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Sechstes Kapitel.

Meiden und Scheiden

An Diana's Verwandte und Hugo's Vater waren sowohl von den Verlobten, als auch von der alten Erlaucht Briefe mit der Ankündigung des Geschehenen abgegangen, und nicht lange darauf die einwilligenden Antworten eingelaufen. Den Besuch des Brautpaars lehnte Graf Wolfgang einstweilen noch seiner Gesundheit wegen ab, hoffte jedoch zu dem in etwa drei Wochen bevorstehenden Weihnachtsfeste mit seinen übrigen Kindern nach Königshofen hinüberkommen und die zukünftige Schwiegertochter kennen lernen zu können. Für jetzt bestand er aber darauf, daß Hugo für diese Zwischenzeit das Schloß verlassen und zu dem ihm bestimmten Wirkungskreise auf der nicht fernen, Driberg genannten Besitzung zurückkehre; und Gräfin Charlotte stimmte diesem Wunsche bei, wie ungern sie auch den Neffen in ihrer Umgebung entbehrte. Nach manchem lustigen Zank fügte Hugo sich zwar in diese Trennung von seiner Braut, wußte sich jedoch bald einen Ersatz dafür zu schaffen, indem er fast jeden Nachmittag herübergeritten kam und sich erst am Abend wieder verabschiedete. Ja nach einigen Tagen fand er dies Kommen und Gehen, dies Begrüßen und Abschiednehmen fast angenehmer und lustiger als den steten Aufenthalt im Schloß.

Für einen Theil des Tages ward Königshofen dadurch aber wieder stiller und das Leben daselbst einförmiger als seither, denn der Graf Ruysbroek, welcher nun seit vollen vierzehn Tagen dort verweilte, schien wie im Anfang auch jetzt noch wenig geeignet, eine größere und heitere Bewegung in den Kreis der Gesellschaft zu bringen.

Dennoch war er in diesen vierzehn Tagen ein Anderer geworden und schien sich in dem Umgange mit dem kleinen Kreise nach und nach zurecht zu finden. Zwar war er den jungen Damen gegenüber noch oft von großer Befangenheit, und zu Zeiten konnte er halbe Stunden lang schweigend dasitzen; für gewöhnlich aber betheiligte er sich artig und ziemlich gewandt an der Unterhaltung und zeigte, daß in seinem Kopfe eine bedeutende, wenn auch ziemlich ungeordnete Masse von Wissen und den verschiedenartigsten Kenntnissen angehäuft sei. Und selten zwar, aber doch zuweilen, wenn er sich einmal von dem Thema besonders angeregt fühlte und sich gehn ließ, erschien plötzlich eine Fülle von seinen Beobachtungen, von treffenden Bemerkungen, geistvollen Einfällen und besonders eine Lebhaftigkeit und – Leichtigkeit, hatte man sagen mögen, die mit seiner sonstigen ernsten Haltung aufs seltsamste kontrastirte, und die man nach, dem Briefe des Freiherrn und nach dem ersten Auftreten des Grafen selbst am allerwenigsten in dem einsiedlerisch erzogenen und gebildeten Manne gesucht hätte. Aber wenn solche Momente fast blitzgleich kamen, so verschwanden sie auch gleich darauf wieder eben so schnell, und der Graf hüllte sich, gleichsam als erschrecke er über die Aufregung und wollte sich selbst dafür bestrafen, dann für den Rest des Abends gewöhnlich in eine desto steifere Abgemessenheit und Schweigsamkeit. Die Gesellschafterin der Gräfin Charlotte hatte nicht unrecht, als sie einmal meinte: der Herr Graf habe einen gewissen mystischen Reiz.

Und doch war kein Mensch offener über sich selbst, seine Erziehung, sein Leben, seine Bildung, über alle seine Verhältnisse, als grade Graf Raimund, wenn er im Laufe der Unterhaltung darauf kam. Sein Leben und sein Wesen schien wie ein offenes Buch vor seiner Umgebung zu liegen. Es war kein Blatt darin verklebt, kein Satz verloren gegangen oder unleserlich geworden, keine Zeile schien doppelsinnig zu sein; und doch hatte die Gesellschafterin recht, wenn auch sie so wenig, wie einer der andern zu sagen vermochte, wo das trotzdem vorhandene Geheimnißvolle liege und woher es stamme.

Die Wirkung, die der Graf mit seinem Wesen und Benehmen auf die Bewohner des Schlosses hervorbrachte, war eine sehr verschiedene. Die beiden Gesellschafterinnen schwärmten für ihn und fanden die höfliche, milde Artigkeit, die er gegen sie zeigte, allerliebst. Hugo ließ ihn als einen langweiligen, übrigens erträglichen Menschen gelten, Diana fand, daß er »unerlaubt« häßlich sei und diesen »Fehler« durch Geist und Talente nicht verbessere. »Woher er seine gelegentlichen Einfälle und Witze, seine feinen Beobachtungen und Bemerkungen hat, weiß ich nicht,« pflegte sie wohl zu sagen, »aber ich möchte schwören, daß sie nicht von ihm, sondern irgendwo aufgefaßt sind und nun bei Gelegenheit angewendet, uns aufgetischt werden. So kommen sie nur vor. Und wie er sie vorbringt, ist studirt. Er hat sie berechnet, wie er es bei sich selbst, seiner Befangenheit, seiner Aufregung, seinem Erschrecken auch sonst thut. Er ist nicht natürlich, sondern affectirt.«

Und Gerhard sprach einmal zu Margarethen: »nehmen Sie sich in acht, Margot, und warnen Sie, wenn Sie es können, auch die Erlaucht vor diesem Grafen Ruysbroek. Glauben Sie mir, er ist falsch – vielleicht ein Betrüger. Aber ich achte auf ihn!« – Und als das Mädchen kopfschüttelnd nach dem Grunde dieses Glaubens fragte, antwortete er: »ich muß ihn schon einmal irgendwo gesehen haben – damals als ich meine Reise machte, und er muß in einer andern Stellung gewesen sein, denn einem Grafen Ruysbroek bin ich allerdings nicht begegnet. Und doch ist das ein Gesicht, das sich in den Jahren wenig verändert und das man auch nicht vergißt, wenn man es einmal sah, ebensowenig wie den Namen.«

Das war noch in den ersten Tagen gewesen, die der Fremde in Königshofen verlebte, und von einer eifersüchtigen Regung des Forstmanns, wie unsere Leserinnen vielleicht lachend denken mögen, konnte auch um dessentwillen nicht wohl die Rede sein, weil der Fremdling mit Margarethen bis dahin vielleicht nicht ein einzig Wort gewechselt und diese Letztere durch Diana's Verlobung noch zu sehr in Anspruch genommen und bewegt war, als daß sie sich um den schweigsamen, wenig angenehmen Mann bekümmert, ihn überhaupt nur beachtet oder gar beurtheilt hätte. Seitdem waren sich beide indessen nach und nach näher gekommen und Margarethe war von allen Jüngern die einzige, welche den Grafen und seine Weise herzlich und nachsichtig gelten ließ und mit ihrer eigenthümlichen Güte aufnahm; der Warnung Gerhards hatte sie nicht vergessen, allein sie fand sie je länger je weniger begründet, sprach das gegen den Freund selbst aus und suchte auch ihn umzustimmen. Bei dieser Freundlichkeit des liebenswürdigen Mädchens, und im Verein mit ihrem ganzen, anziehenden und lieblichen Wesen war es daher nicht zu verwundern, daß der Graf zuerst und am meisten ihr gegenüber seine Schüchternheit ablegte, häufig in ihrer Nähe weilte, sich gern mit ihr unterhielt und sie überhaupt mit einer Art von Hingebung und mancherlei kleinen Aufmerksamkeiten umgab, welche Margarethe um so freundlicher berührten, je weniger sie von einer so verschlossenen und scheuen Natur, wie der Graf sie zeigte, zu erwarten gewesen waren.

Am meisten aber und vor allen hatte der Fremdling die Gunst der alten Erlaucht selbst gewonnen und schien ebenso ihr seine ganze Neigung, sein ganzes Vertrauen zugewendet zu haben. Er gab sich ihr allein gegenüber mit einer Offenheit und Ungezwungenheit hin, wie er sie sonst nie und nirgends zeigte. Ihr allein gegenüber – aber auch nur dann – fiel alle Befangenheit und Unbehülflichkeit von ihm ab, und er war der Mann von Geist, der Sproß einer guten, ehrenwerthen Familie, der sich mit einer Art von Instinkt an alles ihm bis dahin Ungewohnte gewöhnte, sich in alles Unbekannte leicht hineinfand und unter den Augen der alten Dame, durch ihre Unterhaltungen, Rathschläge und Lehren plötzlich Welt und Leben zu verstehen und richtig aufzufassen schien. Gräfin Charlotte war darüber ganz entzückt und fast stolz auf diese durch sie beförderte Entwicklung des Gastes. Sie zankte mit den Ihren über deren Abneigung, sie wies Gerhard, der auf ihre gelegentliche Frage, seine Meinung nicht verbarg, mit sichtbarem Verdruß und ungewöhnlicher Schärfe zurück, sie lobte Margarethe um ihre Freundlichkeit und munterte sie dazu auf, sie behandelte endlich den Grafen Raimund selbst mit solcher Güte, mit solcher Herzlichkeit, als sei er nicht ein Fremder, sondern ein wirkliches Glied ihrer Familie.

Ueberall mußte er an ihrer Seite sein, sie selbst führte ihn durch die interessanten Räume des Schlosses, ließ sich von ihm auf ihren Revidirgängen durch die Stallungen und in die Meierei begleiten, und da er sich für Landwirthschaft und Forstkultur lebhaft interessirte und, wie sie fand, darin sehr gut Bescheid wußte, so nahm sie ihn auch mit, wenn sie nach Waldseck hinüber oder in die Waldungen ritt, wo jetzt die Holzschläger bei ihrer Arbeit waren und von der Dame oft besucht und überrascht wurden. Ja, sie gab dem Grafen auch Morgens und Abends die Hand, was sie sonst nie bei einem Fremden gethan, und als sie ihm abmerkte, wie sehr er Blumen liebe, mußte der Gärtner ihm bei jedem Mittagsessen eine Schale voll Laub und Blüthen aus den Treibhäusern vor's Couvert stellen lassen. Beim Nachtisch band der Graf sie spielend zu reizenden Bouquets, die er dann mit freilich ein wenig steifer Galanterie den Damen überreichte oder selbst mit auf sein Zimmer nahm. Margarethe, welche gewöhnlich das schönste erhielt, ward mehr als einmal von der Großmutter dazu überredet, es an die Brust zu stecken, und that es arglos und heiter, theils weil sie selbst die Blumen liebte, theils weil sie freundlich dem Grafen das Vergnügen gönnte, das ihm diese kleine Aufmerksamkeit sichtbar machte. Er schien ein wenig eitel zu sein auf seine kleine Kunstfertigkeit und ein Lob darüber gern zu hören.

Hugo sah auf dies alles, wie auch auf seine Großtante oft mit heimlichem Kopfschütteln. Er verstand die alte, gerade in solchen Dingen sonst ziemlich gehaltene Dame immer weniger, zumal da er gleich, allen übrigen den Grafen nicht genug kannte, um es für möglich zu halten, daß der verschlossene Mann in seinem Verkehr mit der Erlaucht ein ganz anderer sei und sie vollständig für sich eingenommen habe. Mit Diana hatte er bisher jedes Gespräch über seine Cousine und ihre Gefühle klüglich zu vermeiden gewußt, da er bald erfahren, daß sie die Liebe der Freundin wirklich ahne und mißbillige; Gerhard und Margarethe betrachtete er zuweilen mit einem leisen pfiffigen Lächeln, aber gesprochen hatte, er weder zu der einen, noch dem andern, und nur ein einzigmal hatte er, als er in den letzten Tagen schon Mittags anlangte und nach dem Diner mit Margarethen einen Gang auf der Terrasse machte, auf das Bouquet gedeutet, das durch die Oeffnung des Mantelchens an ihrer Brust zu sehn war, und dann gemeint: »nun, der macht dir einmal stürmisch den Hof, Gretchen!« – »Wer denn? Was meinst du?« fragte sie überrascht stehen bleibend. – »Nun mein Gott,« antwortete er lachend, »wer denn sonst als – le comte Raimond de Ruysbroek?« Und ohne auf ihren Ruf: »ach Unsinn!« zu achten, setzte er hinzu: »nun, der Großtante scheint nichts Besseres begegnen zu können, als daß du seine Bewerbungen so freundlich aufnimmst.« Er sah ihr dunkles Erröthen und den Schreck, der durch ihr Gesicht zuckte, nicht mehr, da Diana eben aus der Thür trat und er ihr entgegeneilte. Als er aber am Abend, vor dem Wegreiten, noch in Gerhards Zimmer kam und den jungen Mann einsam bei der Arbeit traf, stand auf dem Tisch neben der Lampe Margarethens Bouquet in einem Wasserglase. »Schöne Blumen das!« sagte Hugo und beugte sich darüber, um sein Lachen zu verbergen. – »O ja,« war Gerhards von einem Lächeln begleitete Antwort.

Der Forstmeister war nach und nach immer seltener in der Gesellschaft erschienen und ging meistens nur still und eifrig seinen jetzt grade sehr gehäuften Geschäften nach. Theils ward ihm die Persönlichkeit des Fremden je länger je mehr zuwider und unheimlich, ohne daß er sich freilich einen Grund dafür anzugeben wußte; theils hatte er seine schiefe Stellung, seine ganze drückende und – in dieser Weise aussichtslose Lage nie so klar und scharf empfunden, wie gerade jetzt. Er schüttelte nun oft den Kopf über sich selbst und begriff nicht, wie er so lange hatte unthätig bleiben, sich mit nutzlosen Quälereien und Grübeleien plagen können. Er machte sich nun wirklich fast dieselben Vorwürfe, die Hugo auf jener Jagd gegen ihn ausgesprochen, und wie der junge Graf vorhergesagt, ward er sich nun erst der Stärke seiner Liebe recht bewußt, nun, da er spürte, daß sich nach und nach ein immer ernsterer Widerstand gegen dieselbe erhob.

Mochte dieser Widerstand auch nicht deutlich und wirklich ausgesprochen sein – Gerhard fühlte nur gar zu wohl, daß er sich rings um ihn regte und bald auch noch schärfer und ernster hervortreten mußte. Er fand ihn nicht nur darin, daß er die Geliebte seltener auf seinen Wegen traf und weniger mit ihr reden konnte als je; sondern er fühlte ihn auch aus dem Wesen des Grafen Raimund heraus, der sich dem Mädchen immer angelegentlicher widmete, und er empfand ihn in der Freundlichkeit, mit der Margarethe diese Annäherung duldete, in der Heiterkeit und Luft, die sie mehr als je zu beherrschen und von den Gedanken an Gerhard und ihre Liebe abzuziehen schien. Er träumte sich die Geliebte nicht mehr fern, wie bisher, – sie war es jetzt wirklich. Aber nachdem ihn einige Tage eine finstere Trauer, eine Art von Eifersucht beherrscht hatte, diente dies nur dazu, ihn noch kräftiger auf- und anzuregen und einer endlichen Entscheidung zustreben zu lassen. Wenn er seiner Vernunft Gehör gab, konnte er an Margarethens Liebe und Treue nicht zweifeln; und wollte dennoch in finsteren Augenblicken einmal ein solcher Zweifel in ihm aufsteigen, so verschwand er wieder bei dem nächsten innigen Wort, das ihm die Geliebte zuweilen doch hie und da zuwenden konnte. Und noch inniger und noch wärmer klangen ihm diese Worte zu Herzen, seitdem an jenem Abend das Mädchen ihm das kleine Bouquet geschenkt, das Hugo bei ihm gefunden.

Ein weiteres und noch ernsteres Motiv zum endlichen energischen Handeln lag für ihn aber in der Härte und Kälte, mit der die alte Erlaucht ihm plötzlich begegnete und den bisher so bevorzugten Freund in die engsten Grenzen seiner Stellung zurückstieß. Vergeblich rieth Gerhard nach einem Grunde umher; er war sich keiner Schuld, keines Fehlers bewußt, zumal nicht einer Schuld, die eine solche Strafe hätte hervorrufen müssen. Vergeblich hoffte er zuerst von Tag zu Tag auf eine bessere Stimmung seiner Gebieterin; im Gegentheil zeigte ihre Abneigung sich stets schärfer und deutlicher, und machte Gerhard seine Stellung um so unerträglicher, je mehr er bisher sein Verhältniß zum gräflichen Hause nur mit der treuen Dankbarkeit und Liebe seines Herzens, niemals aber mit dem bloßen Gefühl seiner Pflicht aufgefaßt hatte. –

Es war ein paar Tage nach Hugos Verlobung mit Diana gewesen und die jungen Leute hatten eben den Frühstückssaal verlassen, um einen Spaziergang durch den Park zu machen. Die Erlaucht blieb mit dem Grafen Raimund am Fenster stehn und sah ihnen heiter nach. Das Ereigniß hatte das Herz der alten Dame mit großer Freude erfüllt und sie sprach dieselbe auch jetzt, wie früher schon mehrmals gegen ihren Gast aus. Da hatte denn der Graf lächelnd bemerkt, daß ihm ein zweites, ähnlich freudiges Ereigniß nicht fern zu sein scheine.

Die alte Dame sah überrascht auf und ihn an. »Was meinen Sie, mein Herr Graf?« fragte sie. – »Ei,« entgegnete er mit einer leichten Verbeugung, und wäre er nicht der einfache, schüchterne Mann gewesen, wie ihn der Bruder der Erlaucht geschildert und wie er sich seither im Schlosse auch selber gezeigt, so hätte man drauf schwören mögen, daß sein Lächeln wie die Betonung seiner Worte spöttisch sei, – »ei, Madame, ich meine Mademoiselle, Ihre Enkelin, und den großen, schönen Mann, der gestern Abend bei uns war und jetzt dort in der Begleitung der Andern ist. Sie haben mich leider nicht mit ihm bekannt gemacht, nannten ihn aber Gerhard. Es ist auch ein Graf Hirschegg, ein Verwandter?«

Die Gräfin hatte ihn ausreden lassen und ihr Auge den beiden Paaren zugewendet, die eben aus dem Freien in die Gebüsche traten und verschwanden; eine feine Röthe hatte sich dabei über ihre Stirne gebreitet, ihre Brauen hatten sich momentan leise zusammengezogen. Dann aber wandte sie den Kopf zu ihrem Begleiter zurück und fragte mit einer gewissen Schärfe in der Stimme: »wie kommen Sie darauf, mein Herr Graf?« – Er sah ihr unbefangen in die Augen. »Es schien mir so, Madame,« erwiderte er. »Ich sah sie gestern im Tage zusammen im herzlichen Gespräch, wie eben, und gestern Abend blickten sie sich so innig an. – Habe ich aber mit dieser Andeutung eine Dummheit begangen, Madame,« setzte er hinzu, »soll dies Verhältniß noch verborgen sein oder doch Ihnen unbekannt – so verzeihen Sie mir und lassen Sie's das junge Paar nicht entgelten. Die Gebräuche der Gesellschaft sind so seltsam – mir so unbekannt.«

Sie hatte ihn wieder ausreden lassen, diesmal jedoch ohne den Blick von ihm zu verwenden, und jetzt da er schwieg, schüttelte sie mit einem einigermaßen verächtlichen Lächeln den Kopf und meinte: »bah, mein Herr Graf, das ist nichts, nicht möglich.« – »Madame, ich bitte –,« sprach er befangen und mit niedergeschlagenen Augen, »ich sehe – ich habe da thörichte Worte –« – »Bah,« unterbrach sie ihn, »lassen Sie das. Die Worte sind nicht thöricht, nur die Sache wäre es – ja, sie wäre zu thöricht. Denn der Gerhard,« fuhr sie mit kalter scharfer Stimme fort, »ist aus Barmherzigkeit nach dem Tode seiner Eltern in unserm Hause erzogen und von mir, da er die Fähigkeiten hatte und weil wir seinem Vater wohlwollten, zum Forstmeister der Grafschaft ernannt. Also ein Beamter, mein Herr Graf, ein Untergebener unseres Hauses, der Sohn eines zwar wackern Mannes, der jedoch in frühern Jahren Wilddieb gewesen, und von mir nur deswegen in meine Gesellschaft aufgenommen, weil er es sonst durch Bescheidenheit und seine Art von Bildung verdiente. Also, mein Herr Graf – der und meine Enkelin, die Comteß Margarethe von Hirschegg – bah doch! – Sie kennen sich von Jugend an, und er hat ihr einmal das Leben gerettet. Das ist alles.« – Der Graf lächelte. »Freilich ja, so habe ich mich geirrt. Verzeihen Sie mir, Madame,« entgegnete er sanft. – »Bah doch!«, versetzte sie noch einmal und zuckte dabei die Achseln. »Das ist ja nichts!«

Es schien aber doch etwas gewesen zu sein, denn von dem Augenblick an, da sie den bis dahin so lieben, so geachteten Hausgenossen vor den Augen eines Fremden und auch vor ihrem eigenen Heizen verleugnet und herabgesetzt, hatte sich ihre ganze Stimmung aufs schärfste wider ihn gewandt. Plötzlich fiel ihr jetzt wieder Diana's Andeutung ein, die Hugo damals mit der Karte des angelangten Grafen unterbrochen; es kam ihr manches in den Sinn, was sie, wenn es geschehn, überaus gleichgültig und sogar natürlich gefunden, und das nun in dem Lichte, welches die Worte des Grafen darauf warfen, einen ganz andern Anblick gewährte, einen andern Eindruck auf sie machte. Sie schüttelte immer verdrießlicher und ärgerlicher den Kopf, je mehr sie nachdachte, je mehr sie beobachtete. »Wie kann der Mensch nur so unsinnig – so schwach sein!« dachte sie, wenn ihr Gerhards Zusammensein mit Margarethen einmal einen neuen Einblick in sein Herz gewährte. »Was reißt er sich nicht empor, heraus – was macht er sich nicht davon? Das muß ja dahin führen, daß auch Gretchen endlich die Sache merkt – vielleicht reißt ihn sein Wahnsinn sogar einmal zu einer Entdeckung hin – und dann? – Gott im Himmel, ist das ein schwaches Geschlecht! Was hilft mir alle Ehrlichkeit, wenn der Muth nicht dabei ist, bis ans Ende ehrlich zu bleiben! – Oder wüßte er – ? – Dächte er – ? Bah, es ist ja unmöglich!« So dachte sie, und bei Margarethens Selbstbeherrschung und Vorsicht, und bei ihrer eigenen, in ihrer Erziehung nicht nur, sondern in ihrem ganzen Charakter, ihrer ganzen Denkungsweise begründeten Ansicht von der Sache, war es gar nicht zu verwundern, daß sie ihre Enkelin für durchaus unbefangen und noch gänzlich unbekannt mit Gerhards Neigung hielt.

So willkommen ihr diese Unbefangenheit einerseits aber auch war, auf der andern Seite legte sie ihr ein Benehmen in dieser Angelegenheit auf, das ihr niemals und jetzt am wenigsten angenehm war. Sie wagte mit Margarethen nicht über die Sache zu sprechen, weil sie sehr wohl erwog, daß bei dem langjährigen und genauen Umgang der beiden Leute dennoch im Herzen des Mädchens Keime einer tiefen Neigung schlummern könnten, die so oder so geweckt und ihr zum Bewußtsein gebracht, in ihren Folgen gar nicht mehr zu berechnen, zu hemmen sein möchten. – Und ebensowenig mochte sie mit Gerhard reden, da sie ihrem Sinn nach nur hart mit ihm hätte sprechen können, was sie doch nicht wollte. Denn in ihren Augen war diese nur halbverborgene Neigung ein Unsinn, den der junge Mann hätte von vornherein erkennen und unterdrücken sollen, mit dem er, wenn er das nicht konnte, sich so oder so von Königshofen, aus der Nähe ihrer Enkelin entfernen mußte. Das Wie? bedachte sie dabei nicht, und ebensowenig dankte sie ihm eigentlich, daß er seine Neigung, ihrer Ansicht nach, bisher noch vor Margarethen verborgen. Das Gegentheil wäre in ihrem Sinne gar nicht möglich gewesen. Denn daß ihre Enkelin sich dies »Anschmachten« auf die Länge gefallen ließ, war ihr undenkbar, und daß sie jemals solche Neigung offen oder gar heimlich hätte erwidern können, kam ihr gar nicht in den Sinn. Höchstens davon träumen und phantasiren mochte sie, dachte die alte Erlaucht; und weil sie das fürchtete, sagte sie ihr nichts von der Sache.

Alle diese Erwägungen nahmen die Dame jedoch keineswegs lange in Anspruch. Wie sie immer schnell und fest entschlossen war und alsbald zur Ausführung ihres Entschlusses schritt, so warf sie auch jetzt schon am nächsten Tage alle Grübeleien hinter sich und schritt zur Ausführung dessen, was sie für richtig befunden. Gerhard sollte fort, und da der Rentmeister in Willsburg stets über den Aufschub lamentirte, den alle Geschäfte durch die Entfernung der Forstverwaltung erlitten, so ließ sich Gerhards Uebersiedlung leicht und ohne Aufsehn bewirken. Ja die Erlaucht meinte, daß der Forstmeister bald sich selbst im Kreise der übrigen, ihm gleichstehenden Beamten behaglicher fühlen und dadurch auch Kraft gewinnen werde, gegen seine thörichte Neigung anzukämpfen. Und überdies stellte sie sich vor, daß sie einen so tüchtigen und der Gräfin Leopoldine bekannten Mann gern in der Nähe ihres unglücklichen Stiefsohns sehn werde. Sie schrieb ihrer Schwiegertochter von der Angelegenheit und gab ihr allein wenigstens eine Andeutung von dem Grunde dieser Versetzung. So war die Sache eingeleitet und auch in kurzer Zeit in Ordnung, und die Erlaucht suchte jetzt nur noch nach einer Veranlassung, welche Gerhards baldiges Scheiden nothwendig machen könnte.

Damit wäre bei der ehrwürdigen Dame zu andern Zeiten die Sache abgemacht und ihre Verdrießlichkeit beendigt gewesen. Allein diesmal war es damit etwas Anderes. Daß Gerhard dieser und zwar ein solcher Sünder sein mußte, der Mann, den sie erzogen, dem sie vertraut, dem sie so viel Liebe erwiesen, fast wie einem eigenen Kinde, – und daß ihr, der klugen, verständigen, erfahrenen Frau ein Anderer, ein Fremder, der erst ein paar Tage im Hause gewesen, die Augen hierüber öffnen mußte, – das war mehr als ihr Stolz ertragen konnte, und einmal aus ihrer Haltung gebracht, wußte sie diesmal den Ton in ihrem Verkehr mit dem Forstmann nicht wieder zu treffen. Die tüchtige und sonst so gerechte Frau fühlte sehr wohl das Unrecht, das sie dem jungen Mann mit ihrer Schärfe und Kälte that, aber wie es oft zu gehn pflegt, vermehrte selbst dies Gefühl ihren Verdruß – war Gerhard doch daran schuld, daß sie ganz aus ihrer Weise herauskam! – Und wiederum wuchs derselbe auch dadurch, daß sie nach so manchen Jahren und der langen Gewohnheit den Umgang und Verkehr mit Gerhard schon jetzt oft ernstlich entbehrte, und sein Zurückweichen nicht ihrer Härte, sondern seiner, durch des Grafen Ruysbroel Anwesenheit etwa hervorgerufenen Eifersucht und Verstimmung zuschrieb.

Von all diesen Vorgängen erfuhr Gerhard nichts als das bittere Resultat – er sah sich von seiner geliebten Gebieterin zurückgestoßen und ahnte nicht, weßhalb. Daß sein Verhältniß zu Margarethen daran schuld sein könne, daran dachte er in der ihm, wie allen Liebenden in solcher Lage eigenthümlichen Selbstverblendung, am allerwenigsten, und selbst, daß Hugo es entdeckt, ließ ihm diese Möglichkeit nicht möglicher erscheinen. Er war sich überdies bewußt, grade in der letzten Zeit vorsichtiger gewesen zu sein als je, und wie schon bemerkt, traf er jetzt auch mit der Geliebten viel seltener zusammen. – Daher schob er so zu sagen, auch alle Grübeleien auf die Seite und richtete alle Gedanken und alle Geisteskraft auf die Gründung einer andern, bessern Zukunft. Grade die Härte und Kälte seiner Gebieterin brachte ihn zum Bewußtsein seiner eigenen Rechte, seines eigenen Glücks und ließ sich in ihm den ganzen Stolz, das ganze Selbstgefühl aufbäumen, die seinen Vater von jeder Dienstbarkeit frei gehalten hatten. Er schrieb an Bekannte, er besprach sich mit Hugo, der jetzt, da er den Freund entschlossen und muthig fand, bereitwillig auf das Thema einging und seinen, thätigsten Beistand versprach. Der junge Graf mahnte aber den Forstmeister, daß er vor allem eigenen Handeln den ersten offenen Angriff abwarten möge, der, wie beide die alte Erlaucht kannten, bei ihrer jetzigen unverkennbaren Verstimmung gegen Gerhard, nicht lange ausbleiben konnte. Denn geschmollt hatte sie nie und niemals irgend ein Gefühl in sich ohne Worte lange zurückgehalten.

Gerhard gab ungern und nur für so lange nach, bis er Margarethe noch einmal gesehn und ihr seine Plane und Absichten mitgetheilt haben würde. Denn wenn er vielleicht auch gegen ihren Willen handeln mußte, ohne ihr Wissen wollte er es nicht. Jedes längere Zögern und Verbergen erschien ihm jetzt als ein Unrecht nicht nur gegen sich und die Geliebte, sondern auch gegen die ganze Familie.

In solchen Gedanken schritt er eines Morgens in seinem Zimmer auf und ab, als ihm Hubert ein Paket von der Gräfin brachte, welches ihm seine Versetzung nach Willsburg mittheilte. Die Verwaltungsbehörde der Grafschaft erklärte die Verlegung des Forstamts für nothwendig; Gräfin Leopoldine und Hugo's Vater stimmten damit überein. Daran schloß sich die Anzeige des Rentmeisters von allerlei neu zu unternehmenden und nothwendig gewordenen Forstgeschäften, wozu Gerhard so bald wie möglich hinüberkommen müsse. Und diesem allen hatte Gräfin Charlotte einen Brief hinzugefügt, worin sie die unter solchen Umständen nicht mehr aufzuschiebende Verlegung des Forstamts anerkannte, Gerhards Gehalt verbesserte und zuletzt den Wunsch aussprach, daß diese Uebersiedlung schon jetzt stattfände. Nach Willsburg hinüber reisen müsse er bereits am heutigen Tage. – Der Brief war kalt und geschäftsmäßig und der Schluß machte den Eindruck des Ganzen nicht freundlicher. »Da Dir Leben und Aufenthalt bei uns in der letzten Zeit wenig zugesagt zu haben scheinen,« lautete er, »so hoffe ich, daß diese Ortsveränderung Dir willkommen und für Deine Zukunft nicht nur, sondern auch schon für Deinen gegenwärtigen Zustand zuträglich sein werde. Und da ich durch Geschäfte verhindert bin, Dich vor Deiner Abreise noch zu sehn, so nimm hier schriftlich mein Abschiedswort und den Wunsch, daß Du in Willsburg zufrieden leben und Dich des Wohlwollens Deiner Herrschaft würdig erhalten mögest.«

Der junge Mann hatte nach der ersten Ueberraschung die Berichte und Briefe mit völliger Ruhe zu Ende gelesen; nun nach den Schlußzeilen der Erlaucht faltete er alle Papiere wieder zusammen, legte sie in seinen Schreibtisch, stand auf und durchmaß ein paarmal mit stetigem, festem Schritt das Zimmer. Endlich blieb er mit gekreuzten Armen am Fenster stehn und murmelte mit leisem Hauptneigen vor sich hin: »nun ist's gut. Das ist der Weg!« Und nachdem er noch einige Augenblicke mit einem gedankenvollen, ernsten, aber nicht trüben Blick auf den Platz vor seinem Fenster und den Schloßflügel drüben geschaut, richtete er sich hoch und kräftig auf, sagte aus tiefer Brust hervor: »nun mit Gott und gutem Muth!« rief den Diener zum Packen seiner Sachen und verließ das Zimmer.

Er ging durch den Lehnhof, stieg die Treppe zu den Gemächern der Erlaucht hinauf und trat ins Vorzimmer. Auf seine Bitte um Meldung erfuhr er jedoch von dem Kammerdiener, daß die Gräfin vor einer Viertelstunde mit dem Grafen und Hubert zu Pferde gestiegen und nach Waldseck hinübergeritten sei. »Es geht etwas vor,« sagte Karl dabei mit schlauem Lächeln. »Wir Möchten demnächst noch eine zweite Braut hier haben, Herr Forstmeister. Denn der Herr Graf ist schon seit neun Uhr mit vielen Papieren bei unserer Erlaucht da drinnen gewesen, und als er um zehn Uhr ging, um sich zu dem Ritt anzukleiden, begleitete ihn unsere Dame und sagte: ›meines Fürworts sind Sie sicher, mein lieber Graf: aber ich denke, es wird gar nicht nöthig sein. Ich wüßte nicht, was meine Enkelin einzuwenden haben sollte.‹ Der Graf schüttelte mit sanftem Lächeln den Kopf, aber unsere Erlaucht klopfte ihm e« klein wenig auf die Schulter und meinte ganz heiter: ›bah, bah! Muth, mein Freund, Muth! Ein Cavalier wie Sie braucht nicht zu zagen!‹ Das ist doch deutlich genug?« setzte der Diener schmunzelnd hinzu. – »Freilich,« erwiderte Gerhard so ruhig, wie er auch dem ganzen Bericht zugehört. Und dann fuhr er fort: »ich muß noch heut Abend für einige Zeit nach Willsburg verreisen, Karl, und hätte Ihre Erlaucht vorher noch sprechen sollen. Nun muß ich schreiben und werde Ihnen den Brief zustellen lassen. Sorgen Sie dafür, daß Ihre Erlaucht ihn sogleich erhält.« –

Dann ging er wieder und durchstreifte die ganze Burg, die Bibliothek und die angrenzenden Räume, ohne jedoch wie er wünschte, Margarethe zu finden. Erst als er aus dem Frühstückszimmer auf die Terrasse trat, sah er sie wirklich von einem Spaziergange durch den Park zurückkehren. Zugleich aber erklang auch aus einem der nächsten Fenster Diana's Stimme: »aber Margaritta, wo bleibst du denn? Die Uhr ist schon Elf vorüber!« –

Einen Augenblick zauderte Gerhard, dann aber faßte er sich und ging der Nahenden so unbefangen wie möglich entgegen. Ohne auf ihr Erröthen und ihr leises: »um Gott, Gerhard!« zu achten, blieb er an ihrer Seite und sprach rasch: »sehen Sie heiter aus, Margot! – Erschrecken Sie nicht! – Ich bin nach Willsburg verbannt und muß noch heute reisen. Wann und wo sehe ich Sie vorher?« – Sie bebte doch zusammen, so daß er noch einmal leise mahnen mußte: »Margot, Ruhe und Fassung!« – Dann jedoch blieb sie plötzlich entschlossen stehn, sah ihm frei und offen in die Augen und fragte: »noch heut sollen Sie fort?« – »Ja, noch heut.« – »Und nach Willsburg wirklich versetzt? Die Großmutter deutete gestern so etwas an – ich hielt es nicht für möglich.« – »Seien Sie' vorsichtig, Margot,« sprach er gepreßt, »Ihre Freundin sieht uns.« – Sie schüttelte leicht den Kopf. »Was kümmert mich das?« erwiderte sie. »Also heut noch? – Gut, Gerhard, ich werde genau um vier – oder genau um fünf Uhr in der großen Allee sein. Sie brauchen, wenn ich um vier nicht könnte, nur fünf Minuten zu warten.« – »Aber es ist dann dunkel, Margot,« mahnte er beklommen. –» »Was kümmert mich das?« entgegnete sie wieder mit einer seltsam starren Ruhe. »Und nun bis dahin adieu, Gerhard. Vertrauen Sie mir, sorgen Sie nicht!« Und damit nickte sie ihm flüchtig zu, wandte sich ab und ließ, indem sie ihren Weg zum Schlosse fortsetzte, den jungen Mann in einem tiefen Erstaunen über diese plötzliche Veränderung ihres Wesens zurück.

Aber zum Nachdenken und Grübeln blieb ihm wenig Zeit, wenn er auch dazu aufgelegt gewesen; er hatte die laufenden Geschäfte zu ordnen und sie dem zu ihm bestellten Förster zu übergeben, darauf half er dem Diener beim Packen der nothwendigsten Sachen, und dann endlich setzte er sich hin, um an die Erlaucht zu schreiben, was er ihr am Morgen hatte mittheilen wollen – ein offenes Bekenntniß von seiner und Margarethens Liebe nicht nur, sondern auch von seinen Plänen und Aussichten für die Zukunft. Als er zum Schluß kam, legte er mehr als einmal die Feder hin und die Hand an die glühende Stirn, vor die feuchten Augen – sein ganzes Leben war in Königshofen, unter den Augen der alten Erlaucht verflossen, alle Erinnerungen, alle Sorgen und alle Freuden knüpften sich an das Schloß und fast ebensosehr an dessen Herrin. Und nun sollte er scheiden, vielleicht auf Nimmerwiederkehr! – Denn wie er es immer gewußt, war es ihm auch in dieser Stunde nicht verborgen – war die jetzige Verstimmung, der Gräfin gegen ihn nicht, wie man es auch kaum von ihr erwarten konnte, eine bloße Laune, sondern eine wirkliche, sei es wodurch es wolle, hervorgerufene Abneigung, – war sie überhaupt seinen Wünschen und Plänen entschieden entgegen – so blieb für Gerhard wenig oder gar keine Aussicht vorhanden, Margarethens Hand zu erhalten. So milde und freundlich, so nachsichtig und vorurtheilsfrei die alte Dame sein möchte – in manchen Punkten blieb sie, wie Hugo es genannt: unberechenbar. Und von einer Ansicht, die sie für richtig erkannt, von einem Vorsatz, den sie einmal fest gefaßt, hatte noch niemand sie abweichen sehn, geschweige denn sie davon abgebracht.

Und nun war der Brief beendigt. Er siegelte und schickte ihn durch den Diener zu Karl hinüber, und als er von dem Zurückkehrenden die Nachricht erhalten, daß die Erlaucht von ihrem Ausfluge noch nicht zurückgekehrt sei, ließ er den Wagen mit den Koffern abfahren und schickte den Diener mit seinem Pferde voraus. Er selbst kleidete sich an und ging Margarethens Bestimmung gemäß in den Park.

Der klare und schöne Wintertag, der am Morgen die ganze Gegend mit seinem hellen Sonnenlichte übergossen, war gegen Mittag zu Ende gegangen, und der blaue Himmel hatte sich mit einer grauen, melancholischen Decke verhüllt, so daß es jetzt, da Gerhard die Steige und Alleen entlang schritt, bereits dämmerte. Es war todtenstill im Park und nichts Lebendiges zu sehn, es müßte denn hie und da noch eine Krähe im raschen Fluge über die Wipfel hingestrichen sein, um sich ihren Kameraden anzuschließen, welche sich in großen Schaaren um die Schornsteine des Schlosses drängten. – Der junge Mann war bewegt und traurig, und als er in die große Allee trat und Margarethe schon seiner warten fand, blieb er stehn, breitete die Arme aus und zog das Mädchen ans Herz, ohne ein Wort dabei sagen zu können.

Auch Margarethe war stumm, und so standen sie eine ganze Weile schweigend und ohne sich zu regen, bis sie endlich den Kopf von seiner Brust erhob und ihm mit einem langen, ernsten, fast düstern Blick in die Augen sah. Erst nach einer Pause sprach sie dann langsam und leise: »nun wohlan, Gerhard, wie ist das alles gekommen und wie soll es nun werden?« –

Er nahm ihren kleinen dunklen Kopf zwischen seine beiden Hände und küßte sie heiß und innig auf Stirn und Augen, und versetzte ebenso leise: »ja Margot, wie es gekommen, das weiß ich nicht. Aber es ist recht so. Es mußte einmal ein Ende da sein, ein ehrliches, offenes Ende. Nur daß ich von dir fort muß und jetzt – das schnürt mir noch das Herz zusammen. Doch ich werde auch das überwinden.« Da senkte sie das Gesicht wieder gegen seine Brust, und die Starrheit und Düsterheit, die sie seit dem Morgen beherrschte, löste sich zum erstenmal in heiße Thränen auf. Er ließ sie eine Zeitlang ruhig gewähren; dann aber lichtete er sie auf und bat innig: »nun lasse uns reden, mein Herzens – Herzenslieb! Komm, wir wollen die Allee entlang gehn.« Und indem sie durch ihre Thränen lächelnd zu ihm aufsah, hing sie sich an seinen Arm und folgte ihm.

»Liebst du mich von ganzem Herzen, Margot?« fragte er nach einigen Schritten ganz leise, und es war nicht allein die tiefe Bewegung, die seine Stimme dämpfte, sondern auch das rings umher ausgebreitete majestätische Schweigen der Natur, welches ihn, ohne daß er sich dessen bewußt geworden, von jedem lauten, die Stille störenden Ton zurückhielt. – »Ja,« versetzte sie ebenso gedämpft. – »Und du fühlst dich fest in dieser Liebe und bist bereit, sie in Kummer und Noth, in aller Zeit als dein bestes und heiligstes Kleinod zu wahren und festzuhalten, Margot?« – »Ja, Gerhard, in Kummer und Noth, in aller Zeit.« – »Und fest gegen jeden Angriff, Margot?« –

Sie schaute mit einem innigen Blick zu ihm empor. »Ja, Gerhard,« erwiderte sie. »Ich habe bisher nicht recht gethan, daß ich die Sache verheimlichen wollte; ich setze das jetzt ein. Aber ich habe schon angefangen, gut zu machen. Ich habe Diana heut Morgen offen gesagt, wie es mit uns ist – und die fürchtete ich mehr als die Großmutter. Verzeih mir,« setzte sie innig hinzu und nannte ihn zum erstenmal du; »seit ich Diana kenne, bin ich gewohnt gewesen, alles auf ihr Urtheil zu geben, sie bei allem um Rath zu fragen, mich stets von ihr leiten zu lassen. Und es ist mir furchtbar schwer geworden, ihr dies grade, meine Liebe, zu verheimlichen.« – »Und?« fragte Gerhard nach einer Weile. – Sie schüttelte den Kopf. »Laß es gut sein, mein Herz. Sie zürnt sehr über mein Schweigen. Das verdenke ich ihr nicht; es war unrecht. – Sie ist aber auch gegen uns, doch das muß ich eben ertragen. Aber nun laß uns von dir reden.«

»Auch ich fühle das Unrecht der Verheimlichung,« versetzte er nach einigen Schritten, indem er ihren Arm fest an sich drückte, »und daher habe auch ich den ersten und allein richtigen Schritt zur Offenheit gethan und alles in dem Briefe frei heraus gesagt, den ich der Erlaucht hinterlassen.« – Ihr Arm zuckte leise, dann aber lehnte sie den Kopf an seine Schulter und sagte: »es ist recht so. Fahre fort, Gerhard.« – »Es hätte mich diese plötzliche Versetzung und die Weise, wie deine Großmutter sie mir mittheilte, aufs tiefste betrüben und erschrecken müssen,« sprach er weiter, »wenn ich nicht durch ihr Zürnen in den letzten Wochen schon gewissermaßen vorbereitet gewesen wäre und wenn nicht diese Versetzung mit meinen eigenen Wünschen und Planen übereingestimmt hätte.« Und damit begann er Margarethen von dem Kunde zu geben, was er für seine Zukunft beschlossen. Von Willsburg aus wollte er den Dienst der gräflichen Familie verlassen und sich dem des Staats widmen, wo sich ihm die besten Aussichten zu öffnen schienen. Von dort aus hoffte er dann eher Ansprüche auf Margarethens Besitz machen zu können. – Sie hörte dem allen schweigend zu und erklärte sich endlich damit einverstanden.

Sie waren in diesen Gesprächen langsam die Allee auf und ab gegangen und hatten sich beide in völliger Fassung erhalten. Nun blieb Margarethe stehen und indem sie dem Geliebten beide Hände hinreichte, sagte sie bebend: »da ist meine Hand, Gerhard, nimm sie hin für Zeit und Ewigkeit. Gehe mit Gott und mit Vertrauen zu deiner Margot, deinen Weg. Beide lassen dich nicht im Stich.« – »Müssen wir scheiden?« fragte er gedrückt. – »Ja,« versetzte sie, »es ist Zeit. Und wir wollen uns nicht weich machen, wir bedürfen demnächst beide der vollen Stärke.« – »Das weiß ich freilich,« bemerkte er gepreßt. »Weißt du, Margot, daß der Graf um dich anhalten wird?« – Sie sah überrascht auf. »Der Graf Ruysbroek? Unmöglich, Gerhard!« rief sie. – »Und dennoch wird es geschehen – oder ist vielmehr schon geschehn, mein Herzenslieb,« war seine Antwort. »Er hat zu deiner Großmutter bereits davon geredet, und sie ist ihm nicht entgegen.«

Ihr Gesicht überflog wieder das seltsame, halb starre, halb verächtliche Lächeln, das den jungen Mann am Morgen so sehr überrascht hatte, und auch mit demselben Tone sagte sie leise: »in Gottesnamen, was kümmert mich das?« Und ihm die Hand zum festen Druck reichend, setzte sie hinzu: »Du zweifelst doch nicht an mir, Gerhard? Glaube mir, derartige Versuchungen und die Noch fürchte ich nicht. Ich fühle mich ruhig und sicher – mir ist, als wache jetzt meine selige Mutter über mich und gebe mir all die Festigkeit und Kraft, welche sie so oft beweisen mußte. – Genug davon. Wann kommst du wieder nach Königshofen, und wann schreibst du zuerst?«

Er sah sie nachdenklich an – das sanfte Gesicht, das innige, milde Auge, die weiche schlanke Gestalt, – war das ein guter, kraftvoller Geist, der sie jetzt plötzlich erfüllte und beherrschte? Und ernst versetzte er: »schreiben werde ich bald und viel und auch ebenso von dir hören – nicht wahr, Margot? Aber nach Königshofen komme ich mit meinem Willen nicht früher zurück, als bis ich dich mein nenne und mit mir fortnehme.« – Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und athmete tief und schwer, als fühle sie sich übermannt und wolle doch nicht unterliegen. Auch er war still.

Erst nach einer Pause beugte er seinen Kopf zu ihr nieder und sagte gepreßt: »vergiß nicht, Margot – wende dich in aller Noth ruhig und vertrauensvoll an Hugo. Du kannst dich auf ihn verlassen.« – Sie richtete sich auf und lauschte. »Horch, Gerhard, ich höre Pferde,« sprach sie. »Die Großmutter kehrt zurück.« Und indem sie ihn in einen der schmalen Nebenwege zog, setzte sie flüsternd hinzu: »auch du – wende dich an meine Tante Leopoldine. Ich will ihr selbst davon schreiben. Glaube mir, sie ist vielleicht unser bester Schutz, und wenn sie uns wohl will, wird auch Gottes Segen mit uns sein!« – »So leb' wohl, Margot!« sagte er nach einer Pause und nahm sie fest und innig in seine Arme. »Gott behüte dich! – Gott segne dich! – Gott erhalte dich mir!« – »Leb' wohl!« murmelte sie nach und schlang die Arme um seinen Nacken. – Sie achteten nicht darauf, daß die Reiter eben nicht fern von ihnen die Allee durchschnitten.

Als sie ihre Umarmung lösten und sich nach dem letzten Blick von einander wandten, stand vor ihnen in der großen Allee die dunkle Gestalt der alten Erlaucht; die eine Hand hatte das braune Reitkleid leicht aufgenommen, die andere bewegte spielend die Reitpeitsche. So stand sie da, und trotz der rings herrschenden nur von der Schneedecke des Bodens noch einigermaßen erhellten Dämmerung, sah man ihre Stirn drohend gefaltet und die Augen mit finsterem, starrem Blick auf das junge Paar gerichtet.

Wie groß auch der Schreck Beider sein mochte, sichtbar ward davon nichts, und als die alte Dame jetzt mit eiskalter Stimme sagte: »Ihre Pferde warten draußen schon lange, glaube ich, Herr Forstmeister Wolthusen!« – da war Margarethe an des jungen Mannes Seite, legte mit einem befehlenden: »Still, Gerhard!« die Hand auf seine Schulter und versetzte gegen die Großmutter gewendet, mit Festigkeit: »er bricht auch schon auf, Großmama, wie du es befohlen. Aber ich wollte ihn vorher sehn und habe ihn aufgehalten.«

Die Gräfin wandte langsam Kopf und Augen zu Margarethen. »Das ist ein seltsamer Wunsch für eine Comteß Hirschegg,« sprach sie starr und kalt, »und ein ebenso seltsamer Platz.« Und heftiger fuhr sie fort: »danke es der thörichten Liebe deiner Großmutter, entartetes Kind, daß sie dir den Eclat sparte, von einem Diener in dieser wahnsinnigen Situation überrascht zu werden.«

Margarethe zuckte nicht. Fest drückte sie Gerhards Hand in die ihre, als wolle sie jedes Wort von ihm zurückhalten, und erwiderte dann ebenso kalt, wie die Erlaucht: »du irrst dich, Großmama; ich fürchte keinen Eclat für Gerhard und mich. Wir schämen uns unserer Liebe nicht und bekennen sie vor dir und der ganzen Welt. – Du wirst daheim in deinem Kabinet Gerhards Brief finden, der dir alles offen vorlegt. Und hättest du uns hier nicht gefunden, so hätte auch ich dir heute Abend noch mein Herz ausgeschüttet.«

Es war ein böses Lächeln, das durch das Gesicht der Erlaucht glitt; allein sie drängte jeden Ausbruch zurück und sagte nur: »da der Abschied, wie ich denke, zu Ende ist, so hält Sie hier nichts mehr zurück, Herr Forstmeister. – Comteß Margarethe wird sich einstweilen auf ihr Zimmer zurückziehn und meiner weitern Bestimmung gewärtig sein.« Damit wandte sie sich ab und schritt in starrer Haltung die Allee entlang. –

Die beiden jungen Leute standen noch einen Augenblick Hand in Hand und Auge in Auge. »Verzage nicht – sei ruhig! Und Gott behüte dich!« sprach Margarethe mit fester, klarer Stimme. – »Gott behüte dich!« murmelte er nach, und sie gingen auseinander.

Margarethe hatte die Großmutter bald eingeholt, aber sie versuchte kein Wort, und stumm kehrten beide ins Schloß zurück. Erst an der Thüre ihres Vorzimmers wandte die Erlaucht sich zur Enkelin und sagte kalt: »um sechs Uhr erwarte ich, daß du im Salon erscheinst und dich eingedenk deiner selbst und deiner Familie benehmen wirst.« Sie wartete keine Antwort ab und trat ins Zimmer.


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