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In den städtischen Anlagen. Mit vielen Fahnen. Die Luft ist voll von Militärmusik. An der Ecke stehen zwei Frauenzimmer. Es ist bereits spät am Nachmittag. Der Stadtrat Ammetsberger geht vorbei. Die Frauenzimmer zwinkern.
Erste alt und dürr: Kennst du den?
Zweite jung und fett: Er ist nicht unrecht.
Erste Ich glaub, er ist was bei der Stadt. Irgendein Tier.
Zweite Wahrscheinlich.
Jetzt wehen die Fahnen im Winde.
Zweite sieht empor: Wenns nur keine Fahnen gäb –
Erste Fahnen sind doch direkt erhebend.
Zweite Nein – wenn ich so Fahnen seh, ists mir immer, als hätten wir noch Krieg.
Erste mit dem Lippenstift: Ich kann nichts gegen den Weltkrieg sagen. Das war undankbar.
Stille.
Zweite sieht noch immer empor: Wie das weht – was nützt uns das?
Erste Für mich sind am besten landwirtschaftliche Ausstellungen oder überhaupt künstlerische Veranstaltungen. Auch so vaterländische Feierlichkeiten sind nicht schlecht.
Ein Faschist geht vorbei.
Erste nähert sich ihm.
Faschist Wegtreten!
Pause.
Zweite Eigentlich ist der Krieg dran schuld.
Erste An was denn?
Zweite An mir.
Erste Lächerlich! Alle reden sie sich naus auf den armen Krieg!
Anna kommt und setzt sich mit dem Rücken zu den beiden Frauenzimmern auf eine Bank; sie wartet.
Erste Wer ist denn das?
Zweite Ich kenn sie nicht.
Erste Die sieht so neu aus. Und dann sieht sie doch wem ähnlich –
Zweite grinst: Dir –
Erste starrt sie an: Also das war jetzt gemein von dir, Agnes.
Drei Faschisten kommen an Anna vorbei.
Anna weicht ihren Blicken aus.
Die Faschisten halten vor ihr und grinsen sie an.
Anna erhebt sich und will ab.
Martin tritt in den Weg, grüßt kurz und spricht mit ihr.
Die Faschisten und die Frauenzimmer horchen, hören aber nichts.
Anna Und?
Martin Da gibts kein Und. Er hat sich halt wieder herausgelogen, der Herr Stadtrat. Das wäre unter seiner republikanischen Würde, hat er gesagt, daß er wegen denen ihrer deutschen Tage und wegen dem ehrlosen Lehninger auf seine italienische Nacht verzieht. Der typische Parlamentarier in schlechter Aufmachung. Es kommt alles, wie es kommen muß.
Anna Ein korrupter Mensch.
Martin Herrschen tut der Profit. Also regieren die asozialen Elemente. Und die schaffen sich eine Welt nach ihrem Bilde. Aber garantiert! Heut gibts noch einen Tanz auf denen ihrer italienischen Nacht! Zur freundlichen Erinnerung.
Die Faschisten beschäftigen sich nun mit den Frauenzimmern.
Anna Weißt du, was die Genossen sagen?
Martin Was?
Anna Daß du eine Zukunft hast.
Martin zuckt die Schultern: Sie kennen mich halt. Ich müßt aber fort. In irgendeine Metropole.
Anna Ich hab auch das Gefühl, daß man auf dich wartet.
Martin Hier hab ich ein viel zu kleines Betätigungsfeld. Das könnt auch ein anderer machen, was ich hier mach.
Anna Nein, das könnt keiner so machen!
Martin Du weißt, daß ich das nicht gern hör!
Anna Aber es ist so! Wenn alle so wären wie du, stund es besser um uns Menschen.
Martin Aber ich kann doch nichts dafür, daß ich so bin! Daß ich der Intelligentere bin, und daß ich mehr Durchschlagskraft hab, das verpflichtet mich doch nur, mich noch intensiver für das Richtige einzusetzen! Ich mag das nicht mehr hören, daß ich eine Ausnahme bin. Herrgottsakrament! Er brüllt sie an. Ich bin keine, merk dir das!
Anna Das kannst du einem doch auch anders sagen, daß du keine Ausnahme bist –
Stille.
Martin Anna, die Zeit braust dahin, und es gibt brennendere Probleme auf der Welt als wie Formfragen. Vergiß deine Pflichten nicht!
Anna Ich?
Martin Pflichten verpflichten.
Anna Martin. Du tust ja direkt, als war ich ein pflichtvergessenes Wesen –
Martin Wieso denn hernach? Das wäre ja vermessen. Komplizier doch nicht den einfachsten Fall! Ich wollt dich doch nur erinnern an das, was wir vorgestern besprochen haben – also sei so gut, ja? Ab.
Zwei Faschisten sind inzwischen mit den Frauenzimmern verschwunden.
Der Dritte fixiert nun Anna.
Anna plötzlich: Nun?
Der Dritte grinst.
Anna lächelt: Nun?
Karl erscheint hinter dem Faschisten.
Anna fährt zurück.
Karl Pardon!
Der Dritte grinst; er grüßt Anna spöttisch-elegant und ab.
Stille.
Karl unterdrückt seine Erregung: Pardon, Gnädigste!
Anna Du Trottel!
Karl Um Gottes willen. Eine Anna und dieser Faschist, da stürzt ja in mir eine Welt zusammen – Wer ist jetzt verrückt? Ich oder du?!
Anna Du! Ich streng mich da an, fädel was ein, und du zertrampelst mir wieder alles, du unüberlegter Mensch!
Karl Unüberlegt!
Anna Und unverantwortlich!
Karl Unverantwortlich! Grad schimpft mich der Martin zusammen, weil ich mich für ein unpolitisches Weib interessier, und derweil bandelt die Seine mit einem Faschisten an – Meiner Seel, jetzt glaub ichs aber gleich, daß ich verrückt bin! Korrekt verrückt! So wie sichs gehört!
Anna So beruhig dich doch!
Karl Oh du mein armer Martin!
Anna Aber ich tu doch gar nichts ohne Martin!
Karl starrt sie an: Wie, bitte?
Anna Ich tu doch gar nichts Unrechtes!
Karl So?
Anna Das ist doch alles in Ordnung – der Martin möcht doch nur etwas genauere Informationen über denen ihre Kleinkaliber haben – und dazu soll ich mich halt einem Faschisten nähern, um ihn auszuhorchen –
Stille.
Karl zündet sich eine Zigarette an.
Anna Was hast denn du jetzt gedacht?
Karl Ich? Pardon!
Anna Das war doch eine grobe Beleidigung –
Karl Pardon!
Anna Schäm dich!
Stille.
Karl Anna. Ich habe schon viel erlebt auf erotischem Gebiete, und dann wird man halt mit der Zeit leicht zynisch. Besonders, wenn man so eine scharfe Beobachtungsgabe hat. Du bist natürlich eine moralische Größe. Du hast dich überhaupt sehr verändert.
Anna lächelt: Danke.
Karl Bitte. Du warst mal nämlich anders. Früher.
Anna nickt: Ja, früher.
Karl Da warst du nicht so puritanisch.
Stille.
Anna plötzlich ernst: Und?
Karl Wenn ich dich so seh, krieg ich direkt einen Moralischen. Der Martin hat schon sehr recht, man soll sich nicht so gehen lassen – jetzt hab ich halt schon wieder ein Rendezvous, sie ist zwar politisch indifferent – Er sieht auf seine Armbanduhr.
Anna Dann würd ich an deiner Stelle einen heilsamen Einfluß auf sie ausüben.
Karl Meiner Seel, das werd ich auch! Ehrenwort!
Anna Wie oft hast du das jetzt schon gesagt?
Karl Anna. Es ist wichtiger seine Fehler einzusehen, als wie Fehler zu unterlassen. Wenn ich dir jetzt mein Ehrenwort gib, daß ich auf unserer italienischen Nacht heut nacht gewissermaßen eine passive Resistenz üben werd –
Anna Wie soll ich das verstehen?
Karl Also zum Beispiel: ich werd kein einziges Mal tanzen. Ehrenwort! Keinen Schritt! Auch mit ihr nicht! Es hat doch keinen Sinn, als Vieh durch das Leben zu laufen und immer nur an die Befriedigung seiner niederen Instinkte zu denken – er legt seinen Arm unwillkürlich um ihre Taille, ohne zu wissen, was er tut.
Anna nimmt seine Hand langsam fort von dort und sieht ihn lange an.
Karl wird sich bewußt, was er getan hat.
Stille.
Karl tückisch: Aber komisch find ich das doch von Martin.
Anna Was?
Karl Ich könnt es ja nie –
Anna Was denn?
Karl Ich kanns mir nicht vorstellen, wie er dich liebt. Ich meine: ob normal, so wie sichs gehört –
Anna Was willst du?
Karl Es tat mich nur interessieren. Wenn er nämlich sowas von dir verlangt, er schickt dich doch gewissermaßen auf den politischen Strich – ob er dabei innere Kämpfe hat?
Anna Innere Kämpfe?
Karl Ja!
Stille.
Anna Aber nein! Du kannst mich nicht durcheinander bringen! Ich kenn den Martin besser! Der steht über uns allen. Ich war blöd, dumm, verlogen, klein, häßlich – er hat mich emporgerissen. Ich war nie mit mir zufrieden. Jetzt bin ichs.
Karl verbeugt sich leicht.
Anna Jetzt hab ich einen Inhalt, weißt du? Langsam ab.
Karl Pardon! Sieht auf seine Armbanduhr, geht wartend auf und ab.
Leni kommt: Guten Abend, Herr Karl! Ich freu mich nur, daß Sie noch da sind! Ich konnt leider nicht früher!
Karl Wir haben ja noch Zeit. Und dann sieht es ja auch nicht schlechter aus, wenn man später kommt.
Leni Warum denn so traurig?
Karl Traurig?
Leni Nein, diese Stimme - wie aus dem Grab. Sie lächelt.
Karl Ich hab grad ein Erlebnis hinter mir. Nämlich ein politisches Erlebnis. Man müßt den Forderungen des Tages mehr Rechnung tragen, Fräulein. Ich glaub, ich bin verflucht.
Leni Aber Herr Karl! Wenn jemand einen so schönen Gang hat. Sie lacht.
Karl Wie?! Er fixiert sie.
Leni verstummt. Stille.
Karl Ja, Fräulein, Sie verstehen mich anscheinend nicht, ich müßt Ihnen das nämlich stundenlang auseinandersetzen – Ich seh schwarz in die Zukunft, Fräulein.
Leni Geh, Sie sind doch ein Mann –
Karl Gerade als Mann darf man eher verzweifeln, besonders ich, weil ich den politischen Tagesereignissen näher steh. – Sie kümmern sich nicht um Politik?
Leni Nein.
Karl Das sollten Sie aber.
Leni Warum redens denn jetzt darüber?
Karl In Ihrem Interesse.
Leni Wollens mich ärgern?
Karl Es war Ihre Pflicht als Staatsbürger –
Leni Warum wollens mir denn jetzt die ganze Stimmung verderben, ich hab mich ja schon so gefreut auf Ihre italienische Nacht!
Stille.
Karl Ich bin nämlich nicht so veranlagt, daß ich eine Blume einfach nur so abbrech, am Wegrand. Ich muß auch menschlich einen Kontakt haben – und das geht bei mir über die Politik.
Leni Geh, das glaubens doch selber nicht!
Karl Doch! Ich könnt zum Beispiel nie mit einer Frau auf die Dauer harmonieren, die da eine andere Weltanschauung hätt.
Leni Ihr Männer habt alle eine ähnliche Weltanschauung.
Stille.
Karl Sie sind doch eine Deutsche?
Leni Ja.
Karl Sehns, Fräulein, das ist der Fluch speziell von uns Deutschen, daß wir uns nicht um Politik kümmern, wir sind kein politisches Volk – bei uns gibts noch massenweis Leut, die keine Ahnung haben, wer sie regiert.
Leni Ist mir auch gleich. Besser wirds nicht. Ich schau, daß ich durchkomm.
Karl Mir scheint, Sie haben keine Solidarität.
Leni Redens doch nicht so protzig daher!
Karl Mir scheint, daß Sie gar nicht wissen, wer der Reichspräsident ist?
Leni Ich weiß nicht, wie die Leut heißen!
Karl Wetten, daß Sie nicht wissen, wer der Reichskanzler ist?
Leni Weiß ich auch nicht!
Karl Also das ist ungeheuerlich! Und wieder einmal typisch deutsch! Können Sie sich eine Französin vorstellen, die das nicht weiß?
Leni So gehens halt nach Frankreich!
Stille.
Karl Wer ist denn der Reichsinnenminister? Oder wieviel Reichsminister haben wir denn? Ungefähr?
Leni Wenn Sie jetzt nicht aufhören, laß ich Sie da stehen!
Karl Unfaßbar!
Stille.
Leni Das hab ich mir auch anders gedacht, diesen Abend.
Karl Ich auch.
Leni Einmal geht man aus – und dann wird man so überfallen.
Karl sieht auf seine Armbanduhr: Jetzt wirds allmählich Zeit.
Leni Am liebsten möcht ich gar nicht mehr hin.
Karl umarmt sie plötzlich und gibt ihr einen Kuß.
Leni wehrt sich nicht.
Karl sieht ihr tief in die Augen und lächelt geschmerzt: Ja, der Reichsinnenminister – er zieht sie wieder an sich.