Horaz
Horazens Satiren
Horaz

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Zweite Satire

Einleitung

Horaz macht uns in diesem Stücke, in der Person seines Ofellus, mit einem wahren Sokratischen Bauern, mit einem alt-römischen Kly-JookSo sollte dieser Name, der durch dies bekannte Buch des Sel. D. Hirzels so ehrwürdig worden ist, eigentlich geschrieben werden, weil er so ausgesprochen wird. Klein-Jogg ist weder schweizerisch noch hochdeutsch., wenn ich so sagen darf, bekannt, da er demselben die kleine moralische Lektion in den Mund legt, die er seinen Mitbürgern über die immer allgemeiner werdende Verschwendung, Üppigkeit und Unmäßigkeit ihrer Tafeln halten wollte.

Dieser glückliche Einfall gibt dem ganzen Stücke eine Wahrheit, eine Schicklichkeit und ein Interesse, die es schwerlich durch irgend eine andere Erfindung hätte erhalten können. Was in Horazens eigener Person doch immer das Ansehen einer bloßen schalen Deklamation gehabt hätte, wird durch den kunstlosen Vortrag des wackern Landmanns Ofellus lebendige, gefühlte Wahrheit. Horaz (wie Ernst es ihm auch dabei sein mochte) würde die Miene gehabt haben, eine Lektion aufzusagen, die er vor zehn Jahren in der Schule eines Stoikers oder Akademikers zu Athen gehört hätte: Ofellus hingegen lehrte nichts als was er selbst sein ganzes Leben durch in Ausübung gebracht hatte; ihm stand eine Satire über die schwelgerischen Tafeln der Römer und eine warme Empfehlung der altrömischen Frugalität und Einfalt wohl an, und beides hatte in seinem Munde eine ganz andere Grazie, als im Munde eines Poeten, der selbst beinahe alle Tage mit Mäcenas oder andern Großen von Rom schmausete. Vermittelst dieser feinen Wendung hingegen konnte Horaz, (dem jenes von manchem hungrigen Dichterling beneidete Wohlleben oft genug lästig gewesen sein mag) seinen großen Freunden mit der besten Art von der Welt Wahrheiten, die alles Beleidigende verloren hatten, sagen, und so, gewissermaßen, wegen mancher Unverdaulichkeit und manchem schlimmen Morgen, die er ihren königlichen Tafeln zu danken hatte, eine Art von scherzhafter Rache nehmen, wofür sie sich noch bei ihm bedankten. Denn es ist kein Zweifel, daß ihnen dieser Ofellus mit seiner ländlichen Einfalt, Offenheit und Bravheit, und mit seiner urgroßväterlichen Lebensweise, im Gemälde eben das Vergnügen gemacht haben werde, als die Geßnerischen Hirten einer wenigstens eben so üppigen und eben so weit von der kunstlosen Natur entfernten Klasse von Weltleuten in unsern Tagen. Der Kontrast, den solche Gemälde mit dern Leben großer und reicher Städte machen, gewährt ihnen ein desto größeres Vergnügen, weil das Herz sich unvermerkt dabei ins Spiel mischt, und sie sich nicht enthalten können, das unscheinbare Glück dieser unverzärtelten Kinder der Natur, als eine ihnen verbotene und unzugangbare Frucht, mit lüsterner, wiewohl vergeblicher Sehnsucht anzusehen.

Wer mit der Geschichte der alten Römer bekannt ist, weiß, daß in den fünf ersten Jahrhunderten dieser wunderbaren Republik die vornehmsten Familien und die größten Männer, Konsularen, gewesene Imperatoren, Männer, die dem Staate ganze Provinzen gewonnen und Könige im Triumph aufgeführt hatten, nicht reicher waren und nicht besser lebten als Horazens Ofellus. Noch das sechste Jahrhundert zeigt uns hievon ein in unsern Zeiten beinahe unglaubliches Beispiel. Älius Tubero, ein Mann, den seine Tugenden seinen Mitbürgern ehrwürdig machtenPlutarch im Leben Paul-Ämils., und der (nach Plutarchs Ausdruck) unter allen Römern Armut und Größe der Seele am besten zu vereinigen wußte (μεγαλοπρεπέστατα ‛Ρωμαίων πενία χρησάμενος), lebte mit funfzehn andern Äliern, seinen nächsten Verwandten, nebst ihren Frauen und einer hübschen Herde Kinder, entweder zu Rom in einem gemeinschaftlichen kleinen Hause, oder auf einem alten unzerteilten Familien-Gütchen, in der Gegend von Veji, welches so klein war, daß es (wie Valerius Maximus sagt) mehr Herren hatte, als Personen nötig waren es zu bauen. Und gleichwohl fand der große Ämilius Paulus, (der mit Fabius Maximus und Scipio Africanus das Triumvirat der edelsten und größten Römer ihres Jahrhunderts ausmachte) diesen nämlichen Tubero würdig, ihm seine Tochter Ämilia zur Gemahlin zu geben: und diese Tochter eines Patriziers von der ältesten und größten Illustration, eines Mannes, der zweimal Konsul gewesen war und zweimal triumphiert hatte, war noch stolz darauf, die Gemahlin eines Mannes zu sein, der tugendhaft genug war, um in einer Zeit, wo die Begierde, sich auf Kosten des Staats und der überwundnen Völker zu bereichern, wie ein böser Dämon in die meisten Römer gefahren war, arm zu bleiben.

Daß übrigens unser Dichter in der Denkart des wackern Ofellus die Gesinnungen seiner eigenen bessern Seele (wenn ich so sagen darf) ausgedruckt habe, wird niemand leicht bezweifeln, der aus seinen Schriften mit ihm vertraut worden ist; und die einzige Epode Beatus ille qui procul negotiis, und das so herzliche o noctes cenaeque deum! in der sechsten Satire dieses zweiten Buches, wäre hinlänglich uns davon zu überzeugen. Indessen erlaubten ihm seine Verhältnisse mit einigen Großen in Rom, und vielleicht auch die Gewohnheit, die uns unvermerkt tausend Dinge, wovon die Natur nichts weiß, zu Bedürfnissen macht, zumal in seinen jüngern Jahren, nicht, sich von den goldnen Ketten des römischen Stadtlebens ganz frei zu machen; und, da er nie weiser oder besser scheinen wollte, als er sich zu sein bewußt war: so legte er (auch aus diesem Grunde) nicht nur seine Moral über diesen Artikel einem Manne in den Mund, der gar nicht wußte, was Bacchanalia vivere war; sondern milderte auch, wie es einem homini urbano und Commensalen des Mäcens geziemte, die Austerität seines bäurischen Philosophen hier und da mit diesem feinen Anstrich von scherzhafter Laune. welche gleichsam der Firnis ist, womit die leichte Hand der Grazie alle seine Werke überzogen hat.


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