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Daß am 13. Juli 1599 die Welt ein plötzliches Ende nehmen, nämlich untergehen würde, schien durch einen Komet oder Schweifstern, welcher in der Nacht des genannten Tages auftreten und seiner unregelmäßigen Natur zufolge blindlings zwischen die friedliche Ordnung der übrigen Himmelskörper fahren sollte, allerdings klar bewiesen, so daß ich, der Mathematik und Astronomie Professor, bewandert und erprobt in diesbezüglichen Untersuchungen, wohl befugt war, meine und anderer Gelehrten Wahrnehmung dem Pastor Wolke, meinem Freunde, mitzuteilen, was ich um so unbedenklicher tat, als ich selber dem bevorstehenden Ereignisse mit dem Gleichmut des guten Gewissens entgegensah. Ich hätte freilich wissen können, daß dieser heilige Mann, welchen der feurige Geist Gottes erfüllte und wie einen Irrwisch umtrieb, damit er den Menschen als Warnungszeichen diene und sie nicht im Moraste ihrer Sünden versinken und verfaulen lasse, einen so wichtigen Vorfall nicht ungenützt würde hingehen lassen, wenn ich auch nicht voraussehen konnte, was für eine Lawine sich aus meinem Mundvoll vertraulicher Worte zusammenrollen sollte.
Ein herzlicher, unschuldiger und aufrichtiger Mann war Pastor Wolke, auch fröhlich, dem die leichtsinnige Jugend den Namen Jammerbold nur deswegen gegeben hatte, weil er in seinen Predigten und auch sonst die Üppigkeit und allgemeine Gottlosigkeit der Menschen zu bejammern pflegte, die er sich nicht aus mißgünstiger Bitterkeit oder sauertöpfischer Gesinnung, sondern aus richtiger Erkenntnis Gottes und Mitleid mit der verteufelten Welt zu Herzen nahm. Obgleich sich in der Regel diejenigen verhaßt machen, die den Epikureer aus seinem Sinnesrausche wecken, genoß doch Wolke unbegrenzte Verehrung, und seine Kirche war nicht nur immer voll, sondern wurde auch von den reichsten und vornehmsten Familien besucht. Diese, unter denen Herr Mümmelke, der Pelzkönig, und der Färbereibesitzer Schwämmle, genannt das Dukatenmännchen, weil er sich gern mit goldenen Ketten und Schaumünzen recht sichtbar behängte, die gewaltigsten waren, hielten sich zwar nicht an die Vorschrift der Wolkeschen Predigten, bekundeten aber ihre christliche Tüchtigkeit durch fleißiges Anhören derselben. Ein viel weniger prächtiges Publikum hatte der Lustbold, der so recht im Gegensatze zum Pastor Wolke zu einem frohen Genusse des Lebens aufforderte, was er mit viel Scharfsinn aus Bibelstellen und Aussagen frommer Personen und Kirchenväter als durchaus christlich, ja gottgefällig hinzustellen wußte. Die Anhänger Wolkes betrachteten dies Treiben mit Mißfallen, während es andererseits den Freunden des Lustbolds zum Ärgernis diente, daß Wolkes Frau eine Wirtschaft führte, die mit seinen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen war; denn sie, eine stattliche Dame aus angesehener Kaufmannsfamilie, trieb auf eigene Hand ein großes Prunken und Verschwenden, kleidete sich in Pelz und Sammet und Seide und würzte ihre Küche mit allen Seltenheiten, die flottenweise in den Hafen unserer Stadt eingeführt wurden. Der arme Mann war aber mit seinen Gedanken und der Sorge um die Gemeinde so vollauf beschäftigt, daß er keinen Einblick in seinen Haushalt hatte, wozu noch kam, daß seine Frau, klug und fein wie sie war, sein argloses Gemüt dadurch zu täuschen wußte, daß sie sich über das weltliche Wesen der anderen häufig mit Entrüstung verbreitete und ihre eigene Verachtung des törichten Krams mit vielen hochtrabenden Worten bewies.
So möchte jeder in seinen Sünden fröhlich weiter dahingefahren sein, wenn nicht der Weltuntergang wie eine Kanonenkugel in die faule Brühe geschlagen wäre. Ja, jetzt merkte man erst, wie der Alte predigen konnte! Mit seiner tapferen Nase hakte er die Leute fest, daß sie stillhalten und ihn ansehen mußten und leiden, daß seine kleinen flammenden Augen geschwind durch sie hindurchliefen und alles sahen und merkten bis in den hintersten Schlupfwinkel, daß er es herausholte und angesichts der ganzen Gemeinde wie alte Pluderhosen ausklopfte, daß der Staub flog und die Löcher klafften. »Ihr kommt hierher, um zu Gott zu beten?« rief er. »Das Geld ist euer Gott! Was habt ihr lieb, was ist euch wert, wofür kämpft ihr, wofür arbeitet ihr, was beschützt ihr? Wenn ich von euren Kindern absehe, die ihr wie der vernunftlose Affe auf Kosten der übrigen Menschheit vergöttert, bleibt nichts als das Geld, das Geld, das Geld. An Geld denkt ihr, von Geld träumt ihr, um Geld betet ihr. Gott hat euch die Gedanken als Engel der Anbetung in euer Haupt gegeben, ihr habt sie zu Aasgeiern gemacht, die auf stinkendes Geld stoßen. Denkt euch,« sagte er, »ihr kenntet eine Insel, die jeden Herbst vom Meere verschlungen würde, und ihr sähet im Frühling Menschen kommen, die sie besiedelten. Sie rodeten Bäume, sägten Holz, schleppten Steine, bauten Häuser, zankten sich, wer mehr hätte und regieren sollte, schlügen und pufften sich, daß Blut flösse, spuckten sich ins Gesicht und stießen sich gegenseitig ins Wasser. Ihr würdet gewiß aus vollem Halse schreien: Seht die Narren! die Bösewichte! seid aber weder besser noch klüger als sie. Auch eure Insel wird untergehen, und ein Schiff wird euch nach dem jenseitigen Strande führen, aber von eurer Habe dürft ihr nichts mitnehmen, damit es nicht zu sehr belastet wird. Dann könnt ihr eure Diamanten und Perlen auf die Straße werfen, nicht einmal der Kehrichtsammler wird sich danach bücken. Und eure Person, ist sie denn wert, das Schiff auf seinem weiten, gefahrvollen Wege zu beschweren? Wer seid ihr denn? was könnt ihr denn? Pasteten essen und Malvasier trinken, solche Künste florieren drüben nicht. Im Geisterlande gilt nichts als Lieben, Schauen, Schwingen und Schweben.«
Der Zuhörerschaft, welche von den letztgenannten Fertigkeiten bisher wenig gehalten hatte und durchaus nicht darin bewandert war, tropfte ein kalter Schweiß von der Stirne; indessen als sie aus der halbdunkeln, durchräucherten Kirche ins Freie traten und das Meer sahen, wie es sich unter dem hohen sonnigen Himmel glitzernd hin und her wälzte, daß die stattlichen Segel taumelten, faßten sie noch einmal Mut und meinten, daß die Sache wohl nicht so dringlich wäre. Hingegen waren die armen Leute, Arbeiter, Bedienstete, Bettler und Vagabunden, ganz durchdrungen und entzündet von den Worten des Jammerbolds, wallten singend durch die Straßen und wiesen jede Zumutung sich nützlich zu beschäftigen mit Verachtung zurück, so daß die Besitzenden sich außerordentlich behindert fühlten und den Pastor Wolke unter der Hand ersuchten, er möchte doch das Volk zur Arbeit ermuntern, da ja treue Pflichterfüllung in Gottes Augen nicht anders als wohlgefällig sein könnte. Damit hatten sie nun freilich nicht das Rechte getroffen. »Glaubt ihr,« sagte er, »Gott hielte es für eine wichtige Angelegenheit, daß euer Rindfleisch zur rechten Zeit gebraten auf den Tisch kommt? und daß eure Stuben am Samstag gescheuert werden und eure Haube nach der Ordnung gefüttert wird? Ihr solltet lieber den ganzen Trödel verbrennen, damit ihr der Sorge dafür ledig seid und endlich an das denken könnt, was not tut.« Diese Predigt hielt der Jammerbold auf dem freien Platz vor der Kirche von einer steinernen Kanzel herunter, welche an der Außenmauer angebracht war; denn der Zulauf war so groß, daß die Menge in der Kirche nicht Platz gehabt hätte, und obwohl zuweilen ein Regenschauer den Leuten ins Gesicht schlug, da es ein warmer aber stürmischer Frühlingstag war, rührte sich nicht einer vom Flecke, so schön und entsetzlich wußte der Pfarrer zu reden.
Den Anstoß zu der großen Umwälzung, welche nun stattfand, gab Herr Hans Johannsen, ein Großhändler in Gewürzen, der von seinem Vater gewaltige Reichtümer, aber nicht dessen unternehmenden Charakter geerbt hatte. Vielmehr war das zierliche blonde Männchen verzagt und weicheren Herzens, wagte sein Geld nicht zu genießen, weil es ihm wie unrechtmäßiger Besitz vorkam, traute sich aber auch nicht, es an die Bedürftigen auszuteilen, einerseits weil er nicht gewußt hätte, wie er ohne Vermögen sein Leben hätte fristen sollen, und ferner weil er glaubte, wenn er sich von dem armen Gesindel nicht vornehm zurückhielte, würde man ihn für ihresgleichen halten und in der ehrbaren Gesellschaft nichts mehr von ihm wissen wollen. So war er froh, daß er eine Gelegenheit fand, den gehässigen Reichtum auf gute Weise loszuwerden, begab sich zum Pfarrer und fragte, ob er sein Geld unter die Armen verteilen oder einfach aus allzu großer Verachtung ins Meer werfen sollte; aber sie einigten sich schließlich dahin, es auf dem Markte aufzuhäufen und preislich auszustellen. Wie man beim Beginne des Winters wohl ganze Berge von hellgrünen Kohlköpfen an öffentlichen Plätzen aufgestapelt sieht, glänzte nun dem staunenden Volke der goldige Mammon in die Augen, ohne daß jemand ihn angetastet hätte, sei es, weil sich einer vor dem andern schämte oder weil das Geld bereits etwas zu Mißfälliges und Unbeliebtes geworden war.
An diesem Abend klopfte es zu später Stunde an meine Tür, und als ich vorsichtig öffnete, trat Herr Mümmelke, der Pelzkönig, ein, entledigte sich seiner Vermummung und fragte nach vielen höflichen Redekünsten, ob es wirklich an dem sei, daß die Welt am 13. Juli des laufenden Jahres untergehen müsse. Ich sagte, leider verhalte es sich wirklich so, worauf er meine Gelehrsamkeit belobte und sagte, wie er gehört hätte, daß ich auch sonst noch über mancherlei Zauber gebiete und auch die berühmten Alraunwurzeln besitze, durch die man sich so viel Reichtümer wie man wolle verschaffen könne, und ob ich ihm wohl gegen reichliche Bezahlung eine ablassen wollte. Ich fragte, ob er, ein so gewaltiger Geldmann und Pelzkönig, denn solche heimliche Mittel nötig habe, um sich zu bereichern, welches er weit von sich wies, denn, sagte er, er habe im Gegenteil im Sinne, sich seines ganzen Vermögens zu entäußern und sich auf das Himmelreich vorzubereiten, wie er ja immer der Ansicht gewesen sei, daß das Glück nicht in vollen Kisten und Fässern stecke, sondern in den Lüften schwebe und sich nicht auf die Erde herabziehen lasse. Indessen, fügte er hinzu, müsse ein sorglicher Mann doch an den Fall denken, daß die Erde unerwarteterweise durch die gefahrvolle Konstellation hindurchschlüpfe, und was dann werden solle? Da nun, wie er gehört hätte, die Natur dem Menschen allerhand unschuldige Mittel an die Hand gegeben hätte, damit er sich ihrer Schätze bemächtige, sähe er nicht ein, warum man sich derselben nicht unter Umständen bedienen solle.
So ganz unschuldig, erwiderte ich, wären diese Mittel nun freilich nicht, vielmehr könnte man dabei leicht in die Gewalt des Teufels geraten und der ewigen Seligkeit verlustig gehen, was auch die Ursache wäre, daß ich mich noch nicht damit abgegeben hätte. Hierauf lächelte der Pelzkönig unschuldig wie ein spielendes Kind und sagte, ein frommes Gemüt wie das seine brauche den Teufel nicht zu fürchten, ich möchte ihm nur getrost ein Alräunchen überlassen und ihn im Gebrauche desselben unterweisen. Also holte ich eine seltsam geformte, gelbliche Wurzel von ganz unschädlicher Art hervor, dergleichen ich zuweilen im Walde gefunden hatte, und sagte, daß er in einer Mondnacht auf den Kirchhof gehen und das neueste Grab suchen, dann unter dreimaliger Anrufung des Teufels die Hälfte der Wurzel essen, die andere Hälfte in das frische Grab stecken müsse, worauf er bei gehörigem Suchen und Wühlen mehr Schätze finden würde, als er jemals verbrauchen könne. Nachdem wir uns gegenseitig tiefes Stillschweigen über den Handel zugeschworen hatten, entfernte er sich so vorsichtig, wie er gekommen war. Indessen verkaufte ich am nächsten Abend eine ähnliche Wurzel an das Dukatenmännchen und in der folgenden Zeit sieben andere an andere große Kaufherren und Regierungsräte, welches Geschäft mir alles in allem viertausendfünfhundert Goldgülden eintrug.
Diese und noch viele andere Herren breiteten nun ihr Gold und Silber neben dem des Herrn Johannsen auf dem Markte aus, wobei es vielleicht verblieben wäre, wenn man nicht gesehen hätte, daß hie und da Leute mit Schiebkarren kamen, dieselben füllten und wohlgemut davonführten. Nun schien es, daß mit dem geopferten Gelde durch Menschenverführung Unheil angerichtet würde, und der Pelzkönig schlug vor, es möchte aus allen vorhandenen Edelmetallen ein ungeheures Bildwerk gegossen werden, welches das goldene Kalb vorstellen und als ein abscheuliches Götzenbild zur öffentlichen Beschimpfung und Verhöhnung gezeigt werden sollte. Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall, und das Material wurde sogleich einem rühmlich bekannten Bildgießer zur Verarbeitung übergeben.
Übrigens gehörte nicht die ganze Einwohnerschaft zu den Anhängern des Jammerbolds, sondern es gab einige, deren Reichtum von jeher wie das Veilchen in der Verborgenheit geblüht hatte, die nach wie vor möglichst unauffällig ihren Geschäften nachgingen und die übrigen als müßige Phantasten belächelten; andere, die gewöhnt waren, jedwedes Ereignis mit Jubel zu begrüßen, damit nur die Alltäglichkeit unterbrochen würde und sie Gelegenheit hätten Feste zu feiern. Diese sammelten sich um den Lustbold, welcher immer ein paar fröhliche Redensarten bei der Hand hatte, um ihre Ausgelassenheit zu bemänteln, wie daß Gott den Menschen die Erde als Wohnplatz angewiesen hätte und sie sich aus Dankbarkeit so viel wie möglich darauf belustigen müßten, ferner daß, was auch später eintreten möchte, das schöne törichte Erdenleben jedenfalls die Jugendzeit der Seele sei, und ewig müsse es derjenige bereuen, der sich seiner Jugend nicht gefreut hätte. Mit solchen Sophismen mag er wohl auch die Kinder seines Gegners, des Pastors Wolke, berückt haben, Zwillinge und einander so ähnlich, daß man sie, wenn sie nicht verschiedenen Geschlechts gewesen wären, kaum voneinander hätte unterscheiden können.
Als sie geboren waren, hatte sie jemand witzweise Wassertröpfchen und Schneeflocke genannt, was sich späterhin als gut geeignet erwies, denn das Geplauder des Knaben, dessen Zünglein von selber ohne Regulierung von seiten des Kopfes zu laufen schien, glich dem geschwinden Tröpfeln des Wassers etwa aus einer Rinne bei starkem Regen, und das stille Mädchen war nicht nur weiß wie eine Schneeflocke, sondern hatte auch etwas an sich, als könnte sie jeden Augenblick schmelzen und verschwinden. Man rief sie also Tröpfchen und Schneeflocke oder Vikus und Vika, da die feierlichen Namen Ludovikus und Ludovika, auf die sie getauft waren, augenscheinlich nicht für sie paßten. Sie waren fast jedermann bekannt und doch ganz ohne Freunde, nicht weil sie unbeliebt gewesen wären, vielmehr weil die Natur sie so nebeneinander gestellt hatte, kam es ihnen nie in den Sinn, einen anderen Umgang zu suchen. Aber obwohl sie sich sehr lieb hatten, ja nicht ohne einander bestehen konnten, fühlten sie sich doch nicht befriedigt und ausgefüllt in ihrer Liebe, im Gegenteil, als die Kunde vom Weltuntergange kam, fiel es ihnen plötzlich ein, in was für einer fürchterlichen Einsamkeit sie bisher gelebt hatten, nämlich nur miteinander, die sich doch innerlich so ähnlich waren wie äußerlich. Die Nachricht, daß es bald für immer vorbei sein würde, schreckte sie wie mit Posaunenstößen aus ihrem Halbschlummer, und sie wußten in ihrer Angst und Ungeduld gar nicht, was sie tun sollten, um das Leben in die Hände zu bekommen. Sie waren bereit, alles zu tun, was sie nur fühlen machte, daß sie lebten. Als die Weltkinder begriffen hatten, um was es sich handelte, schien ihnen das ein Hauptspaß zu sein; sie empfingen die Zwillinge voll Zärtlichkeit, die Frauen bemächtigten sich des Tröpfchens und die Männer der Schneeflocke, denn zunächst, sagten sie, müßten sie die Liebe kennen lernen, dann würde das Leben sich von selber auftun. Es zeigte sich aber, daß dem Vikus die Liebe nicht beizubringen war, weil er es durchaus nicht ernst damit nehmen konnte, was denn doch das betreffende Mädchen, wenigstens auf Augenblicke, verlangte. Während der zärtlichsten Wechselreden und Liebkosungen dachte er an hundert andere Dinge, namentlich aber mit welchen Worten er seiner Schwester das gehabte Abenteuer wiedererzählen würde, wovon eine große Unaufmerksamkeit und Zerstreutheit die Folge war, die die Geliebte beleidigte. Schließlich gab er es ganz auf und hielt sich zu den jungen Männern, die er, namentlich wenn sie groß, stark und etwas roh waren, nicht wenig bewunderte, würfelte und zechte mit ihnen, ohne übrigens ein anderes Interesse dabei zu haben als das des munteren Äffchens, das die Hantierungen der Menschen nachmacht. Unterdessen wehte Vika leicht und geräuschlos aus einem Arm in den andern, indem sie jedesmal dachte, der Kuß des neuen Geliebten würde ihr die Lebenswonne bringen, nach der sie sich sehnte. Da ihre Seele eigentlich gar nicht dabei war, wenn sie sich küssen ließ – denn sie horchte und wartete immer auf das Wundervolle, was sich nun ereignen würde – fühlte sie sich nicht gerade entwürdigt durch den häufigen Wechsel, nur daß sie, da ihr Herz trotz allem von dem heimlichen Schänder, dem Frühlingsbeben und Blütenschwellen nichts verspürte, immer trauriger wurde und am liebsten ihren Bruder aufsuchte, um unter dem harmlosen Geplauder, das von seinen Lippen plätscherte, vor sich hin zu träumen.
Während dieser Zeit arbeitete der Bildgießer, Herr Brausewein, fleißig an dem goldenen Kalbe, das er in all seiner gottlosen Pracht und Schönheit darzustellen versprochen hatte. Dieser Mann genoß allgemeines Vertrauen, welches auch seine feste, knorrige Gestalt, sein breites Gesicht mit der stattlichen Nase und den kleinen blinkenden Augen herausforderte; dazu war er als uneigennützig bekannt, denn er hatte sich stets mit geringem Lohne für die zahlreichen Brunnenfiguren und Kirchenornamente, die er der Stadt geliefert hatte, begnügt und das goldene Kalb vollends ganz ohne Entgelt zu bilden unternommen. Nachdem das Vieh fertig war, wurde nach kurzen Beratungen beschlossen, es in dem Park aufzustellen, wo die Weltkinder ihre Orgien zu feiern pflegten; derselbe war nebst einem stattlichen Herrenhause von seinen heiligen Besitzern verschmäht und der Verwilderung preisgegeben. Mit großen Anstrengungen wurde denn das schwere Bildwerk auf einen künstlichen Hügel im Parke gebracht, von wo aus man einen Ausblick über den Strand und das Meer hatte, und angesichts einer großen Menschenmenge feierlich enthüllt. Im ersten Augenblick sah man nichts als einen blendenden, im Glanze der Mittagssonne nach allen Seiten Strahlen schießenden Goldkoloß, so daß der Eindruck ebenso heiter wie erhaben war; erst bei längerem Schauen offenbarte das Idol die böse Natur, die der Meister mit staunenswerter Kunst hineingebildet hatte. Die ganze Figur des Ungeheuers ließ sich etwa mit einem Nilpferd oder Lindwurm vergleichen, soweit sie breit und ungeschlacht war, doch lag in dem prallen Leibe bei aller Plumpheit etwas Elastisches, und den säulendicken Beinen, die sich gegen den Fuß zu noch beträchtlich verbreiterten, sah man an, daß sie sich wie der Blitz aufheben und ihr Opfer in den Staub zusammenstampfen könnten. Was aber vorzüglich mit Schrecken erfüllte, war das breite Antlitz mit den kleinen langgeschlitzten Augen, die dumm, grausam und tückisch nach allen Seiten zugleich zu blicken schienen. Das weite Maul hatte einen zweideutigen Ausdruck, so daß man nicht wußte, ob es in tierischer Weise lachte oder sich zum Geheul oder zu mörderischem Biß öffnete. In der Haltung des Ungetüms war etwas, als lauerte es auf den Augenblick, wo es sich auf das Volk, wenn es mit gesenkten Köpfen zur Anbetung niederkniete, herunterlassen könnte, um es zu zermalmen und zu fressen. So verschieden nun auch jeder das Götzenbild betrachten und auslegen mochte, flößte es doch allen Abscheu und Grauen ein, und es verbreitete sich bald allerlei abenteuerliches Gerede, wie zum Beispiel, daß man der Bestie nicht gerade ins Auge sehen dürfe, da sie einen sonst behexe und nicht mehr losließe, ferner daß sie nachts, wenn der Mond ihren glatten Goldrücken beschiene, lebendig würde, zu welcher Zeit viele ein kicherndes Heulen, wie von hungrigen Hyänen, gehört haben wollten. Dies aber, sowie die Zerstampfung des Bodens umher, die man wohl des Morgens wahrnahm, mochte von dem ausgelassenen Toben der Weltkinder herrühren, die, obwohl es meistens arme Schelme waren, unter Scherz und Jubel um das Scheusal herumtanzten. Ihr Anführer zu allem war der Lustbold, der allmählich immer mehr ausartete, sich Baalspriester nennen ließ und, das graue Haupt mit Blumen geputzt, dem Götzen schmeichelte und opferte.
Als ein denkender Betrachter der menschlichen Torheit mischte ich mich unter die Gotteskinder wie auch unter die Weltkinder, öfter aber unter die letzteren, und zwar hauptsächlich aus väterlicher Zuneigung für die Zwillinge, deren Zustand ich aus des Tröpfchens zutraulichem Sprudeln und Plätschern erfuhr. Daß es eben die Kinder des Jammerbolds waren, die zu den gefährlichsten Unholden zwischen den Weltkindern zählten, erregte natürlicherweise großes Befremden und Ärgernis; aber weniger deswegen, als aus Teilnahme für die hilflos in der Irre tappenden Kinder und ihren Vater, meinen Freund, machte ich mich eines Tages auf, um ihm die Augen über ihre Lage zu öffnen. Man fand Pastor Wolke damals selten zu Hause, weil er stets mit Predigen, Lehren, Trösten und Helfen beschäftigt war, doch war mir diesmal der Zufall günstig, wie mich die heftigen Reden, die aus den geöffneten Fenstern seiner Wohnung schallten, schon von weitem merken ließen. Als ich näher herankam, sah ich zu meinem Erstaunen, daß nacheinander eine Reihe von silbernen Tellern, Schüsseln, Schalen und Kannen aus dem Fenster flogen, zum Teil von außerordentlicher Größe und Gewicht, so daß ich mich an den Mauern der Häuser entlang drückte, um nicht getroffen zu werden. Es waren nämlich dem edeln Manne Sticheleien zu Ohren gekommen, daß seine eigene Frau zu denen gehöre, die, während der Fromme alles Irdische von sich täte, mit unverminderter Habgier auf dem Ihrigen sitzen bliebe und so, auf lasterhaftem Reichtum thronend, ihren Mann und seine Anhänger verlachte. Er hatte hierauf seine Frau zur Rede gestellt und in allerlei Truhen und Kisten den Schatz des Hauses entdeckt, den er sogleich trotz des Tobens seiner Frau in wohlgezielten Würfen auf die Straße schleuderte. Er ließ sich auch durch meinen Eintritt nicht stören und hörte erst auf, als ihm die schwachen, alten Arme erschöpft am Leibe herunterfielen, worauf er sich zu seiner Frau wendete, um ihrem Schelten Gehör zu schenken. »Du Geck, du Faselhans,« rief diese, »was bist du mehr als ein einfältiger Tyrann, der alle Menschen nach seinem zufälligen Maße modeln möchte? Wärest du ein Tanzmeister, würdest du alle tanzen lassen, wärest du ein Totengräber, würdest du sie verfluchen, wenn sie sich nicht begraben ließen, und da du nun als Gottesnarr und Jammerbold geboren bist, möchtest du alle in ein Kloster sperren, die doch weit nützlicher und erbaulicher leben als du.« Ich unterbrach die Frau, indem ich ihr bewies, daß sie die Erhabenheit und Heiligkeit ihres Mannes nicht zu fassen vermöge, dagegen hielt ich ihm vor, daß es an der Zeit sei und er Ursache habe, sich um seine Kinder zu bekümmern, deren Seelen Gott ihm vorzüglich anvertraut hätte und in Bälde von ihm zurückfordern würde. In dieser Weise redeten wir abwechselnd auf ihn ein, bis er mich mit demütigen Worten bat, ihn hinzuführen, wo seine Kinder wären, was ich sogleich tat, worauf seine Frau mit Hilfe des Dienstmädchens das Silber, soweit es noch nicht fortgetragen war, wieder auflas und ins Haus zurückbrachte. Unterwegs erzählte ich dem Alten, was sich in der letzten Zeit mit seinen Kindern begeben hatte, wie sie, um doch einmal vor dem Ende das schöne Erdenglück zu kosten, sich in wilde, alberne Ausschweifungen geworfen hätten, die sie aufzehrten, ohne ihnen Genüge zu geben. Die Weltkinder glaubten, als sie des Jammerbolds ansichtig wurden, nichts anderes, als daß er sie bekehren und bessern wollte, wovon sie sich eine Hauptkomödie versprachen; aber der Anblick des alten Mannes, als er seiner verlorenen Kinder ansichtig wurde und die Arme zaghaft aus der Entfernung nach ihnen ausstreckte, mit dem kleinen weißhaarigen Haupte nickend, rührte das leichtsinnige Volk, so daß einige sogar den Zwillingen Zeichen gaben, sie möchten ihren Vater nicht so lange rufen und bitten lassen. Diese starrten den Alten erst eine Weile erschreckt an, dann faßten sie sich plötzlich bei den Händen und liefen wie ein paar bei einem verbotenen Streich ertappte Kinder spornstreichs in entgegengesetzter Richtung davon. Indessen ließen sie nicht lange auf sich warten, denn sie waren eigentlich froh, an der Fortsetzung ihres sinnlosen Treibens verhindert zu werden, und müde und überdrüssig genug, um das Ende ruhig über sich ergehen zu lassen.
Dieses kündigte sich denn nun wirklich durch eine heillose Katastrophe an, die dem Weltuntergang gerade um acht Tage voraufging. Schon einige Tage lang war die Hitze ungewöhnlich lastend gewesen und die Luft klumpig und schwer, so daß man das Gefühl hatte, man müßte sie mit den Händen von sich abstreifen oder, wenn man sich sehr anstrengte, von sich abschütteln können; nur daß einem die Kraft sich anzustrengen gebrach. Jetzt hatte der Himmel eine verwischte graubraune Färbung bekommen wie vor Einbruch eines Hagelwetters, das Meer lag schwarz und leblos wie ein nasses Tuch, und nur selten strich eine Möwe mit ängstlich zuckendem Flug dicht darüber hin. Es zweifelten nur wenige daran, daß der Weltuntergang nun baldigst hereinbrechen werde, und der Jammerbold war so dringend aufgefordert, eine ernste Ansprache in der Kirche zu halten, daß er nicht nein hatte sagen können, obwohl ihm aller Eifer für die Angelegenheit gänzlich abhanden gekommen zu sein schien, ja man hätte an eine gewisse Verwirrung seiner Ideen glauben können, wenn man sein unzusammenhängendes Betragen mit dem früheren verglich. Er sah von der ganzen Zuhörerschaft nur seine Kinder, welche dicht unter der Kanzel Platz genommen hatten und seinen inständigen Blick mit schwachem Lächeln ihrer blassen Mienen erwiderten. Auch was er sagte, schien nur für sie berechnet zu sein, wenigstens handelte es durchaus nicht vom Weltuntergang, sondern vom Glück und wie und wo es zu finden sei, wenn denn überhaupt ein fortlaufender Faden darin war. »Wenn sie als kleine Kinder auf der Wiese saßen und Sternblumen pflückten, saß ihnen da nicht das Glück in den strahlenden Augen? Lachten die nicht wie Selige lachen? Ja, mitten im Paradiese waren sie! Weh mir, daß ich ihnen den Apfel der Erkenntnis gegeben habe! Hätten sie nicht ewig lachen und spielen sollen, da doch Kinder wie Engel sind?« Da er dies noch dazu in abgebrochener Weise vortrug und zwischendurch öfters das Gesicht in den Händen verbarg, würden die Zuhörer an dem wunderlichen Zeug schließlich Anstoß genommen haben, wenn nicht plötzlich ein fürchterliches Krachen und Poltern dem Gerede ein für allemal ein Ende gemacht hätte. Es war nämlich, wie sich nun zeigte, die unheilvolle Witterung Vorbote eines Erdbebens gewesen, das sich eben in diesem Augenblick entlud und die Kirche so erschütterte, daß ein Teil der Mauer nebst mehreren Pfeilern einstürzte. Die fallenden Trümmer töteten einige Personen und verwundeten mehrere, und der Zufall wollte, daß die Schneeflocke unter den letzteren war und an der Hüfte und am Bein so getroffen wurde, daß sie wohl mit dem Leben davonkommen konnte, aber sicherlich gelähmt bleiben mußte. Von diesem Augenblick an veränderte der Pfarrer sein Betragen gänzlich und legte nichts anderem als dem Befinden und Aussehen seiner kranken Tochter mehr Wichtigkeit bei. Man konnte ihn häufig mit zufriedenem Lächeln wie einen Tagelöhner arbeiten sehen – denn es war bei dem verwahrlosten Zustande unserer Stadt allenthalben Arbeit zu finden – um ein paar Kreuzer zu verdienen und ihr Blumen oder irgendeinen Tand kaufen zu können, der das weiße Gesicht vielleicht würde lachen machen. Die verlassene Herde des Pastoren befand sich nunmehr in solcher Spannung, daß er nicht sonderlich vermißt wurde, denn es war jetzt so weit, daß der große Zusammenbruch eintreten mußte und die Folgen der Weltverachtung und Seelengröße eingeheimst werden konnten.
Der 13. Juli war ein heißer aber freundlicher Tag, welcher es den Gotteskindern erlaubte, mit nichts als Hemden bekleidet singend durch die Stadt zu wallfahrten, die Frauen mit aufgelösten Haaren, was ein lieblicher Anblick gewesen sein würde, wenn die bedrohlichen Umstände dergleichen Betrachtungen hätten aufkommen lassen. Viele, die bisher die Nase gerümpft hatten, mischten sich in letzter Stunde noch unter die Heiligen und suchten durch den Nachdruck ihrer frommen Betätigungen zu ersetzen, was ihnen an Dauer abging. Als ich in der Dämmerung meiner Gewohnheit gemäß am Strande spazierte, fand ich sie alle im weichen Sande knien und beten, wo sie vermutlich die Katastrophe in angenehmerer Weise zu bestehen gedachten als innerhalb der Stadt, wo einem die Häuser über dem Kopfe zusammenbrechen mußten. Allen zuvor mit Beten und Singen taten es der Pelzkönig und das Dukatenmännchen, welche sich, da wo das Ufer flach war, auf zwei große Steine im Meer gesetzt hatten und von dort aus ihren hohlen Gesang über das Wasser schallen ließen. Ich fragte im Vorbeigehen, ob sie in der lieblichen Abendkühle ein Bad zu nehmen gedächten, worauf mich der Pelzkönig mit sanften Worten einlud, ein hochzeitliches Gewand anzulegen und mein Lämpchen mit Öl zu füllen, damit ich nicht, wenn der Bräutigam käme, als eine törichte Jungfrau beschämt vor ihm stehen müßte. Da sich inzwischen die Stunde genähert hatte, wo der verderbliche Schweifstern erscheinen sollte, begab ich mich auf die Zinne meines Hauses, um ihn zu beobachten, der denn auch wirklich als ein rötlichfunkelnder Stern mit anmutigem Strahlenbüschel wie ein Paradiesvogel unter den übrigen sichtbar wurde. Allmählich rückten sämtliche Sterne sacht an ihre Stelle, vor dem stillen Auge der Nacht fing die Luft an sich kühlend zu bewegen und das träumerische Singen der Brandung wurde hörbar. Aus dem entfernten Park drangen dann und wann wild jauchzende Töne der Weltkinder, die nun toller als je ihren Reigen um das goldene Scheusal tanzten. Indem ich gedankenvoll den Lauf des Kometen verfolgte, malte ich mir mit den inneren Augen das Rad der Zeit an den Himmel, halb unsichtbar, halb durchsichtig leuchtend, wie es langsam seinen riesigen Umschwung durch die Ewigkeit drehte. Wie, dachte ich, wenn plötzlich eine allmächtige Hand in die ungeheure Speiche griffe, die so schnell und stark im Mittelpunkte der Unendlichkeit sich umschwingt, daß der Sturm, der durch die Bewegung entsteht, Wandelsterne, Sonnen und Monde in ihren Bahnen vor sich hertreibt? Wenn das Rad plötzlich stockte, die Gestirne erlöschten und entsetzlich zuckend in die schwarze Unermeßlichkeit stürzten! – Aber es drehte sich langsam, langsam weiter durch das blaue Gewölk, weiter durch die dunkle Einöde des Himmels, nachdem die Sternbilder verblichen waren, und durch das fröstelnde Grau des Morgens, das der kurzen Sommernacht folgte. Hierauf legte ich mich zu Bett und schlief bei großer Ermüdung augenblicklich ein.
Ein starkes Schreien und Poltern weckte mich, als es etwa zehn Uhr morgens sein mochte, aus meinem Schlafe, und als ich, da ich mich im Nachtkleide nicht unter den Leuten zeigen mochte, durch die Klappe in meiner Tür herauslugte, erblickte ich eine Horde wütender Männer, die mit Knitteln und Beilen herumfuchtelten und mich bedrohten. Da ich den Pelzkönig und das Dukatenmännchen unter den Vordersten sah, konnte ich mir unschwer zusammenreimen, daß sie, nun es mit dem Weltuntergange nichts war, es mit ihren Alräunchen versucht und die unschuldige Natur derselben erprobt hatten, bei denen alles Anrufen und Beschwören des Satans durchaus zu nichts führen konnte. Trotz des blutgierigen Aussehens der Männer faßte ich mir ein Herz und redete sie freundlich an, indem ich sagte, ich freute mich, mitteilen zu können, daß der verdächtige Stern mit Vermeidung aller schädlichen Umtriebe auf- und wieder abgetreten wäre, so daß unsere Erde ihren Lauf in Gottes Namen fortsetzen könnte, wozu wir, als ihre Bewohner, uns füglich beglückwünschen dürften. Doch würde mir diese Rede wohl wenig genützt haben, wenn es nicht einem der wütenden Leute eingefallen wäre, den Namen des Jammerbolds zu nennen, als den, welcher das ganze Unglück herbeigeführt hätte. Sogleich stimmten alle ein, und der Knäuel wälzte sich unter lautem Rachegebrüll aus meinem Hause heraus, so daß ich in großer Besorgnis um den lieben Freund mich, so schnell ich vermochte, ankleidete und hinter den Wilden hereilte, obgleich ich eigentlich nicht wußte, was ich einzelner zum Schutze des Bedrohten tun könnte. Zwar gelang es mir, unterwegs noch ein paar Männer zu gewinnen, die mir beistehen wollten, aber das verursachte wieder eine verhängnisvolle Verspätung; als wir bei dem Hause des unglücklichen Menschenfreundes ankamen, hatte er bereits unter den Axthieben der Mordbande seinen Geist aufgegeben. Von den Umstehenden erfuhr ich, daß er auf das Geschrei der Erzürnten vor die Haustür geeilt war, sie herzlich »liebe Freunde« und »Kinder Gottes« angeredet und gebeten hatte, nicht so zu lärmen, da seine Tochter schlafe. Hingegen schimpften sie ihn Schelm, Gauner und Bösewicht, und man hörte es durcheinander rufen: »Jetzt sind wir freilich im Himmel! Du hast uns zu Bettlern gemacht! Gib unser Geld zurück oder laß die Welt untergehen!« Und da er mit seiner schwachen Stimme etwas erwidern wollte, tobten und fluchten sie noch gräßlicher, schlugen ihn nieder und töteten den wehrlosen Greis mit einem überflüssigen Aufwand von Wut und Kräften.
Ohne daß jemand wagte, der blutigen Horde in den Weg zu treten, zogen sie weiter nach dem Platze, wo das goldene Kalb stand, in der Absicht, von den verlorenen Reichtümern wieder an sich zu raffen, was jeder vermochte. Soviel sie aber mit ihren Beilen auf die Bestie einhieben, erreichten sie doch nichts anderes, als daß sie einige Schrammen und Beulen in ihren glatten Leib brachten, weswegen sie ein Feuer anzündeten, um den Goldkoloß zum Schmelzen zu bringen. Dabei zeigte es sich aber bald, daß das Idol aus einem Kern von Blei bestand, der nur mit einer dünnen Lage von Goldblech überzogen war, was denn wohl als das dürftige Überbleibsel des gewaltigen Schatzes zu betrachten war. Da sich die Enttäuschten an dem Meister, der sich kurz nach Vollendung des Bildes in aller Ruhe aus der Stadt entfernt hatte, nicht rächen konnten, wußten sie in ihrer Furie keinen andern Ausweg, als übereinander herzufallen, indem der eine dem andern den Vorwurf machte, angefangen und das Beispiel zu dem schnöden Geldopfer gegeben zu haben. Fast in jeder Familie hatte es ein Mitglied gegeben, sei es Mann, Frau oder Kind, das sich dem Vorhaben widersetzt hatte, und so kam es, daß sich jetzt die Nächstverwandten an der Gurgel faßten und unter Triumph- und Rachegeschrei den Garaus zu machen suchten. Wahrscheinlich würden sie sich alle gegenseitig ums Leben gebracht haben, wenn nicht jene besonnenen Männer, die mit dem Weltuntergang in keiner Weise etwas zu tun gehabt hatten, jetzt zusammengetreten wären, eine neue Regierung gebildet und die öffentlichen Dinge geschickt und geschwinde gehandhabt hätten. Zunächst wurden die Mörder und Rädelsführer in Verwahrsam gebracht, damit sie kein weiteres Unheil anrichteten, dem Lustbold wurde wegen seines unpassenden Betragens während der letzten Monate ein ernster Verweis erteilt, dem armen Ermordeten dagegen ein christliches Begräbnis zuerkannt, welches denn baldigst prunklos aber feierlich begangen wurde. Beinah täglich in der Abendkühle kann man noch jetzt den plaudernden Vikus und die lahme, lächelnde Vika nach dem Grabe dieser unschuldigen Seele Hand in Hand zusammen wandern sehen. Diejenigen, die bei der Ermordung des alten Wolke beteiligt waren, es waren ihrer neun, darunter der Pelzkönig und das Dukatenmännchen, wurden nach kurzem Prozeß zum Tode verurteilt. Es wurde zu diesem Zweck das goldene Kalb mit großen Kosten und Beschwerden nach dem Richtplatz geschleift, welcher außerhalb der Stadtmauern liegt, und in der Mitte desselben aufgerichtet, um dasselbe herum aber die neun Galgen, an welchen die Schuldigen aufgehängt werden sollten; so könnten sie, sagten die neuen Räte, wenn ihnen die Leiter unter den Füßen weggezogen würde, ein letztes Tänzchen vor ihrem Götzen aufführen. Die Strafe wurde schleunigst an den unbußfertigen Sündern vollzogen, was die günstige Folge hatte, daß sich in Zukunft kein Unzufriedener mehr zu mucksen wagte und diejenigen, die sich in dieser Zeit der Umwälzung aus früherer Dunkelheit zu hübschem Wohlstande aufgeschwungen hatten, ohne Bemäkelung ihres Glückes froh werden konnten.
Die Leichname der Erhängten blieben auf Verordnung des Rates zum abschreckenden Beispiel an den Galgen hängen, und das abergläubische Volk will wissen, man könne in stürmischen Nächten sehen, wie die nackten Gerippe beim Pfeifen des Windes und Rasseln der Knochen einen hüpfenden Reigen um das blanke Götzenbild herum tanzen.
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