Daß es die Nachbarin verdrießt –
Der kann nicht »trinken«! Nein! Der
             » gießt«!

Wenn du die Partnerin ergrimmst,
Weil du den Trunk zu langsam nimmst,
An einem Glas zwei Stunden druckst –
Dann »trinkst« du nicht! O nein! Du
             » schluckst«!

Wer in der Mailuft Wanderschweiß
Was Kühles nimmt, bloß weil ihm heiß,
Und Was und Wie, das ist ihm Wurst,
Der »trinkt« nicht! Nein! Der – »löscht den
             Durst«!

Wer aber seine Gattin stört,
Indem er so schluckt, daß man's hört,
Der hat den Zweck total verpatzt –
»Trinkt« solch ein Mensch? O nein! Der –
             » schmatzt«!

Und dann ist auch noch mancher da,
Der ruft bei jedem Glas hurra
So laut, als ob es donnerwettert –
Der »trinkt« nicht! Solch ein Mensch, der –
             » schmettert«!

Nur wer den Trunk recht eigentlich
In Ruh' genießt, als »Ding an sich«,
Still, ohne Hast, auch ohne Flecke,
Und ohne alle Nebenzwecke,

Wer ganz in solchem Tun versinkt,
Der kennt die hohe Kunst: der trinkt
Und erst, wenn er ins Grab gesunken,
Hat solch ein Künstler –

              ausgetrunken!

 

Um noch einmal auf den Maikäfer zurückzukommen: in den Zeiten, da wir noch ein Volksheer hatten, hieß das Berliner Garde-Füsilier -Regiment im Volksmunde: »Die Maikäfer«.. Wissen Sie auch – warum? Also nämlich, dieses Regiment stand, noch früher, in Potsdam und in Spandau. Von dort kam es jedes Jahr um die Maikäferzeit zu den damals so beliebten Paraden nach der Reichshauptstadt. Wenn zu jenen soldatenfrohen Zeiten die Berliner Jugend an der Maikäferkaserne vorüberging oder auch nur einen Gardefüsilier kommen sah, dann war es jedem jugendlichen Spreeathener eine besondere Wonne, das Summen eines fliegenden Maikäfers nachzuahmen – s... s... s... s...s –, damit das also gefeierte Militär sich über diese Huldigung freuen konnte. Damals ging auch in Berlin der harmlose Scherz um, aus diesem » Maikäfer–Regiment« würden die » Flügeladjutanten« genommen.

Die ganze Natur feiert Mai.

Neben dem Maikraut, dem bowlenwürzenden Waldmeister, erschließt sich die Maiblume, das Maiglöckchen, dem unzählige Dichtungen und Lieder geweiht sind. Praktischere Gemüter suchen den » Maischwamm« – so heißen zwei eßbare Pilzarten, die im Mai gefunden werden. Und eine bemerkenswerte Angelegenheit ist der » Maifisch« – ein fabelhaft wohlschmeckendes Tier, das im Mai in Süddeutschland als besonderer Leckerbissen geschätzt wird. Ich habe meine Jugend am Rhein verlebt – dort wird der Anfang des Wonnemonats heute noch durch einen Maimarkt und durch eine Maimesse betont, Budenstädte werden aufgebaut, Schaubuden und Verkaufsbuden. Und unter den Dingen, die da feilgehalten werden, interessierten wir Kinder uns hauptsächlich für die bunten Zuckerstangen, deren jede für den billigen Preis von drei Pfennig zu haben war, und für die zarten Waffeln, die da vor den Augen des Publikums auf offenem Feuer in Waffeleisen gebacken wurden. Die kosteten sechs Pfennig das Stück, und ihr köstlicher Duft umschwebt mich noch heute, während ich diese Worte spreche. Riechen Sie auch so etwas Waffelähnliches in der Luft? Warum soll der Waffelduft nicht ebenso gut drahtlos übertragbar sein wie das gesprochene Wort?

Und den »Maibaum« bringt das Mailüfterl mit, jene himmelhohe Kletterstange, an deren oberem Ende ein Wagenrad steckt, behangen mit buntbebänderten Würsten und anderen Kostbarkeiten. Aber die höchsten zwei oder drei Ellen des Maibaums sind mit tückischer Schmierseife geglättet, und du mußt schon sehr gut klettern können, mein Junge, wenn du solch eine buntgeschmückte Wurst herunterholen willst, die zum Lohn für diese Heldentat dein Eigentum ist.

Auch an die »Maifeuer« denk' ich, die ich zu meiner Jugendzeit in der Walpurgisnacht, der Nacht zum ersten Mai, brennen sah. Allerlei Spenden werden ins Feuer hineingeworfen, getanzt wird um die lodernde Glut, das Feuer hatte nach dem Volksglauben schützende Kraft gegen böse Geister. Und dem Maifeuer folgte ein »Mai-Ritt« – ein Reiter, den die Gemeinde sich erwählt hatte, ritt festlich in den Ort ein, gemeint war gleichsam eine Darstellung des Frühlingseinzugs. Und dann kam das Schützenfest, als Nachfahr des ehemaligen Vogelschießens.

Aber auch in den letzten Hinterhaus-Hof des ärmsten Großstadthauses schickt der Mai einen Sonnestrahl. Mit seiner frisch polierten Drehorgel erscheint der Musikus der Armen und beginnt sein »Hofkonzert«:

Herrje, ist das 'ne Freude,
Herrje, ist das ein Glück,
Im Hofe ist ein Orgelmann
Und spielt das neuste Stück.

Kleinännchen faßt Kleinlies'chen,
Sie drehen sich im Tanz,
Kleinlies'chens Zopf klatscht hin und her
Als wie ein Rattenschwanz.

Frau Müllers dicker Anton,
Der hopst allein herum.
I Gitt sind seine Hös'chen kurz
Und seine Beinchen krumm!

Die Lina in der Küche
Seufzt leise: »Ja, der kann's!
Wenn erst nur wieder Sonntag wär'
Und ich mit Hans beim Tanz!«

Vier Treppen wohnt der Schupo,
Der kommt grad übern Flur.
Na, wenn schon! Orgeln ist ja doch
Jetzt frei von der Zensur!

Selbst der Kartoffel-Meiern
Macht die Geschichte Spaß;
Sie kriecht aus ihrem Keller rauf
Trotz ihres Podagra's.

So schwelgt in eitel Wonne
Das ganze Hinterhaus;
Da kommt der böse Vizewirt
Und schmeißt den Künstler raus.

Nun heißt's: die Orgel huckepack
Und raus zum Hof-Portal!
Ade, du lieber Orgelmann,
Komm recht bald wiedermal!

Und wie der Sport gedeiht, wenn's Mailüfterl weht. Fußball – Hockey – Golf – Radfahren – Schnell-Lauf – Dauerlauf – und das Tennis vor allem, das Spiel, bei dem man immer noch mit ein paar Bröckchen englischer Fachausdrücke renommieren darf.

Dem Reiten, Jagen, Rudern, Ringen
Stieg schon manch herrliches Poem;
Ich will ein Lied dem Tennis singen,
Dem Single- and Four-handed Game.
Nur eins – ich muß es gleich bekennen –
Eins ist gemein und abgefeimt:
Daß sich so viel aus Jagd und Rennen
Und nicht ein Wort auf Tennis reimt!

Heil dir, du Spiel mit Ball und Racket;
Wißt ihr ein bess'res? Ich weiß keins!
Und wenn ihr mich drum höhnt und necket,
Mir ist das Tennis All und Eins!
Ja selbst ein Auto dirigieren,
Steht schon viel tiefer im Niveau –
Beim Tennisspiel das Transpirieren,
Das riecht doch lange noch nicht so!

Der »Server« gibt. Mit flinkem Satze
Schlägst du zurück, gewandt, behend.
All right! Am Rand vom Tennisplatze
Ist jetzt für dich die Welt zu End.
Und auf der Welt nur eine Frage,
Die heißt: »Macht er das Game, machst du's?«
Der Sprungschlag folgt dem Rückhandschlage.
Out! – fifteen – thirty – forty – deuce!

Beim deuce bleibt's stehn. Die Bälle fliegen,
Der Gleichstand dauert endlos schier,
»Advantage« kannst du g'rad' noch kriegen,
Dann heißt es: »Deuce – advantage hier!«
Doch endlich, dieser Drive-Schlag eben,
Der war dem Gegner unbequem ...
Famos, famos! Er haut daneben –
Der Ball ist »tot«, du hast das Game.

Ganz frei von jeglichen Gefahren
Ist er zwar nicht, der Tennissport;
Spielt junges Volk in feschen Paaren,
Dann heißt es oft: »Mann über Bord!«
Des Tennis und der Liebe Wellen ...!
Und ist er nett, und Geld hat sie.
Dann sagt die Welt in solchen Fällen:
»Das war eine gute Tennispartie!«

In einer Zeit, wo manches unerschwinglich bleibt, muß man ausdrücklich darauf hinweisen, daß der Genuß des Mailüfterls mit keinerlei Kosten verbunden ist, wenn man sich richtig einzurichten versteht. Wie köstliche Abende habe ich als bargeldloser Jüngling am Zaun eines Militärkonzertgartens verbracht, ohne für Essen, Trinken oder Eintrittsgeld einen einzigen Groschen zu verbrauchen. Und aus jener Zeit stammt mein kleines Gedichtchen, mit dem ich diesen Mailüfterl-Vortrag beenden will. Es heißt:

Am Zaun

Da drinnen in dem Garten
Ist Militärkonzert.
Rings ist ums Etablissement
Ein Bretterzaun gesperrt.

Am Tor der Herr Kassierer,
Kurz, rötlich-blond und dick,
Zählt seine blanken Nickel auf
Im Takte der Musik.

Ach ja, ihr reichen Leute,
Ihr habt es gut und fein,
Ihr sitzt im schönen Garten drin,
Trinkt Echtes und trinkt Wein.
Drauß' auf dem Bürgersteige,
Da stehn und lauschen wir –
Na, schließlich hör'n wir's g'rad' so gut
Als wie dort drinnen ihr!

Frau Schulzens Jungen kleben
Am Rand vom Bretterzaun,
Da ist das Hören nicht genug,
Die müssen auch noch schaun.
Frau Krause hält den Jüngsten,
Den süßen Galgenstrick,
Sie wiegt ihn und sie schaukelt ihn
Zum Takte der Musik.

Die Bogenlampen strahlen
Bis zu der Ecke g'rad',
Da mündet links auf die Chaussee
Ein schmaler Seitenpfad.
Und von dem Seitenpfade
Dringt freundliches Gequiek –
Dort küßt der Fritz die Dorothee
Im Takte der Musik.

Das war mein Vortrag: »Wenn's Mailüfterl weht.« Nun will ich enden. Es ist schon spät. So mag uns denn freudig der Frühling betören, Wenn's »Mailüfterl« weht! – Und: auf Wiederhören!


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