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IV. Rudi

Humoreske

Haben Sie eigentlich unsern Rudi, den Karikaturenzeichner, noch als Junggesellen gekannt? Nicht? O, dann muß ich Ihnen erzählen.

Rudi war ganz einfach ein Goldmensch. Der Talentvollste, Ausgelassenste, Gutmütigste von unsrer ganzen Tafelrunde. Aber freilich von einem bodenlosen Leichtsinn, sobald er auch nur einen Fingerhut mehr als seine beiden gewohnheitsmäßigen G'spritzten intus hatte. G'spritzte trank er – denn er war Wiener, das heißt Lärchenfölder.

Und dann immer so gegen drei Uhr, vier Uhr morgens im Café – da überkam ihn eine schier krankhafte Seßhaftigkeit. Und mit seinem kecken Bleistift, dem nichts heilig war, skizzierte er Ihnen auf der Marmorplatte, auf seiner Manschette, in Ihrem Checkbuch (wenn Sie eins hatten und es ihm unvorsichtigerweise überließen), ja sogar aus der gespannten Kniescheibe Ihres neuen, hellgrauen Beinkleids eins, zwei, drei, die herrlichsten Charakterköpfe. Und von einer ausschweifenden Aehnlichkeit!

Es lag sicherlich stets ein hoher künstlerischer Wert in diesen genialen Autogrammen, aber ihre eigentümliche Plazierung machte sie meistens unverkäuflich.

Und das war Rudis Verhängnis. Denn so kam er nie und nie zu Gelde.

Sein Verleger sorgte wie ein Vater für ihn. Oder wenigstens wie ein Stiefvater. Liebevoll und streng zugleich. Aber doch ohne Zärtlichkeit. Rudi war die Hauptstütze seines Witzblattes, und auf daß er gezwungen sei, einem solideren Lebenswandel zu frönen, der ihn noch recht lange der hehren Kunst erhalte, reduzierte sein väterlicher Gönner ihm sogar häufig das Honorar.

Wir alle hielten dies für eine übermenschliche Aufopferung. Aber Rudi meinte:

»Schaut's, Kinder, ich brauch' ja nit mehr. Für die letzten fünfundzwanzig Täg im Monat, da muß sich der moderne Kulturmensch halt eh ein bissel knapper einrichten, – und wozu seid's denn ihr da, wann nit, daß ich euch das Vertrauen schenk' und pump' euch an.«

Das tat er ja nun allerdings nach Kräften – manchmal über unsre Kraft.

... Aber da geschah eines Tages das Furchtbare, Rätselhafte, Gewaltige, das uns von Grund auf erschütterte.

Als uns die Nachricht traf, fuhren wir alle entsetzt empor. Und tagelang hernach noch bildeten wir murrende Gruppen im Café, Unter den Linden und in der Künstlerklause – zweie von uns gründeten eine neue freie Bühne, einer verscholl, ein andrer verstauchte sich den linken Fuß und machte seinen Referendar und ich gab ein Bändchen lyrische Gedichte »Schwertlilien« heraus. So hatte uns jegliche Selbstbeherrschung verlassen. Es war aber auch das Wahnwitzigste, was passieren konnte.

Rudi, unser Goldmensch, hatte sich vor vier Wochen in Krummhübel verlobt und war seit vorgestern rettungslos verheiratet. In Steglitz.

Wie das so schnell gekommen war – er hatte uns doch noch ganz rüstig, leidlich normal und zukunftsfroh verlassen – darüber sickerte erst später etwas durch; und selbst das basierte auf freier Erfindung.

Indessen – dies war das Fazit: auf Rudi konnte bei uns von Stund an nicht mehr gerechnet werden; denn zuerst ward ihm daheim aus Liebe, dann aus Gewohnheit der Hausschlüssel entzogen.

Der Name seiner Frau lautete, der urkundlichen Vermählungsanzeige nach, Josepha, was mich gegen sie einnahm. Aber ich tat ihr unrecht. Sie konnte reizend sein, wenn sie wollte. Ich hab' sie nämlich kennen gelernt.

Auf einer Radelpartie kam ich eines schönen Junimorgens über den Fichteberg von Steglitz bei Berlin – es herrschte schon eine mörderliche Hitze –, da hörte ich plötzlich von einem Kaffeetisch her aus einer schattigen Laube meinen Namen rufen.

Ich springe ab, seh' mich um – und wen erblick' ich?

Nein, Rudi noch nicht. Nur eine allerliebste junge Frau in einem hellen, duftigen Battistkleidchen und einem schutenförmigen Gartenhut, der das denkbar süßeste Gesichtchen umrahmt.

»Grüß dich Gott, alter Bundesbruder!« Das sagt aber natürlich nicht sie, sondern er, und gleichzeitig fliegt ein Skizzenbuch in die Luft, daß die Blätter wie ein Blütenregen auf den üppig wuchernden Grasboden niederflattern, die Gartentür wird aufgerissen, und Rudi liegt an meiner treuen Jünglingsbrust. »Jetzt, bist du ein goldiger Kerl! Ja, wo kommst denn her? – Du, Schatz, schau doch nur, wer da ist! – Was, ihr zwei kennts einander noch gar nit? Aber so was! Gehst gleich her, Schatz, und gibst ihm ein'n Schmatz! Was – willst nit? Recht hast – gibst lieber mir ein'n! – So, und jetzt setz dich mit uns zum Kaffee und wir plauschen eins.«

Frau Josepha stimmte, wenn auch nicht ganz so wortreich, doch äußerst herzlich in die Einladung ein – und, weiß der Himmel, sie hatte dabei einen so rührenden, lieben, bittenden Ausdruck in den dunkelblauen Kinderaugen, daß ich nicht widerstehen konnte.

Na, bald saßen wir denn, tranken Kaffee und schwatzten, dann rauchten wir alle drei, der entsetzlichen Mücken wegen, wie die Schlote, er zeigte mir ein paar Skizzen und schimpfte auf die Verleger. Es war recht gemütlich.

»Ja, schaust,« sagte er dann und entwarf hastig auf dem Zigarrenkistendeckel die Bleistiftskizze einer verschlafenen Büfettmamsell, »ich wär' ja schon dann und wann gern einmal wieder zu euch in die Stadt ins Café 'nein'kommen, aber Geld ausgeben – du mein!«

Er sah seine Frau wehmütig an – die ward ein bissel rot.

»Wieso,« wandt' ich ein, »bei solch solidem Lebenswandel – da mußt du doch bald steinreich sein.«

»Stein reich nit, aber steinreich,« erwiderte er und wies mit seinem hervorragend ausgebildeten Daumen auf die Backsteinvilla, vor der wir saßen.

»Hm. Die Villa gehört euch?«

»Ja, die g'hört uns. Das ist aber so ziemlich das einzige.«

Frau Josepha wollte aufstehen, aber er hielt sie zurück.

»Sei g'scheit, Schatz. Da gibt's doch nix zu genieren. – Ja, schaust, Bundesbruder, was unsereins bar daliegen hat, das verjuxt es eh. Also, wir kommen auf unsrer Hochzeitsreis' dahier vorbei, das Häusl g'fallt uns, es kost grad so viel, als mein Schatz von den Alten her hat, und da also auf der Stelle gekauft und alles berappt bei Heller und Pfennig.«

»Das nenn' ich schneidig!« sagte ich.

»Ja, sagst du. Aber wovon lebt man denn, meinst, wann's man verheiratet ist?«

»Rudi!« warf Frau Josepha schüchtern bittend ein.

»Wir sind ja schrecklich glücklich miteinander, die Villa ist auch sehr schön, bloß daß wir keine Wasserleitung haben und die Fußböden sind schlecht und im Keller schimmelt alles und man wird wohl das Dach neu decken lassen müssen, und ich möcht' um den Tod nit ohne mein liebes treues Weib das ölende Dasein mehr leben, aber – ja, da hilft nix, wir haben halt nie kein Geld nit – und Schulden, sag' ich dir, da machst dir keinen Begriff. Gestern war ein Wechsel über dreihundert Reichsmark fällig. Der soll heut abend bezahlt sein, sonst geht er zum Protest. Da ist die Adreß von dem Halodri, der ihn jetzt hat: Iwan Krawutschke, Grünau. Ach, und das Geld hat der alte Onkel von meinem Schatz herausgerückt, und das ist ein solcher Erzphilister! Wenn der bloß was von Protest hört ... Ach Sepperl, paß auf, der enterbt uns jetzt!«

Eine Weile herrschte trübes Schweigen. Frau Josepha wischte verstohlen eine Träne aus den hübschen glänzenden Kinderaugen. Plötzlich begann mein Rudi wieder zu lachen.

»Aber daß wir bei allem Pech noch so ein Glück haben täten, Schatz, – daß ausgerechnet heut gleich in der Früh mein alter Freund und Bundesbruder da bei uns vorbeigeradelt kommen muß ...«

Jetzt sprang die junge Frau erschrocken auf und jagte ziemlich unvermittelt davon.

»Halt sie, du, so halt sie doch!« rief mir mein Freund jovial lachend zu. »Und beruhig sie doch schon ums Himmels willen! Gelt, du hilfst uns doch aus? Bloß bis morgen! Wie wir miteinander stehn?! – Schatz! Pepi! Pepita! Pepitschka! So bleib doch! Er pumpt uns ja so viel wir brauchen – er wird uns doch den Malefizkerl, den Krawutschke, nit auf den Hals hetzen.«

Was danach geschah, das war eben nur in Rudis origineller Häuslichkeit denkbar: wir beide hinter ihr drein, durch die Küche, die Badestube, das Schlafzimmer, das Atelier, den Salon, die Treppe hinauf nach dem Boden ... Wir lachen, lachen, schwatzen, rufen ... Und schließlich tänzeln wir alle drei, fröhlich eingehängt zur Veranda hinunter.

»Also jetzt mal im Ernst, Rudi,« begann ich, »ich hab' nur etwas loses Geld da in der Tasche bei mir. Und dreihundert deutsche Reichsmärker – ob ich die in baribus auf meiner Junggesellenbude daheim habe ... Heut ist erst der zwanzigste, und mein guter Alter schickt mir seinen liebevollen Check wie üblich und sachgemäß immer zum Monatsersten. Aber sieh mal, ich hab' da neulich deinem Witzblattverleger eine Sammlung kecker kleiner Meisterwerke aus meiner geschätzten Feder zugesandt – ›Lustige Erinnerungen aus der Berliner Bohème‹ – möglich, daß er das eine oder das andre mir abzukaufen gesonnen ist ...«

»Aber sicher! Aber sicher!« schrie Rudi begeistert und führte einen wahren Indianertanz um den Tisch herum aus, trotz der nichtswürdigen Hitze.

»Wieso sicher?«

»Ja, da schau doch her – ich hab' ja den ganzen Schwamm schon hergeschickt gekriegt zum Illustrieren! Also marsch hin und laß dir einen Haufen Zechinen anweisen! – Jetzt, ich hätt' mir's doch gleich denken müssen, daß du der bist, wo das narrische Zeugs g'schrieben hat! Ex ungue leonem!«

Ich mußte ihnen ein paar komische Stellen vorlesen, Rudis Bleistift war dabei wieder unermüdlich auf meiner weißen Radlermütze tätig – und sie lachten, lachten – bis das Mädchen kam und Geld verlangte, um zu Markte zu gehen. Da ward Frau Josepha rasch wieder ernst.

Das junge Ehepaar schien, nach den Markteinkäufen zu urteilen, verschwindend bescheidene Bedürfnisse zu haben.

Die rührende Szene erinnerte mich an meine Pflicht.

»Also, Rudi,« sagte ich, »ich schwing' mich jetzt gleich aufs Rad – und in längstens zwei Stunden bin ich wieder da.«

Rudi meinte, das könne er mir bei der Bombenhitze nicht zumuten. Da wolle er lieber gleich mit mir mitkommen. Und heidi war er, fröhlich pfeifend, im Haus drin. Frau Josepha, die ihren Rudi zur Genüge kannte, war im Umsehen gleichfalls ausgehbereit, um ihren Schatz und dessen Schätze bis zu Herrn Krawutschke zu begleiten. Rudi protestierte zwar anfangs und stellte ihr vor: das sähe sich jetzt so an, als ob er mich und sie ihn beaufsichtigen wolle.

Der erste Teil des Weges war charmant. Frau Pepi bot unter ihrem rosaseidenen Schirmchen ein ganz allerliebstes Bild. Aber je weiter wir kamen, desto unerträglicher brannte die Sonne auf die breite, weiße, staubige Chaussee. Wir hätten wohl gern alle drei die Straßenbahn, die von Steglitz nach Berlin hineinführt, benutzt, ich konnte das jedoch meines Zweirads wegen nicht, und trennen wollte sich das Ehepaar von mir auf keinen Fall. Endlich sagte Rudi:

»Wißts was – jetzt setzt ihr zwei euch wenigstens in den nächsten Tram. Ich hab' nämlich früher einmal selbst zwei Radelstunden g'habt und will doch einmal versuchen ...«

Richtig entwand er mir das Rad. Sepperl und ich mußten von links und rechts Lenkstange und Sattel festhalten, wir liefen nebenher, immer schneller, immer schneller – bis Rudi die Pedale verlor, zu zappeln und zu schreien anfing – und pardauz nach meiner Seite zu übers Rad kippte und in malerischer Pose Mutter Erde liebkoste.

Der letzte Teil dieses für Rudi unbedingt instruktiven Dauerlaufs hatte die liebe Jugend von Friedenau angezogen. Wir dampften alle. Zum Glück kam da eine Droschke an.

Wir ließen uns, patschnaß von der Strapaze, auf die glühend heißen Polster sinken – das Rad kam auf den Bock – und in langsamem Hoppeldikrah trottete das altersschwache Gespann durch Schöneberg und die Westvorstadt Berlins der Potsdamer Brücke und dem Leipziger Platz zu.

»So, Kinder, hier ist ein schönes, kühles Weinrestaurant,« sagte ich. »Rudi, nein, keine Einwände, ich bitte mir aus, daß ihr meine Gäste seid!«

Schließlich nahmen sie an. Die Verlagshandlung befand sich ganz in der Nähe. Frau Josepha sollte in unsrer Abwesenheit ein hübsches kleines Dejeuner nach ihrem persönlichen Geschmack komponieren, und während Rudi von seinem koketten Promenadenröcklein die Spuren der Radfahrlektion auf der Steglitzer Chaussee entfernen ließ, sprang ich in das benachbarte Blumengeschäft. Es gab da im Schaufenster zwei wunderbare Orchideen, die mit Frau Pepis Bluse himmlisch harmonieren mußten. Erst sollten sie ja acht Mark kosten, aber schließlich kriegt' ich sie für sieben. Das war mein Glück, denn ich fand überhaupt bloß sieben fünfzig in meinem Täschchen. Das junge Ehepaar war von meiner Aufmerksamkeit wahrhaft gerührt. Wir suchten ein hübsches Eckchen aus, und Sepperl blickte mit ihren glänzenden neugierigen Kinderaugen in naiver Freude in das Gewühl der heißen, sonnenweißen, lärmenden Potsdamer Straße.

Unterwegs gab mir Rudi noch ein paar Winke, wie ich den »Alten« nehmen müsse.

Ich drängte daher jeden Anschein von Hast und Geldgier zurück, als ich in das Bureau eintrat und mit einem höflich kühlen, diplomatischen Lächeln bat, mich dem Herrn Kommissionsrat zu melden.

Aber dieser Mann war mehr Menschenkenner als Rudi dachte, und es gelang ihm beinahe mühelos, mir pro Zeile einen Sechser abzuhandeln. Dafür entschädigte er mich freilich mit einer Zigarette und seinem väterlichen Wohlwollen – aber als der Kassierer mir die Quittung vorlegte, lautete sie bloß auf zweihundertneunundneunzig Mark fünfzig Pfennig. Zähneknirschend holte ich mein letztes Viergroschenstück aus der Tasche, strich die drei blauen Lappen ein und empfahl mich stolz wie ein Spanier, um sie draußen dem tiefgerührten Rudi sofort diskret einzuhändigen.

Der hatte inzwischen im kühlen Hausflur das frappantähnliche Porträt des Kommissionsrats in zwei Auffassungen an der getünchten Wand verewigt: wenn er Vorschuß gibt – und wenn er Vorschuß abschlägt. Die Bilder waren hochkomisch, aber der Portier war ein weder für Humor noch für Kunst empfänglicher Banause. Zur Beschwichtigung mußte ich ihm ein Exemplar meiner »Schwertlilien« dedizieren, das ich immer zufällig bei mir führte.

Eilig machten wir uns dann auf den Siegesweg zu Friederich. Ich war der erste mit der frohen Botschaft bei Frau Pepi – denn Rudi war draußen beim Kutscher geblieben, um den Fahrpreis auszulegen.

Das süße Gesichtchen der kleinen Frau klärte sich rasch auf – und bald saßen wir alle drei vergnügt beim Fläschchen. Natürlich Sekt.

Grad kam der märchenhaft schöne Hummer, als ich bei einem zufälligen Blick durchs Fenster noch immer die Droschke Nr. 8247 mitsamt meinem Zweirad draußen in der Prallsonne gewahrte.

»Rudi – was ist's mit dem Manne?« fragte ich.

»Ja, schaust, Bundesbruder,« sagte mein Freund in einiger Verlegenheit, »der arme Teufel hat mir doch richtig nit einmal auf lumpige hundert Mark 'rausgeben können ...«

Mir ahnte Unheimliches. »Rudi, ja, und außer den dreihundert Märkern – hast du nichts bei dir?«

Er zog sein Portemonnaie. »Nein – es ist schamlos, wie sie mich ausgeräubert hab'n. Da schau her: ein blitzblanker österreichischer Gulden, das ist aber ein Heckpfennig, weißt, ich bin ein bißl abergläubisch, und da ein halbes Dutzend Dreipfennigmarken ...«

Meiner hübschen jungen Nachbarin war der Bissen im Hals stecken geblieben, sie sah mich ängstlich an und fuhr gleichfalls hastig in die Tasche. Ihre schöne schlanke Hand förderte ein reizendes kleines Geldbeutelchen von funkelnagelneuem Silberdraht ans Tageslicht: es lag etwas jungfräulich Weihevolles in seiner Durchsichtigkeit und Klarheit.

Trotz der zweiunddreißig Grad Reaumur im Schatten sank die Stimmung nun sofort beträchtlich unter Null.

»Kinder,« beruhigte ich sie endlich, »ich radle sofort nach dem Frühstück nach Hause und kratze da zusammen, was zu finden ist. Das ist nun Jacke wie Hose.«

Das sahen sie beide ein, und bald war die Flasche geleert. Wir hatten alle drei einen geradezu infernalischen Durst, ja einen Gaumenbrand, gegen den Hölle und Fegfeuer noch ein kühles Mailüfterl genannt werden konnten.

»Schaust, Bundesbruder,« begann Rudi, mehr und mehr wieder auftauend, »du bist uns heut doch grad wie ein lieb's Wunder ins Haus 'reing'schneit. – Sepperl, willst ihm nit auch du sagen? Ich weiß nit, ich bin so gerührt. Ich hab' euch ja beide so lieb – so lieb.« Er schluchzte beinahe. »Ich bin so glücklich! – Weißt, Bundesbruder, und daß d' dich doch auch recht bald verheiraten tätst. Schau doch bloß, wie wir zwei glücklich miteinander sind. Jetzt, regt sich denn da gar nix in deiner verstockten Jungg'sellensöhl? – Was, Leutln, wir trinken doch noch ein zweites Flascherl, hö?«

Natürlich tranken wir noch eins – noch zwei sogar – und schwatzten, lachten – ich mußte richtig mit Pepi Brüderschaft machen – und kriegte sogar einen Kuß. Rudi spannte eigens für einen Moment den Sonnenschirm auf, damit man's von der Potsdamer Straße aus nicht sah. Sepperl hatte einen der niedlichsten Sektschwippse, die ich je gesehen.

Da schlug's irgendwo halb vier, und ich mußte ans Aufbrechen denken. Die beiden sollten sich selbander in die Droschke setzen und hübsch gemächlich durch den Tiergarten fahren. Ich radelte inzwischen nach meiner Wohnung am Kurfürstendamm, holte mein Geld und wir trafen uns im Café Bauer.

Josepha war es zu gräßlich, daß nun doch einer von den schönen blauen Scheinen gewechselt werden mußte.

Die Rechnung war wacker, wir ließen uns noch ein paar Havannas bringen, steckten sie an, kargten mit Trinkgeld nicht und erweckten draußen den von der Sonne braungekochten Rosselenker und seinen edlen Vollblüter aus dem tiefen Schlafe.

Und nun feierten wir gerührt Abschied. Auch Pepi war ungemein zärtlich gestimmt. Die patriarchalische Szene lockte Publikum herbei.

»Leb wohl, Bundesbruder,« sagte Rudi, als er schon in der Droschke saß, mit scheinbar brechender Stimme, »gedenke mein – vergiß mein nicht! Wer weiß, wann wir uns wiedersehn?« Er fuhr sich über die Augen und hob den etwas schwankenden Zeigefinger zu den Telephondrähten. »Der da oben weiß!«

Ja – der da oben mochte es wissen, ich vorläufig noch nicht: denn im Augenblick, da ich an der Potsdamer Brücke mein Zweirad bestieg, platzte mit einem lauten Knall der Gummireif, der die ganze Zeit über der glühenden Sonne ausgesetzt gewesen war.

Ich hatte seine Zeit zu verlieren, denn mit Krawutschke war nicht zu spaßen. Also führte ich mein Rad in eine Reparaturwerkstätte und sprang auf den nächsten Omnibus auf, der gen Westen zum Zoologischen Garten fuhr. Gerade kam der Schaffner, um mir ein Billett zu verkaufen, als mir einfiel, daß ich ja kein Geld bei mir hatte.

Es gelang mir, mich für einen hilflosen Provinzialen auszugeben, der eine falsche Richtung eingeschlagen hat, und bestieg hernach den nächsten Taxameter.

Von der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche schlug's sechs Uhr, als ich vor meinem Zuhause anlangte.

Nun schnell die drei Treppen empor – unterwegs such' ich nach meiner Entreeschlinge, richtig hab' ich sie vergessen – ich drücke also zweimal hintereinander auf den Knopf der elektrischen Klingel. Es dauert eine Ewigkeit. Niemand kommt, um zu öffnen.

Meine Wirtsleute gingen sonst nie zu dritt aus – entweder blieb die Mutter daheim oder das Töchterpaar – aber nun entsann ich mich, daß sie mir's gestern ja ausdrücklich gesagt hatten: sie feierten den Geburtstag ihres Schwagers, der Bierzapfer im Restaurant Seeschlößchen an der Jannowitzbrücke war.

An der Jannowitzbrücke! Die liegt im äußersten Osten!

Ich stürze wieder hinunter – ganz verzweifelt.

An Iwan den Schrecklichen mag' ich schon gar nicht mehr zu denken.

»Also nach dem Café Bauer!« ruf' ich schicksalsergeben dem Taxameterkutscher zu.

Um dreiviertel sieben halten wir Unter den Linden.

... Und nun eine neue nette Ueberraschung.

Meinem guten Rudi war inzwischen das Warten zu langweilig geworden, er hatte seiner kleinen Frau eine Unmenge Journale heranschleppen lassen, sich selbst aber aus dem Staub gemacht: er brauche Anregung, dürfe sich doch nicht dauernd vom Pulsschlag des Großstadtlebens entfernen ...

Wir warten, warten – draußen hält noch immer mein nicht bezahlter Taxameter. Eine Heidenangst überkommt uns, denn Rudi hat ja unser ganzes Vermögen in der Tasche. Pepi klebt die Zunge am Gaumen – ich lasse Eis kommen, noch mehr Eis – Rudi läßt sich nicht blicken.

»Da – da ist er!« ruft sie plötzlich jubelnd. »Rudi! Rudi!« Wir wurden sogleich der Mittelpunkt des ganzen Cafés. »Aber was hast du denn da?« fuhr sie ängstlich fort, indem sie auf die beiden Pakete deutete, die ihr Herr Gemahl hinter seinem Rücken zu verbergen bemüht war.

Rudi strahlte übers ganze Gesicht. »Ja, ratet's einmal, Kinder, so ratet's doch! Da, Bundesbruder, das ist für dich, – halt, vorsichtig, 's ist zerbrechlich, – und das da ist für dich, Schatz. Und billig, Kinder, billig – da war nämlich eine Versteigerung, da drüben, eine seltene Gelegenheit ...«

Er hatte inzwischen eine reizende kleine französische Nippes von Charpentier und einen spanischen Gobelineinsatz ausgepackt.

»Es ist echt, tatsächlich, ihr könnt's euch auf mein Urteil verlassen!« sagte er etwas schüchterner, da er unsre entsetzten Mienen sah. »Und kost't bloß – hm – zusammen – – man muß eben bedenken, es ist wirklich echt ...«

»Rudi,« stieß die kleine Frau fast zitternd aus, »das ist – von dem Geld – für Krawutschke?!«

»So ist recht, so ist recht. Jetzt kriegt man noch Vorwürf'. So ein schöner Sommertag heut – und wer weiß, wann man wieder einmal so sorgenfrei und lustig zusammen sein kann – aber jetzt dank' ich! Ich danke, sag' ich!«

»Bscht, Kinder,« beschwichtigte ich, »ich weiß gottlob noch immer einen Ausweg. Wir fahren jetzt sofort nach dem Seeschlößchen an der Jannowitzbrücke. Der Bierzapfer dort feiert heut seinen Geburtstag ...«

»Der Bierzapfer!« unterbrach mich Rudi gereizt, »das ist für dich also ein Ausweg? Daß der da seinen Geburtstag feiert? Und das nennt sich jetzt Großstadt! Sepperl, ich sag' dir: 's gibt nur aa Kaiserstadt, 's gibt nur aa Wien!«

Ich schwitzte Blut.

Endlich hatte Pepi, die sich der Sicherheit halber den Rest vom zweiten Hundertmarkschein aushändigen ließ, die Rechnung mit dem Zahlkellner gemacht, und wir stiegen in meinen Taxameter ein.

Unterwegs erklärte ich meinen Schlachtplan. Wir würden meine Wirtin mit ihren beiden Töchtern im Seeschlößchen treffen, die mußte mir bei dem festlich gestimmten Bierzapfer ein Darlehen von zirka zweihundert Mark bis übermorgen erwirken – und dann noch rasch nach Grünau zu dem fürchterlichen Krawutschke!

Im Seeschlößchen an den Bierzapfer heranzukommen, um ihm zunächst einmal zu seinem Geburtstag zu gratulieren, war vorläufig undenkbar. Der Mann hatte eine Riesenarbeit zu bewältigen. Er machte mir übrigens sofort einen sehr sympathischen Eindruck.

Das ganze Lokal besaß überhaupt etwas ungemein Anheimelndes. Im Garten draußen, der an die Spree grenzte (es war mehr das, was man »möblierter Hof« nennt), tummelten sich Kinder aller Altersstufen – ein großer Volkskindergarten, für den da ein Sommerfest abgehalten wurde. Vier Mann verübten ein Konzert auf Blasinstrumenten. Als Josepha, die sehr »kinderlieb« war, sah, mit welchem Appetit die kleinen Krabben von drei, vier, fünf und sechs Jahren, Jungens und Mädels, ihre bescheidene Butterbrotmahlzeit futterten, rührte sie das tief, und sie sagte in einer gewissen mütterlichen Erregung: sie werde uns das Dejeuner bei Frederich nie vergeben, wenn wir diesen armen Enterbten jetzt nicht auch etwas von unserm Ueberflusse zukommen ließen. Wir setzten sogleich erschrocken die Biergläser hin – übrigens waren sie schon wieder leer – und Rudi murmelte zerknirscht: auf ein Paar Mark mehr oder weniger, die wir dem Bierzapfer abpumpten, käm's jetzt ja doch nicht mehr an.

Und ich möchte das reizende Erlebnis, das dem folgte, bei Gott nicht missen.

Pepi gab mir Geld – ich erstand in der Nachbarschaft einen Korb Kirschen und Erdbeeren – und nach Verständigung mit der gemütlichen Leiterin des Kindergartens bekam jedes der blassen Kleinen den unerwarteten Nachtisch vorgesetzt.

Na, der Jubel.

Dann kam Rudi an – strahlend, glückselig. Er hatte im Spielwarenlager an der Jannowitzbrücke sämtliche Fünfzigpfennig-Artikel geplündert.

Natürlich weckte die reichliche Bescherung Sensation unter den übrigen Gästen. Ein Blondkopf zeigte stolz seine Flinte, der seine Trommel, der ein Kaninchen, das hüpfte, die wieder eine Puppe, die Mama sagte, eine Badewanne, eine ganze eingerichtete Küche. Für fünfzig Pfennig; es war uns beiden unfaßbar, wie die Leute das für ein solches Spottgeld liefern konnten!

Und nun stellte sich auch noch Pepi ein. Was sie brachte, schien uns über den Rahmen des ursprünglich Beabsichtigten hinauszugehen: für jedes Kind ein paar wollene Strümpfe – und für die Mädchen noch extra je ein halbwollenes Leibchen. Bei der tropischen Hitze lag ja freilich kein akutes Bedürfnis hierzu vor, aber wir sagten nichts, um Josepha nicht zu kränken.

Aus der allgemeinen Bescherung ward ein wahres Volksfest. Man umringte uns, die Mädels knicksten, ein paar wilde Jungen kletterten Rudi und mir auf die Schultern – ein Herr im Zylinder stellte sich als Stadtverordneter vor und versprach uns, über diesen Akt wahrer Humanität an unsre bezüglichen Gemeinden Steglitz und Charlottenburg zu berichten. Das erschien uns fast zuviel. Dazu ein herrlicher Sonnenuntergang, der ganze Westen über Berlin blutrot, Kinderjubel, und ein Leierkasten spielte das Miserere aus dem Trovatore. Es war ergreifend. Aber endlich mußte ich doch mit dem Bierzapfer Fühlung nehmen.

Ja, und da denken Sie sich unsern Schreck, als wir erfuhren: der sympathische Herr, der sich hinterm Schankbüfett so aufopferungsvoll betätigte, der war nur der Stellvertreter unsers Geburtstagskindes. Der Gefeierte selbst machte heute blau; er war mit seinen Verwandten bei seinem Freunde Lehmann zu Gast.

»Wo man Lehmann treffen könne?« fragte ich mit dem Mut der Verzweiflung.

Lehmann sei der Kapitän des Vergnügungsdampfers »Spreenixe«, der zwischen Friedrichshagen-Köpenik und Grünau verkehre.

Grünau! Das an sich so klangvolle Wort entlockte uns im Gedanken an den entsetzlichen Krawutschke Zähneklappern.

Grad war ein Dampfboot dahin fällig, der »Salamander«, – wir eilten, um noch rechtzeitig an Bord zu kommen.

Hundert Kinderhände winkten uns vom Seeschlößchen Grüße nach, als das Boot abstieß, wir sahen die Kinderhelmspitzen und Blechtrompeten im roten Sonnengold blitzen, die Fähnchen und die wollenen Strümpfe wehen, man spielte einen wohlgemeinten Tusch – und der Stadtverordnete, an seinem ergreifend hohen Zylinder kenntlich, brachte ein »Hipp! Hipp! Hurrä!« auf uns aus.

Hernach – auf den mehr und mehr dunkelnden Fluten der Spree dahingleitend – ward es uns aber doch wieder bänglich zumute. Wir näherten uns Grünau und Iwan Krawutschke. Als wir addierten, was wir noch an Bargeld besaßen, ergaben sich bloß siebenundsechzig Mark fünfundachtzig Pfennig.

»Das langt jetzt eh nimmer!« sagte Rudi kummervoll. »Meine einzige Hoffnung ist die: nämlich – der Spielwarenhändler da, der hat mir doch nit recht 'rausgeben können – da hab' ich ein Roteskreuzlos nehmen müssen. Vielleicht, daß da was 'rauskommt ...«

Sepperl begann es plötzlich derart zu frösteln, daß sie die Kajüte aufsuchen mußte.

Als wir auf dem sonst ganz leeren Dampfer (denn wer fährt um zehn Uhr abends noch nach Grünau?) an unserem Bestimmungsort landeten, schlug ich vor, daß wir uns in dem Restaurant dicht beim Landungsplatz niederließen, um die Wasserseite im Auge zu behalten, der »Spreenixe« halber.

Es duftete da herrlich nach grünem Aal, jungem Gänsebraten und Gurkensalat.

»Was kann das schlechte Leben nützen,« sagte Rudi schluckend, »treffen wir den verflixten Bierzapfer mit seiner ölendiglichen Spreenix heut nit mehr an – dann geh' ich halt ganz einfach, ehrlich und gradaus, zu dem Herrn Iwan Krawittel oder Pomatschke oder wie er heißt hin und stell' ihm vor, wie das halt so gekommen ist – und er soll doch nit so ein Blutsauger sein, so ein habsüchtiger, – und er wird doch ein Einsehen haben, jetzt, wo wir doch den ganzen Tag uns abraxen, bloß für ihn, damit er doch ja seinen schäbigen Mammon kriegt, der – der – der ungute Kerl der!«

Das Lokal ward leerer und leerer, all die Ausflügler kehrten per Bahn und per Schiff nach Berlin zurück. Die »Spreenixe« zeigte sich aber nicht. Was blieb uns andres übrig, wenn wir Pepi noch munter halten wollten: wir spielten halt einen Skat. Endlich waren wir die einzigen Gäste. Der Wirt, ein jovialer, dicker Urberliner, nahm mit an unserm Tische Platz und spielte mit – den Point einen Sechser. »Bloß damit das Kind 'n Namen hat!« scherzte er in seiner gemütlichen Art.

Aber ich kann Ihnen sagen: so hab' ich noch nie in meinem Leben einen Menschen gewinnen sehen wie den! Zehn Mark in Gold mußten gewechselt werden, dann zwanzig, dann wieder zehn, nochmal zehn ...

Und der Mann freute sich, lachte wie ein Schneekönig, patschte bald mir, bald Rudi aufs Knie und erklärte uns beide für zwei ganz famose Bierhühner.

Plötzlich schlug's Mitternacht. Und da war's uns, als ginge Krawutschkes Geist durch den leeren Saal. Wir fuhren empor und sahen einander mit bleichen Gesichtern an. In vierzehn Minuten ging der letzte Zug nach Berlin zurück.

»Nu sein Se doch keen Frosch!« sagte der Dicke. »Noch eene Runde! Ik muß Sie doch Revanche jeben!«

Nein, Rudi zeigte jetzt Charakter und rechnete sofort mit dem Verführer ab. Aber am Schluß der Addition entrang sich ihm ein gewaltiges Stöhnen: die Zeche konnte er ja grad noch bezahlen – aber wir hatten einundfünfzig Mark dreißig Pfennig Spielschulden bei unserm edlen Gastfreund.

Das fuhr uns in die Knie.

»Jesses, Maria und Joseph!« stammelte Rudi. Er riß plötzlich sein steifes Filzhütchen an sich, stauchte es mit Aplomp auf die Tischplatte und führte einen klatschenden Schlag dagegen, so daß es im Nu deformiert war.

Sepperl flehte den Gastwirt an: »Ach lieber Herr, wenn Sie wüßten – einundfünfzig Mark dreißig Pfennig ...«

»Kinderkens, ik bin doch 'n Jemütsmensch. Sagen wir rund fuffzig.«

»Heiliger Strohsack – fuffzig – die haben wir doch ah nit!« rief Rudi verzweifelt. »Daheim schon eh nit!«

»Tja, Kinderkens, wenn mich eener mal wat nich berappen kann – verklagen tu ik ja nich gerne – aber denn lass' ik die Onkels det immer abarbeeten.«

»Ab–ar–beeten?« Wir sahen im Geist schon Pepita mit ihren schlanken Händchen Aale erwürgen und Rudi und mich Bierfässer rollen. »Aber Menschenskind,« rief ich außer mir, »wir leben doch nicht mehr in der Zeit der Leibeigenschaft! – Und für einen Skat!«

»Wat sind Sie denn Ihres Zeichens?« fragte mich der Gewaltige.

»Ich? Ja ... hm ... Papa ist Steuerrat in Küstrin. Und mein Freund da ist Maler.«

»Maler? Jut, Männeken, denn malen Se mir und meine Frau.«

»Für fünfzig Mark? Mensch!«

Vom Bahnhof hörten wir das Schnauben und Rollen des in die Halle einfahrenden Zugs.

»Ums Himmels willen – wir müssen fort!« schrie ich und erfaßte Pepis Arm.

Der Wirt begleitete uns aufgeregt über die Straße.

»Ik verlaß mir also druff, meine Herrschaftens. 'n Pfand brauchen Se mich nich erst zu jeben. Und wenn ik zufrieden bin, denn führ' ik Sie janz Jrünau als Kundschaft zu.«

»Jesses, Jesses,« rief Rudi zähneklappernd, »bloß fort – bloß fort ...«

»Womit denn aber die Billetts bezahlen?« jammerte Sepperl.

»Da – pro Nase sollen Se sojar noch enen Taler bar von mich kriegen,« sagte der atemlose Dicke, der seinen Gewinnst noch immer in Händen hielt, »aber denn muß unsre Jertrud, wat die Aelteste is, ooch noch mit uff dem Bilde.«

»Einsteigen! Vorwärts! Nich drängeln! He – Sie – zurück da!«

Unter Schreien, Stoßen, Schwitzen, Keuchen eroberten wir noch Plätze in einem überfüllten Coupé.

»Fertig!« hallte es über den Perron.

Der Wirt winkte uns majestätisch aber wohlwollend zu.

»Und schreiben Se mir jleich morgen früh, damit ik wat Schriftliches habe, denn nu haben Se Handjeld, verstehn Se woll!«

»Ja, wollen S' denn nit wenigstens die G'wogenheit haben,« stöhnte Rudi, »mir zu sagen ... Zum Deixel, wie heißen S' denn eigentlich?«

»Als wie ik?« rief der dicke Gastwirt von Grünau. »Iwan Krawutschke! Wie sonst?!«

»Abfahren!« rief da zum Glück der Mann mit der roten Mütze.

*


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