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Als das Theater in Bartenfelds Besitz übergegangen und die Scheidung von Rosen ausgesprochen war, hatte Thomas ohne Mittel dagestanden und war froh gewesen, eine Stellung bei Tegtmaiern zu finden. Dieser aber war ein weder bequemer noch nobler Chef. Von seinem Gehalt hätte Thomas kaum leben können, wenn ihm sein Vetter August Appeltoft, der in Berlin ebenso wie Rose schnell zu Ruhm und Ansehen gekommen war, nicht allmählich seine alten Schulden abgezahlt hätte.
Thomas fühlte sich nicht wohl bei seiner Arbeit, die ihm wenig Aussichten für die Zukunft gab und doch seine Zeit so in Anspruch nahm, daß seine Kunst ganz ruhen mußte.
Aber er versank allmählich in eine Gleichgültigkeit, die ihn nicht über den Tag hinausdenken, ihn gleichsam in den müden Trott eines Karrengaules verfallen ließ, der gestern wie heute immer den gleichen Weg macht.
Da bekam er – über drei Jahre waren seit seinem Eintritt bei Tegtmaiern verflossen – die Nachricht, daß seine Tante Leocadie gestorben wäre und ihn zum Erben ihres kleinen Vermögens und ihres Häuschens in Bilderlingshof eingesetzt hätte.
Ohne einen Augenblick zu schwanken, machte sich Thomas von seinen Verpflichtungen in München frei und trat die Reise in die Heimat an.
*
Ein heller Spätsommertag hielt seinen blassen Himmel, unter dem einzelne schwere Wolkenballen dahintrieben, über die Ostsee gespannt.
Thomas saß auf einem Bunsch Tauwerk vorn auf der Back des Dampfers, desselben Schiffes, das ihn vor mehr als vierzehn Jahren heimgebracht hatte. Das Schiff hatte sich verändert: man hatte es in der Mitte auseinandergeschnitten und ein Stück hineingefügt, um es zu verlängern; die Schlafkabinen waren geräumiger und eleganter geworden, und den großen Speisesaal hatte man aus ihrer Nachbarschaft an Deck verlegt ...
Es blies ein frischer Wind; in feierlichem Rhythmus hob und senkte sich der Bug des Dampfers. Das Wasser bewegte sich lustig in kleinen Wellen, zappelnden, tanzenden Wellen, die dennoch über die ganze Fläche ein ruhiges, regelmäßiges Muster zogen, in dem häufig weiße Schaumköpfe aufleuchteten ... Thomas erhob sich, stemmte den Ellbogen auf die Reling und schaute hinunter, ohne Gedanken zuerst, in der süß trägen Seefahrtstimmung: dem Gefühle, getragen und mitgenommen zu sein, wie ein Glücklicher, der sich seines Willens aus freien Stücken begeben hat.
Wer sich dem Leben so in die Hand geben könnte ...!
Eine Welle nach der andern, und immer das gleiche Spiel um den im Atemtakte steigenden und fallenden Schiffsbug ...
Ein leichter Schwindel benahm Thomasens Kopf, eine sanfte, tröstliche Lähmung ...
Er riß sich erst mit einem Seufzer los, als die Stewardeß ihn zum Essen rief.
*
Gegen Abend ließ der Wind nach; große Flächen der See lagen spiegelnd wie Glas ...
Thomas lehnte rauchend in einem amerikanischen Stuhle auf dem Achterdeck und schaute nach Südwesten zurück, wo die deutsche Küste verschwunden war. So weit er sehen konnte, reckte sich die Kielwasserlinie des Schiffes; erst der Horizont schnitt sie ab. In der Ferne machte sie Bogen und Zacken, die letzte Wegstrecke aber sah aus, als wäre sie mit dem Lineal gezogen: es war wohl ein besserer Steurer oben am Ruder.
»Mein Weg!« sagte Thomas vor sich hin und sah die Bogen und Zacken früherer Jahre und sah die gerade Straße seiner Heimkehr liegen. Und doch war keine Freude über ihm, und seine törichte Seele empfand die neue Ruhe wie einen Alb, der kalt und beklemmend auf ihr laste. – Erkenntnis wird mit Schmerzen geboren ...
Er ließ seinen Blick die Kielwasserlinie entlangfliegen, bis dahin, wo der Horizont einen Strich darüber machte ... Und weiter ... Denn wußte er nicht: sein Weg kam von jenseits des Horizontes ...? Aus Tiefen, die keiner messen konnte ... Tiefen ...? – Der Weg des menschlichen Lebens läuft um die Erde, er kommt aus sich selbst und führt in sich selber zurück, in wiederkehrendem Kreise ...
Wozu? Warum? – Sinnloses Schicksal, das die Bahnen seiner Eltern verknüpft hatte, um ihn weiter zu treiben im Kreise des Werdens, auf einem Wegast, der sich tot lief, irgendwo im Nebel über dem Meere! – Nicht um die Unsterblichkeit, die die Kunst geben soll, bangte sich Thomasens Seele: daß Rose keine Kinder gewollt hatte, daß ihre Eigensucht ihm seine Ewigkeit gestohlen hatte, machte seine Brust so unendlich leer.
Thomas seufzte. Er sah die Jahre in München als ein einziges sinnloses Hasten, ohne eine Stunde zum Verschnaufen. War dies nicht nach einer Ewigkeit das erstemal, wo er Muße hatte, nachzudenken?
Und da wußte er auf einmal, wie blind und toll er durch seine Tage gerannt war, gerannt, um zu rennen, ohne Ziel und Sinn, um nichts! Im Genuß und in der Arbeit dieselbe Atemlosigkeit ... Denn die Arbeit war nicht besser gewesen als der Genuß: betäubende Gifte beide, die den Augenblick leichter machten, einen aber unaufhaltsam zerstörten ...
Mit großen Augen staunte Thomas in den Himmel und schüttelte den Kopf. Sonderbar, wie blind einen die Gesellschaft der andern machte, und was für ein trefflicher Starstecher die erste Stunde der Einsamkeit war, der Unabhängigkeit von den andern ...
Wie hieß die dunkle Gewalt, die einen so rasend vorwärts trieb, daß man seine Tage nicht mehr einzeln sah, sondern nur als einen langen, grauen, vibrierenden Streifen?
War es der Fluch dieser merkwürdigen Zeit, der mit ihr schwinden würde? Klang im Dröhnen der harten Eisenglieder, sauste im Dampfe, der sie umeinanderwirbelte, schon eine Ahnung des großen Liedes von einem Ruhetage der Menschheit?
Thomas blickte diesen Fragen nach. Und seine Antwort war ein Nein, das krachend niederfiel; aber aus diesem Krachen wuchs aus einmal ein Klingen, erlösend und süß betäubend ...
Leben ist Schmerz, ist Krampf, ist Krankheit; Ruhe ist nur im unbewußten Sein ... Im Schoße des Stoffes träumen, ohne zu wissen, wann das Erwachen kommt ... Das ist das beste; ein Träumen ohne Gestalten und Farben, erfüllt nur von einem tiefen, in einem mächtigen Orgelton erbrausenden Purpurrot ...
Eine stille, feste Sehnsucht, so zu versinken, entspannte Thomasens Lebenswillen. – Was erwartete ihn denn in der Heimat? Wohl würde er, eine müde Brandungswelle, aufs Ufer gleiten; aber kannte er denn die Gegenströmung nicht, die alles ins Meer zurückzieht? Die heimlichen Kräfte des Lebens gehen ihren Gang ... Konnte er wissen, was sie mit ihm tun würden? Wäre es nicht klüger und männlicher, die andre, die sichre Ruhe zu wählen?
Mit sachlichen Augen hielt Thomas Umschau. Er brauchte nur drei Schritte zu tun; dann wäre noch die Reling zu übersteigen, und er könnte sich behutsam hinunterlassen. – Er stand auf. – Niemand würde es sehen, keiner wissen, wo er geblieben wäre. Man würde noch eine Zeitlang forschen und fragen und an dem Rätsel seines Verschwindens raten, während er schon im Unbewußten schliefe, auf lange ... Und dann würden die Wellen auch über seinem Gedächtnis bei den Menschen zusammenschlagen ...
War das den einen kurzen Entschluß, war das das Sterben nicht wert? – Aber Thomas machte die drei Schritte bis zur Brüstung nicht ... Er zog die Uhr: dreiviertel! Bis acht wollte er warten. Er legte sich wieder in den Stuhl, zündete eine frische Zigarrette an und schaute aufs Meer. Eine kleine Weile noch wollte er das Sterben bewußt genießen ... Er faßte nach seinem Pulse; der ging langsam und gleichmäßig ...
Die Sonne hatte mit ihrem Rande die Wolkenbank erreicht, die wie eine violette Felsenküste im Westen auf dem Horizonte stand.
Rosig leuchtende Wolkenstreifen, nach oben zu langsam verblassend, die von einem Punkte hinter der schweren Bank ausgingen, bildeten einen Fächer, der sich leicht über das ganze Firmament spannte.
Das Meer leuchtete; die glatten, spiegelnden Stellen schwammen in feurigem Perlmutterglanz wie Inseln zwischen dem leichten Gekräusel, auf dem das Licht in tausend reinen Farbenflecken spielte, die unvermittelt nebeneinanderstanden.
Eine Stimme in Thomas sagte: so solltest du das Meer einmal malen, – du siehst es jetzt, wie noch keiner es gesehen hat, du siehst es mit deinen eignen Augen! Er entdeckte in den Kräuselwellen Formen, die er noch nie bemerkt hatte, weder in der Natur noch aus Bildern. Es war ein Muster, das sich ständig wiederholte, die Flecken ähnelten sich in der Form und hatten doch jeder sein eignes Gesicht, das sich in kleinen, reizenden Abweichungen von denen seiner Geschwister unterschied ...
Thomas malte in Gedanken und setzte ruhig und fleißig Farbenfleck neben Farbenfleck ...
Rosig und apfelsinenrot, saftgrün und tiefblau, veilchenfarben und warmweiß wie glühendes Eisen, sammetbraun und schwefelgelb, blitzend wie poliertes Silber und gedämpft schimmernd wie mattes Gold, so spielte das lebendige Wasser um die perlmutternen Inseln des Schweigens ...
Langsam dämpften sich die Farben, die grellen Lichter ertranken; das Meer sah aus wie flüssiges Blei ...
Thomas erwachte gleichsam. – Er hatte ja sterben wollen ... Und jetzt konzipierte er Bilder ... Wie lächerlich das war! – Aber er sah dieses Bild ... Wenn er das malte ...! Vielleicht könnte das sein erstes rundes, ganz persönliches Werk werden ...
Ach nein! Im Konzipieren war er von jeher groß gewesen ... Warum sollte es diesmal anders kommen als sonst?
Und wenn dies sein bestes Bild wäre, was frommte es, wenn er's auf einer soliden Leinwand der Nachwelt hinterließe? Er selbst hatte es ja gesehen ... Das war genug! Mochte es denn ein guter Abschluß sein!
Aber es war nur Thomasens Verstand, der so sprach: sein Gefühl hatte eine weite Reise gemacht auf den Flügeln der Abendröte, unter dem glühenden Himmel über das glühende Meer ... Die Schönheit dieser Welt hatte ihre schimmernden Arme gehoben und den Flor der Todessehnsucht zerteilt.
Thomasens Gedanken logen nicht länger wie trotzige Kinder, die gegen ihr Gefühl auf ihrem Kopfe bestehen. Sie grüßten das Leben in Demut ... Und ihrer Demut schenkte sich die ganze Schönheit der Welt ...
Und plötzlich erfaßte ihn eine zitternde Freude, weil er die Heimat wiedersehen sollte; wie bei jener ersten Heimkehr merkte er staunend, daß er sich die ganze Zeit nach dem magern Strande seiner Kindheit gesehnt hatte ...
Er fürchtete die Gegenströmung nicht mehr; war er doch nur eine kleine Brandungswelle und wurde von einem starken innern Drange getrieben. Weit hinein würde er jagen, bis dahin, wo der Sand trocken ist, und sich trinken lassen von dem Boden seiner Heimat und mit ihm verschmelzen.
Er wußte, daß er nicht unfruchtbar liegen würde; der Drang nach seiner Kunst erfüllte ihn ganz. Ob auf seinem Sandfleck nur blasser Strandhafer erwüchse oder eine strenge Föhre, den Seeleuten fern auf dem Meere ein Wahrzeichen, – was verschlug das! Andre mochten sich um das Gewachsene kümmern, er hatte Genüge daran, das Wachsen zu empfinden ...
Das Licht schwand. Über der Wolkenbank im Westen glühte der Himmel noch, aber sein Rot war so düster, daß es aussah, als stiege die Dunkelheit langsam aus dem Meere den Himmel empor, der oben noch immer in blaßblauer Helle durch den mählich erbleichenden Wolkenfächer schaute.
Der halbe Mond, der schon die ganze Zeit wie ein leichtes Wölkchen klein und hoch am Himmel gestanden hatte, gewann Glanz und Kraft. Als Thomas seinen Blick nach Osten wendete, breitete sich dort ein ganz andres, nächtiges Meer, in dem hie und da Mondlichter aufsprangen, grünsilbern blitzend und hastig, als spielten da fremde Märchenfische.
Thomas ging wieder nach vorn und ließ sich auf dem Tauwerk nieder.
Er blickte zurück.
Die Lichter des Schiffes brannten schon: das weiße hoch im vordern Mast und die beiden bunten an den Seiten der Brücke; sie woben grüne und rote Funken in die Schaumschleier.
Das Schiff ging seinen Gang, hinaus in die Nacht und in ihren verwirrenden Mondglast ...
*
Die Wetterzeichen hatten richtig prophezeit. Schon vor dem Erwachen, durch den Schlaf des Morgens, wo die Träume hastiger werden und ihre Fäden fester an die Gedanken und Sorgen des Tages knüpfen, fühlte Thomas das Bett unter sich gleichsam atmen; und als er die Augen aufschlug, sah er, wie die Handtücher und seine Kleider pendelten. Bald legten sie sich fest an die lackierte Holzwand, bald bildeten sie einen spitzen Winkel mit ihr.
Es kostete Thomasen Mühe, sich zu waschen und anzuziehen.
Es war, als wolle das Schiff ihn necken, und als mache es absichtlich allerhand unerwartete Wendungen und Finten, wie Kinder, die »Kriegens« spielen. Und Thomas kam bald auf die Kniffe dabei und fand Vergnügen an diesem gegenseitigen Überlisten und Zuvorkommen.
»Nur kaltes Blut, alter Junge!« sagte er lächelnd vor sich hin. »Mich erwischst du nicht so leicht!«
Aber das Schiff hatte mehr Ausdauer als er und schien sich zu denken: »Warte nur ab, Liebster, ich finde schon einen unbewachten Moment!«
Und so kam es auch. Thomas war ohne besondre Anstrengung die Treppe zum Decksalon hinaufgestiegen und fühlte sich schon ganz sicher ... Wie er aber an die Tür ins Freie trat, stellte ihm das Schiff auf einmal gleichsam ein Bein, recht wie ein skrupelloser Straßenjunge. Er taumelte an die Reling und hatte schon das Gefühl, jetzt ginge es kopfüber ins Wasser hinunter. Mit erschrocknen Händen umkrampfte er gerade noch rechtzeitig eine Klampe und warf seinen Körper zurück ... Wie ein höhnisches Kichern des Meeres traf ihn zugleich eine scharfe Garbe von Salzwasser, die in kurzem Wirbel an Deck klatschte.
Thomas ließ die Klampe fahren und fühlte sich sicher auf seinen gespreizten Beinen und freute sich des unwillkürlichen Lebensdranges im Menschen, der im Augenblick der Gefahr mit eisernen Sehnen aufspringt, und dem er es zu danken hatte, daß er jetzt nicht irgendwo da hinten im Kielwasser mit den Wellen kämpfte ...
*
In Bilderlingshof herrschte bei Thomasens Ankunft die klare Stille des Herbstes. Die Häuser standen fast alle im Winterkleide mit geschlossenen Läden und verschalten Veranden. Auch das Meer und der Wald schwiegen; da klangen die seltnen Schritte auf den Bretterstiegen eigen laut, wie in einer verzauberten Stadt ...
Auf den Beeten vor Tante Leocadiens Häuschen – jetzt gehörte es Thomasen – lächelten lila, weiße und rosa Astern; hier und da stand auch noch ein verspätetes Blümchen tiefblau in dem buschigen Grün der Lobelieneinfassung. Die kleinen Ebereschen auf dem Firste des Binsendaches hatten sich mächtig gereckt, ihre Beerendolden – das größte Bäumchen trug stolz deren vier leuchteten in feurigem Orange zwischen dem braunen Laube. Die Espen hatten ihre lederzähen Blätter in leuchtendes Gelb gekleidet. Strich einmal ein Luftzug durch die Kronen, so sah es aus, als regne es Goldstücke. Als würden sie an schräg gespannten Fäden geführt, ließen sich die Blätter lautlos nieder, flach auf der Luft schwimmend und in gelindem Wirbel um sich selbst ...
Lange stand Thomas so, die Hände auf den wettergrauen Lattenzaun gestützt, und sah in seinen Garten: tote Blätter, lebendige Blumen, Samen bergende Früchte ... Und da empfand er alles Leben als das harmonische Atmen der Natur im ewigen, lebendigen Schlummer ihres unbewußten Seins ...
*
Thomas hatte Logierbesuch bekommen: von seinem Vetter August Appeltoft, der ein an Ehren und Einnahmen reiches Gastspiel in Petersburg hinter sich hatte.
Nach dem ersten Mittagessen sahen sie zusammen auf der Veranda, und August erzählte lebhaft von seinen Erlebnissen und Triumphen, seit er damals von München fortgegangen war.
Thomas musterte ihn mit einem leicht amüsierten Lächeln. Dabei erfüllte ihn das Gefühl einer starken, freudigen Sicherheit. – Vorhin, als er auf dem Bahnhof den Zug erwartete, hatte er nicht recht gewußt, ob er sich auf diesen Besuch freue oder die Unterbrechung seiner Einsamkeit bedaure. Dieser Besuch mußte ja eine Probe auf Thomasens Exempel sein. Was brachte August denn andres mit als einen Hauch von dem Leben draußen, der wirbelnd in den stillen Luftraum seiner Stuben fahren müßte?
Aber wie er jetzt saß und diesen ein bißchen dick und recht nervös gewordenen Schauspieler beobachtete, da fühlte er: sein Exempel stimmte und ging auf; er konnte ruhig einen Strich darunter machen. – Nein, dieser Hauch von draußen kam aus einer Welt, die eine Dimension weniger hatte als die seine; seine Atmosphäre konnte davon nicht im mindesten erschüttert werden. – Er wunderte sich nur, wofür sich diese Leute interessierten, und worüber sie sich aufregten. – Er wußte, daß das ironische Lächeln, mit dem er seinen Gast musterte, nicht frei von Hochmut war; aber er nannte diesen Hochmut berechtigt. Er war ein Aristokrat geworden, Aristokrat von der Einsamkeit Gnaden; und dessen war er froh.
»Was machst du eigentlich fürn Gesicht!« sagte August auf einmal.
»Wieso?«
»Arrogant bis dort hinaus! So stell ich mir die Visagen der seligen Engel vor, wenn sie auf die Erde herunterlächeln. Aber du bist noch auf der Erde, lieber Thomas!«
»O, sicher.«
»Was machst du überhaupt so den ganzen Tag? Es muß doch zum Auswachsen sein?«
»Ach, allerlei! Ich male ...«
»Ja, was malst du? Das wollte ich dich schon lange fragen. – Kannst du mir nicht was zeigen?«
»Wenn's dir Spaß macht ...«
»Na, tu auch nicht so, lieber Thomas. Schließlich interessiert es dich vielleicht auch ein bißchen ... So ein absoluter Laie und Banause bin ich doch auch nicht. Ein Stückchen von einem Kunstmaler war man am Ende doch auch mal ... Kommt mir übrigens beim Maskenmachen kolossal zugute ...«
Thomas ging auf die Tür zu.
»Dein Urteil interessiert mich natürlich. Übrigens brauchst du dir gar keinen Zwang aufzuerlegen. Schimpf ruhig! – Wie ich die Bilder finde, weiß ich nämlich schon ...«
»Na, Thomas, ich hab Zeiten gekannt, wo du nicht so ungeheuer überlegen und sicher warst ...«
»Eben darum!« sagte Thomas und ging hinein, um gleich darauf mit zwei Bildern von mittlerer Größe wiederzukommen. Das eine stellte er auf einen Stuhl vor August hin.
»Ah!« sagte der überrascht und fragte nach einer Weile: »Und wie nennst du das?«
»Hm? – Sagen wir: Sonnenuntergang auf der Ostsee.«
»Du, Thomas, ich bin paff! Wart mal, ich glaub, ich muß noch etwas zurücktreten. – Ja, so seh ich es richtig! Das ist kolossal nobel. Das Bild ist ganz fabelhaft gekonnt.«
»Ja, das ist ein sehr beliebter Ausdruck in Kunstfeuilletons.«
»Weißt du, du kannst nämlich Wasser malen ... Oder sogar zeichnen ... Das ist schwerer. Fein! Allerdings, wenn du das heute in Berlin ausstellen wolltest ... Da geht heutzutage nichts als der Impressionismus.«
»Ich will ja gar nicht ausstellen.«
»Na, das wäre doch ein Unsinn ... So ein Bild! Und wie viel Stimmung da drin ist! So, so ... So was Feierliches ...! Sag mal, wo hast du diese ornamentale Behandlung der Wellen her?«
»Ich hab das Meer halt so gesehen.«
»Und das andre?« August wies auf die Leinwand, die Thomas in der Hand hielt. Der nahm das Meerbild fort und stellte das zweite an seinen Platz.
»Donnerwetter!« rief August. »Fabelhaft! Ganz altmeisterlich! Leibl!«
»Ja, mindestens!« lächelte Thomas abwehrend.
»Doll, wie das gemalt ist! Wenn ich an deine frühern Sachen denke ... Das ist deine dicke Köchin, was?«
»Ja, die Lene, die ich von Tante Leocadie geerbt hab'.«
»Famos! Die Hände! Die strickt nämlich wirklich. Und dieser Vorfrühling im Garten ...! Nee, weißt du, damit kannst du selbst in Berlin Aufsehen erregen.«
Thomas lächelte ruhig.
»So ganz weg wie du bin ich ja nicht von den Bildern ... Aber es könnten ruhig zwanzigtausend Kunstkritiker darüber schimpfen, – das würde mich nicht sonderlich irritieren.«
»Darüber schimpft keiner.«
»Das kann man nie wissen.«
»Probiers doch! Stell die Sachen aus; und du wirst sehen ...!«
»Wozu denn?«
»Ja, wie meinst du das?«
»Was hab ich mit dem Ausstellen für Eile? Zum Leben hab ich genug; und ...«
»Wozu ist man denn Künstler?«
»Zum Ausstellen?«
»Du glaubst ja selbst an den Erfolg ...!«
»Und wenn schon!«
»Du, lieber Thomas, jetzt hör ich dich nämlich laufen; du hast Angst vor dem Erfolg!«
»Nein, August, wirklich nicht. Ich weiß schon, was du meinst; und ich hab mir die Frage schon selbst sehr oft ernsthaft vorgelegt. Aber nein ... Ich habe – heut sag ich: Gott sei Dank – zu lange auf den Erfolg warten müssen, als daß er mich heute noch beirren könnte.«
August heftete noch einen langen Blick auf das Bild und seufzte. Dann setzte er sich wieder in seinen Korbstuhl, zündete eine Zigarette an und rauchte schweigend. Sein Vetter stand am Ausgang der Veranda, die Hände an die Säulen gestützt, und sah schweigend ins Freie hinaus.
*
Thomas saß in seinem Garten malend an der Staffelei. August, sein Modell, hatte sich ihm gegenüber auf eine Gartenbank gesetzt, hielt ein Reklambändchen in der Hand und lernte eifrig an dem großen Monologe Tells; er sprach die Verse halblaut vor sich hin und gestikulierte hie und da mit geballter Faust. Amüsiert beobachtete Thomas den angespannten und beinahe wütenden Ernst seines Studiums und lächelte über den je nach dem Inhalt der Verse blitzgleich wechselnden Ausdruck des rasierten Schauspielergesichts.
»Da kommt eine Dame!« rief August auf einmal. – Thomas warf einen flüchtigen Blick nach der schmalen Straße hinüber; wirklich kam eine hochgewachsene, schlanke Frau von dem Brettersteg aus der andern Seite aus die Zauntür zu.
»Die wird sich verlaufen haben,« sagte Thomas. »Zu mir kommen keine Damen.« Und er begann wieder zu malen.
August sah interessiert hinüber und sagte plötzlich:
»Ja, ist das denn nicht ...?« – Damit ging er schnell auf die Tür zu. Thomas fuhr zusammen. Sollte am Ende Rose ...? Er sah sich hastig um. Nein, die Dame, die August jetzt über den Zaun hinweg lebhaft begrüßte, war hellblond. Und auf einmal fühlte er sein Herz laut klopfen: das war ja seine Kusine Annemarie! Er legte sein Malgerät hin und ging ihr entgegen.
»Du bist auch hier, Thomas?« fragte sie erstaunt und verlegen. Ihre Stimme däuchte ihn viel höher, als er sie von ihrem letzten Abschied her im Ohre gehabt hatte.
»Ja, wo sollte er sonst sein?« lachte August.
Thomas hielt Annemariens Hand, deren Wärme er durch den Handschuh spürte, und wußte nichts zu sagen. Sie entzog sie ihm mit einem leisen Druck und fragte:
»Tante Leocadie hält wohl gerade ihr Mittagsschläfchen?«
»Tante Leocadie?« sagte Thomas so erstaunt, daß Annemarie erbleichend auffuhr und ihn mit erschrocknen Augen ansah.
»Ja, weißt du denn nicht ...?« fiel jetzt auch August ein.
»Was ... ist ... mit ... ihr?« stammelte sie. »Sie ist tot?« fragte sie dann auf einmal mit großen, schmerzlich weiten Augen.
Thomas nickte.
»Seit einem Jahr bald.«
»So!« sagte Annemarie leise, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Thomas wohnt jetzt hier,« erklärte August, »er ist ihr Erbe.«
»Und deine Frau?« fragte sie.
»Ich bin nicht mehr verheiratet,« erwiderte Thomas leise.
Sie streifte ihn mit einem schnellen, überraschten Blick.
»Ja, dann muß ich ...,« sagte sie mit gequältem, suchendem Ausdruck, »dann will ich ... Wann geht der nächste Zug in die Stadt?«
»Na, so eilig wirst du's doch nicht haben ... Wenn man sich so lange nicht gesehn hat ...! Begeben wir uns mal auf die sogenannte Reveranda!« schlug August vor. Auf einen zweifelnden Blick Annemariens bat auch Thomas sie, zu bleiben; und da ging sie mit müden Schritten ihnen voraus, die Stufen hinauf.
Ein verlegnes Schweigen herrschte, als sie an dem Korbtische saßen. Annemarie sah in ihren Schoß und spielte mit dem Sonnenschirm. Und dann fühlten sie alle drei aus einmal das Bedürfnis, etwas zu sagen. August räusperte sich, und Annemarie öffnete die Lippen, als Thomas fragte:
»Aber trinkst du nicht eine Tasse Kaffee? Ich will gleich bestellen.« Er ging schnell an die Tür und rief ins Haus hinein: »Lene!«
*
Das Gespräch, das sich beim Kaffee allmählich entspann, wurde hauptsächlich von August geführt, der auf Annemariens dazwischen eingestreute Fragen nach dem und jenem in burschikosem Tone wortreich über Thomasens und sein eignes Schicksal Auskunft gab. Thomas, den so mancherlei an dem, was August sagte, verletzte, saß schweigend und sah Annemarien staunend an: so verändert däuchte sie ihn. Zuerst fiel ihm das auf, als sie langsam ihre Handschuhe auszog und er sich unwillkürlich in das Spiel ihrer vollen, weißen Hände vertiefte, die sich allmählich vor ihm entblößten. Annemariens Gesicht war nach landläufigen Begriffen durchaus nicht schön, aber diese blasse Blondheit hatte einen aparten Reiz, der durch die schwarzen Wimpern und Brauen, die fast unnatürlich daraus hervorschrieen, etwas Unbeschreibliches, etwas fast Herausforderndes, ein wenig Perverses bekam, das unmittelbar und auf den ersten Blick wirkte. Thomas konnte sich von früher her dieses Kontrastes in ihrem Gesichte nicht erinnern, und sein malerisches Gefühl bestärkte ihn in dem Glauben, daß Annemarie hier der Natur ein wenig nachgeholfen haben müßte. Aber trotzdem er sonst jede Künstlichkeit in dieser Hinsicht verabscheute, konnte er sich der Wirkung nicht entziehen. – Als sie dann aufstand und die Arme hob, um ihren Hut abzunehmen, war es ihm wieder gleichsam eine Offenbarung, was für eine schöne Gestalt sie hatte. Der um die Hüften sehr knapp sitzende Rock und die schwarzseidne Bluse, unter der sie kein Korsett trug, zeigten das fast herausfordernd.
Im Gespräch war die Befangenheit von Annemarien gewichen. Sie sprach ihre Ansichten sicher und bestimmt aus; sie wurde allmählich sogar heiter und ging auf Augusts Ton ein. Ihre Augen wanderten derweil aber häufig verstohlen zu Thomasen hinüber, und ein paarmal errötete sie unter seinem Blick.
»Ja,« so beschloß August seine biographischen Exkurse endlich, »und nun treibe ich noch im Strudel der Welt umher, während er sich still auf gerettetem Kahn bereits ins Land der alten Meister geflüchtet hat.«
»Dafür sieht er noch recht wohlkonserviert aus.« Annemarie lächelte.
»Er malt schon wie'n Alter!« versicherte August.
»Na, August, ich finde, eigentlich sieht er jünger aus als du.«
»Das kommt nur vom Rasierten. Das macht alt. So'n Vollbart verhüllt ja alle Gramfalten.«
»Sind das bei dir Gramfalten?«
»Selbstverständlich! – Aber warum ziehst du deine Handschuhe schon wieder an?«
»Ich muß doch endlich aufbrechen ... Es wird mir wohl nichts andres übrig bleiben: ich muß Papa aufsuchen ...«
»Ich denke, du bist mit ihm übers Kreuz?« fragte August.
»Ja, aber was soll ich machen ...? Wenn Tante Leocadie noch lebte ...«
Thomas fuhr aus seinen Gedanken empor:
»Du wolltest wohl hier bei Tante Leocadie bleiben?«
»Ach nein, – höchstens ein paar Tage. Ich weiß eigentlich selbst nicht ... Das Renkontre mit Papa wird nicht sehr erquicklich sein ...«
»Dann bleib doch heute wenigstens hier, bleib ein paar Tage! So lange du willst ...!«
»Ich dank dir sehr, Thomas, aber ... Schließlich ... Einmal muß es doch sein ... Und dann schon lieber heute als morgen ...! Angst hab ich vor Papa gewiß nicht ... Die liebe Familie hat sich gegen mich so benommen ...!«
»Ach, bleib hier,« bat August »Machen wir uns heute noch mal einen gemütlichen Abend, bevor du in den Kampf gegen den väterlichen Medizinmann ziehst.«
Annemarie machte ein unentschlossenes Gesicht, aus dem deutlich die Lust sprach, zu bleiben; ihre Augen fragten Thomasen, ob es ihm wirklich recht wäre. Der beeilte sich, sie einzuladen, und seine Stimme hatte dabei einen wärmeren Ton, als er beabsichtigt hatte. Zugleich klang sie ihm sonderbar unfrei, gefesselt gleichsam von den unklaren und wechselnden Gefühlen, die ihn bewegten. Erinnerungen von früher vermischten sich mit neuen Eindrücken ... Ein Zwang lag um seine Brust, er fühlte: dies war ein Gast von andrer Art als August; hier drohte seiner Einsamkeit und Ruhe eine wirkliche Gefahr. Und so fern seine Jugendliebe hinter ihm gelegen haben mochte, ganz tot und überwunden war sie nicht gewesen, das hatte er schon in dem Augenblick gespürt, wo Annemarie in seinen Garten getreten war. Und wie er sie dann so beobachtet und mit dem jungen Mädchen von einst verglichen hatte, war in seinem Blute eine schmerzhafte Eifersucht erwacht, unter deren Peitsche es schneller pulste. Eifersucht auf die Jahre der Trennung, aus denen nur ein verworrnes Echo äußerer Umstände ihres Lebens zu ihm gedrungen war, Eifersucht auf die Männer, die sie so verwandelt hatten ...
»Also ja, dann bleib ich bis morgen,« antwortete Annemarie mit einem Seufzer der Erleichterung auf Thomasens Einladung.
*
Am nächsten Morgen beim Kaffee – der Langschläfer August war noch nicht erschienen – bat Annemarie Thomasen, mit ihr einen Spaziergang ans Meer zu machen. Sie freue sich, es nach Jahren wiederzusehen, und dann wolle sie mancherlei mit ihm besprechen, was nicht für Augusts Ohren berechnet sei; vielleicht könne er ihr einen Rat geben ...
Sie traten durch das Seitenpförtchen des Zaunes direkt in den Dünenwald. Schweigend stiegen sie zwischen den stämmigen Föhren den kärglich bewachsenen Sandwall hinan, der die Siedelung vor Sturm und Flut und Sandverwehung schützt.
Annemarie trug ein schlichtes grauleinenes Kleid, das mit gestickten russischen Borten besetzt war. In dem kurzen Rock und mit dem glatten Strohhut däuchte sie Thomasen mädchenhafter als gestern abend. – Er hatte noch immer das Gefühl, als wäre er gerade erwacht, und alles, was er seit seiner letzten Trennung von Annemarien erlebt hatte, wäre ein Zug von wirren Traumbildern gewesen, den er in einem Zustande zwischen Schlaf und Wachen gesehen hätte ...
Auf dem Kamm der Düne machten sie halt und ließen ihre Blicke schweifen. Die See lag fast glatt unter dem wolkenlosen Himmel, nur ganz am Ufer trieben sehr flache Wellen an den Strand, ohne sich zu brechen; kaum daß sie plätscherten. Ein unsichtbarer Dunst mußte über dem Wasser liegen, denn die Linie des Horizonts war verschleiert, und alles schwamm in einem schwermütigen Einerlei.
Durch knirschenden Sand schritten sie zum Ufer hinunter, wo die Feuchtigkeit eine harte Promenade geschaffen hatte, und gingen im Schlenderschritt dem Meer entlang, mit den Augen die trägen Wellen verfolgend, die kaum die Kraft hatten, ihren Saum auf den Strand zu schieben ...
Ihr Gespräch blieb einsilbig und hängte sich an gleichgültige Dinge; und beide verspürten sie dabei ein sonderbares Unbehagen, das von fern dem schlechten Gewissen eines Schuljungen glich, der seine Aufgaben nicht macht und sich auf die Zwischenpausen vertröstet, wo hoffentlich noch Zeit genug dazu sein werde.
Sie hatten sich schon dem Ende des Badestrandes genähert – ihnen zur Rechten lagen am Fuße der Düne nur noch vereinzelte Badehütten –, da sagte Annemarie:
»Wollen wir uns nicht hinsetzen? Im Gehen spricht es sich so schlecht!«
Sie stiegen zu einer Hütte hinauf, die eine Veranda hatte, und setzten sich einander gegenüber.
»Du warst ja so lange in Deutschland,« begann Annemarie plötzlich, »da wollte ich dich fragen, ob du meinst, wenn ich hinausgehe ...? Ob ich wohl irgendeinen Erwerb finden könnte?«
»Erwerb? Ja, wie meinst du das? Woran hast du denn beispielsweise gedacht?«
»Ja, ich weiß eben nicht ... Eigentlich ... Gelernt hab ich ja nicht viel Vernünftiges ... Ich hab in Moskau Schreibmaschinenunterricht genommen, aber ... Sehr viel Übung habe ich ja nicht, und ... Es gibt wohl sehr viel Konkurrenz?«
»Ach, Annemarie, und dann wird das so schlecht bezahlt ...«
»Ja, das hab ich mir eigentlich gedacht! Ich hab auch eher an eine Stellung als Gesellschafterin bei einer Dame gedacht ... Oder so was ...«
»Ja aber, Annemarie, ist denn das etwas für dich? So eine Abhängigkeit von Gott weiß wem. Und dann: warum gerade in Deutschland? Ich glaube, daß du da in Rußland besser dotierte und angenehmere Stellungen finden könntest ...«
Annemarie zeichnete mit der Spitze ihres Sonnenschirmes in der leichten Sandschicht, die der Wind über die Bretter gelegt hatte. Dann sagte sie stockend:
»Nein, ich möchte ... Ich möchte ja gerade fort aus Rußland ... In ganz andere Verhältnisse ... In ein ganz neues Leben ... Wo niemand mich kennt ...«
Sie verstummte, mit erröteten Wangen. Thomas seufzte nur zitternd, und ihm wurde trocken im Halse.
»Jawohl!« sagte sie mit einem Ruck, und es klang ein starker Trotz in ihrer Stimme. »Warum ich das will, das ... Es hat keinen Zweck, von dem allen zu sprechen. Wer es nicht selbst durchgemacht hat, weiß nicht, wie so eins nach dem andern kommt ... Und du denkst natürlich nicht anders über mich als die andern Rigenser auch!«
»Nein, Annemarie ...!« Thomasens Stimme klang bittend und weich. »Siehst du, es spricht sich so schlecht über solche Dinge ... Es klingt immer gleich so ... Aber glaube mir, ich ... Ich kann alles verstehen und ... Wer kann ...? Du hast ihn eben geliebt.«
»Nein!« antwortete sie hart.
Er sah sie mit großen Augen an.
»Versteh mich recht: jawohl, ich bin Magnus Schlaars Geliebte gewesen,« sagte sie mit einer Sachlichkeit, die ihn brutal däuchte. Und das empfand sie: plötzlich ging ein sehr mädchenhafter Zug über ihr Gesicht, und sie fügte hastig hinzu: »Gerade du sollst mich nicht falsch beurteilen. Ich weiß aber nicht ... Wie soll ich dir das sagen? Du bist ein Mann, und ...«
Sie brach ab. Er hatte sein Kinn in die Hand gestützt und sah aufmerksam einer Ameise zu, die sich angstvoll mühte, aus einer Ritze zwischen zwei Brettern herauszukommen, aber von abrutschenden Sandkörnern immer wieder hinuntergerissen wurde ...
Plötzlich begann Annemarie zu sprechen. Und als sie die ersten Sätze hinter sich hatte, kam Eifer und Fluß in ihre Rede.
»Ich weiß nicht, woher ich es habe ... Aber ich bin nun einmal, wie ich bin ... Zu Hause ... Erzogen bin ich ja wie alle unsre jungen Mädchen aus guter Familie ... Wir wissen nichts und erfahren nichts; und das bißchen, was man weiß, ist auch nur dummes Zeug ... Was sich so Freundinnen untereinander erzählen, mit Kichern und Quietschen, als ob es was sehr Komisches wäre ... Ich weiß noch, wie ich mich damals mit meiner intimsten Freundin Berta Jakobi über solche Dinge unterhalten habe. Die hatte es von ihrer Köchin. Und Berta ist jetzt Pastorin und hat sechs Kinder – oder jetzt vielleicht schon zwölf, ich weiß nicht – und ist doch in solchen Dingen heute noch nicht klüger, als wir damals waren. Sie begreift sicher nicht, wie jemand von der sogenannten Liebe zu irgend etwas hingerissen werden kann. Sie sieht darin nur eine lästige Hausfrauenpflicht mehr. – Das Schönste war doch die Brautzeit, hat sie mir einmal gesagt: mit der Hochzeit ist alles Poetische vorbei. – Und das ist ja wohl die Regel bei unseresgleichen. – Und wer anders ist ... Aber ich bin nun einmal anders! – Woher ich es habe, weiß ich nicht ... Aber ich halte mich deshalb nicht für schlechter ... Natürlich ... Wie die Sachen einmal sind, haben die leicht sich entrüsten ... Aber ... Wenn ich in die richtigen Hände gekommen wäre ...! Wer nur deshalb nicht auf Abwege geht, weil er an beiden Beinen gelähmt ist, braucht sich nicht zu rühmen! – Ach, Thomas, ich weiß ja, daß mein Leben verpfuscht ist, aber ... Siehst du, Thomas, warum soll ich das heute nicht sagen: Wenn wir beide damals auf und davon gegangen wären, dann wäre wohl alles ganz anders gekommen ...
»Du wolltest ja nicht,« erwiderte Thomas leise.
»Ach, Thomas, wenn du ...! – Die Hauptschuld tragen natürlich meine Eltern ... Aber ich glaube, wenn du ... Wenn du ... Aber dein Widerstand war so matt, so ...«
»Ich war ein dummer Junge ...!« sagte Thomas. »Und schließlich: auch meine Erziehung ...!«
»Nein, Thomas, mißversteh mich nicht ... Ich mach dir keinen Vorwurf. Du bist eben auch, wie du bist ... Und wenn du anders gewesen wärst, wer weiß, ob ich dich damals liebgewonnen hätte ... Als das junge Mädchen aus guter Familie ... Aber siehst du, was dir damals fehlte, das alles ... das hatte Magnus Schlaar. Und das erklärt viel.«
Thomas war bei dem Namen zusammengezuckt. Annemarie sah ihn gedankenvoll an und fuhr dann fort:
»Mein Mann ... Waldemar war ein verbrauchter Lebemann, und ich ... Ich hab bei ihm nicht mehr kennen gelernt als den Ekel ... Ach, ich will nicht davon sprechen! Es war ein schreckliches Zusammenleben. Ich war zu stolz, ihm Vorwürfe zu machen ... Ich sagte nichts ... Aber was ich innerlich durchgemacht habe ... Und meine Gedanken ... Und er ... Woldemar war im Grunde furchtbar weich ... Er hatte, namentlich, wenn er getrunken hatte, so eine widerliche Zärtlichkeit und konnte von Wutausbrüchen auf einmal in tränenselige Rührung verfallen und stundenlang weinen und betteln. Und mit dem Trinken wurde es immer schlimmer ... Um mich zu verstehen, müßte man das alles mit angesehen haben ... Von diesem Schwächling, den ich verachtete, mußte ich mich brutalisieren lassen ... Ich fühlte mich so entwürdigt und beschmutzt und schämte mich, einem Menschen in die Augen zu sehen ... Und da kam Max ... Magnus Schlaar ins Haus.«
Thomas biß sich auf die Unterlippe. Diese kosende Zusammenziehung des Namens Magnus tat ihm weh. Annemarie sah mit sinnenden Augen aufs Meer hinaus, wohl eine Minute lang; dann sprach sie langsam weiter:
»Wie soll ich dir erklären, wie alles gekommen ist? Ob ich ihn geliebt habe ...? Weiß man das denn selbst? Zuerst war er mir unsympathisch, dann unheimlich ... Ich hab Angst gehabt vor seinen Augen! Du hast ihn ja gekannt ... Er war ... Er war eben alles das, was Woldemar nicht war ... Ich sah tausend Fehler an ihm, aber ... Ich weiß nicht, ob man das Liebe nennt ... Ich bin eben anders als Berta Jakobi und alle die andern ... Und doch ... Ich hab mich gewehrt, monatelang, bis endlich ... Woldemar war wieder einmal für einige Tage nach Riga gefahren ... Wir waren allein ... Und da, er hat mich nicht gefragt ... Er hat mich einfach genommen ... Und wie habe ich mich da noch gewehrt ...!«
Sie verstummte und klopfte leise und taktgemäß mit ihrer Stiefelsohle auf den Boden. Thomas hielt den Kopf gesenkt, und sein Atem ging hörbar durch die halbgeöffneten Lippen.
»Daß ich dir das alles erzählen kann ...!« sagte sie dann auf einmal mit einem sonderbar schiefen Lächeln. »So was sagt man sonst kaum einer Freundin. Und du bist ein Mann ...«
»Warum denn nicht?« stieß er heiser hervor und ärgerte sich in demselben Augenblick über diese törichte Antwort.
»Ja,« sagte sie, »und dir kann man auch viel mehr sagen als andern! Man fühlt das beim Sprechen ... Man merkt gleich, ob der andre richtig zuhört und die Sachen so auffaßt, wie sie gesagt sind.« – Wieder machte sie eine Pause und begann dann eigentümlich plötzlich: »Also, so hat es zwischen ihm und mir angefangen. Und da ... da wußte ich aus einmal, was ... was ich bis dahin nicht gewußt hatte ... Ich weiß nicht, ob man das Liebe nennt ... Wenn ich allein war und an ihn dachte, dann sah ich ja vieles an ihm, was ... Aber wenn er dann bei mir war ... Er hatte das Weib in mir erweckt und wußte es wach zu halten. – Ich fühlte wohl, daß es einmal ein Ende nehmen müßte, daß es sich nicht so fortsteigern konnte bis ins Endlose ... Aber ich sah nichts, was darnach kommen konnte ... Also war es doch wohl nicht Liebe ... Denn ... Ach, ich weiß nicht! – Und dann kam das Ende. Wie ein Blitz aus heiterm Himmel ... Woldemar – wir hatten nie bemerkt, daß er irgendetwas ahnte – bekam auf einmal beim Essen einen Wutanfall. Ohne jeden sichtbaren Anlaß sagte er uns unsre Beziehungen auf den Kopf zu, er schrie mir Schimpfworte ins Gesicht ... Ich fühlte, wie ich bleich wurde, aber ich lächelte nur ... Ich wußte, daß ihn das noch wütender machen mußte, ich habe es nachher oft bereut, aber ... ich konnte nicht anders ... Woldemar fuhr auf mich los und wollte mich schlagen ... Da sprang Max dazwischen und stieß ihn zurück, daß er hinfiel; er raffte sich auf und sprang Max mit beiden Händen an die Kehle ... Ich saß und sah, wie sie rangen, und konnte mich nicht rühren ... Und dann fuhr ich auf, mit einem Schrei, den ich heute noch manchmal höre: Max schlug ihm auf einmal die Flasche auf den Kopf, daß er zusammenbrach ... Wir standen beide erstarrt und sahen ihn an, wie er da wimmernd lag, den Kopf in einer Pfütze aus rotem Wein und Blut ...
Und dann kamen die Dienstboten hereingestürzt und die Knechte ... Max wurde gebunden ... Und mich sahen alle so sonderbar an ... Ich sag dir ...!«
Sie brach ab. Ein langes, zitterndes Schweigen herrschte zwischen ihnen, in dem die Natur auf einmal an Lauten reich wurde, die sie vorher nicht vernommen hatten. Spitz erhob sich das Plätschern der Wellen, Krähen krächzten im Walde, Möwen schrien über dem Wasser, und irgendwo im Holzwerk der Hütte klopfte die Totenuhr ...
Annemarie brach das Schweigen:
»Was nachher alles kam, weißt du ja aus den Zeitungen, aus ... Und was ich innerlich durchgemacht habe ...! Ich kann darüber nicht sprechen ... Ich wußte nur, daß es aus war zwischen Magnus und mir ... Ich weiß nicht ... Wenn es Liebe gewesen wäre, so hätte doch ... Aber es blieb nichts als Reue und Ekel ... Ich klagte mich an, ich haßte mich selbst und haßte ihn ... Nicht einmal ein richtiges Mitleid für ihn brachte ich in mir auf ... Ich nahm es wie ein Schicksal, daß er verurteilt wurde ... Sieh mich nicht so an, Thomas, halt mich nicht für gefühllos und schlecht! Zwischen Magnus und mir hatte irgend etwas gefehlt ... Alles andere hatte ich ihm gegeben und stand jetzt wie ausgeleert ... Mehr hatte ich nicht für ihn ... Ich muß ganz aufrichtig sein gegen dich, Thomas, sonst verstehst du mich nicht ... Als dann nach zwei Jahren die Nachricht von seinem Tode kam, aus Sibirien, da hab ich ... Ja, ich habe um ihn geweint, aber ... Es ist mir wie eine Befreiung gewesen ... Zuerst ... Denn siehst du, er ... Schließlich wäre er doch zurückgekommen ... Und er, er hätte niemals von mir gelassen. Und ich ... Mir hätte vor seiner Liebe gegraut ... Das Bild Woldemars, wie er da am Boden lag, hätte immer zwischen uns gestanden. Ganz abgesehen von ... vom andern ... Ach, Thomas, ich bin das Bild von jenem Tage an niemals los geworden. Ich habe seit dem Tage nicht mehr ohne Licht schlafen können ... Immer, immer sah ich ihn im Dunkeln; und als Magnus gestorben war, ist auch er gekommen.«
»Du mußt das überwinden,« sagte Thomas und wunderte sich, wie trocken und sachlich seine Stimme klang. »Wäge ab, was diese beiden Männer dich gekostet haben ... Und was hast du ihnen getan? Hättest du ihnen helfen können? Sie haben beide in keiner glücklichen Haut gesteckt ...«
Mit durstigen Augen hatte Annemarie seinen Worten gelauscht.
»Du bist der erste, Thomas, von dem ich keine Vorwürfe höre ... Siehst du, was du da sagst, hab ich mir oft gesagt, aber ... Jawohl, ich habe Woldemar betrogen ... Aber hatte er mich nicht um mehr betrogen? Und Magnus ... Siehst du, und wenn ich am hellen Tage in solchen Gedanken meine Rechnung mit ihnen machte, ich habe mich nicht verloren geben können ... Ich bin mit meiner Reue fertig geworden ... Aber in der Nacht ... Seine Träume hat man nicht in der Gewalt ... Und wenn man dann auffährt ... Im Dunkeln ... Und dann ... Wenn das alles wäre ... Wenn seitdem ... Hätte ich ein nützliches, fleißiges Leben geführt ... Aber das andre war ja das Schlimmste ... Du weißt eben nicht alles, was ich in diesen letzten Jahren durchgemacht habe ... Vielleicht würdest du dann anders sprechen ...
»Ich hab mancherlei Gerüchte gehört,« sagte Thomas unbesonnen.
»Was hast du gehört?« fragte sie hastig.
»Ach Klatsch, dummes Zeug! Was kommt es darauf an!«
»Mir kommt es aber darauf an. Ich kann mir denken, was die guten Rigenser mir alles nachgesagt haben mögen. Nein, du sollst auch nicht schlechter von mir denken, als ich bin. Jawohl, ich war die Geliebte des jungen Fürsten Scherbatoff, ich war eine ausgehaltene Frau! Aber wie das gekommen ist, das hat dir keiner gesagt. Wie meine Eltern es damals gemacht haben ...! Da hast du fünftausend Rubel, geh nach Rußland und such dir eine Stelle! Was für eine Stelle hätte ich mir denn suchen sollen? Hatten sie mich dazu erzogen, auf eignen Füßen zu stehen? Ich war in meinem Leben noch kaum allein auf die Straße gekommen. Meine Freundin in Moskau, von der ich geglaubt hatte, sie würde mir zu einer Stelle verhelfen ... Ach, ich habe bald gemerkt, wie es mit der stand! Aber was sollte ich machen? Es war der einzige Mensch in Moskau, den ich kannte. Und ich hoffte ja immer, bald eine Stelle zu finden ... Aber siehst du, als Gesellschafterin oder so ... Mein Prozeß war durch alle Zeitungen gegangen, und ... Ich lernte Maschineschreiben, aber ... Gott, ich bin das Suchen bald müde geworden ... Und ich glaubte auch, fünftausend Rubel wären Gott weiß wie viel Geld ... Und als sie zu Ende waren, da ... Der junge Scherbatoff ... Unter allen Herren, die ich durch meine Freundin kennen lernte ... Er war der einzige ... Wie oft hat er mir gesagt: Gnädige Frau, Frau Stratzki ist doch kein Umgang für Sie. Aber, was sollte ich machen! Er sah immer so still unter allen den lustigen Leuten und sah mich an ... Er sprach nie von Liebe ... Ach, Thomas, siehst du, er ist der rücksichtsvollste, zartfühlendste, feinste Mensch, den ich kenne.«
»Und so hast du ihn lieben lernen ...,« flüsterte Thomas gepreßt. – Annemarie lachte unwillkürlich auf, seufzte aber gleich wieder und sagte mit einem Kopfschütteln:
»Lieben! Den kleinen Sergué! Ach nein, zum Lieben ... Er war bei aller seiner Güte und Feinheit doch ein klein bißchen eine komische Figur ... Gern haben ... Ja, gern hab ich ihn heute noch ... Trotz allem ... Und dem armen Kerl hat es sicher sehr weh getan, daß ich so ohne Abschied auf und davongegangen bin.«
Thomas saß mit gesenktem Kopfe, preßte seine Handballen gegeneinander und atmete laut und schmerzlich. Sie warf einen schnellen Blick zu ihm hinüber.
»Ach so, jetzt verachtest du mich wohl gründlich? Ja, so seid ihr Männer!«
»Nein, Annemarie. – Aber ... Daß ich ... Wer kann sich in einen andern hineinversetzen ...? Du wirst viel durchgemacht haben, bevor es so weit gekommen ist ...«
»Ich hab mir sehr viel zum Vorwurf zu machen ... Aber das nicht, Thomas. Das ist so gekommen ... Als mein Geld zu Ende war ... Meine Freundin hatte es ihm gesagt ... Da bot er mir an, mir auszuhelfen ... Was sollte ich machen ...! Ich wußte nichts andres ... Und er verstand es mir so zart und rücksichtsvoll anzubieten. – Es war zuerst nur eine Kleinigkeit ... Und ich suchte nun wieder mit aller Macht nach einer Stelle ... Aber ich fand nichts ... Und siehst du, er ... Er war mir immer bei der Hand und half mir ... Es war wohl ein Leichtsinn von mir ... Aber er machte es mir so leicht ... Und schließlich, ja, das bekenn ich offen, an schöne Kleider und so hatte ich mich schon gewöhnt, solange ich selbst noch Geld hatte ... Und da mußte ich bald dies, bald das bezahlen, und ... Ja, schließlich war meine Schuld bei ihm sehr groß geworden ... Und wenn ich auch eine Stelle gefunden hätte, an Abzahlen hätt ich nie denken können ... Ach Thomas, es war ein schwerer Tag, als ich mir das erst einmal klar machte ... Und von da an fing meine Schuld mich zu drücken an ... Er war noch immer so ... Er hütete sich jetzt noch mehr als früher, von Liebe zu sprechen! Aber wenn er so saß und mich mit seinen traurigen Augen ansah ... Ich kam mir wie eine Betrügerin vor ...
Und da ... Eines Tages, als wir allein zusammen waren ... Meine Freundin hatte das so arrangiert ... Sie war eine Gelegenheitsmacherin aus Leidenschaft und hatte schon immer ... Und als er wieder so traurig war und ... Schließlich ... Ich weiß nicht, wie das alles gekommen ist ... Aber als er nun endlich doch sprach ... Er weinte ... Ich hatte den Mut nicht, ich wäre mir wie eine Hochstaplerin vorgekommen ... Ich habe Ja gesagt ... Und als es einmal geschehen war, da war mir alles einerlei ... Ich hatte es aufgegeben ... Glücklich war ich nicht dabei ... Er war ... Ich wollte nicht mehr nachdenken ... Ich hab ... Immer Vergnügungen, schöne Kleider ...! Gott, ich gesteh es offen, das ist immer eine Schwäche von mir gewesen ... Und jetzt gab es nichts andres mehr ... Das alles wurde so wichtig und ging in einer Hast ... Ich habe nie so wenig getan ... Aber ich hatte nie Zeit ... Der halbe Tag verging mit Toilettemachen ... Zum Nachdenken kam ich nie ...«
Thomas fiel hier ein, und es klang ein Ton von Gehässigkeit in seiner Stimme:
»Ich muß dir sagen, daß ich diesen Fürsten Scherbatoff nach deiner Beschreibung nicht so sympathisch finde wie du.«
»Ach Thomas, du kennst ihn nicht, und ich mag ja ...«
»Da ist mir schließlich ein Schlaar, der brutal auf sein Ziel losgeht, lieber als so ein ›rücksichtsvoll zarter‹ Spekulant.«
»Spekulant?«
»Ja!« rief Thomas hitzig. »Wie nennst du das sonst? Die Art, wie er dich langsam gewonnen hat ... Hat er nicht die ganze Zeit darauf gewartet, daß er endlich für alle seine Uneigennützigkeiten belohnt werde?«
»Ach, Thomas, er war eben ein Mann.«
»Du hast keine gute Meinung von den Männern. Und du hast wohl auch wenig Grund dazu, aber ...!«
»Gott, er liebte mich eben!« sagte Annemarie, und dies Wort traf Thomasen. Auf einmal ging ihm auf, daß in dieser Heftigkeit seines Urteils über den jungen Scherbatoff die Eifersucht deutlich mitklang. Er antwortete nicht und begann mit dem Nagel eine Linie entlang einer Faser des Brettes zu ritzen, auf dem er saß. Annemarie stand plötzlich auf und strich mit den Händen ihren Rock glatt.
»Ja, also ... Was hat es für einen Zweck, davon zu sprechen? – Jetzt hab ich dir alles gesagt und hab keine Geheimnisse mehr vor dir,« sagte sie mit einem halben Lächeln, und ihre Stimme klang trocken, gleichsam hölzern. »Gehn wir!«
»Und ...?« fragte er heiser, »und warum hast du ihn verlassen?« – Sie streifte ihn mit einem erstaunten Blick.
»Weil ich ... Weil ich mußte ... Ich konnte nicht mehr. – Ist das so schwer zu verstehen? – Ich wollte nicht ... Sollte das das Ende sein? – So etwas kann lange fressen und bohren in einem ... Aber plötzlich ist dann der Entschluß da ... Ich bin noch nicht zu alt, einen andern Weg zu finden. Ich will ... Ach, ich weiß ja selbst noch nicht, was ich will ... Aber jedenfalls ... Ein ganz andres Leben muß anfangen ... Auf ganz andrer Grundlage ... Wenn es noch so bescheiden ist ...! Aber ich will wieder jedem ruhig ins Gesicht sehen können.«
Er schwieg noch immer; ein beklommener Seufzer erlöste sich aus seiner Brust. Sie lächelte schief und sagte wegwerfend:
»Ich seh schon, du erwartest nichts Gutes von meinen Plänen. Aber wozu ...? – Das wird sich schon zeigen!«
»Aber warum glaubst du ...?« stammelte er.
»Ach, lieber Gott, lassen wir das! Wir haben lange genug geschwatzt. Gehn wir!«
Er folgte ihr die quiekenden Stufen hinunter! Sie gingen denselben Weg zurück, den sie gekommen waren, entlang dem Meere, dessen Wellen in langsamem Takte ans Ufer trieben. Vor ihnen her glitten ihre seltsam verkürzten Schatten, seiner gerade und steif, ihrer sich leise wiegend. Thomas sah Annemarien von der Seite an; sie hielt den Blick aufs Meer gerichtet, mit einer gemachten Zerstreutheit im Ausdruck, den Kopf hochmütig erhoben, als bereue sie, daß sie ihm so viel gesagt hatte. Er schlug die Augen nieder und verfolgte wieder das Gleiten ihrer Schatten. Ach, seine Gedanken und Gefühle glichen dem Bilde wenig, das sie sich davon machen mochte. Er fand, daß ihr Verhältnis zueinander sich umgekehrt hätte. Wo sie bei ihm vielleicht pharisäische Verachtung voraussetzte, hatte er ein ganz andres Gefühl; und als er suchte, wie er es nennen solle, fand er keinen andern Namen dafür als das grobe Wort: Neid. Wie sie so ihr Leben erzählt hatte, war ihr Bild vor ihm gewachsen; er däuchte sich daneben klein und schwach.
Wäre ich an ihrer Stelle gewesen, sagte Thomas zu sich, wo wäre ich heute? Hätte ich ein Leben unter solchen Bedingungen nicht schon zehnmal von mir geworfen? Und in ihr ist noch jeder Mut und jede Hoffnung lebendig. Was sie von ihrem verpfuschten Leben sagte, ist nur eine Redensart. Sie glaubt selbst nicht daran. Sie hat den Glauben, der nicht zuschanden werden läßt, den starken Glauben an das Leben. Sie gibt sich nicht auf und wird sich nicht aufgeben. Sie braucht sich keinen Zweck ins Leben hineinzulügen. Oberflächlich werden solche Naturen von den neunmal Weisen genannt! Als ob sie die Quellen alles Wachsens nicht tiefer strömen fühlten als andre; als ob das chaotische Lied vom Sinn des Lebens in ihren Tagen nicht reiner rauschte als in den einseitigen Übersetzungsversuchen der Denker; als ob sie nicht fester mit den Ursprüngen verwachsen wären und in ihrem Leben das Ebenbild der großen Mutter elementarer zu gestalten wüßten als die Künstler in ihren Werken! –
Warum denk ich so? fragte sich Thomas dann. – Sie hat mir das ja gar nicht gesagt, sie hat mir von keinen großen Hoffnungen gesprochen. Es klingt nur zwischen ihren Worten mit, daß sie noch ein Glück erwartet. Und doch wirkt dieser Unterton so stark, daß er alles andre verschlingt. Wie tapfer und stolz sie da neben mir geht! Wie arm und müde ich gegen sie bin mit meinem passiven Willen zum Leben!
Dann aber schlug er sich im Geiste vor die Brust und fragte sich noch einmal: Warum denke ich so? – Was heißt das: Sie hat mehr durchgemacht als ich? Wir sind eben verschieden. Wer kann da urteilen, und was besagen die äußern Ereignisse? Kann nicht auf einen Menschen ein flüchtiges Wort, eine kleine Gebärde tiefer wirken als auf einen andern das schrecklichste Unglück, von dem in der ganzen Welt ein Geschrei wird? – Wäre eine andre gekommen und hätte mir das gleiche Schicksal erzählt, – was wäre dann gewesen? Ich hätte keine Sympathie für sie gehabt, ich hätte kühl und unfreundlich abgeurteilt, vielleicht hätte ich auch alles verstanden und verziehen, aber ich hätte ruhig die Achseln gezuckt und gefragt: Was weiter?
Thomasens Gedanken hängten sich an das Wort vom Verstehen und Verzeihen. Er verstand Annemarien und ihre Schicksale; aber verzieh er ihnen auch? Die drei Männer, die ihr Leben gestaltet hatten, gingen durch seine Gedanken; er sah sie vor sich, mit dumpfem, knirschendem Groll. Seine Phantasie malte sich peinigende Bilder zu dem, was Annemarie erzählt hatte. – Ja, das war Eifersucht und nichts andres! Und daneben glomm heimlich eine quälende Glut: die Eifersucht nährte ein hastendes Begehren, sein Blut fieberte nach ihr, schwüler als damals, wo sie sich ihm als reines Mädchen dargeboten hatte und er mit aller Gewalt hatte an sich halten müssen, um ihr Vertrauen nicht zu mißbrauchen.
So sah Thomas mit staunenden Augen eine wilde Brandung gehen, wo gestern noch die glatte See gelegen hatte, in der er sein ruhiges Gesicht hatte spiegeln können, dies Gesicht, in dem etwas von dem hochmütigen Egoismus aller Einsiedler gewesen war.
»Also ...,« sagte Annemarie plötzlich, »dann will ich heute nachmittag in die Stadt fahren und mit Papa sprechen!«
»Du willst fort?« rief Thomas überrascht.
»Ja, natürlich. Das Aufschieben hilft ja nichts ... Einmal muß es doch sein, und da ...«
»Du willst ...?«
»Ja, er muß mir noch einmal helfen.«
»Und dann ... dann willst du nach Deutschland?«
»Ja! – Ich werd schon etwas finden!«
»Aber glaubst du, dein Vater ...?«
Sie seufzte tief auf.
»Sehr, sehr schwer wird es sein. Ich kenn ihn ja ...«
Sie gingen eine Weile schweigend, dann begann Thomas so plötzlich zu sprechen, daß sie erstaunt aufblickte.
»Annemarie ... Wäre es dir ...? Soll ich nicht mit dir zu deinem Vater?«
»Du ...?« fragte sie nachdenklich.
»Ja, ich meine ... Vielleicht ist es dir doch eine Hilfe ... Für mich selbst wäre ich wohl ein schlechter Anwalt. Aber wo es um dich geht ...!«
Sie seufzte wieder.
»Aber es kann dir doch auch nicht angenehm sein ... Hast du denn überhaupt noch so viel Interesse für mich?«
»Annemarie!« bat er vorwurfsvoll.
Sie blieb stehen und reichte ihm die Hand.
»Ich dank dir, Thomas! Ja, wenn du mitwillst ...! Es wäre mir ein großer Dienst!«
»Aber«, sagte Thomas, und es flog ein schüchternes Lächeln über sein Gesicht, »heut noch nicht! Bleib ein paar Tage und ruh dich aus! Das läuft uns ja nicht fort.«
»N–nein,« erwiderte Annemarie zögernd; und dann fuhr sie fort, mit einem wehmütigen Glanz in den Augen, aber doch erleichtert: »Also noch eine kurze Galgenfrist ...! Stecken wir den Kopf in den Sand wie der Vogel Strauß! Nehmen wir ein paar Tage Urlaub vom Schicksal!«
*
Es regnete in Strömen. Thomas ging fröstelnd in der Veranda auf und nieder: der Mai zeigte heute ein ganz verwandeltes Gesicht und war auf einmal kalt und verdrießlich geworden.
Aus der Glastür zum Wohnzimmer kam August in Galoschen und legte seinen Gummimantel, den Zylinder und den Regenschirm auf einen Stuhl. Er hatte mit dem Stadttheater in Riga einen Gastspielvertrag abgeschlossen und mußte heute zum erstenmal auftreten.
»Schon gestiefelt und gespornt?« fragte Thomas.
»Ja, es wird Zeit. Ich geh gern etwas früher auf die Station und trink noch einen Schnaps bei Ohsoling. Sicher ist sicher! Wenn ich den Zug versäume, sitz ich schön da mit meinem Talent, und das ausverkaufte Haus kann seinem Kean nachflöten.«
»Na ja, ich geh ja auch noch nicht. – Und wie ist's mit euch? Noch immer nicht anders besonnen? Es wäre grade noch Zeit; kommt doch mit!«
»Ach, August, du weißt doch ...«
»Wegen Annemarie ...? Die hat nämlich sicher brennende Lust.«
»Aber ...«
»Ich verschaff euch einen Platz hinten in der Direktionsloge. Da sieht euch kein Kuckuck. Wo steckt sie denn?«
»In ihrem Zimmer. Ein bißchen Toilette machen, glaub ich.«
»Das tut sie gern,« sagte August und ging schnell ins Wohnzimmer.
»Ich will doch noch mal ...«
»Laß es!« rief Thomas und folgte ihm. Aber August klopfte schon an Annemariens Tür.
»Ja?« rief sie heraus. »Wer ist da?«
»Ich! – Kannst du nicht mal nen Momang zum Vorschein kommen?«
»Gleich! Ich muß mir nur schnell die Bluse zuhaken.«
»Aber wirklich gleich, ich muß nämlich fort,« sagte August und entfernte sich von der Tür, um Thomasen halblaut zu fragen:
»Sag mal, wie wird's denn nun mit ihr?«
»Ich meine, was sie eigentlich vorhat? Jetzt ist sie vier Tage da ...«
»Ja, lieber August, warum fragst du mich? Ihr habt ja erst heute so einen großen Spaziergang gemacht ...«
»Eifersüchtig?« fragte August und machte ein ungeheuer schlaues Gesicht dazu.
»Schaf!« entgegnete Thomas trocken.
»Es ist nämlich kein Grund vorhanden, kann ich dir verraten. Sie hat die ganze Zeit bloß von dir gesprochen. Weiß Gott, wonach sie mich alles gefragt hat, nach Rose Karrar und so weiter ... Und dann hat sie mich noch gefragt, ob ich nicht meinte, daß sie zum Theater gehen könnte. Ich will sie in den nächsten Tagen mal prüfen. Wenn sie ein bißchen Talent hat ... So eine Schülerin wäre ja nicht von Pappe.«
»Blödsinn!« sagte Thomas geärgert.
»Aha, du möchtest lieber ein Malweib aus ihr machen, teurer Meister? Ja, wir Künstler sind ein verworfnes Pack!«
»Red doch keinen Quatsch, August!«
»Nicht? – Na also, denn nicht! Aber jetzt ernst und weise: Nimm dich vor der in acht und bleib nicht hängen! Ich kenn die Sorte, was nicht besagen will, daß ich die andern nicht kenne. Aber die Sorte ist ziemlich gefährlich, Periculum in Moiree, wie unser guter Volker zu sagen pflegte.« August brach ab, denn man hörte, wie Annemarie die Tür aufschloß.
»Ah, so schön!« rief August mit einem bewundernden Blick auf ihre weiße Bluse, durch deren Stoff Hals und Arme leicht hervorschimmerten.
»Wie soll man bei dem Wetter die Zeit totschlagen? Man zieht sich eben um,« sagte sie lächelnd und ordnete mit den Händen noch flüchtig an ihrem Haar.
»Schöne Frau, ich wollte nämlich fragen, ob ihr nicht doch in den Kean wollt? Ich verschaff euch Rückplätze in der Direktionsloge. Da bist du unsichtbar für die guten Rigauer.«
»Ich möchte schon gern,« rief sie lebhaft, warf dann aber einen schnellen Blick zu Thomasen hinüber: »Aber ich weiß nicht ...«
»Es hängt nur von dir ab,« sagte Thomas hastig.
»Ja, dann könnten wir ja ... Ich würde dich natürlich furchtbar gern spielen sehen ...«
»Abgemacht! – Aber dann ist's höchste Zeit. Hut aus! Mantel an!«
»Was? Schon?«
» Naturellement. Um dreiviertel geht der Zug.«
»Und jetzt ist's ...?«
»Zehn Minuten vor halb. Höchste Eisenbahn!«
»Ach nein, dann ... So schnell kann ich mich unmöglich umziehen.«
»Ah!« machte August wegwerfend, »in diesem heiligen Lande, wo ein seidner Unterrock für ein unanständiges Möbel gilt ...!«
»Ach, nicht deswegen ... Aber ... Nein, da könnten wir vielleicht lieber, wenn du den Faust spielst ...«
» In dubio wäre mir der Faust auch lieber,« mischte sich Thomas hinein.
»Also, dann adieu! Und ich komme heute mit dem Elfuhrzug wieder heraus. Ich mag nicht mit der Provinzkollegenblase herumsaufen und mich feiern lassen. Holt mich doch von der Station ab, wenn ihr so lange aufbleibt. Ich erzähl euch dann, wie's war. Jetzt muß ich aber laufen!«
Als die beiden allein geblieben waren, kam eine leichte unbewußte Verlegenheit über sie; ein drückendes Schweigen herrschte. Annemarie wollte es brechen und sagte:
»Ich dank dir schön, Thomas.«
»Wofür?« fragte er verwundert.
»Daß du morgen mit mir ins Theater willst. Du selbst hast doch sicher keine Lust.«
»Ach so!«
Und wieder sahen sie stumm in den Regen hinaus. – Annemarie schauerte auf einmal zusammen:
»Ist das eine Kälte! Und das nennt sich Mai!«
»Du bist so dünn angezogen,« entgegnete Thomas.
»Gehn wir lieber hinein!«
Thomas pfiff tonlos vor sich hin und versenkte die Hände in seine Jackett-Taschen. Dann ging er auf einmal schräg durch das ganze Zimmer und riß ein paar Blätter von dem Abreißkalender, der dort an der Wand hing und noch den Tag von Annemariens Ankunft anzeigte. Sie wendete sich, um zu sehen, was er täte, und blieb mit dem Rücken gegen das Fenster stehen, für Thomasens Augen eine dunkle Silhouette; nur über ihr Haar fiel selbst das Licht dieses Tages blaßgoldig und wob einen Schimmer um ihren Kopf. Auch ihre Augen sahen mit einem gleichsam von innen kommenden leisen Glanz aus dem schattenverwischten Gesicht. – Thomas vertiefte sich in dieses malerische Problem, ohne jedoch dabei zu sein, mit einem unruhigen Leeregefühl in der Brust, das seine Ausläufer bis in den Hals schickte.
»Wie gemütlich der Ofen prasselt!« sagte sie und ging hinüber und ließ ihre Handflächen von der Glut bestrahlen. Thomas rollte einen Lehnstuhl an den Ofen:
»Setz dich und wärm dich! Ja, so ein altmodischer, heimatlicher Kachelofen ...! Wie ich den wieder begrüßt habe nach den langen Jahren in Deutschland, wo sie statt Holz schmutzige, dunstende Kohlen brennen ...!«
Annemarie setzte sich und hielt jetzt ihre Sohlen gegen die durchbrochne innere Ofentür. Thomas holte sich einen kleinen Stuhl und setzte sich so neben sie, daß er sie im verlornen Profil sah, während sie den Kopf nach ihm umwenden mußte, wenn sie ihn sehen wollte.
»Das ist doch noch ein lebendiges Feuer!« sagte er und verfolgte mit den Augen das Spiel der roten Reflexe auf Annemariens Gesicht, ihren Haaren und dem durchsichtigen Seidenweiß der Bluse. Sie hatte die Hände im Nacken verschränkt und saß ruhig wie eine Statue. Thomas hielt unwillkürlich den Atem an. Eine eigne, heimliche und doch gespannte Stimmung wob durch das Zimmer, zu dessen Fenstern bläulich die Dämmerung hereinzulugen begann.
»Schummerstunde, Thomas!« sagte Annemarie leise und mit einem weichen, fast schüchternen Lächeln.
Die Tür öffnete sich so plötzlich, daß die beiden zusammenfuhren. Ein greller Lichtschein fiel ins Zimmer und breitete sich rasch aus, als Lene nun mit der brennenden Lampe erschien.
»Schon die Lampe?« sagte Annemarie bedauernd.
»Is heller so!« Lene stellte die Lampe mit einem energischen Knall auf den Tisch und verließ das Zimmer wieder, selbst vom Rücken aus wie ein wandelnder Protest anzuschauen. Die treue Dienerin zeigte damit nicht zum erstenmal, daß sie Annemariens Aufenthalt in diesem Hause nicht recht passend fände. Ja, manchmal hatte es schon den Eindruck gemacht, als wittre sie hierin so etwas wie eine Gefahr für ihren Herrn.
»Ja, nun ist die Schummerstunde aus!« lachte Annemarie halb belustigt, halb verlegen auf, mit einem schnell wieder abirrenden Blick in Thomasens Augen. Der wollte sagen, man könne die Lampe ja wieder ausblasen, aber ein unbestimmtes Gefühl band seine Zunge. »Es ist vielleicht auch besser,« seufzte Annemarie leise und richtete sich auf und legte ihre Hände in den Schoß, »man soll nicht träumen. Es führt zu nichts!«
Thomas zündete sich eine Zigarrette an und blies den Rauch langsam gegen die Ofentür; in einer Wolke schwankte der einen Augenblick gleichsam unschlüssig davor hin und her, um dann in schmalen Strähnen durch die Löcher eingesogen zu werden.
»Gib mir auch eine!« bat Annemarie, deren Augen noch immer in die Glut starrten.
»Du rauchst?«
»Eigentlich leidenschaftlich,« erwiderte sie. »Ich tu es möglichst selten und möchte es mir immer abgewöhnen. Aber manchmal kann ich's nicht lassen. Es beruhigt die Nerven so wundervoll.« – Sie sog den Rauch hungrig ein.
Thomas saß vorgebeugt, die Ellenbogen auf den Knieen, und vertiefte sich in ihre Hand mit der Zigarrette, aus deren Mundstück weißlicher Rauch floß, während sich vom brennenden Ende eine zierliche, blaue Dampfsäule emporkräuselte.
Annemarie rauchte schweigend, in hastigen Zügen; dann beugte sie sich vor, um den Stummel durch ein Loch der Tür in den Ofen zu werfen. – Es gelang ihr nicht, das Mundstück fiel auf den blechernen Vorsatz. Thomas bückte sich gleichzeitig mit ihr, ihre Hände berührten sich, und zugleich fühlte er ihre Haare seine Schläfe streifen. Als sie sich aufrichteten, war sie rot geworden, und er vermied ihren Blick. Da klopfte es draußen hart an die Glastür:
»Na?« sagte Thomas verwundert und rief: »Herein!«
Sie hörten, wie draußen einer seine Galoschen auszog; ein Regenschirm wurde mit klopfendem Geräusch an die Holzwand gestellt. – Thomas stand auf, ging an die Tür und öffnete sie.
»Onkel Albert!« stotterte er. Annemarie sprang auf.
»Papa ...!« sagte sie leise.
»O bitte ...!« wehrte der Staatsrat Kerkhoven eisig ab und sah sich im Zimmer um, während er seine Handschuhe langsam auszog.
»Ihr scheint es euch ja recht gemütlich eingerichtet zu haben?« fragte er dann höhnisch und doch mit dem stereotypen Verbindlichkeitslächeln eines alten Diplomaten, während er die weißen Bartkoteletten durch die Hände gleiten ließ.
»Woher weißt du denn ...?«
»Bester Thomas, man bekommt Gott sei Dank seine Nachrichten und ist überhaupt über so manches besser orientiert, als gewissen Leuten angenehm sein dürfte.« Der Staatsrat sah Annemarien mit einem unangenehmen Blick von der Seite an und hüstelte leise, nicht ohne die Fingerspitzen manierlich vor den Mund zu halten.
»Über die Abenteuer der Baronin Bökh in den letzten Jahren.«
»Ach so; ja natürlich! Offiziell existiere ich nicht mehr für euch; aber um das Klatschbedürfnis der lieben Familie zu befriedigen, bin ich immer noch gut genug.«
»Schweig!« rief der Staatsrat und richtete sich hoch auf. »Wer ist dran schuld, daß solcher Schmutz in den reinen Frieden meines Hauses dringen darf?! Wer ist dran schuld, daß ich vor der Zeit ein alter Mann geworden bin? Du ganz allein! Und du wagst es ...?«
»Ich weiß, daß du darunter gelitten hast! Und es gäbe ja auch keine Gerechtigkeit mehr ...! Womit einer sündigt, damit wird er gestraft.«
»Natürlich! Das dachte ich mir doch! Ich bin ja an allem schuld! Selbstverständlich! Wenn meine Haare heute weiß sind, haben die Sorgen um dich sie gebleicht! Aber du machst mir Vorwürfe!«
»Sorgen um mich! Was aus mir wurde, war dir immer gleich; nur vor dem Skandal hast du dich gefürchtet.«
Der Staatsrat hatte sichtlich nicht erwartet, daß sie zum Angriff übergehen würde. Er sah sie mit bösen Augen an, aber sein Blick war unsicher, und seine Hände erhoben sich unwillkürlich und ordneten tastend an der weißen Krawatte. Dann auf einmal sagte er, zitternd vor Zorn:
»Ich werde mich nicht mit dir zanken. Kommen wir zur Sache!«
»Schön! Also, was willst du hier?«
»Das fragst du? Hast du dich nicht schriftlich verpflichtet, unsre Provinzen nicht mehr zu betreten?«
»Ja.«
»Wie kommst du also hierher?«
»Ich werde meine Gründe gehabt haben.«
»Ich werde dich zwingen, unsern Kontrakt einzuhalten.«
»Ja, verklag' mich doch!«
»Das hab' ich nicht nötig. – Ich habe, Gott sei Dank, meine Beziehungen; und mein Einfluß reicht weit genug, um das durchzusetzen, was ich durchsetzen will. – Merk' du dir das auch, Thomas!«
Thomas, der zum Fenster hinausgesehen hatte, wendete den Kopf.
»Ich?« fragte er erstaunt.
»Ja, ihr beide!«
»Da bin ich doch gespannt,« sagte Thomas ein bißchen spöttisch und wendete sich wieder zum Fenster. Trübselig rieselte draußen der Regen und fiel gleich einem zerfetzten Schleier vom Rande des Binsendaches in die Rinne, die seine Vorgänger seit vielen Jahren in den Sandboden geschlagen hatten. Thomas trommelte kaum hörbar an die Scheiben und horchte dabei aufmerksam auf das Gespräch hinter seinem Rücken.
»Ich werde diesen Skandal nicht dulden, verlaßt euch drauf,« rief der Hofrat hitzig. »Jetzt weiß, Gott sei Dank, noch kein Mensch davon. Aber in vierzehn Tagen ist ganz Riga hier am Strande ... Und ihr glaubt wirklich, daß ich ...? Zaun an Zaun mit meinem Höfchen? – Das glaubt nur ja nicht!«
»Ja, was glaubst du denn eigentlich?«
»Lächerlich! Ich möchte wirklich wissen, wem ihr einreden wollt ...?«
»Du, mit deiner reinen Phantasie, kannst dir natürlich nicht vorstellen, daß zwei Menschen unter einem Dache leben können ...«
»Bitte, mißversteh mich nicht ... Es ist mir ganz egal, was hier vorgeht. Du weißt, daß ich dich nicht mehr als meine Tochter betrachte. Tu, was du willst!«
»Als was du mich betrachtest, ist sehr gleichgültig. Leider nur lassen sich Tatsachen nicht aus der Welt schaffen.«
»Eine Frau, die wegen Gattenmord in Untersuchung war, ist meine Tochter nicht mehr.«
Thomas drehte sich um und rief:
»Erstens war Annemarie nicht wegen Gattenmord in Untersuchung, und zweitens ist sie ja freigesprochen worden.«
»Ich bin heute achtundsechzig und habe noch nie mit dem Gericht zu tun gehabt, weder als Kläger, noch als Angeklagter, noch als Zeuge!«
»Eine kolossale Leistung!« lachte Thomas grimmig auf. »Das ist gerade bei einem Arzte doch wirklich nicht mehr als Zufall.«
»Zufall? – Nein, ich habe mein Leben lang das Bestreben gehabt, es nur mit anständigen Menschen zu tun zu haben.«
»Und warum war ich in Untersuchung?« fragte Annemarie. »Wie oft bin ich zu euch gekommen und habe gesprochen und gebeten ...! Auf den Knieen hab' ich euch gebeten ...! Ich wollte mich scheiden lassen; wie oft! Und ihr ...?«
»Eine Scheidung ist eine sehr ernste Sache. Damit spielt man nicht!«
»Ich hätte mich also bis an mein Ende von diesem Trinker prügeln lassen sollen, weil er nun einmal mein Mann war?«
»So schlimm wird's auch nicht gewesen sein. Waldemar war doch immerhin ein Edelmann ... Du tust ja, als wäre er ein Stallknecht gewesen.«
»Einem Stallknecht hätt' ich das vielleicht eher verziehen.«
»Allerdings ... Für das Dienstpersonal deines Mannes hast du ja immer ein Penchant gehabt.«
»Onkel Albert!« fuhr Thomas auf, »mäßige dich, bitte!«
»Laß ihn nur!« sagte Annemarie, »ich habe schon mehr heruntergeschluckt.«
»Oder gehört ein Verwalter nicht zum Dienstpersonal?« fragte der Staatsrat höhnisch.
»Täusch' dich nicht!« sagte Annemarie kalt. »Auch daran warst du schuld.«
»Ja, natürlich. Das ist ja sehr leicht ... Auch, was du jetzt in diesen letzten fünf Jahren getrieben hast ... Alles meine Schuld, nicht wahr?«
»Ja.«
»Das hab' ich mir gedacht! Selbstverständlich! Eigentlich bin ich es, der den Namen Kerkhoven in den Schmutz gezogen hat.«
»Ja. – Ich wollte in die Welt hinaus und mir mein Brot verdienen ...«
»Du warst für den Anfang reichlich mit Mitteln versehen ... Und das müssen viele Frauen ...«
»Hattest du mich dazu erzogen?«
»Nein, das ist in unsern Kreisen nicht üblich. Und daß du in diese Situation kamst, ist doch nicht meine Schuld.«
»Dann sag' mir doch, wer mich dazu gezwungen hat, Woldemar zu heiraten?«
»Gezwungen?«
»Oder wie nennt ihr das sonst? Ja, ich hab' schließlich eingewilligt, nachdem ihr mich wochenlang mit Gründen und weisen Reden bombardiert hattet. Ich hab' euch geglaubt. Ich war damals ja noch so dumm. Dank deiner Erziehung!«
»So? Also meine schlechte Erziehung war schuld? Komisch, daß sie nur dir so schlecht bekommen ist; meine drei Söhne ...«
»Die ...!« sagte Annemarie verächtlich.
»Ja, du hast Grund, dich über Männer aufzuhalten, die alle in Amt und Würden sind und ihren Beruf erfüllen!«
»Was war denn deine ganze Erziehung? Äußerliche Dressur nach den borniertesten Prinzipien! Nur keine Selbständigkeit aufkommen lassen! Einen möglichst dumm erhalten, um ihn nachher leichter verkaufen zu können!«
»Jetzt hörst du auf!« schrie der Staatsrat. »Alles hat seine Grenzen! Verkaufen? Weise mir doch die Vorteile nach, die ich von deiner Verbindung mit Woldemar gehabt habe!«
Annemarie wendete sich auf einmal hastig um und sah ihrem Vater voll ins Gesicht:
»O,« sagte sie zitternd, »ich wünsch' dir, daß es dir nie bewußt wird, was du an mir getan hast! Du könntest ja keine ruhige Nacht mehr haben!«
»Mach' dir um mich nur keine Sorgen! Ich hab' ein sehr gutes Gewissen.«
»Vielleicht erkennst du es in deiner Todesstunde. Da sollen die Menschen ja hellsichtig werden.«
»Laß doch die Theaterredensarten! – Mir machst du Vorwürfe? – Mach' sie lieber dem da!« – Der Staatsrat deutete mit dem Zeigefinger auf Thomasen. – Der hörte, daß er gemeint war, und drehte sich um:
»Ich?«
»Ja, du! Meine Tochter hatte in ihrem Elternhause immer nur das beste Beispiel vor Augen gehabt ...«
»Ja, und ...?«
»Wer hat ihr die schlechten Gedanken in den Kopf gesetzt? Du, mein lieber Thomas, bist ja überhaupt nicht erzogen worden ... Und was du aus ungesunden Romanen zusammengelesen hattest ...«
»Sag' mal, was soll dieses unsinnige Gerede?« fragte Thomas. »Was willst du damit eigentlich sagen?«
»Wenn du ihr keine romantischen Liebesgeschichten in den Kopf gesetzt hättest ...!«
»Was soll das heißen?« rief Annemarie und starrte ihren Vater mit aufgerissenen Augen an. Ihre Lippen blieben halb geöffnet, und ihre Brust arbeitete heftig.
»Jetzt sprich, bitte!« sagte Thomas sehr erregt zum Staatsrat.
»Ich werde mich wahrhaftig nicht genieren!« erwiderte der scharf. »Du weißt es ja selbst ganz genau. – Hätte sich ein junges Mädchen mit der Erziehung sonst so weit vergessen, eine Liebelei mit einem grünen Jungen anzufangen, wie du einer warst?«
»Das hast du gewußt!« rief Thomas.
»Und hast nie ein Wort davon gesagt!« flüsterte Annemarie.
»Was hätten Reden geholfen! Ich habe gehandelt.«
»Und mich an Woldemar Bökh verheiratet!«
»Das schreib' dir selber zu! Woldemar hatte schwere Charakterfehler, gewiß! Die ganze Sache ist vielleicht etwas übereilt zustande gekommen. Aber was sollte ich sonst tun? Dieser Ausweg bot sich gerade ... Und die Folgen sind dein Werk. Schreib' es dir selbst zu und Thomas! Ich wasche meine Hände in Unschuld.«
Ein Schweigen folgte darauf, währenddessen nur Annemariens hastiger Atem hörbar war. Thomas setzte ein paarmal vergeblich zum Sprechen an, mit zornig geballten Fäusten ... Dann aber sagte er mit einer wegwerfenden Gebärde und hölzernem Auflachen:
»Nein, werden wir nicht pathetisch! – Ja, ja, ja, ich glaub' dir schon. Du hast es natürlich gut gemeint. Ihr meint es ja immer gut. Dankt euerm Herrgott, daß er euch mit einem Brett vorm Kopf zur Welt kommen ließ, ihr guten Bürger!«
»Bitte sehr, ich sehe in unserm guten Bürgerstand ...«
»Die einzige Hoffnung für die Zukunft der Menschheit siehst du darin, ich weiß schon! – Ja, natürlich, für dich mußte diese junge Liebe Sünde sein! Was wißt ihr auch von Reinheit!«
»Du bist wohl verrückt?« unterbrach ihn der Staatsrat grob. »Wo findet man heutzutage noch Reinheit ...?«
»... als bei euch, nicht wahr? Ja, aller Schmutz hat sich in eure Gedanken geflüchtet! Ihr seid so rein, daß ... Ich weiß ja, wie ihr in euern guten Bürgerhäusern die Köpfe zusammensteckt und mit wollüstigem Grausen über alles tuschelt und klatscht, was nicht euern Stempel trägt; und mag es so rein sein wie die erste Liebe von zwei gesunden, unverdorbenen jungen Menschen!«
Der Staatsrat lächelte überlegen.
»Mein lieber Thomas, ich sehe, mit dir kann man darüber nicht diskutieren. Du scheinst mir heute noch auf einem recht grünen Standpunkt zu stehen. – Man verheiratet doch nicht zwei Leute mit zwanzig Jahren ...«
»Warum nicht?« fragte Annemarie, die die ganze Zeit schweigend vor sich hingestarrt hatte, mit einer sonderbar abwesenden Stimme.
»Weil man's nicht tut! – Und wenn wir's getan hätten ...? Ihr beide ...! Ihr habt ja eure Lebenstüchtigkeit so glänzend bewiesen, daß ihr zusammen erst das Wunderbarste erreicht hättet!«
Thomas richtete sich auf und sagte, kalt abschneidend:
»Willst du uns vielleicht jetzt sagen, was du hier eigentlich wünschest?«
»Jawohl, kommen wir zur Sache! Es ist auch gescheiter.«
»Also, bitte!«
»Weswegen ich hier bin, könnt ihr euch doch wohl denken ...«
»Ja, so weit kennen Wir dich. Aber präzisiere deine Wünsche, bitte!«
»Dieser Skandal hier kann nicht so fortgehen!« sagte der Staatsrat scharf.
»Was für ein Skandal?«
»Ich nenne das Skandal! – Genug! Hört mich jetzt gefälligst erst ruhig an! Nämlich ... Ich glaube ... Ich will ... Meine Vorschläge sind für euch durchaus annehmbar ... Ich bin bereit, Opfer zu bringen ...«
»Aha, für den Namen ...?«
»... Opfer, die eigentlich größer sind, als ich meinen andern Kindern gegenüber verantworten kann ...«
»Also Geld, wenn ich recht verstehe,« sagte Thomas.
Der Staatsrat zog zwei in grünen Kaliko geheftete Büchlein aus seiner Brusttasche und legte sie auf den Tisch.
»Dies sind zunächst mal eure Pässe,« sagte er kühl.
»Pässe?« rief Annemarie und sah ihren Vater gespannt an, was dieser mit einem befriedigten Lächeln bemerkte, während Thomas ihr zuwinkte, sie möchte schweigen.
»Jawohl,« erläuterte der Staatsrat, »Reisepässe nach Amerika.«
»Du entwickelst ja eine wahrhaft Bret-Hartische Phantasie!«
»Ja, aber, Thomas ... Papa ...,« wollte Annemarie anfangen, Thomas jedoch schnitt ihr das Wort ab:
»Nein, warte, Annemarie! Laß deinen Vater sich doch erst näher erklären!«
Der Staatsrat zeigte ein befriedigtes Lächeln und fuhr fort:
»Ich verlange nur, daß ihr nach Amerika auswandert, und biete euch dagegen folgendes: Erstens erhält Annemarie von mir dreitausend Rubel in einem Scheck auf Newyork. Zweitens kaufe ich dir, Thomas, die von meiner Schwester Leocadie ererbten Industriepapiere ab. Sie sind momentan schwer veräußerlich; du würdest von andrer Seite höchstens dreiundzwanzigtausend Rubel dafür erhalten. Ich gebe dir dreißig Mille dafür, gleichfalls in einem Scheck auf Newyork. Ferner besitzest du noch dieses Haus mit der halben Lofstelle Grund. Es ist so gut wie unverkäuflich bei den heutigen Zeiten. Ich kann es gut zur Vergrößerung meines Höfchens brauchen. – Die alte Kiffe hier würde ich natürlich abreißen. – Ich biete dir den – wie jeder Sachverständige dir bestätigen wird – ganz außerordentlich hohen Preis von sechstausend Rubeln dafür, fünf Mille davon gleichfalls in einem Scheck auf Newyork. Den Rest von eintausend Rubeln würde ich dir bar ausbezahlen, damit ihr auf der Reise für alle Eventualitäten vorgesehen seid ...«
»Ich danke dir recht schön,« lächelte Thomas sarkastisch.
»Ferner bezahle ich euch die Überfahrt von Hamburg nach Newyork, zweiter Kajüte, wie es euern Verhältnissen angemessen ist. – Ich denke, so etwas wird euch zum zweitenmal nicht geboten. Ihr könnt es ruhig annehmen. – Ihr braucht euch zu nichts weiter zu verpflichten. Denn wenn ihr drüben was erreicht – und die Mittel dazu habt ihr reichlich – dann bleibt ihr sowieso drüben; und macht ihr's wie früher und verquackelt ihr euer Geld wieder, dann ist ja dafür gesorgt, daß euch die Möglichkeit zur Rückkehr abgeschnitten ist.«
Thomas hatte seinen Onkel ruhig aussprechen lassen, und sein Gesicht war dabei immer heiterer geworden. Als der Staatsrat jetzt seine Augen fragend von ihm zu Annemarien schweifen ließ, sagte er:
»Lieber Onkel Albert, ich gestehe gern, daß deine Pläne ungemein sinnreich und menschenfreundlich ausgedacht sind ... Aber du wirst dein Höfchen bis auf weitres nicht vergrößern können, so gern ich dir gefällig wäre.«
Annemarie fiel hastig ein:
»Ja aber, Thomas, ich ...!«
»Nein, Annemarie!« sagte Thomas eindringlich. »Sag' jetzt nichts! Ich bitte dich darum!«
»Aber ...«
»Nein, Annemarie! – Außerdem braucht die Sache ja nicht heute entschieden zu werden ...«
Wieder streifte der Staatsrat seine Tochter mit einem befriedigten Blick und antwortete Thomasen:
»Durchaus nicht. Das Schiff nach Lübeck, mit dem ihr reisen sollt, geht Sonnabend früh. Bis Freitag vormittag könnt ihr euch die Sache überlegen. Annemarie scheint ja nicht abgeneigt zu sein ... Und du, lieber Thomas ...«
Annemarie trat einen Schritt vor:
»Papa, du siehst die Sache ...«
Thomas ging auf sie zu:
»Annemarie, es muß ja doch nicht übers Knie gebrochen werden! Du hörst ja: du hast Bedenkzeit bis Freitag früh!«
Sie sah ihn erstaunt an, verstummte aber vor seinem Blick. Der Staatsrat sagte:
»Du, Thomas, scheinst mir nicht zu wollen? – Ich hoffe dringend, daß du dir das noch überlegst! Vergiß auch nicht, was ich dir heute schon einmal gesagt habe: Mein Einfluß hier ist doch nicht zu unterschätzen. Ich könnte dir sehr unbequem werden ...«
»Laß doch diese düstern Drohungen! Ich möchte wirklich wissen, wovor ich mich zu fürchten brauchte.«
»Na, sehen wir davon ab!« Der Staatsrat maß Annemarien mit einem lächelnden Blick und sah dann wieder Thomasen an. »Ich bin überzeugt, daß du dir's noch überlegst. Ich erwarte euch also Freitag früh um elf Uhr bei meinem alten Freunde, Notarius publicus Praetorius in der Kalkstraße. Es wird alles vorbereitet sein. Ihr braucht nur zu unterschreiben. Also: Freitag um elf! Auf Wiedersehen!«
Damit ging er. In der Tür sah er sich noch einmal mit einem schlauen Lächeln nach Annemarien um, die regungslos dastand und ihm den Rücken zeigte. – Sie hörten ihn draußen mit Scharren und Klopfen seine Galoschen anziehen und den Regenschirm aufspannen. Endlich fiel die Zauntür mit einem hölzernen Schlage zu. Im Zimmer lag auf einmal eine große, fühlbare Stille, in der das einförmige Trommeln des Regens aus dem Pappdache der Veranda eine drohende Stimme gewann, die zu wachsen und zu schwellen schien.
Annemarie stieß einen Seufzer aus, und es war, als käme die ganze Luft des Zimmers davon ins Zittern. Sie fühlten beide, daß etwas Neues zwischen sie getreten war und heimliche Fäden von ihm zu ihr spann. Sie schoben das erste Wort hinaus und lauschten dem Singen des Regens.
Wie eine Erlösung war es, als die Tür aufging und Lene hereinkam.
»Was wollen Sie, Lene?« fragte Thomas gleichsam erwachend und zerstreut.
»Ofen zumachen.« Die alte Magd schob mit dem Schürhaken die Kohlen ganz nach hinten auf einen Haufen, damit sie die Glut länger bewahrten. Dann schloß sie die beiden Türen und drehte den federnden Griff um.
»Am Spelt komm ich nich an, Herr Thomas. Können Sie vielleicht zumachen?«
Er ging hin, streckte den Arm in den Raum zwischen Ofen und Wand und schloß die Klappe zum Schornstein. Lene aber blieb noch stehen und wischte mit den Händen auf ihrer Schürze herum.
»War Herr Staatsrat hier?« fragte sie schließlich möglichst unbefangen und faßte dabei den Papierkorb neben dem Schreibtisch ins Auge.
»Woher wissen Sie das?« fragte Thomas hastig. – Lene wurde rot.
»Ach, ich hab' gedacht ...«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Wenn er so schreit ...!« stieß Lene trotzig hervor und wollte sich, seitwärts gehend, zur Tür hin drücken.
»Halt!« rief Thomas. »Sie haben also gehorcht, Lene?«
Annemarie wendete sich um und sagte mit ruhiger Stimme:
»Dann haben Sie meinem Vater geschrieben, daß ich hier bin.«
»Was brauch' ich schreiben? Was jeht das mir an?« entgegnete Lene beinahe grob. »Lassen Se mir in meine Kiche, Herr Thomas!«
In ihrer Antwort lag ein trotziges Geständnis.
»Lene, Lene!« sagte Thomas kopfschüttelnd und wollte noch nicht recht daran glauben.
»Herr Thomas is viel zu gut,« stieß Lene ziemlich rätselhaft hervor.
»Gegen mich wohl?« fragte Annemarie, empfindlich wie eine echte Frau.
»Ich sag' nichts auf Ihnen, Frau Annemarie. Aber Herr Thomas hat hier so gutes Leben gehabt ... Und was wollen Sie hier?«
»Lene!« warnte Thomas.
»Ja, un getreimt hab' ich auch!«
»Geträumt!«
»Vorjestern is meine selje Frau an mein Bett jekommen – ganz grau hat se ausjesehn – und denn hat se jesagt: Lene, hat se jesagt, es kommt Unglick, und Sie missen helfen, Lene, hat se jesagt.«
»Schweigen Sie doch von dem Unsinn!« fuhr Thomas ärgerlich auf.
»Is kein Unsinn nich!« erwiderte Lene gekränkt.
Thomas wollte etwas sagen, aber Annemarie wehrte ihm matt mit der Hand.
»Ach laß doch! Sie meint es ja gut mit dir. Und ich ... Wer meint es denn mit mir überhaupt gut ...? Ich ... Ach, lassen wir es!«
Lene sah mit großen Augen, in die langsam das Wasser trat, zu Annemarien hinüber:
»Ich hab' ja nich ... ich hab' ja nich jewollt ...« stammelte sie auf einmal und begann zu schluchzen. Sie stieß noch hervor: »Nichts nich ...!« und lief hinaus, einen Schürzenzipfel an die Augen gedrückt.
Thomas leitete irgend etwas, was er sagen wollte – was eigentlich, wußte er selber nicht genau – mit einer unbeholfenen Gebärde beider Hände ein, aber Annemarie nahm vor ihm das Wort:
»Ach laß nur! Im Grunde hat sie ja recht, obschon ... Von ihrem Standpunkt haben sie ja alle recht ...« Sie schwieg einen Augenblick sinnend, dann fuhr sie in anderm Tone fort: »Es ist ja auch einerlei, ich hab' mir auch nie so besondere Mühe gegeben, den Leuten eine andre Meinung von mir beizubringen ... Nur dir gegenüber; aber ... Du kannst mir wirklich glauben: so wie ich mit dir gesprochen habe ... Es ist sonst gar nicht meine Art ...«
»Tut es dir leid?« fragte er ein wenig erstaunt.
»N–nein ... Ja! Ich weiß nicht ... Man hat manchmal das Bedürfnis, sich mitzuteilen ... Es ist ja auch einerlei.«
Thomas sah sie mit einem forschenden Blick an und wußte nichts darauf zu sagen. Sie setzte sich in eine Ecke des Diwans, hinter den runden Tisch, stützte ihr Kinn in die Hand und starrte in die leise kochende Flamme der Lampe ...
»Sag' mal, Thomas,« fragte sie dann plötzlich, »warum ...? Warum wolltest du, daß ich Papa nicht gleich heute Bescheid sagen sollte?«
Er wand seinen Hals unbehaglich im Kragen und antwortete erst nach einigen Augenblicken, mit gleichsam tastender Stimme:
»Es hat ja Zeit ... So wichtige Entscheidungen darf man auch nicht übers Knie brechen ...«
»Ja, aber ... Und ... Und hast du denn nicht das Gefühl, daß du ... Daß ich dadurch gewissermaßen ... Daß Papa dadurch in seiner Meinung bestärkt werden mußte?«
»Was für eine Meinung?« fragte er, obgleich er sie sofort verstand.
»Ja ... daß hier zwischen uns Beziehungen beständen, die ... die in Wirklichkeit nicht bestehen ...«
»Annemarie, verzeih mir,« bat er, »daran ... Ich hab' wirklich nicht daran gedacht!«
»Das weiß ich ja, Thomas. Und schließlich ... Es ist ja auch einerlei.« – Thomas war in den Schatten getreten und wendete dort noch den Kopf von ihr weg.
»Ja, aber gerade Amerika ...,« stammelte er, um das Gespräch abzulenken.
»Amerika oder sonstwo ... Ich nehme Papas Angebot für meine Person an.«
»Ja, aber Amerika ...,« sagte er noch einmal und trat zu ihr hin und legte seine Hand, ohne dessen bewußt zu werden, auf ihren Arm. Sie ergriff diese Hand mit leichtem Druck und ließ sie dann fallen.
»Ja, kannst du denn Englisch?« rief er plötzlich aus seiner Verlegenheit heraus.
»Leider nur wenig, aber ... Für die erste Zeit ist ja gesorgt, und ich lern's schon. Ach, ich werd' schon etwas finden. Und wenn ich Dienstmädchen werden müßte ...!«
»Was sind das für romantische Ideen, Annemarie!« sagte er und ertappte seine Hand, wie sie sich schon wieder auf ihren Arm legen wollte. Er kreuzte die Arme hastig über der Brust. Ein unklarer, weicher Drang war in ihm, noch allerlei zu sagen, aber er schwieg. Auch sie blickte stumm in die Flamme. – Da wendete er sich schnell auf dem Absatz um und ging ein paarmal im Zimmer auf und nieder. Endlich machte er am Tische Halt und ergriff die Pässe, die der Staatsrat da hatte liegen lassen. Er schlug den einen auf und schaute hinein. In möglichst leichtem Tone sagte er dann:
»Ach ja, ich bin ja erblicher Ehrenbürger! Daran hatte ich wirklich lange nicht gedacht. – Großartig ist er schon in seiner Art, dein Vater. Er bringt gleich die Pässe mit! Er zweifelt gar nicht daran, daß er erreicht, was er will. – Eigentlich sind solche Menschen doch glücklich ...«
»Ich weiß nicht ...« sagte Annemarie nachdenklich.
»Er sieht überhaupt keine Hindernisse. Als ob er Scheuklappen anhätte ... Na ja, das gehört wohl dazu, damit einer den Mut hat, für andre Leute Schicksal zu spielen ...« So war Thomas denn auf dem Punkt angelangt, um den sie beide die ganze Zeit herumgegangen waren. Annemarie nickte leise und stieß einen Seufzer hervor. Er trat wieder zu ihr und stützte die Hände auf die Armlehne des Diwans.
»Annemarie!« flüsterte er in gleichem, singendem Tonfall, »so hat er für uns Schicksal gespielt. – Wie anders hätte alles kommen können ...«
Sie wand sich leise auf ihrem Platze und erwiderte matt:
»Ach ja ... Was hat's für einen Zweck, darüber nachzudenken!«
Da riß es sich aus einmal aus ihm los:
»Annemarie!« Er faßte ihre Hand mit seinen beiden Händen und sank zu ihren Füßen hin. Sein Gesicht bettete er auf ihre Knie und schlang seine Arme um ihren Leib. »Annemarie!«
Sie saß wie versteinert; ihre Augen starrten, ohne zu sehen, geradeaus und füllten sich langsam mit Tränen. Sacht legte sie ihre Hand auf seinen Kopf, und ihre Finger begannen hastig in seinem Haar zu spielen. Er ergriff diese Hand und begann sie mit Küssen zu bedecken.
»Annemarie!« flüsterte er dabei immer wieder mit trocknen Lippen und sah zu ihr hinauf.
Auf einmal ging ein schiefes Zucken über ihr Gesicht. Sie drängte Thomasen von sich fort, heftig beinahe. Dann stand sie auf, trat mitten ins Zimmer, tupfte sich mit dem Taschentuche die Tränen fort, schüttelte ihren Rock zurecht und glättete sich die Haare.
»Annemarie!« stammelte er leise, in bittendem und erstauntem Tone.
»Nein!« sagte sie mit einem kühl ironischen Blick auf ihn; aber in ihrer Stimme klang ein Schmerz mit: »Nein, du täuschest dich doch in mir.«
»Annemarie, wie kannst du nur so ...!«
»Ich sag' dir ja, du täuschest dich in mir.«
Ein Klappern von Gläsern und Tellern kündete Lenens Eintritt an. Thomas warf Annemarien einen gekränkten Blick zu und ging an den Ofen, wo er so tat, als wärme er sich die Hände. Annemarie stellte sich an die Balkontür und blickte ins Dunkel hinaus.
Lene setzte das Teebrett mit dem Geschirr auf einen Stuhl. Ihr Gesicht war rot und geschwollen vom Weinen. Schüchtern trat sie auf Annemarien zu und sagte:
»Frau Annemarie, sein Se nich beese auf mir. Ich hab' dumm jemacht. Ich hätt' schon verninftiger auch sein kennen, alte Person! Wenn man grade klug sein will und will recht gut machen, denn zeigt einem lieber Gott, wie dumm man is. Sein Se nich traurig, Frau Annemarie, ich kann nich aushalten, wenn ich schuld bin!« Sie ergriff Annemariens Arm und küßte den Ärmel. Der aber war es, als spräche Lene von einer längst vergessenen Sache; und sie erwiderte müde:
»Lassen Sie nur gut sein, Lene! Es ist ja nichts dabei.«
»Sehn Se, Frau Annemarie, was gehn uns die Leute an! Ich bin ja so dumm! Wenn lieber Gott will, wird schon alles gut jehn. Ich will auch beten, Frau Annemarie. Wenn lieber Gott nich jewollt hätte, daß Sie bei uns kommen sollen, dann hätte er Ihnen nich herkommen lassen. – Un ich hab' jeglaubt ... Un so dumm! Und Herr Staatsrat is doch gegen mir auch immer so beese jewesen ... Aber ich ...! Sein Se nich beese aus mir, Frau Annemarie, und Sie auch nich, Herr Thomas ... Un wenn die andern kommen, is die Lene auch noch da ... Wir halten zusammen, und was kann Herr Staatsrat machen! Was kann da sein! Was jehen uns die Leite an! – Un Sparjeln hab ich auch jekocht!« verkündete Lene triumphierend als Schlußeffekt, als böte sie damit der ganzen Welt Trotz.
Annemarie mußte unwillkürlich auflachen, und Lene fing auch zu lachen an.
»Wenn Frau Annemarie lacht, is schon gut,« sagte sie. »Und jetzt jeh ich heraußer und mach die Laden zu. Kennen Sie zuschrauben, Herr Thomas?«
*
Thomas ging von Fenster zu Fenster und schraubte die Laden zu, die Lene von außen andrückte. Die ausgeschnittenen Herzen standen kohlschwarz auf den gelben Brettern. Und wie so ein Fenster nach dem andern verbarrikadiert wurde, war es den beiden, als richte sich eine Mauer hinter der andern auf, zwischen ihnen und der Welt da draußen, als schließe sich ihr Schicksal mit ihnen ein in eine tiefe, schwüle, süße, unentrinnbare Einsamkeit ...
Aber sie gingen und sprachen mit geheuchelter Blindheit aneinander und an ihrem Schicksal vorüber. Jahre waren weggewischt aus ihrem Leben; wie mit zwanzig waren sie wieder und gefielen sich in der koketten Selbstquälerei, in dem hoffenden Schmollen sehr junger Liebesleute. Und ihr Schicksal stand mit einem rätselhaft ruhigen Lächeln und stillen, zwingenden Augen aufrecht in einer Ecke des Zimmers und rührte sich nicht. Hatte es diese beiden Menschen doch hinter zehnfache Mauern verschlossen, um die noch die Nacht unablässig ihre heimlichen Netze wob ...
*
Der Abend wurde nicht sehr gemütlich. Thomas zeigte, daß er verstimmt war, und trug eine ironische Einsilbigkeit zur Schau; Annemarie wiederum war von einer fahrigen Beredtheit, die ihre Gegenstände von überall her holte und nur das sorgfältig mied, woran sie beide dachten. Am meisten wurde von August gesprochen. Dabei suchten sie sich innerlich einzureden, daß sie seine Heimkehr aus der Stadt herbeisehnten, damit sie diesem schwülen Alleinsein ein Ende mache. Sie gestanden sich nicht, daß ihre Gefühle heimlich auf das Gegenteil ausgingen und drängend von etwas sprachen, was geschehen müßte, bevor dieser dritte wieder bei ihnen wäre. – Aber es geschah nichts, und sie empfanden gleichzeitig die feige Erleichterung des Aufschubs und das gepreßte Bedauern um die versäumte Stunde, als Thomas nach der Uhr sah und sagte, es wäre halb elf, der Regen schiene nachgelassen zu haben; ob sie nicht Lust hätte, August vom Bahnhof abzuholen?
»Ja,« erwiderte sie schnell, »ich zieh meinen Regenmantel an. Man ist heute ja noch gar nicht an die Luft gekommen.«
*
Auf dem langen Bahnsteige herrschte ein mattes Halbdunkel. Die vereinzelten Petroleumlaternen warfen ein machtloses Licht und beleuchteten eigentlich immer nur ein Stückchen der Holzwand, an der sie hingen. Thomas und Annemarie blieben einen Augenblick vor dem Fenster des Telegraphenzimmers stehen und schauten hinein. Es lag verlassen im dämmerigen Lichte der Lampe, die einen grünen Schirm trug: nur der Tisch mit dem Apparate empfing ihr Licht; rötliches Messing glänzte proper und gemütlich.
Sie gingen weiter und blickten in den öden Wartesaal erster Klasse hinein. Der Stationsassistent mit seiner roten Mütze und der Telegraphist standen am Büfett und unterhielten sich mit Herrn Ohsoling.
Thomas sah nach der Uhr und deutete mit dem Kopfe durchs Fenster.
»Gehen wir ein bißchen hinein? Wir haben noch gut eine Viertelstunde?«
»Nein, bleiben wir draußen!« entgegnete Annemarie. »Da drin sieht es ja noch ungemütlicher aus.«
Sie gingen langsam bis an das Ende des Perrons, wo es ganz dunkel war. Dann drehten sie um. Als sie sich wieder dem Fenster des Telegraphenzimmers näherten, vernahmen sie das hastige Klopfen des Apparates. Thomas schaute hinein.
»Der Apparat ruft B–L–D–R,« sagte er zu Annemarien, »das bedeutet Bilderlingshof. Und der Room, der Telegraphist, ist am Büfett. Ich wills ihm mal sagen!«
Er holte den Mann und stellte sich dann wieder neben Annemarien ans Fenster. Der Beamte zündete sich drinnen noch in aller Ruhe eine Zigarette an; dann griff er nach dem Taster und antwortete.
Thomas und Annemarie gingen weiter. Nach zwei Minuten etwa kam der Telegraphist und übergab Thomasen ein noch nicht zusammengefaltetes Telegrammformular:
»Für Ihnen, Herr Kerkhoven!«
Ein freudiger Schreck durchzuckte Thomasen. Er trat unter eine Laterne und entzifferte mühsam die langen, dünnen Bleistiftzüge.
»Was ists?« fragte Annemarie mit unsichrer Stimme.
Er las:
»Stürmischer, glänzender Erfolg. Sieben Lorbeerkränze. Verpflichtungen gegen alte Freunde machen. Kommen unmöglich. Plätze für morgen besorgt. Kommt unbedingt. Gruß. August.«
*
Sie gingen heim, Arm in Arm unter dem Regenschirm, dem tastenden Schein der Laterne folgend, schweigsam beide. Sie brauchten sich nichts mehr zu sagen, sie wußten: zu Hause in der dunkelsten Ecke des warmen Wohnzimmers stand ihr Schicksal und wartete auf sie. In gleichem, beflügeltem Takt schlugen ihre Herzen, ging ihr Atem durch leicht geöffnete Lippen. Sie hatten sich ergeben in ihr Glück und alle Bedenken der Erfahrung, jede Sorge um den kommenden Tag schlafen geschickt.
Als sie auf die Veranda traten, in den Schein, der durch die Glastür herausfiel, legte Thomas seinen Arm um ihren Leib, zog sie an sich und drückte seinen Mund auf ihren. Und sie nahm den Kuß, den Kopf in den Nacken gelegt, mit gesenkten Lidern. Da war kein Fragen und kein Wehren; es war alles selbstverständlich.
Annemarie machte sich leise und zärtlich frei:
»Gleich, Thomas,« sagte sie lächelnd und mit einer sehr klaren Stimme, in der keine Befangenheit war, »ich bin ja naß bis auf die Haut. Ich zieh mich um, ganz schnell, und bin gleich wieder da.«
Sie blieb lange fort. Thomas sehnte sich nach ihr, genoß aber dabei das Gefühl ihrer Nähe; so war es eine beglückende Sehnsucht ohne Unruhe.
Als er sie am wenigsten erwartete, stand sie auf einmal in der offnen Tür und sah ihn mit glänzenden Augen an, nun doch in einem süßen Erröten. Sie trug ein weich fallendes Morgenkleid aus weißer Wolle, mit türkisch bunten Kaschmirstreifen besetzt. Die weiten, spitz hängenden Ärmel verhüllten ihre Arme nur bis zum Ellbogen, der Hals hob sich frei und erschien fast zu schlank für den Kopf mit der schweren Fülle der Haare, die sie tief im Nacken zu einem Knoten zusammengerafft hatte.
»Da bin ich!« sagte sie und lächelte dazu. Und dann, da er in scheuer Andacht stand und sich nicht rührte: »Du mußt mich nicht so ansehn.«
Sie ging auf ihn zu, legte die gefalteten Hände auf seine Schulter und reichte ihm ihre Lippen. Da riß er sie an sich, daß ihr Leib sich unter seiner Gewalt bog, und küßte sie. Ein Rauschen war in ihren Ohren, als schwelle ein Meer über ihre Köpfe empor.
»Endlich, endlich!« flüsterte Thomas.
»Thomas!« sagte sie mit schwankender Stimme und drückte seine Hand fest und innig. Dann ging sie zum Diwan und führte ihn an der Hand hinter sich her. Sie saßen nebeneinander, zusammengeschmiegt.
Sie trug kein Schmuckstück. Alles hatte sie abgelegt, was an den andern hätte erinnern können, von dem sie gekommen war.
Dieser Gedanke schlug plötzlich in Thomasens Seele. Die andern ...! Seine Hände, die unter ihren weiten Ärmeln die kühl elastischen Arme hinaufgeglitten waren, krampften sich in jähem Zorn zusammen, daß sie aufschrie:
»Thomas, du tust mir weh!«
Er ließ mit dem Druck ein wenig nach und starrte ins Leere. Eine fliegende Hitze jagte über seine Haut, das Blut strömte ihm gleichsam in die Augen, daß es dunkel wurde im Zimmer. Die weißen, feierlich wallenden Flammen seiner Liebe wurden düsterrot ...
Annemariens Arme, von denen die Ärmel zurückgeglitten waren, preßten sich um seinen Hals. Sie hatte ihren Kopf tief in den Nacken gebogen und sah ihn unter gesenkten Lidern hervor an; ihre Zähne glänzten, ein weißer Streifen, hungrig zwischen den Lippen ...
In der dunkelsten Ecke des Zimmers stand unbeweglich ihr Schicksal. Die wilden Flammen spiegelten sich in seinen Augen als zwei helle, ruhig leuchtende Sterne. Und die stammelnden Schreie der Leidenschaft hörte es zusammenklingen mit der großen Melodie der aus sich selbst tönenden, kreisenden Welten. – Das Schicksal sieht und hört mehr als die Menschen und weiß immer das Ganze ...
*
Thomas erwachte aus einem bleischweren Schlafe und setzte sich im Bett auf. Seine Augen starrten verwundert umher, als wäre er noch im Traume, und erst allmählich sonderte seine Erinnerung heraus, was Wirklichkeit gewesen war.
In der Espe vor dem Fenster zeterten ein paar Spatzen eifrig und voll naiver Wichtigtuerei. Der Sonnenschein kam anders ins Fenster geflossen, als sonst bei Thomasens Erwachen: das goldne Bild des Fensters mit dem schwarzen Kreuze darin stand nicht, zur Raute verschoben, an der Wand, sondern lag, in die Länge gezerrt, auf den weiß gescheuerten Dielen.
Thomas stützte sich auf den Ellbogen und sah nach der Uhr auf dem Nachttisch. Seine Brauen hoben sich ungläubig, dann hielt er sie ans Ohr. Natürlich hatte er sie aufzuziehen vergessen. Er lächelte, und auf einmal wurde es ganz hell und ganz still in ihm. Er schlang die Arme um seine heraufgezognen Beine, stützte das Kinn auf die Knie und schaute auf das Waffelmuster seiner Pikeedecke, dessen Linien er verfolgte, ohne sich dessen bewußt zu werden. Denn eigentlich sah er ganz andre Dinge, kleine und feine Dinge: den Tonfall eines Wortes, die Linie einer Gebärde, alle die kleinen, köstlichen Überraschungen, die ihm wie hundert Goldproben erschienen: Proben auf den Persönlichkeitsgehalt der Geliebten. Da war nichts gewesen, was ihn gestört hätte. Jeder dieser feinen Striche fügte sich glücklich in das Bild eines runden, ganzen Menschen ...
Junge, dachte Thomas, du bist halt verliebt! Sonst hättest du vielleicht auch philisterhaft herumzukritteln an ihr. – Na ja, und wenn schon ...! Sind wir nicht alle kalt- und engherzige Philister den andern gegenüber, wo wir nicht lieben? – Sein wir froh, daß wir verliebt sind! Und er bekam eine so heftige Sehnsucht nach ihr, daß er mit beiden Füßen zugleich aus dem Bette sprang.
Der Kaffeetisch war heute auf der Veranda gedeckt. Annemarie saß träumend in einem der großen Korbstühle, in ihrer Haltung eine glückliche Hingebung. Sie trug dasselbe leichte Morgenkleid, und ihr Haar lag in demselben schweren Knoten wie heute nacht, als sie zu ihm gekommen war, bräutlich errötend. Jetzt glich sie einer ganz jungen Frau, die in träumender Würde neue Geheimnisse trägt, einer der seltnen jungen Frauen, denen sich die Liebe als heiliges Mysterium enthüllt hat, und nicht als ein brutaler, tierischer Akt.
Sie hatte Thomasen nicht kommen hören, er stand in der Tür und sah sie an, trotz seiner Sehnsucht zaudernd, wie ein Kind, das die Freude der Erwartung länger genießen möchte. Da fühlte sie plötzlich, daß er da war, und blickte auf.
»Endlich, Langschläfer!« drohte sie und ging ihm leicht und selbstverständlich entgegen und reichte ihm ihre Lippen.
»Annemarie!« sagte er mit einer Stimme, in der freudige Rührung schwoll, und zog sie an sich. Sie sagte:
»Frechheit, mich so lange warten zu lassen! Die Lene hat den Kaffee warm gestellt. Ich hol ihn.«
»Nein!« bat er. »Es hat ja keine Eile.«
Sie war schon an der Tür und rief zurück:
»Nein, nur von Luft und Liebe leben, das führen wir doch nicht ein. Und wenn du willst ... Ich bin ein gewöhnlicher Erdenmensch und habe auch noch nichts genossen.« Damit lief sie davon und kam mit der Kaffeekanne wieder.
»Heute soll es dir mal gut gehn,« sagte sie, »ich schmiere dir höchsteigenhändig dein Rundstück.«
Er faßte ihre Hände, daß sie das Brötchen und das Messer fallen lassen mußte, und zog sie wieder an sich.
»Nun?« fragte er leise an ihrem Ohr, »willst du noch nach Amerika?«
»Esel!« lachte sie und gab ihm einen Kuß.
Da trat Lene aus der Tür und prallte förmlich zurück.
»Sie haben den Schmand vergessen, Frau Annemarie,« sagte sie verdrossen und stellte die Kanne auf den Tisch.
»Ja, Lene,« sagte Annemarie lächelnd, »nun gibt es kein Heimlichtun mehr, Sie haben das Entsetzliche gesehen.«
»Ich seh nichts nich, was mir nichts anjeht,« war die brummige Antwort.
Annemarie wendete sich munter an Thomasen:
»Lene hat so was ... Sie vertritt bei uns die Schwiegermutter.«
Lene sagte hastig:
»Schwiejermutter is Deiwel sein Unterfutter. Ich weiß schon, was Frau Annemarie meint.«
»O nein, das meine ich aber gar nicht. Na, Lene, machen Sie kein so böses Gesicht.«
»Ich bin nich beese. – Ich sag nur, ich bin nich schuld.«
»Das wissen wir schon, Lene,« beruhigte sie Thomas.
»Ich hab jesagt, es paßt sich nich. Und jetzt glaub ich, wird Frau Annemarie selbst lieber bei Bulowski ziehn. Denn das wissen Sie auch: ein Brautpaar in ein Haus, das paßt sich nich. Das weiß jeder! Nu kennen Sie machen, was Sie wollen!« Damit ging sie.
»Ja, es ist ein höchst unpassender Zustand,« sagte Annemarie und schenkte Kaffee ein, »aber das ist nun mal nicht anders. – Wieviel Zucker?«
»Zwei, bitte. – Ja, aber machen wir dem unpassenden Zustand doch so bald wie möglich ein Ende!«
»Na?« fragte sie, »ist die Angst vor Lene so groß?«
»Nein, Annemarie,« er streckte ihr die Hand hin, »aber wir haben doch wirklich lange genug gewartet ...«
»Das ist ja nun vorbei!«
»Nein, Annemarie, ich meine ... Es ist so ein schöner Tag ... Machen wir einen Spaziergang am Meer, nach Dubbeln ...! Zurück können wir ja mit der Bahn fahren ...«
»Dubbeln?«
»Ja, bestellen wir gleich heute das Aufgebot, denn ...«
»Aufgebot?«
»Na ja, worauf warten wir denn?«
Annemarie machte ein ernstes Gesicht.
»Heiraten willst du mich? – Thomas, wozu brauchen wir das? Siehst du, du ...«
»Aber das ist doch so selbstverständlich ... Wenn wir uns lieb haben ...«
»... müssen wir uns gleich heiraten? – Wozu denn, Thomas? Wegen der Leute?«
»Ach, die Leute ...!« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Und für uns ...? Wozu brauchen wir das? Müssen wir uns denn binden?«
Thomas erwiderte in leicht gekränktem Tone:
»Du riskierst es mit mir wohl nicht gern?«
»Liebster, sei jetzt doch nicht kindisch!«
»Du glaubst also nicht an die Dauer deiner Gefühle?«
»Ach,« wehrte sie mit einem Schatten von Ungeduld ab.
»Es soll also gleich wieder aus sein?« fragte er.
»Gleich ...?« Sie lächelte sonderbar, versonnen und glücklich zugleich. »Nein, Thomas, so bald wirst du mich nicht los. Amerika läuft mir ja nicht davon. Ein paar Wochen – Monate – bleib ich schon. Solange es dauert, wollen wir glücklich sein.«
»Kann es denn nicht für immer sein?«
»Lieber Gott! Was ist denn für immer?«
»Dann liebst du mich nicht genug! Dann kann es ja auch heute aus sein!« sagte er gekränkt.
Sie sah zu ihm hinüber, mit zärtlichen Augen und freundlich ironisch verzognem Mund.
»Ihr Männer ...! – ›Dann liebst du mich nicht genug!‹ Ach, Thomas, komisch seid ihr Männer doch! Eine gewisse Koketterie – was eine kluge Frau nur als Backfisch hat –, das behaltet ihr euer Leben lang. Große Kinder bleibt ihr immer.«
Thomas lachte – denn er fand etwas Wahres in ihrer Bemerkung –, wurde aber gleich wieder ernst und sagte:
»Aber warum willst du mich nicht heiraten?«
»Warum ...? – Ja, wozu solls denn gut sein?«
»Gut sein ...!« stieß er halb belustigt, halb verdrossen hervor.
»Ja, gut sein! – Für wen heiratet man denn? Für sich oder für die Leute?«
»Für sich und gegen die Leute. Heiraten heißt: einen Zaun um sein Glück bauen. Auf eine einsame Insel ziehen, heißt heiraten. Heiraten heißt, sich auf den Aristokraten in sich besinnen, das Interesse für Krethi und Plethi verlieren, sich beschränken, um weiter zu wirken, sich nicht mehr verlieren ans Leben, sondern Leben schaffen. – Ja, Annemarie, hast du denn gar nicht daran gedacht, daß wir Kinder haben könnten?«
»Kinder?« sagte sie sinnend und weich und reichte ihm ihre Hand, die warm und hingebend war. »Ach, Thomas, – mein kleiner Junge damals ... Es war so ein elendes Kind, man mußte dankbar sein, daß es nicht lange lebte ... Und später ... Ich habe mir nie Kinder gewünscht, nie welche wünschen können und dürfen. Das weißt du ja. Und ich will aufrichtig sein: ich hab dabei nicht nur an die Kinder gedacht ... Ich wollte jung bleiben, und ...«
»Jetzt, Thomas, ist es ganz anders ... Aber ... Siehst du, wie sollt ich nicht wollen, was du willst, und ... Aber sprechen wir doch nicht von mir! Sprechen wir von dir! Siehst du: ich ...! Mein Leben ist einmal verpfuscht ... Aber du ... Du bist Künstler ...«
»Ich wäre wirklich nicht sehr stolz, wenn bei mir der Künstler vor dem Menschen käme.«
»Das sagst du heute, Thomas. Aber es bleibt auch nicht immer so. – Heute bist du frei und dein eigner Herr ... Ich will nicht deine Fessel werden. Wenn du für eine Frau sorgen mußt, und später vielleicht gar noch für Kinder ... Dann mußt du wieder ums Brot arbeiten.«
»Annemarie, wie kannst du nur davon sprechen? Was ist denn dabei? Ich bin doch gesund, und alt bin ich auch noch nicht ... Was andre können, werd ich wohl auch noch können!«
»Ach, Thomas, das denkst du dir so schön ... Aber wenn du erst drinsteckst ... Wer weiß, wie bald du mir grollen wirst, weil ich dich hineingetrieben habe! Und dann ... Das ist ja nicht alles ... Siehst du, meine Vergangenheit ... Ich kann sie nicht aus der Welt schaffen.«
Thomas legte seine Hand auf die ihre.
»Ja, glaubst du denn wirklich, daß ich ...? Ich müßte ja ...!«
»Du müßtest kein Mann sein,« entgegnete sie mit leiser Bitterkeit.
»Nein, Annemarie,« sagte er fest, »fürchte das nicht! Siehst du, ich will dir nichts vormachen ... Ja, deine Vergangenheit frißt in mir ... Heute ... Aber wenn du ganz mein bist, für immer ... Gerade dann ... Sieh: jeder Tag, an dem du mich liebst, zerreißt vor meinen Augen einen Faden, der dich an deine Vergangenheit bindet. Ungeschehen kann man nichts machen, aber man kann sich schließlich von allem frei machen, wenn man nur ...«
Sie seufzte und schüttelte melancholisch den Kopf.
»Das denkt man sich so schön in der Theorie, aber ... Und dann,« sagte sie plötzlich in verändertem Tone, »das läuft uns ja schließlich auch nicht fort ... Das können wir später ja noch immer ...«
Thomas setzte sich neben sie auf das kleine Korbsofa und lehnte seinen Kopf an ihre Schulter.
»Annemarie,« bat er, »sei gut und tu es. Siehst du, es quält mich ... Ich hab so ein Gefühl, als ob es für dich einen Verzicht bedeutete auf Hoffnungen ... Du hast eben noch ganz andre Dinge vom Leben erwartet, als so ein bescheidnes Dasein an meiner Seite.«
Sie lächelte wehmütig.
»Ach, lieber Gott, Thomas, wer träumt sich nicht allerlei zusammen? Wer hat nicht einmal auf einen Märchenprinzen gewartet?«
»Ja, ein Märchenprinz bin ich nicht,« seufzte Thomas.
Sie küßte ihn schnell.
»Wie kannst du nur so dumm reden, Thomas! Ich weiß genau, wer ich bin, und wer du bist. Und ... Ich weiß leider auch, daß einem nichts geschenkt wird im Leben ... Nein, Thomas, ich bin viel, viel bescheidner geworden, als du glaubst! Ich ...! Ach, du lieber Gott! Aber du, siehst du ... Wenn ich doch auch ein Talent hätte, irgendeine Aufgabe ...! Eigentlich leben kann doch nur ein Künstler ...«
»Meinst du?« lächelte er trübe.
»Sieh mal, gerade wir Frauen ...! Die Männer haben doch wenigstens immer einen Beruf, ein ... Aber wir ... Die paar Jahre, wo man jung ist, vielleicht ... Aber dann ...? Was hat das ganze Leben für einen Sinn?«
»Annemarie, ich liebe dich, und du liebst mich. Ist das nicht genug?«
»Ja, wenn man verliebt ist. Heute! Und später ...?«
»Warum fragst du danach, was morgen sein wird ...! – Man soll das Morgen nicht irgendwo draußen suchen; da ist es nicht zu finden. Im Heute liegt das Morgen; die Stunde trägt alle Zukunft im Schoße. – Nach einem Beruf sehnst du dich? Nach Werken? Beruf ist immer ein Notbehelf. Unsre Kinder, das sind die Werke, die nach uns bleiben. Und diese Werke sind nicht die Frucht der Arbeit, sie sind die Frucht der Lust. Das sagt alles! – Mit der Kunst ists nicht anders. Was wird zum Kunstwerk? – Die genossene oder die durchlittne Stunde. Voll genießen und tief leiden kann aber nur, wer sich der Stunde ganz gibt!«
Annemarie legte den Arm um seinen Hals und zog seinen Kopf an sich. »Siehst du,« sagte sie, »da sagst du es ja selbst! – Die Stunde! Was hat das mit dem Heiraten zu tun! Das sind doch Fesseln für die Zukunft ...«
»Hast du denn solche Angst vor den Fesseln?«
»Nicht für mich, Thomas, aber für dich!«
»Das laß nur meine Sorge sein!« entgegnete er heiter. »Und außerdem sinds keine Fesseln. – Im Gegenteil: eine Befreiung ists. Eine Befreiung von der Zukunft. Ich weiß nicht, ob du mich verstehst ... Wie ich das meine ...?«
»Ja, daß dann die liebe Seele Ruh hat ...!«
Thomas lachte.
»Ja, ungefähr so. – Also, wie ists? Gehn wir nun zum Pastor?«
»Wenn du willst, Thomas,« sagte sie schlicht, und er küßte sie sanft auf den Mund. Es war eine Stille über diese zwei Menschen gekommen, die atmend schwoll vom Glück der Gewißheit ...
*
Das Meer kam in lustiger Brandung ans Ufer gestürmt, als Thomas und Annemarie am Strande nach Dubbeln gingen, dort beim Pastor das Aufgebot zu bestellen. Sie sahen zu, wie der nasse Boden bei jedem Schritt um ihre Füße erblich, sie folgten mit den Augen den feinen Kurven aus Sand, die die einzelnen Wellen als Zeichen zurückließen, wie weit sie gekommen waren, bevor sie die heimliche Kraft der Unterströmung ins Meer zurückgezogen hatte ...
Und Thomasens Gedanken formten sich zu Worten:
»Wenn wir verheiratet sind ...!« sagte er. »Wir können es uns so gut einrichten ... Die erste Zeit ... Da werd ich allerdings nicht viel arbeiten ... Oder vielleicht ...! Nein, ich glaube doch nicht; und es ist auch besser ... Aber ich habe ja Zeit. Zwei bis drei Jahre bleiben wir ruhig hier ... Wir können uns das ja leisten und haben keine Eile ... Und dann werd ich eine ganze Anzahl Bilder beisammen haben, die sich sehen lassen können ... Und wenn ich sie dann draußen ausstelle, eine ganze Kollektion, dann müßte es doch mit dem Teufel zugehn ...!«
»Ja, Thomas,« nickte sie, »ich bin überzeugt, deine Bilder werden Erfolg haben.«
Er lachte.
»Meine ungemalten Bilder! Ach Gott, das ist alles Zukunftsmusik! Na, schadet nichts! Und dann ziehen wir nach München, du kennst es ja noch gar nicht?«
»Nein.«
»Ach, Annemarie, wie dir München gefallen wird! Ich freu mich so, dir München zu zeigen. Das ist so recht die Stadt für dich.«
Sie drückte seinen Arm an sich und sah mit großen Augen ins Leere: in fröhliche Zukunftsbilder hinein ...
»Du mußt nicht glauben,« fuhr Thomas eifrig fort, »daß ich mich nur auf einen Erfolg meiner Bilder verlasse. Rechnen kann man mit so etwas nicht ...«
»Das kannst du ruhig!« sagte sie zuversichtlich.
»Na, das wird sich ja alles finden. Fürs erste bleiben wir ja noch lange hier.«
Ein Schatten ging über ihr Gesicht.
»Sag, Thomas ...! Müssen wir das eigentlich?«
»Ja, hast du denn keine Lust dazu?«
»Lust schon! Aber ...« Sie stockte einen Augenblick und sagte dann sehr schnell: »Wenn wir ganz weit fortgingen ... Irgendwohin, wo niemand uns kennt!«
»Sieh, Annemarie, ich muß jetzt hierbleiben. In der Heimat, Annemarie, und in der Einsamkeit, mit dir allein. – Ist das zu viel verlangt, Annemarie?«
»Ach Thomas, ich wünsch mir doch nichts, als was du willst ...«
»Du wirst sehen, Annemarie ...! Lieber Gott, was können die Leute uns denn tun!«
»Wie du willst, Thomas!« sagte sie leise, aber es klang ein Seufzer in ihrer Stimme mit, und sie blieb lange in ihren Gedanken und malte sich allerhand Demütigungen aus, die ihr hier nicht erspart bleiben würden ...
Schließlich aber nahmen seine lichten Zukunftsträume auch sie ein. Ihre Sorgen schliefen ein, und der Strom seiner Worte trug sie mit sanftem Wiegen durch die Stunden ...
*
Thomas und Annemarie saßen beim Schein der Lampe auf der Veranda. Sie stickte an einer weißflanellnen Kinderwagendecke, und er las ihr die Kritiken der berliner Blätter über seine dortige Ausstellung vor, die ein großer Erfolg gewesen war. Von zehn Bildern waren sieben verkauft worden, und Thomasens Name hatte mit einem Schlage einen guten Klang durch ganz Deutschland.
»Jetzt – das heißt, wenn das Kind da ist, und du bist wieder wohl –, jetzt könnten wir nach München ziehen,« sagte er schließlich.
»Das tun wir nicht,« entgegnete sie und erhob sich und trat auf die oberste Stufe der Freitreppe und sah in die Nacht hinaus.
»Wie ...?« fragte er überrascht. Aber sie hörte ihn nicht.
Mit einem liebevollen Blick umfing er ihre schwerfällig mütterliche Gestalt; unwillkürlich zog es ihn an ihre Seite.
»Nein, sieh den Himmel!« sagte sie.
Er legte den Arm um ihre Schultern. So vereint, blickten sie durch die schwarze Augustnacht zu den Sternen hinauf, die zahllos waren, als hätte sich der Himmel zu einem Feste illuminiert. Häufig zogen Sternschnuppen schräge Feuerstriche in das flimmernde Muster.
»Sieh, schon wieder eine ...! Und da wieder ...!« sagte Annemarie. »Heute kann man sich viel wünschen ...«
»Was brauchen wir uns noch zu wünschen?« fragte er leise. – Sie schauerte zusammen, als würde ihr die Luft zu kühl.
»Man weiß ja nie, wie es geht,« flüsterte sie bang.
Er fand kein Wort, sie zu trösten. Er verstärkte nur leise den Druck seines Armes. Und nach einer Weile fragte er dann:
»Du, Annemarie ...! Und was du vorhin sagtest ...? Daß du hier bleiben willst? Ist das dein Ernst?«
»Ja, Thomas.«
»Aber ich dachte ...«
»Willst du denn fort?«
»N–nein, Annemarie, ich ... Aber du ...!«
»Ich nicht, Thomas! Nicht mehr ...«
»Ist es dir denn hier nicht zu einsam geworden? Wolltest du denn nicht gern nach München?«
»Ja, Thomas, manchmal ... Aber hier ...! Hier wird man besser ...«
»Besser?« fragte er innig.
»Ja, und für mich ist es besser. Sieh, ich fürchte mich vor München ... Vor mir selber ... Ich bin ... Leichtsinnig bin ich ... Und wenn ich wieder so in den Trubel komme ... Ich glaube, ich werde mitgerissen. – Was ist das?« fragte sie plötzlich und deutete da hinaus, wo kleine stumme Schatten unter der Sternendecke des Himmels in unruhigen Bahnen durch das Dunkel glitten.
»Fledermäuse,« erwiderte Thomas und antwortete ihr dann: »Ja, aber ... Dann sehnst du dich heimlich doch hinaus. Du wirst hier keine Ruhe haben ...«
»O ja, Thomas,« sagte sie fest. – »Siehst du, ich weiß ja, daß ich hinaus kann ... Wenn ich will, tust du es ja ... Du bist ja so gut ... Und klug ... Mit Güte kann man mich zu allem bringen.«
»Ich will dich zu nichts bringen.«
»Das ist es eben! Weil ich es freiwillig tu ...!«
»Nun ja,« sagte Thomas, »und wenn du später willst ...«
»Nein, Thomas, später erst recht nicht! Je länger wir hier sind ...! Ja, man wird besser hier.«
»Ja, ich weiß nicht ... Und stolzer! Mancher wird sagen: eingebildeter. Je weniger man andre Leute sieht, desto ... Komisch kommen einem die Menschen vor ... Man fühlt sich ihnen so ... so überlegen!«
»Ja. gewiß,« begann Thomas zaghaft und gegen seine Überzeugung; er hatte dabei das Gefühl, als versuche er sein Glück: »Aber ist es auch recht, sich so abzuschließen? Wird man nicht zum Sonderling dabei, zum ...«
»Sonderling? – Das wäre noch nicht das Schlimmste! – Und dann: Sieh, Thomas, wir haben ja uns und ... und werden unser Kind haben ...«
»Annemarie!« flüsterte er glücklich.
»Ja, siehst du,« sagte sie, »wie du mich anders gemacht hast ...! Gerade, weil du nie versucht hast, mich zu beeinflussen. Wenn ich spreche, klingt es beinahe wie ein Echo auf deine Gedanken ...«
Er küßte sie andächtig auf die Schläfe. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
»Und jetzt wollen wir schlafen gehen; es ist spät.«
*
Um zwei Uhr in der Nacht rief Annemarie nach Thomasen.
»Du, Thomas,« sagte sie, als er wach geworden war, »ich glaube, es ist jetzt ... Ich glaube, du mußt Frau Käselau rufen lassen.«
Und nun kamen schwere Stunden, bis endlich – das Bild des Fensters stand schon als goldne Raute an der Wand – ein kleines Menschenwesen neben Annemarien lag.
»Lebt es, Frau Käselau?« fragte Annemarie matt.
»Zu was soll es nich leben!« erwiderte die weise Frau mit ihrer tiefen, rauhen und doch beruhigenden Stimme. »Ein fixes Mädchen! Sicher neun Pfund schwer!« Und in demselben Augenblick ließ das kleine sonderbare Ding ein quarrendes Weinen ertönen.
Während das Kind gebadet und in warme Tücher gehüllt wurde, saß Thomas neben Annemariens Bett und hielt ihre Hand, die sich mit schlaffem Druck um die seine rundete. Und dabei glaubte er noch das Gefühl davon in den Händen zu haben, wie sie sich daran festgekrampft hatte in ihren Nöten. An das Kind dachte er kaum; er sah nur sie, die da in den Kissen lag, unendlich matt und mit geschlossenen Augen, aber befreit und zufrieden und mütterlich stolz; zu schwach, um das alles zu denken, aber ganz hingenommen von diesen Gefühlen ...
Frau Käselau hatte das Kind sorglich in seinen Korb gebettet und war gegangen, sich durch viel Kaffee nach ihren Strapazen zu erfrischen. Es war ganz still in dem Zimmer. Die Kleine schlief, und auch Annemarie war eingeschlafen. Draußen in der Espe vor dem Fenster zeterten die Spatzen so laut, daß Thomas nervös wurde und sie am liebsten angeherrscht hätte, sie sollten schweigen. Er selbst wagte sich nicht zu rühren und hielt Annemariens Hand, bis ihm der Arm ganz lahm geworden war. Da machte er sich vorsichtig frei und ging zu seinem Kinde hinüber. Das schlief friedlich, mit geballten Fäustchen. Ein Flor von dunkeln Löckchen bäumte sich auf dem kleinen Kopfe. Auf einmal öffnete die Kleine die Augen halb und fing unglücklich zu quarren an. Thomas schaute sich hilflos um; aber Annemarie war gleich erwacht.
»Es hat Durst,« sagte sie, »nimm ein Tröpfchen Wasser auf einen Teelöffel und gib es ihm.«
Er tat das mit großer Vorsicht und Weitläufigkeit; und die Kleine hörte zu schreien auf und schmatzte befriedigt.
»Gib es mir ein bißchen herüber!« bat Annemarie.
Thomas erwies sich dabei so ungeschickt, daß sie rief:
»Nein, wie du dich dazu anstellst! Du brichst ihm noch den Kopf ab!«
»Aber, Annemarie,« sagte er, als die Kleine glücklich in ihren Arm gebettet war, »meinst du nicht ...! Wenn du nun wieder einschläfst, erdrückst du es am Ende im Schlafe ...«
»Ach, du bist ja dumm!« lächelte sie, zärtlich und überlegen zugleich.
»Nein, sieh, was es für nette Locken hat. Und wie hübsch es schon ist!«
»Und wie fühlst du dich denn?« fragte er.
»Ausgezeichnet! – Aber du ... Du Armer hast ja kaum geschlafen ... Und gegessen hast du auch noch nichts ...«
»Ich hab heute Nacht Kaffee getrunken ...«
»Nein, geh hinunter, du mußt ein bißchen frühstücken. Wir schlafen jetzt sowieso ... Und dann legst du dich unten ein bißchen hin!«
»Nein, schlafen kann ich jetzt nicht.«
»Dann gehst du nachher ein bißchen an die Luft!«
»Ja, das vielleicht ...!« erwiderte er.
*
Thomas ging, ohne sich weiter Rechenschaft darüber abzulegen, durch den Dünenwald an den Strand, als wäre das Meer sein bester Freund und müßte vor allen andern erfahren, daß er nun eine Tochter hatte.
»Ein Sonntagskind!« sagte er auf einmal überrascht vor sich hin. – Daß heute Sonntag war, daran hatten er und Annemarie noch gar nicht gedacht; und das erfüllte ihn jetzt mit einem innerlichen Glanze.
Die See ging in kräftiger Brandung, dunkel, mit weiß in der Sonne leuchtenden Gischtstreifen, brausend in scharfen Schlägen ...
Thomas setzte sich in den trocknen, feinen Sand und schaute hinaus; und was er sah und hörte, lullte seine Gedanken ein. Es blieb nur ein freies Glücksgefühl in ihm, das sich keine Gründe suchte, sondern selbstverständlich war wie das Meer. In dem Bedürfnis, etwas zu halten und ihm dadurch Teil an seiner Freude zu geben, griff er mit beiden Händen in den Sand und hob die gefüllten Fäuste. Leise rinselten die winzigen Körner zwischen seinen Fingern hervor ... Er vergrößerte die Lücken und fühlte das Fließen des Sandes, und wie es langsam hohl wurde in seinen Fäusten; er griff nach neuem Vorrat und gefiel sich in diesem gedankenlosen Spiel. Und bald saß er nicht mehr, sondern lag ... Seine Augen umflorten sich wohlig ... Er war eingeschlafen.
*
Vor dem Erwachen kam ein schöner Traum zu ihm; oder war es kein Traum? Es waren nur Farben, aber Farben, die eine Stimme hatten; und sie klangen zusammen zu einer mächtigen, einfachen Melodie, die ihn wiegte und streichelte.
Thomas fühlte, schon halb bewußt, daß er erwachen würde, und daß das wunderbare Klingen dann verstummen müßte; er suchte den Augenblick hinauszuschieben und den Schlaf zu halten ... Aber dann saß er auf einmal doch aufrecht, mit großen, schlaftrunken staunenden Augen, und strich sich über die Stirn und wußte auf einmal wieder alles ... Aber jene Melodie, die er im Traum gehört hatte, klang ihm noch in den Ohren, er vernahm ihren wiegenden Ton in den scharfen Schlägen der Wellen ... Und er wußte, daß er sie nicht mehr verlieren würde; er erkannte sie auf einmal und wußte: es war die Melodie seines Lebens ... Mit stillem Blick ließ er seine Jahre an sich vorüberziehen. Und siehe, was ihn wirr, kleinlich zerfahren und sinnlos gedäucht hatte: der Zickzackweg, den er hinter sich gesehen hatte, – jetzt schwang sich alles im Zug einer großen lebendig wogenden Linie. Er sah das Ganze, er sah, wie alles – das Kleinste auch – aus seinem Eignen entsprungen war und hatte entspringen müssen, sinnlos für fremde Augen, nur für ihn selber des Sinnes voll, des Sinnes seines Lebens, das eine große Sehnsucht gewesen war, die erst dieser Tag ganz erfüllte, so nah er sich ihrem Ziele schon früher geglaubt hatte ...
Jetzt lebte er nicht mehr in sich, er lebte in seinem Kinde ... Mochte sein Leben sinken, es stieg zugleich in neuer, besserer Kraft!
Die Sonne stand auf dem höchsten Punkt ihrer Bahn, und das Wasser brandete mit Schäumen und Lärmen. Thomas aber schloß die Augen und malte sich ein andres Bild. Weit breitete sich eine glatte See, auf deren spiegelndem Grund feurige Himmelsfarben schwammen. Die sinkende Sonne legte ihre Brücke aufs Wasser. Und darüber her sah er eine nackte Frau auf sich zuschreiten, ein Kind auf dem Arm: eine Mutter ... die Sonne ... das Leben ... Annemarie! Sie ging mit festen, lebendigen Schritten, und doch so leicht, daß sich die blanke Fläche nicht kräuselte. Er eilte ihr entgegen, und die Wasser trugen auch ihn; denn er hatte jetzt den Glauben, der nicht zuschanden werden läßt, den starken Glauben an dieses Leben ...
Thomas erhob sich und schüttelte die Träume lächelnd zu Boden und ging heim, zu seiner Frau, zu seinem Kinde ...
Ende