Hugo von Hofmannsthal
Die Frau ohne Schatten
Hugo von Hofmannsthal

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Des Färbers Wohnung. – Barak schafft. – Die Frau und die Amme tauschen ungeduldige Blicke.

Die Frau halblaut vor sich hin
Es gibt derer, die haben immer Zeit,
und ist der Markt vorbei,
so kommen sie auch noch zurecht.

Barak wendet den Kopf nach ihr
Schon geh ich. Es ist heiß. Ich habe schwer geschafft
seit diesem Morgen, und nicht viel vor mich gebracht.
Gib mir zu trinken, Frau?

Die Frau ohne sich zu wenden
Sind Mägde da.

Die Amme gießt ein, tut verstohlen einen Saft in den Trunk.

Barak ohne hinzusehen
Gibst du mir nicht?

Die Amme gibt der Kaiserin das Gefäß.
Die Frau, mit ausgestrecktem Arm, heißt sie, es dem Herrn bringen.
Die Kaiserin bringt es hin.

Barak trinkt
Mich schläfert. Es ist heiß.

Die Frau vor Ungeduld, singt höhnisch vor sich hin
Sag: ich geh – und bleibe sitzen!
Sag: ich tu – und laß es sein!
Bin ich doch der Herr im Haus!
Hab es halt, so ist es mein,
Haus und Herd und Bette und Weib!

Barak ohne Zorn
Mich schläfert sehr. Ich muß hier liegen, Frau.
Zu Abend – dann – – trag ich – die Wage zu Markt.
Schläft ein auf einem Sack Kräuter.

Die Frau höhnisch wild singend
Und sparst den Esel, der sie dir schleppt!
Sparst den Esel, der dir sie schleppt!

Die Amme läuft zu ihr, leise
Herrin, halt inne mit Schreien und Zürnen!
Ich hab ihm einen Schlaftrunk eingeschüttet!

Die Frau
Wer hieß dich das tun?
Ängstlich
Barak! Barak!
Sie geht hinüber, sieht den Schlafenden an.

Die Amme zieht sie weg
Er schläft bis an den Morgen. Ihm ist wohl.
Viel schöne Stunden, Herrin, sind vor dir.

Die Frau
Wer hat dich gelehrt, welche Stunde mir schön heißt?
Ich will ausgehen? Du bleib dahinten.
Ich will nicht in deinen Händen sein,
und daß du ausspähest
all mein Verborgenes,
du alte weiß und schwarz gefleckte Schlange!

Die Amme
Willst du den in der Ferne suchen, Herrin,
der deiner harret und deines Winkes?
Gewähre, ich breit ihn vor deine Füße –
und sprich es aus: er darf heran!

Die Frau spitz und scharf
Spräch ich es aus und spräche einerlei Rede mit dir,
es wäre einerlei Rede nicht.
Der darf wohl heran, der, den ich meine –
doch eben von dir
darf nichts heran:
darum auch er nicht.
Allmählich in verändertem Ton
Von ihm darf heran,
was du nie wahrnimmst:
was nie an d e i n e r
Hand sich mir naht.
– – – – – – – – – –
Träumerisch, sehnsüchtig
Von wo der Strand
nie betreten wurde,
beträte ihn einer
von dort her,
dem wehrte keine Mauer
und kein Riegel.

Die Amme schnell
Ich ruf ihn!

Ein Dunkelwerden, ein Blitz. Die Amme führt an ihrer Hand die Erscheinung des Jünglings heran.

Die Frau
Schlange, was hab ich
mit dir zu schaffen!
und solchen,
die du bringest!

Der Jüngling eine geisterhaft hohe Stimme
Wer tut mir das,
daß ich jäh muß stehen
vor meiner Herrin!
Der Macht ist zu viel!
Zu jäh die Gewalt!
Kniet nieder, verhüllt sich.

Die Frau mit verstellter Härte, ohne den Jüngling eines Blickes zu würdigen
Wer heißt eine alte Vettel wissen,
was ihr zu wissen nicht getan ist?
Mit gespielter Verachtung, indem sie den Jüngling mit einem koketten Blick streift
Meine Tücher her! Ich war gewillt , ins Freie
und auf den Fluß zu fahren in der Kühle.
Als wollte sie fort.

Die Amme zu ihr, umschlingt ihre Füße, dringend, feurig
Peinvoll süße Unruh
treibt dich umher.
Gewillt bis du zu nichts,
als zu Süßem gewillt zu sein
jetzt und hier!
Gleichsam ins Feuer blasend, nicht ohne kupplerisch-dämonische Größe
Wer teilhaftig ist der Wonne,
der fürchtet auch den Tod nicht,
denn er hat gekostet von der Ewigkeit,
aber wie er dahin gelangt ist,
das ist ihm vergessen!

Der Jüngling
Bin ich dir ferne, so ists deine Nähe,
die mich zerbricht,
bin ich vor dir, so wirst du unnahbar,
und deine Ferne ists, die mich tötet!
Er fällt nach rückwärts wie ein Ohnmächtiger.

Die Frau wie unbewußt
Ich habe geträumt, daß ich zu dir fliege
mit unablässigen Küssen
wie eine Taube, die ihr Junges füttert –
und mein Traum hat dich getötet!
Sie beugt sich über ihn, will sanft die Hände von seinem Gesicht lösen; sein Blick trifft sie, seine Hand zuckt, die ihrige festzuhalten. Sie fährt mit einem Schrei zurück.
Die Amme will die Kaiserin mit sich ziehen, zur Tür hinaus.

Die Frau jäh verwandelt
Weh mir, wohin?
Verräterinnen!
Hierher! zu Mir!
Sind die Toten lebendig,
so sind wohl die Schlafenden tot!
Wach auf, mein Mann!
Ein Mann ist im Haus!
Ich will! wach auf! zu mir!
Sie eilt zu Barak hin, rüttelt ihn, bespritzt ihn mit Wasser, die Kaiserin ist bei ihr, hilft ihr.

Die Amme wirft ihren Mantel über den Jüngling
Gott schütze uns vor einer jungen Närrin!
Sei du getrost!
Schnell dreht sich der Wind,
und wir rufen dich wieder!

Barak erwacht aus der Betäubung, richtet sich auf
Was schlief ich so schwer? Wer rüttelt mich auf?

Die Frau
Du sollst nicht schlafen am hellen Tag!
Sollst wahren dein Haus
vor Dieben und Räubern
und meiner achten!
Geschieht mir dergleichen
von dir noch einmal,
so ist meines Bleibens
hier nicht länger!
Verstehst du mich!

Barak sehr aufrecht, blickt wild um sich
Sind Räuber hier? Den Hammer dort!
Ihr Brüder her! Zum Bruder her!

Die Frau windet ihm den Hammer aus der Hand
Laß dein Schreien und tölpisch Gehaben!
Unter der Arbeit schlägst du mir hin,
kommst mir von Sinnen, redest fremd.
Hast du die Sucht, oder schierts dich so wenig,
mich zu erschrecken täppisch und roh!

Die Amme beiseite
Wie sie ihn sich hernimmt
und sattelt und aufzäumt,
die Prächtige die!

Barak langsam
War dir bange um mich,
du Gute!
Bin ja wieder bei dir!

Die Frau spöttisch
Wieder bei mir! Das ist ja recht viel!
Er ist wieder bei mir! Ei, große Freude!
Wieder bei mir!

Barak sucht sein Arbeitszeug zusammen
Es widerfährt mir, was ich nicht kenne,
und ist eine Gewalt über mir im Dunklen –
Starrt vor sich hin

Mein bester Mörser ist mir zersprungen –
Versteh ich mein Handwerk nicht mehr?

Die Frau sieht ihn starr an
Ein Handwerk verstehst du sicher nicht,
wie dus von Anfang nicht verstanden,
sonst sprächest du jetzt nicht von dir
und diesem Mörser.
Geschah dir das, was dir eben geschah,
dein Herz müßte schwellen vor Zartheit,
und es müßte dir bangen, die Hand zu heben
und deinen Fuß vor dich zu setzen,
um des Köstlichen willen,
das du zerstören könntest.
Fast mit Ekel
Aber es geht ein Maulesel
am Abgrund hin,
und es ficht ihn nicht an
die Tiefe und das Geheimnis!

Barak halb zu der Magd, die bei ihm ist, ihm hilft, sein Handwerkszeug vom Boden aufzunehmen
Ich höre und weiß nicht, was eines redet,
und habe vergossen den Leim, da ich hinfiel –
und mir ist bange um mein Handwerk,
und daß ich nicht werde nähren können,
die meinen Händen anvertraut sind.

Die Frau
Um Nahrung für mich
gräme dich nicht!
Und wenn du mich siehst
meine Tücher nehmen,
Sie tuts, die beiden Mägde sind ihr behilflich
vielleicht zu fahren auf dem Flusse,
vielleicht zu wandeln neben den Gärten
oder was immer die Lust mich wird heißen –
kann sein, dann komme ich eines Abends
nicht wieder heim zu dir.
Denn es ist nicht von heute, daß du meine Stimme hörest
und fassest sie nicht in deinen Sinn,
und ist dir ferne, die du nahe glaubst,
und wähnest, du hättest sie im Gehäuse
wie einen gefangenen Vogel
der dein ist,
um wenig Münze
gekauft auf dem Markt:
die doch anderswo, anders daheim.
Sie schickt sich an zu gehen, winkt der Amme, sie zu begleiten, der Kaiserin, zurückzubleiben.

Barak sieht bestürzt und trübe vor sich hin.
Die Frau und die Amme sind zur Tür hinaus.
Die Kaiserin auf den Knien in Baraks Nähe sucht auf der Erde verstreutes Handwerkszeug zusammen.

Barak wird erst jetzt gewahr, daß er nicht allein ist
Wer da?

Die Kaiserin sieht zu ihm auf
Ich, mein Gebieter, deine Dienerin!

Der Zwischenvorhang fällt.

Der Kaiserin Schlafgemach im Falknerhaus. Die Kaiserin liegt auf dem Bett in unruhigem Schlaf. Die Amme schlummert, in ihren Mantel gewickelt, zu Füßen des Bettes:

Die Kaiserin aus dem Schlaf, ohne die Augen aufzutun
Sieh – Amme – sieh
des Mannes Aug, wie es sich quält!
Traumhaft, feierlich
Vor solchen Blicken liegen Cherubim
auf ihrem Angesicht!
– – – – – – – – – –
Nach einer Stille, jäh auffahrend, mit ausgebreiteten Armen
Dir – Barak – bin ich mich schuldig!
Sie sinkt hin und scheint nun fest einzuschlafen.

Die Wand des Gemaches schwindet, und man sieht in eine gewaltige Höhle, die durch einen Spalt ins Freie mündet. Düstere Lampen, da und dort, erleuchten matt uralte in den Basalt gehauene Grabstätten. Zur Rechten gewahrt man eine eherne Tür, ins Innere des Berges führend. Des Falken Ruf wird hörbar. Dann dringt der Kaiser, als folge er dem Falken nach, mit den Händen sich vorwärts tastend, durch den Spalt in die Höhle.

Die Kaiserin bewegt sich im Schlaf, stöhnt einmal leise auf.
Der Kaiser nimmt eine der Grablampen; in seiner Hand leuchtet sie hell auf, er wird die eherne Tür gewahr. Ein Rauschen dringt durch diese wie von fallendem Wasser:

Stimmen aus dem Innern des Berges, lockend – drohend
Lockend
Zum Lebenswasser!
Drohend
Zur Schwelle des Todes!
Lockend
Nahe!
Wage!
Drohend
Wehe!
Zage!

Der Kaiser geht gegen die Tür. Der Falke umschwirrt ihn, stößt klägliche, abmahnende Rufe aus. Der Kaiser pocht an die Tür, die sich öffnet und ihn einläßt, dann wieder schließt.

Des Falken Stimme
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!

Die Höhle verschwindet, die Lampen im Schlafgemach leuchten stärker auf.

Die Kaiserin fährt mit einem Schrei aus dem Schlummer empor
Wehe, mein Mann!
Welchen Weg!
Wohin?
Durch meine Schuld!
Die Tür fiel zu,
als wärs ein Grab.
Er will heraus
und kann nicht mehr.
Ihm stockt der Fuß,
sein Leib erstarrt.
Die Stimme erstickt.
Sein Auge nur
schreit um Hilfe!
Weh, Amme, kannst du schlafen!
Da und dort
alles ist
meine Schuld –
Ihm keine Hilfe,
dem andern Verderben –
Barak, wehe!
Was ich berühre,
töte ich!
Weh mir!
würde ich lieber
selber zu Stein!

Der Zwischenvorhang schließt sich.


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