Hugo von Hofmannsthal
Die Frau ohne Schatten
Hugo von Hofmannsthal

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Offene Verwandlung

Allmählich erhellt sich, aber noch nicht zu völliger Klarheit, das Innere eines tempelartigen Raumes. –
Eine Nische, die mittelste, ist verhängt.
Die Kaiserin, allein, steigt von unten empor.
Dienende Geister, fackeltragend, ihr entgegen, noch im Dunkel.

Erster
Hab Ehrfurcht!

Zweiter
Mut!

Dritter
Erfülle dein Geschick!

Sie verschwinden.

Die Menschenstimmen tönen von draußen herein; doch schwächer und schwächer, als wären Türen zugefallen
Weh, verloren!
Hab Erbarmen! –
Sterben! Sterben!
Weh uns Armen!

Die Kaiserin auf die verhängte Nische zu
Vater, bist dus?
Drohest du mir
aus dem Dunkel her?
Hier siehe dein Kind!
Mich hinzugeben
hab ich gelernt,
aber Schatten
hab ich keinen
mir erhandelt.
Nun zeig mir den Platz,
der mir gebührt
inmitten derer,
die Schatten werfen.

Ein Springquell goldenen Wassers steigt leuchtend aus dem Boden auf.

Die Kaiserin einen Schritt zurückgehend
Goldenen Trank,
Wasser des Lebens,
mich zu stärken,
bedarf ich nicht!
Liebe ist in mir,
die ist mehr.

Stimme von oben
So trink, du Liebende, von diesem Wasser!
Trink, und der Schatten, der des Weibes war,
wird deiner sein, und du wirst sein wie sie!

Die Kaiserin
Jedoch was wird aus ihr?

Die Stimme der Frau draußen
Barak!

Baraks Stimme draußen
Wo bist du?

Die Stimme der Frau
Wehe, wo?

Baraks Stimme
Her zu mir!

Die Stimme der Frau
Ach, vergebens!

Baraks Stimme
Weh, verloren!

Die Kaiserin
Baraks Stimme!
Baraks Blick!
Meine Schuld
hier wie dort,
dort wie hier!
Das Wasser fällt langsam.
Schaudernd

Sternennamen
rief ich an,
rein zu bleiben
von Menschenschuld!
Blut ist in dem Wasser,
ich trinke nicht!
Das Wasser versinkt gänzlich.
Doch weich ich nicht!
Mein Platz ist hier
in dieser Welt.
Hier ward ich schuldig,
hierher gehör ich.
Wo immer du
dich birgst im Dunkel –
in meinem Herzen
ist ein Licht,
dich zu enthüllen!
Ich will mein Gericht!
Zeige dich, Vater!
Mein Richter, hervor!

Das Licht hinter dem Vorhang wird stärker und stärker, endlich ist seine Kraft so groß, daß der Vorhang zum durchsichtigen Schleier wird. In der strahlend erhellten Nische sitzt auf steinernem Thron der Kaiser. Er ist starr und steinern, nur seine Augen scheinen zu leben.

Die Kaiserin gesprochen
Ach! Weh mir!
Mein Liebster starr!
Lebendig begraben
im eigenen Leib!
Erfüllt der Fluch!
Meines Wesens
unschuldige Schuld
an ihm gestraft,
weil er zu sehr
mein Geheimnis geliebt,
um das er mich wählte –
erbarmungslos
dahingeopfert
meinem Geheimnis
sein liebendes Herz!
Ungelöst
meiner Seele Knoten
von Menschenhand –
Starr nun die Hand,
die ihn nicht löste –
Versteinert sein Herz
von meiner Härte!
Mein Geschick
seine Schuld!
Meine Schuld
sein Geschick!
Weh, ihr Sterne,
also tut ihr
an den Menschen!
Sie nähert sich in Verzweiflung dem Versteinerten
Mit dir sterben,
auf, wach auf!
Aug in Aug,
Mund an Mund
mit dir vereint,
laß mich sterben!
Sie will hervor, den Versteinerten zu umschlingen, und wagt es nicht. Wie sie in Angst vor dem auf sie gerichteten Blick nach der Seite zurückgeht, folgen ihr die Augen des Kaisers nach.

Die Kaiserin in höchster Qual
Nicht diesen Blick!
Ich kann nicht helfen,
ich kann nicht!
Sie fällt zusammen, bedeckt die Augen mit den Händen. Die Statue glüht im stärksten Licht, die Augen mit stummer Bitte auf die Kaiserin gerichtet.

Unirdische Stimmen dumpfdröhnend wie aus Abgründen
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!

Die Statue verdunkelt sich wie Blei. Vor ihren Füßen hebt sich wie früher das goldene Wasser leuchtend empor.

Stimme von oben
Sprich aus: Ich will! und jenes Weibes Schatten
wird dein!
Und dieser stehet auf und wird lebendig
und geht mit dir!
Und des zum Zeichen neige dich und trink!

Die Kaiserin in furchtbarem Kampfe auf dem Boden liegend, gesprochen
Versuch mich nicht,
Keikobad!
Ich bin dein Kind!
Laß mich sterben,
da ich erliege!

Baraks Stimme draußen
Nirgend Hilfe!

Der Frau Stimme
Wehe, sterben!

Die Kaiserin erhebt sich auf die Knie, ihren Lippen entringt sich ein qualvoller stöhnender Schrei, in dessen Intervallen die Worte hörbar sind
Ich – will – nicht!

Sogleich wie diese Worte hörbar werden, sinkt das Wasser hinab, der Raum, nach einer kurzen Dunkelheit, erhellt sich von oben.
Von der Kaiserin, die sich wie unbewußt vom Boden erhoben hat, fällt ein scharfer Schatten quer über den Boden des Raumes.
Der Kaiser erhebt sich von seinem Thron und schickt sich an, die Stufen hinabzusteigen.

Der Kaiser
»Wenn das herz aus Kristall
zerbricht in einem Schrei,
die Ungebornen eilen
wie Sternenglanz herbei.
Die Gattin blickt zum Gatten,
ihr fällt ein irdischer Schatten
von Hüfte, Haupt und Haar.
Der Tote darf sich heben
aus eignen Leibes Gruft –
die Himmelsboten eilen
hernieder aus der Luft.«
So ward mir zugesungen,
da ich im Sterben war.
Nun darf ich wieder leben!
Schon kommt die heilge Schar
mit Singen und mit Schweben -

Das Licht von der Kuppel herab ist stärker und stärker geworden.
Nun dringen, von oben her, die
Stimmen der Ungeborenen hernieder.

Einzelne
Hört, wir wollen sagen: Vater!

Andere
Hört, wir wollen »Mutter« rufen!

Einige
Steiget auf!

Andere
Nein, kommt herunter!
Zu uns führen alle Stufen!

Die Kaiserin deutet nach oben
Sind das die Cherubim,
die ihre Stimmen heben?

Der Kaiser von der untersten Stufe
Das sind die Nichtgeborenen,
nun stürzen sie ins Leben
mit morgenroten Flügeln
zu uns, den fast Verlorenen:
uns eilen diese Starken
wie Sternenglanz herbei.
Du hast dich überwunden.
Nun geben Himmelsboten
den Vater und die Kinder,
die Ungebornen, frei!
Sie haben uns gefunden,
nun eilen sie herbei!

Er ist von der untersten Stufe herabgestiegen. Die Kaiserin will ihm entgegen, deutet nach oben, von wo ein immer hellerer Schein herabdringt, ein silbernes Klingen dem Gesang der Ungebornen präludiert, sie sinkt in die Knie. Der Kaiser, die Kaiserin gegenüber, fällt gleichfalls auf die Knie. Die Ungeborenen fangen an zu singen. Die Kaiserin und der Kaiser bergen jedes sein Gesicht in den Händen.

Die Ungeborenen von oben
Hört, wir gebieten euch:
Ringet und traget,
daß unser Lebenstag
herrlich uns taget!
Was ihr an Prüfungen
standhaft durchleidet,
uns ists zu strahlenden
Kronen geschmeidet!

Der Kaiser und die Kaiserin haben sich, mit Entzücken aufwärts blickend, erhoben.

Die Kaiserin i ndem ihre und des Kaisers Hände sich berühren
Engel sind, die von sich sagen!
Ihre Stärke will uns tragen!
Ungeboren, preisgegeben,
ohne Anker, ohne Ziel!
Wie sie rufend uns umschweben,
bin ich, bin ich dir gegeben!

Der Kaiser
Nirgend Ruhe, still zu liegen,
nirgend Anker, nirgend Port,
nichts ist da – nur aufzufliegen
ist ein Ort an jedem Ort.
Wie sie rufend uns umschweben,
bist du, bist du mir gegeben!

Sie halten einander umschlungen.
Helles Gewölk umschließt sie.

Verwandlung

Eine schöne Landschaft, steil aufsteigend, hebt sich heraus. Inmitten ein goldener Wasserfall, durch eine Kluft abstürzend. Kaiser und Kaiserin werden über dem Wasserfall sichtbar, von der Höhe herabsteigend.

Die Färberin von links auf schmalem Fußpfad
Trifft mich sein Lieben nicht,
treffe mich das Gericht,
er mit dem Schwerte!
Eilt vor bis an den Abgrund.

Barak auf der gegenüberliegenden Seite
Steh nur, ich finde dich.
Schützend umwinde dich,
ewig Gefährte!
Indem sie ihn gewahr wird, ihm die Arme entgegenstreckt, fällt ihr Schatten quer über den Abgrund.

Barak jubelnd
Schatten, dein Schatten,
er trägt mich zu dir!

Die Frau
Gattin zum Gatten!
Einziger mir!

Die Ungeborenen von oben
Mutter, dein Schatten!
Sieh wie schön!
Sieh deinen Gatten
zu dir gehn!

In dem Augenblick fällt an Stelle des Schattens eine goldene Brücke quer über den Abgrund.
Barak und die Frau betreten die Brücke, liegen einander in den Armen.
Der Kaiser und die Kaiserin sind oben dicht an den Rand des Absturzes herangetreten.
Sie wenden sich nach abwärts, die beiden anderen blicken zu ihnen empor.

Barak
Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt,
nun will ich schaffen, wie keiner geschafft,
denn durch mich hin strecken sich Hände,
blitzende Augen, kindische Münder,
und ich zerschwelle
vor heiliger Kraft!

Der Kaiser weist hinunter auf die beiden, weiter hinunter auf die Menschenwelt
Nur aus der Ferne
war es verworren bang,
hör es nur ganz genau,
menschlich ist dieser Klang!
Rührende Laute –
nimmst du sie ganz in dich.
Brüder, Vertraute!

Der Chor unsichtbar, hineinjauchzend
Brüder, Vertraute!

Die beiden Frauen miteinander
Schatten zu werfen,
beide erwählt,
beide in prüfenden
Flammen gestählt.
Schwelle des Todes nah,
gemordet zu morden,
seligen Kindern
Mütter geworden!

Schleier vorfallend, die Gestalten und die Landschaft einhüllend.

Die Stimmen der Ungeborenen im Orchester
Vater, dir drohet nichts,
siehe, es schwindet schon,
Mutter, das Ängstliche,
das euch beirrte.
Wäre denn je ein Fest,
wären nicht insgeheim
wir die Geladenen,
wir auch die Wirte!

Vorhang



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