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Auf dem Bahndamm, wo seinerzeit der Eilzug 405 mit einem Güterzug zusammengestoßen ist. Es ist tiefe Nacht und das Signal steht auf Grün, auf freie Fahrt. Von rechts kommt der Gendarm mit aufgepflanztem Bajonett, gefolgt vom Wirt und von Ferdinand, die sich mit ihren Jagdgewehren bewaffnet haben. Sie gehen nach links.
Wirt hält plötzlich und lauscht in die Finsternis: Dort ist doch einer. – Hallo! Wer da?!
Stille.
Gendarm Nichts. Das ist oft nur die Nacht, die man hört.
Wirt grimmig: Der wird uns noch entkommen –
Gendarm Das wird er nicht, garantiert. Die ganze Umgebung ist alarmiert, alles ist umzingelt.
Ferdinand schluchzt plötzlich rührselig: Oh mein Annerl, liebes armes Annerl – wo bist du wohl jetzt?
Gendarm Im Paradies.
Ferdinand Was hat man davon – Er holt eine Flasche hervor und säuft.
Wirt unterdrückt: Sauf nicht soviel.
Ferdinand Ich sauf aber, denn ich hab sie nicht beschützt, meine Herrschaften. – Ach Annerl, Annerl, ich bin ja überhaupt ein schlechter Mensch, ein miserabler Charakter.
Wirt Ermann dich.
Ferdinand herrscht den Wirt an: Ich ermann mich nicht. Du bist ja nur der Vater, aber ich, ich bin der Bräutigam und sie war meine große Liebe, bitt ich mir aus. Er trinkt wieder.
Alfons kommt von rechts, erblickt die drei und hält.
Die drei erblicken ihn und starren ihn entgeistert an.
Alfons Guten Abend.
Stille.
Wirt findet als erster seine Sprache wieder: Du, du traust dich mir vor meine Augen –
Alfons fällt ihm ins Wort: Ja. Zum Gendarm. Herr Inspektor, ich suche Sie.
Gendarm Wo steckt Ihr Schwager?
Alfons lächelt etwas unsicher: Ach, ihr wißt es bereits –
Gendarm perplex: Was denn? –
Wirt Wie der lächelt – Er starrt Alfons gehässig an.
Alfons Ja, mein Schwager Thomas Hudetz ist heut abend bei mir erschienen –
Ferdinand fällt ihm ins Wort: Erschienen?!
Alfons Unerwartet.
Wirt höhnisch: Unerwartet?
Alfons Ja. Zum Gendarm. Er kam zu mir und verlangte einen anderen Anzug –
Gendarm fällt ihm scharf ins Wort: Und Sie? Sie haben ihm einen anderen Anzug gegeben, was?
Alfons nach einer kleinen Pause: Er hat es sich selbst wieder überlegt – Er lächelt. Ja, er verzichtete. Und ich, Herr Inspektor, hab es mir auch überlegt, ob man es melden soll, daß er zu mir um Hilfe gekommen ist, aber ich glaube, man muß es melden – auch in seinem Interesse.
Ferdinand Der hat kein Interesse, merk dir das!
Wirt Wo steckt er denn, der Herr Schwager?! Wo ist er denn hin, unser geliebter Herr Vorstand?
Alfons Wie er mich vorhin verlassen hat, bin ich ihm gleich nach – aber dann hab ich ihn aus den Augen verloren. – Er ging den Weg zum Viadukt.
Wirt Zum Viadukt? Er faßt sich ans Herz.
Alfons Ja. Gott steh ihm bei.
Stille.
Wirds euch jetzt klar, warum er den anderen Anzug nicht nahm?
Gendarm Warum?
Alfons Ein Viadukt ist zumeist sehr hoch – Er lächelt seltsam.
Gendarm Ach, Sie meinen, daß er hinunterspringt?
Ferdinand Hinunter?
Alfons Ich fürchte, daß er sich selbst richtet –
Wirt Sich selbst richten? Also das gibts nicht. Das laß ich nicht zu! Das wär ja zu einfach. Was bildt sich denn der ein?! Mein Kind erschlagen, mein einziges Kind, und dann einfach sich selbst –?! Ah, das war zu bequem!
Ferdinand Eingesperrt gehört er und geköpft. Kopf ab, Kopf ab.
Gendarm Ein korrektes Gerichtsverfahren –
Wirt fällt ihm ins Wort: Den hole ich mir jetzt. Zum Viadukt! Rasch ab nach links.
Ferdinand Ich hol ihn auch – los, Herr Inspektor! Zu Alfons. Und du geh schlafen. Rasch ab nach links.
Alfons Nein, ich hol ihn auch. Er soll sich der irdischen Gerechtigkeit nicht entziehen.
Gendarm Bravo! Ab mit Alfons nach links.
Pokorny ein seliger Lokomotivführer, tritt aus der Finsternis vor und raucht eine Virginia, er blickt Alfons nach und grinst: Idiot, mit deiner irdischen Gerechtigkeit –
Das Signal läutet und wechselt auf Rot. Ein Streckengeher erscheint auf dem Bahndamm, er trägt eine Lampe auf der Brust und man kann sein Gesicht nicht erkennen.
Pokorny leise: Servus, Kreitmeyer!
Streckengeher hält, er hat eine sanfte Stimme: Meine Hochachtung, Herr Lokomotivführer!
Pokorny Wo steckt er denn?
Streckengeher Beim Viadukt.
Pokorny Ist er schon hinunter?
Streckengeher Nein. Mir scheint, er hat Angst –
Pokorny Angst? Man müßt halt noch mal mit ihm reden –
Streckengeher ängstlich: Tuns das nicht!
Pokorny Und ob ichs tu! Und wenns mich tausend Jahre kostet – das ist es mir wert! Hast denn du nicht auch dran glauben müssen?! Warst denn du nicht auch im Zug?! Erinnere dich nur, wie wir erwacht sind und es blieb immer Nacht!
Streckengeher Das schon.
Pokorny Na also! Hoffentlich werdens ihn nicht verhaften, bevor er noch dazu kommt –
Streckengeher unterbricht ihn: Still! Er lauscht.
Pokorny lauscht auch: Ich hör ihn –
Streckengeher Er kommt.
Stille.
Pokorny Er denkt, ein Viadukt ist zwar sehr hoch, aber vielleicht ist man doch nicht gleich hin –
Streckengeher Er denkt, ich werf mich lieber vor den Zug –
Pokorny Sicher ist sicher.
Hudetz kommt langsam von links.
Streckengeher richtet den Lichtstrahl seiner Lampe auf Hudetz. Hudetz erschrickt sehr und hält.
Streckengeher Guten Abend, Herr Vorstand!
Hudetz starrt ihn entgeistert an.
Ich seh nur nach, ob alles in Ordnung ist auf der Strecke –
Hudetz erblickt Pokorny und will rasch ab.
Pokorny Halt!
Hudetz hält.
Streckengeher Aber Herr Vorstand, der Herr Pokorny möcht doch nur reden mit Ihnen –
Pokorny verbeugt sich leicht: Lokomotivführer Pokorny.
Streckengeher Bleibens nur da, wir verraten Sie nicht.
Hudetz bange: Wer spricht da mit mir?
Pokorny Ich führte den Eilzug 405, der damals hier zusammengestoßen ist. – Was glotzens mich denn so an? Meinens, man könnt mit einem Toten nicht reden? Man kann schon, aber nur, wenn der Tote möcht – Er lacht kurz.
Streckengeher lächelt: Gelt, da wirds Ihnen ganz anders?
Hudetz schreit plötzlich den Streckengeher an: Tuns die Lampe weg, damit ich das Gesicht seh!
Streckengeher seelenruhig: Ich hab kein Gesicht.
Jetzt weht der Wind und es klingt wie Posaunen in weiter Ferne.
Hudetz horcht auf.
Pokorny zum Streckengeher, heiter, jedoch nicht ohne Hinterlist: Schau nur die Angst – er hätt zwar auch allen Grund dazu, denn wer ist denn schuld, daß ich nimmer bin.
Hudetz fällt ihm ins Wort: Ich nicht.
Stille.
Pokorny nähert sich Hudetz: Also, du willst dich der irdischen Gerechtigkeit entziehen – recht hast! Was hättest auch von deinem Leben? Lebenslänglich im besten Fall.
Stille.
Hudetz Was du sagst, das sind doch meine Gedanken – aber ich geh noch etwas weiter darüber hinaus.
Pokorny perplex: Darüber hinaus?
Hudetz Ja. Ich bin nämlich eigentlich unschuldig – und wenn ich vor Gericht gestellt werden soll, dann möcht ich aber gleich vor die höchste Instanz. Wenn es einen lieben Gott gibt, der wird mich schon verstehen –
Pokorny grinst: Sicher.
Jetzt weht wieder der Wind wie zuvor.
Hudetz horcht unangenehm wieder auf.
Anna kommt langsam von rechts und hält.
Hudetz erblickt sie entsetzt: Anna!
Stille.
Anna sieht Hudetz groß an: Herr Vorstand haben ein Signal –
Pokorny unterbricht sie: Daran waren Sie schuld, Fräulein, Sie und nur Sie.
Streckengeher Ist das auch wahr?
Anna als würde sie eine Schulaufgabe aufsagen: Er hat das Signal vergessen, weil ich ihm einen Kuß gegeben hab, aber ich hätt ihm nie einen Kuß gegeben, wenn er nicht eine Frau gehabt hätte, die er nie geliebt –
Pokorny unterbricht sie wieder: Was soll das?
Anna sieht Hudetz groß an: Ich kann nicht mehr lügen.
Hudetz herrscht sie plötzlich an: Hab denn ich das Lügen erfunden?
Stille.
Anna läßt Hudetz nicht aus den Augen: Erinnerst du dich, daß ich dich beim Viadukt gefragt hab: »Erkennst mich wieder?«
Hudetz leise: Ja.
Anna Du hast mich wiedererkannt.
Hudetz unsicher: Das weiß ich nicht.
Anna Aber ich. Denn du hast mich genauso umarmt wie damals.
Hudetz Wie wann?
Anna Wie damals, da wir fortgingen. Der Himmel war wie ein strenger Engel, wir hörten die Worte und hatten Angst, sie zu verstehen – oh so Angst – es waren schwere Zeiten, erinnerst du dich? Im Schweiße unseres Angesichts –
Hudetz unterbricht sie: Du warst schuld! Wer hat denn zu mir gesagt: »Nimm! Nimm!«?
Anna Ich.
Hudetz Und was hab ich getan?
Anna lächelt: Oh wie oft hast du mich schon erschlagen, und wie oft wirst du mich noch erschlagen – -es tut mir schon gar nicht mehr weh.
Hudetz Tuts dir wohl?
Anna schrickt zusammen und starrt ihn entsetzt an.
Jetzt läutet wieder das Signal und wechselt auf Grün.
Streckengeher Jetzt kommt bald der Zug.
Pokorny Er hat meistens Verspätung.
Streckengeher Stimmt, weil er auf den Anschlußzug warten muß –
Hudetz wendet sich plötzlich an Pokorny, leise: Sag mal, wie ist es denn eigentlich drüben?
Pokorny Bei uns? Friedlich, sehr friedlich! Weißt, wie in einem stillen, ländlichen Wirtshaus, wenns anfängt zu dämmern – draußen liegt Schnee und du hörst nur die Uhr – ewig, ewig – liest deine Zeitung und trinkst dein Bier und mußt nie zahlen –
Hudetz lächelt: Wirklich?
Pokorny Wir spielen oft auch Tarock und ein jeder gewinnt – oder verliert, je nach dem, was einer lieber tut. Man ist direkt froh, daß man nimmer lebt.
Nun nähert sich der Eilzug 405.
Alle horchen auf.
Pokorny leise zu Hudetz, damit es Anna nicht hört. Jetzt kommt dein Zug –
Hudetz wendet sich langsam dem Bahndamm zu.
Anna schreit ihn plötzlich entsetzt an: Nein! Was willst du tun?!
Pokorny zu Anna: Mischen Sie sich da nicht hinein!
Hudetz zu Anna: Ich treff meinen Kollegen Pokorny.
Pokorny Wir spielen Tarock.
Anna Tarock?
Hudetz Ja. Draußen liegt Schnee, aber innen im Ofen brennt das Feuer und wärmt –
Anna unterbricht ihn: Das ist kein Feuer, das wärmt. Glaub nicht deinem Kollegen. Er will dich ja nur holen, um sich zu rächen, weil er nicht mehr lebt.
Pokorny zu Anna: Ruhe!
Anna zu Hudetz: Ich bin nicht ruhig. Oh glaub es mir, es ist furchtbar, wo wir hier sind! Bleib, bleib leben, du!
Pokorny zu Hudetz: Hör nicht auf sie! Der Zug kommt!
Anna klammert sich plötzlich an Hudetz: Bleib leben, du! Bleib leben! Sie schreit. Herr Inspektor!
Nun fährt der Eilzug 405 donnernd und pfeifend vorbei – es wird ganz finster. Als es wieder heller wird, steht Hudetz neben dem Bahndamm und links im Vordergrund der Gendarm, der Wirt, Ferdinand und Alfons. Alle anderen sind unsichtbar.
Alfons Thomas!
Hudetz geht langsam auf den Gendarm zu: Herr Inspektor, ich melde mich zur Stelle.
Gendarm Im Namen des Gesetzes.
Hudetz zu Alfons: Ich hab mirs nämlich überlegt – Er nickt ihm lächelnd zu.
Wirt mit der Hand am Herz: Endlich! Jetzt kommt dann der Kopf dran, der Kopf –
Hudetz Möglich. Die Hauptsach ist, daß man sich nicht selber verurteilt oder freispricht – Er lächelt.
Ferdinand schreit plötzlich: Fesselt ihn, fesselt ihn!
Hudetz Nicht nötig.
Ferdinand Frech auch noch? Wart, dir hau ich eine hin – Er will auf ihn los.
Alfons Halt! Tuts mir den Gefallen und laßt ihm seinen Frieden!
Hudetz zu Alfons: Danke.
Gendarm zu Hudetz: Kommens jetzt –
Jetzt geht wieder der Wind wie zuvor.
Hudetz horcht plötzlich auf: Still! Er lauscht. Waren das jetzt nicht Posaunen?
Alfons Es war nur der Wind.
Hudetz nickt Alfons lächelnd zu: Das glaubst du ja selber nicht –