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Viertes Buch.

Im Theater zu Wiener-Neustadt wurde das beliebte Singspiel »Die beiden Antone« gegeben. Zwei fremde Herren befanden sich in einer der Bühne zunächst liegenden Loge und verrieten durch ihr ganzes Benehmen, daß ihnen die Truppe dürftig, daß ihnen die Vorstellung langweilig erschien, was die Einheimischen mit Verdruß bemerkten. Es ließen sich im Parterre Äußerungen hören wie: »Jetzt schau, der kegelt sich bald die Kinnbacken aus vor lauter Gähnen!« oder: »Wann's ihnen nit g'fallt, können's ja weiter gehn! 's halt't sie kein Mensch fest!« und so dergleichen. Der ältere der beiden Herren zeigte auch wirklich einigemal nicht übel Lust, sich zu erheben, wurde jedoch von dem jüngeren immer zu bleiben veranlaßt, welcher letztere doch nicht gänzlich ohne Interesse am Personale, wenigstens an einem Mitgliede desselben sein mußte. Bald sollte auch kein Zweifel mehr darüber obwalten; denn als der Darsteller des einen »Anton« jenen damals populären Gesang vortrug:

»O Jerum, o Jerum, die Gräfin ist mein!
O Jerum, was mag wohl die Ursache sein,
Daß Anton, der Gärtner, der Gräfin gefällt?«

Da war es der elegante fremde Herr, welcher das Signal zum Beifallklatschen gab und nicht eher ruhte, als bis der beistimmende allgemeine Applaus in Dacaporuf übergegangen war. »Das ist ja ein eminentes Talent,« sagte er zu seinem Gefährten; »wie geriet dieser Mensch zwischen solche Bande?«

»Wirklich,« erwiderte der ältere, »die komische Gewalt, die er entwickelt, muß sehr mächtig sein, weil sie mich sogar den schlechten Gesang ausdauern macht.«

»Und die Augen!« fuhr der andere fort; »so etwas hab' ich mein Leben nicht gesehen! Damit macht er mir den Eindruck, diese Hanswurststreiche nur widerwillig zu treiben. In dem steckt ein Tragiker. Wie nennt er sich? Sehen Sie doch im Programm nach.«

»Anton, ein Gärtnerbursche, Herr Wulf!«

»Wulf? Dann ist er wahrscheinlich der Gatte jener als Madame gleichen Namens verzeichneten Person.«

»Eben tritt sie auf!«

»Wissen Sie, daß dies eine Schönheit ist?«

»Und beide so jung?«

»Aber ungeschickt bewegt sie sich; die sollte bei ihrem Manne in die Schule gehen!«

»Sapperlot, was für eine angenehme Stimme! Ha, welche vollen starken Töne!«

»Singt sie nicht falsch?«

»Wie ein rostiger Wetterhahn. Sie ist noch unmusikalischer als der Herr Gemahl. Aber was für Mittel! Hören Sie, Freund, das wäre ein Zuwachs für uns. Papa Haydn gerät in Entzücken, kann er die auf den richtigen Weg bringen.«

»Und der Fürst?«

»Von dem hat ihr Mann nichts zu besorgen, eben weil sie schon eine Frau ist. Sie kennen ja den puristischen Geschmack unseres Durchlauchtigsten.«

»Aber der Mann, was mit dem beginnen?«

»Das ist eine Frage, die Er und Sie vielleicht gemeinsam lösen, indem sie einwilligen, sich auf unbestimmte Zeit zu trennen.«

»Möglich; es kommt auf einen Versuch an.«

Der große junge Herr nahm ein Blatt Papier aus dem Portefeuille, kritzelte einige Zeilen mit Bleistift darauf, schlang es in einen Knoten, überschrieb es »an den Schauspieler Herrn Wulf« und reichte es der Logenschließerin zu baldiger Beförderung hinaus. Bald nachher entfernte er sich samt seinem Begleiter. –

Die Vorstellung war »überstanden.« – Wulf saß ernst und stumm im kleinen, von zwei Betten beengten Zimmer, an einem dreibeinigen Tische aus Tannenholz – der vierte Fuß fehlte – über welchen eine viel zu kurze Serviette gedeckt war, und auf welchem nichts stand, als ein plumper Leuchter von Eisenblech, aus welchem die übelriechendste aller Talgkerzen qualmte, ohne doch hinreichende Helligkeit zu verbreiten. Den ebenso mißbeschaffenen Zwillingsbruder dieses Leuchters handhabte gegenwärtig Ludmilla in der vom Wohnstüblein nur durch eine schmale Glasthür getrennten Duodezküche, die zugleich für Eingangs- und Vorgemach galt. Sie beschäftigte sich mit Zubereitung ihres aus aufgewärmten Resten zusammengeworfenen Abendessens.

»Sage doch, reichsunmittelbare Sängerin,« rief er in die räucherichte Küche hinein, »giebt es, bevor Tag und Nacht in zwölfter Stunde sich scheiden, noch etwelche Bissen schlechten Fraßes für den ausgehungerten Magen eines forcierten, höchst traurigen Possenreißers, oder soll ich die Hoffnung schwinden lassen? 's ist nur, daß man's weiß und seinen Magen danach einrichten kann! Wie?«

»Ich bringe schon,« antwortete sie und stellte eine halbzerbrochene Schüssel und zwei eben so defekte Teller hin, wozu sich die schweren Silberbestecke mit ihren tief eingegrabenen reichsfreiherrlichen Wappenschildern allerdings desto fremdartiger ausnahmen.

»Weinst du?« fragte er, mit der Gabel in der eben nicht allzu große Genüsse versprechenden Speise stochernd.

»Nicht doch!«

»Aber du hast Thränen in den Augen.«

»Vom Rauche!«

»Das ist erlogen, mit deiner gnädigen Erlaubnis. Heute rauchte es ausnahmsweise gar nicht bei uns; wir haben günstigen Wind, und abends nach neun Uhr pflegt die Sonne auch nicht auf den Schornstein zu drücken. Es ist nicht der Rauch, der dir das Wasser in die Augen treibt. Deine Thränen fließen aus eigenem inneren Antriebe. Was giebt's denn wieder einmal zu weinen? Bist du wenig applaudiert worden? Habe ich zu viel Beifall gehabt? Auf mein Wort, ich hätte ihn dir von Herzen gern abgetreten. In solchen sinnlosen gemeinen Farcen Anerkennung zu finden, ist mir, Gott weiß es, schmerzlicher, als dir das Gegenteil sein kann. Wär' es nicht, daß wir festsitzen; wolltest du dich entschließen, dein Silberzeug daran zu wagen und uns flott zu machen – ich drehte diesem Publikum, für dessen Liebling zu gelten ich unglücklich genug bin, mit Wonne den Rücken und kröche unter, wo es sonst immer wäre!«

»Etwa bei einer Truppe, die gar kein Singspiel hat; damit mir die Gelegenheit entzogen würde, mich durch meine Stimme nützlich zu machen, und ich wieder in das frühere Nichts gestoßen werden könnte.«

»Ist's meine Schuld, Liebe, daß du auch nicht ein Fünkchen von Talent zeigst? Hab' ich mir nicht Mühe genug gegeben mit dir? Das läßt sich nicht erzwingen, am wenigsten, wo Ausdauer und Geduld fehlen.«

»Wem fehlt es daran mehr: mir oder dir? Hättest du für mich nur halb so viel Geduld, als du bei andern entwickelst, mit denen du probierst, dann würde es mir auch nicht an Ausdauer mangeln. Wenn ich überhaupt bedenke, was ich geopfert habe, und wie es mir gelohnt, wie meine Liebe vergolten, ja vielleicht betrogen wird ...«

»Aha, jetzt sind wir auf dem richtigen Punkte. Jetzt weiß ich auch die Ursache deiner heutigen Thränen. Du hast bemerkt, daß mir heimlich ein Zettelchen zugesteckt wurde, und das muß natürlich eine zärtliche Botschaft sein. O Gott, verleih' mir kaltes Blut! Es ist zum wahnsinnig werden. Welches Frauenzimmer fängt denn ums Himmels willen mit Hanswursten Liebschaften an? Nimm doch deine fünf Sinne zu Hilfe. Ich wollte die Thorheit entschuldigen, wenn ich hier das Rollenfach bekleidete, in welchem ich mich früher bewegt habe; da ließe sich eher ein Argwohn deinerseits rechtfertigen, wiewohl meinerseits nie Anlaß geboten wurde. Aber jetzt – heute gar! Ich gebe mir die ersinnlichste Mühe, einen dummen Jungen tölpelhaft zu spielen ... und damit soll ich Weiberherzen erobern! – Ah, du quälst dich und mich!«

»So zeige mir doch jenes Briefchen, wenn du ein gutes Gewissen hast? Sage mir doch, von wem es herrührt?«

Wulf erhob sich, suchte seine heutige Partie aus dem Theaterkorbe hervor, blätterte darin herum, suchte das Zettelchen, warf es ihr hin und sprach: »Entfalte du's und überzeuge dich selbst. Ich habe weder ein gutes, noch ein schlechtes Gewissen; ich nahm mir noch nicht die Zeit, es zu überlesen. Wahrscheinlich eine Einladung ins Gasthaus.«

Ludmilla las: »Der Unterzeichnete und sein Reisegenosse, Herr Musikdirektor Fuchs, wünschen, wo möglich heute noch, eine Unterredung mit dem Wulfschen Ehepaar in theatralischen Angelegenheiten. Heinrich Schmidt, Sekretär und Vorsteher des hochfürstlichen Theaters in Eisenstadt.«

»Ei, ei,« lachte Wulf, »diesmal wären wir wieder einmal auf Holzwegen gewesen! Und sollten hinter diesen theatralischen Angelegenheiten, in denen Herr Sekretarius mit uns zu verhandeln wünscht, etwa persönliche versteckt sein? Man nennt Seine Durchlaucht als leidenschaftlichen Kunstliebhaber von jungen schönen Sängerinnen. Dann geht das billet-doux dich näher an, denn mich. Ein Fuchs hat dich mit seiner Nase ausgewittert, und ein Schmidt will deines Glückes Schmied werden. Nur zu, so lange das Eisen in Eisenstadt glüht. Und räume ab; der Teufel kann sie jeden Augenblick hier haben!«

»Wer ist nun eifersüchtig?« fragte Ludmilla, wider Willen lächelnd. – »Wenn du's nicht bist, so gehe eilig, die Herren aufzusuchen. Ohne erwidernden Bescheid werden sie nicht zu uns kommen, sonst hätten sie nicht erst angefragt. Das ist doch deutlich!«

»Ich bin nicht so sehr darauf versessen,« meinte er. »Was hilft mir ein Operntheater? Du müßtest denn Willens sein, dich von mir zu trennen und allein ... dann freilich ...«

Ludmilla schwieg.

»So weit haben wir's denn also in einem Jahre gebracht,« seufzte Wulf.

Und beide versanken in stummes, düsteres Nachsinnen. Darüber verging eine Viertelstunde. Auf dem Kirchturme schlug es zehn Uhr. Wulf sagte: »Nun ist's schon zu spät.«

»Wie du meinst,« entgegnete sie unwillig; dann entkleidete sie sich rasch und schlüpfte unter die Bettdecke.

Er blieb am Tische. Die Kerzen hatten lange Schnuppen und gaben fast kein Licht mehr. Ein wiederholtes Pochen schreckte den Träumer auf. Er ging ans Fenster und fragte hinab.

»Die Herren aus dem Gasthause lassen um Antwort bitten,« klang es von der Straße herauf.

»Ich komme, sie selbst zu bringen,« rief er wieder hinunter. Dann trat er an ihr Lager: »was soll ich in deinem Namen bestimmen?«

»Was du willst,« sprach sie mit abgewandtem Angesicht; »mir ist alles, gleich.«

»Nun dann mir auch!« – und er ging.

Der Hausknecht, der ihn unten erwartet, leuchtete mit einer Laterne voran und führte ihn bis ans Zimmer der Fremden, welche bei großen Flaschen voll Vöslauer Wein seiner harrten. Er entschuldigte sich, daß er versäumt habe, geziemenderweise Nachricht zu schicken, und schob die Schuld auf jene üble Stimmung, worin er sich jedesmal befinde, wenn er gezwungen worden, eine Rolle zu spielen wie heute.

»Ich habe meinem musikalischen Freunde und Kollegen schon während der Vorstellung die Ansicht mitgeteilt,« sprach Herr Schmidt, »daß Sie mit Unlust und Widerwillen spielten, was die große Wirkung, die Sie als Komiker hervorbringen, um so erstaunenswerter macht. Und wie ich Sie jetzt, nicht mehr entstellt von den kleinen Pinselstrichen und Schminkkünsten, die Ihren edlen Zügen den Ausdruck der Albernheit gaben, in natura vor mir sehe, drängt sich zunächst die neugierige Frage auf: wie kommen Sie dazu, sich in solcher Sphäre zu bewegen, die Ihnen unangenehm scheint? Sie sind sichtlich für eine höhere berufen. Was brachte Sie dahin?«

»Die Not! um es in zwei Silben zu fassen. Wir waren ohne Geld, ohne Engagement, ohne Aussichten; trieben uns planlos in Wien umher. Ein Seelenverkäufer, der uns eine geringe Summe vorgestreckt, und dem daran lag, sich bezahlt zu machen, vermittelte zwischen mir und der hiesigen Direktion. Ein anderes Fach war nicht leer. Der Dümmling, der jugendliche Spaßmacher fehlte. Ich wurd' es.«

»Und Sie haben in Wien keine Versuche gemacht?«

»In Wien hätte es für mich und meine Wünsche nur eine Bühne gegeben. Die Vorstadtunternehmungen mit ihren Schaustücken und Lokalpossen konnten mich nicht anlocken. Ich trug meine letzten Groschen ins Burgtheater. Koch, Brockmann, Betty Rose – Lange schon weniger, der mir in seiner malerischen Ausführlichkeit zu viel manierierte – sie entzückten mich.«

»Und auf diese dem begeisterten Kunstjünger hochgeweihten Bretter wagten Sie sich nicht?«

»An Mut dazu hätte mir's nicht gebrochen. Weder an Mut, noch an Kraft, noch an Fähigkeit. Dies alles trag' ich in mir! Ich stellte mich den großen Herren vor ... sie wiesen mir höhnisch die Thür. Ich drängte mich zu. Ich bat, jeden einzeln, eine Probe ablegen zu dürfen! Ich berief mich auf das, was ich trotz meiner Jugend schon geleistet. Man erkundigte sich: wo? Und da ich die Orte nannte, in denen mich ein (nur zum Teil selbstverschuldetes) Verhängnis durch Kram, Kroatien, Siebenbürgen seit einem Jahre umhergetrieben, da wurde mir kurzweg eröffnet, man sei nicht gewohnt, den Nachwuchs der ersten Kunstanstalt Deutschlands aus Banden zu ergänzen, die sich in Gegenden Nahrung suchen, wo deutsche Kultur aufhört.«

»Wo waren Sie zuletzt engagiert?«

»In Agram.«

»Und wie waren Sie dahin verschlagen worden?«

»Wie Menschen, mein Herr, denen vor allem daran gelegen ist, sich so weit als möglich von der Heimat zu entfernen. Wie ein junges Paar auf der Flucht ... das sind Geheimnisse, die nicht mir allein gehören. Nur eins wollen Sie berücksichtigen; daß eben die Notwendigkeit, große Landstrecken zwischen sich und den Seinigen zu wissen, und die mit solchen Reisen verbundenen Kosten unsere nicht unbedeutenden Geldmittel verzehrten. Mit schwerem Golde mußten Ausweise erkauft werden, die wir entbehrten, weil wir ohne sie in die Welt gingen.«

»So, so,« sagte der Musikdirektor kopfschüttelnd, »eine Entführung

»Und auch von einem Jünger,« fiel Herr Schmidt scherzend ein; »wenigstens von einem Jünger dramatischer Kunst, der ganz das Zeug hat, bald ein Meister zu werden. Lassen wir die Vergangenheit. Reden wir lieber von der Zukunft, von der Ihrigen, von der Zukunft Ihrer schönen Frau. Menschen, wie Sie beide sich zeigen, dürfen unmöglich in diesen Umgebungen bleiben. Was Madame anlangt, so könnte ihr nach meines Kollegen Dafürhalten leicht eine glänzende Gelegenheit zu gediegener Ausbildung reicher Naturanlage bereitet werden. Darüber mag Freund Fuchs morgenden Tages mit ihr selbst sich einigen. Aber Sie, mein Guter, was fangen wir mit Ihnen an? Sie schlagen gewissermaßen in mein Departement. Ich bin ein Weimaraner, war ein Lehrling Goethes und Schillers, ein bei Wieland und Herder aus- und eingehender Poetiker, Dramatiker und was darum und daran hängt. Ich habe noch als Jenenser Student die erste Vorlesung der Jungfrau von Orleans gehört, habe die erste Darstellung der Maria Stuart gesehen, habe mit angesehen, wie jene auf die Spitze getriebene Scene zwischen Mortimer und der Königin von Schottland, die Versammlung in Todesangst versetzte, weil von Moment zu Moment befürchtet ward, Herr Vohs möge in seinem Kunstfeuer vergessen, wie weit dergleichen Attacken auf der Bühne gehen dürfen! Ich habe ...«

» Das haben Sie gesehen! Sie waren lebendiger Zeuge der allerersten Aufführung von Schillers Maria Stuart? Ach erzählen Sie mir davon recht viel. Sie können gar nicht glauben, wie sehr mich das ergreift; in wie wunderbarer Beziehung zu meinem Leben gerade der erwähnte Auftritt steht!« – Dabei rückte Wulf dem fürstlichen Sekretär näher; seine Augen leuchteten, die Wangen hatten sich mit lebhaftem Rot gefärbt, der Zustand bitterer Niedergeschlagenheit, womit er eingetreten, war in freudige, erhobene Bewegung übergegangen.

Herr Schmidt richtete zuvor einen Seitenblick auf die vor Wulf stehende Flasche, um abzumessen, welchen Anteil der Vöslauer an dieser plötzlichen Erregung habe. Nachdem er sich jedoch überzeugt, die Flasche sei kaum zum dritten Teile geleert, betrachtete er den jugendlichen Enthusiasten genauer, suchte dessen Physiognomie gleichsam auszukundschaften und reichte ihm dann, befriedigt von dieser Forschung Ergebnis, freundlich die Hand: »Es liegt nur an Ihrem Wollen, mein bester, die Jena-Weimarischen Remmiscenzen recht oft in mir aufzufrischen. Sie werden mich immer gern bereit finden, Ihnen davon vorzuplaudern, wo und wenn es meine Zeit gestattet, sobald Sie sich überhaupt entschließen können, in meiner Nähe zu bleiben. Gehen Sie darauf ein, daß Ihre Frau dem Unterrichte unserer Meister anvertraut, daß für deren technische und musikalische Ausbildung im höheren Sinne Sorge getragen werde ... mit einem Worte: schließen Sie Kontrakt mit uns ab, dann kann ich Ihnen allerdings nicht versprechen, daß Sie auf fürstlichem Hoftheater, auf welchem die Oper prävaliert, und auf welchem überdies nur die kleinere Hälfte des Jahres hindurch gespielt wird, Beschäftigung für Ihr Talent finden sollen. Dagegen dürften Ihnen nirgend mehr als bei uns Mittel geboten werden, ruhige Studien zu machen, in Humanioren nachzuholen, was Ihnen etwa fehlen mag, und von Eisenstadt aus, mit guten gewichtigen Empfehlungen versehen, Zutritt für Proberollen auf besseren Bühnen zu finden, wie Sie jemals betraten und in Ihrer gegenwärtigen Lage je zu betreten hoffen dürfen. Ja, vielleicht steht eine Umgestaltung der Wiener Theatereinrichtungen nicht mehr in allzu weiter Ferne, und es kann leicht geschehen, daß unser Fürst Nikolaus in seiner grandiosen Weise sich an die Spitze derselben stellt. Das sind denn Eventualitäten, die Sie nicht außer acht lassen müßten. Für heute will ich nicht weiter in Sie dringen. Gehen Sie heim, besprechen Sie sich mit Ihrem Weibchen, und morgen ... haben Sie schon Kinder? ...«

Hocherrötend verneinte Wulf.

»... Morgen werden wir uns nach acht Uhr bei Ihnen einfinden, um Sie an einen Ort zu führen, wo ein Klavier vorhanden, und wo Freund Fuchs eine tiefer eingehende Prüfung vornehmen will, die Gesangsanlagen Ihrer Frau zu beurteilen. Jetzt leeren Sie noch ein Glas guten Österreichers und stoßen Sie mit uns an: Auf glücklichen Erfolg!«

Wulf that, wie ihm geheißen; dann wünschten Sie sich gute Nacht.

*   *   *

Es mag eine Woche verflossen sein seit der Zusammenkunft unseres Helden mit den Eisenstädter Theaterbeamten. Da sehen wir bei neblichtem Morgengrauen einen hochbeladenen Reisewagen vor der Hausthür seiner Wohnung, und nach herzlichem Abschiede von der ehrlichen Handwerkerfamilie, die dem gern gesehenen Paare »Unterstand« gegeben, steigen Wulf und Ludmilla ein. Aus den besorgten Blicken, die sie jene schmale Gasse hinauf, hinabschweifen lassen, würde jeder ins Komödiantentreiben Eingeweihte den Schluß ziehen, daß sie durchgehen, daß sie, vor Ablauf ihres Engagements, nicht bei Nacht und Nebel, wohl aber bei Morgen und Nebel entweichen. Ihre Besorgnis dauert nur bis ans Weichbild der Stadt. Bald winkt ihnen die ungarische Grenze, und einmal jenseits dieser hören mit polizeilicher Kontrolle auch etwaige Ansprüche ihrer bisherigen Direktion gänzlich auf; Grund und Boden eines magyarischen Magnaten erreicht die Gerechtigkeit, will sagen die Justiz, nicht so leicht. Den unbedeutenden Vorschuß haben sie getilgt. Wer ihre Rollen fernerhin ausfüllen soll, das grämt sie weiter nicht und wahrscheinlich ebensowenig den zurückbleibenden Prinzipal, dem der »ausländische G'spaßmacher« doch kein genügender, dem Madame Wulf, »die stolze Gretl,« zuwider gewesen, als »Eine, mit der niemand anbandeln könne!« Er pflegte zu äußern: »Keine Liebhaber trauen sich gar nicht an sie heran, weil der Mann immer zu Hause knotzt und über seinen Rollen büffelt. Das heißt ja nix!« Gern hätte der Mann, »dies fade Paarel« längst fortgeschickt, wär' er nicht abgehalten worden durch die »sogenannten Gebildeten,« die beiden wohlwollten. Nun ist er sie los ohne sein Zuthun.

Sie ziehen einer neuen Zukunft entgegen. Schweigend sitzen sie nebeneinander und hängen ihren Gedanken nach. Nicht wie zwei Liebende, nicht wie zwei aufs innigste Verbundene, die Not und Glück gemeinsam tragen wollen, nein, wie zwei vom Schicksal zusammen Gezwungene. Sie tauschen ihre Erwartungen nicht gegenseitig aus. Sie sinnen ... und schweigen.

Der Anblick eines großen Wasserspiegels weckt sie aus ihrer stummen Zurückhaltung. »Was ist das?« fragt Wulf den Kutscher, auf eine unübersehbare Fläche deutend, und vernimmt, es sei der Neusiedler See. Sie fahren ein Weilchen am flachen öden Ufer hin und schauen nachdenklich in den grau heraufsteigenden Nebel. Bald schlagen fremdartige Töne an ihr Gehör; von beiden Seiten reichen braune Hände in den Wagen; junge Bursche und Mädchen betteln um eine Gabe. Hier ist ein Zigeunerlager! Wulf läßt die Pferde anhalten. Er springt aus der Kutsche und mischt sich unter die Bande, die in zerlumpte Kleider sich so anmutig zu hüllen versteht, und deren plastische Schönheit auch aus Staub und Schmutz hervorleuchtet. Er versucht sich ihnen deutlich zu machen, strengt sich an, ihr Kauderwelsch zu verstehen, und fordert von Ludmilla durch lauten Zuruf, sich mit ihm an diesen theatralischen Kostümen zu ergötzen. Sie geht nicht darauf ein, teilt vielmehr des Kutschers Besorgnis: die Spitzbuben könnten die hinten aufgeschnürten Koffer abschneiden, weil, wie er versichert, »solche Kerls bei Putz und Stingel Räuber sein!« Erst als die »Alte des Stammes« an ihrem Krückenstocke herbeihinkt, als sie sich durch leicht verständliche Zeichen erbietet wahrzusagen, entschließt sich auch Ludmilla. Sie nimmt teil an dem lebendigen Bilde um sie her. Das jüngere Volk schließt einen Kreis, mitten darin stehen unsere Reisenden. Doch wenn es ihnen möglich wird, hier und da ein verständliches Wörtchen zu erhaschen, so ist am Gemurmel der Alten ihre Mühe verloren. Diese hat es verschmäht Deutsch zu lernen, oder hat sie früher vielleicht einige Brocken davon aufgeschnappt, so sind sie längst vergessen. Sie begnügt sich mit sprechenden Gebärden, erläutert durch ein Paar vielsagende Augen, welche aus verschrumpftem Antlitze funkeln, wie glühende Kohlen aus einem Klumpen Asche.

Wulfs Handteller flößte ihr keine sonderliche Verehrung ein. Sie schüttelte nach kurzer Betrachtung geringschätzig das Haupt, brummte in den Bart – sie besaß einen ganz respektabeln – und gab dann zu verstehen, indem sie sich an die Ihrigen wendete: »Dieser ist unseresgleichen und wird es niemals weiter bringen!« was mit schallendem Gelächter aufgenommen wurde. Als jedoch Ludmilla ihr die Hand darbot, starrte sie lange in die innere Fläche des zartgegliederten Baues, vertiefte sich murmelnd in diese seinen Lineamente und neigte sich sodann ehrfurchtsvoll zu tiefer Kniebeugung, mit der Rechten an ihren Stab sich haltend, mit der Linken einen Kreis um ihren weißhaarigen Kopf beschreibend, wodurch offenbar eine Krone und das Vorrecht, solche zu tragen, angedeutet werden sollte. So schienen es auch die übrigen Zigeuner zu verstehen, denn sie ahmten insgesamt der Stammmutter nach und warfen sich zu Boden. Ludmilla streute etliche Zwanziger unter sie aus und ließ sich von Wulf wieder in den Wagen heben. Der Kutscher trieb die Pferde an, schnalzte mehrmals mit der Peitsche und lachte laut auf: »Durchtriebenes Schelmengesindel!«

Weder Wulf noch Ludmilla nahmen das unscheinbare Ereignis so leicht. Beiden hatte es Bedeutung, insofern sie dadurch auf sich selbst und ihre eigensten Gedanken hingewiesen wurden. Die Tochter des hochmütigen Reichsbarons war ja schon lange nüchtern von jenem Rausche, der sie in die Fremde, in ein elendes Dasein getrieben. Und der Pflegesohn des Theaterprinzipals Bäcker bedauerte ja schon lange, seinen rühmlich angetretenen geraden Weg mit unsichern Seitenpfaden durch Moräste und Steppen vertauscht zu haben. Er bedauerte diese Verirrung um so mehr, weil die künstlerische Unterordnung, ja Entwürdigung, die er um der Geliebten willen über sich ergehen lassen, diese nicht befriedigte. Er konnte wohl entbehren, sich fügen, seine gerechten Ansprüche auf höhere Geltung großmütig opfern ... aber ihr ein Talent einhauchen, welches die Natur versagt hatte, aber ihr ernsten ausdauernden Willen verleihen, welcher solchen Mangel durch Fleiß, einigermaßen ersetze ... das vermochte er nicht. Und wie sich beide getäuscht über Ludmillas theatralische Erfolge, so auch hatte sich, da nur der erste Taumel erschöpft und verflogen war, deutlich gezeigt, daß es etwas ganz anderes gewesen sei, was dieses verkehrt erzogene, durch unpassende Umgebung verdorbene Mädchen damals für wahre, stichhaltige, über ungewohnte Entbehrungen triumphierende Liebe nahm. Sie schämte sich ihrer jetzigen Existenz: sie grollte mit demjenigen, den sie den Urheber ihres Unglücks schalt; sie bereute, ihre glänzende Stellung aufgegeben zu haben; sie vermißte schmerzlich all' die tausend kleinen Annehmlichkeiten, mit denen sie aufgewachsen; sie fing an den Geliebten zu hassen ... und er, eingeschüchtert von ihrer abstoßenden Kälte, ihren hochfahrenden Launen, wagte schon nicht mehr ihr zu sagen, daß er sie immer noch liebe mit voller feuriger Jugendglut.

»Wer hat der Zigeunermutter verraten,« – so begann er mehr laut zu denken, als absichtlich zu sprechen, nachdem sie eine Viertelstunde am Ufer des unfreundlichsten, ödesten aller Landseen hingefahren– »wer kann dem schlauen Weibe entdeckt haben, daß eine reichsunmittelbare Freiherrnkrone der armen Schauspielerin Wappen schmückt?«

Ludmilla fing die Frage auf wie eine an sie gerichtete und erwiderte fest: »Niemand, sollt' ich meinen! Ihr scharfahnender Blick hat sie belehrt, da ich vor ihr stand, daß ich auf einen andern Platz gehöre, als welchen ich jetzt einnehme.«

Er ließ den Kopf sinken und klagte: »Von mir darf ich das nämliche behaupten.«

»Und wer hindert dich, den deinigen wieder zu erringen?« –

»Das ist eine perfide Frage, Ludmilla! Du weißt ja am besten, wie groß deine Macht über mich war und ist. Hab' ich nicht zweimal schon eine vorteilhafte Position aufgegeben, weil du wähntest, durch mein theatralisches Übergewicht bedrückt zu sein? Sind wir nicht von Ort zu Ort, von Land zu Land gezogen, um endlich eine Lage auszufinden, welche dir annehmbar, mindestens erträglich schiene? Bin ich nicht endlich aus Nachgiebigkeit gegen dich so tief herabgestiegen, mich als Possenreißer zu vermieten? Hab' ich nicht in diesen Wochen Rollen übernommen und zur Zufriedenheit löblicher Spießbürgerschaft durchgeführt ohne Weigerung und Murren, die meinem innersten Wesen widerstehen? Folg' ich endlich heute nicht einem Rufe, der dir und deiner Gesangsausbildung gilt, der mich gar nicht erwähnt? Hab' ich Herrn Schmied nicht versprochen, einen Vertrag abzuschließen, welcher dir Unterricht, Förderung sichert, mich aber von jedweder Berechtigung ausschließt und meine Erwartungen ins Gebiet unbestimmter Möglichkeiten verweist? Sind das keine Beweise hingebender Liebe? Und du fragst noch, wer mich hindert, den meinen Wünschen und Fähigkeiten entsprechenden Platz wieder zu erringen?«

»Ich fragte dies erst, nachdem du dich beklagt.«

»Ich klagte erst, nachdem du ausgesprochen, daß die Beweise meiner Treue dich nicht entschädigen für den Verlust jener Attribute der vornehmen Geburt und des reichen Überflusses; nachdem du – was ich seit Monaten dir abmerke – laut gesagt: wie du bereuest, Schloß Kauzburg verlassen, deine Rechte und Ansprüche aufgegeben zu haben! Ich muß das ertragen, und ich kann es wenigstens mit gutem Gewissen hören; denn ich that nichts, deinen Entschluß zu bestimmen. Ich habe dich nicht verführt, nicht entführt. Mich trifft kein Vorwurf, als daß ich deinem heißen Blute, deinen sanguinischen Hoffnungen auf Glückseligkeit beim Theater nicht eisige Kälte, energischen Ernst, unerschütterlichen Willen entgegenstellte; daß ich dich, wie du jenseits des Schlagbaumes dich mir ans Herz warfst, nicht geradezu zwang, heimzukehren; daß ich die Grenzjäger nicht wider dich und meine Gefühle aufbot; – Gefühle, welche dazumal auch die deinigen waren oder zu sein schienen. Das wäre gesetzlich, wäre »moralisch, tugendhaft,« wäre vielleicht edel ... doch für meine Jahre, für meine Empfindungen wär' es übermenschlich gewesen. Und wenn nicht vor irdischen Richtern und Verdammern, vor Gott und mir bin ich schuldlos. Muß ich doch auch jetzt schon dafür hart büßen, als trüge ich die schwerste Schuld. Und hat dein Herr Vater es der Mühe wert gefunden, mir seine Malediktion nachzudonnern, so darf er zufrieden sein: ich spüre sie im innersten Mark. Hat er aber auch dich verstoßen, darfst du nie auf Verzeihung rechnen, so bleibt mir vorbehalten, dein Leben wenigstens nach meinen Kräften zu erleichtern, indem ich mich auf jede Weise füge und unterwerfe, indem ich nicht mehr auf mich und mein Talent, indem ich lediglich auf dich und deine Wünsche achte. Dafür dürfte ich denn doch freundliche Anerkennung, herzliches Betragen deinerseits verdienen. Wer seine Kunst vernachlässigt über der Liebe, müßte billigerweise durch Liebe entschädigt werden.«

»Ich kann mich nicht verstellen,« sagte sie; »mein Stolz lehnt sich dawider auf, zu verheimlichen, was in mir vorgeht. Das mag es wohl auch sein, was die mir einwohnenden Fähigkeiten verhindert, sich auf dem Theater geltend zu machen. Wenn ich ein sanftes naives Mädchen oder gar eine niedere Bauerndirne darstellen sollte, störte mich immer der Gedanke, daß ich eine Tauern-Kauzburg sei! Es ist mir unmöglich zu vergessen ...«

»Außer daß du schwurest, mir zu gehören, mich ewig zu lieben? Das hast du rasch genug vergessen.«

»Ich habe nichts vergessen. Auch meine unbändige Leidenschaft nicht. Hätt' ich vorher sehen können, wie bald sie erlöschen müsse unter der Misere des Schauspielertreibens; hätt' ich eine Idee gehabt von all' den herabwürdigenden Realitäten eures Kunstideals ... ich wäre bei meinem Papa geblieben und bei Demoiselle Gottliebe, quand même

»Und uns beiden wäre besser! Das weiß der Himmel. Aber aus diesen Geständnissen geht aufs neue unwiderleglich hervor, daß dir jeder Beruf zur darstellenden Kunst fehlt. Denn wo der wirklich lebt und wirkt, setzt er sich mit jubelnder Begeisterung und himmlischem Leichtsinn über die kleinlichen Misèren hinweg, die nicht bloß dem Theater, die jeglicher irdischen Unternehmung anhaften. Wer überwindet nicht gern die Beschwerde steiler, steiniger Gebirgssteige, wenn sie ihn zu herrlichen Gegenden führen? – Das ist nun so und läßt sich nicht ändern. Vielleicht findest du Befriedigung im Gelingen als Sängerin? Das wird nicht ausbleiben, wofern du die Mittel ergreifen und benutzen willst, welche sich am Orte unserer Bestimmung so reichlich darbieten. Durch unausgesetzten Fleiß, angestrengtes Studium ...«

»Immer studieren! Immer lernen! Schöne Aussichten. Gott, wie langweilig das ist. Wozu denn mich mit Lehrstunden quälen, wenn ich eine schöne Stimme habe? Ist das nicht hinreichend? Wozu die Plagerei? Ich bin ja kein kleines Kind mehr.«

»Ja, ja,« rief er heftig; »da liegt's! Das sind die unseligen Begriffe, die ihr Vornehmen und Reichen von der Kunst habt! Deshalb schätzt ihr auch die Künstler so gering. Ihr wähnt, was sie euch darbieten, sei Spielwerk, und wie es dazu dienen soll, euch zu amüsieren, zu zerstreuen, eure Sinne zu kitzeln, gehöre eben auch nichts dazu, als eine oberflächliche Begabung, die sich's leicht machen darf! Daß der Mensch mit seinem ganzen Wesen und Sein darin aufgehen, daß er alle Kräfte eines ernsten unerschütterlichen Wollens und Könnens daran setzen muß, will er sich über die Mittelmäßigkeit erheben, will er nur in dieser sich behaupten ... davon habt ihr keine Ahnung. Und da tretet ihr denn hinzu und sprecht gnädig lächelnd: Das mag recht unterhaltend sein; will auch einmal mitspielen! – So wird gezeichnet und gemalt, geverselt und gereimt, gesungen und geklungen, geklimpert und gestümpert. Stümperei, Pfuscherei vor den Coulissen, hinter den Coulissen. – O, ich wollte, ich trüge gebräunte Haut unter zerlumptem Hemde und gehörte zu den Zigeunern, die dort am See lagerten! Die wissen wenigstens, was sie sind, was sie wollen, und machen keine abgeschmackten Prätensionen. Die wären mir ehrlichere Genossen! – Ach, meine erhabenen Träume! Ach, mein guter, pedantischer Vater Bäcker, mit deinen rechtschaffenen Komödiantenbräuchen, mit deiner ehrwürdigen Wichtigthuerei, mit deinem Zunftzwang und all' den veralteten Regeln und Formen ... sähest du, was aus deinem armen Wulf geworden, wohin er geraten ist, seitdem er auf eigenen Füßen stehen wollte ...« Und er brach in Thränen aus.

Gerührt ergriff Ludmilla seine Hand: »Weine nicht, Wulf; ich will ja fleißig sein!«

Da weinte er erst recht herzlich, aber das that ihm gut, erleichterte die bedrängte Brust.

Von dauernder Versöhnung träumend, fuhr er an ihrer Seite in Eisenstadt ein.

*   *   *

Bei Vater Joseph Haydn befanden sich die Herren Schmidt und Fuchs, der gestern angelangten Schönen harrend, welche ihr Gatte zur festgesetzten Stunde dem hochfürstlichen Hofkapellmeister zuführen sollte. Beide wiederholten, was sie seit einigen Tagen zum Lobe der Ankömmlinge geäußert. Haydn richtete seinen »durchdringenden, weit hinausreichenden Blick« auf die zwei um so viel jüngeren Männer und sagte sanft scherzend: »Wann der gute Schmidt nit auch von dem Manndel gar so sehr eingenommen wär', möcht' man doch schier glauben, er habe sich ins Weiberl verschaut! Das muß ja ein rares Frauerl sein nach eurer Beschreibung.«

»Gewiß eine Rarität in der Theaterwelt, Herr Hofkapellmeister. Sie erinnert mich in ihrer Erscheinung und in ihrem vornehmen Wesen auffallend an unseres Herrn Fürsten angebetete Tochter; nur daß diese noch kindlicher ist.«

»An die Poldi? An die engelgleiche Leopoldine? Na, wenn das zutrifft, nachher hat sie bei mir schon gewonnen Spiel! Solch' eine Ähnlichkeit wär' halt die beste Rekommandation für sie.«

Musikdirektor Fuchs wendete dagegen ein: »Was die äußere Erscheinung anlangt, will ich nicht widersprechen. Im Betragen jedoch findet sich nach meinem Bedünken gar keine Ähnlichkeit. Prinzessin Leopoldine trägt ihren anmutigen und bescheidenen Stolz wie eine jungfräuliche Zierde, die niemanden verletzt, die der ätherischen Persönlichkeit gebührt; sie ist gütig, wohlwollend, zart. Madame Wulf benimmt sich abstoßend hochmütig, auch wenn sie sich artig und zuvorkommend beweisen möchte.«

»Das kann schon sein und ist darum immer noch kein Beweis gegen sie. Schauen Sie, lieber Fuchs, die arme Frau befindet sich halt gegenwärtig in einer schlimmen Lage. Im Unglück schlagt angeborner und anerzogner Stolz leicht zum Hochmut aus; und das kann edlen Personen auch geschehen. Ihr glaubt ja doch, daß diese junge Frau einer vornehmen Familie angehört? Na, nun denkt Euch in ihren Zustand! Unser Prinzesserl sitzt dem Glück im Schoße, jeder ihrer Wünsche ist erfüllt, eh' sie ihn kundgiebt. Alle Welt tragt ihr aufrichtige Huldigungen entgegen ... da kann ein gutes mildes Kind leicht leutselig und liebenswürdig bleiben! Aber in der Not, im Mangel, in drückender Umgebung, wann eine sich erinnert, daß sie's besser gehabt, und wann sie sich vielleicht eingestehen muß, daß sie durch eigenen Leichtsinn ihr jetziges Elend verschuldet hat, schauen's Fuchserl, da tritt eine gewisse Bitterkeit ein ... na, das legt sich nachher wieder, wann's besser geht und der liebe Gott Sonnenschein giebt!«

Schmidt ergriff Haydns Hand und führte sie an seine Lippen.

»Was fällt Ihnen ein?« fragte jener, indem er sie ihm hastig entzog. »Mir scheint gar, Sie wollen ein Bussel auf meine alte Hand drucken?«

»Verdient hätte diese schon längst, daß alle wahren Verehrer wahrer Tonkunst ihr dies Zeichen frommer Ehrfurcht widmeten. Aber diesmal galt es nicht dem Herrscher im Reich der Töne, es galt dem Menschen, dem kindlichen Weisen, dem gerechten Freunde der Menschheit, dem Herold der Milde, der Wahrheit, der Natur!«

»Ob Sie schweigen werden, Sie Schmeichler übereinander? Das ist ein sauberes Verdienst, daß ich meine Andacht in der Natur suche und finde! Das kann jede Lerche, jeder Hirngrill, jedes Zeiserl auch! Wo sollt' ich denn sonst Gottesfurcht und Menschenliebe hernehmen, als aus der großen Schöpfung, aus den Jahreszeiten, aus der Natur? Ich hab' von jeher ...«

Er wurde unterbrochen durch eine Magd, welche das Kommen der Erwarteten ankündigte.

Wulf und Ludmilla traten ein, und augenblicklich überzeugte sich Herr Fuchs, daß Haydns Prophezeiung teilweise schon in Erfüllung, daß mit der Getadelten schon eine günstige Veränderung vor sich gegangen sein müsse, denn sie benahm sich ganz bescheiden und ohne jene verbitterte, ironische Unterwürfigkeit, die ihr neulich so übel stand, und die er für Hochmut ausgelegt. Wer Haydn, Joseph Haydn sei, was er der Welt bedeute, davon wußte sie allerdings nicht viel. Doch hatte Wulf, obgleich er seinerseits musikalische Bildung eben auch nicht besaß, als vielseitiger Leser und Bücherverschlinger doch genug davon erfahren, um sie wenigstens vorzubereiten, daß sie einem alternden Herrn von europäischer Berühmtheit gegenüber stehen werde, und daß es Mangel an Bildung des Verstandes wie des Gefühles verrate, dies nicht huldigend anzuerkennen. Diese seine Andeutungen, im Vereine mit ihrem Wunsche, an fürstlicher Oper eine ehrenhafte Stellung zu erringen, machten sie gefügig, und Schmidt wie Fuchs sahen mit Vergnügen, daß Haydn sie gütig aufnahm. Wulf setzte denn auch ihre Lage, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche in eindringlich warmer Ansprache klar auseinander. Und alsogleich, wie er geredet, wendete Haydn ihm besondere Aufmerksamkeit zu. »Reden Sie weiter,« sagte er; »reden Sie mehr, immer mehr, junger Mann! Es tut wohl, wann Sie reden. Recitieren Sie mir ein Bissel was! Ich möchte einen poetischen Vortrag von Ihnen hören. Sie haben die wahre Musik der Sprache. Hier liegt meines Wielands Oberon. Machen Sie einem alten Manne die Freude, lesen Sie ihm ein paar Strophen vor. Da nehmen Sie das Buch ... schauen S', hier wo ich aufgeschlagen hab': Dich bestes Weib, durch mich, durch mein Vergehn ...«

Wulf gehorchte und hob an:

»Dich bestes Weib durch mich, durch mein Vergehn
Von jedem Glück herabgestürzt zu sehn,
Von jedem Glück, das dir zu Bagdad lachte,
Von jedem Glück, das ich dich hoffen machte
In meinem väterlichen Land!
Erniedrigt – dich – zu diesem dürftigen Stand!
Und noch zu sehn, wie du dies alles ohne Klagen
Erträgst! Es ist zu viel! Ich kann es nicht ertragen!«

Die naheliegende Beziehung, welche der Deklamator in diesen Versen zu sich, zu seinem eigenen und Ludmillas Schicksal entdeckte, ergriff ihn tief. Sein Vortrag gewann dadurch innige Wärme, und als er gar an Amandas Gelöbnisse kam:

»Sprich nicht von dem, was ich für dich gegeben,
Für dich gethan. Ich that, was mir mein Herz gebot,
That's für mich selbst, der zehenfacher Tod
Nicht bitt'rer ist, als ohne dich zu leben.
Was unser Schicksal ist, hilft deine Liebe mir,
Hilft meine Liebe dir ertragen;
So schwer es sei, so unerträglich! – Hier
Ist meine Hand: ich will's mit Freuden tragen!«

Da entlockte gerührte Begeisterung seiner Brust jene Töne, womit er schon in der Kauzburger Manege, womit er in Slawoniens und Kroatiens ultima Thule die Herzen bewegt und erschüttert hatte.

Vater Haydn erwog nicht, welche Anwendung gerade diese Stelle der epischen Dichtung auf den Redner und dessen Begleiterin gestatte, und inwiefern dieselbe des Vortrags Wirkung gesteigert habe. Er lauschte dem Wohlklang – wie ein echter Musiker, der er war – der ihm seine Lieblingspoesie lebendig zu Gehör brachte. »Ja,« rief er freudig aus, »das ist Musik der Sprache; das thut wohl!« – und als er umher schaute, gleiche Anerkennung, gleich freudige Teilnahme in den Zügen der andern zu suchen, bemerkte er mit Erstaunen, daß diese teils Verlegenheit – denn Fuchs und Schmidt senkten die Blicke – teils Betrübnis zeigten – denn Ludmilla weinte. Sein gutes liebevolles Gemüt befürchtete sogleich, die arme Frau zurückgesetzt zu haben, und er sprach ihr munter zu: »Na, sauberes Weiberl, erst haben wir die Musik der Sprache vernommen, jetzt wollen wir auch die Sprache der Musik hören. Jetzt werden Sie uns ein Liedel singen. Meine Herren Kollegen haben mir alles Schöne gesagt von Ihrer Stimme! Was nehmen wir denn vor? Wen haben Sie recht gern als Komponisten?«

Wulf gedachte ihr eine Verlegenheit zu ersparen; er antwortete für sie: »Diese Frage dürfte nicht leicht ein anderer wagen, außer Joseph Haydn selbst. Aus jedem fremden Munde wäre sie Lästerung. Ihm kommt keiner gleich!«

Worauf der Meister entgegnete: »Wie kann man doch mit einem so herrlichen Organ derlei Dummheiten sprechen? Wollen Sie mir schmeicheln? Thun Sie das nicht, lieber junger Freund, damit wir Freunde bleiben; denn Sie gefallen mir ausnehmend wohl. Ja, ja, ich hab' recht gute Sachen geschrieben, nicht allein für Instrumente von Menschenhand, auch für das Instrument, welches unmittelbar aus Gottes Hand geliefert wird, für die vox humana! Ich fühl' das, andere bestätigen mir's, und ich unterschätz' mich nicht. Aber darum halt' ich mich weder für unfehlbar, noch für unübertrefflich. Denn wie weit bleib' ich zurück hinter unserm großen seligen Mozart! Du mein Himmel, seine Opern und meine Opern! Hier in Eisenstadt nehmen sie sich wohl brav aus, enthalten auch tüchtig gearbeitete Nummern ... aber wie lange werden sie dauern? Glauben Sie's mir: wenn meiner Theaterkompositionen keine Seel' mehr gedenkt, werden Mozarts unsterbliche Werke noch die ganze Welt entzücken. Ach, könnt' ich den musikalischen Verstand, die reine Empfindung, womit ich sie erfasse, doch allen Leuten einprägen, besonders den schwer- und harthörigen hohen Herrschaften! Hätt' ich's doch thun können bei seinen Lebzeiten! Ich hab's damals seinem Herrn Vätern gesagt und ich sag's noch in meiner Todesstunde vor Gott und Menschen als ehrlicher Mann, daß ich ihn, Wolfgang Amadeus Mozart für den größten Komponisten anerkenne! Nichts über Mozart!«

Die Augen glänzten ihm, da er diesen Ausspruch that.

»Und ich,« rief Schmidt feurig aus, »ich erwidere Ihnen darauf mit Mozarts eigenen Worten! ›Keiner von uns kann alles wie Vater Haydn, und eines wie das andere gleich gut.‹«

Haydn hielt das Taschentuch vors Gesicht und schluchzte: »Das ist wahr, das hat er manchmal gesagt, der gute Mozart, dem unser Herrgott die himmlische Glückseligkeit verleihen wolle; denn von der irdischen ist ihm nit gar viel beschieden gewesen.«

»Und gestatten Sie mir,« fing Schmidt noch einmal an, »mir, dem geborenen Weimaraner, daß ich auf einen Lichtpunkt hinweise, der manche trübe Wolken, wie deren gerade jetzt so düster und dick über Deutschland hängen, siegreich durchbricht. Ich bin lebendiger Zeuge gewesen von dem hehren, heiligen Bündnisse zwischen Goethe und Schiller, sah als Knabe schon, wie es sich schlang zu gegenseitiger Hebung, Anregung, belehrender Anerkennung, wie es sich dauernd befestigte. Ich erlabe mich jetzt an dem Bewußtsein, daß es heute noch besteht, blüht, reiche herrliche Früchte bringt. Dieser harmonische Zusammenklang unserer größten Dichter stünde in gesamter Litteratur- und Kunstgeschichte einzig da, gäb' es nicht im Reiche musikalischer Harmonien etwas Ähnliches. Wie Goethe und Schiller einer den andern ohne Neid des Kranzes würdig achten, so schmücken unsere zwei größten Komponisten einer des andern Haupt. Wie Goethe über Schiller, wie Schiller über Goethe urteilt, so Haydn über Mozart, und Mozart über Haydn. Mozart ist unserem Haydn vorangegangen ins Land ewiger Melodie; wahrscheinlich wird Goethes Riesenkonstitution unsern kränkelnden Schiller weit überleben. Wie Vater Haydn zu seinem verklärten Mozart aufblickt, so wird Goethe dereinst sein Götterauge zu dem Freunde aufschlagen, der hienieden schon geistig verklärt umherwandelte. Des zum Zeichen, zur hörbar symbolischen Weihe lassen Sie, teuerster Kapellmeister, unsere holde Aspirantin ein Liedchen singen, welches Goethe schuf, welchem Mozart die Weise gab, damit der Lebende und der Vorangegangene in dieser Stunde beide zu uns sprechen.«

Haydn ergriff ein Notenblatt und legte es am Klavier auf, vor dem er Platz nahm. Und Ludmilla sang – die erste Strophe zwar mit Zittern und Zagen: »Ein Veilchen auf der Wiese stand etc.«

So hatte sie niemals noch gesungen. Der Mangel an Schule und Technik verschwand vor dem Hauche des Gefühls. Die Worte: »Und sterb' ich gleich, so sterb' ich doch durch sie etc.« ergriffen sämtliche Hörer. Sogar Wulf, der bisher ungläubig gezweifelt, ahnte ein erwachendes Talent. Haydn nickte ihr freundlich zu: »das Weiberl muß halt erst lernen, aber auch verlernen! Hat allerhand Unformen. Das macht aber nix, ein Fond ist da. Nur hübsch arbeiten, reinen Ansatz gewinnen, fleißig Skalen singen und nicht alles auf einmal herausgeben, sein Haus halten! An Gefühl fehlt's nicht. Im Gegenteil: ›viel z'viel G'fühl‹ Die Thränen sollen im Herzen bleiben, dürfen der Sängerin nit in die Kehle kommen, sonst verzuckt und verschluckt sie sich. Na, der Fuchs wird's schon machen, wird sie tüchtig solveggieren lassen. Und alle Wochen ein paarmal wollen wir bei mir zusammen kommen, wollen eine kleine Opernpartie miteinander durchnehmen, damit wir heuer noch, geliebt's Gott, auf die Bretter hinausgehen können. Das verleiht Courage zum weiter studieren. Courage wird's Weiberl brauchen, und Geduld. Darf nicht abspringen, muß fest bei ihrer Sach' ausharren, sonst wird's nix mehr, nix rechts. Ist halt schon ein Bissel spat. Die maitres draußen im Reiche haben ihr Geld mit Sünden verdient, haben's nicht verstanden, eine Stimm' auszubilden. Zu verbilden, ja, das treffen's! Na der Fuchs wird's schon machen. Und Sie, mein Schatz,« fuhr er zu Wulf dann fort, »stehen Sie ihr bei, ermuntern Sie die liebe Frau, machen Sie ihr die Lehrzeit angenehm. Besonders halten Sie darauf, daß sie immer deutlich und rein artikuliert. Dafür sind Sie ja das beste Vorbild, weil Sie so herrlich reden. O, die dramatischen Sänger wissen gar nicht, wollen meist gar nicht wissen, wieviel von einem vortrefflichen Redner zu profitieren ist! Sie meinen, wann die Töne nur recht herausgeschrieen werden, wann nur dazwischen gehörig gegurgelt wird, nachher kommt's auf ein Maulvoll einzelner Silben nicht an. Und unsere Komponisten unterstützen die schlechte Gewohnheit, lassen wichtige Worte unter den Tisch fallen. Freilich wohl, die Herren Dichter, die für Komposition schreiben, nehmen's auch nicht gar genau. Der selige Mozart klagte darüber auf seine lustige Weise und sagte: Ich weiß nicht, was sich unsere deutschen Dichter denken? Wenn sie schon das Theater nicht verstehen, was die Opern anbelangt, so sollen sie doch wenigstens die Leute nicht reden lassen, als wenn Schweine vor ihnen stünden! Ha, ha, ha, das hat sich seitdem wohl auch gebessert. Aber es soll damit immer besser werden. Guten Worten soll der Opernschreiber kräftigen Schwung verleihen, und der Sänger soll beiden ihr Recht erweisen, auf daß wir deutschen Gesang bei Ehren erhalten. Darin können Sie viel thun, Herr Wulf, für die liebe Ihrige. Sie können aber auch viel thun für mich, wann Sie mir bisweilen eine Stunde schenken und mir etwas Gutes vorlesen. Ihr Vortrag wird mich zur Thätigkeit anregen, und die Melodien werden recht in Fluß kommen, wenn Ihre Stimme in meiner Seele nachtönt. Na, b'hüt Gott, Kinderl!«

Wulf schied vom liebenswürdigsten Meister, dankbarer Verehrung voll, wie von einem Vater. Erst als sie aus seinem Hause gingen – Schmidt und Fuchs waren oben geblieben – bemerkte er, daß Ludmilla betrübt und niedergeschlagen neben ihm herschritt. Auf seine enthusiastischen Lobpreisungen erwiderte sie nichts. Das verdroß ihn, und er tadelte sie deshalb, klagte die Wandelbarkeit ihrer Laune an. Auch dazu schwieg sie. Erst nachdem er sie eindringlich befragt, was denn jetzt wieder nicht recht sei, gab sie traurig zur Antwort: »Ich werde auch hier wieder die Zurückgesetzte sein, und du wirst wie überall der Bevorzugte bleiben.«

»Das liegt ja nur an dir,« tröstete er freundlich. »Biete deine Kräfte auf, setze festen Willen daran, und du wirst mich überflügeln, so gewiß als die Oper das recitierende Drama unterdrückt. Gelingt's dir – mich sollst du niemals darüber klagen hören. Dein Glück wird auch mich beglücken. Nur mutig, ans Werk!«

»Ich wills versuchen,« flüsterte sie.

*   *   *

Von dem geselligen, musikalischen, theatralischen Treiben in Eisenstadt, von der mehr denn fürstlichen Pracht jener Tage, von dem wahrhaft großartigen Luxus, welcher nach allen Richtungen hin dabei entfaltet ward, eine Beschreibung zu geben, würde die ohnehin allzu beschränkten Grenzen unserer Aufgabe überschreiten. Wir haben die Schicksale eines Schauspielers, von dem dies Buch den Titel trägt, getreulich zu verfolgen bis ins Grab und dürfen den Ereignissen um ihn her, den Freuden, die ihm etwa blühen, den Verwicklungen, durch welche er sich schlagen soll, nur insofern Raum gestatten, als sie entschiedenen Einfluß auf die Entwicklung seiner Persönlichkeit üben. Deshalb fassen wir die Ereignisse bis zum wichtigsten und folgenschwersten Vorgange seines ganzen Daseins in einen möglichst gedrungenen Bericht zusammen.

Daß für seine künstlerische Vollendung nicht viel zu erwarten stehe an einem Orte, wo einzig und allein die Oper gepflegt wurde, wußten wir vorher, noch ehe er und Ludmilla von Wiener-Neustadt entwichen.

Der erste Schlag, der ihre eitlen Luftschlösser erschütterte, ward von ihrem Gönner Schmidt geführt. Dieser bestand darauf, die reizende Gesangs-Elevin habe fürs erste im weiblichen Chore mitzuwirken, um Sicherheit auf den Brettern, vor den Lampen, vor dem Publikum zu erwerben und dabei taktfest in jedem Sinne zu werden. Aus praktischem Gesichtspunkte ließ sich nichts dagegen einwenden. Aber das Reichsfreifräulein Tauern-Kauzburg eine ordinäre Choristin!

Armer Wulf! Dies Wort vernichtete deine letzten Aussichten auf häuslichen Frieden. Hätte Ludmilla sich entschieden widersetzt; wäre es zwischen fürstlicher Theaterdirektion und ihr zum Bruche gekommen; hätte fernere Sorge für die Befriedigung nächster Bedürfnisse sie gezwungen, nach kurzem Aufenthalte Eisenstadt gleich wieder zu meiden ... das ließ sich ertragen; das brachte sie einander vielleicht noch einmal nahe, in Not und Entbehrung fanden sich möglicherweise die getrennten Herzen doch wieder zusammen. Weil sie sich aber fügte, weil sie ihren Groll den Gönnern verhehlte, weil sie jenen sich bescheidentlich gehorsam zeigte, so wähnte sie sich berechtigt, allen Unmut, den sie vor ihren Lehrern und bei den Proben im Innersten verbarg, um desto heftiger auszulassen, wenn sie mit ihrem Gefährten allein war. Anstatt einzusehen oder gar dankbar einzugestehen, daß er ihr das größte Opfer gebracht, indem er dies Verhältnis einging; daß er ihr den gültigsten Beweis sich unterordnender selbstvergessender Liebe gegeben, ließ sie ihn fühlen, wie schwer es ihr falle, so niedrig gestellt, so unwürdig behandelt zu werden ... als ob es um seinetwillen, in seinem Interesse geschähe! Und wenn er versuchte, sie eines Besseren zu belehren, wenn sie endlich seine Gründe und Beweise nicht mehr sophistisch wegklügeln konnte, da verschanzte sie sich zuletzt hinter die unsinnige Behauptung: Es sei doch alles nur seine Schuld, weil... (o über die Weiber, die durchaus recht behalten wollen!) ... weil sein Talent das ihrige unterdrückt habe! Wie oft hatte er schon auf der Zunge zu erklären, ihr Talent lasse sich nicht unterdrücken, denn sie besitze keines, und es sei auch nicht einwohnender Beruf, der sie zur Bühne getrieben, sondern ... doch da besann er sich, daß er hinzusetzen müsse: sondern die Leidenschaft, welche dich damals durchtobte! ... Und er verstummte beschämt und gerührt und bemühte sich die Öde der Gegenwart mit abgewelkten Blumen der Vergangenheit zu verdecken.

Mochte denn immer Ludmilla es für unverantwortliche Mißachtung ihrer gerechten Ansprüche ansehen, daß man sie zwischen die blökende Herde – so nannte sie den Opernchor – gesteckt habe! mochte diese Herde in sehr greller Mischung neben gewöhnlichen Ziegen und Schafen (schuldlose Lämmer gab es darunter kaum!) auch verschiedene schlanke, edelgeformte Gazellen mit bezaubernden Augen enthalten, die sich keck hervorthaten! vor allen glänzte sie, nicht allein durch Schönheit, ebenso durch jenes unerklärliche und unbeschreibliche Etwas, dem die französische Sprache ihr in keiner andern Sprache ganz wiederzugebendes » je ne sais quoi« beilegt. Schon am ersten Abend, als im Monat September die stabilen Herbstvorstellungen des fürstlichen Schloßtheaters begannen, ging beim Auftritt des Chores, sowie sie nur sichtbar wurde, anerkennendes Murmeln durch den großen Saal, und Herren wie Frauen teilten sich ihr Erstaunen mit: » d'où sort elle? ... Mais vraiment elle a l'air de grande dame!«

Weshalb hatte sie bei ihren Versuchen auf Wanderbühnen diese magische Wirkung nicht hervorgebracht? Das läßt sich leicht begreifen. Erstens behielt sie in der Bedrängnis des Lampenfiebers, wo sie nur an ihre Aufgabe denken konnte, weder Zeit noch Ruhe, ihre Erscheinung zu beherrschen, und die ungeübte Anfängerin bewegte sich ängstlich, verzagt, ungeschickt, ja plump. Zweitens aber war dort das Auditorium anders zusammen gesetzt als hier, wo die höchste Aristokratie den Ton angab und wo die meisten Anwesenden »Witterung« verspürten, daß sie ein Wesen ihrer Gattung vor sich sahen. Auch fand sogleich eine Rückwirkung statt. Sie fühlte sich anerkannt; dies Gefühl befestigte ihre Zuversicht. Sie verließ zwar den ihr vom Regisseur angewiesenen Platz keineswegs; dennoch trennte sie sich von den übrigen Choristinnen ab, wie auf einem großen Bilde aus dunkel gehaltener Volksmasse sich eine vom Maler mit Vorliebe behandelte Figur hervorhebt. Während jene heftiglich nach der ihnen in den Proben eingebläuten Anordnung agierten, hielt sie sich vornehm zurück und nahm an der Handlung nur insoweit Teil, als ihr Antlitz den Ausdruck wechselte. Sie machte Aufsehen. Schon nach dem ersten Akte wurde Sekretär Schmidt zu seinem durchlauchtigen Herrn berufen und angelegentlich ausgeforscht. Die Nachricht, daß die bewunderte Choristin gerade jene bewußte Gattin des Schauspieler Wulf sei, welche man als Nachwuchs heranzubilden versuche, beschwichtigte des Fürsten Aufregung sogleich. Ehefrauen konnten ihn nur künstlerisch fesseln. Und der schon citierte, seinem Rufe boshaft entsprechende Scherz: »Seine Durchlaucht sei ein leidenschaftlicher Musikliebhaber von jungen schönen Sängerinnen,« fand bloß auf jungfräuliche Priesterinnen der heiligen Cäcilie Anwendung, deren allerdings viele durch seine Huld auf den Ehestand vorbereitet und großmütig dazu ausgestattet worden sein sollen.

Desto nachhaltiger bewies Ludmillas Debüt seinen Reiz in den Kreisen der andern Herren, von denen manche schon am nächstfolgenden Tage Wulfs Bekanntschaft suchten. Man kennt ja die »Herablassung« gewisser Kavaliere zu sonst kaum über die Achsel angesehenen Schauspielern, sobald letztere Väter, Brüder oder Gatten von Geschöpfen sind, die Gnade vor hohen Augen finden. Leider kennt man auch die Infamie großmäuliger »Künstler,« welche sich eine Ehre daraus machen, solcher Herablassung verbindlich entgegenzukommen. Es läßt sich schwer entscheiden, wer seinen Wert dabei mehr vergißt: ob der demütige Komödiant, der wie ein kriechender Hund aufwartet, wenn er bei Namen gerufen wird; ob der hochmütige Kavalier, der, ein Sklave momentaner Lüsternheit, Grundsätzen untreu wird, welche nur in konsequent bewahrter Reinheit sich Achtung erwerben können?

Bei unserm Wulf kamen die gnädigen Herren schlecht an. Er ließ sie kalt ablaufen und setzte ihren Wünschen, »ihn in seinem kleinen Haushalt zu sehen,« ein höfliches »Nein!« entgegen. Worauf sie ihn natürlich für einen unverschämten Flegel erklärten und sich teils durch willige Vermittlerinnen, teils direkt an »Madame« wendeten.

Lassen wir nicht außer acht, daß es meist magyarische Edelleute waren, die Ludmilla ihrer Aufmerksamkeit würdigten; daß diese vorzugsweise vor sämtlichem Adel Europas sich berechtigt meinen, ihre Füße auf andrer Nacken zu setzen; daß besonders der Deutsche ihnen ein gering zu schätzendes Menschenkind dünkt; daß sie endlich, an Widerstand bei Choristinnen oder Tänzerinnen nicht gewöhnt, für etwaige Ausnahmen von der Regel keine Begriffe hatten, was allerdings zu ihrer Entschuldigung beiträgt.

Das hätte zu sehr garstigen Dingen führen können, und Wulf wäre vor den Peitschen riesiger Heiducken nicht sicherer gewesen, als Ludmilla vor gewaltsamen Überfällen, hätte sie nicht eine, wenn noch sehr jugendliche, darum doch nicht minder mächtige Beschützerin gewonnen. Des Fürsten Tochter, Prinzessin Leopoldine, fand besonderes Wohlgefallen an dieser vielversprochenen Sängerin. Was ältere Damen vermutungsweise hingeworfen: Madame Wulf könne leicht »von Geburt« und durch Familien-Zerwürfnisse oder politische Mißgeschicke genötigt worden sein, ihren Lebensunterhalt auf solche Art zu suchen! Das hatte die liebliche Sylphide – denn diesen Beinamen trug sie von Kindheit an, und er ist ihr auch vierzig Jahre später, da sie längst Großmutter war, nicht entzogen worden – begierig gemacht, ja wir dürfen, ohne der holden Fürstin unrecht zu thun, wohl schreiben: neugierig, zu ergründen, was daran wahr, und inwiefern das Herz beteiligt sei bei jenen Zerwürfnissen und Mißgeschicken. Das Herz, das wunderbare Centrum im Kreislaufe jungfräulicher Träume, Sehnsüchte, Befürchtungen! Das Herz, welches gerade bei der Prinzessin sich zu melden begann! Denn es wurde bereits von Brautschaft gemunkelt, und ein großes altes Geschlecht stand hinter dem Gerüchte mit einem seiner edelsten Söhne als Träger desselben.

»Ich möchte die schöne Frau kennen lernen,« hatte sie gesagt und in ihrer Herzensgüte beigefügt: »vielleicht läßt sich etwas für sie thun?«

Ein Wunsch Leopoldinens galt dem fürstlichen Hause für Befehl, nicht allein weil sie des Herrn Kind, mehr noch weil sie das vergötterte »Prinzeßlein,« weil sie aller Liebling von Klein auf gewesen. Diesem Wunsche jedoch ohne weiteres nachzugeben schien bedenklich. Ihre Erzieherin, eine pflichtgetreue, etwas peinliche Frau, Witwe des frühverstorbenen Baron ∗∗∗∗ hing ihrer Pflegebefohlenen mit jener mütterlichen Liebe an, die sie nur eignen Kindern gewidmet haben könnte, wäre ihr dies Glück beschieden worden. Sie hatte auch so ziemlich freie Hand, genoß volles Vertrauen, durfte fast unumschränkt walten. Was die »Baronin« bestimmte, galt als Gesetz. Und es fehlte ihr nicht an Energie. Hier aber wagte sie doch nicht zu entscheiden. Wer mochte wissen, welche dunkle Flecken auf der Fremden Schicksale hafteten? Die Gefahr lag zu nahe. Deshalb holte die Sorgsame sich vorsichtig höheren Rat ein, und dieser Beratung Ergebnis lief darauf hinaus, daß Madame Wulf fürs erste zur Frau Baronin beschieden ward. Der Titel »Baronin« machte Ludmilla nicht sehr lüstern auf die Zusammenkunft. Zur ersten besten Gouvernante würde sie gegangen sein, wie eben ein untergeordnetes Mitglied des Theaters vor einer im fürstlichen Palaste hausenden, mit der Tochter Obhut betrauten, folglich höchst angesehenen Dienerin zu erscheinen hat: bescheiden, zurückhaltend, doch empfänglich für wohlwollende Aufnahme. Bei einer Frau Baronin drängten sich Tauern-Kauzburgische Reminiscenzen zwischen sie und den weisen Vorsatz, keinen Unmut zu zeigen und keinen Rückfall in alte Eitelkeiten zu thun. Was berechtigt solche zweifelhafte Baronin, mich ohne weiteres rufen zu lassen? fragte sie sich, und nun trat sie als Reichsfreifräulein auf! Die ältere Dame benahm sich, da nur der erste Schreck vorüber war, eben so gutmütig wie klug. Sie sagte: »Mein liebes Kind, es ist durchaus unnötig, hier die vornehme Herkunft geltend zu machen, an die wir ohnehin schon glauben. Gerade darum hab' ich Sie bitten lassen, sich zu mir zu bemühen. Man wünscht in bester Absicht etwas Näheres über Sie zu erfahren. Man wünscht zu wissen, auf welche Weise und durch wessen Schuld Sie in gegenwärtiges Mißverhältnis gerieten. Und wenn Sie meiner aufrichtigen Gesinnung vertrauliche Offenheit entgegenbringen, so dürfte man geneigt sein, Ihnen, durch was immer für Mittel, Beistand zu gönnen. Deshalb sprechen Sie frei mit mir. Ich repräsentiere gewissermaßen nur Ihre junge durchlauchtige Gönnerin, welche Sie gern empfangen hätte, und ich würde mich recht freuen, sollten Ihre Mitteilungen späterem Empfange kein Hindernis in den Weg legen. Gestehen Sie unumwunden: sind Sie verwaist? sind Sie der Sprößling eines durch die Stürme der Zeit herabgekommenen adeligen Hauses? Haben Unglücksfälle in Ihrer Familie, die Sie, die Hilflose, auf die Bretter getrieben? Ist vielleicht Ihr Gemahl gleichfalls das Opfer unserer an ähnlichen Wechselfällen leider so reichen Weltepoche? Ich wiederhole, nicht müßige Neugier heißt mich forschen. Man denkt Sie zu soulagieren.«

Ludmilla zögerte nicht. Sie bedurfte keiner Überlegung, wie sie zu antworten habe. Mit schneidendem, wider sich selbst gerichtetem Hohne sprach sie entschieden: »Den Sie, Baronin, meinen Gemahl nennen, der nur – mein Begleiter, ist der Sohn eines herumziehenden Komödianten-Prinzipals, dessen Truppe bei uns spielte. Ich bin keine Waise, denn mein Vater lebt und ist ein reicher vornehmer Herr. Ich, sein einziges Kind, bin ihm entlaufen, um dem Schauspieler Wulf zu folgen. Mein Elend ist mein eigen Werk.«

Die Baronin verblich und wendete sich von ihr ab.

Nach einer Pause sagte Ludmilla: »Sie wissen nun wohl genug von mir, und ich darf mich wieder entfernen?«

Schon that sie einige Schritte, da rief ihr die Baronin nach – »Bleiben Sie, Unglückliche, und lassen Sie mich alles wissen! Hören Sie, mein armes Kind: Alles, alles! Reden Sie mit mir wie mit Ihrer Mutter. Sie haben keine Mutter mehr, ich hatte keine Tochter. Meine Prinzessin gilt mir für das eigene Kind. Sie fühlt sich kindlich, schwesterlich Ihnen zugeneigt. Dadurch stehen Sie mir nahe. Ich biete Ihnen die Hand. Wir wollen Sie retten, wenn es möglich ist. Vertrauen Sie sich mir an! Eine Verirrte können Sie sein, eine Verlorene nimmer. Sie sind edel, denn Sie sind wahr. Verschweigen Sie nichts, gar nichts! Das Schlimmste kenn' ich ja. Was Sie mir weiter anvertrauen, kann nur beitragen, Ihre Schuld zu mildern. Denn es müssen Dinge vorhergegangen sein, die Ihren Fehltritt erklären, die Ihnen zur Rechtfertigung dienen. Ein solch' Äußerstes verübt keine junge Dame ohne gewaltsame Anstöße. Ich gelobe Ihnen Diskretion. Wollen Sie Ihr ganzes Herz öffnen, ohne Rückhalt?

Ludmillas stolze Bitterkeit zerschmolz an dieser liebevoll warmen Aufforderung. Sie umschlang die gute Frau und schluchzte laut: »Ja, ich will mit Ihnen reden wie mit meiner Mutter!«

*   *   *

Sie war mehrere Stunden lang ausgeblieben; eine fürstliche Equipage brachte sie vom Schlosse heim. Bei einer selbständigen Sängerin hätte das nichts Auffälliges gehabt, denn alle ersteren Mitglieder der Oper genossen diese Bequemlichkeit. Auf Choristinnen dehnte sich die Opulenz des fürstlichen Marstalles nicht aus. Die Nachbarschaft zeigte nicht üble Lust, bösen Leumund an solche Auszeichnung zu knüpfen, doch wurde ihr Getratsch im Keime erstickt durch die Versicherung des Kutschers: er habe auf Befehl der »Schloßbaronin« eingespannt. Und die eifrigsten Lästermäuler konnten sich durch Anschauung überzeugen, daß es keines der bräuchlichen Theaterfuhrwerke, sondern wirklich die Kutsche der Prinzessin Leopoldine sei, worin die »Wulfische« befördert worden. Auch das gab viel zu mutmaßen, und eigentlich trafen die albernen Menschen doch das Richtige, wenn sie den Schluß zogen: »hinter der hochnäsigen Bewohnerin ihrer abgelegenen Gasse müsse mehr stecken, wie hinter den ordinären übrigen Weibsbildern vom Singechor.«

Wulf belästigte Ludmillen nicht durch Fragen. Er gönnte ihr Zeit und begnügte sich fürs erste mit der wohlthuenden Wahrnehmung, sie sei heiterer vom Schlosse zurückgekehrt, als sie hingegangen. Die Unterredung mußte, davon hielt er sich überzeugt, eine ausführliche, beruhigende, zufriedenstellende gewesen sein. Was sie ihm des Näheren davon erzählen wolle, bleibe der Geliebten überlassen, meinte er. Genoß er doch schon ein langentbehrtes Glück in dem Anteile, der ihm davon zufiel, weil sie sich freundlich, herzlich und froh zeigte. Er sah sich gleichsam in die ersten Wochen ihres Zusammenlebens wieder hineingezaubert. Das könnt' er ihr nicht verschweigen. »Gesegnet,« rief er aus, »gesegnet sei die Dame, welche dich zu sich berief; sie hat dich umgewandelt; ich bin ja wie im Himmel, wenn ich dein liebes Angesicht betrachte!«

Wie er dies sagte, zog auch schon eine Wolke über das liebe Angesicht. Es war aber nicht mehr jener Schatten stumpfen schweigsamen Trübsinnes, der ihn bisher gemartert; es waren eher Wehmut und Rührung, welche sich der ausdrucksvollen Züge bemächtigten. Sie sah ihn prüfend an, wie man etwa dem Freunde ins Auge schaut, den man bald verlassen zu müssen glaubt, von dem die Trennung weh thut, der nicht ahnt, was ihm bevorsteht. Dann legte sie ihr Haupt an das seine: »Du Armer, ich habe dir das Dasein recht schwer gemacht durch meine kindischen Launen; wie oft magst du schon gedacht haben, wenn ich sie nur los wäre!«

»Niemals! Bei Gott, niemals!«

»Ich werde mich bessern. Die Baronin hat mir ins Gewissen geredet. Sie nehmen auf dem Schlosse Teil an unserm Geschick. Sie werden für mich besorgt sein ... und auch für dich!«

Weiter ging Ludmilla nicht in ihrem Berichte. Sie wollte nicht lügen. Er fragte nicht weiter; er drang nicht einmal darauf, zu erfahren, ob sie den fürstlichen Damen vorgestellt worden. Er lächelte nur: »Desto besser, wenn sie dir huldreich sind; für mich begehre ich gar nichts, wofern du nur bleibst wie heute!«

Ach Gott, wie häufig sagen wir in glückseligen Stunden: ich begehre ja weiter nichts, als daß es bleibe wie heute! Und wie häufig seufzen wir dann, nachdem jenes Heute ein Gestern, ein Vorgestern wurde: ich bin unglücklich, ich halt' es so nicht aus! – Erbärmliche schwache Wesen, die wir sind!

Ehe drei Tage der Einigkeit, des häuslichen Friedens im Stillleben vergangen waren, regte sich in unserm Wulf der eingeborene Schauspielertrieb, der Geist unbefriedigter Darstellungskraft, der Dämon, der schaffen und wirken, der nach außen gestalten will. Ist's ein guter, ist's ein böser Geist?

Wer lange von ihm besessen, sich müde gekämpft im Streite gegen ihn, möchte ihn kurzweg »Theaterteufel« schelten. Mancher Mensch hat ihn bereits im Leibe, wenn er das Licht der Welt erblickt, und mag es oft genug vorkommen, daß er Personen, denen das Theater eine gänzlich unbekannte Welt blieb, weil sie in einer entschieden anderen leben, durch seine unruhigen, ihnen unverständlichen Forderungen halb toll macht. Er tobt und wirtschaftet in ihnen herum, und sie, gebunden an den engen Raum ihrer beschränkten Verhältnisse, wissen weder, was in ihnen eigentlich vorgeht, noch wo es hinaus will. Deshalb bemerkt man bisweilen Männer und Frauen, auch niedersten Standes, welche noch in reiferen Jahren eine rechte Sucht zeigen, sich zu verkleiden, durch karikierte Nachahmungen Hoch und Gering zu verspotten, überschwengliche Reden zu halten oder, wenn's gar nichts anderes zu thun giebt, in Gesellschaft die Narren zu spielen. Fastnacht, Hochzeitsschmäuse, Polterabende, heilige Dreikönigstage, und was dahin gehört, benutzen sie, ihr Darstellungsbedürfnis zu befriedigen. Nicht nur jedes kleinste Städtchen erfreut sich solcher Exemplare; mir ist kein Dorf bekannt worden, wo ich nicht ihresgleichen gefunden hätte. Viele unter ihnen dürfen allerdings für Säufer, Müßiggänger, herabgekommene Umhertreiber gelten. Es giebt aber auch sehr ordentliche, vorwurfsfreie Leute dazwischen, deren Wirtschaft gut geregelt ist, die ihre Kinder in redlicher Zucht erhalten, fleißig arbeiten, monatelang ihren gewöhnlichen Gang gehen und dann urplötzlich, irgend eine sich darbietende Gelegenheit ergreifend, über alle Stränge schlagen, als wenn der so lange eingesperrte Teufel sich nun austoben müsse, solle er sie nicht aufreiben und ihr Dasein zerstören. Oft stehen diese zeitweiligen Extravaganzen im schroffsten Widerspruche zu ihrer ganzen Lebensrichtung. Ich besinne mich auf einen Freihäusler in stillem Dorfe, der zu den Frömmlern seiner Gemeinde gerechnet wurde, der mit gesenktem Haupte umherschlich und betete, wo er ging und stand; der aber sich's niemals nehmen ließ, meilenweit in die Runde den Hochzeitsbitter zu machen, der dabei die unbändigsten Streiche trieb, das unsinnigste Zeug redete und keinen, keine von den Gästen ungeneckt ließ, indem er jedweden treffend kopierte, ihm seine Eigentümlichkeiten zu allgemeinem Ergötzen wie in einem Spiegel vorhielt. Es war ihm weder um Speise noch Trank zu thun, er vermied jegliche Schwelgerei, er wollte nur sein Talent zeigen und es anerkannt wissen. Ich bin überzeugt, hätte der nur gewußt, daß es Schauspieler von Metier giebt, er wäre »drunter gegangen,« trotz seiner Pietisterei.

Wie mächtig der Theaterteufel in unserem Wulf gewesen, ist uns ja bekannt. Und wollen wir uns der Entdeckung erinnern, welche Papa Bäcker dem Adoptivsohne über dessen Herkunft gemacht, so dürfen wir wohl sagen, dieser hatte den Theaterteufel nicht gestohlen; es war sein rechtmäßiges Erbteil. Und wir dürfen auch nicht ungerecht, dürfen nicht allzu streng sein gegen den armen bösen Geist, der da in eines Menschen Leib gebannt ist, wo er sich mitunter verzweifelt in der Klemme befindet. Im Grunde ist der böse Geist gar ein guter, armer Teufel. Wird ihm nur etwelche Thätigkeit verstattet; bleiben die Mittel, welche ihm seines Hausherrn Persönlichkeit zur Disposition stellt, nicht allzu weit hinter seinen Intentionen zurück; helfen sie ihm nur einigermaßen die Bilder, die er sich entwarf, zu äußerer Anschauung bringen ... dann benimmt er sich vernünftig genug und stellt sich sogar mit wenigem zufrieden. Nur total unthätig will er nicht bleiben; ein Schlaraffendasein voll Müßiggang wird ihm unerträglich, und sieht er sich dazu gezwungen, dann erwacht die diabolische Natur; sie rächt sich, wo sie weiß und kann.

Das that sie denn auch an Ludmillas Freunde, und Wulf mußte viel dadurch leiden. Er hatte vorher schon genug zu leiden gehabt durch seine Leidensgefährtin. Denn anfänglich, als sie kurz nach ihrer Flucht von Kauzburg sich persönlich noch nicht auf die Bretter hinaus wagte, und während sie, kühnster Zuversicht voll auf ihre Debüts, einstweilen die bewundernde Begleiterin eines heißgeliebten Mannes verblieb, begehrte sie ausdrücklich, er solle sich immer schön machen; solle gleichsam durch sein Auftreten (nicht künstlerisch, nein sinnlich) rechtfertigen, daß sie ihm zu folgen sich entschlossen. Sobald er eine Rolle übernahm, die dazu nicht geeignet war, grollte sie und betrachtete seine »Vernachlässigung der Toilette« wie einen Eingriff in ihre Rechte. Sie sah seine Kunst für ihre Rivalin an. Später, da sie sich in jener kühnen Zuversicht auf ihren theatralischen Beruf getäuscht fand, begann der unselige Zwiespalt so vieler Theaterehen, mögen es nun wirklich geschlossene, mögen es nur wilde sein, an denen kein Mangel herrscht. Es läßt sich schwer entscheiden, was schlimmere Einwirkungen auf die Eintracht gepaarter Schauspieler übt: das künstlerische Übergewicht des Mannes oder das der Frau? Dem biblischen Ausspruche gemäß: »und Er soll dein Herr sein!« scheint ersteres vorteilhafter. In der Bühnenpraxis wendet sich's doch bisweilen anders. Der Mann findet, wenn seine Gefährtin die vom Publikum Vorgezogene und wenn sie ihm herzlich zugethan ist, in ihrer Befriedigung nicht selten die seinige, weil sie ihn durch Liebe für die Entbehrung des Beifalls schadlos zu halten weiß und ihm daheim zärtlichste Sorgfalt widmet. Ja, der Geist des Widerspruchs, der in den meisten Weibern lebt, macht sie gewiß zur feurigsten Lobrednerin seiner (auch mißlungenen) Leistungen, und sie muntert ihn auf, sich über die Kälte unverständiger Zuschauer wegzusetzen. Ist jedoch Er der Liebling, ist Sie »die Verkannte,« dann kommt ihm wohl sein Theatertriumph im Hause teuer zu stehen, und traurige Gesichter, tiefe Seufzer, verhaltene Thränen sind das Geringste, was ihm den Spaß verdirbt. Diese Martern waren unserem Wulf nun erlassen. Ludmilla hatte nichts zu beneiden, weil sein ausübendes Talent am Nagel hing. Aber, wie gesagt, der Theaterteufel duldete nicht, daß er dies negative Glück lange genieße. Er ließ sich von der Angst übermannen, solch' ein Mangel an Übung, solche Unthätigkeit werde seine Fähigkeiten abschwächen, vernichten. Er verglich in seinem Sinne die Gaben des Darstellers mit der Kraft des Magnetes, welche sich bald verliere, wenn sie nichts mehr anzuziehen, zu halten, zu tragen habe. Er blickte zu dem für ihn verschlossenen fürstlichen Opernsaale wie zu einem unerreichbaren Zauberschlosse auf und war mehrmals nahe daran, sich durch seine Gönner Haydn, Fuchs, Hummel (denn sie hatten ihn alle lieb) als Sänger in den männlichen Chor einschwärzen zu lassen. Nur die Besorgnis, man könne das deuten, als hege er Mißtrauen gegen Ludmilla und wolle ihr Benehmen überwachen, hielt ihn zurück von diesem Schritte. Von dem größeren, bedenklicheren, sie in Eisenstadt allein zu lassen und sich aus unterschiedlichen Bühnen da und dort Gast- und Probespiele zu suchen, hatten ihn anfänglich allerdings die Angriffe zurückgehalten, welche auf ihre Schönheit und Sittsamkeit gewagt wurden. Seitdem sie sich ausgesprochener Protektion des fürstlichen weiblichen Hofstaates rühmte, seitdem sie fast täglich die Baronin besuchen durfte, meinte er sie auch von dieser Seite beschützt und geborgen, und er ließ sich hinter ihrem Rücken auf Unterhandlungen ein.

Sagte sie ihm doch nicht, was sie mit ihrer Gönnerin verhandle! – Sie fingen an Geheimnisse voreinander zu haben!

Die Bekanntschaft mehrerer Kavaliere zeigte sich ihm darin förderlich. Beim Beginn des neunzehnten Jahrhunderts war der Magyarismus durchaus nicht, was er heutzutage (1862) ist oder sein will. Es fehlte zwar vielen Trägern desselben nicht an reichlichem Nationalstolze und hochmütigem Selbstgefühl. Ja, gewiß, der Magyarember sah auch dazumal schon mitleidig auf den Deutschen hernieder. Doch that er es voll von roh-gutmütiger Naivetät, im Vertrauen auf seine Naturrechte, hervorgegangen aus Geburt, Blut, noblem Sinn, angestammter Tapferkeit. Der Mangel an geistiger, oft an geselliger Bildung wurde ausgeglichen durch treuherzige, ungeschminkte Bonhomie und durch das damit zusammenhängende, freilich stillschweigende, Zugeständnis: die Fremden mögen uns doch wohl in manchem überlegen sein!

Seitdem die »alle Welt beleckende Kultur« auch über Wälder, Haiden, Steppen und Pußten züngelte; seitdem es eine ungarische Akademie der Wissenschaften, ein ungarisches Nationaltheater, eine ungarische Litteratur, eine ungarische Buchpoesie, eine ungarische Musik, ein ungarisches Kasino, einen ungarischen Sport, folglich kein Bedürfnis mehr giebt, noch irgend etwas vom Auslande zu empfangen, hat der Deutsche auch dort keine Duldung mehr zu erwarten, und ein armer Komödiant in Wulfs Lage würde die Ansprache jetzt nicht finden, deren jener sich noch erfreute.

Tschechen, Polen, Südslawen, Kroaten, Serben, welsche Tiroler und wie sie heißen, sie stoßen jetzt sämtlich in ein Horn und blasen entweder Trübsal im Schmerzensschrei oder Rache im Hasse gegen Deutschland. Es ist die Nationalitätskrankheit, welche grassiert; wie wir Cholera, Kartoffelkrankheit, Traubenfäule und mehr dergleichen durchmachen mußten. Das legt sich nach und nach wieder. Allzu gestrenge Herren regieren nicht lange, und vielleicht ... doch wir haben es mit der Vergangenheit zu thun, nicht mit der Zukunft, und kehren zu Wulfs Lebensgeschichte zurück.

Seine magyarischen Freunde, als gleichzeitige Freunde deutscher Schauspielkunst ... aber klingt das nicht schon wie die Märchen beginnen: »Es war einmal?« und ist nicht viel über ein halb Jahrhundert her! Seine magyarischen Freunde gaben ihm Empfehlungsschreiben nach Preßburg und Pest, in welche beide Städte jene Unternehmer, die er kannte, nicht gedrungen waren. Mit Anfragen und Antworterwarten vergingen Wochen. Unterdessen stellte sich Ludmilla in der Gunst weiblicher Schloßbewohner immer fester. Sie verschwieg ihm nicht, daß es lediglich von ihr abhänge, aus dem Chore zu treten und schon jetzt Solopartien zu übernehmen; man habe Kapellmeister und Musikdirektoren bereits verständigt. Sie jedoch wolle, und zwar auf den Rat der Baronin, lieber noch ausharren und sich gedulden. Er fand den Heroismus dieses Vorsatzes über alles Lob erhaben, gelangte aber dennoch nicht zu recht aufrichtiger Freude darüber. Es sei, dünkte ihm, etwas im Hinterhalte, was sie verberge. Doch gestattete der ihm eigene Zartsinn nicht, sie mit Fragen zu belästigen. Auch benahm sie sich durchaus freundlich und gut gegen ihn. Von Zwistigkeiten, wie früher vorgekommen, war keine Rede mehr. Ebensowenig daher auch von jenen Versöhnungen, welche bei jungen feurigen Personen dann einen nicht minder stürmischen Charakter annehmen als irgend eine vorhergegangene Entzweiung. Die Ausbrüche zürnender Heftigkeit schwiegen; es unterblieben dafür gleichfalls die Ergüsse leidenschaftlicher Zärtlichkeit. Das sogenannte Ehepaar hatte aufgehört ein Liebespaar zu sein. Sie gingen ebenso nebeneinander hin, erwiesen sich all' die kleinen Zuvorkommenheiten, die Menschen von Bildung unter solchen Umständen stets beachten, führten freundliche Gespräche, in denen aber beide, wie auf getroffene Übereinkunft, mit bewundernswerter Vorsicht vermieden, Dinge zu berühren, die ihnen doch zunächst lagen. – Es giebt viel mehr Verhältnisse ähnlicher Art, zwischen beiden Geschlechtern, als seinwollende Menschenkenner und docierende Psychologen wissen. Und das ist begreiflich genug, da die meisten dieser unfehlbaren Weisen ihre Weisheit aus Büchern schöpfen, anstatt sie dem Leben abzuforschen.

Demzufolge trug Wulf nicht das geringste Bedenken, alle Vorbereitungen auf die endlich in Ordnung gebrachten Gastrollen zu treffen und war nicht wenig erstaunt, Ludmilla in Thränen ausbrechen zu sehen, da er ihr den Tag seiner Abreise ankündigte. Er hatte sich vor diesem Augenblicke gefürchtet, doch wahrlich im ganz entgegengesetzten Sinne. Ihre Gleichgültigkeit, davor bangte ihm, würde ihn betrüben. Jetzt war es ihre Betrübnis, die ihn überraschte, die ihm den Abschied schwer machte. Ja, er mußte ihr Trost zusprechen, mußte ihr vorstellen, daß es doch nur eine kurze Trennung sei; daß sie sich bald hoffentlich beide um so viel zufriedener und glücklicher, in ihrem Streben vorschreitend, wiedersehen würden! –

Vergebens! Sie rief mit dem Tone heftigen Schmerzes aus: »Nein, nein, ich fühl' es, ich weiß es, wir sehen uns nicht mehr wieder.«

Fragte er ängstlich, ob sie denn krank sei, ob sie ihm ein Leiden verheimlicht habe, ob er vielleicht die Reise verschieben, ob er sie gänzlich aufgeben solle; da erwiderte sie entschlossen: durchaus nicht, sie sei nicht krank, sie verheimliche kein Leiden, und die bereits getroffenen Anstalten dürften nicht rückgängig gemacht werden; er dürfe nicht länger um ihretwillen feiern; er müsse fort; und es lasse sich überhaupt nichts mehr ändern; es sei zu spät! ... Dann wiederum, wie wenn sie etwas gegen ihn auf dem Gewissen hätte, wie wenn sie bereue, was sie gethan, wie wenn sie es wieder gut machen wolle, überhäufte sie ihn mit Liebkosungen, die ihn – nach langen Zwischenräumen – an ihre erste gute Zeit mahnten. Die Nacht vor seiner Abreise brachten sie ohne zu schlafen miteinander zu, und er mußte sich gegen Morgen gewaltsam aufraffen, um sich aus ihren Armen zu winden. Die Pferde des Grafen Cz..., welcher ihn nach Preßburg befördern wollte, wieherten unter den Fenstern. – »Leb' wohl, sei glücklich,« rief Ludmilla und barg ihr in Thränen schwimmendes Antlitz unter dem Kopfkissen.

Sie liebt mich doch! Ich hab' ihr unrecht gethan! Wir werden noch selige Tage miteinander verleben! So tröstete sich Wulf über die Treppe hinabeilend. Mit freudestrahlenden Augen schaute er dem ungarischen Edelmann ins Gesicht, der ihm Platz machte auf dem Sitze neben sich und treuherzig pfiffig sagte: »Aber thut mir meiner Seel' leid, wann ich hab' gestört?«

Und die kräftigen Pferde flogen mit dem leichten Wagen davon.

*   *   *

Die Materialien, welche dem Verfasser dieses Buches vorliegen, sprechen sich über unseres Helden Gastspiel in Preßburg sehr ungenügend aus. Sie geben durchaus keine Andeutung, ob damals die nämliche Truppe, welche im Sommer Baden bei Wien bezog, den Winter hindurch in jener von so vielen deutschen Elementen durchwebten, bedeutsamen ungarischen Stadt zu weilen pflegte, wie es späterhin, unter Baron Zinnek, üblich wurde. Daß Wulfs Darstellungen Enthusiasmus erregt haben, geht aus allem hervor, und an stürmischen Eljens litt er keinen Mangel. Nicht so ergiebig fielen die Erfolge für seine Kasse aus. Doch darüber machte er sich keine Skrupel. Betrachtete er doch diesen Auftritt nur als Vorübung für das um so viel größere Pest-Ofen, wohin glorreiche Verheißungen der Eisenstädter Kaffeehausgenossen ihn hinwiesen wie auf einen seiner Begabung würdigen Schauplatz. So ermunternd und wohlthätig aber auch die Kundgebungen tobenden Beifalls auf ihn wirkten, die heiße Sehnsucht nach Ludmilla vermochten sie nicht zu übertäuben. Leidenschaftlicher denn je war diese in ihm erwacht, und beim leisesten Gedanken an jene letzte Nacht durchrieselten ihn bange Schauer schmerzlichster Entzückung. Es verging kein Tag, wo er nicht lange, lange Briefe an sie schrieb; Briefe in die er seiner Empfindungen ganze Fülle, oft in wahrhaft poetischen Formen, ausströmen ließ. Desto kälter nahmen sich ihre kurzen, abgemessenen Antworten dagegen aus, obwohl sie auch manches herzliche und wehmütige Wort enthielten. Auffallend war es ihm und niederschlagend, daß sie niemals etwas von Wiedersehen, von ihrer Freude auf seine Rückkehr einmischte. Fast jedes Blättchens Inhalt lautete wie ein Scheidegruß. Was hat sie denn, fragte er, mit ihren Todesahnungen? Wir sind ja frisch und gesund gleich den Donaukarpfen!

Die trübe gedrückte Stimmung, welche sich dabei seiner bemächtigte, hieß ihn der Geselligkeit ausweichen. Und kein traurigeres Dasein läßt sich ersinnen, als der Schauspieler vereinsamt auf Kunstreisen führt, wenn es nicht in seinem Wesen liegt, lärmenden Umgang in Gastzimmern aufzusuchen. Jeder Reisende wird an fremden Orten, mag er sonst noch so gern allein bleiben und sich zu beschäftigen verstehen, die behagliche Heimlichkeit des trauten eigenen Stäbchens vermissen, keiner jedoch schmerzlicher als der Akteur, der, aufgeregt von seiner Darstellung, berauscht von Beifallsgeschrei, mitten aus den zwar täuschenden, dennoch verblendenden Umgebungen der Lampenwelt in die öde Abgeschiedenheit des ihm angewiesenen Raumes Nummer so und so viel tritt, wo er bei allen Entbehrungen, welche die Einsamkeit auferlegt, nicht einmal deren unentbehrlichsten Trost, ihre Würze, die Ruhe findet, weil kein Gasthof diese sanfteste aller Göttinnen in seinen Mauern beherbergt. Und nun gar ein Gasthof – nennen wir's Hotel – in der Krönungsstadt Preßburg. Wie oft donnerten lange nach Mitternacht die Faustschläge irgend eines herrschaftlichen Husaren, Panduren oder Heiducken an Wulfs verschlossene Stubenthür, und es erfolgte die wohlgemeinte freundliche Einladung in Schmeicheltönen: »Verfluchtes Komödiant soll kummen saufen mit gnädigen Herrn!«

Auch die Gastfreundschaft kann in Excesse ausarten. Und es ist keine Fabel, daß durchreisende Schauspieler, im Innern jenes hochgesegneten Landes vor dem Dorfwirtshause auf Vorspann wartend, zum Edelmann eingeladen wurden, mit dem warnenden Vorhalte: sie dürften, wofern sie die Invitation ausschlügen, »über die Bank gelegt werden!« Die Begriffe von Recht und Gewalt waren damals etwas schwankend, wo es sich um Persönlichkeiten handelte, denen das Indigenat fehlte. Dafür freilich ist man auch frei gewesen von polizeilichen Beschränkungen, was für den Starken oder für den Mächtigen, der ein Dutzend Fäuste zur Verfügung hinter sich hat, gewiß sehr angenehm ist, dem Schwächeren jedoch, hauptsächlich wenn er das Unglück hat, ein Slawe, ein Jude oder ein Deutscher zu sein, allerlei Unbequemlichkeiten machen kann.

Waren nun auch in Preßburg nicht gerade Schläge zu befürchten, so konnte doch oftmalige Zurückweisung ihn erwiesener Aufmerksamkeiten dem auf Pest Hoffenden manchen Gönner abwendig machen und ihm sehr schädlich werden. Um also sein Spiel sich nicht zu verderben, entstieg er endlich wohl dem warmen Lager, kleidete sich wieder an und folgte einem großen Schnauzbart, an welchen der drängende Bote befestigt war, hinab zum Gelage, wo man schwere feurige Weine kredenzte, wo aber keineswegs – wie wir Deutsche aus unsern Erfahrungen von ähnlichen Zusammenkünften tapferer Zecher argwöhnen mochten – wild übermütiges Toben ihn empfing. Durchaus nicht! Es ist eine oft bestätigte, auch neuerdings durch ehrenwerte magyarische Autoren bekräftigte Wahrnehmung, daß der echte Ungar (von Renegaten reden wir nicht) im Genusse seiner edlen Weine, sollt' er wirklich geneigt sein, über'n Durst zu trinken, selten zum wüsten Schreier, zum tobsüchtigen Skandalmacher wird, was viele Saufhelden anderer Nationalitäten oft so schlecht kleidet. Mag er sonst recht übermütig auftreten, mag er diesen seinen Übermut namentlich den Deutschen recht hart empfinden lassen ... im Rausche schlägt er um, und sein Übermut verwandelt sich in Wehmut. Das gilt fast noch mehr fürs Volk, als etwa ausnahmsweise für den Vornehmeren. Pokulierende Magyaren können betrunken sein, ohne viel Aufhebens davon zu machen, ohne zu bramarbasieren. Leicht gerührt zeigen sie sich. Die tollsten Gesellen, im gewöhnlichen Zustande höllisch wild und unbändig, sobald sie berauscht sind, geben sie sich wie weiche, milde, gutmütige Kinder. Fast ohne Ausnahmen! Sie thun keinem Menschen etwas zuleide und können höchstens durch allzu große Freundlichkeit beschwerlich fallen.

Wulf, der sonst höchstens einige Tropfen Wein in Wasser mischte, lernte hier die Gewalt eines Trankes kennen, der ihm bisher fremd geblieben. Die ersten Gläser wirkten auf ihn wie auf die einheimischen Trinker; sie machten ihn still, nachdenklich, betrübt. Er dachte ans Kauzburger Diner, wie er schüchtern genippt, und dann ... Doch dabei blieb es nicht. Bald fand er sich in die Gegenwart. Es durchglühte ihn feuriges Leben. Und wie hätte sich das bei ihm kundgeben sollen, als aus seines Lebens Kerne; als in dem Bedürfnisse zu reproduzieren! Durch Sprache und Gebärde kund zu machen, was von Poesie und Einbildungskraft in ihm wohnte! Er führte die Hörer ins Gebiet deutscher dramatischer Dichtung, wovon sie nur durch sehr untergeordnete Ausleger vernommen, worin sie Fremdlinge waren. Die zaubervolle Macht seiner Stimme, die vergeistigende Klarheit seines Vortrags, die mimische Wahrheit des Ausdrucks, die eindringliche Glut des Blickes, die Fülle von Gedanken und Bildern riß sie hin. Es läßt sich leicht ein mehr unterrichtetes, mehr wissenschaftlich gebildetes Auditorium denken; ein empfänglicheres kann sich niemand wünschen. Sie vergötterten den jungen Künstler. Wein und Thränen flossen stromweise um die Wette. Stolze Herren tranken Brüderschaft mit ihm. Sie gaben ihm tausenderlei Zusicherungen wärmster Neigung und gelobten ihm nieerlebte Triumphe in Pest-Buda vorzubereiten. Mehrere machten sich anheischig, ihm das Geleite dahin zu geben und Verwandte und Freunde für ihn aufzubieten. Und er entzückte sich an ihren Entzückungen; und er ließ Marquis Posa, Fiesko, Götz, Egmont, Faust – schwärmen, donnern, klagen, fluchen, und er setzte das ganze Aufgebot seiner Kräfte daran, bis zuletzt keiner mehr auf ihn hörte, bis alle auf den Fluten duftigen Traubensaftes hinübergeschwommen waren ins Land der Schatten, wo des Todes Bruder sie mit Nacht umhüllte.

*   *   *

Wulfs Aufenthalt in Preßburg ging zu Ende. Ein Monat war darüber verlaufen, sieben Rollen waren gegeben, zu seiner »Einnahme« hatte man »Abellino, der große Bandit,« angesetzt und mit dieser Wahl den Geschmack der Theaterbesucher im allgemeinen besser getroffen, als mit irgend einem Werke neuweimarischer Schule möglich gewesen wäre. Dieses Schaustück, von der Kritik voll tiefster Geringschätzung verworfen, vom Publikum bis ins erste Viertel des neunzehnten Jahrhunderts immer noch mit wonnigem haarsträubendem Schaudern gern genossen, ist schon merkwürdig als die Jugendarbeit eines Autors, dessen Erzählungen, Abhandlungen und historischen Werke dann einen unbestrittenen Ehrenplatz in der deutschen Litteratur errungen haben und behaupten. Wer wird dem edlen Zschokke den Rang eines geistvollen, unterrichteten, hochgesinnten, feinen Schriftstellers streitig machen wollen? Nun wäre kein Grund zum Erstaunen vorhanden, hätte ein solcher, während er als junger Mann bei reisenden Truppen den Theaterdichter abgab, irgend ein hyperpoetisches, nebelhaft romantisches, mitunter unsinniges, exzentrisches, meinetwegen auch unpraktisches Drama verbrochen, wie es Anfängern bei Beginn der Laufbahn auf falschem Wege leicht geschieht. Abellino jedoch sündigt (einige wenige alberne Süßigkeiten der lächerlich elegischen Rosamunde von Korfu abgerechnet, z.B. ihr »Freundschaft – und Seligkeit!«) hauptsächlich durch seine scenisch wohl berechnete, die plumpsten Effekte benützende, jedes dichterischen Schwunges bare Coulissenprosa und ist für den Darsteller der Hauptrolle kein Musenroß, welches himmelanstrebend den Pfad verlieren und sich verirren könnte, sondern ein sicher zugerittener, spießbürgerlicher Philistergaul, der auch den ungeschulten Reiter willig trägt.

Unser Wulf begnügte sich wohl damit nicht, vielmehr ließ er den biederen Schimmel Gerte, Sporen, Zaum und Gebiß tüchtig fühlen, zwang ihn zu kühnen Sprüngen und machte namentlich die Kluft zwischen Flodoardo und Abellino, diesen äußersten Gegensätzen, so tief und breit, daß der steifen Mähre beim Hinüber- und Herüberspringen schier der Atem verging.

Auf den nächstfolgenden Tag war die Abfahrt gen Pest beschlossen. Doch konnte dieser Termin nicht eingehalten werden, denn der Andrang der Schaulustigen stand zum Raume in keinem Verhältnis, und der noble Bandit ergötzte die Glücklichen, welche Sitz und Stimme sich erkämpft, so außerordentlich, daß während der Vorstellung eine Wiederholung wünschenswert gefunden und ein »allerletztes« Auftreten des gefeierten Gastes erbeten wurde. Dazu bestimmte der Unternehmer, der das Feuer nicht verrauchen lassen wollte, den nächsten Abend; Wulf hatte, um den beschwerlichen Dränger nur los zu werden, schon zugesagt. Da geschah es, daß in einem Auftritte mit Rosamunden ihn urplötzlich die sehnsüchtigste Bangigkeit nach Ludmilla befiel, welche seit mehreren Tagen nicht geschrieben hatte. Eine vielleicht nur eingebildete Ähnlichkeit führte ihn von der neben ihm stehenden Schauspielerin auf die entfernte Geliebte. Er wußte nicht mehr, was er sprach, gab sich keine Rechenschaft mehr von seinen Aktionen, dachte nur an sie ... sah nur sie ... und einzig und allein, weil er wie immer auch heute so eisenfest memoriert hatte, bewegte sich die Handlung maschinenmäßig weiter. Bei der letzten Umkleidung gewann er sich erst so viel ab, seinen Zustand zu prüfen, und da brach er – zum größten Entsetzen des mit ihm beschäftigten Schneiders, der ihn für verrückt hielt – in lautes Lachen aus: »Bin ich nicht ein Thor, daß ich mich ängstige in einer Ungewißheit, der ich augenblicklich abhelfen kann? Als ob Meere und Länder lägen zwischen mir und ihr. da ich doch leicht in etlichen Stunden bei ihr bin? Ich brauche ja nur die beabsichtigte Wiederholung des Abellino morgen im Stiche zu lassen. Das ist kein Verlust, weder für mich, noch für die Welt!«

Wie er erst mit sich darüber einig war, spielte er die letzten Auftritte um desto lebhafter und rascher durch, ließ sich am Schlusse »rufen,« was dazumal eine noch nicht so weggeworfene, heruntergekommene Auszeichnung war als in unsern Tagen; und ehe dann seine wärmsten Parteigänger sich im Gastzimmer, wo sie ihm ein vorzugsweise glänzendes Abschiedsmahl bereitet, zusammengefunden, eilte er schon in die von Regen und Schnee durchrieselte Nacht hinaus, auf gutes Glück in der Finsternis den nächsten Weg nach Eisenstadt suchend. Als Schutzwaffe wider mögliche Angriffe von Menschen und Hunden hatte er dasjenige der vorhandenen Schwerter aus theatralischer Rüst- und Requisitenkammer mitgenommen, welches ihm gerade zunächst gelegen. Es gehörte ein kleiner Grad von Tollheit dazu, in solcher Nacht einen nur einmal flüchtig durchfahrenen Weg allein zu Fuße anzutreten, wenn man hundert Gulden in der Tasche trägt (es war ja der Benefizabend) und für den zehnten Teil dieser Summe die beste Equipage haben kann! Der Theaterschneider hatte nicht so unrecht, sich vor ihm zu fürchten!

Aber weshalb dürfte, fragen wir, unser Wulf nicht ein bißchen toll sein. Wer will ihm die Erlaubnis versagen? Erstens beherbergt er in sich, wie wir bereits oben auseinander gesetzt, den Theaterteufel, der unter allen Umständen ein gefährlicher Mieter und Einwohner bleibt. Zweitens sind ihm Erinnerungen wach geworden an seinen Abschied von Ludmilla; und er will, bevor größere Strecken zwischen ihnen liegen, sich selbst überzeugen, ob es nicht etwa Krankheit ist, die sie abhielt, seine letzten Zuschriften zu erwidern. Drittens endlich hallt der Beifall einer jauchzenden Menge in seiner Seele nach, und das von der Anstrengung des Abends kochende Blut rinnt schäumend durch die Adern. Und Ludmilla gedenkt seiner vielleicht in diesem Augenblicke auf ihrem einsamen Pfühle. Und er kann, wofern die Füße ihn rüstig tragen, in ihren Armen liegen, noch ehe die matte Sonne aus dicken Wolken lugt. Und er hätte andrerseits zu befürchten, daß die lieben Freunde und Genossen ihn verhöhnen oder gar festhalten wollten, würde ihnen kund, er habe einen Wagen bestellt, er drohe morgen wortbrüchig zu werden. Nein, dieser Gefahr setzt er sich nicht aus. Nein! läge, wie die Schiffbrücke bereits ihre Winterquartiere bezog, auch die Fähre nicht am Ufer ... lieber wagte er sich ja mitten durch die Donau, obgleich er kein Schwimmer ist, als daß er heute hier zurückbliebe! Er findet sein Abenteuer ganz in der Ordnung und schilt sich nur einen Thoren, nicht schon früher daran gedacht zu haben.

Die Fähre trug ihn trotz der späten Stunde für gute Bezahlung noch hinüber, und er lief auf gut Glück nach Kittsee zu, wohin er wohl zu finden und sich dort erst einen Führer nach Eisenstadt herauszupochen dachte. Den Säbel hatte er sich umgeschnallt. Vor Räubern bangte ihm nicht, wohl aber vor ungarischen Wolfshunden, gegen welche, wie ihm von vorigem Jahre erinnerlich, die ungarische Dorfobrigkeit nichts that – (ob thut? wissen wir nicht!) – denn sie ging von dem Grundsatze aus: der Adel fährt oder reitet, ist folglich gesichert; an den Kleidungsstücken und Gliedmaßen der Fußwanderer ist weiter nichts gelegen. Die Ansicht an und für sich ist patriotisch und mag ganz gut sein. Wulfen jedoch war an seinen Kleidern und an seinen Gliedern viel gelegen, weil er an beiden keinen Überfluß besaß; deshalb zog er, sobald er nur Geblaff entfernter Köter vernahm, vom Leder. Dabei fiel ihm ein, daß er, dem sein Theaterruf schon so häufig blanke Waffen in die Faust gezwungen, in Wirklichkeit nur ein einziges Mal davon Gebrauch gemacht habe. Und gegen wen? Gegen einen rasenden Trunkenbold. Und für wen? – Da brannte Ludmillas erster Kuß auf seiner Wange; da gedachte er ihrer Umarmung; da sah er sich im Geiste nach Kauzburg versetzt; ... jener Mai blühte vor ihm. Die Schneeflocken dünkten ihm fallende Apfelblüten ... er ging nicht mehr ... er flog ... Daß er sich in solche Träume verirrte, nimmt uns nicht wunder; daß er sich dabei verlief, noch weniger. Es fehlte auch nicht viel, so wäre Flodoardo für Abellino gehalten und einem reellen Banditen gleich in den Brummstall geworfen worden. Durch lange Reden und klingende Zwanziger gelang es ihm dennoch, einen Burschen aufzutreiben, der ihn bis Eisenstadt geleitete, wo er nach Tagesanbruch, also spät genug für seinen Schnelllauf, wohlbehalten und ermüdet anlangte. Unbekümmert um die erstaunten Gesichter der ihm Begegnenden, welche befremdet nach dem mächtig klirrenden Sarras schielten, stürzte er in seine Wohnung, gebot der im Aufschreien begriffenen Wärterin Ruhe, daß sie mit offenem Munde stehen blieb, und drang bei Ludmilla ein.

Des Menschen Erdenwandel ist reich an Enttäuschungen, und wen der Schöpfer mit erfinderischer Einbildungskraft begabte, hat zweifach daran zu leiden. Von allen Täuschungen die niederschlagendste trifft uns doch, wenn wir nach kurzer Trennung geliebte Wesen anders wiederfinden, als wir sie verließen; wenn die Seele, die mit der unsrigen in eine verschmelzen zu wollen schien, da wir schieden, beim Wiedersehen kalt und gleichgültig bleibt. So fand Wulf die Ersehnte, da er in ihr Schlafzimmer stürmte. Anfänglich hoffte er fast ihre Zurückhaltung auf Rechnung körperlichen Übelbefindens schreiben zu dürfen und erforschte sie mit ängstlicher Teilnahme. Doch sie selbst raubte ihm den Trost durch die Versicherung, daß sie sich wohler fühle, denn je, und nur aus Bequemlichkeit noch zu Bett liege. Dies »wohler denn je,« nachdem sie vier Wochen ohne ihn zugebracht, kränkte ihn tief, und er verheimlichte das nicht. Er wurde einsilbig. Sie dagegen wurde immer unbefangener, fast heiter, je sichtbarer er ihre Kälte erwiderte. Es war, wie wenn sie sich froh fühlte, von zärtlicher Annäherung befreit zu bleiben. Sie war ohne Teilnahme für seine jüngsten Erlebnisse, ging auf nichts ein, fragte nicht nach dem Erfolge seines Gastspieles, nicht nach dem Stande seiner Kasse ... nur wie lange er noch wegzubleiben, wie lange er in Pest zu verweilen gedenke, darüber befragte sie ihn, doch ohne die Spur eines Wunsches nach baldiger Wiedervereinigung. Hätte sie üble Laune, reizbare Verdrießlichkeit, ja hätte sie ihm Groll gezeigt, ihm würde das lieber gewesen sein, als diese vollständige Teilnahmslosigkeit, die ihn endlich beleidigte und sein Selbstgefühl verletzte. Mitten im matt geführten Gespräche brach er ab, erklärend, er habe Eile, denn er solle heute noch in Preßburg auftreten. »Ei, das darfst du nicht versäumen,« fiel sie ein; »es könnte dem Pester Succeß nachteilig werden.« Er dankte ironisch für ihre rührende Sorgfalt und erhob sich. Sie ließ ihn ruhig ziehen.

Er begab sich ohne Zögern zum nächsten Landkutscher, den er für die Fahrt nach Preßburg mietete und ihm auftrug, ihn im Gasthause abzuholen, wo er etwas genießen wolle! Auf dem Gange dahin traf er Herrn Schmidt, der, zum Fürsten beschieden, sehr eilte und ihn nur im Vorübergehen beglückwünschte: »sowohl zu glorreicher Aufnahme in Preßburg, worüber Vater Haydn ein Tedeum angestimmt, als auch zur Aussicht auf bevorstehende Vaterschaft!«

Das war's?? Ludmilla fühlte sich Mutter und in ihrer Lage quälte sie das? Darum hatte sie kein Gedächtnis haben wollen für die zärtliche Aussöhnung kurz vor seiner Abreise, für ihren neu geschlossenen Bund? Bestrafen hatte sie ihn wollen und darum ihm verschwiegen, was der Bühnenleiter, wahrscheinlich durch den Theaterarzt, schon erfahren. Ach, Herr Schmidt wußte aber nicht, daß ihrem Bunde die kirchliche Weihe fehlte! Und das bedrückte sie? ...?

Dennoch war sie gegen ihn bloß kalt und gleichgültig, war durchaus nicht ängstlich gewesen, hatte nicht den leisesten Anflug von Kummer gezeigt! ...

Wulf kam nicht ins reine mit seinen Gründen für und wider. Er nahm sein Frühmahl, wobei ihm deutlich ward, daß er das gestrige Abendessen nachzuholen habe; er leerte eine Flasche Wein, er bestieg den Wagen, ließ sich in erwärmende Decken hüllen und trieb den Kutscher an, die Pferde zu treiben, damit sie ihn nur schnell genug aus Ludmillas Nähe brächten. Denn er besorgte, kehre er jetzt noch einmal zu ihr zurück, sich gar nicht mehr losreißen zu können, ehe nicht ihr Verhältnis geregelt und gesichert sei. Bei reiflicher Betrachtung sagte er sich dann wohl selbst, mit diesen Anordnungen habe es keine Eile; vielmehr müßten sie zweckmäßiger hinausgeschoben werden, bis Ludmilla ihrem Zustande mehr vertraute, sich in die fremde Lage gefunden und die heute bewiesene Zurückhaltung mit herzlichem Zutrauen vertauscht habe. Wenn irgendwo sich erreichen ließ, daß ihr Bündnis priesterliche Weihe und durch diese bindende Dauer empfing, so war es hier, wo peinliches Bureaukratentum und Registerwesen vor dem Einflüsse mächtiger Magnaten verstummte, und wo sie durch Vermittlung der Baronin auf jeden Vorschub zu hoffen hatten – wenn anders Ludmilla davon Gebrauch machen wollte.

Aber würde sie wollen? ... Es ließ sich dawider ebensoviel mutmaßen als dafür, und in dergleichen sich widersprechende Mutmaßungen verwickelt, machte Wulf auf einer kurzen Strecke schlechten Weges ein paar schlimme lange Stunden durch. Minutenlang durchzuckte ihn der beglückende Gedanke an Vaterfreuden wie ein elektrischer Schlag. Gleich darauf erschien er sich lächerlich, daß er, sozusagen, noch ein Junge, diese höchste Erdenwürde bekleiden sollte. Dann wieder besann er sich, welch' bedenkliches Gewicht ihrer prekären Existenz durch ein Kind angehängt werde!

Ach, es ist erstaunlich, was im kleinen Schädel des Menschen an abenteuerlichen Gestalten durcheinander rennen und Raum finden kann zu den seltsamlichsten Schwenkungen. Gruppierungen und Verrenkungen. Zwerge und Riesen, Engel und Kobolde treiben ihr Spiel in solchem Kopfe ... und er zerspringt nicht! nein, er bewahrt noch die Fähigkeit, seiner Aufgabe für den Abend Herr zu bleiben, und er hält sich auf dem Rumpfe des »edlen Banditen,« fest, zu abermaligem Jubel »eines hohen Adels, löblichen Militärs und p. t. Publikums!«

»Welch' ein Wunderwerk ist der Mensch!« – Und wie gehen wir mit diesem Wunderwerke, wie gehen wir mit uns selbst um?

Oder die Leidenschaften mit uns? Wer weiß das?

*   *   *

Zur Zeit, wo es noch keine Dampfmaschinen gab, ist die Schiffahrt von Preßburg nach Pest, obgleich stromabwärts, allem Vermuten nach höchst langweilig gewesen. Wenigstens beschreibt der sehr zuverlässige Otto von Pirch in dem reizenden, lange nicht genug bekannten Buche »Caragoli« seine Donaureise dermaßen, daß jeden Leser die Lust anwandelt, lieber am Ufer hinzulaufen. Wir dürfen's folglich unserm Wulf nicht übel deuten, wenn er ein reichliches halbes Menschenalter vor Pirch keine Neigung spürte, sich der Willkür grober Stromschiffer preiszugeben, sondern dankbar das Erbieten der Gönner annahm, die ihn mit raschen Rossen durch lange Dörfer und weite Pußten fördern wollten. Man spricht heutzutage sehr verächtlich über jene Art zu reisen und giebt unbedenklich unsern großartigen Fortschaffungsanstalten den Vorzug. Ihre Schnelligkeit wird niemand in Abrede stellen. Bequemer sind sie gewiß. Ob aber derjenige, der auf eisernen Schienen von einem Ende Europas zum andern fliegt, Land und Leute kennen lernt, und ob er auf solcher Sturmfahrt mehr erlebt und lernt wie sein Nachtsack und Reisekoffer? ... das steht auf einem andern Blatte. Gereist wird jetzt allerdings viel! Unendlich viel, im Vergleiche zu sonst; heimgebracht an Erfahrung, Menschenkenntnis und wichtigen Eindrücken um so weniger. Es geht in diesen Dingen nicht anders zu als im Gebiete der Wissenschaft. Unsere Schulknaben überbieten, was die Einsicht in positive Kenntnisse betrifft, den Gelehrten von ehedem. Dank sei es vielseitigen Entdeckungen, von denen ihre Großväter sich noch nichts träumen ließen. Dennoch, scheint mir, haben diese durch ihr Streben und Forschen, auch wenn es auf Irrtümer leitete, für die Entwicklung ihres geistigen Lebens und Charakters mehr gewonnen, als der um so viel klügere Nachwuchs durch die positive Weisheit gewinnt, die ihm wie gargekochter Brei in den Hals gestopft wird. Eine Reise bot einstmals neben mannigfachen Beschwerden auch mannigfache Genüsse, welche nach und nach gänzlich verloren gehen.

Davon erfuhr Wulf allerdings nicht viel. Die Jahreszeit war nicht angethan, sich im Freien zu ergötzen. Ohne Pelzwerk und Bunda, womit die Einheimischen ihn reichlich versorgten, wär' er erfroren.

Dafür erwärmte ihn der Pester Enthusiasmus, gegen welchen der Preßburger nur ein Kind gewesen. Seine dortigen Freunde hatten ihn den ihrigen in der Hauptstadt bestens empfohlen. Unter letzteren befanden sich einflußreiche Männer, deren jeder, einen ganzen Schwärm sogenannter »Juraten« hinter sich, dies leicht entzündbare Völkchen für seine Parteikämpfe benützte. Ein paar hundert kräftige, bewegliche, leidlich unbändige Söhne des Landes, wenn sie einmal für einen bestimmten Zweck losgelassen werden und sich ernstlich daran setzen, können schon etwas leisten. Von tieferem Eingehen in die Würdigung seiner Künstlerschaft war dabei nicht die Rede. Man hatte ihnen gesagt: nehmt ihn auf, wie es einem gerngesehenen Gaste gebührt! ... und damit ist alles gesagt; wenngleich nicht gesagt sein soll, daß diese Aufnahme nicht neben ihren Ehren auch ihre Beschwerlichkeiten gehabt hätte; sowohl im als außerm Schauspielhause. In demselben gerieten die Beifallsspenden mitunter gar zu kräftig, zerstörten bisweilen die beabsichtigte Wirkung zarterer Stellen, schienen im ganzen mehr auf Heldenthaten bei Stiergefechten und Bärenhetzen als auf Anerkennung geist- und gefühlvoller Recitation berechnet. Es fehlte dem Applaus im allgemeinen an Piano und Forte, sogar an letzterem, denn erblieb ein unermüdliches Fortissimo. Außer dem Theater schlugen gesellige Ansprüche den freien Willen des allgemeinen Lieblings in Fesseln. Er ging – nicht aus einer Hand in die andere, er ging aus dreißig Händen in fünfzig. Die Nacht wurde zum Tage gemacht. Leider ließ sich der Tag nicht zur Nacht machen, denn, wie Shakespeares Narr singt: for the rain it raieth every day! so mag der gastierende Schauspieler klagen: denn die Probe stört jeglichen Tag! Und für Wulf behielt die Probe ihre Wichtigkeit. Er fertigte sie nicht kurz und oberflächlich ab, wie schon zu seiner Zeit gar viele neben ihm thaten. Ging er auch wirklich mit dem Vorsatze hin: heute willst du dich schonen, deine Kraft nicht vergeuden und bloß »markieren« (beliebter Handwerksausdruck! ) – kaum waren die ersten Sätze gesprochen, so riß ihn die Macht der Wahrheit unwiderstehlich fort, und mitten unter faulen Tagelöhnern erhob er sich zur höchsten Begeisterung, welche sich dann sogar seinen Umgebungen, insofern sie überhaupt begeisterungsfähig waren, mitteilte. Das ist sehr schön, aber es macht fürchterlich müde. Und wo dergleichen riesenhafte Anstrengungen, die sich früh und abends wiederholen, auf schlaflose, beim Gelage durchschwärmte Nächte folgen, da vermögen sie durch längere Dauer den tüchtigsten Organismus aufzureiben. Wulf empfand die schädlichen Folgen zeitig genug. Dennoch that er keinen Einhalt. Das wüste Treiben widerte ihn an, aber es half, indem es seine Kraft erschöpfte, ihn abzulenken von dem Sinnen und Brüten und sich Abhärmen wegen Ludmilla. Ebenso unverständlich wie ihm die Art ihres Empfanges beim letzten Wiedersehen gewesen, war ihm auch die Zuschrift, die er seitdem von ihr erhalten. Weder lieblos, noch traurig, entsprach sie doch durchaus nicht den Umständen, welche der Schmidtschen Andeutung zufolge nur beitragen konnten, ein locker gewordenes Band wieder zu festigen. Sie ging auf nichts Näheres ein, berührte nur theatralische Angelegenheiten, ohne der persönlichen zu erwähnen, und veranlaßte Wulf zu der Äußerung: das liest sich, wie wenn sie etwas wider mich im Sinne hätte und mir's verheimlichen wollte. Doch nach langem Prüfen und Erforschen, worin solch' Geheimnis bestehen könne, geriet er immer wieder auf jene durch Schmidt verkündete Neuigkeit. Weiter kam er nicht. Und daß diese, dachte er, Ludmilla betrübe, mindestens schweigsam und verschlossen mache, sei ein für ihn sehr betrübendes, niederschlagendes Zeichen. Aus diesem Ideenkreise, der sich wie eine Schlange um sein Haupt schnürte, fand er sich nicht heraus; deshalb zog er vor, kopfüber in den Strudel der Gelage zu springen. Wenn er nach durchtobter Nacht auf den Brettern stand, fragte er sich wohl während einer leidenschaftlichen, recht anstrengenden Scene: wie lange werd' ich das aushalten? und wie ein Gespenst stieg vor ihm das Bild eines wüsten, unbekannten Mannes auf, der ihm zunickte: Du wirst mein echter Sohn! Todesangst preßte ihm dann die Kehle zusammen, der Fluß seiner Rede stockte, nur mit furchtbarster Gewalt brach er den lauten Worten wieder Bahn und stieß Töne aus, daß den Hörern der Atem verging. Der Beifall erreichte dann die höchste Steigerung. Wie denn gewöhnlich der Schauspieler seine kurzen, ach sobald vergessenen Triumphe mit Leib und Leben bezahlt. »Schwer ist die Kunst, vergänglich ist ihr Preis!«

Wir dürfen annehmen, daß seine äußere Erscheinung damals gerade in vollster Blüte stand. Was in Kauzburg etwa noch knabenhaft an ihm gewesen, hatte sich während anderthalb Jahren zur schönsten jünglingsstarken Männlichkeit gestaltet. Freilich viel zu früh. Seinem Alter nach war er noch kein Mann. Die Schauspieler, wie die Toten in Bürgers Ballade, reiten schnell; gar solche, die wie er aus dem Vollen schöpfen, sich nimmer mit dem scheinen begnügen, immer sein wollen. Auf der Bühne, in der Aktion, durchglüht vom beseelenden Feuer, welches der Schminke spottete, gehoben vom Wohllaut seiner Sprache, glich er einem Boten des Olymps! Wer ihn bei Tageslichte sah, der konnte in den scharfgezeichneten Zügen des edlen Angesichts doch schon lesen, daß die Frische dieser Blüte auf ihrem höchsten Punkte stand.

Von den rätselhaften und, wir dürfend nicht leugnen, zweideutigen Reizen, die das Theater immer und überall bietet und bieten wird, solange es besteht, liegt das zweideutigste – und mächtigste in Anregung erotischer Gefühle durch alle Stadien derselben, von niedriger plumper Begier bis zur feinsten Sensualität, bis zum reinsten Idealismus. Es kann nicht anders sein. Kein Mensch, auch nicht der besonnenste Kritiker, vermag hier das Kunstwerk von der Persönlichkeit zu trennen, wo es lediglich durch diese zur Anschauung gebracht, wo sie selbst zum Kunstwerke wird. Fanden doch die Leser der Lessingschen Dramaturgie, da sie geschrieben ward, heraus, daß der unsterbliche Verfasser in eine Hamburger Schauspielerin verliebt sein müsse; lasen sie es doch aus den Lobsprüchen, die er ihr gespendet. Und wer bürgt uns denn dafür, daß er es nicht war? ... auf seine Weise. Wer verbürgt uns denn, daß nicht jegliche Entzückung, in welche Mann oder Weib auf der Bühne, Weib oder Mann vor der Bühne versetzt, ein Gemisch von künstlerischer Teilnahme, poetischer Schwärmerei, sexueller Sehnsucht ist? Schlage doch ein jeder an seine Brust! Erinnere er sich doch der Momente, wo ihn solche Schauer der Entzückung überkamen. Sind wir nicht allzumal, jener mehr, dieser minder, mit Tiecks gestiefeltem Kater zu vergleichen, der's aber ehrlich eingesteht: »ich kann keine Nachtigall singen hören, ohne daß ich Appetit kriege, sie zu fressen.«

Wir brauchen deshalb nicht gleich anzuklagen und zu verdammen. Es muß ja nicht immer vorherrschende Sinnlichkeit sein, was die Sinne in Anspruch nimmt, sonst bliebe nur der körperlichen Schönheit das Recht solcher Eroberungen vorbehalten. Davon aber zeigt sich gerade das Gegenteil. Denn darin eben besteht das Rätselhafte, wie ich es oben nannte, daß theatralischer Zauber auch dem weniger Schönen, sogar dem Häßlichen Reize verleiht und andichtet. Das erstreckt sich bis auf untergeordnete Mitglieder jeder Truppe. Junge Herren von eitlen Ansprüchen, die über das andere Geschlecht sonst kurz absprechen und sehr wählig sind, lassen sich's nicht verdrießen, bei Regen und Schnee stundenlang hinter den Thüren zu lauern, bis irgend eine in jeder Beziehung unbedeutende Schauspielerin oder Sängerin oder Figurantin heraustritt, der sie sich zu nähern wünschen. Gehörte dies Geschöpf nicht zu der geheimnisvoll beleuchteten, mystisch verlockenden Theaterwelt, und begegnete es ihnen im gewöhnlichen Leben, nicht eine Silbe würden sie mit ihr wechseln, nicht eines Blickes würde man sie wert achten.

Und nun die Damenwelt! – Von den Täuschungen, in welche zarte Frauen und Mädchen, durch den Bühnenzauber verblendet, sich verirren, kann nur einen Begriff haben, wer lange und viel in diesen Kreisen verkehrte. Gott im Himmel, was für duftige, rosenfarbige. wonnevollen Schmerz, unschuldige Sehnsucht, mitunter frivoles Wünschen aushauchende Briefchen, was für seidenpapierene, feingekritzelte, oft französisch abgefaßte Deklarationen in den Händen (Fäusten wollt' ich schreiben) von Lassen, Bengeln, Lümmeln, je nachdem, welche vielleicht kürzlich noch die Elle regierten, Sirup verkauften, zerrissene Hosen flickten!! Fänden die unvorsichtigen Schreiberinnen Gelegenheit, ihre Don Carlösse und Mäxe sprechen zu hören, was ihnen der Geist diktiert – nicht jener des Dichters, den sie mißhandeln... entsetzt würden sich die verliebten Kinder abwenden.

Wirkt also das Theater schon derlei schädliche Wunder durch Unberufene, wie muß seine Macht sich erst steigern bei hervorragenden, ausgezeichneten Talenten, in denen künstlerischer und persönlicher Wert zusammentreffen! –

Es gehört nicht in diese Erzählung, denn es begab sich erst fünfundvierzig Jahre später, dennoch darf ich's einschalten, weil es nichtsdestoweniger hierher gehört und den Erzähler wieder in seine Bahn lenkt.

Ich war Augenzeuge, daß eine Dame von vornehmer Geburt, mit ihren Eltern eine Stellung bei Hofe einnehmend, vor einem berühmten und gebildeten, doch keineswegs mehr jungem Schauspieler, den ich nach beendigter Vorstellung in sein Hotel begleitete, sich mitten auf der kotigen Straße auf die Kniee warf und ihn beschwor, er möge sie mit sich nehmen, sie wolle ihm als Magd dienen, wenn sie nur in seiner Nähe atmen dürfe! – Eine unbescholtene, feingebildete, etwas sentimentale Dame! – Mein Freund verließ bald darauf die Residenz, denn obgleich an ähnliche Huldigungen gewöhnt, war ihm diese doch zu stürmisch und zu – gefährlich entgegen getreten. Vielleicht erinnerte er sich dabei einer gar nicht üblen Majorswitwe in seiner Vaterstadt, welche den (obenein podagrischen) Schauspieler B... mit der Pistole in der Hand gezwungen, sie zum Altar zu führen.

Unser Wulf hat bei seinem Gastspiele gewiß mancherlei Flammen erweckt und entzündet ohne Absicht! Daß er nichts gethan, sie zu nähern, dürfen wir ihm nachrühmen. Er achtete gar nicht darauf und überantwortete sogar die ihm zugehenden Liebeserklärungen ungelesen dem Feuer. »Das hätte mir gerade noch gefehlt bei dem hiesigen Leben!« entgegnete er den munteren Gesellen, die ihn damit neckten.

»Er hat recht,« sagte einer derselben, welcher aus Eisenstadt angekommen war; »schöner wie ›die Seinige‹ wird unter den Schreiberinnen keine sein!«

» Concedo,« wendete ein anderer ein; »aber bitte zu bedenken, daß die Seinige sich gegenwärtig weit von hier befindet. Est modus in rebus

Der fünfte Akt von »Kabale und Liebe« ist soeben zu Ende gegangen. Ferdinand hat sich umkleiden lassen und sitzt im Garderobenzimmer aus welchem sämtliche Darsteller sich bereits entfernt haben, ganz allein, um sich abzukühlen, bevor er sich in den kalten Abend wagt. Er fühlt sich matt, die Rolle hat ihn tüchtig mitgenommen, mehr als jede andere. Und warum? Hat er nicht größere Aufgaben spielend überwunden? Wenn Ferdinand die Schlußscene des zweiten Aufzuges hinter sich hat, bedarf er ja gar keines so außerordentlichen Kraftaufwandes mehr. Wäre diese physische Ermüdung schon Folge der Unregelmäßigkeiten, denen er sich neuerlichst hingab? Kaum möglich! So rasch unterliegt ein gesunder Körper nicht. Er befragt sich selbst. Und er gelangt zur Einsicht, diese leibliche Abspannung entspringe nur aus dem heute konsequent durchgeführten Bestreben, zweierlei entgegengesetzte Elemente zu vereinigen. Diese Tragödie will für keine antike, keine romantische gelten; sie will ein bürgerliches Trauerspiel sein; sie ist dem häuslichen Stillleben entnommen, und die Personen aus höheren Ständen, welche mit eingreifen, sind entweder komische Fratzen (wie Kalb), oder gemeine Intriguants und Verbrecher (wie der Präsident und Wurm). Lady Milford steht beinahe außerhalb des schlichten Rahmens, der das düstere Bild umschließt, Ferdinand aber ist der eigentliche Träger der Idee. Er personifiziert die gegen Verhältnisse und Vorurteile kämpfende Liebe, die nur siegen kann, wenn sie Freiheit im Tode sucht. Natur und Wahrheit sollen durch diesen edlen Menschen versinnlicht, in ihren gerechten Ansprüchen vertreten sein. Ein redlicher, verständiger Schauspieler muß also zunächst auf einfache Natürlichkeit hinarbeiten, auf Vermeidung alles Überschwenglichen und Phrasenhaften. Nun wimmelt unglücklicherweise die Rolle von schwülstigen Perioden. In diesen dem Dichter sein Recht thun, ohne die Rechte des Charakters zu gefährden, das übersteigt beinahe menschliches Vermögen, und ich würde hohler bombastischer Deklamation, die ich so gründlich hasse, verfallen sein, hätte mir nicht immer wieder die ungeheure scenische Gewalt, die dem Ganzen einwohnt, herausgeholfen. Ich glaube kaum, daß es eine dramatische Dichtung giebt, woraus das reale, theatralische Genie so glorreich hervorgeht als aus dieser, weil es in keiner andern so viel Hindernisse zu überflügeln hat und überflügelt, Hindernisse, welche desto hemmender werden, je tiefer sie in dem Wesen des Poeten begründet liegen. Und das ist's, was mich förmlich aufgerieben hat. Ich will lieber den Karl Moor dreimal in einem Tage herausdonnern, als mich in drei Wochen zweimal zwischen Ferdinands unmetrischen, hochtrabenden Rhapsodien und der unbeschreiblichen Schönheit anderer, Mark und Nerven durchdringenden Stellen abquälen, indem ich mich bemühe, aus beiden entgegengesetzten Richtungen eine zu machen. O das ist ein heißes, schweres Werk! Und für wen? Weiß mir's jemand Dank? Würden sie nicht vielleicht noch heftiger geklatscht und gepatscht haben, wäre ich auf dem ausgetretenen Fußsteige hingeschlumpert! Ach, wenn mir wenigstens dereinst das Glück zu teil würde, den Ferdinand dem Dichter vorzuführen; aus Schillers Munde zu hören, ob er mit dieser Auffassung zufrieden sei. Kindische Wünsche! Von Pest nach Weimar ist's weit; und Ludmilla ... wir werden wohl nicht mehr aus diesen Gegenden herausfinden; besonders wenn wir ein kleines Kind zu pflegen haben! – Es wäre alles recht, die Leute hierzulande sind gut, herzlich, leicht bewegt; aber das feinere Verständnis, das sinnige Eingehen in zarte Intentionen und Nuancen ... an Kauzburg darf ich nicht denken ... Übrigens möcht' ich wissen, wer die imposante Dame sein mag, die heute zum erstenmal der Mühe wert gefunden, mich spielen zu sehen? Bisher stand diese Eckloge immer leer. Das ist eine Frau, der ich tieferes Interesse für die Sache zutraue; wenigstens flüsterte sie mit ihrer Nachbarin auf eine Weise, die mich vermuten ließ, daß ihre Anerkennung gerade demjenigen Teile meines Spieles gelte, auf den die Masse nicht eingeht. Ja, ich glaubte das Wörtchen » sublim« zu vernehmen. Freilich gilt's für anmaßende Ungezogenheit, in den Logen so laut zu zischeln, daß es auf der Bühne hörbar wird; doch eine solche Ungezogenheit und von solchen Lippen läßt man gern hingehen, auf die Gefahr selbst für anmaßend zu gelten. – Jetzt aber ist's hohe Zeit; sie werden mich schon ungeduldig erwarten, und ein Schluck stärkenden Weins kann mir heute nicht schaden!

In Mantel und Pelzmütze eingemummt verließ er das Schauspielhaus. Kaum betrat er die Straße, kam ihm ein Livreediener entgegen: »Meine Gräfin läßt bitten!« ergriff ihn am Arme und hob ihn, eh' er noch Zeit gefunden sich zu besinnen, in eine Glaskutsche, deren Thür von innen geöffnet und augenblicklich hinter ihm zugeschlagen wurde. Die Pferde zogen an, des eleganten Fuhrwerks plötzliche Bewegung machte, daß Wulf in schwellende Kissen sank, bevor es möglich geworden, die Dame neben ihm zu begrüßen. Wie er sich nach ihr wendete, das Versäumte nachzuholen, fiel sie ihm in die Rede: »Keine unnützen avant-propos, mein Lieber! Ich habe nur eine Minute übrig, denn ich muß noch in Gesellschaft erscheinen. Gestern langte ich von meiner Herrschaft an, heute sah ich Sie zum erstenmal, vernahm, daß Ihr Aufenthalt zu Ende geht; da war keine Stunde zu verlieren. Sie werden mich in meiner Loge bemerkt haben? Ist Ihr Wunsch, daß wir uns näher kennen lernen, dem meinigen gleich, so fragen Sie morgen um ein Uhr nachmittags im Palais der Gräfin Amalfy nach einer Kammerfrau Rosette. Adieu! Hier setz' ich Sie ab; in dieser finstern Seitengasse können Sie unbemerkt aussteigen. Morgen mehr!«

Die Kutsche hielt an, der Schlag ging auf, der Diener schloß ihn wieder, erklomm sein Stehbrett, sie rollten davon und Wulf stand im Dunkel einer menschenleeren, öden Stadtgegend, sehr ungewiß, ob er gewacht oder geträumt habe. Erst durch den Tritt zweier nachtwächterartigen Männer, welche anfänglich unartige Gelüste zeigten, ihn in ihre Mitte zu nehmen, kam er zum Bewußtsein und ließ sich von ihnen den Weg nach dem Gasthause weisen, den er ohne sie schwerlich gefunden hätte. Die Genossen bestürmten ihn mit indiskreten Fragen über die Ursachen der Verspätung, und er, weil er sich zur strengsten Diskretion verpflichtet hielt, suchte sie auf falsche Vermutungen zu locken, indem er stillschweigend ein flüchtiges Stelldichein mit einer nicht spröden Putzmacherin zugab. Auf diese Weise beseitigte er ferneres Nachforschen, wobei er sich leicht in Widersprüche hätte verwickeln können. Aber erst im hellerleuchteten Raume, wo gefüllte Gläser ihm und seinem Ferdinand klangen, that sich die volle Bedeutung des jüngsten Erlebnisses vor ihm auf. Die wohlgesinnten Freunde suchten ihrer Lobeserhebungen Wert zu erhöhen durch Auszählung einzelner hervorragender Herren und Frauen, welche eben nicht bald befriedigt wären, und auf deren zur Schau getragene Anerkennung jeder Künstler stolz sein dürfe. Vor allen wurde die Gräfin genannt. Ihr sei das Beste, hieß es, immer noch nicht gut genug; sie bringe aus Wien, wo sie oft verweile, unerfüllbare Ansprüche mit, rümpfe die Nase, gähne, schwatze ... und habe heute, andächtig wie in der Kirche, ausgehalten bis zum letzten Aktschluß.

Wulf lauerte ängstlich auf irgend eine bittere, höhnische Bemerkung, welche dem guten Rufe dieser schönen Frau einen Fleck anhängen und ihre Teilnahme für sein Spiel in etwas anderem als im Interesse fürs Drama suchen wolle. Wäre so etwas gesagt worden, es dürfte ihn abgeschreckt haben. Doch nichts der Art erfolgte. Sie sprachen mit Achtung von ihr, als von einer mit einem älteren vornehmen Herrn vermählten Dame, die ihren Gemahl beglücke und sein volles Vertrauen genieße. Sie wußten nichts an ihr auszusetzen, außer: »sie sei keine geborene Ungarin!« – Nun, darüber grämte sich Wulf nicht sehr. Die Erwartung der ersten Stunde morgenden Nachmittags verließ ihn nicht mehr; sie schwirrte aus allen um ihn her geführten Gesprächen an sein Ohr; sie schwamm wie ein nur ihm sichtbares Rosenblatt auf der perlenden Oberfläche jedes frischgefüllten Glases; sie schmiegte sich einem schmeichelnden Kätzlein gleich, surrend, summend, zu süßen Träumen ladend an seine Brust, da er sich schlafen legte; sie stand mit ihm vom Lager auf; sie zog mit ihm zur Probe ... der ersten seit seiner Anwesenheit, wo er keinen Auftritt wiederholen ließ, wo er es leicht nahm, was die Schauspieler beglückte und die Schauspielerinnen schwatzen machte: »Er ist zerstreut! – Es steckt ihm was anderes im Kopfe! – Wahrscheinlich ... na, ich nehm's keiner übel!« –

»Fünf Akte durchprobiert von Zehn bis Zwölfeinhalb! – Da sieht man,« äußerte der Souffleur, der das dicke Buch fröhlich zuklappte, »es geht auch ohne die verfluchte Kleinigkeitskrämerei, wenn man nur will. Deshalb wird's auf die Nacht ebenfalls aus werden, und die Leute werden kontent sein fürs Geld, und die Welt nicht zu Grunde gehn, weil mitunter ein kluger Plutzer gemacht worden ist!«

»Recht haben S',« bestätigte der Inspicient. »Aber jetzt gehn wir speisen; ich hab' den Poldi ein Gulasch wegstellen heißen mit Paprika!«

»Na, mit was denn?« fragte der Souffleur; und die zwei Unzertrennlichen entschwanden Arm in Arm. –

Wulfs Trachten und Sinnen war auf keinen mit spanischer Pfefferschote gewürzten Leckerbissen, es war einzig darauf gerichtet, wie er sich am sichersten, ohne durch Fragen auffällig zu werden, ins Palais der Gräfin finden könne. Doch dafür hatte man schon zweckdienliche Anstalten getroffen. Unfern dem Ausgange von der Bühne, genau auf derselben Stelle, wo er ihn gestern in die Kutsche – mehr geschleudert als gehoben, stand der vertraute Diener – diesmal nicht in bordierter, sondern in grauer Interimslivree, ohne verräterische Abzeichen. Wie dieser den Schauspieler kommen sah, ging er scheinbar gleichgültig seiner Wege. Wulf hatte nichts zu thun, als ihm langsam zu folgen. Die Vorsicht erwies sich nützlich, denn der Weg war lang genug. Der Führer behielt einen Vorsprung von etwa fünfzig Schritten. Eben bog er ins Portal (ohne sich umzusehen), da hörte der primo amoroso seinen Namen mehrmals laut hinter sich rufen. Das Blut erstarrte ihm vor Schreck in den Adern. Der Gedanke an Ludmilla, der ihn seit gestern Abend nicht gestört, stach ihn mitten ins Herz. Er drehte sich um, der Theaterdiener keuchte heran, nach diesem einer der wärmsten Verehrer seines Talentes, ein noch sehr jugendlicher Sprosse des weitverzweigten großen Geschlechtes P....y, welcher schon von fern einen Brief emporhielt. Wulf eilte ihnen entgegen. Der Theaterdiener wies auf Graf P.; der Graf überreichte das Schreiben, atemlos zusetzend: »Eine Estaffette aus Eisenstadt!« Und Wulf las: »Herrn Schauspieler Wulf in Pest! Ihre Frau, welcher die Partie der zweiten Sklavin in Süßmayrs Oper ›Solyman‹ als erster Versuch anvertraut worden, fehlte heute bei der Probe. Ich schickte nach ihr und erhielt vom Hauswirt den Bescheid, Madame W. sei plötzlich abgereist, ihren Gatten zu besuchen. Diese Rücksichtslosigkeit kann mich in sehr unangenehme Konflikte bringen, da ich lediglich aus guter Meinung für Sie durchgesetzt hatte, was mannigfachen Widerspruch erregte. Ich glaubte besseren Dank zu verdienen. Von Ihrer Rechtlichkeit und Ihrem Ehrgefühl erwarte ich wenigstens und fordere, daß Sie angesichts dieses Blattes die Pflichtvergessene zurückbefördern. Heinrich Schmidt, fürstlicher Sekretär im Kunstfach und Vorstand des Hoftheaters.«

Dies Schreiben war datiert von vorgestern Abend.

Wulf vergaß alles um ihn her und erklärte, augenblicklich aufbrechen zu wollen. Graf P. stellte ihm vor, daß er doch erst abwarten müsse, ob Ludmilla nicht wirklich hier eintreffen werde. Sie habe wahrscheinlich auf der Reise Hindernisse gefunden, auf Pferde warten müssen, und sei von dem durch rasche Reiter beförderten Briefe überholt worden. Auch dürfe er nicht hoffen, bei der vorgesetzten Behörde einen Vorspannpaß zu erhalten, wenn er das Publikum, dem er als Don Carlos verkündigt sei, plantieren wolle. »Sie kleben ja an allen Straßenecken in zollgroßen Lettern. Die straft man nicht Lügen. Spielen Sie heut' Abend, gedulden Sie sich bis morgen früh. Unterdessen besorge ich Ihnen was nötig ist. Sie kennen sich bei uns doch nicht aus. Und ist bis dahin Ihre Frau noch nicht hier ... nun dann, in Teufels Namen, fahren Sie hin, um sich im leeren Nest ad oculos zu überzeugen, daß der Vogel ausgeflogen ist!«

Die Richtigkeit dieser Ratschläge ließ sich nicht bestreiten. Wulf spielte – aber zerstreut – ungleich – lückenhaft. Daß Gräfin A. zwar in ihrer Loge saß, der Bühne jedoch, sobald er sie betrat, den Rücken kehrte und ihn keines Blickes würdigte, trug auch nicht bei, ihn anzueifern. Es blieb eine matte, zerfallene Aufführung. Er horchte nur von Auftritt zu Auftritt, ob man ihm nicht Nachricht bringe von Ludmillas Ankunft. Ins Gasthaus zu gehen, wäre ihm heute unmöglich gewesen. Er eilte nach seiner Wohnung. Dort erwartete ihn der gute Graf. Als dieser ihm die erforderlichen Ausweise für die Reise einhändigte, fragte er: »Was haben Sie denn bei der Amalfy angestellt? He?« –

Wulf errötete.

»Schau, schau,« lachte der Graf; »deshalb mußten wir Ihnen so weit mit dem Briefe nachlaufen? Soll ich vielleicht etwas für Sie dort ausrichten?«

»Graf, um Gottes willen ...«

»Unbesorgt! Mein Ehrenwort, daß ich Sie nicht in ein falsches Licht stelle! Was soll ich sagen?«

»Erzählen Sie ihr buchstäblich, was vorgefallen ist; weiter nichts!«

»Gut. Das will ich thun. Und melden Sie mir dagegen, was Sie in Eisenstadt finden oder nicht finden.«

Sie sagten sich Lebewohl! Der Graf, ohne eine Spur von Stolz, umarmte den Schauspieler wie seinesgleichen und sprach mit inniger Empfindung: »Wir werden Sie im Gedächtnis behalten. Weiß Gott. Sie sind der erste Komödiant, der mir in die Seele geredet hat!«

Am folgenden Morgen jagte Wulf bei scheußlichem Wetter gen Eisenstadt. Er brachte ein paar schreckliche Tage in dem offenen Bauernwagen zu. Daß sich Ludmilla für ewig von ihm losgerissen, daran zweifelte er nicht mehr.

Weshalb? – Wohin sie entflohen? – ob allein? – oder mit wem? – Es galt ihm gleich. Ich finde sie nicht mehr, wiederholte er unzähligemal, und: das ist meine Strafe! eine gerechte Strafe! Ich hab' ihr in Gedanken die Treue gebrochen; ich hab's verschuldet!

In Eisenstadt erfuhr er nichts Neues. Der Hauswirt gab einsilbig ungenügende Auskunft. Direktor Schmidt war von seiner zornigen Aufwallung gänzlich abgekommen. Ludmilla klagte er nicht an und den betrübten Wulf tröstete er. Hinter seinen beschwichtigenden Trostgründen verbarg sich jedenfalls ein Geheimnis, in welches der Verlassene nicht eingeweiht werden sollte. Nur so viel kam heraus, daß Ludmilla ohne mächtige Beihilfe unmöglich ein solches Wagnis unternommen hätte, und daß er (Wulf) sich endlich doch darein ergeben müsse, da ihm ja kein Anrecht auf sie gebühre und er nicht ihr Gatte sei.

Auch nicht der Vater ihres Kindes? fragte er. Doch darauf erhielt er keine Antwort.

Gesenkten Hauptes schlich der Arme in seine wüsten Stuben heim, in denen noch die Merkmale eiligst betriebenen Aufbruchs sichtbar waren. Weggeworfener Flittergram, Florbänder, Schleifen, abgenutzte künstliche Blumen, Papierstreifen lagen auf Tischen und in offenstehenden Schüben herum.

Ein zerknittertes Briefcouvert erregte seine Aufmerksamkeit; in den Resten des Siegels entdeckte er das Tauern-Kauzburgsche Wappen. Dicht dabei lag ein zweimal mitten durchgerissenes Blatt.

Auf diesem las er:

– – – Baronin in ihrem letzten Schreiben
– – – du entschlossen das unheilvolle Attache-
– – – dir wieder zuzuwenden, unter der Be-
– – – meine Verzeihung nicht entgehen.
– – – Tauern das Gerücht verbreitet, daß
– – – angesehenen Dame in Ungarn gelebt?
– – – in der hochfürstlichen Familie,
– – – deine Abwesenheit nur eine Folge
– – – nisses mit Demoiselle G.

– – – großmütig die Schuld auf mich nahm.
– – – cousin, seitdem er volljährig ge-

andere Seite:

schlechte boshafte Ratgeber – – –
gegenwärtiger Umsturzepoche – – –
und Mediatisierung der Reichsun – – –
mit einem Prozesse bedrohen – – –
höchst unsichere Ausgang – – –
Nur indem er dein Gemahl wird – – –
eine zufriedenstellende Ausgleich – – –
glücklicherweise kein großer Geist – – –
mit ihm machen was du willst – – –
Doch eine leidliche Ehe werden – – –
nur die höchste Eile – – –

»Das ist ein teurer, unschätzbarer Brief, den alle Kronen Philipps einzulösen zu leicht, zu nichtsbedeutend sind!« rief er aus und legte dies Fragment sorgfältig zusammen.

Dann bestellte er Pferde, um – nach Pest zurückzugehen. »Ich habe noch drei Rollen gut,« sagte er, da er sich bei Herrn Schmidt empfahl; »und einen Besuch habe ich noch zu machen

Zu Haydn ging er nicht. Diesem in seiner jetzigen Gemütsverfassung sich zu nähern, sei er nicht würdig.


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