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In einem Dorfe am Ostseestrande lebte ein junger Fischer, der trotz seiner Armuth von grosser Lebenslust war und deshalb gern mehr des irdischen Gutes gehabt hätte, und am liebsten sehr viel. Da er jedoch bei dem bescheidenen Ertrage der Fischerei wenig Hoffnung hatte, es zu etwas Rechtem zu bringen, sass er eines Tages kummervoll am Strande und hörte dem rastlosen Plätschern der Brandungswellen zu. Das klang ihm sehr lieblich, ja, fast kam es ihm vor wie ein freundliches Plaudern von Mädchenlippen. 44 Und er sprach zu sich selber: »Ach, wenn ich eine Frau hätte, die so lustig zu plaudern verstände, da wäre schon Alles besser und liesse sieh das Leben auch wohl ohne anderen Reichtum ertragen.«
Also stand er auf und ging hin, unter den Töchtern des Landes Umschau zu halten. Er fand auch bald ein Mädchen, das ihm von Herzen behagte; es hatte zwei Augen wie das Meer bei klarem Himmel und das lustigste Plappermäulchen, das im Lande zu finden war: still stand das niemals; auch wenn es nichts mehr zur sagen hatte, schwätzelte es weiter, wie die See noch hohl geht, wenn der Wind längst abgeflaut hat. Davon versprach der Fischer sich viel Vergnügen, und er heirathete die Kathrine.
Die Beiden leben sehr fröhliche Flitterwochen, zankten sich und vertrugen sich wieder, wie sich das Beides gehört, und das Mäulchen plapperte die lieblichsten Dinge.
Es kam aber doch bald eine Zeit, da Martin merkte, dass Zwei mehr essen als Einer, und dass auch das billigste Sonntagskleid immer noch Geld kostet. Seine Armut ging ihm deshalb nur noch tiefer zu Herzen als 45 sonst, weil er sein Kathrinchen gern in Sammet und Seide gekleidet und mit Rosinen und Mandeln gefüttert hätte. Er arbeitete nun für Zwei, aber das half ihm doch nicht viel weiter; denn er besass nur ein ganz kleines Boot, mit dem er auch bei gutem Wetter sich nicht weit hinauswagen durfte, und die grossen Fischzüge draussen konnte er nur als Knecht mitmachen. Wenn er dann Abends recht abgerackert nach Hause kam, ward ihm ihr Plaudern, das sie doch haben musste, bisweilen beschwerlich; aber er schlief meist drüber ein wie der Müller beim Mühlkappern, und so schadete es ihm nichts.
Eines Sonntags war er mit seiner Kathrine nur so zum Vergnügen ein bischen hinausgesegelt und zog seine Hechtangel hinter sich her; das war keine Arbeit und konnte doch einen hübschen Sonntagsbraten geben. Sie war festlich und angenehm gekleidet und lehnte ihren hübschen Kopf mit Behagen hintenüber, dass ihre langen blonden Zöpfe über Bord fielen und tief in's Wasser hingen, ohne dass sie es merkte; sie plauderte und lachte nur immer so fort, wie die Wellen so plätschern. Ihr Mann aber sah es mit 46 heimlichem Wohlgefallen und dachte im Herzen: Das müsste ein feines Fischchen sein, das sich an diesen Angelschnüren finge.
Auf einmal that sie einen Aufschrei und suchte den Kopf nach vorn zu biegen, konnte aber nicht, denn es hielt sie etwas von hinten fest. Martin kam ihr zu Hilfe und griff kräftig zu: da hielt er einen stattlichen Fisch in den Händen, der mächtig zappelte, aber von dem Zopfe nicht lassen wollte, den er gewiss für ein besonders köstliches Goldfischchen hielt. Er aber, als ein gelernter Fischer, brachte ihn bald an Bord und schlug ihn auf den Kopf, dass er seine Beute fahren lassen musste und nur noch ein bischen mit dem Schwanze schlug und mit dem Maule schnappte. Das sah aber noch gefährlich genug aus, denn es war ein ausbündiger Hecht und hatte spitze und bösartige Zähne. Und weil Kathrinchen sich fürchtete, wollte er ihn gleich aufschneiden und zum Kochen zurecht machen, und er freute sich schon auf die schöne Petersiliensauce. Als er aber das Messer ansetzte, scholl ein feines Stimmchen aus dem Bauche des Fisches:
»Schneid' nicht so tief! Schneid' nicht so 47 tief! Ich sitze hierinnen und möchte noch leben.«
Da erschrak der Fischer in's Herz, liess das Messer fallen und getraute sich nicht mehr zu schneiden. Das Stimmchen aber rief zum andern Mal:
»Schneid' immer zu! Schneid' immer zu! Ich sitze hierinnen und möchte heraus.«
Da that er ganz sachte und vorsichtig einen Schnitt in den Bauch und öffnete ihn, gab aber wohl acht, dass er den Magen nicht verletzte.
»O, das thut wohl, o, das thut wohl,« ertönte das Stimmchen, »jetzt krieg ich etwas Luft. Aber es schimmert so stark durch die Wände; steht die Sonne am Himmel?«
»Ja,« sagt Martin, »wo soll sie sonst stehen?«
»Dann lass mich noch hierinnen,« rief das Ding im Fischmagen, »bis sie untergegangen ist. Ich müsste sterben, träfe mich ein Sonnenstrahl.«
Da merkte Kathrine, dass sie es mit einem Wassergeist zu thun hatten, und sagte es ihrem Manne: denn die Frauen wissen in solchen Sachen immer noch besser Bescheid. 48 Und sie bat auch flüsternd: »«Wir wollen ihm den Willen thun, es wird unser Schade nicht sein.«
Da löste der Fischer behutsam den Magen heraus und legte ihn bei Seite; er wunderte sich auch nicht mehr, dass er ihn so mächtig geschwollen fand. Den übrigen Theil des grossen Fisches aber machte er zum Kochen fertig, und sie fuhren unterdessen an's Land zurück und thaten sich zu Hause gütlich daran.
Als aber die Sonne in's Meer versinken wollte, gingen sie wieder an den Strand zu dem Boote, wo sie den Magen verwahrt hatten, und warteten, bis sie ganz hinunter war, und dann aus Vorsicht immer noch eine Weile, bis auch das Abendroth verglommen war und statt dessen der Mond heraufstieg; und der goss einen feinen silbernen Glanz weithin über die Wellen.
»So,« sagte Kathrine, »jetzt ist es Zeit; jetzt kann kein Sonnenstrahl mehr heraufkommen.«
Der Fischer öffnete nun den Magen mit scheuer Neugier; und da sprang ein winziges Dingelchen heraus, das war oben wie ein 49 niedliches Weibchen gestaltet und hatte unten statt der Beine einen schuppigen Fischschwanz. So recht und ganz menschlich sah aber freilich auch das feine blasse Gesichtchen nicht aus, die Augen wenigstens blinkerten so sonderbar meergrün und verdächtig.
»Ei, ist das eine niedliche Kröte!« rief Martin aus und wollte sie gleich ein bischen antappen. Aber seine Frau schlug ihm auf die Finger, weil sie merkte, das kleine Wesen war nackend; sie schämte sich um desswillen, nahm ihr Kopftuch ab und deckte es damit zu. »Es könnte sich erkälten«, sprach sie mit Nachdruck.
Das Nixchen aber lachte und rief: »Der wird mir nichts anthun, dafür bin ich zu flink. Dass der nichtsnutzige Hecht mich erwischt hat, war auch nur Schuld meiner Unachtsamkeit; ich war so sehr in die Pracht der Morgenröthe vertieft, dass ich um mich nichts weiter hörte noch sah und sogar darüber vergass, dass die Sonne mit ihren tödtlichen Strahlen gleich heraufkommen musste: und da wäre ich unheilbarem Siechthum verfallen gewesen. So war's noch ein Glück, dass der Hecht mich verschluckte, 50 und ich sollte ihm eigentlich dankbar sein: nur dass er's nicht mir zu Liebe oder sonst aus gutem Herzen gethan hat, sondern weil das dumme Vieh nicht wusste, das Unsereins unverdaulich ist selbst für einen Haifisch. Angenehm war's übrigens nicht, in dem engen Sacke zu sitzen, und ihr sollt mich nicht undankbar finden, dass ihr mich befreit habt. Hegt ihr irgend einen recht feurigen Herzenswunsch, so lasst ihn mich wissen, ich will sehen, dass ich ihn erfüllen kann.«
»Ach ja,« versetzte der Schiffer schnell, »wenn's nicht unbescheiden ist: ich möchte gern reich sein. Bei uns über Wasser ist man ohne das nicht glücklich. Aber das ist gewiss ein sehr unbescheidener Wunsch!« fügte er schüchtern hinzu.
Das Seeweibchen lachte. »Kleinigkeit!« rief sie, »ich fürchtete viel Schlimmeres. Manche von euch Landmenschen sind ja so unverschämt und verlangen gleich Liebesglück, Zufriedenheit, Weisheit oder Herzensreinheit und solche subtilen Dinge, die schwer zu beschaffen sind, oder noch Andere gar das ewige Seelenheil: und das ist uns überhaupt ein verschlossenes Gebiet. Reichthum hingegen 51 will ich Euch schnell besorgen, und zwar ganz unerschöpflichen. Halt mir nur einen Augenblick still, schöne Riesin.«
Und die Kleine that einen Griff mit dem Händchen in den silbernen Schaum einer anrollenden Brandungswelle und sprengte davon einige Tropfen auf die Lippen der verwunderten Fischersfrau.
»So, damit ist's abgemacht,« sagte sie ruhig, »fortan wird bei jedem Satze, den Du in Gegenwart Deines Mannes redest, ein Silberstück aus Deinem Munde gehen; Ihr braucht nur ein Becken oder Fass aufzustellen, dass sie da hineinfallen. Weiter ist nichts von Nöten; ausgeben kann sie nachher Jeder von Euch, wie er will. Und nun lebt wohl! Doch solltet ihr mich etwa noch einmal brauchen, so tauche nur wieder Deine Zöpfe in's Wasser, dann will ich herbeischwimmen. Man soll mir nicht nachsagen, dass ich undankbar sei.«
Nach diesen Worten und ehe die überraschten Leutchen einen Dank stammeln konnten, that das kleine Geschöpf einen prächtigen Hechtsprung in die nächste Welle hinein; noch einmal sahen sie den glitzernden 52 Schuppenschwanz in der Luft wippen, und dann war es verschwunden, als ob es im Wasser sich aufgelöst hätte wie ein Klümpchen Salz.
Martin und Kathrine blickten einander an; und diese wagte kein Wörtchen zu sprechen, aus Furcht, es könne ihr ein Groschen oder gar Thaler im Sande verloren gehen. Dies Schweigen war dem Manne sehr ungewohnt und seltsam, aber unangenehm nicht; und er schickte sich schon an, den guten Augenblick zu benutzen und auch einmal zu Worte zu kommen: da hielt aber Kathrinchen schon das Schweigen nicht mehr aus, fasste ihre Röcke zusammen und rannte, so schnell sie konnte, ihrer Hütte zu. Dort riss sie ein Heringsfass aus dem Winkel, bückte sich tief darüber und fing an zu reden, sobald ihr Mann in Hörweite war. Sie meinte, die Silberstücke würden nun so in das Fass klickern.
So wurde es aber nicht, sondern nach jedem Satze, den sie gesprochen und Martin gehört hatte, ging es wie ein silberner Hauch oder Dunst von ihren Lippen, zitterte ein Weilchen in der Luft herum wie ein 53 geringeltes Tabaksrauchwölkchen und senkte sich dann langsam und lautlos in die offene Tonne hinein. Und sobald es das Feste berührte, war es ein glänzendes Silberstück von nagelneuer Prägung; das trug auf der einen Seite den Kopf eines allerliebsten Weibchens, auf der anderen einen Fischschwanz, aber nirgends eine Jahreszahl.
So wurden denn die Fischersleute wirklich so reich, wie sie es nur immer hatten wünschen können, und lebten herrlich und in Freuden. Tonne auf Tonne füllte sich mit den blinkenden Silbermünzen, und Martin hatte anfangs nur alle Hände voll zu thun, immer neue Fässer oder Bütten oder Kiepen herbeizuschaffen. Allmählich jedoch lernte er sich das besser einzutheilen und bestellte das Nöthige gleich dutzendweise bei den Böttchern in der Stadt: und nun hatte er gar keine Arbeit mehr und konnte den lieben langen Tag auf der neuen bequemen Bank vor dem Hause sitzen, die neuen Seidenkleider seiner Frau bewundern und ihren unermüdlichen Reden voll Staunen zuhören.
Ja, das war nun eine Lust für Frau Kathrine, so vom Morgen bis zum Abend 54 zu schwatzen und zu schwatzen, den allergrössten Unsinn zumeist, es kam ihr gar nicht darauf an, Silber gab es immer, wenn es nur Sätze waren. Sie war jetzt gewiss die allerglücklichste Frau unter dem Lichte der Sonne. Und sie meinte, dass auch ihr Mann nun ganz glücklich sein müsse, da er alles besass, was er jemals gewünscht hatte, und noch viel mehr, und gar nicht mehr zu arbeiten brauchte und obendrein eine so glückliche Frau hatte, die so rastlos zu plaudern verstand, wie die Wellen der Ostsee plätschern und rauschen.
Das ging auch eine Zeit lang mit ihm recht leidlich, solange er seine Freude daran hatte, das blanke Geld so in Massen aus den Fässern zu langen. Allmählich aber ward es doch anders mit ihm. Das Plaudern seines Kathrinchens war ihm längst nicht vergnüglich mehr, sondern von Tag zu Tage verdriesslicher und beschwerlicher. Bald wäre er am liebsten davon gelaufen, doch er musste Stand halten und durfte sich nicht einmal die Ohren verstopfen, denn ein Satz, den er nicht hörte, verlor die Kraft Silber zu erzeugen, und das ging doch nicht an.
55 Nach etlichen Wochen gab er nur eitel Seufzen und Stöhnen von sich und bald raufte er sich stundenlang die Haare und schüttelte sich vor Schauder und Widerwillen. Kathrinchen aber plauderte fröhlich fort in ungetrübter Berufsfreude. Nach etlichen Monaten fing er an, abzumagern, kein Essen schmeckte ihm mehr und sogar keine Pfeife und kein Kautabak, und er ward ersichtlich schwächer und schwächer. Als noch ein Mond herum war, lag er als ein bleicher Schatten auf seinem Bette und bereitete sich heimlich im Herzen zum Tode vor.
Jetzt aber merkte seine Frau trotz all ihres Werkeifers doch endlich seinen üblen Zustand und redete ihm zu, irgend einen berühmten Arzt zu befragen; sie habe ja dafür gesorgt, dass er es bezahlen könne. Anfangs weigerte er sich, weil er wohl wusste, dass kein Arzt ihn berathen könne: doch da sie nun andauernd hierüber redete und den Gegenstand von allen Seiten emsig beleuchtete, dass die Silberstücke nur so schwirrten, kam er ganz in Verzweiflung und raffte mit seiner letzten Lebenskraft sich vom Lager empor. Er wankte stumm aus dem Hause und begab 56 sich auf die Reise nach der grossen Stadt, indem er eine stattliche Tonne Silber seinem Wagen mit auflud.
Er begab sich zu einem gut empfohlenen Doktor; der untersuchte ihn sehr gründlich und nahm ihm dafür den dritten Theil seines Silbervorrathes ab; darauf empfahl er ihm, einen Spezialarzt für Nervenkrankheiten weiter zu befragen. Und als er das gethan hatte, war seine Silbertonne leer. Dafür empfing er von diesem den bestimmten Bescheid: »Sie brauchen vor allem Luft. Sie müssen an die Ostsee.«
Der Fischer wandte bescheiden und kleinlaut ein: »Aber ich habe ja alle meine Lebenstage bis auf den gestrigen und heutigen an der Ostsee verbracht.«
»Ostsee hin, Ostsee her,« entgegnete der Arzt mit etlicher Strenge, »Heringsdorf meine ich. Da müssen Sie hin, da werden Sie gesund. Uebrigens ist dort mein Bruder als Badearzt, an den will ich Sie empfehlen. Aber leben Sie gut, lassen Sie sich nichts abgehen.«
Dieser Rath schien dem Kranken hoffnungsvoll und angenehm, und der Name des Ortes 57 klang ihm sehr appetitlich. Er gab sich aber selbst noch eine kleine Verordnung hinzu: dass er seine Frau nämlich daheim liess, so sehr sie auch jammerte und bat und ihn gerne pflegen wollte; er aber sagte, das schicke sich doch nicht, dass sie öffentlich mit einander in's Bad gingen. Dafür nahm er eine Tonne Silber als bestes Reisegepäck mit.
Nach einer Woche geruhsamen Badelebens befand sich Martin schon besser; doch seine Silbertonne war leer. Das verwunderte ihn ein wenig, denn er hatte so sehr viel weder gegessen noch getrunken und so sehr gut auch nicht; aber er merkte, dass dies im Bade so sei und wohl so sein müsse, und es gehöre zu der Kur.
Nach der zweiten Woche waren noch zwei weitere Tonnen, die er sich nachkommen liess, bis zum Grunde geleert und seine Gesundheit in trefflichem Aufblühen. Nach der sechsten Woche war er kerngesund und strotzte vor Kraft; aber der Reichthum war aufgezehrt bis auf das allerletzte Münzchen, das Frau Kathrine erplaudert hatte.
Indem er nun bedachte, dass jetzt alles noch einmal den gleichen Weg gehen, seine 58 Frau wieder schwatzen und er wieder zuhören müsste, sprach er zu sich selbst: »Zum zweiten Male hältst du das nicht aus, es würde dein Tod sein. Das kleine Seeweibchen muss uns einen anderen Weg zum Reichthum weisen.«
Also begab er sich nach Hause und nahm seine Frau, ging mit ihr um Sonnenuntergang wieder an den Strand und hielt ihre blonden Zöpfe in's Wasser. Von dem Abendroth her aber goss sich ein glühender Schein wie geschmolzenes Gold über die Schaumkämme der Wellen.
Es währte nicht lange, so kam das Nixchen geschwommen, zog sich an den beiden Zöpfen kletternd in die Höhe und fragte nach dem Begehren.
»Du musst uns einen anderen Weg zum Reichthum weisen,« versetzte der Fischer, »an dem Reden, das Silber wird, gehe ich zu Grunde.«
»Das ist leicht zu machen,« sprach die Kleine freundlich. »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.«
Und sie that einen Griff mit den Händchen in den goldigen Wellenschaum und besprengte die Lippen der hübschen Frau.
59 »Für jeden Satz, den Du gerne sagen möchtest und doch verschweigst, wird ein Goldstück aus Deinem Munde gehen«, so sprach die Nixe und verschwand in der Brandung.
Das Fischerpaar kehrte voll Freudigkeit heim. »Jetzt werden wir zehnmal so reich als zuvor«, riefen sie beide jubelnd und umarmten einander. Kathrine machte auch gleich einen Versuch mit dem Schweigen, denn Sätze, die sie gern sagen mochte, hatte sie immer bereit; und siehe, ein goldener Dunst schwebte langsam dahin und senkte sich in die Tonne, und als Martin hineingriff, zog er ein paar funkelnde Goldstücke heraus. Die hatten einen ganz anderen Werth als sonst das lumpige Silber.
Da war die Freude gewaltig, und Kathrinchen fuhr fort, zu schweigen und zu schweigen. Er wollte seinen Ohren nicht trauen, aber es war doch richtig: sie schwieg und schwieg. Solches Schweigen klang ihm wie eine herrliche Musik, der sich das unablässige Klimpern des Goldes auf das Lieblichste mischte. Er blühte fortan noch tüchtiger auf und setzte nach einigen Tagen schon ein Bäuchelchen an.
60 Desto schlimmer erging es mit der armen Kathrine. Die ergötzte sich wohl eine Zeitlang an dem Anwachsen der Goldhaufen, doch schon am dritten Tage sah sie ein wenig blässlich aus und am nächsten noch bleicher, und am fünften verlor sich ein Theil ihrer freundlichen Rundung und am nächsten noch mehr; am siebenten Tage lag sie ganz siech und kraftlos auf ihrem Lager und schwieg mit leisem Stöhnen immer dumpf vor sich hin. Und nun noch ein paar Tage, so war sie so elend, wie ihr Mann früher gewesen war, und dachte zu sterben.
Da erbarmte es diesen, und er beschloss ein Ende zu machen.
»Dass wir die Aerzte befragen,« sagte er, »ist nicht mehr von Nöthen; ihren Bescheid kennen wir doch schon. Das Geld können wir sparen, zumal wir noch lange nicht so reich geworden sind, als wir wohl gedacht haben; die Zeit war zu kurz. Aber Du musst in's Bad und Dich dort einmal mit Jemandem aussprechen, und sollten wir darüber nochmals zu armen Leuten werden.«
Sie sah das endlich ein, packte ihre besten Kleider zusammen und eine Tonne Gold für 61 den ersten Anlauf und reiste in's Seebad. Nach einer Woche schickte sie einen Brief, es gehe ihr schon viel besser und sie habe gute Unterhaltung mit vielen neuen Freundinnen, mit denen lauter sehr Nothwendiges zu bereden sei, aber ihr Gold sei zu Ende und er möge doch neues schicken, damit sie ihre Kur nach der Ordnung beenden könne. Das that er denn auch und schickte eine Tonne und bald noch eine und bald wieder eine Tonne und wieder eine, bis nach sechs Wochen die Kur und das Gold gleichermassen zu Ende waren.
Da kam sie nach Hause und war frisch und gesund, plapperte wieder fleissig, aber sie sassen nun auch wieder bettelarm bei ihren Netzen; denn mit dem Schweigen getraute sich Kathrinchen nicht noch einmal zu beginnen. Lieber wollten sie das gute Seeweibchen noch einmal befragen, ob es nicht einen dritten Weg gebe zum Reichthum, einen solchen jedoch, an dem nicht der Eine oder die Andere zu Grunde gehen müsse.
Hand in Hand gingen sie zum Strande; es war ein grauer Himmel, und Nebel hing 62 über dem Wasser, und die Farbe der Wellen war still und glanzlos.
Kathrine hängte ihre Zöpfe in's Wasser; das Seeweibchen kam und fragte nach dem Begehren. Sie erzählten, wie es wieder ergangen war, und was sie nun wünschten.
»O, o,« sagte die Kleine, »das ist recht betrübsam; mein Gold und Silber brachte euch nur Schaden: jetzt habe ich nichts mehr zu vergeben als schäbiges Nickel – was ist davon Gutes zu hoffen? Doch ein Schelm, wer mehr giebt als er hat. Wenn Ihr euch damit begnügen wollt, will ich Euch Bescheid sagen, wie ihr das gewinnen könnt.«
Auf diese Auskunft senkten sie wohl ein wenig die Köpfe, meinten dann aber doch, sie wollten zufrieden sein. »Besser wenig als gar nichts«, bemerkte Martin.
Und schon hatte die Nixe ihre Hand in's Wasser getaucht und Kathrinchens Lippen besprengt.
»Besser wenig mit Gesundheit als bei vielem sich zu Grunde richten«, fügte diese hinzu. Und kaum hatte sie dies gesprochen, als ein graues Dünstchen aus ihrem Munde ging und kräuselnd umherschwebte.
63 »Seht Ihr wohl, da habt Ihr's schon,« rief die Nixe vergnügt, »und so wird das nun immer gehen: nämlich bei jedem klugen und vernünftigen Satze, den Du aussprichst, wird ein kleines Nickelstück entstehen; ausserdem aber bei jedem überflüssigen oder dummen, den Du glücklich verschluckst, ein doppelt so grosses. So, dies ist nun aber das Letzte, was ich zu vergeben habe, damit müsst Ihr haushalten, weiter reicht meine Macht nicht. Und so lebt wohl für immer.«
Und damit schlüpfte sie in's Wasser.
Die Beiden kehrten nach Hause mehr im Stillen bedrückt als kräftig erhoben; auch gewannen sie in den ersten Zeiten noch recht wenig des Nickels, denn aller Anfang ist schwer. Aber »Uebung macht den Meister,« sagte Kathrinchen und gewann damit ein kleines Nickelstück. »Ein Goldstück würde mehr sein«, dachte sie dabei, verschluckte das aber, und so gewann sie ein grosses. Solcher Art lernte sie den Vorrath mehren, ohne durch ewiges Schweigen sich selbst krank zu machen noch durch ewiges Plappern ihren armen Mann. Und als eine Reihe von Jahren in's Land gegangen war, hatten sie nicht nur ein 64 sehr hübsches Sümmchen für ihr Alter erspart, sondern Kathrine galt auch im Lande weitum als die allerklügste und vernünftigste Frau. Und sie waren Beide sehr glücklich und sind es sicherlich noch heute, wenn sie am Leben sind.