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Ein Jüngling hatte in einem alten Buche gelesen von den Wasserweibern und ihrer gewaltigen Schönheit, was ihm aber nicht soviel Eindruck gemacht hatte wie eine andere Nachricht, die er in demselben Buche fand, nämlich, daß diese Nixen mit so übersüßer Stimme und erlesener Kunst singen könnten, daß sie damit jedem Wesen die Seele aus dem Leibe zu locken vermöchten. Das sei so zu verstehen: die lauschende Seele walle der singenden Macht so sehnlich entgegen, daß sie sich ihr ohne Widerstand enthülle und offenbare, und das betreffe nicht nur die menschlichen und tierischen Geschöpfe, sondern Pflanzen und stumme und leblose Dinge in der Natur, alles reize der unerhörte Zauber, auf seine Weise mitzuteilen, was in ihm sei. Dies schien dem jungen Manne das Merkwürdigste und Schönste auf der Welt zu sein, und er träumte sich beständig aus, wie auf seine Lockung die Sterne vom Himmel kämen und die Kieselsteine am Wege und die grün-goldigen Käfer, die vor ihm über den Sand krochen und ihm verkündeten, er wußte selber nicht wie, was nur einer von sich sagen kann, der sich seines ganzen Wesens bewußt ist und zugleich alles ausdrücken kann, was er weiß: kurz er stellte sich vor, es wäre, wie wenn sie an Leib und Seele in allen Teilen vollkommen durchsichtig vor ihm würden. Er las nun das Buch von Anfang bis zu Ende durch, ob er noch weitere Kunde darüber fände, und es war in der Tat angezeigt, daß solche Wasserfrauen allerdings sterblichen Männern, zu denen sie Liebe bekämen, ihre Kunst übertrügen, aber nur gegen das größte Opfer, wie es nimmer ein Mensch darbringen würde. Seitdem grübelte der Jüngling unablässig darüber, was für ein Opfer das sein könne, das zu groß für eine solche Gabe sei, die doch, so schien es ihm, das Höchste in sich schloß, dessen Menschen fähig seien.
Bald genug sollte er erfahren, was es damit auf sich habe, denn eines Nachts, als er, ohne zu schlafen, auf seinem Bette lag, hörte er ganz leise, wie wenn es nur für Geisterohren bestimmt gewesen wäre, eine wonnige Weise, die vom Meere her zu tönen schien. Sogleich wurden ihm Leib und Seele von einer schmelzenden Sehnsucht ergriffen, so daß er nicht lange zu zögern vermochte, sondern aufstand, sich ankleidete und dieser unvergleichlichen Musik nachging. Auf diese Weise kam er zum Strande des Meeres, und da sah er mitten im Mondschein, auf einem Steine, der halb im Wasser lag, weithin erglänzend eine Frau von so unglaublicher Schönheit, daß es ihm augenblicklich klar war, es könne nur eine Nixe sein. Sie lächelte, als sie ihn erblickte, tauchte ihre Finger in das Wasser und sprengte ihm ein paar Tropfen ins Gesicht, die wie milchfarbige Perlen durch die Luft flogen und seine Wangen schaurig kühl berührten. Obwohl es ihm anfänglich nicht ganz geheuer zumute war, vermochte er sich der Anlockung ihres Wesens doch nicht zu entziehen und schwur, daß er auf der Stelle vergehen und verderben müsse, wenn er nicht ihrer Liebe teilhaftig würde. Sie nahm ihn auch ohne weiteres in ihre Arme auf, und wie nun sein Kopf an ihrer Brust lag, fiel es ihm auf, daß er kein Herz in ihrem stillen Busen klopfen hörte; aber das Schmachten ihrer flimmernden Augen und das unstete Lächeln ihres falschen Mundes nahmen seine Sinne dermaßen gefangen, daß er alle Zweifel und innerlichen Warnungen zurückstellte. Sie redeten miteinander ab, daß sie sich in jeder Mondnacht wieder treffen wollten, und von der Zeit an ging des Jünglings ganzes Trachten dahin, daß sie ihn die Zauberweisen lehrte, mit denen sie allen Dingen das Geheimnis ihres Wesens entlocken konnte. Unterdessen hatte aber die Nixe nicht minder ihre Absichten und Wünsche bei der zärtlichen Verbindung, die sie mit dem jungen Manne eingegangen war. Es lebt nämlich in allen den heidnischen Wasserunholden die Sehnsucht nach einer unsterblichen Seele, die sie dadurch bekommen können, daß sie das Herz eines Menschen essen, das ihnen derselbe aber freiwillig aus Liebe gegeben haben muß. Sie hoffte darauf, daß ihre überschwenglichen Reize den jungen Mann so weit betören würden, daß er ihr dies Geschenk nicht vorenthielte, und fachte mit den ausgesuchtesten Künsten in Entfaltung von Liebe und Laune seine Leidenschaft zu immer wachsender Tollheit an. Das bereitete nun zwar dem Jüngling großes Vergnügen, aber seinem Ziele kam er dadurch in keiner Weise näher; als er sie einmal gebeten hatte, ihm eine Probe ihres Singezaubers zu geben, hatte sie sich zwar dazu bereit erklärt, aber beigefügt, daß, wenn dadurch Menschen geweckt und herbeigelockt würden, sie verschwinden müsse und niemals wiederkehren dürfe, worauf er natürlich von seiner Bitte hatte abstehen müssen. Aber die Gelegenheit, seinen sehnlichsten Wunsch auszusprechen, zeigte sich in einer Nacht, als die Wasserfrau, um ihrerseits ihrer Sache näherzukommen, von dem traurigen Lose ihres Volkes zu sprechen anfing, wie sie zwar viele hundert Jahre, aber doch nicht ewig lebten und überhaupt auf das Leben im Fleische beschränkt seien, während sie sich gerade das ungebundene Schweben einer Seele im blauen unendlichen Raume als die genußreichste Art des Daseins vorstellte. Der Jüngling tröstete die klagende Frau damit, daß doch das Leben in den kosenden Wellen und in Gesellschaft der mannigfaltigen Fische und anderer Wasserwunder gewiß über alles unterhaltend sei, und daß sie sich außerdem durch die kostbare Kunst ihres Gesanges eine Kurzweil verschaffen könne, der die Menschen mitsamt ihrer unsterblichen Seele entraten müßten. Das Wasserweib horchte aufmerksam und sagte, wenn es weiter nichts sei, ihre Gesangskunst wolle sie ihm schon beibringen, freilich umsonst könne sie es nicht tun, er müsse ihr auch einen Dienst leisten, aber allzuviel solle es ihn nicht kosten. Es brauche nicht mehr und nicht weniger, als daß er ihr sein Herz, freiwillig und aus Liebe, gebe, durch dessen Genuß sie der unsterblichen Seele, wie sie die Menschen haben, teilhaftig werde. Sie umhalste und küßte ihn dabei zärtlich und ließ ihre feuchte Schönheit recht über ihn hinflimmern, sagte auch, daß es im Grunde eine geringfügige Gabe sei, indem sie ja selber kein Herz habe, noch je eines gehabt habe, sich aber trotzdem immer wohl und glücklich befunden habe. Nichtsdestoweniger war der Jüngling nachdenklich über das Ansinnen, denn es schien ihm zweifelhaft, ob er, da er einmal von Anfang an mit einem Herzen, das zu allerlei nützlichen Verrichtungen diente, ausgestattet war, weiterhin gedeihlich ohne dasselbe bestehen könnte. Zwar gab ihm seine Geliebte verschiedene Zaubermittel an, mit deren Hilfe er ohne Mühe noch Schmerz sein Herz aus der Brust entfernen könne, aber er traute diesen Worten nicht ganz, und so wonniglich ihre Liebkosungen auch waren, fragte er sich doch, ob sie wohl eine recht eigentlich wahre und treue Liebe zu ihm hätte und nicht irgendein schuppiges Meerwunder ebenso traulich umarmen würde wie ihn, wenn sein Leichnam am schlammigen Meeresboden verfaule. Je mehr er es sich überlegte, desto fester wurde sein Entschluß, sich des Herzens, ohne das er nun einmal im Leben nicht auskommen zu können glaubte, nicht zu entäußern, weswegen er aber andererseits doch keineswegs auf den Singezauber der Nixe verzichten wollte. Vielmehr bat er in einer Nacht seine Geliebte, ihm ein Mittel zu geben oder zu nennen, durch welches er sein Herz ohne allzugroße Beschwerden heraustun könne, worauf sie das folgende Mal mit einem spitzen, durchsichtigen Messerlein erschien, von dem sie sagte, ihre Mutter habe es aus Fischzähnen gemacht und es werde mit angenehmer Geschmeidigkeit in das Fleisch gleiten, mehr Lust als Wehgefühl erregend. Auch anerbot sie sich, die Operation gleich selbst zu vollziehen, aber der Jüngling fürchtete, daß sie bei der ungewissen Beleuchtung des umwölkten Mondes etwa vorbeischneiden möchte, versprach hingegen zweifellos die nächste Nacht mit der kostbaren Darbringung wieder erscheinen zu wollen. Das Meerweib saß seit dem Mondaufgang auf ihrem Steine, reckte und dehnte ihren blinkenden Leib in süßer Erwartung und sang dazu leise vor sich hin, daß die Wellen von weither herzugewallt kamen und einen Ringelreihen um sie herumtanzten, wobei sie ihre Schaumseelen vor Vergnügen in die Luft spien und wechselweise wieder einschluckten. Der junge Mann ließ nicht lange auf sich warten und hielt in der ausgestreckten Hand ein schönes, noch blutendes Herz; freilich war es nicht das seinige, sondern das eines jungen Kalbes, welches er sich in einer Schlächterei zu verschaffen gewußt hatte. Als sich die neugierige Nixe an dem Herzen satt gesehen hatte, fragte er, ob er vielleicht ein kleines Feuer anzünden und es daran braten solle, in welcher Zubereitung es vorzüglich zu essen sei; sie sagte aber, sie esse es lieber roh, und biß sogleich ein großes Stück ab mit ihren scharfen, stacheligen Zähnen. Der Jüngling betrachtete sie während des Essens, namentlich wie die Farbe ihrer Augen beständig zwischen einem klaren Hellgrün und schwärzlichem Dunkelgrün hin und her wogte, als ob es gar keine Augen, sondern in einem zarten Kristall spielende Wellen wären, was träumerisch und geheimnisvoll anzusehen war. Nachdem sie das Herz völlig aufgezehrt hatte, fragte sie ihren Freund voll Zärtlichkeit, wie er sich fühle, und ob das Messerlein gute Dienste geleistet habe, worauf er schnell, ein wenig errötend, antwortete, daß es außerordentlich zweckmäßig sei und daß er bitte, es behalten zu dürfen. Ein wenig ermattet sei er freilich und würde im Bett geblieben sein, wenn er sich nicht vorgestellt hätte, mit welcher Ungeduld sie ihn erwarte; gleichzeitig wolle er auch nicht verhehlen, daß er begierig sei, nunmehr in die Kunst des zauberkräftigen Gesanges eingeweiht zu werden. Hierauf lachte das Wasserweib ein reizendes Lachen, welches wie ein Springbrunnen von leichten durchsichtigen Tönen hoch in die Luft sprang und wieder herunterperlte, und fragte, ob er es nicht bereits versucht habe, sie brauche ihn nichts mehr zu lehren, denn er sei im Besitze der Kunst so gut wie sie. Der Jüngling wußte nicht recht, was er aus diesen Worten machen sollte, und starrte die Nixe unsicher und verlegen an, sie aber befestigte einen längeren Kuß auf seine geöffneten Lippen und sagte: »Wisse, mein guter Liebling, daß unser zauberkräftiges Singen damit im Zusammenhange steht, daß wir kein Herz haben; lehren könnte ich es dich nicht, aber von dem Augenblicke an, wo du dich mir zu Liebe deines Herzens beraubt hast, wird sich auch die Fähigkeit zu dieser Kunst in dir entwickelt haben, so daß der Lohn für die Hingabe aus ihr selbst natürlich hervorgeht. Versuche nur getrost eine Melodie anzustimmen, und wir werden sehen, was für eine Wirkung diese Schildkröten und Muscheln, die dort zusammengeballt im nassen Sande liegen, davon empfangen.« Diese Zumutung erfüllte den Jüngling mit schreckhafter Verlegenheit, aber er faßte sich und sagte mit sinnigen Worten, er erinnere sich noch wohl, wie sie ihn gewarnt habe, ein lautes Singen könne Menschen herbeilocken und ihre Zusammenkünfte müßten ein Ende nehmen, wenn sie lautbar würden. Die Nixe lobte seine Vorsicht und bemächtigte sich seiner mit ihren blanken, rieselnden Armen, um ihn zu küssen. Wie nun bei dieser Umarmung sein Herz an ihre kühle Brust klopfte, horchte sie auf und sagte: »Wenn ich nicht soeben dein Herz gegessen hätte, würde ich behaupten, ich hörte es in deinem Leibe klopfen.« Der Jüngling erwiderte, er habe, damit niemandem etwa einmal die Stille in seiner Brust ärgerlich auffalle, ein winziges Hämmerwerk an die leere Stelle gesetzt, welches er freilich von Zeit zu Zeit herausnehmen und aufziehen müsse, das sei eben der Grund, weshalb er sie gebeten habe, das Messerlein behalten zu dürfen. Die Nixe küßte nachdenklich die Stelle, wo es klopfte, und tat das seitdem, wenn sie ihre Liebesnächte feierten, mit besonderer Vorliebe. Häufig setzte sie hinzu, es sei doch wahr, daß die Menschen infolge ihrer Seele wahrer und selbstloser Liebe fähig seien, da sie sich sogar ihres Herzens beraubten, um das geliebte Wesen zu bereichern; worauf der Jüngling entgegnete, gerade deswegen sei er so glücklich zu wissen, daß sie nun auch eine solche Seele habe, die sie in den Stand setze, ihn nicht nur, wie früher, mit heidnischer Sinnlichkeit, sondern echt und ernstlich zu lieben. »Wie schön wird es sein,« sagte sie, »wenn wir miteinander durch die Unsterblichkeit schweben.« »Ja,« sagte er, »und wenn wir miteinander singen, daß sogar der heilige Geist, welcher in Gestalt einer Taube anwesend sein wird, uns offenbaren muß, was in ihm ist, zu schweigen von den Millionen Menschenseelen, welche wir antreffen werden. Einander erkennen und lieben ist ja das Wesen der Seligkeit.« »Und wir genießen sie schon auf Erden,« sagte die lächelnde Nixe und küßte den Jüngling auf beide Augen.
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