Ricarda Huch
Der Kampf um Rom
Ricarda Huch

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Um die Mitte des Dezember kehrte Francesco Crispi aus Sizilien zurück und landete nach einem kurzen Aufenthalt auf Malta, wo er sich mit Nicola Fabrizi besprach, in Genua. Im Hause des Bertani traf er Medici und Bixio, die mit Unruhe auf eine Lösung der Dinge harrten, ohne Rat zu wissen, was zu machen sei. Crispi, der die einzige Rettung Italiens in einer schnellen Befreiung Siziliens sah, fragte sogleich nach Garibaldi; er sei mit der Absicht gekommen, sagte er, ihn in Caprera aufzusuchen. Dort sei er nicht mehr, sagte Medici mürrisch, und wo er sei, wisse man nicht, er gehe auf Freiersfüßen. »Amor für Roma,« fügte Bertani hinzu, »das Flüchtige für das Ewige.« Crispi meinte, das sei so schlimm nicht, er würde sich nicht wie Herkules von 57 irgendeiner Omphale in Weiberkleidung stecken und den Nerv zu Taten lähmen lassen. Ohnehin, sagte Bertani, sei Garibaldi zu den Vorbereitungen eines Unternehmens nicht notwendig; wenn einmal alles vereinbart sei und es sich nur noch um die Entscheidung handle, könne man ihn rufen, dann werde er auch vom Hochzeitsbette weg in die Schlacht stürzen, das sei gewiß. Medici schüttelte verdrossen den Kopf; es gäbe keine Gewißheit um Garibaldi, er sei wie ein Tier, das plötzlich irgendeine Fährte rieche und vom Weg ab dieser nach müsse, da möge man stehen und rufen und die Hände ringen, es nutze nichts. Er für sein Teil sei jetzt des Wartens und Zögerns und Plänemachens müde, am liebsten würde er Italien einstweilen den Rücken kehren. Bixio fragte neckend, ob er einen Kohlenhandel anfangen oder eine Frau nehmen wolle? Seiner Ansicht nach wäre die Lage nicht so verzweifelt. Er bürge dafür, daß Garibaldi sie nach Sizilien führen würde, wenn es möglich und an der Zeit sei, und erinnerte daran, daß der General erst kürzlich den Aufruf zum Erwerb einer Million Gewehre erlassen habe, welche dienen sollten, die erste italienische Landschaft zu befreien, die sich selbst erheben würde. Man wußte, daß Garibaldi selbst als erster sechstausend Franken gezeichnet hatte; auf derselben Liste standen neben seinem Namen die Namen Viktor Emanuels und Mazzinis mit ihren Beiträgen.

Um zu beweisen, daß eine Expedition nach Sizilien jetzt möglich und an der Zeit sei, erzählte Crispi von den Erfahrungen, die er auf seiner letzten Reise durch die Insel gemacht hatte. In Palermo, Messina, Catania und allen größeren Städten seien viele aus der Aristokratie und dem Volke einig, das Joch je eher desto lieber abzuschütteln; die größte Gefahr sei, daß einzelne kleine Revolten vorzeitig zum Ausbruch kämen und eine Verstärkung des Druckes durch die 58 Regierung hervorriefen; doch sei der Zusammenhang und die Ordnung der Verschworenen in allen Städten so sicher, daß dergleichen kaum zu fürchten sei, und schließlich würde auch das die Kraft der Revolution nicht brechen. Die Hoffnung auf Garibaldis Hilfe erhöhe den Mut; noch nie sei so viel Aussicht auf Erfolg gewesen. Durch den Aufruf Garibaldis sei nun schon für Waffen gesorgt, freilich brauche man noch Geld, was aus Privatmitteln allein nicht verschafft werden könne. Er wolle beim Minister anklopfen und erkunden, was für Förderung oder Widerstand von der Regierung zu erwarten sei.

Man dachte an das bedeutende Vermögen der Nationalgesellschaft, das La Farina verwaltete, und das möglicherweise für Sizilien erhältlich sei; allein Garibaldi war seit den Ereignissen in Bologna, Crispi schon seit dem Jahre 1849 mit diesem verfeindet. Er werde ihm nie verzeihen, sagte Crispi, aber wenn es sein müßte, würde er sich seiner für Sizilien bedienen. Viel wäre seines Dafürhaltens von den sizilischen Emigranten, deren eine große Anzahl in Turin und Genua lebten, überhaupt nicht zu erwarten, sie wären verbittert, engherzig, stolz und streitsüchtig. Einmütiges Handeln würde nicht von ihnen zu erreichen sein.

Urbano Rattazzi, den Crispi in Turin aufsuchte, zeigte sich über Erwarten entgegenkommend und war der Ansicht, daß bald etwas geschehen müsse, solange der patriotische Aufschwung noch hoch gehe, das ganze Volk zu Opfern bereit sei und das Ausland, durch dies Schauspiel ergriffen, die Erhebung der Nation beifällig begrüße. Er werde einer Expedition zugunsten Siziliens nichts in den Weg legen, sie womöglich unterstützen; doch empfahl er zunächst dringend Vorsicht und Geheimhaltung.

Da hierdurch nichts Tatsächliches gewonnen war, 59 setzte sich Crispi mit La Farina ins Vernehmen. Er müsse, ließ er ihm sagen, in Angelegenheiten des gemeinsamen Vaterlandes mit ihm reden; er, Crispi, werde des Vergangenen nicht erwähnen und mit ihm, als wäre er ein Fremder, verkehren, ob La Farina bereit sei, auf dieser Grundlage mit ihm zu verkehren. – Es seien bittere, unverzeihliche Worte zwischen ihnen gefallen, antwortete La Farina, doch da Crispi das gemeinsame Vaterland anrufe, wolle er sich um dessentwillen darüber hinwegsetzen.

Bei der Begegnung, die stattfand, war Crispi ruhig und sicher, La Farina dagegen konnte seine wechselnden Erregungen nicht bemeistern. In der Nähe des alten Gegners rührte sich in ihm die Vergangenheit, die Erinnerung der großen Revolution, in der er ein Anführer, ein hoffnungsvoller und vorübergehend auch ein Siegreicher gewesen war; aber zugleich blieb ihm bewußt, was inzwischen sein Streben geworden war. Er wußte wohl, daß Cavour wünschte, die Lage der beiden Sizilien zunächst, von einigen Reformen abgesehen, im Bestehenden zu erhalten, bis einmal der Süden durch Verträge und allmählichen Ausgleich sich dem Norden genähert hätte und dann vielleicht eine Gelegenheit zu engerer Verbindung sich darböte. Die Anwesenheit Crispis in Genua und Turin und sein hartnäckiges Betreiben der sizilianischen Expedition würde ihm zweifelsohne höchst unerwünscht sein. Da nun La Farina sich verpflichtet fühlte und auch die Neigung hatte, Cavour in allen Dingen zu vertreten, begann er damit, die Vorschläge Crispis abzulehnen. Er kenne Sizilien so gut wie jener, sagte er, und seine Erfahrungen hätten ihn vorsichtig gemacht. Sie wollten nichts als Unabhängigkeit, am liebsten möchte jede kleine Gemeinde einen Erdteil für sich bilden, italienisch empfänden sie nun und nimmermehr. Warum habe Ruggero Settimo, den alle 60 Patrioten wie einen Vater verehrten, es nicht gemacht wie die Herzogtümer und Florenz und seinen Namen für den Anschluß an Piemont in die Wagschale gelegt? Selbst ein so erleuchteter Mann, früher Haupt der Revolution, ziehe die verruchte Dynastie der Bourbonen und das Leben in der Verbannung dem einen Italien unter Viktor Emanuel vor.

Wer lahm gehe, glaube nicht, daß andre laufen könnten, sagte Crispi, und wer gern im Winkel sitze, predige Ruhe. Auch pflege jeder, der lange von der Heimat fort sei, zu glauben, seit dem Tage seines Abschieds sei die Uhr dort stehen geblieben. Die Stimmung sei anders in Sizilien als vor zehn Jahren. Ob La Farina je wieder dort gewesen sei? La Farina verneinte es. Crispi sagte: »Ich war fast jedes Jahr dort unter einem falschen Namen; viele erkannten mich, aber niemand hat mich verraten. Nur vor vier Wochen sei er in Messina gewesen, aus dessen verborgenem Feuer unter den wachsamen und bösartigen Blicken der bourbonischen Besatzung fortwährend Funken in die Luft stiegen. La Farina, der aus Messina war, schwieg und wartete, ob Crispi mehr erzählen würde.

Er habe dort, fuhr Crispi fort, den Bruder Clemente, einen Barnabiten, der die Revolution predige und sich allen Nachstellungen der Regierung habe entziehen können, in einer Kirche reden hören. Er habe von David gesprochen, der, ein schlanker Knabe, mit einer Schleuder den Riesen erlegt und Saul, als er ein Tyrann geworden sei, gestürzt habe; dann von dem herrlichsten Sproß aus Davids Stamme, Christus, der, das Schwert im Auge, das Lächeln auf den Lippen, den Cäsar von Rom, den Herrn des Weltkreises, vernichtet habe; der gekreuzigt, doch nicht gestorben sei, sondern wiederkommen werde, um den Despoten in den Staub zu treten; denn er wolle die 61 Menschen edel und frei. In welcher Gestalt er erscheine, ob er von Norden oder Süden komme, das Volk solle ihn nicht verleugnen. Die Schergen seien schon unterwegs gewesen, um den Mönch, wenn er die Kirche verlasse, zu fangen und in den Kerker zu werfen, doch sei er zeitig gewarnt und im Wagen einer Gräfin Ottaviano gerettet worden, die ihn bei sich verborgen halte. In dem letzten Aufstand, der in Messina noch angedauert habe, nachdem er in Palermo schon niedergeschlagen gewesen sei, sei dieser Gräfin Sohn, der junge Graf Ottaviano, auf der Flucht im Gebirge durch einen unglücklichen Sturz umgekommen. Die Verfolger hätten den Leichnam schändlich zerstückelt; aber eine seiner Hände habe ein junger Hirt, der erfahren habe, wessen die Reste seien, der Mutter gebracht. Die Gräfin habe die Hand geküßt und geschworen, die Trauer nicht abzulegen, bis die Bourbonen aus Sizilien vertrieben seien; sie wolle es sich ihr Schloß, ihren Park, ihre ganze Habe bis auf die Kleider, die sie am Leibe trage, kosten lassen, Sizilien zu befreien, wenn ihr nur ein Stück Erde bleibe, in der die Hand ihres Kindes ruhen könne. Sie habe die Hand in ihrem Park begraben und verrichte dort täglich ihr Gebet und erneuere ihr Gelübde. Sie habe bereits große Summen ausgegeben, um die Menge der eignen Leute zu bewaffnen. Auch mit andern reichen und vornehmen Messineser Familien stehe er wegen der Revolution in Verbindung; sie würden sich alle mit einer piemontesischen Regierung befreunden, wenn sie sich nur selbst verwalten könnten. Würde wirksame Hilfe aus dem freien Italien zugesichert, könne die Insel mit einem Schlage in Flammen stehen. Wer jetzt an jener Küste lande, werde nicht wie Pisacane von tollen Bauern als ein gottloser Räuber erschlagen, sondern als ein Erlöser auf den Knien begrüßt werden. 62

Crispi sprach sachlich und kaltblütig; aber sein leidenschaftliches Auge, das er nicht von La Farina wegwendete, schien in sein innerstes Herz eindringen und es entzünden zu können. La Farina fragte, in welcher Kirche Bruder Clemente gepredigt habe. »In der Kirche Santa Maddalena,« antwortete Crispi, »vor der im Jahre 1848 die Unsrigen mit den bourbonischen Söldnern kämpften. Die Frauen bekränzen noch jetzt die Stelle in einer Seitenkapelle, wo ein alter Mann, dessen Söhne schon gefallen waren, schwer verwundet unter den Bajonetten der Schweizer verblutete.« – »Dorthin,« sagte La Farina, »führten mich, als ich ein Knabe war, meine frommen Tanten, um ein altes schwarzes Marienbild anzubeten, das vor Jahrhunderten von Engeln dorthin getragen sein sollte, und ich erinnere mich, daß ich betete, um sie nicht zu kränken, daß ich aber an das Märchen nicht glaubte und daß mein Gemüt sich sträubte, der häßlichen Tafel Verehrung zu bezeugen.« – »Das Bild,« sagte Crispi, »hängt noch in der Kirche, durch einen kleinen Mantel aus rotem Damast mit goldenen Quasten verdeckt, den die Kirchendiener, wenn es verlangt wird, zurückziehen, um es zu zeigen.«

Nach einer Pause sagte La Farina: »Einmal muß Sizilien eine Provinz des neuen Königreichs Italien werden, das leidet mir keinen Zweifel. Und daß der Zeitpunkt, jetzt etwas zu versuchen, günstig sei, habe ich schon gedacht und im vertrauten Kreise geäußert. Aber bedenke man auch die übermenschlichen Schwierigkeiten, die sich in den Weg stellen, und was auf dem Spiele steht! Die Regierung kann sich mit einem so heikeln Unternehmen nicht befassen, und ohne die Regierung fehlt uns die Macht, deren wir bedürfen. Ich bin ein Freund des Volkes, das werdet Ihr nicht bezweifeln; aber werden wir nicht durch eine gewaltsame Befreiung das namenlose und staatsfeindliche 63 Gesindel an die Oberfläche ziehen und mit Ansprüchen und Kräften ausrüsten, die schließlich verderblicher werden als die Bourbonen selbst?«

»Wer etwas Großes will,« sagte Crispi, »muß vorbedacht, doch nicht allzu weise sein. Dies muß und wird gemacht werden. Habe ich Garibaldis Wort, daß er uns anführt, so fürchte ich nichts mehr; aber die Mittel müssen beraten werden, ehe wir ihn rufen.«

La Farina blieb in peinvoller Erregung zurück; er zweifelte, ob er Cavour etwas von dieser Sache mitteilen oder sie verschweigen sollte, damit er nicht durch eine ablehnende Willensäußerung des Grafen gezwungen werden könnte, ganz davon zu lassen oder gar das Unternehmen zu vereiteln. Er konnte sich nicht verhehlen, wie sehr es ihn lockte, auch deshalb, weil das Schiff, das die Eroberer trug, ihm den Weg in die Heimat bahnen würde. Ganz unleidlich war ihm der Gedanke, daß, wenn etwas zur Befreiung Siziliens geschähe, er nicht dabei gewesen sein, nicht als der namhafteste Beförderer der Tat genannt werden sollte. In seiner Ratlosigkeit kam ihm der Einfall, die angesehensten Sizilianer, die, aus der Heimat flüchtig, in Turin sich aufhielten, zu versammeln und ihre Ansichten in bezug auf das Vaterland zu erforschen.

Carlo Poerio, ein strenger und stolzer alter Mann, den endloses, ohne Klage ertragenes Unglück, Verlust eines geliebten Sohnes, lange Gefangenschaft und Verbannung hart gemacht hatten, und Silvio Spaventa, aus den Abruzzen stammend, ein Mann von unbeugsamen Grundsätzen, Unerschrockenheit und verblendender Leidenschaft, der gleichfalls jahrelang im Kerker gelegen hatte, waren schon wegen der um ihrer Ueberzeugungen willen ausgestandenen Leiden die bekanntesten unter ihnen; sie galten viel bei Cavour, der sie bei allen den Süden betreffenden Angelegenheiten 64 um ihre Meinung befragte. Sie verachteten die Unitarier, wie man die Vorkämpfer der Einheit Italiens nannte, als Schwärmer und wollten nichts andres als eine Verfassung, die dem Lande eine anständige, nach ihrer Ansicht zeitgemäße Freiheit gewährleistete. Nach dem Tode des alten Königs, der in nicht zu ferner Zeit eintreten mußte, schien es ihnen wohl möglich, mit dem jungen, noch unbefleckten, sich irgendwie zu vertragen. Wie sie dachten Pisanelli, Raffaele Conforti, Antonia Secaloja und Filippo Cordova.

Einige andre wünschten die bourbonische Dynastie, der sie nun einmal mißtrauten und deren Namen niemals in Neapel und Sizilien heimisch werden könnte, ganz zu entfernen und durch einen König aus dem Geschlechte des Joachim Murat auf dem Thron zu ersetzen; denn dieser schöne, mutige und phantasievolle Mann hatte ein legendenhaft umkränztes Andenken hinterlassen, das ihn fast wie einen Märtyrer Italiens erscheinen ließ und das für seine Nachkommen empfänglich machte. Poerio sagte, es sei lächerlich, eine fremde Dynastie durch eine ebenfalls fremde ersetzen zu wollen und davon etwas zu erhoffen. Zwischen den Murat und den Bourbonen seien die letzteren vorzuziehen, weil sie einmal da seien. Eine Revolution zu machen, um einen Joachim statt eines Franz oder Ferdinand zu bekommen, sei ebenso gewissenlos wie albern. Auf die Gesetze komme es an.

Wenige schlugen vor, Sizilien nach der Losreißung von Neapel unter die Regierung eines Verwandten des Königs Viktor Emanuel zu bringen. La Farina gab Poerio recht; immerhin, meinte er, sei zu bezweifeln, ob die Verfassung und die Konföderation mit den übrigen italienischen Staaten und namentlich mit Sardinien, die doch ein jeder wünsche, unter den Bourbonen möglich sei. Das müsse man abwarten, sagte Poerio. Alle wußten, daß La Farina für die 65 nähere oder fernere Zukunft die vollständige Vereinigung Siziliens mit Oberitaliens anstrebte, stellten sich aber, als sei es ihnen unbekannt.

Das einzige Ergebnis der Zusammenkunft war, daß eine Erklärung verfaßt wurde, nach der die Wiederaufrichtung der Dynastie Murat auf Sizilien zu bekämpfen sei, die von den meisten unterschrieben wurde. Eine Expedition zum Sturze der Bourbonen, wovon La Farina ein Wort fallen ließ, bezeichneten alle als ein rebellisches und rasendes Wagnis, abenteuernder Piraten würdig, ohne Aussicht und ohne Recht auf Erfolg.

*

Der letzte Dezembersonntag des Jahres 1859 in Palermo war hell und schwül; ein warmer Wind blies zuweilen in kurzen Stößen, wie Trompeten eine große Zukunft verkündigen. Die Berge, die die Stadt im Halbkreis umringen, standen schimmernd wie Gerüstete gegen den Himmel. Die engen Straßen waren voll süßlich-fauliger Gerüche, auch auf dem Domplatze war die Luft an diesem Tage nicht frisch. Vor der steinernen Balustrade, die die Zugänge zum Dom abschloß, saßen alte Frauen, die Orangen, Mandelgebäck und andre volkstümliche Süßigkeiten verkauften, daneben Rosenkränze, Kerzen und allerlei Gegenstände aus Wachs, wie die Kirchgänger sie gebrauchen. Schon in der Frühe waren die Stände von Kindern und Erwachsenen umdrängt, die ein wenig kauften und schwatzten. Um die Zeit, als das Hochamt gefeiert werden sollte, füllte sich der Platz: es kamen Damen mit ihren Dienerinnen, und viele Karossen fuhren vor, aus denen vornehme Herrschaften stiegen.

Auf den Stufen am Eingange des Doms hockten einige Bettler, die dort seit Jahren ihren Sitz hatten und jedermann kannten, der ein und aus ging. Einer unter ihnen war ein starker, knochiger Mann mit 66 einem Stelzfuß, der es trotz dieses Gebrechens mit jedem aufnehmen konnte und sein durch lange Ausübung erhärtetes Herrenrecht auf den besten Platz tyrannisch behauptete. Er war königstreu und duldete keine andre Gesinnung unter den andern. Vor einigen Wochen hatte er einem ganz alten Manne einen Platz eingeräumt, obwohl er ihm von Anfang an mißtraute, weil er ihm einen guten Wochenpreis zu zahlen versprochen hatte und auch zahlte. Der Platz war freilich an einer Ecke, wo die Kirchenbesucher nicht vorbeikamen, so daß sie eigens zu ihm hingehen mußten, um ihm ein Almosen zu reichen; aber das geschah häufig, da er durch sein hohes Alter, das seine Gestalt zusammengebeugt und klein wie die eines Kindes gemacht hatte, durch sein schimmerndes Haar, seine funkelnden Augen und die Lebhaftigkeit seines Mienenspiels auffiel und Teilnahme erregte. Er konnte nicht lange bleiben, ohne zu sprechen, und hatte immer Zuhörer, da er viel gesehen und erlebt hatte, sogar in Rom und mit dem General Pepe in Venedig gewesen war und anschaulich erzählte. Hätte er sparen und regelmäßig leben können, so hätte er nicht zu betteln brauchen; aber er war ein unruhiges Blut gewesen, hatte es nie lange an einem Fleck und bei der gleichen Beschäftigung ausgehalten, auch fühlte er sich jetzt am wohlsten, wenn er an einem warmen Plätzchen sitzen und abwechselnd plaudern und schlafen konnte. Er war in einem Gebirgsdorf Siziliens geboren und hielt seine Insel für das schönste Land der Welt, das auch das glücklichste sein würde, wenn es unabhängig wäre und eine gute Regierung hätte; Neapel und die Bourbonen haßte er und verriet seine Gesinnung oft durch mutwillige Reden. Die Verkäuferinnen vor der Balustrade hielten es mit ihm, weil er ihnen freigebig Waren abkaufte, kurzweilig die Zeit vertrieb und weil er klein und hilflos war; sie nannten ihn das 67 Häslein. Auch waren diese Frauen meistens von patriotischer Gesinnung und liebten es, dem Stelzfuß zu zeigen, daß er ihnen nichts zu sagen habe und daß sie ihn nicht fürchteten. Sogar unter den Bettlern waren einige, die dem Kleinen wohlwollten und stolz genug waren, ihn dem Stelzfuß gegenüber zu verteidigen.

Als die Kirchgänger kamen, fingen die Bettler an, ihre Gebete zu murmeln und ihre Mienen der Klage und der frommen Ergebung anzunehmen; der Kleine jedoch machte über alle Bemerkungen, die, von seinem Mienenspiel begleitet, so komisch waren, daß diejenigen, die sie verstanden, das Lachen nicht unterdrücken konnten. Der Stelzfuß verwies es ihm; er selbst sprach nur, um Eintretenden leise eine Verwünschung nachzudrohen oder um etwas Schmähliches von ihnen zu sagen, wenn er sie aus irgendeinem Grunde nicht leiden konnte.

Aus der Kirche tönte schon der Chorgesang der schneidend klaren Knabenstimmen, als der Polizeiminister Maniscalco durch die Balustrade trat, seine Frau am Arme führend, der eine halb erwachsene Tochter sich anschloß. Die vielen Menschen, die sich eilig zur Kirche drängten, machten dem verhaßtesten Vertreter des dummen und rohen bourbonischen Despotismus Platz, so daß die Gruppe fast allein über die Treppe ging. Maniscalco war groß und elegant gewachsen, sein Gesicht zeigte Verstand und war nicht unschön; er trug den Kopf hoch und lächelte, während er von Zeit zu Zeit hastig beobachtende Blicke um sich warf. Als er vorbeigegangen war, sagte eine alte, halbblinde Bettlerin zu dem Kleinen, der sei freigebig, es gebe keiner so viel wie er, er habe einen eignen Sack im Gewande voll Münzen, in den er nur hineingreife, um auszuteilen. »Das glaube ich,« sagte der Kleine, »er wird sogar zwei haben, und in 68 dem einen werden die guten, in dem andern die falschen sein, und uns wird er nicht gerade mit den guten bedienen.« Damit redete er ihr zu, sie solle ihm zeigen, was sie empfangen habe, damit er prüfe, ob es eine gültige Münze sei, wozu sie sich nicht entschließen mochte, unsicher, ob er ihr das Geldstück zurückgeben würde. Andre mischten sich ein, und der Stelzfuß fing an zu schimpfen, da ein solches Lärmen vor der Kirchentüre, wenn der Gesang schon begonnen habe, unanständig sei.

Inzwischen war Maniscalco mit seiner Familie durch das Portal getreten; im selben Augenblick aber, als er die Finger in das Weihwasser tauchen wollte, traf ihn ein Dolchstoß von der Hand eines Verborgenen, der ihn, hinter der Türe stehend, erwartet haben mochte. Der Verwundete verspürte einen feinen Schmerz und fuhr mit der Hand an die Stelle, mit der andern wehrte er die Frau und die Tochter ab, die, aufschreiend, sich an ihn zu klammern suchten. Es entstand ein Gewühl um ihn herum; einige eilten aus der Kirche, um dem Täter nachzulaufen, andre, die eben mit beschleunigtem Schritt hatten eintreten wollen, zögerten, als sie den Auflauf bemerkten. Maniscalco befahl mit scharfer Stimme Ruhe; er sei nur leicht verletzt, der Verbrecher habe seinen Zweck nicht erreicht und werde seiner Strafe nicht entgehen, niemand solle die Kirche verlassen. Plötzlich raffte eine Frau einen Dolch und einen kleinen Umhang vom Boden auf; es war ein mit einer Kapuze versehener Kragen, wie solche in der Mode waren, den der Täter wahrscheinlich, sowie er gestochen hatte, von sich geworfen hatte, um nicht mehr kenntlich zu sein. Jetzt gaben mehrere an, einen Mann mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze gesehen zu haben, dessen Gesicht und Gestalt sie aber eben aus diesem Grunde nicht wiedererkennen würden. Maniscalco wütete 69 halblaut über das Volk, das mit dem Mörder zusammenstecke; er sah fahl im Gesicht aus, vielleicht ebensosehr vor Wut wie infolge des Blutverlustes, allein trotz der inständigen Bitten seiner Frau blieb er dabei, daß er sich wohl fühle und dem Gottesdienst bis zum Ende beiwohnen wolle. Er sah mit bösen Blicken auf die, welche vor den verschiedenen Altären auf den Knien lagen und beteten; denn er argwöhnte, daß sie nicht für seine Errettung, sondern für die des Attentäters dankten, worin er sich nicht ganz täuschte; die meisten waren froh, daß es dem Kühnen gelungen war, unentdeckt zu bleiben. Viele glaubten, daß er sich noch in der Kirche aufhalte und schauten neugierig und erregt umher, ob sie das geheimnisvolle Antlitz errieten; aber niemand wagte es, seine Gedanken merken zu lassen. Es hatte sich vor einiger Zeit ereignet, daß Maniscalco mit der Peitsche in der Hand in ein Café getreten war, in dem sich die Patrioten zu treffen pflegten, um es, wie er sich ausgedrückt hatte, zu säubern, und man erzählte sich, daß ein junger Mann, den ein Peitschenhieb getroffen hatte, den Schwur getan habe, sein Gesicht mit einer Maske zu verhüllen, bis er sich gerächt habe; die davon wußten, glaubten fest, daß dieser die Tat getan habe und billigten sie.

Draußen waren die Bettler in Aufregung geraten und äußerten Vermutungen über das Attentat. Der Stelzfuß hielt es für ausgemacht, daß ein gewisser Herzog Marrana der Schuldige sei, der lange Zeit wegen politischer Umtriebe in Haft gewesen und kürzlich freigelassen war, sei es infolge der Bemühungen einflußreicher Verwandter oder Mangels an Beweisen. Diesen verfluchte er in den lasterhaftesten Ausdrücken; das sei der Dank dafür, sagte er, daß Maniscalco ihn nicht aufgehängt habe, wie es recht gewesen sei; man sehe nun, wie unangebracht Milde gegen die 70 Verräter und Ketzer sei. Der Kleine entgegnete spottend, der Stelzfuß möge sich um eine Stelle als Henker bewerben, die Beine brauche er ja nicht dazu; er werde in dem Berufe mehr Arbeit als jetzt, dafür aber auch mehr Einnahmen haben; Henker zu sein sei übrigens in Sizilien das beste Mittel, um nicht selbst aufgeknüpft zu werden. Rot vor Wut stand der Stelzfuß schwerfällig auf, indem er sagte, er habe Lust, dem Kleinen zu zeigen, wieviel seine Arme noch vermöchten. Das Häslein duckte sich erschrocken und sagte, aus den funkelnden Aeuglein zu dem drohenden Krüppel hinüberblinzelnd, er glaube es ohne weiteres, außerdem stehe hinter ihm schon der beste Scharfrichter auf Erden mit erhobener Sense, er brauche sich seinetwegen keine Mühe zu geben, ihm seien alle Händel der Welt gleichgültig, da er es mit dem Himmel zu tun habe, möge auf Erden Papst, Kaiser oder König herrschen. Diese Begütigungen vermochten nichts mehr über den Stelzfuß, dessen Rauflust einmal gereizt war; er hatte sich mit ein paar Schritten genähert und hielt dem Kleinen die schwere Faust unter die Nase. Dieser fuhr mit zitternden Händen in die Tasche, um den Tyrannen durch Geld zu beschwichtigen, bereits aber sauste die Faust auf seinen Rücken und seine Schultern herunter, so daß die alte Frau, neben der er saß, in Angstgeschrei ausbrach. Dem Kleinen belebte die Entrüstung den Mut und die Widerstandskraft; er sprang auf, fast ohne Schmerzen zu empfinden, und setzte sich mit blitzenden Augen zur Wehr. »Die Katze krümmt den Buckel und faucht,« höhnte der Stelzfuß, »ich will ihr die Zähne zusammenschlagen, daß sie mich nicht beißen kann.« Dabei holte er zu einem neuen Schlage aus, empfing aber gleichzeitig von der halbblinden Nachbarin des Kleinen eine Ohrfeige, was ihn veranlaßte, sich, vor Wut brüllend, gegen diese zu wenden. Die 71 Schlacht wurde nun allgemein, und die Parteien waren fast gleich; auch die Obstverkäuferinnen näherten sich mit augenscheinlicher Lust einzugreifen und ermutigten einstweilen das Häslein, sich tapfer zu verteidigen. Der Kleine kämpfte wirklich, so gut es mit seinen schwachen Armen gehen wollte, zwischendurch, wenn er Atem genug hatte, seinen Gegner mit übermütigen Witzen neckend, plötzlich aber erhielt er einen Faustschlag in die Schläfe, der ihn zu Boden streckte.

Die Polizeisoldaten, die sogleich nach dem Attentat den Platz vor dem Dome besetzt und dem Krawall der Bettler lachend zugesehen hatten, hielten es jetzt für an der Zeit, einzuschreiten, da offenbar ein Totschlag vorgekommen war. Sie machten drohende Gesichter und traten mit groben Worten unter die Kämpfenden, die erschrocken auseinander fuhren. Ein paar Weiber tasteten und horchten an dem alten Männlein und fingen heulend zu beten an, als sie sahen, daß er sterbend war. Inzwischen machte sich der Stelzfuß an den Höchsten unter den Polizeisoldaten und sagte, er sei ein ehrlicher Mann, beileibe kein Mörder, jener sei ein Liberaler, ein Carbonaro gewesen und habe den König gelästert, daß er eine Bestie und kein Christ sei, dafür habe er ihn bestrafen wollen, er sei bereit, vor Gott zu beschwören, daß es sich so zugetragen habe. Er schob, während er das sagte, dem Manne vorsichtig mehrere Geldstücke in die Tasche, der sich anstellte, als ob er es nicht bemerke. Mit noch immer strenger Miene wendete er sich mit Fragen zu den andern Bettlern, von denen einige furchtsam schwiegen, andre bestätigten, was der Stelzfuß gesagt hatte. Da man gerade aus dem Innern des Domes die singende Stimme des Geistlichen hörte, der für den König und seine Familie betete, die Feier also bald beendet sein mußte, befahl der oberste Polizeibeamte den andern, den Leichnam schnell beiseite zu 72 schaffen, damit er den Herrschaften, die vom Gottesdienste kämen, kein Aergernis gäbe, den Bettlern, an ihre Plätze zu gehen und sich ruhig zu verhalten. Einige Minuten später trat Maniscalco aus der Tür, winkte seinem Wagen und verteilte, indem er die Stufen hinunterschritt, Almosen unter die Bettler, die mit lautem Geschrei seine Errettung aus Lebensgefahr feierten und die Rache Gottes auf das Haupt des Mörders riefen.

*

Der Marchese Giorgio Pallavicino, den man den Märtyrer vom Spielberg nannte, weil er jahrelang in diesem berüchtigten Festungskerker gefangen gesessen hatte, besuchte am letzten Dezembertage den Grafen Cavour in Turin. »Ich hatte die Absicht,« sagte er, »Euch in Leri aufzusuchen, um über eine gewisse Art der Bewirtschaftung, die ich auf meinen Gütern einführen möchte, mit Euch zu sprechen; da hörte ich, daß Ihr hier seid.« Er habe sich, antwortete Cavour, in der letzten Zeit nicht wohl gefühlt, und der Arzt habe ihm eine Luftveränderung verordnet. »Vielleicht,« meinte Pallavicino schmunzelnd, »leidet Ihr an dem Fieber, das die Sterne vor ihrem Aufgehen zu befallen pflegt; in diesem Falle würde ich mich Eurer Krankheit freuen.« Cavour lachte herzhaft und sagte: »Ich glaube, mein Aufgehen macht andern Leuten mehr Fieber als mir. Einstweilen lasse ich noch die andern regieren und steure mein Scherflein wie irgendein frommer Unitarier.« Er wies dabei auf die Listen der von Garibaldi eingeleiteten Sammlung zum Ankauf einer Million Gewehre, die auf seinem Schreibtische lagen. Pallavicino blätterte in den Bogen und sagte: »Die Namen unsers Königs, Garibaldis und Mazzinis verbunden zum Werke der Einigung Italiens! Hätten wir das geahnt, als wir in Ketten gegen die schwarzen Wände unsers Kerkers 73 seufzten! Dies Dokument wird unsern Enkeln wie kein andres weisen, in was für einer Zeit wir lebten.«

»Ich hoffe, Ihr seid mit mir zufrieden,« sagte der Graf, »wenn ich den Ertrag der Sammlung Eurer Lombardei zuwende. Dort mögen die gefährlichen Waffen einstweilen unter guter Bewachung feiern.« Pallavicino sah den Grafen mit großen Augen an. »Das ist Garibaldis Meinung nicht gewesen!« rief er aus. »Es ist meine Auslegung,« sagte Cavour, »auf die ich stolz bin und die mich nicht wenig Mühe gekostet hat. Ihr kennt, mein verehrter Freund, die Fabel vom Hunde, der sich an seinem Knochen nicht genügen lassen wollte und nach dem Spiegelbilde schnappte, worüber ihm der wirkliche ins Wasser fiel. Wir haben jetzt die Lombardei, die Herzogtümer und Florenz, das ist ein schöner Grundstock für ein künftiges Italien. Vor einem Jahre hätte kein Vernünftiger zu hoffen gewagt, daß sich so viel verwirklichen ließe; jetzt scheint es wenig. Ich will nichts von Rom und Sizilien hören. Ich will unsern Knochen in Sicherheit bringen, damit wir am Ende nicht Hungers sterben.« Er hatte sich im Sprechen erregt und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen, von Zeit zu Zeit mit einer nervösen Bewegung an seiner Brille rückend.

»Herr Graf,« sagte Pallavicino, »Ihr seid ein großer Staatsmann und ich nur ein Patriot; aber glaubt Ihr, daß diejenigen, die mit Begeisterung der Fahne des Königs folgten, es taten, um in ihrem Schutze auszuruhen?«

»Ich glaube,« sagte Cavour, »daß viele dachten, wenn Garibaldi die Hand ausstreckte, würde sie sich von selbst füllen. Ich halte es für meine Pflicht, Gewaltsamkeiten zu verhindern, die uns dem Auslande verdächtig machen und im Innern uns der Revolution ausliefern.« 74

Der alte Marchese sagte: »Ich war auch Revolutionär und schäme mich dessen nicht.«

»Wie solltet Ihr Euch Eurer Lorbeeren schämen!« erwiderte Cavour schnell. Es gäbe Zeiten, fuhr er fort, wo Widersetzlichkeit am Platze sei. Auf die Umstände komme alles an. Damals als der Marchese jung gewesen sei, habe es keinen gesetzlichen Widerstand gegen die österreichische Herrschaft gegeben, die Mutigsten und Edelsten hätten das Mittel heimlicher Verschwörung ergriffen, um der fremden Gewalt nicht dienen zu müssen. Jetzt sei eine Macht da, die den offenen Kampf um Italien eröffnet habe, ihr müsse man sich vertrauend anschließen. Wenn der König selbst Revolution mache, solle das Volk sich still verhalten.

Der Alte wiegte nachdenklich den Kopf. So gewiß man dem Könige und seiner Politik vertrauen müsse, meinte er, müsse man auch Garibaldi und seinen Eingebungen vertrauen. Was er unternähme, könne nie gegen den König gerichtet sein; er baue fest auf ihn, nur Garibaldi selbst könne ihn an ihm irre machen.

Cavour regte sich mehr und mehr auf. Da predigten sie Italiens Einheit, sagte er, aber sie meinten es anders. Ein jeder wolle im Grunde nur die eigne Herrschaft. Es habe keinen Sinn, die alten Könige zu verjagen, wenn man neue dafür einsetze. Der Erzherzog Maximilian und Leopold von Toskana und die Herzogin von Parma seien schließlich nicht schlechter gewesen als Viktor Emanuel und Mazzini und Garibaldi.

»Und Cavour nicht zu vergessen,« sagte Pallavicino lachend.

Der Graf runzelte die Brauen ein wenig, zog es aber doch vor, mitzulachen. »Ich wäre der Papst,« sagte er. »Wenn ich mich auch nicht so prophetisch 75 zu gebärden weiß wie Mazzini, so könnte ich doch mit einem Pfaffenbäuchlein und einer Tonsur dienen.«

»Ich weiß nicht,« meinte Pallavicino, »ob die frommen Damen Euch den Handkuß so gern darbrächten wie Pius dem Neunten oder dem schönen Genuesen.«

Cavour lächelte im Andenken an manches galante Erlebnis, das ihm den langwierigen Weg zur Größe geschmückt und verkürzt hatte; das Gespräch nahm hiernach keine ernste Wendung mehr.

Als der alte Herr fortgegangen war, dachte Cavour: »In Irland gedeihen die Kartoffeln, in England die Gesetze, in Deutschland die Philosophie und in Italien das Herz; letzteres ist für das Volkswohl ebenso gefährlich wie die Kartoffel und die Philosophie.«

Nach einer Weile kam La Farina, um den Grafen zu fragen, ob er schon wisse, daß Rattazzi gesagt habe, er getraue sich, Savoyen und Nizza, sicherlich wenigstens Nizza für Italien zu erhalten, wenn Cavour und sein Anhang ihn unterstütze; er wolle Cavour darum ansprechen. Cavour fragte La Farina, wie er darüber denke. Er denke, sagte dieser, daß Rattazzi damit nur einen neuen Versuch mache, Cavour auszustechen und sich eine Partei zu bilden, die ihn gegen Cavour halten würde. »Ja,« sagte Cavour mit Heftigkeit, »wer redlich ist, muß einsehen, daß wir etwas opfern müssen. Sollen wir für alle Zeiten den Gläubiger vor der Türe haben? Oder war einer so töricht zu glauben, daß Napoleon uns umsonst helfen würde, nur dürfe? Fertigen wir ihn einmal ab, daß wir wieder Herren im Hause sind. Rattazzi weiß das so gut wie ich; aber er hat den Mut nicht, das Odium des Volkes auf sich zu nehmen. Ich fürchte mich davor nicht, es ist der Dünger auf die Saat des Nachruhms.«

In dieser Weise schalt und ärgerte sich der Graf, 76 bis er endlich über Gedanken und Entwürfen, die ihm kamen, still wurde. La Farina unterbrach das Stillschweigen nach geraumer Zeit, um von dem im Dome zu Palermo auf Maniscalco unternommenen Attentat zu sprechen; denn er wollte Cavour über seine Ansichten in bezug auf Sizilien aushorchen. Der Graf fuhr aus den Gedanken, in die er vertieft war, auf und sagte ärgerlich wegwerfend: »Ja, ja, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich!« fügte jedoch gutmütig hinzu: »Ich will Ihre Landsleute nicht kränken, La Farina. Ich meine, solche Theaterauftritte, womit das Volk sich selbst unterhält, sind nicht sonderlich ernst zu nehmen, und es wäre schade, wenn sich hierzulande Leute durch ein Blendwerk den Kopf verrücken ließen.« La Farina sagte, auch er beklage den Vorfall, weil er nutzlos sei, halte ihn aber doch für das Symptom einer drohenden Revolution. Die Revolution sei latent in Sizilien, davon überzeuge er sich mehr und mehr, und werde vielleicht schon demnächst zum Ausbruch kommen. Das solle und müsse verhindert werden, rief Cavour entschieden. Er könne jetzt eine Revolution in Sizilien nicht brauchen, sie müßten warten. La Farina entgegnete, er habe es an Mahnungen nicht fehlen lassen, mehrmals schon seien vorbereitete Bewegungen durch die gemäßigte Partei, die er beeinflusse, hintertrieben; aber die Unzufriedenheit sei zu groß, der Geist der Empörung zu feurig, er fürchte, man könne ihn nicht länger bändigen. Woher er diese Nachrichten habe? fragte Cavour. Auch ihm sei etwas zu Ohren gekommen von einer Expedition zugunsten Siziliens. Ein neuer Pisacane! Das möchte angehen, wenn einer nur sich selbst damit an den Galgen oder unter das Messer brächte, aber jetzt handle es sich um Italien. Er werde der Sache schon auf die Spur kommen, nötigenfalls die Rädelsführer einsperren, wenn sie Märtyrer 77 sein wollten, könnten sie billiger dazu kommen. Es entging ihm nicht, daß La Farina nicht einstimmte, wie er sonst zu tun pflegte, sondern empfindlich und sorgenvoll aussah, aber er ließ sich mit Absicht nicht dadurch stören. Ob Garibaldi die Hand im Spiele habe? fuhr er fort. Oder La Masa, der Gottbegeisterte, der wie ein blinder Stier ins Messer renne und deshalb mutig heiße? Die guten Sizilianer, Poerio, Spaventa, Cordova und ihre Freunde würden sich gewiß von solchen Ausgeburten fernhalten.

La Farina konnte schließlich nicht umhin, den Namen Crispis zu nennen als des eigentlichen Antreibers der sizilianischen Dinge. Er habe von dem Manne schon gehört, sagte Cavour, daß er ein feuerschnaubender Republikaner und Anhänger Mazzinis sei. Nun, meinte er, die Revolutionen Mazzinis seien noch nie zu hohen Tagen gekommen, und er könne sich auch diesmal auf seinen Unstern verlassen. Dennoch trug die Angelegenheit dazu bei, ihn zu beunruhigen. Jeder Tag konnte neue Verwicklungen bringen, an jedem Tage, der verstrich, ohne daß er am Steuer stand, lenkte und wachte, konnten neue Dummheiten begangen werden. Das Hinziehen, Tasten und Sichwinden, dachte er, sei zu seiner Zeit gut gewesen, jetzt seien die Früchte reif und müßten geerntet werden. Rattazzi müsse fort, der geckenhafte Gärtner, der immer noch um die Hecke herumschleiche, bis die Früchte verfault oder von Wespen und Spatzen gefressen sein würden.

Mit diesen Vorstellungen peinigte er sich so sehr, daß er sich endlich erschöpft fühlte. ›Warum eigentlich,‹ fragte er sich, ›diese Aufregung, die meine Galle erregt, meine Laune verbittert, mein Leben aufzehrt? Ich könnte mich auf mein Landgut zurückziehen und Geflügel züchten; jetzt werden meine Hühner wieder legen, bald fangen sie zu brüten an. Ich könnte 78 Ochsen mästen und Aepfel und Birnen am Spalier ziehen und auf den Ausstellungen ehrend erwähnt werden. Die Zeitungen brauchte ich nicht zu lesen, oder ich könnte zusehen, wie die andern es machen und mich über ihre Torheit belustigen. Warum sollen sie es besser haben, als sie wollen?‹

Indessen am folgenden Tage machte er sich auf den Weg zu Rattazzi, indem er dachte: ›Ich werde einmal auf Mazzinis gerader Linie gehen; ich will nicht der Pedant sein, sie zu mißachten, wenn sie gangbar ist.‹ Dem überraschten Minister, der ihn mit ausgesuchter Höflichkeit empfing, teilte er mit, daß er seine Politik nicht unterstützen könne, sondern nach seiner Ueberzeugung bekämpfen müsse. Nachdem er diese Kriegserklärung gemacht hatte und sich wieder auf der Straße befand, gab er sich den heitersten Gedanken hin. ›Vielleicht ließe sich aus diesen oberitalienischen Provinzen doch ein Reich der Ordnung und der Gesetze machen, in dem ein arbeitsames Volk sich ernähren könnte und die Menschen der neuen Zeit gerne lebten; aber das Bewußtsein, solchen Zuständen den Boden bereitet zu haben, war mehr wert, als sie zu genießen.‹

Einige Wochen später war Cavour nach dem Rücktritte Rattazzis wieder Minister, von den Patrioten, die von seiner Hand die Vollendung Italiens oder die Sicherung der neuen Provinzen oder Schutz gegen die Revolution erwarteten, mit Jubel begrüßt. Auch die Anhänger Garibaldis freuten sich, daß die tatenscheue Politik Rattazzis jetzt ein Ende habe; mit Cavours Namen war der Gedanke an den Krieg und die große Hoffnung des vergangenen Jahres verbunden. Bertani veranlaßte Nino Bixio und Giacomo Medici, als die Freunde und angesehensten Offiziere Garibaldis, sich Cavour vorzustellen und mit ihm ins Vernehmen zu setzen, da es von höchster Wichtigkeit 79 sei, daß die beiden Mächte, Cavour und Garibaldi, vereinigt dem gleichen Ziele zustrebten.

*

Garibaldi kam mit verwundetem Herzen nach Caprera zurück. Einige Tage war er still und unzugänglich, dann beteiligte er sich wie sonst an den Arbeiten, die die Jahreszeit mit sich brachte, und es schien keine Spur von dem, was er erlebt hatte, zurückgeblieben zu sein. Wenn das Wetter günstig war, wurden Schießübungen angestellt, an denen sich auch seine Tochter Teresita beteiligte; er lud das Gewehr für sie, folgte ihren Bewegungen mit aufmerksamen Augen und freute sich, wenn sie das Ziel getroffen hatte. Sie machte sich nichts daraus, um so mehr aus seinem Lobe. Sie war damals achtzehn Jahre alt, feurig, hilfreich, sorglos und fröhlich und führte eine mütterliche Herrschaft über ihre Brüder und deren Freunde. Es beglückte sie, ihren Vater so lange und allein für sich zu haben, und ihr helles Jubilieren hallte an den Felsen vorüber in das frühlingswilde Rauschen des Meeres. Zuweilen sprang sie ihm unversehens an den Hals und küßte ihn stürmisch, winkte ihren Brüdern oder denen, die gerade in der Nähe waren, daß sie ihr die Hände reichten, um einen Kreis um ihn herum zu bilden, und sang, während sie ihn umtanzten, ein altes Liedchen: »Gefangener, o mein Gefangener, frei wirst du nicht, bis diese Ketten zerreißen, bis diese Mauern verfallen, bis diese Sterne erbleichen, die deine Wächter sind!« Sie hatte eine wohllautende Stimme, die wie ein Echo der ihres Vaters klang. An den Abenden las Garibaldi oft aus den wenigen Büchern, die er liebte, vor, aus den Kommentaren des Cäsar oder aus den Gedichten des Ugo Foscolo.

Dieser glücklichen Tage waren indessen wenige. denn die Schiffe brachten bald Besuche und 80 Briefschaften, die Garibaldi in Anspruch nahmen. Ein Brief von Rosolino Pilo teilte ihm mit, in kurzer Zeit werde die Revolution in Sizilien ausbrechen; diejenigen, die das Leben daran wagten, hofften auf ihn, er möge die hilflos gegen übermächtige Gewalten ringenden Brüder nicht verlassen. Es handle sich nicht mehr um Republik, die Sizilianer alle wären willens, die Fahne, die Garibaldi ergriffen habe, anzunehmen, Italien und Viktor Emanuel. Er selbst wolle, sowie Garibaldi seine Zusage gegeben habe, vorausfahren, um das Feuer der Revolution mit der Kunde seines günstigen Willens anzufachen. Ein schöner Lorbeer harre seiner auf der Insel im Süden, er möge gehen und ihn seinem Haupte pflücken.

So wenig wie Garibaldi je einen Ertrinkenden hätte untergehen lassen, wenn Rettung möglich gewesen wäre, kam es ihm in den Sinn, sich den Sizilianern zu versagen; er antwortete kurz, daß er jederzeit bereit sei, die verlangte Hilfe zu leisten, wenn es sich zeige, daß das Volk wirklich entschlossen sei, die bourbonische Herrschaft abzuwerfen. Doch müsse er bemerken, daß der Zeitpunkt ihm nicht geeignet erscheine; denn die Regierungen wollten alles auf diplomatischem Wege erreichen und würden vielleicht eine eigenmächtige Tat des Volkes, die ihre Berechnungen durchkreuzte, verleugnen. Sie müßten wissen, daß sie auf niemand als auf sich selbst zählen könnten.

Bald darauf erschien ein von den Führern der Insurrektion Abgesandter auf Caprera, um mit Garibaldi persönlich wegen der geplanten Hilfsexpedition zu sprechen; aber inzwischen waren Nachrichten aus Turin angelangt, die den General mehr als alles beschäftigten: daß nämlich Napoleon ernstlich auf die Abtretung von Savoyen und Nizza dränge und daß Cavour, der jetzt wieder zur Regierung gelangt war, darauf einzugehen fest entschlossen sei, wenn der Kaiser 81 das neue Königreich Oberitalien, wie es sich durch den Anschluß der Lombardei, der Herzogtümer und Toskanas gebildet habe, anerkennen wolle. Das Gerücht, das von allen Seiten bestätigt wurde, so daß ihm keine Möglichkeit zu zweifeln blieb, setzte sein Gemüt in Aufruhr. Schon die Tatsache, daß Cavour an der Anerkennung des erreichten Zustandes soviel gelegen war, entrüstete ihn; denn sie bewies, daß er von neuen Eroberungen nichts wissen wollte, sondern mit der Erweiterung Sardiniens bereits ein ausreichendes Vaterland Italien geschaffen zu haben glaubte. Daß er aber dem Verzicht auf die Erfüllung der großen Sehnsucht einen überflüssigen und verräterischen Verzicht auf italienische Provinzen noch hinzufügen wollte, erschien ihm unerträglich, eine Herausforderung, der der König selbst und das ganze Volk antworten müsse. Die kurze, dickliche Gestalt des Ministers, sein gemütliches, häßliches Gesicht mit den scharfen Augen, die hinter der Brille saßen und den auszulachen schienen, der sie zu erraten oder offen herauszufordern versuchte, tauchte in seiner Erinnerung auf, und ein schrecklicher Drang des Hasses preßte sein Herz zusammen. Niemals vorher hatte er die Abgeschlossenheit seiner Insel störend empfunden; jetzt war es ihm qualvoll, daß er nicht in derselben Stunde vor den Mann treten und Rechenschaft von ihm fordern konnte. Dieser hatte die Bewunderung und den Dank des ganzen Italien, auch seinen, angenommen und nichts andres vermocht, als ein Stück Italiens mit einem andern Stück zu kaufen, das seine, Garibaldis, Heimat war. Er selbst hatte ihn als Erretter begrüßt, der ein Krämer, ein Mäkler war und mit Italien wie mit einer Ware handelte.

Daß es sich verwirklichen würde, glaubte er dennoch nicht; es schien ihm unmöglich, daß er, der so viel für Italien gekämpft und gelitten hatte, 82 heimatlos in Italien werden sollte, ein Untertan des verhaßten Bonaparte. Er lebte; er würde es, wenn es nötig wäre, zum äußersten kommen lassen und den Eigenmächtigen, der Angehörige des Landes verschacherte, vor dem Parlamente des Hochverrates anklagen. Er vertraute den Gesetzen Sardiniens und mehr noch dem Könige; denn der konnte an dem traurigen Handel nicht beteiligt sein und nicht darein willigen. Um sich hierüber Sicherheit zu verschaffen und seine Ungeduld zu beschwichtigen, schrieb er dem Könige, den Cavour schon von dem, was er für Notwendigkeit hielt, überzeugt hatte, und erhielt die Antwort Viktor Emanuels, er habe dem Königreich Italien, für das er Leben und Krone wagen wolle, das Stammland der Herzoge von Savoyen als Opfer gebracht; er glaube, Garibaldi könne für Italien tun, was er, sein König, getan habe.

Es war im Grunde die Meinung aller, daß es weniger unbillig sei, Savoyen abzutreten, das nach Sprache und Lage allenfalls als zu Frankreich gehörig angesehen werden konnte, als Nizza, für dessen Verlust kein Grund außer Frankreichs Willen geltend zu machen war. Wie dem indessen auch gewesen wäre, die Worte des Königs trafen und schmerzten Garibaldi wohl, waren aber nicht imstande, ihn in seinem Gefühl und seiner Ansicht irre zu machen. Mit Ungeduld erwartete er die nächste Abfahrt des Dampfers nach dem Festlande: er wollte nach Nizza reisen, um seine Landsleute zum Widerstand gegen die Umtriebe, sie dem Anschluß an Frankreich geneigt zu machen, durch seine eigne Empörung zu entflammen, dann nach Turin und Genua, wo er seine Freunde zum Kampf gegen den Minister und sein Werk zu vereinigen hoffte.

Bei Bertani, der seit einiger Zeit leidend war und oft zu Bett liegen mußte, traf er Medici, seinen 83 täglichen Gast und Pfleger, beide geschäftig über Plänen zu der Expedition nach Sizilien. Garibaldi wiederholte, daß er damit einverstanden sei, zu handeln, wenn es nötig würde, war aber bei diesem Gegenstand nicht festzuhalten, so sehr erfüllt war er von dem drohenden Verluste seiner Vaterstadt. Bertani gab seiner Entrüstung über die Abtretung italienischen Gebietes Ausdruck, Medici jedoch verteidigte die Maßregel als notwendig und brachte die Argumente vor, mit denen Cavour sie zu erklären pflegte, wodurch er Garibaldis Unwillen reizte. »Willst du auch den Sklavenhändler verteidigen, der meine Mutter meinen Feinden verkauft?« fragte er. Man müsse nicht glauben, sagte Medici, Cavour betreibe dies Geschäft gleichgültigen Gemütes, er litte darunter, aber in der Politik dürften Rücksichten weder auf die eigne noch auf irgendeine andre Person genommen werden. Garibaldi schwieg grollend. Als Medici fortgegangen war, sagte Bertani erklärend, Medici sei kürzlich, von ihm veranlaßt, bei Cavour gewesen und einigermaßen unter seinen Einfluß geraten. Cavour habe sich augenscheinlich gefreut, diese beiden Offiziere, denn auch Bixio habe ihn besucht, an sich ziehen zu können; sie hätten von seinem vernünftigen, maßvollen und zugleich vorurteilsfreien und patriotischen Geiste einen starken Eindruck empfangen, besonders Medici, obwohl er immer treuer Anhänger Garibaldis sei und gewiß bleiben werde, bemühe sich seitdem, im Sinne des Ministers zu denken und zu handeln.

Garibaldi sagte nichts dazu. Bertani versprach ihm aus freien Stücken, im Parlamente oder wo er sonst könne, gegen die Abtretung Nizzas zu wirken; aber niemand gab ihm Hoffnung, daß gegen den Willen des jetzt fast allmächtigen Ministers etwas durchzusetzen sein würde.

Es war März, als Rosolino Pilo die Antwort 84 Garibaldis auf seinen Brief erhielt. So wenig ermutigend sie klang, befriedigte sie ihn doch, und er beschloß, eine Gelegenheit, die sich gerade bot, zu benutzen und nach Sizilien zu fahren, um den Genossen zu melden, daß Garibaldi Hilfe zugesagt habe. Er war von der sardischen Regierung unter dem Vorwande, daß sie ihn für einen Spion halte, mehrere Monate lang im Gefängnis gehalten worden und hatte sich, kaum befreit, nach Genua begeben, um Crispi zu treffen. Er war in heiterer Stimmung und erzählte, wie genußreich das Leben im Gefängnis durch seine Ruhe und Regelmäßigkeit für ihn gewesen sein würde, wenn die Unruhe, was unterdessen aus den Angelegenheiten seiner Heimat würde, ihn nicht gequält hätte. Er hätte keine Spinne und keinen Vogel am Fenster zu Gefährten gehabt, sie aber auch nicht vermißt; denn die Gestalten seines wechselvollen Lebens mit schönen und rätselhaften Mienen hätten ihn im Reigen umwallt und die dunkle Zeit überschwenglich voll gemacht. Nur zuweilen lag über seinen Brauen Erschöpfung und Melancholie, was seiner stark erschütterten Gesundheit zugeschrieben werden konnte, die Bertani wiederherzustellen sich bemühte. Bertani mißbilligte die gefahrvolle und aufregende Reise, Crispi jedoch, der einzige, dessen Rat ihn hätte zurückhalten können, war dafür; denn er war der Ansicht, daß jedes Mittel müsse ergriffen werden, um die Ereignisse zu beschleunigen.

Um die Zeit der Abenddämmerung begleitete Crispi seinen Freund an den Hafen, wo das Segelschiff, das Rosolino Pilo benutzen wollte, abfahren sollte. Sie betraten es zusammen und sprachen mit dem Eigentümer, einem zuverlässigen patriotischen Manne, den sie seit lange kannten. Als Crispi fragte, wie alt das Schiff sei, es scheine so morsch, daß man sich fürchte, fest aufzutreten, erwiderte er 85 lachend, wer so viel mitgemacht habe wie seine Paranza, könne es immer noch einmal wagen; die alten Knochen knackten wohl, renkten sich aber wieder ein, ohne zu zerbrechen. Dann gingen sie, da es noch Zeit war, am Strande auf und ab, die verschiedenen Möglichkeiten der nächsten Zukunft besprechend. Als das erste Pfeifen zum Zeichen der Abfahrt ertönte, sagte Crispi plötzlich: »Warum reisest du eigentlich jetzt schon? Ist es nicht übereilt? Wäre es nicht besser, noch zu warten?« Worauf Pilo ihn verwundert ansah, dann lachte und antwortete: »Das kommt auf dich an. Sorge du dafür, daß Garibaldi mir bald nachfolgt, dann war es die rechte Zeit. Mir sagt das Herz, wenn wir uns wiedersehen, wird Sizilien frei sein.« Sie umarmten und küßten sich mehreremal, bevor sie sich trennten. Langsam fuhr das Schiff auf dem sanft sich hinwälzenden Meere in die helle Nacht hinein.

*


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