Ricarda Huch
Der Kampf um Rom
Ricarda Huch

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Auf der grünen Ebene, die sich durch das mittlere Italien bis an das Adriatische Meer zieht, reiften unter goldenem Himmel der Mais und die Trauben. Die balsamische Luft trug die Chorgesänge der Weinleser von Hof zu Hof; den halbnackten Kindern troff der Saft von den braunen Händen, in denen sie den Ueberfluß der Beeren zerquetschten.

Nachdem die Romagna und die Herzogtümer Modena und Parma sich mit der Toskana verbunden hatten, bildeten diese vier Staaten eine Liga mit eigner Regierung und eignem Heer, um ihre Selbständigkeit zu wahren, bis die Vereinigung mit Sardinien zu einem Königreich Oberitalien ins Werk gesetzt werden könnte. Garibaldi war darauf bedacht, das Heer zu ordnen, dessen Oberbefehl Baron Ricasoli ihm angeboten hatte, nachdem der durch die Verteidigung Venedigs berühmt gewordene General Ulloa in den Verdacht gekommen war, den eben vertriebenen Großherzog durch einen napoleonischen Prinzen ersetzen zu wollen, und deshalb seine Entlassung hatte nehmen müssen. Er versammelte seine getreuen Offiziere um sich, die zum Teil ihm von Amerika gefolgt waren, Medici, Sacchi, Nino Bixio, den Ungarn Türr und andre, von denen er wußte, daß sie zu einem Angriff auf die päpstlichen Staaten bereit sein würden; denn zu diesem Zwecke hatte er den Befehl übernommen. Sein Gemüt war unruhvoller als sonst; der Aufenthalt in Rimini, an jener Küste, wo er vor zehn Jahren den schrecklichsten Untergang überlebt hatte, weckte verhängnisvolle Erinnerungen in ihm auf. Er sah den Pater Verità wieder, den Priester, der ihm zu seiner wunderbaren Flucht hilfreiche Hand gegeben hatte und der kein Maß in seiner Rührung und Freude fand, das geliebte Haupt voll Hoffnung und Ehre wiederzusehen, das damals der Tod berührte. Nichts schien natürlicher, als daß er dem Lande, das 33 noch von seinem Ruhm und Unglück voll war, die endliche Befreiung bringen sollte; irgendein übriggebliebenes Denkmal seines Geschickes schien seiner dort zu harren und ihn dahin zu ziehen.

Daß es nach des Königs Sinn sei, wenn er die Marken und Umbrien eroberte, um von dort aus den Süden zu befreien, bezweifelte er nicht; Viktor Emanuel kannte seine Gesinnung und Absichten und würde ihn nicht ermuntert haben, an diese Stelle zu treten, wenn er ihm damit nicht den Weg hätte frei machen wollen. Allerdings lag das Oberkommando der Armeen der Liga nicht in seiner Hand, sondern in der des Generals Manfredo Fanti, dessen rühmliche Vergangenheit, Tapferkeit und Patriotismus jedoch Garibaldi dafür bürgten, daß er ihm nicht entgegenarbeiten, sondern helfen würde. Manfredo Fanti war ein stolzer und stattlicher Mann, in seinen Anfängen revolutionär, doch von einer angeborenen Richtung nach Ordnung, Besitz und legitimen Gütern allmählich zu hohen Stellen getragen. Aus Spanien zurückkehrend, wo er sich in den Kriegen großes Ansehen erworben hatte und durch Familie heimisch zu fühlen begann, war er in die sardische Armee eingetreten und in der Politik ein Anhänger Cavours geworden, der ihn hochschätzte. Indessen war er trotz aller Erfolge, die seinen innersten Erwartungen nie entsprachen, und seiner Anlage nach nicht glücklich. Er ließ Garibaldi gelten, da er ihm untergeordnet war und weil er es für richtig hielt, daß man sich der Talente eines jeden bediene, besonders in kriegerischen und gewissermaßen revolutionären Zeiten.

Die Diktatur der Herzogtümer hatte Luigi Carlo Farini übernommen, aus der Provinz Ravenna gebürtig, ein Politiker von gemäßigter Gesinnung, der das Heil in dem König von Sardinien, hauptsächlich aber in Cavour sah. Er betrieb den Anschluß der 34 von ihm regierten Staaten an Piemont mit einer Energie, die Garibaldi für ihn einnahm, ohne sich dadurch stören zu lassen, daß die Regierung selbst, nämlich der neue Minister Rattazzi, diesem Vorgehen mit ebensoviel Angst und Schrecken wie Genugtuung zusah und aus Furcht vor Napoleon die dargebotenen Provinzen anzunehmen zögerte.

Im Oktober speiste Garibaldi zusammen mit dem General Fanti bei dem Diktator, der im herzoglichen Palast von Modena residierte. In seiner fürstlichen Stellung glich Farini einem Schauspieler, der zum erstenmal die Rolle erhalten hat, die seinen Gaben entspricht: sein fleischiges Gesicht strahlte Erhabenheit und Gnade, er bewegte sich mit breitgeschwungenen Gesten und hielt sich, wenn es darauf ankam, als trüge er den Pomp eines asiatischen Satrapen am Leibe. Dazu standen ihm treffende Sätze, sowohl edle wie witzige, jederzeit zu Gebot, die sich wie römische Inschriften, in Marmorquadern gehauen, anhörten. Er empfing seine Gäste mit fröhlicher und glanzvoller Würde. Während des Essens, das von behenden Dienern aufgetragen wurde, zog er eine Silbermünze aus der Tasche und sagte mit bedeutsamem Lächeln: »Dies, meine Herren, sind fünf Lire, womit ich den Herzog von Modena bankrott zu machen gedenke,« und zeigte den frisch geprägten Kopf Viktor Emanuels auf der Bildseite. »Bravo!« rief Garibaldi, das Stück erfreut in der Hand drehend, »wir leben in einer Zeit, wo aus gemeinem Gelde selbst Waffen werden, die Schlachten gewinnen können.« »Er ist ein Patriot,« sagte Farini behaglich, indem er die Münze streichelte, »denn jedermann wird ihn gern einstecken.« Fanti meinte mit einer liebenswürdigen Wendung gegen den Diktator: »Das Blatt hat sich gewendet; jetzt sitzen die Patrioten auf alten Fürstenthronen und regieren.« Einige Stunden weit, sagte Garibaldi grollend, lägen 35 sie noch in den Kerkern und faulten. »Ja,« erwiderte Farini seufzend, »es müssen noch viele Piaster, Unzen, Gregorini und Carlini begraben und mit neuem Antlitz auferstanden sein, bis jedermann in Italien ein Vaterland hat und es lieben darf. Was mich betrifft, so denke ich, wenn meine Arbeit getan ist, zu zeigen, daß ich dem Gesetz, das ich verkündigt habe, auch als schlichter Bürger gehorchen kann.«

Jetzt brachten die Diener den Kaffee und verließen den Saal, worauf das Gespräch sich freier ergehen konnte. »Ich glaube,« sagte Garibaldi, »unsre Arbeit beginnt erst, und Ihr habt Eure Tüchtigkeit zu sehr merken lassen, als daß man Euch Ruhe gönnen dürfte,« und kam damit auf den Gegenstand, der ihm am Herzen lag. Er sprach von der unchristlichen Rache, mit der Pius IX. seine Untertanen, die sich wie Bologna von seiner unleidlichen Herrschaft hatten losreißen wollen, durch barbarische Söldner gestraft habe, von der Sehnsucht, mit der die wiederum Unterjochten auf ihre glücklicheren Brüder blickten, und daß er es für seine Pflicht erachte, ihnen in der Not beizuspringen. An ihm solle es nicht fehlen, sagte Fanti, wenn der Aufstand dort beginne und die Hilfe der Liga angerufen werde, und Farini fügte hinzu: »Wir wollen den Felsen Petri, wenn er zu wackeln anfängt, nicht stützen, und die sich an uns klammern und unsern Schutz suchen, wollen wir nicht zurückstoßen.«

Während dieses Gespräches kam La Farina, dessen Besuch, da er schon öfters wichtige Botschaften Cavours überbracht hatte, Farini nicht überraschte. Er horchte gespannt auf, denn er wußte von den Plänen Garibaldis nur ungenau Bescheid, und sagte, es sei wohl eher zu wünschen, daß man sich jetzt ruhig verhalte, wo nicht einmal der Erwerb Toskanas und der Herzogtümer gesichert sei und wo ein zu gewagter 36 Schachzug Frankreich und Oesterreich in die Schranken rufen könne. Er habe die Hilfe Napoleons nie gewünscht, sagte Garibaldi ungeduldig, und fürchte jetzt seinen Zorn nicht. Farini sagte mit Bewußtsein: »Der Emilia bin ich sicher, und Ricasoli dürfte es Toskanas sein. Uns kann nichts mehr von Piemont als der Wille des Königs trennen.« »Es wäre Frevel, an dem Willen und Mut Viktor Emanuels zu zweifeln,« fuhr Garibaldi fort, »eben jetzt, wo er das Schreiben des treulosen Mannes, nämlich Napoleons, mit Königsworten erwidert hat.« Er führte einige Sätze aus dem Antwortschreiben des Königs an Napoleon an, von dem man wußte, daß er es zwar nicht selbst verfaßt, aber seinen Inhalt und Ton bestimmt habe. Dies Herz dürfe man nicht verkennen, Viktor Emanuel würde kein Stück Italiens verleugnen, das seinen Namen anriefe. Wenn er, Garibaldi, die Grenze des Kirchenstaates mit seinen Truppen überschreiten werde, so tue er es in der festen Ueberzeugung, dem Könige damit einen erwünschten Dienst zu leisten.

Die Herren verstanden, daß eine mitwissende Teilnahme des Königs an seinem Unternehmen aus Garibaldis Worten zu schließen sei, von der er nicht deutlicher sprechen wollte, um die geheiligte Person zu decken, und nickten schweigend. Es war bekannt, daß er vor einigen Tagen in Turin gewesen war und mit dem Könige eine Unterredung gehabt hatte. Immerhin, meinte La Farina, würde es gut sein, die Gefahren in Betracht zu ziehen, die vom Auslande drohten; wer nichts damit zu tun habe, unterschätze gewöhnlich die Bedeutung der Diplomatie.

»Was mich betrifft,« sagte Garibaldi, »so weiß ich, wieviel sie verderben kann. Den Grafen Cavour, den ich hochschätze, schätze ich so viel, wie er mehr als Diplomat ist. Er hat gewiß den Krieg nicht 37 angefangen, damit in Zukunft die Lombarden und Florentiner sich Piemontesen nennen. Wäre er am Steuer, würden wir schon jenseits der Grenze sein.«

Am Abend traf Garibaldi in einem kleinen Gasthof mit Bertani zusammen, der wegen der Leitung der Ambulanz von Fanti berufen war. Garibaldi erzählte von seinem Gespräch mit dem Könige, den zu loben er nicht müde wurde; er habe ihn zum Einfall in die Marken ermächtigt, sowie eine entscheidende Bewegung dort vorfiele, die den Anlaß geben könnte. Bertani entgegnete, es möge sein, daß er keinen Fehler habe außer dem, König zu sein. Gewiß wünsche er ein mutiges Zugreifen; aber er müsse auch darauf bedacht sein, mit reinen und ganzen Handschuhen auf dem Throne zu erscheinen. Er selbst habe den Irrtum begangen, zu viel auf ihn zu bauen; seit er den Frieden von Villafranca geschlossen habe, sei er zu der Einsicht gekommen, daß er die große Revolution, Europa zum Trotz Italien zu machen, allein nicht vollführen könne. Die Schuld, von Frankreich Hilfe angenommen zu haben, würde mit Savoyen und Nizza bezahlt werden; die Patrioten müßten schnell handeln, damit nicht noch mehr italienische Provinzen verkauft würden, um Italien ganz zu machen.

Garibaldi wurde zornig. Das mit Savoyen und Nizza sei, sagte er, von Mazzini erfunden, um die Monarchie verhaßt zu machen. Er wolle nichts mehr davon hören. Bertani verteidigte Mazzini. »Ihr werdet es erleben müssen,« sagte er, »daß Mazzini recht hat. Ihr solltet Euch, das ist meine Meinung, gerade jetzt nicht von Mazzini trennen, wo ihr beide dasselbe wollt. Er will den Einfall ins römische Gebiet und sendet seine Anhänger in Euer Lager, obwohl ihn die Sizilianer bedrängen, etwas für sie zu tun. Er vertröstet sie darauf, daß Ihr durch den Kirchenstaat 38 nach Neapel vordringen werdet, und daß sie sich dort unten mit Euch vereinigen können.«

Garibaldi dachte eine Weile nach. Er habe in diesen Tagen, sagte er, einen Brief aus Messina erhalten, daß eine Insurrektion in Vorbereitung sei. Wenn er Hilfe verspräche und mit seinen Freiwilligen nach Sizilien käme, würden sie Sorge tragen, daß die Revolution ausbreche. Er habe geantwortet, daß er mit ihnen sei, wenn sie aufständen, um die Bourbonen zu verjagen und sich Italien unter Viktor Emanuel einzuverleiben. Eher würde er nicht kommen, als bis sie durch die Tat ihren festen Willen angezeigt hätten. Sein Zutrauen, fügte er hinzu, zu diesen sizilianischen Umtrieben sei nicht unbedingt. Er sei nicht sicher, ein wie großer Teil des Volkes dabei beteiligt sei. Geschehen müsse etwas; aber er wolle sich nicht wie andre irreführen lassen.

Bertani, der Crispi und Rosolino Pilo in Genua gesehen hatte, sagte, es scheine jetzt Ernst zu sein. Crispi sei nach Sizilien zurückgekehrt, um unter fremdem Namen mit Gefahr des Lebens das Feuer zu schüren; bis zum Frühling, habe er gesagt, müsse alles in Flammen stehen. Garibaldi nickte; bis dahin könne er unten sein, den Weg von Rom auf Neapel habe er schon einmal gemacht und werde ihn nicht verfehlen.

Dem Grafen Cavour wurde die Untätigkeit, zu der er sich selbst verurteilt hatte, von Tag zu Tag unerträglicher. Er war mit der Lage, wie sie sich jetzt herausgebildet hatte, außerordentlich zufrieden und urteilte, daß er sich zur Zeit des Friedensschlusses unweise vom Zorn habe übereilen lassen. Wenn auch sein zeitweiliges Verschwinden vom Schauplatze der politischen Umtriebe sein Gutes gehabt hätte, so fand er, daß es doch allmählich notwendig werde, wieder hervorzutreten. Daß Rattazzi immer 39 noch zögerte, die Annexion der mittelitalienischen Staaten auszuführen, machte ihn ungeduldig; er war dafür, Napoleon nicht zu reizen, aber die allzu große Unterwürfigkeit erschien ihm unwürdig und namentlich unnötig. Noch war die Lockspeise, mit der er den Kaiser früher abzufertigen gedacht hatte, Savoyen und Nizza, nicht vergeben, und sie konnte seiner Meinung nach wieder dazu dienen, ihm im Falle der Not den Mund zu schließen. Er kam zuweilen nach Turin und regierte, so gut es gehen wollte, in den Lauf der Dinge hinein, was seinen Drang, die augenblickliche Regierung über den Haufen zu werfen, erheblich steigerte. Bereits war es ihm gelungen, sich mit dem beleidigten König wieder in Verbindung zu setzen, der seiner aber noch nicht zu bedürfen schien; es galt, ihn von seiner Unentbehrlichkeit zu überzeugen. Um so unlieber war ihm ein neuer Konflikt, der jetzt zu entstehen schien.

Der Graf erfuhr nämlich von der Absicht Garibaldis, in die Marken einzufallen, und daß der König dem General Fanti einen Brief geschrieben habe, in dem er ihn ersuchte, das Kommando der alliierten Armee niederzulegen, damit Garibaldi allein an der Grenze bliebe und, was immer vorfiele, die Verantwortung zu tragen hätte; welches Schreiben offenbar dazu dienen sollte, Garibaldi jeden Widerstand aus dem Wege zu räumen und zugleich den Namen des Königs, der vor der Oeffentlichkeit durch Fanti vertreten wurde, aus dem Spiele zu bringen. Es stand dem Grafen fest, daß er dies tollkühne Unternehmen, das einen Krieg mit Frankreich zur unvermeidlichen Folge haben würde, um jeden Preis hintertreiben müsse; er war wütend auf Garibaldi und noch mehr auf den König.

Cavour schätzte den politischen Verstand des Königs nicht übermäßig hoch ein, aber er war der 40 Ansicht, daß ein Monarchist es nehmen müsse, wie Gott es gebe, und daß die Zuverlässigkeit und der fürstliche Stolz Viktor Emanuels für viele Mängel entschädigen könne; im Grunde hatte er hauptsächlich das an ihm auszusetzen, daß er nicht leicht lenkbar, ja eigentlich eigensinnig sei und mehr, als zu seinem Beruf passe, eigne Gefühlsneigungen hervorkehre. ›Er fängt jetzt an,‹ dachte er, ›sich mit Garibaldi zu verschwören, wie wenn er ein verlottertes Genie oder ein Tagedieb und Habenichts wäre. Wären wir um dreißig Jahre zurück, so würde er vielleicht Mitglied von Mazzinis Jungem Italien werden. Solche Passionen kann ich ihm nicht erlauben,‹ dachte er, ›nein, ich kann sie ihm nicht erlauben.‹

›Garibaldi,‹ sagte er sich, ›ist eine Macht, nicht etwa durch Verstand, wovon er soviel hat wie irgendein tüchtiger Schiffskapitän, und auch nicht durch Ideen; denn die hat er nicht mehr als ein Kranich mit seinem alljährlichen Einfall, sein Volk übers Meer zu führen, oder die Henne, die plötzlich vom Triebe zu unentwegtem Brüten befallen wird. Sind diese Leute weitsichtiger, die glauben Italien zu machen, wenn sie gehörig mit dem Kopfe wider die Mauer rennen? Gibt der Schädel endlich nach und läuft das Gehirn aus, so ist der Märtyrer Italiens fertig. Garibaldi jedoch gehört nicht zu diesen; er hat Instinkt gesunden Lebens, den ich an ihm schätze und der mit zu der rätselhaften Macht gehört, die er ausübt. Es kommt darauf an, diesen Mann vernünftig zu benutzen; der König könnte sich von ihm mitreißen lassen, und das wäre verderblich. Der König hat von seinem Vater einen Keim des Verschwörers und Revolutionärs im Geblüt, dazu besitzt er Mut und Standhaftigkeit, die jener nicht hatte. Er ist ein praktischer Mann, in dem eine einzige Phantasie, die der italienischen Krone, festgewachsen ist: das ist mir 41 eine Gewähr und eine Gefahr zugleich. An diesem Punkte berührt und bewegt ihn der maßlose Geist Garibaldis, und stark muß es sein, daß der treue Sohn der Kirche sein Wort zu einem bewaffneten Einbruch in päpstliches Gebiet gibt.‹

Cavour bedurfte keiner Ueberredungskunst, um den General Fanti und den Diktator Farini auf seine Seite zu ziehen. Sie verehrten in ihm den Schöpfer der Politik, die den Grund zur Befreiung des nördlichen Italiens gelegt hatte, und fanden es billig und bequem, sich seinen Anordnungen anzuschließen; abgesehen davon neigten sie beide mehr dazu, innerhalb eines gesicherten oder wenigstens durch gewichtige Meinung gestützten Bezirkes energisch tätig zu sein, als sich zu einem Wagnis mit ungewissen Aussichten mitreißen zu lassen. Nachdem er von ihnen das Versprechen erhalten hatte, daß sie das ihrige tun würden, um einen unzeitigen Streich Garibaldis zu verhindern, wurde er ruhiger.

›Auch ich bin eine Macht,‹ sagte er sich, ›eine, die sich berechnen und mit Namen nennen läßt. Wenn Gott die Vernunft ist, muß es mir gelingen, Garibaldi auszustechen, unschädlich zu machen und zugleich zu benutzen.‹ Es war eine heikle Sache, dem König in so wichtigen Dingen entgegenzutreten, dessen Empfindlichkeit er noch nicht überwunden hatte, und er war nicht frei von Sorgen; aber gab es für ihn weder die Möglichkeit, überhaupt die Hand von der Politik zu lassen noch die, eine andre Politik als bisher zu verfolgen. Er wäre nicht mehr Cavour gewesen, wenn er noch lange fortgefahren hätte, Untersuchungen über den besten Dünger anzustellen, und ebensowenig, wenn er um unsicherer und gefährlicher Erwerbungen willen einen gewissen Gewinn aufs Spiel gesetzt hätte. Er nahm eine Landkarte und verfolgte langsam und zärtlich mit dem Bleistift den Umriß um das neue 42 Königreich Oberitalien: das sollte ihm keiner antasten, Napoleon nicht, doch auch sein König nicht. Wie ein Vater für sein Kind wollte er sein Leben daran wagen.

Mit Genugtuung dachte er an den praktischen Sinn des Königs, der ihn einsehen lassen würde, daß viele Wege nach Rom führen, und daß die von Mazzini gelehrte kürzeste Linie durch die Luft gehe, daß aber auf der Erde mit ihren Gebirgen und Schluchten ein Umweg oft eher zum Ziele bringe; und an sein rechtschaffenes Herz, das, wie sehr ihn auch die Eigenwilligkeit seines Ministers kränkte, ihm die geleisteten Dienste trotzdem nicht vergessen würde. ›Wenn ich ihm verspreche,‹ dachte er, ›ihn binnen eines Jahres in Florenz zu krönen, wird er darauf verzichten, sich von Garibaldi und Mazzini, nach der vorausgegangenen Flucht des Papstes, auf das Kapitol führen zu lassen; denn ein Sperling in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dache.‹

*

In der Mitte des November, als Garibaldi aus Bologna kommend, wo er eine Unterredung mit Fanti und Farini gehabt hatte, wieder in Rimini eintraf, empfing ihn Medici mit der Nachricht, in Imola seien Unruhen ausgebrochen, ob die Befehle zum Abmarsch der Truppen sollten ausgegeben werden. Garibaldi, dem in Bologna die Lauheit der beiden Männer, auf deren Mitwirkung er gerechnet hatte, aufgefallen und der dadurch verstimmt war, fragte, woher die Nachricht stamme, ob sie verbürgt oder ob es nur ein Gerücht sei. Ein Gerücht immerhin, erwiderte Medici, doch scheine es aus guter Quelle zu kommen; denn Schiffer, die Antonio Elia angestellt habe, hätten es selbst aus Imola gebracht. Elia erwarte ihn schon seit einer Stunde und werde den Bericht vervollständigen. 43

Antonio Elia war der Sohn eines Schiffers von Ancona, der im Jahre 1849, als Anhänger der Republik durch die Franzosen erschossen war, den Garibaldi persönlich gekannt hatte und an den er sich als an einen Mann voll kraftvoller Schönheit, Ehrliebe und leidenschaftlichem Temperament gern erinnerte. Sein ältester Sohn Antonio war Seemann geworden und erhielt Mutter und Geschwister. Beim Ausbruche des Krieges war er als Freiwilliger zu Garibaldi gegangen und betete ihn an, seit er ihn gesehen hatte; dieser behandelte ihn wie einen Sohn und liebte es, ihn um sich zu haben: so wie Antonio, einfach in seinen Gewohnheiten, bescheiden in seinen Ansprüchen, voll Ehrgeiz, wenn es galt, sein Können anzuwenden, furchtlos, immer bereit, sein Leben an etwas Großes zu wagen, geschickt zu jeder Tätigkeit, von edelm Körperbau, braun von der Sonne, sollte nach seiner Meinung der italienische Mann aus dem Volke sein. Er hatte ihm den Befehl über ein Schiff anvertraut, das bestimmt war, von der See aus in die kriegerische Bewegung einzugreifen, und versprach sich viel von der genauen Kenntnis des Landes und seiner Verhältnisse, die der aus den Marken Gebürtige haben mußte. Elia erzählte, was er wußte: daß ein ihm wohlbekannter zuverlässiger Mann mit einigen Leitern des Insurrektionskomitees von Imola gesprochen habe, daß diese versichert hätten, ein Angriff auf den Palast des Legaten werde am folgenden Tage stattfinden, die Waffen, die in einem Warenmagazin aufbewahrt gewesen wären, seien bereits unter die Eingeweihten verteilt, der Ausbruch des Kampfes werde zugleich ein Zeichen für Ancona sein, daß es Zeit sei. Die schwarzen Augen Antonios ruhten mit strahlender Bitte auf Garibaldis Gesicht, sein schöner Mund lächelte ihm unbewußt vor Ungeduld und Freude. Nachdem Garibaldi sich nach verschiedenen Einzelheiten 44 noch erkundigt hatte, sagte er: »Es ist gut, gehen wir nach Ancona und setzen wir einen Denkstein auf die Gebeine deines Vaters in freier Erde.« Das Sonnenlicht ging wieder in seinem Antlitz auf und verzehrte in einem Augenblick den Unmut und die Besorgnis, die es vorher getrübt hatten. Er versammelte seinen Stab und schickte Befehle an alle Truppenteile, sich sofort in Bewegung zu setzen, um auf verschiedenen Straßen die Grenze zu erreichen. Elia sollte zu Schiff nach Imola fahren und die Aufständischen durch die Nachricht von herannahender Hilfe ermutigen. An Fanti schickte er eine Depesche mit der Meldung des in Imola ausgebrochenen Aufstandes und daß er sich anschicke, den kämpfenden Brüdern beizuspringen. Die Zeit, die ihm noch übrigblieb, benutzte er, um eine kleine Schar von Freiwilligen zu organisieren, die sich für den Fall eines Zusammenstoßes mit den päpstlichen Truppen bei Rimini aufhielten.

Der Tag war feucht und warm gewesen, spät am Abend erhob sich ein Scirocco und trieb die schwarze Brandung mit dumpfen Schlägen gegen die Hafenmauer. Garibaldi, zum Aufbruch bereit, sah prüfend in das Wetter, ob der Wind vielleicht Antonios Fahrt verzögern könne. Dicht über dem Meere lief ein einziger schmaler weißer Streifen am Horizont, sonst, und wenn man nicht das Bäumen der Wellen unter dem Sturme gesehen hätte, wären Himmel und Meer nicht zu unterscheiden gewesen. Auch die Zypressen auf dem Platze, die sich unaufhörlich mit einem singenden Laut auf und nieder bogen, fluteten in die Dunkelheit, so daß sie ungeheuer an Form und Größe erschienen. Garibaldi war im Begriff, mit mehreren Offizieren in einen Gasthof einzutreten, um vor dem langen Ritt, den sie vor sich hatten, in Eile etwas zu essen, als sie den schnellen Trab eines Pferdes 45 durch die Hauptstraße widerhallen hörten, worauf sie stehen blieben, um den Reiter zu erwarten. Es zeigte sich, daß es eine Ordonnanz des Divisionsobersten Mezzacapo war, der Garibaldi zu melden hatte, daß ihn, den Obersten, als er mit seiner Division schon in der Nähe der päpstlichen Grenze angelangt gewesen wäre, ein eilender Bote des Generals Fanti erreicht hätte mit dem Befehl, nicht weiter vorzurücken; handle er dawider, so tue er es auf eigne Gefahr und lade die Strafe der Empörung auf sich; er müsse dem Befehl des Obergenerals der Armee gehorchen und bitte den General Garibaldi, ihn zu entschuldigen.

Garibaldi entließ den Boten mit einer Handbewegung, rief seinen Begleitern ein paar Worte zu, zog den Hut tiefer ins Gesicht, sprang aufs Pferd und ritt unverzüglich die Via Emilia entlang nach Bologna zu.

Am Vormittage traf er dort ein; der Regen strömte und der Wind blies. Er eilte in den Palast, der den Namen des Königs Enzio trägt, den Farini bewohnte, und fand ihn mit Fanti im Gespräch über das Vorgefallene. Sie schienen auf seine Ankunft gefaßt zu sein und empfingen ihn mit vorwurfsvoller Miene und in gemessener Weise. Garibaldi fragte, ohne darauf zu achten, mit welchem Rechte sie ihn verhindert hätten, zum Wohle des Vaterlandes zu handeln; jetzt wäre der Augenblick verpaßt, vielleicht das Versäumte nicht wieder einzubringen; der Dienst löse sich auf, wenn die Befehle der Offiziere hinterrücks von andern widerrufen und hintertrieben würden. In Fantis Gesicht trat ein Ausdruck hochmütiger Verachtung; er habe, sagte er, die Verantwortung für alles, was in der Armee geschehe, also das Recht und die Pflicht, zu hintertreiben, was er für unrichtig halte. Er glaube dem Vaterlande einen bedeutenden Dienst geleistet zu haben. Jetzt trat atemlos La Farina ein 46 und mischte sich in das Gespräch, indem er Garibaldi vorwarf, sein gegebenes Versprechen, daß er sich nicht rühren wolle, bevor in den Marken beginnende Unruhen den Anlaß gäben, gebrochen zu haben. Garibaldi berief sich auf den in Imola vorbereiteten Aufstand, Fanti entgegnete, niemand wisse etwas davon, Gerüchte liefen täglich um, man brauche Tatsachen, und La Farina deutete an, daß die Gerüchte von Garibaldis eignen Anhängern könnten verbreitet sein. Farini sagte, langsam und majestätisch wie gewöhnlich sprechend, da er Diktator sei, behalte er sich vor, in so wichtigen Fragen zu entscheiden, was getan oder unterlassen werden solle. »Es liegt in meinem Willen, wer hier Diktator ist!« rief Garibaldi drohend. La Farina erbleichte, Fanti legte die Hand an den Degen. Farini trat einen Schritt zurück und sagte, die Augenbrauen hochziehend: »Das klingt wie Revolution.« »Immerhin!« rief Garibaldi. »Ich habe diese Uniform nicht angelegt, um ein blinder Knecht zu werden. Wenn ich nichts als ein piemontesischer General wäre, so wäret Ihr im Rechte; aber ich bin der Anführer der freien Männer, die das Schwert ergriffen haben, um Italien zu befreien. Ich bin die Revolution!« Seine Augen blitzten, in seiner Stimme, die von den Wänden des geräumigen Saales widerhallte, war die eherne Glut, mit der die Riesenglocke des alten Turmes das Volk zu Sturm und Aufruhr zu läuten pflegte. La Farina wendete sich beschwörend von einem zum andern und sprach von der Einigkeit und der Not des Vaterlandes, ohne daß man auf ihn hörte. Farini machte eine beschwichtigende Handbewegung gegen ihn und sagte mit Gelassenheit zu Garibaldi, der wie einer, der zum Aeußersten bereit ist, vor ihm stand: »Ihr könnt mich zu diesem Fenster auf den Platz hinunter werfen lassen, aber nicht mich zwingen, ein Unterfangen gutzuheißen, das ich für 47 Empörung halte.« Garibaldi blieb noch einen Augenblick stehen, ohne etwas zu erwidern, und verließ dann den Saal.

Als sein Schritt verhallt war, ließen die Zurückbleibenden ihre Entrüstung ungehindert hervorbrechen. »Ich schätze Garibaldi hoch,« sagte Farini, »aber ich bin zufrieden, ihm gezeigt zu haben, daß er allein nicht der Wille Italiens ist.« Farina meinte, Garibaldi würde sich schwerlich schon für besiegt halten, wahrscheinlich würde er sich an das Volk wenden, um die Diktatur an sich zu reißen, nach der er eigentlich strebe. »Er soll es versuchen,« erwiderte Farini lächelnd. »Er wird finden, daß ich fester auf meinem Stuhle sitze als die Legaten und Herzoge auf ihren Thronen.« Darauf dürfe man es nicht ankommen lassen, sagte La Farina. Er wolle es auf sich nehmen, Garibaldi entgegenzuwirken. Es sei ihm stets, wenn er es versucht habe, geglückt, das Volk zur Einsicht des Guten zu bringen; ohne ein großer Redner zu sein, dürfe er seinem Wort einen sicheren Einfluß auf die Menge zuschreiben. Von Farini und Fanti beglückwünscht, traf er schleunig Vorbereitungen, um Menschen zu versammeln und Ansprachen zu halten.

Allerdings dachten einige Offiziere Garibaldis, die ihm gefolgt waren, daß man noch ein Aeußerstes versuchen könne, um den hintertriebenen Plan doch ins Werk setzen zu können, ja der Ungar Türr hatte bereits ein Häufchen um sich geschart, aus dem der Ruf: »Es lebe Garibaldi Diktator!« hervorging; aber Garibaldi begriff immer deutlicher, daß Farini und Fanti sich auf den Willen des Königs stützen müßten, den Ränke seiner Feinde oder der Einfluß der Diplomatie von der mit ihm getroffenen Vereinbarung zurückgebracht hätten, und beschloß, keine Umwälzungen in Bologna zu veranlassen. Er verließ die Stadt und sein Lager so schnell wie möglich und begab sich nach 48 Turin, um aus dem Munde des Königs selbst zu erfahren, ob und warum er ihn preisgegeben habe.

Die aufrichtige Herzlichkeit des Königs und die bescheidene Ehrlichkeit, mit der er, was Garibaldi durch seine Schuld widerfahren war, beklagte, entwaffneten den Zorn des Beleidigten gegen seine Person, nicht aber seinen Unmut über die von ihm befolgte Politik, der zuliebe er sein teuerstes Werk hatte aufgeben müssen. Als der König ihm eine Stelle in der sardischen Armee als General anbot, lehnte er ab, indem er sagte, er glaube als freier Mann dem Könige besser dienen zu können. Viktor Emanuel stimmte bei und äußerte die Hoffnung, daß der Zeitpunkt in nicht zu ferner Zukunft liege. Nach dieser Besprechung nahm Garibaldi seine Entlassung und mit ihm die namhaftesten seiner Offiziere, unter ihnen Giacomo Medici, Nino Bixio und Türr.

*

Vor einigen Jahren hatte Garibaldi mittels der kleinen Erbschaft eines verstorbenen Bruders die im Süden Sardiniens gelegene Insel Caprera gekauft, von weitem gesehen ein wilder Fels aus dem Meere gewachsen, die aber doch einige Talsenkungen ausdauernden Besiedlern zur Kultur darbot. Er hatte sich dort mit Hilfe ergebener Freunde und immer selbst Hand anlegend ein einfaches, fast unwirtliches Haus gebaut; dorthin ging er jetzt. Es war bewohnt von seiner Tochter Teresita, seinen Söhnen Menotti und Riciotti und einer ihm seit Jahren befreundeten Familie, bei der seine Kinder seit dem Tode seiner Frau und seiner Mutter aufgewachsen waren. Zu ihnen gesellten sich häufig junge Verehrer des Generals, die zugleich Freunde des ältesten Sohnes waren; auch Antonio Elia hatte glückselig die Einladung des angebeteten Mannes, ihn zu begleiten, angenommen, im stillen hoffend, daß die unwillig aufgegebene 49 Eroberung seiner Heimat bald von neuem werde versucht werden.

Um diese Jahreszeit war die Ernte schon vorüber, die Felder waren bestellt, auch der Wein, von dem Garibaldi selbst selten trank, war gemacht. Es gab auf Caprera wilde Rinder, Ziegen und Kaninchen, Habichte und andre Raubvögel, auf die die Männer Jagd machten, die zwischen den zerrissenen Felsen der Insel nicht ohne Schwierigkeit, ja nicht ohne Gefahren war, und Garibaldi ebendeshalb Vergnügen machte. Auch fehlte es sonst nicht an Arbeit, die dem Geschmack des Generals entsprach: er hatte den Bau einer Straße unternommen, die am Meere entlang zu seinem Hause führen und von Zypressen begleitet sein sollte und wobei er selbst anordnen und häufig mit zugreifen mußte; doch konnte er einer tiefen Verstimmung nicht Herr werden und suchte häufig die Einsamkeit.

Wenn es Abend wurde, setzte er sich an eine Stelle des Strandes, die er vorzüglich liebte, wo das Auge über das Meer hinaus nach Norden blickte und wo er nicht gestört wurde. Er saß dort wie auf einem verankerten Schiff inmitten der Wellen, die zu seiner Klippe hinaufschlugen und seine Füße beschäumten. Der Herbstwind jagte mit starkem Schwung und stolzem Frohlocken hoch über ihm zwischen Sternen und Sternen; kaum bewegten einige Weiden und Akazien, die oberhalb des Platzes, wo er saß, im Schutze eines Felsens standen, die nackten Kronen. Selten kam ein Segel von Fischern vorüber; aber Möwen waren in großer Zahl da, wiegten sich kreischend auf der schwankenden Luft und schossen wie silberne Strahlen durch die springenden Wellen. Garibaldi wurde nicht müde, ihrem Fluge zuzusehen: sie schienen ihm etwas innig Verstandenes, Befreundetes zu sein. Es war ihm manchmal, als ginge ihre Gegenwart ihn an, als müßten sie Antwort geben, wenn er sie fragte: Wer 50 seid ihr? Seid ihr Geister, die gekämpft und gelitten haben wie ich? Es kam ihm in den Sinn, diese Vögel könnten das Unsterbliche der Helden Italiens sein, die, unermüdlich das feuchte Dunkel durchblitzend, dem Sturm ihrer Liebe Genüge täten, und es war ihm süß, in dieser Vorstellung zu verharren. ›Ja, ihr seid es,‹ dachte er, während er ihnen zusah, ›ihr Teuern, die um des großen Gedankens Italien willen wehrlos den eisernen Waffen nie besiegter Tyrannen entgegentratet. Du bist es, Antonio Oroboni, der in der Finsternis des Kerkers zwanzigjährig hinsiechte, dessen Gebeine ungesondert bei den Resten barbarischer Verbrecher liegen. Du, Jacopo Ruffini, der sich seiner Mutter und seinen Brüdern tötete, um sich durch die Folter der Inquisitoren kein Wort entwinden zu lassen, das sie zur Anklage gegen seine Freunde nützen könnten. Du, Ciro Menotti, klug und verwegen, der den Tyrannen zum Verbündeten der Revolution machte, den der Feige flüchtend wie ein Kleinod mit sich schleppte, um ihn seiner Mordlust zu schlachten. Du, edler Priester Giuseppe Andreoli, der das schuldlose Haupt sanft wie zum Schlafe auf den Richtblock legte. Ihr Zahllosen, die Henkershand erwürgte, die der Kerker erstickte, die dem Gram und Hunger in der Verbannung erlagen, ohne daß ein Morgenrot über ihren Träumen dämmerte. Ihr, deren Namen keine Lippe mehr nennt, aus deren Blut doch Italien sich verjüngt und verherrlicht hat. Und ihr, mein Aghiar, mein Montaldi, Luciano Manara, die der Tod ohne Lebewohl von meiner Seite riß, meine Freunde! Mein Ugo Bassi, Gesegneter, dem heuchlerische Pfaffen das heilige Gewand unter Flüchen vom Leibe zogen, bevor sie ihn dem Tode überlieferten! Unglücklicher Angelo Brunetti, treuer Mann, dessen Herz das Sterben der Söhne erleiden mußte, ehe die Kugeln es zerrissen! Ihr Mütter, die ihr im verödeten Hause alt wurdet, 51 deren Hand, als ihr starbet, der Sohn nicht halten konnte, deren Namen mit euch begraben wurde, ihr Dulderinnen! Nun habt ihr euch weggewendet von der Heimat, um die ihr littet, von Feinden und Brüdern, zürnend und verachtungsvoll, vielleicht ihrer lange vergessen. Schrecklich waren die Qualen, die eure Feinde euch zufügten; aber von ihnen empfinget ihr Haß für Haß und erfuhret nichts Unnatürliches. Bitterer war es, den Hohn und die Kälte und die Treulosigkeit und Ohnmacht derer zu erleben, für die ihr kämpftet und die euch Helfer und Genossen hätten sein sollen. Jetzt ist eure Marter vorüber, ihr großen Herzen, ihr seid in ewiger Glorie, eingegossen in die himmlischen Gesetze, durchstrahlt ihr frei eine reine Natur.‹

Vielleicht, dachte er, suchten die Geister seinen Strand aus, weil Caprera fast niemals von Menschen bewohnt gewesen war. Auf Sardinien und den meisten Inseln des Ionischen Meeres fanden sich uralte Felsengräber, unbehauene Blöcke voll dunkler Zeichen, unter denen kulturlose Völker ihre Toten bestattet haben mochten; nicht so auf Caprera. Auch von späteren Ansiedelungen fanden sich keine Spuren, da die Einöde von Granit den Bebauer abschreckte; nur vorübergehend hatten sich Leute niedergelassen, um das Gras zu gewinnen oder um zu fischen, und noch lebte in einer rohen Hütte der Sohn eines Räubers, der, aus Korsika verbannt, mit den Seinen auf der verlassenen Insel das Leben gefristet hatte. Garibaldi hatte das angezogen. Er liebte die flinken Ziegen, die ihn aus wilden und scheuen Augen ansahen, den grausamen Schrei der Raubvögel, die Erde, die noch keine Frucht getragen hatte, bevor er sie umgrub. Sein Herz wurde hier so still und weit, wie wenn er in Amerika durch die Steppen geritten war, und die Herden wilder Pferde, herrlich wie die 52 Genossen heidnischer Götter, an ihm vorüberbrausten. Zuweilen dachte er, es würde etwas Wundervolles sein, wenn einmal die Brandung so hoch um seine Insel stände, daß kein Schiff in ihre Häfen mehr einlaufen und ihm Nachricht von der Welt und seinem unglücklichen Vaterlande bringen könnte.

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In dieser Zeit erhielt der General einen Brief des Marchese Raimondi, in welchem er eine mündliche Einladung seiner Tochter bestätigte und dringend wiederholte. Gabriele, die Tochter des Marchese, war ein junges Weib von Temperament und Phantasie, die sich gern in abenteuerlichen Vorstellungen erging und es liebte, sich selbst in flackernder Beleuchtung zu sehen. Sie hatte Kühnheit genug, beschwerliche Ritte auszuführen, und war eine gute Jägerin, aber es gelüstete sie nur nach Wagestücken, wenn sie dadurch Bewunderung von Zuschauern erregen konnte. Aus Neugierde, Garibaldi zu sehen, von dessen Taten und Herrlichkeit alle Zungen übergingen, und um zugleich ihm selbst merkwürdig in die Augen zu fallen, benutzte sie während des Krieges den Umstand, daß ihrem Vater gewisse Einzelheiten über die Pläne der Oesterreicher bekannt geworden waren, die für den General wertvoll sein konnten, und überbrachte sie ihm selbst, da es bedenklich gewesen wäre, so bedeutende Tatsachen einem Dritten anzuvertrauen. Garibaldi empfing und behandelte sie mit der herzlichen Verehrung, die von ihm dem weiblichen Geschlechte überhaupt gemeint war, von ihr aber auf sich einzig bezogen wurde. Er war es seit dem rühmlichen Beginn seiner Kiegerlaufbahn gewohnt, daß die Frauen ihn, wo er sich zeigte, begrüßten und ihm huldigten, und es konnte ihm nicht verborgen bleiben, daß ihre Herzen ihm zustrebten; aber er sah darin nicht viel mehr als die weiche, innig fühlende Art der 53 Frauenseele und hielt sie zartester und ritterlichster Behandlung für desto würdiger.

Da er aus der erneuerten Einladung auf eine dauernde Zuneigung für ihn schließen zu sollen glaubte, kamen ihm kleine Züge ihres Benehmens wieder in Erinnerung und gewannen liebliche Bedeutung: zum Beispiel, wie sie ihm anmutig prahlerisch von ihren Abenteuern auf der Jagd und zu Wasser vorgeredet hatte, und wie sie plötzlich, da es ihr einfiel, wie klein und unbedeutend ihm alles das erscheinen müsse, erschrocken innegehalten und ihn in nicht gewohnter Beschämung errötend angesehen hatte; ihre Augen flehten fast um Hilfe, und die Gefallsucht, die trotz allem mit der bewiesenen Torheit nicht unzufrieden war, funkelte verschüchtert aus den Winkeln hervor. Zuerst war sie ihm wie eine vornehme Dame vorgekommen, jetzt wie ein Kind, rührend heilig. Dennoch hätte er vielleicht das lockende und verheißende Bild vergessen, wenn er sie nicht zu Pferde, im schlanken Reitkleid, Federn auf dem Hut, gesehen hätte: das kam ihm nicht so bald aus dem Sinn.

Wie einer, der lange mitten in der Unruhe des Marktes oder im einsamen Zimmer arbeitete und, mit ganzer Seele tätig, nichts außer seiner Arbeit in sich aufnahm, der plötzlich eine fern irrende Hirtenflöte oder den Chorgesang glücklicher Wandernder oder die Mandoline des Verliebten vernimmt, aufhorcht, staunt und sinnt und dann sehnsüchtig die Stirn in die Hände sinken läßt, so lauschte Garibaldi auf den Ton der Liebe. Er hatte nicht mehr gewußt, wie tausendfach süß ihre Weise für den ist, der sie kennt und dessen melodienschwere Seele mittönend erzittert. Wo er war, fühlte er eine gläubige Hand in der seinen, eine weiche Wange an seiner Wange. Er sah eine biegsame Gestalt neben sich auf springendem Pferde, fühlte den Blick liebender Augen auf sich 54 ruhen mitten im Kampfe und erbebte, wenn die Huldigung der siegreichen Truppen sie mit ihm umjubelte, die ihre Gefahren geteilt und mit holdseliger Gegenwart ihre Leiden getröstet hatte. Nachts würde sie in seinen Armen ruhen, wenn er erwachte, würde ihre Brust sich heben und ihr dunkles Auge ihm aufgehen wie eine Sonne in einem Reiche der Liebe.

Indem er auf die Jahre, die hinter ihm lagen, zurückblickte, erschrak er darüber, wie sehr er allein gewesen sei. Er hatte es niemals anders gewußt, als daß seine Gedanken, seine Sehnsucht, sein Leben dem Vaterlande gehörten, ob er für sich selbst glücklich oder elend sei, danach hatte niemand gefragt. Als ihm auf dem Ozean ein Traumgesicht das Sterben seiner geliebten Mutter angezeigt hatte, war er in der Gesellschaft von Seeleuten gewesen, die sein Kindesherz nicht kannten; niemand hatte seinen Schmerz gesehen. Was war er für alle die, in deren Mitte er seine Tage verbrachte, für die Soldaten, die Offiziere, den König? Sie wollten alle seine Kraft, seinen Einfluß und seinen Namen ausnutzen oder, wie Kinder, sich zu großen Abenteuern und großer Beute von ihm führen lassen; sie waren ihm treu, solange sie ihn brauchten, aber sie dachten nicht, daß er um etwas andres traurig oder glücklich sein könne als um Sieg oder Niederlage.

Eine gab es, die nichts wollte als bei ihm sein, die sich selbst ihm geben wollte und nichts von ihm verlangte, als daß seine Augen sie freundlich ansähen und sein Herz ihr gewogen sei. Sie würde neben ihm auf Steinen schlafen, für ihn hungern und dürsten, für ihn die junge Brust dem Eisen preisgeben, alles nicht um des Ruhmes und auch nicht um des Vaterlandes willen, sondern um seinetwillen. Er würde ihr Gefährte, ihr Bruder, ihr Vater, ihr König und alles sein, sie würde nicht an ihm zweifeln 55 und noch wenn er das Schwert auf ihr Herz setzte, um sie zu töten, ihn anlächeln. Er errötete vor Beschämung, indem er daran dachte, daß er sie warten ließe, vielleicht ungewiß und in Bangen; jetzt war er mit sich einig, daß er unverzüglich zu ihr hinreisen und ihr seine Hand und seine Treue anbieten wollte.

Die junge Gräfin, die schon vor einigen Jahren ein Verlöbnis eingegangen war, das die Billigung ihres Vaters nicht hatte und darum von ihr geheimgehalten wurde, erschrak über die Werbung des Generals ebenso wie sie ihrem Stolze schmeichelte. Zwar waren ihr die Aufregungen, die das doppelte Verhältnis und die Nähe des entscheidenden Schicksals mit sich brachten, nicht unerwünscht, doch da sie keineswegs bösartig war, wollte sie weder ihren Verlobten, in den sie verliebt war, verlassen, noch Garibaldi ernstlich kränken. Ihre Absicht war, dem General die Wahrheit zu gestehen und ihn um Verzeihung zu bitten, fand sie sich aber ihm gegenüber, so wagte sie es nicht, weil sie sich sowohl vor seinem Schmerz wie vor seinen Vorwürfen und seiner Verachtung fürchtete. Die Zaghaftigkeit, mit der sie sich gegen ihn betrug, und ihre oft verweinten Augen machten sie reizender und wunderbarer, als sie vorher gewesen war, und ließen sie ihm so erscheinen, wie er sie sich geträumt hatte. Mit jedem Tage, ja mit jeder Stunde, die sie das Geständnis hinausschob, fühlte sie sich durch die ausgeübte Lüge und Verstellung fester gebunden; sie wäre an sich selbst verzweifelt, wenn sie nicht angefangen hätte, sich für ein Opfer ihres Vaters zu halten, der, indem er ihr den Geliebten genommen, sie so weit getrieben habe. Ihren Verlobten, der an ihrer Stelle den General aufklären und seine Verzeihung erbitten wollte, beschwor sie, davon abzustehen, damit sie nicht bloßgestellt werde, und hielt ihn davon durch das feste Versprechen zurück, es zur Hochzeit 56 nicht kommen zu lassen, sollte sie auch vor dem Altare noch das bindende Wort verweigern. Auch glaubte sie wirklich, daß eine gelegene Minute kommen würde, die ihr den Mut stärkte und das Wort erleichterte, bis es über dem Zögern schließlich zum gültigen Abschluß der Ehe kam. Garibaldi, dem der Müßiggang des geselligen Lebens während seines Besuches bald unerträglich wurde, drängte, die Hochzeit zu beschleunigen, womit der Marchese, der keinen Grund zum Aufschub sah, einverstanden war; das Mädchen erhoffte von der entscheidenden Handlung die Lösung, die herbeizuführen ihr dann doch der Mut fehlte.

Außer sich vor Schmerz und Eifersucht setzte der junge Mann, den Gabriele liebte, den General sogleich nach der Hochzeit von seiner geheimen Beziehung zu ihr in Kenntnis, der, da er sich von der Wahrheit der Angabe überzeugt halten mußte, nach kürzester Ueberlegung die Villa des Marchese und seine junge Frau im Brautkleide, ohne sie nach der Eröffnung noch einmal gesehen zu haben, verließ.

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