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Jane, die Königin. Jane klammert sich vor Schrecken an den Altar und heftet auf die Königin einen starren, erschrockenen Blick.
Königin Sie blickt einige Augenblicke auf dem Vordergrund der Bühne, das Auge starr, bleich, wie in düsteres Träumen verloren. Endlich stößt sie einen tiefen Seufzer aus: O, das Volk! Sie sieht unruhig um sich und erblickt Jane. Jemand da? – Du bist es, junges Mädchen? Ihr seid es, Lady Jane? Ich erschrecke Euch. Geht doch, fürchtet nichts. Ihr wißt, der Kerkermeister Äneas hat uns verraten. Fürchtet doch nichts, Kind, ich habe dir es schon gesagt, du hast nichts von mir zu fürchten. Was vor einem Monat dein Verderben war, ist heute dein Heil. Du liebst Fabiano. Nur du und ich hatten unter dem Himmel so ein Herz, du und ich liebten ihn. Wir sind Schwestern.
Jane Madame . . .
Königin Ja, ja! du und ich, zwei Weiber, das ist Alles, was er für sich hat; gegen sich – alles Übrige, eine ganze Stadt, ein ganzes Volk, eine ganze Welt! Ungleicher Kampf der Liebe gegen den Haß! Die Liebe für Fabiani ist traurig, zitternd, sinnlos; sie hat deine bleiche Stirne, sie hat meine Augen voll Tränen, sie verbirgt sich bei einem Totenaltar; sie betet durch deinen Mund, sie flucht durch den meinigen. Der Haß gegen Fabiani ist stolz, freudig, triumphierend, ist bewaffnet und siegreich, hat den Hof, hat das Volk, hat Straßen voll Menschenhaufen, brüllt nach Mord und jauchzt vor Freude, er ist stolz und gewaltig und allmächtig; er erleuchtet eine ganze Stadt um ein Schaffot. Die Liebe, hier ist sie, zwei Weiber in Trauer in einem Grabe; der Haß, da ist er! Sie reißt heftig das Tuch im Hintergrunde weg, so daß man einen Balkon erblickt und weiter hinaus in schwarzer Nacht die Stadt London glänzend erleuchtet. Was man vom Tower sieht, ist ebenfalls erleuchtet, Jane richtet ihre Augen erstaunt auf dieses blendende Schauspiel, dessen Widerschein die Bühne erhellt. O schändliche Stadt! rebellische Stadt! verfluchte Stadt! Ungeheuer, das sein Festkleid in Blut taucht und dem Henker die Fackel hält! Du entsetzest dich davor, Jane, nicht wahr? Ist es dir nicht wie mir, als ob sie uns feig höhnte und uns mit ihren hunderttausend glühenden Augensternen anstierte, uns schwache, verlassene Weiber, verloren und allein in diesem Grab? Jane, hörst du die entsetzliche Stadt, wie sie lacht und heult? O, England, England dem, der London vernichtet! O, wie möchte ich diese Fackeln in Brände, diese Lichter in Flammen und diese strahlende Stadt in einen Gluthaufen verwandeln können!
Ein ungeheures Getöse erhebt sich außen. Beifall.
Verwirrtes Geschrei Da ist er! da ist er! Tod dem Fabiani!
Man hört die große Glocke des Londoner Turms läuten; bei diesem Geräusch bricht die Königin in ein schreckliches Lachen aus.
Jane Großer Gott! jetzt geht der Elende hinaus. – Ihr lacht, Madame!
Königin Ja, ich lache! Sie lacht. Ja, und du mußt auch lachen! Aber zuvor muß ich diesen Vorhang schließen; es ist mir immer, als wären wir nicht allein und als hörte und sähe uns diese entsetzliche Stadt. Sie schließt den weißen Vorhang und kommt zu Jane zurück. Jetzt, da er hinaus, jetzt, da keine Gefahr mehr ist, kann ich dir es sagen. Aber lache doch; wir wollen über dieses abscheuliche Volk lachen, das Blut säuft. O, das ist entzückend! Jane! du zitterst für Fabiano; sei ruhig und lache mit mir. Jane! der Mann, den sie haben, der Mann, welcher sterben wird, der Mann, den sie für Fabiano halten, der ist nicht Fabiano. Sie lacht.
Jane Ist nicht Fabiano?
Königin Nein!
Jane Wer dann?
Königin Der Andere.
Jane Wer?
Königin Du weißt ja, du kennst ihn, dieser Arbeiter, dieser Mensch . . . – Übrigens was liegt daran?
Jane bebt am ganzen Leibe: Gilbert?
Königin Ja, Gilbert, das ist der Name.
Jane Madame! o nein, Madame! O, sagt, daß es nicht so ist, Madame! Gilbert – das wäre zu entsetzlich! Er ist entwischt.
Königin Er entwischte in der Tat, als man ihn ergriff. Man hat ihn statt Fabiani's unter den schwarzen Schleier gesteckt. Die Hinrichtung, sie ist Nachts, das Volk kann nichts sehen. Sei ruhig.
Jane mit einem entsetzlichen Schrei: Ah, Madame, Gilbert ist der, den ich liebe!
Königin Wie? Was sagst du? Kommst du um deine Sinne? Täuschtest du mich auch, du? Ah, diesen Gilbert liebst du! Nun denn, was liegt mir daran?
Jane gebrochen, zu den Füßen der Königin, schluchzend, sich auf den Knien schleppend, die Hände ringend. Die große Glocke läutet während dieser ganzen Szene: Madame, Erbarmen! Madame, im Namen des Himmels! Madame, bei Eurer Krone, bei Eurer Mutter, bei den Engeln! Gilbert! Gilbert! Das macht mich toll. Madame, rettet Gilbert! Dieser Mann ist mein Leben, dieser Mann ist mein Gemahl, dieser Mann . . . ich sage Euch, er hat Alles für mich getan, er hat mich erzogen, mich angenommen, er hat an meiner Wiege meinen Vater ersetzt, der für Eure Mutter gestorben ist. Madame, Ihr seht wohl, daß ich ein armes, elendes Geschöpf bin, und daß man nicht streng gegen mich sein darf. Was Ihr eben gesagt, war ein so schrecklicher Schlag, daß ich wahrhaftig nicht weiß, wie ich die Kraft habe, mit Euch zu reden. Seht, ich sage, was ich kann. Aber Ihr müßt die Hinrichtung aufschieben lassen. Sogleich die Hinrichtung aufschieben. Die Sache auf morgen verlegen. Zeit sich zu finden, das ist Alles. Dies Volk kann wohl bis morgen warten. Wir wollen sehen, was zu machen ist. Nein, schüttelt den Kopf nicht. Keine Gefahr für Euern Fabiani. Ihr könnt mich statt seiner nehmen. Unter dem schwarzen Schleier, die Nacht, – wer sollte was merken? Aber rettet Gilbert! Was macht Euch das, ich oder er? Endlich, ich will ja sterben, ich! – O mein Gott, diese Glocke, diese entsetzliche Glocke! Jeder dieser Glockenschläge ist ein Schritt zum Schaffot, jeder dieser Glockenschläge trifft mein Herz. – Tut das, Madame, habt Erbarmen! Keine Gefahr für Euren Fabiano. Laßt mich Eure Hände küssen. Ich liebe Euch, Madame, ich habe es Euch noch nicht gesagt; aber ich liebe Euch sehr. Ihr seid eine große Königin. Seht, wie ich Eure schönen Hände küsse. O, ein Befehl zum Aufschub der Hinrichtung! Es ist noch Zeit. Ich versichere Euch, es ist sehr leicht. Sie gehen langsam. Es ist weit vom Turm bis zum alten Markt. Der Mann auf dem Balkon hat gesagt, man würde durch Charing-Cross gehen. Es gibt einen nähern Weg. Ein Mann zu Pferde würde noch bei Zeit ankommen. Im Namen des Himmels, Madame, habt Erbarmen! Endlich, stellt Euch an meinen Platz, nehmt an, ich sei die Königin und Ihr das arme Mädchen, Ihr würdet weinen, wie ich, und ich würde barmherzig sein. Gnade, Madame! O! das fürchtete ich, die Tränen möchten mich am Reden hindern. O! sogleich die Hinrichtung aufschieben, das ist nicht schwer, Madame; keine Gefahr für Fabiano, ich schwöre es Euch! Findet Ihr denn wirklich nicht, daß man tun muß, was ich da sage, Madame?
Königin erweicht, indem sie Jane aufhebt: Ich möchte es, Unglückliche. Ach! du weinst ja, wie ich weinte; was du empfindest, ich habe es empfunden. Meine Qual läßt mich Mitleid mit der deinigen haben. Sieh', ich weine auch. Das ist sehr unglücklich, armes Kind! Ohne Zweifel, man hätte wohl einen Andern nehmen können, Tyrconnel zum Beispiel; aber er ist zu bekannt, man brauchte einen Unbekannten. Man hatte nur den da zur Hand. Ich erkläre dir das, damit du begreifst, siehst du. O, mein Gott! es gibt so Zufälle. Man ist gefangen. Man kann nichts dazu.
Jane Ja, ich verstehe Euch wohl, Madame. Das ist wie bei mir, ich hätte Euch noch Manches zu sagen; aber ich wollte, der Befehl zum Aufschub wäre unterschrieben, und der Mann fortgeschickt. Seht, die Sache ist dann abgetan. Wir sprechen besser darnach. O, diese Glocke! immer diese Glocke!
Königin Unmöglich, Lady Jane.
Jane Doch, es ist möglich. Ein Mann zu Pferde. Es gibt einen sehr kurzen Weg an dem Staden hin. Ich will gehen, ich. Es ist möglich. Es ist leicht. Ihr seht, ich spreche ganz ruhig.
Königin Aber das Volk würde es nicht leiden, es würde zurückkommen, Alles im Turme ermorden, und Fabiani ist noch da. Begreife denn doch. Du zitterst, armes Kind; ich bin wie du, ich zittere auch. Stelle dich einmal an meinen Platz. Endlich, ich hätte wohl nicht nötig, mir die Mühe zu nehmen, dir das zu erklären. Du siehst, ich tue, was ich kann. Denke nicht mehr an diesen Gilbert, Jane, das ist aus. Fasse dich!
Jane Aus! Nein, es ist nicht aus! So lange diese schreckliche Glocke läutet, ist es nicht aus! Mich fassen bei dem Tod von Gilbert! Glaubt Ihr, ich würde Gilbert so sterben lassen? Nein, Madame! Ha, ich verliere meine Mühe! Ha, Ihr hört mich nicht! Nun denn, das Volk wird mich hören, wenn die Königin mich nicht hört! Ha, sie sind gut die Leute vom Volk! Das Volk ist noch in diesem Hofe. Ihr mögt dann mit mir machen, was Ihr wollt. Ich werde ihnen zuschreien, daß man sie betrügt und daß es Gilbert ist, ein Arbeiter, wie sie, und daß es nicht Fabiani ist.
Königin Halt, elendes Kind! Sie ergreift sie am Arme und betrachtet sie mit einem furchtbaren Blick. Ha! du nimmst es so? Ha! ich bin gut und sanft und ich weine mit dir, und jetzt wirst du toll und rasend. Ha! meine Liebe ist so groß wie deine, und meine Hand ist stärker, als deine. Du rührst dich nicht! Ah, dein Geliebter! Was geht mich dein Geliebter an? Sollen denn alle Mädchen England's kommen und Rechenschaft von mir wegen ihrer Geliebten fordern? Bei Gott! ich rette den meinigen, so gut ich kann, und auf Unkosten dessen, der mir in den Weg kommt. Wacht ihr über die eurigen!
Jane Laßt mich! – O, ich fluche Euch, abscheuliches Weib!
Königin Still!
Jane Nein, ich will nicht schweigen. Und soll ich Euch auch einen Gedanken sagen, der mir eben kommt? Ich glaube nicht, daß der, welcher sterben wird, Gilbert ist.
Königin Was sagst du?
Jane Ich weiß nicht. Aber ich sah ihn unter dem schwarzen Schleier vorbeigehen. Es ist mir, als müßte sich etwas in mir geregt, sich etwas empört, sich etwas in meinem Herzen erhoben und mir zugerufen haben: »Gilbert! es ist Gilbert!« wenn es Gilbert gewesen wäre. Ich habe nichts gefühlt, es ist nicht Gilbert!
Königin Was sagst du da? Ah, mein Gott! du bist wahnwitzig; was du sagst, ist toll und doch erschreckt es mich. Ah! du regst eine der geheimsten Qualen meines Herzens auf. Warum hat mich dieser Aufstand verhindert, selbst über Alles zu wachen! Warum habe ich Anderen, als mir selbst, Fabiano's Rettung anvertraut? Äneas Dulverton ist ein Verräter. Simon Renard war vielleicht da. Wenn ich nicht zum zweiten Mal von den Feinden Fabiano's verraten worden bin! Wenn es in der Tat Fabiano wäre! . . . Jemand! he, Jemand! Jemand! Zwei Schließer treten auf. Zum ersten: Ihr lauft! Hier ist mein königlicher Ring. Sagt, daß man die Hinrichtung aufschiebe. Auf den alten Markt den alten Markt! Es gibt einen kürzeren Weg, sagtest du, Jane?
Jane An dem Staden hin.
Königin zum Schließer: An dem Staden hin. Ein Pferd! schnell!
Der Schließer ab.
Zum zweiten Schließer: Ihr lauft sogleich zu dem Turme von Eduard. Es sind dort zwei Kerker für die zum Tode Verdammten. In einem dieser Kerker ist ein Mann. Bringt ihn sogleich her.
Der Schließer ab.
Ach, ich zittere! meine Kniee brechen; ich hätte nicht Kraft genug, selbst zu gehen. Ach, du machst mich toll, wie du! Ach, elende Dirne, du machst mich unglücklich, wie du! Ich fluche dir, wie du mir fluchst. Mein Gott! wird der Mann noch bei Zeit ankommen? Welche entsetzliche Angst! Ich sehe nichts mehr. Alles ist wirr in meinem Geist. Diese Glocke, für wen tönt sie? Ist es für Gilbert? ist es für Fabiani?
Jane Die Glocke schweigt.
Königin Dann ist der Zug auf dem Richtplatz. Der Mann kann nicht mehr ankommen.
Man hört einen Kanonenschuß.
Jane Himmel!
Königin Er steigt auf das Schaffot.
Zweiter Kanonenschuß.
Er kniet nieder.
Jane Das ist entsetzlich!
Dritter Kanonenschuß.
Beide Ach! . . .
Königin Es lebt nur noch einer. In einem Augenblick wissen wir, welcher. Mein Gott! gib, daß es Fabiani ist, der hereintritt.
Jane Mein Gott! gib, daß es Gilbert ist.
Der Vorhang im Hintergrunde öffnet sich. Simon Renard tritt ein, Gilbert an der Hand.
Jane Gilbert! Sie fliegen einander in die Arme.
Königin Und Fabiano?
Königin Tot? . . . Tot! Wer wagte . . .?
Simon Renard Ich. Ich habe England und die Königin gerettet.