Henrik Ibsen
Die Kronprätendenten
Henrik Ibsen

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Dritter Akt

Ein Gemach im Bischofspalaste zu Oslo.

Rechts die Eingangstür. Im Hintergrunde führt eine kleine offenstehende Pforte zur Kapelle, die erhellt ist. Eine Tür mit einem Vorhange in der linken Seitenwand geht in des Bischofs Schlafzimmer. Vorn auf derselben Seite steht eine gepolsterte Ruhebank. Rechts gegenüber ein Schreibtisch mit Briefen, Dokumenten und einer brennenden Lampe.

Das Zimmer ist anfangs leer; hinter dem Vorhange links erschallt der Gesang von Mönchen. Bald darauf tritt von rechts Paul Flida im Reisegewand ein, bleibt in der Tür stehen, wartet, blickt sich um, und pocht dann dreimal mit seinem Stab auf die Diele.

Sira Viljam kommt von links heraus und ruft mit gedämpfter Stimme: Paul Flida! Gott sei gelobt – dann ist auch der Jarl nicht mehr weit.

Paul Flida. Die Schiffe sind schon auf der Höhe von Hovedö; ich fuhr voraus. Und wie steht's mit dem Bischof?

Sira Viljam. Er empfängt eben die letzte Ölung.

Paul Flida. Also ist hohe Gefahr?

Sira Viljam. Meister Sigard von Brabant hat gesagt, er könnte die Nacht nicht überleben.

Paul Flida. Dann, mein' ich, hat er uns zu spät zu sich beschieden.

Sira Viljam. Nein, nein, – er hat volles Bewußtsein und auch noch einige Kraft, – jeden Augenblick fragt er, ob der Jarl nicht bald kommt.

Paul Flida. Ihr nennt ihn noch Jarl; wißt Ihr nicht, daß der König ihm den Herzogsnamen verliehen hat?

Sira Viljam. Ja, gewiß, ja – es ist nur so eine alte Gewohnheit. Pst! Er und Paul Flida bekreuzigen und verneigen sich. Aus des Bischofs Kammer kommen zwei Chorknaben mit Lichtern, dann zwei andere mit Weihrauchfässern; darauf Priester, die Kelch, Tisch, ein Kruzifix und eine Kirchenfahne tragen; ihnen folgt ein Zug von Priestern und Mönchen; Chorknaben mit Lichtern und Weihrauchfässern beschließen die Prozession, die sich langsam zur Kapelle bewegt, deren Tür sich hinter ihnen schließt.

Paul Flida. Da hat nun der alte Herr mit dieser Welt abgeschlossen.

Sira Viljam. Ich darf ihm wohl sagen, daß Herzog Skule jeden Augenblick kommen kann?

Paul Flida. Er geht von der Brücke geraden. Wegs hierher nach dem Bischofshofe. Lebt wohl! Ab.

Mehrere Priester, darunter Peter, nebst Dienern des Bischofs treten zur Linken heraus mit Decken, Kissen und einem großen Kohlenbecken.

Sira Viljam. Was soll das?

Ein Priester macht die Bank in Ordnung. Der Bischof wünscht hier draußen zu liegen.

Sira Viljam. Aber ist das ratsam?

Der Priester. Meister Sigard meint, wir sollten ihm nur seinen Willen tun. Da ist er schon.

Bischof Nikolas erscheint, von Meister Sigard und einem Priester unterstützt. Er ist im Bischofsornat, doch ohne Mitra und Stab.

Bischof Nikolas Steckt mehr Lichter an! Er wird zu der Bank neben dem Kohlenbecken geleitet und in die Decken gehüllt. Viljam, jetzt hab' ich Vergebung erlangt für alle meine Sünden! Sie nahmen sie alle mit – mir ist jetzt so leicht.

Sira Viljam. Der Herzog hat Euch einen Boten gesandt, Herr, – er selbst ist schon diesseits Hovedö.

Bischof Nikolas. Das ist gut, sehr gut. Der König wird auch wohl bald hier sein. Ich war ein sündiger Hund all mein Lebtage, Viljam; ich habe mich schwer an dem König vergangen. Die Priester drinnen, die sagten, daß all meine Sünden mir vergeben sein sollen; – ja, das mag wohl sein; aber die haben gut versprechen; an ihnen hab' ich mich nicht vergangen. Nein, nein – es ist wohl das Sicherste, es aus des Königs eignem Munde zu hören. Heftig auffahrend. Licht, sag' ich! Es ist so dunkel hier.

Sira Viljam. Die Lichter sind ja schon –

Meister Sigard winkt ihm zu schweigen und nähert sich dem Bischof. Wie geht's Euch, Herr?

Bischof Nikolas. Nun, so so, – so so, meine Hände und Füße sind kalt.

Meister Sigard halblaut, indem er das Kohlenbecken näher rückt. Hm, – das ist der Anfang vom Ende.

Bischof Nikolas ängstlich zu Viljam. Ich habe gesagt, acht Mönche sollen heut Nacht in der Kapelle für mich singen und beten. Hab' ein Aug' auf sie; es sind faule Knechte drunter.

Sira Viljam deutet stumm auf die Kapelle, aus der Gesang ertönt, der während der folgenden Szene fortdauert.

Bischof Nikolas. So vieles noch ungetan, und all das verlassen zu müssen! So vieles ungetan, Viljam!

Sira Viljam. Herr, denkt an das Himmlische!

Bischof Nikolas. Ich habe noch Zeit vor mir; – bis zur Morgenstunde, meint Meister Sigard –

Sira Viljam. Herr, Herr!

Bischof Nikolas. Gebt mir Mitra und Stab! – Du hast gut reden, daß ich denken soll an – Ein Priester bringt das Verlangte. So, leg die Mütze dahin, sie ist mir zu schwer; gib mir den Stab in die Hand; so, jetzt bin ich gerüstet. Ein Bischof! – Jetzt kann mir der Böse nichts anhaben!

Sira Viljam. Wünscht Ihr sonst noch etwas?

Bischof Nikolas. Nein. Doch, – sage mir: – Peter, der Sohn von Andres Skjaldarband, – alle sprechen so gut von ihm –

Sira Viljam. Er ist gewiß eine schuldlose Seele.

Bischof Nikolas. Peter, Du sollst bei mir wachen, bis der König oder der Herzog kommt. Geht so lange hinaus, Ihr anderen, – aber seid bei der Hand! Alle, mit Ausnahme Peters, gehen rechts ab.

Bischof Nikolas nach einer kurzen Pause. Peter!

Peter nähert sich. Herr!

Bischof Nikolas. Hast Du nie alte Leute sterben sehen?

Peter. Nein.

Bischof Nikolas. Feig sind sie alle zusammen; das könnt' ich beschwören! Da auf dem Tisch liegt ein großer Brief mit Siegel; gib mir den! Peter bringt den Brief. Er ist an Deine Mutter.

Peter. An meine Mutter?

Bischof Nikolas. Du sollst damit nordwärts reisen nach Hålogaland. Ich hab' ihr über eine große und wichtige Sache geschrieben; es ist Botschaft von Deinem Vater gekommen.

Peter. Er kämpft als ein Streiter des Herrn im heiligen Lande. Fällt er dort, so fällt er auf geweihtem Boden; denn dort ist jeder Fußbreit Erde heilig. Ich flehe zu Gott für ihn in allen meinen Gebeten.

Bischof Nikolas. Ist Andres Skjaldarband Dir teuer?

Peter. Er ist ein ehrenwerter Mann; aber es lebt ein anderer Mann, mit dessen Größe meine Mutter mich sozusagen von der Wiege an genährt und auferzogen hat.

Bischof Nikolas hastig und mit Spannung. Ist's Herzog Skule?

Peter. Ja, der Herzog, – Skule Bårdsson. Meine Mutter hat ihn in jüngeren Tagen gekannt. Fürwahr, der Herzog muß der herrlichste Mann im Lande sein!

Bischof Nikolas. Da ist der Brief; mach' Dich sofort auf damit gen Norden! – Singen sie nicht da drinnen?

Peter. Ja, Herr!

Bischof Nikolas. Acht handfeste Burschen mit Kehlen wie Posaunen, – das wird doch wohl etwas helfen, denk' ich?

Peter. Herr, Herr, ich würde selber beten!

Bischof Nikolas. Es ist noch zu vieles ungetan, Peter. Das Leben ist gar zu kurz – und überdies wird der König mir wohl vergeben, wenn er kommt – Er zuckt vor Schmerz zusammen.

Peter. Ihr leidet gewiß sehr!

Bischof Nikolas. Ich leide nicht; aber es klingt mir vor den Ohren; es blitzt und funkelt mir vor den Augen –

Peter. Es sind die himmlischen Glocken, die Euch heimrufen – was da blitzt und funkelt, das sind die Altarkerzen, die Gottes Engel für Euch angezündet haben.

Bischof Nikolas. Ja, gewiß, gewiß – es hat keine Gefahr, wenn sie da drinnen nur wacker im Gebet aushalten –. Lebwohl, mach' Dich sofort auf den Weg mit dem Briefe!

Peter. Soll ich nicht erst –?

Bischof Nikolas. Nein, geh; ich fürchte mich nicht, allein zu sein.

Peter. Auf Wiedersehen denn dort oben, wenn die himmlischen Glocken einst auch mir läuten! Ab nach rechts.

Bischof Nikolas. Die himmlischen Glocken, – ja, das sagt sich so leicht, wenn man auf zwei flinken Beinen herumläuft. – So vieles ungetan! Aber dennoch wird manches nach meinem Tode fortwirken. Ich gelobte dem Herzog bei meiner Seele Seligkeit, ihm die Beichte des Pfarrers Trond zu geben, wenn sie in meine Hände käme; – gut, daß ich sie nicht bekommen habe. Hätte er Gewißheit, so würde er siegen oder fallen; dann würde einer von ihnen der mächtigste Mann, der je in Norwegen gelebt hätte. Nein, nein, – was ich nicht erreichen konnte, soll auch kein andrer erreichen. Die Ungewißheit ist das Beste; solange sie auf dem Herzog lastet, werden die beiden einander auf Tod und Leben befehden, wo sie nur können; Städte werden brennen, Dörfer verheert, – keiner von ihnen gewinnt durch des andern Verlust – – Entsetzt. Gnade, Erbarmen! Ich bin es ja, der die Schuld trägt – ich, der von Anbeginn den Anstoß zu der ganzen Sache gegeben hat! Sich beruhigend. Ja, ja, ja! aber jetzt kommt der König, – er ist's ja, den es am schwersten trifft, – er vergibt mir schon – man soll Gebete lesen und Messen; es hat keine Not; – ich bin ja Bischof, und ich habe nie einen mit eigener Hand getötet. – Gut ist's, daß Pfarrer Tronds Beichte nicht gekommen ist; die Heiligen sind mit mir, sie wollen mich nicht in Versuchung führen, mein Gelübde zu brechen. – Wer klopft an die Tür? Es muß der Herzog sein! Reibt sich vergnügt die Hände. Er wird mich quälen um Beweise für das Königsrecht, – und ich habe keine Beweise, die ich ihm geben kann!

Inga von Vartejg tritt ein; sie ist schwarz gekleidet, mit Mantel und Kapuze.

Bischof Nikolas schrickt zusammen. Wer ist das?

Inga. Ein Weib aus Vartejg in Borgasyssel, ehrwürdiger Herr.

Bischof Nikolas. Die Königsmutter!

Inga. So hieß ich einstmals.

Bischof Nikolas. Geht, geht! Ich riet Håkon nicht, sich von Euch zu trennen!

Inga. Was der König tut, das ist wohlgetan; nicht deshalb komme ich.

Bischof Nikolas. Weshalb denn?

Inga. Gunnulf, mein Bruder, ist von der Fahrt nach England heimgekehrt –

Bischof Nikolas. Von der Fahrt nach England –!

Inga. Er ist lange Jahre fortgewesen, wie Ihr wißt, und weit herumgekommen; jetzt hat er einen Brief heimgebracht –

Bischof Nikolas atemlos. Einen Brief –?

Inga. Vom Pfarrer Trond. Er ist für Euch, Herr. Sie überreicht ihn.

Bischof Nikolas. Ja so; – und Ihr bringt ihn?

Inga. Das ist Tronds Wunsch. Großen Dank schulde ich ihm von der Zeit, da er Håkon auferzog. Ich hab' erfahren, daß Ihr krank seid; deshalb machte ich mich gleich auf die Reise. Ich bin zu Fuß hieher gekommen –

Bischof Nikolas. Es hätte nicht so große Eile gehabt, Inga!

Dagfinn von rechts eintretend. Gottes Frieden, ehrwürdiger Herr!

Bischof Nikolas. Kommt der König?

Dagfinn. Er reitet eben die Ryenberge herab mit der Königin und dem Königskinde und großem Gefolge.

Inga auf Dagfinn zueilend. Der König, – der König! er kommt hieher?

Dagfinn. Inga! Ihr seid da, Ihr hartgeprüftes Weib?

Inga. Wer einen so herrlichen Sohn hat, der ist nicht hartgeprüft.

Dagfinn. Jetzt muß sein hartes Herz schmelzen.

Inga. Kein Wort zum König von mir! O, aber sehen muß ich ihn doch – sagt, – kommt er hieher?

Dagfinn. Ja, bald.

Inga. Und es ist dunkler Abend. Man wird dem Könige wohl mit Fackeln voranleuchten?

Dagfinn. Ja.

Inga. So will ich mich in einen Beischlag stellen, wo er vorüber muß – und dann heimwärts nach Vartejg! Aber zuerst nach Hallwards Kirche; da brennen Lichter diese Nacht; da will ich inbrünstig beten für den König, für meinen herrlichen Sohn.

Ab nach rechts.

Dagfinn. Ich hab' mich meines Auftrags entledigt; nun geh' ich dem König entgegen.

Bischof Nikolas. Grüßt ihn herzlichst, guter Dagfinn!

Dagfinn, indem er rechts abgeht. Ich möchte morgen nicht Bischof Nikolas sein.

Bischof Nikolas. Pfarrer Tronds Beichte –! Also ist sie doch gekommen – da halt' ich sie in meiner Hand. Er starrt grübelnd vor sich hin. Nie sollte man etwas bei seiner Seele Seligkeit geloben, wenn man so alt ist wie ich. Hätt' ich noch Jahre vor mir, so würd' ich mich schon um ein solches Gelübde herumzudrücken wissen; aber heut, am letzten Abend, – nein, das ist nicht ratsam. – Kann ich es denn halten? Heißt das nicht alles aufs Spiel setzen, wofür ich mein ganzes Leben lang gewirkt habe? Wispernd. O, könnt' ich den Bösen nur noch dies einzige Mal prellen! Lauscht. Was ist das? Ruft. Viljam! Viljam!

Sira Viljam tritt von rechts ein.

Bischof Nikolas. Was saust und heult da so furchtbar?

Sira Viljam. Das Unwetter ist's, das zunimmt.

Bischof Nikolas. Das Unwetter nimmt zu! – Ja, mein Gelübde, das werd' ich sicher halten! Das Unwetter, sagst Du –? Singen sie drinnen?

Sira Viljam. Ja, Herr.

Bischof Nikolas. Sag' ihnen, sie sollten sich alle Mühe geben; – Bruder Aslak besonders; er spricht immer so kurze Gebete; er knappt, wo er nur kann; er überschlägt, der Hund! Er stößt mit dem Bischofsstab auf die Diele. Geh hinein und sag' ihm, es wäre die letzte Nacht, die ich noch habe; er solle sich Mühe geben, sonst käm' ich zu ihm als Gespenst!

Sira Viljam. Herr, soll ich nicht Meister Sigard holen?

Bischof Nikolas. Geh hinein, sag' ich! Viljam ab in die Kapelle. Es muß gewißlich des Himmels Wille sein, daß ich den König und den Herzog versöhnen soll, da er mir den Brief des Pfarrers Trond jetzt sendet. Ein hartes Stück, Nikolas; mit einem einzigen Ruck alles niederzureißen, was aufzubauen Du Dein ganzes Leben gebraucht hast. Aber es bleibt keine Wahl; den Willen des Himmels muß ich diesmal erfüllen – Könnt' ich nur noch lesen, was in dem Brief steht. Aber ich kann kein Wort mehr sehen! Nebel flattern vor meinen Augen, es flammt und flirrt –; und von keinem andern darf ich es mir vorlesen lassen! So etwas zu geloben –! Ist der Witz des Menschen denn so jämmerlich, daß er über das zweite und dritte Glied seiner eigenen Tat keine Gewalt mehr hat? Ich sprach so lange und so eindringlich zu Vegard Väradal, um den König zu veranlassen, Inga wegzuschicken, bis es schließlich geschah. Die Tat war klug im ersten Gliede; aber hätt' ich nicht diesen Rat gegeben, so wäre Inga jetzt nicht in Vartejg gewesen, der Brief wäre nicht früh genug in meine Hände gelangt, und ich hätte kein Gelübde zu halten gehabt, – also unklug im zweiten Gliede. Hätte ich wenigstens Zeit vor mir; aber nur diese eine Nacht noch, und kaum die ganz! Ich muß, ich will länger leben! Er stößt mit dem Stabe auf; ein Priester tritt von rechts ein. Meister Sigard soll kommen! Der Priester geht; der Bischof zerknittert den Brief in den Händen. Hier, hinter diesem dünnen Siegel liegt Norwegens Geschichte für hundert Jahre! Sie liegt und träumt, wie das Vogeljunge im Ei! O, wer jetzt mehr als Eine Seele hätte, – oder auch keine! Er drückt den Brief wild an seine Brust. O, wäre das Ende nicht so jäh über mir, – und das Gericht und die Strafe, – ich wollte dich ausbrüten zu einem Geier, der grausige Schatten über das ganze Land werfen und seine scharfen Krallen in alle Herzen bohren sollte! Zuckt zusammen. Aber die letzte Stunde ist nah! Aufkreischend. Nein, nein, – du sollst ein Schwan werden, ein weißer Schwan! Wirft den Brief zur Erde und ruft: Meister Sigard, Meister Sigard!

Meister Sigard von rechts. Wie geht's, ehrwürdiger Herr?

Bischof Nikolas. Meister Sigard, – verkauft mir drei Tage Leben!

Meister Sigard. Ich hab' Euch gesagt –

Bischof Nikolas. Ja, ja; aber das war nicht Euer Ernst; es war eine kleine Strafe. Ich bin ein grilliger Herr gewesen gegen Euch; deshalb wolltet Ihr mir bange machen. Pfui, das war nicht hübsch, – nein, nein, es war wohlverdient! Aber seid jetzt gut und gescheit! Ich werde Euch gut bezahlen; – drei Tage Leben, Meister Sigard, nur drei Tage Leben!

Meister Sigard. Und wenn ich selbst in gleicher Stunde scheiden sollte, wie Ihr, so könnte ich doch keine drei Tage zulegen.

Bischof Nikolas. Einen Tag denn; nur einen Tag! Laßt es hell werden, laßt die Sonne scheinen, wenn ich von hinnen fahren muß! Hört, Sigard! Er winkt ihn zu sich heran und zieht ihn auf die Ruhebank nieder. Ich habe fast all mein Gold und Silber der Kirche vermacht, damit große Messen hinterher gelesen werden. Ich will's widerrufen. Ihr sollt alles zusammen haben! Na, Sigard, wollen wir die da drin foppen ? Hä, hä, hä! Ihr werdet reich, Sigard, und geht aus dem Lande; ich erhalte Frist und kann meine Sachen ein bischen ordnen und brauche weniger Gebete. Na, Sigard, wollen wir –? Sigard fühlt ihm den Puls; der Bischof schreit angstvoll: Nun, warum antwortet Ihr nicht?

Meister Sigard steht auf. Ich habe keine Zeit, Herr. Ich will Euch einen Trank brauen, der Euch den letzten Augenblick etwas erleichtern soll.

Bischof Nikolas. Nein, wartet damit! Wartet – und antwortet mir!

Meister Sigard. Ich hab' keine Zeit; der Trank muß binnen einer Stunde fertig sein. Ab nach rechts.

Bischof Nikolas. Binnen einer Stunde! Er schlägt wild mit dem Stabe auf. Viljam! Viljam!

Sira Viljam kommt aus der Kapelle.

Bischof Nikolas. Nimm da drin mehr zu Hilfe! Die acht reichen nicht!

Sira Viljam. Herr –?

Bischof Nikolas. Mehr zu Hilfe, sag' ich! Der Bruder Kolbejn hat fünf Wochen krank gelegen, – er kann nicht viel gesündigt haben während dieser Zeit –

Sira Viljam. Er ist gestern zur Beichte gewesen.

Bischof Nikolas eifrig. Ja, der muß gut sein – nimm ihn! Viljam geht wieder in die Kapelle. Binnen einer Stunde! Wischt sich den Schweiß von der Stirn. Puh, wie warm das hier ist! – Der elende Hund, – was nützt all seine Gelehrsamkeit, wenn er nicht eine Stunde zulegen kann. Da sitzt er Tag für Tag in seiner Stube und fügt künstliche Räder und Gewichte und Hebel zusammen; er will ein Werk schaffen, das gehen, gehen und nie stille stehen soll, – perpetuum mobile nennt er's. Weshalb setzt er nicht lieber seine Kunst und seinen Witz daran, den Menschen zu solch einem perpetuum mobile zu machen –? Er hält inne und sinnt nach; es blitzt in seinen Augen. Perpetuum mobile, – ich bin nicht fest im Latein, – aber das bedeutet etwas, was die Fähigkeit hat, ewig zu wirken, durch alle Zeiten hindurch. Könnt' ich wohl selber gar –? Das wär' eine Tat, damit zu enden! Das hieße: seine größte Tat in seiner letzten Stunde tun! Räder und Gewichte und Hebel in der Seele des Königs und des Herzogs in Gang setzen; sie derart in Gang setzen, daß keine Macht der Erden sie zu hemmen vermag; – kann ich das, so leb' ich ja fort, lebe fort in meinem Werk, – und vielleicht läuft das, was man Unsterblichkeit nennt, darauf hinaus. – Tröstliche, erquickende Gedanken, wie wohl tut ihr dem alten Manne! Er atmet auf und streckt sich behaglich auf die Ruhebank. Diabolus hat mir heut abend schlimm mitgespielt. Das kommt davon, wenn man müßig liegt; otium est pulvis – pulveris – na, Latein hin, Latein her, – Diabolus soll keine Macht mehr über mich bekommen; ich will bis zum letzten Augenblicke tätig sein; ich will – Wie sie da drin blöken –! Er stößt mit dem Stabe auf; Sira Viljam tritt ein. Sag' ihnen, sie sollen schweigen; sie stören mich. Der König und der Herzog kommen bald, – ich habe große Dinge zu bedenken.

Sira Viljam. Herr, soll ich also –?

Bischof Nikolas. Ihnen gebieten, einstweilen aufzuhören, damit ich in Ruhe denken kann, Sieh da, heb den Brief auf, der dort am Boden liegt. – Gut, gib mir auch die Papiere her –

Sira Viljam tritt an den Schreibtisch. Welche, Herr?

Bischof Nikolas. Einerlei – die mit dem Siegel; die, die zu oberst liegen. – So; jetzt geh hinein und heiß sie still sein. Viljam geht. – Sterben, und doch regieren in Norwegen! Sterben, und es so fügen, daß kein Mann sich um Kopfeslänge über alle andern erheben kann! Tausend Wege könnten zu diesem Ziel führen; aber nur einer kann taugen; – den gilt's zu finden, – den gilt's einzuschlagen. – Ha! der Weg liegt ja so nah, so nah! Ja, so soll es sein. Ich halte das Gelübde; der Herzog soll den Brief haben; – aber der König – hm, dem will ich den Stachel des Zweifels ins Herz senken. Håkon ist ehrlich, wie man das nennt; mit dem Glauben an sich selbst und an sein Recht wird viel in ihm zu nichte. Beide sollen zweifeln und glauben, auf und nieder schwanken, niemals festen Grund unter den Fuß bekommen, – perpetuum mobile! – Aber wird Håkon meiner Aussage Glauben schenken? Er wird es; ich bin ja ein sterbender Mann; ich werde ihn zuvor mit Wahrheit füttern. – Die Kräfte versagen, aber die Seele wird munter; – ich bin nicht mehr auf dem Siechenlager, ich sitze in meiner Arbeitsstube, ich will arbeiten die letzte Nacht, arbeiten – bis das Licht erlischt –

Herzog Skule tritt von rechts ein und geht auf den Bischof zu. Frieden und Gruß, ehrwürdiger Herr! Ich höre, es steht schlecht um Euch.

Bischof Nikolas. Ich bin eine knospende Leiche, lieber Herzog; heute nacht spring' ich auf; morgen wird man merken, wie ich dufte.

Herzog Skule. Schon heut nacht, sagt Ihr?

Bischof Nikolas. Meister Sigard sagt: in einer Stunde.

Herzog Skule. Und der Brief des Pfarrers Trond –?

Bischof Nikolas. Denkt Ihr noch an den?

Herzog Skule. Er kommt mir nicht aus dem Sinn.

Bischof Nikolas. Der König hat Euch zum Herzog gemacht; keiner hat vor Euch den Herzogsnamen getragen in Norwegen.

Herzog Skule. Genügt nicht. Ist Håkon der unrechte, so muß ich alles haben!

Bischof Nikolas. Hu, es ist kalt hier drinnen; mich friert's in allen Gliedern.

Herzog Skule. Pfarrer Tronds Brief, Herr! Bei Gott dem Allmächtigen, – habt Ihr ihn?

Bischof Nikolas. Ich weiß wenigstens, wo er zu finden ist.

Herzog Skule. So sagt es, sagt es!

Bischof Nikolas. Wartet –

Herzog Skule. Nein, nein, – nutzt die Zeit; ich seh', es geht rasch mit Euch zu Ende, – und der König kommt ja her, hat man mir gesagt.

Bischof Nikolas. Ja, der König kommt; daraus seht Ihr am besten, daß ich für Eure Sache sorge, selbst jetzt noch.

Herzog Skule. Was ist Eure Absicht?

Bischof Nikolas. Erinnert Ihr Euch, – bei der Hochzeit des Königs, da sagtet Ihr, das, was Håkon stark machte, wäre sein unerschütterlicher Glaube an sich selbst.

Herzog Skule. Nun?

Bischof Nikolas. Wenn ich beichte und den Zweifel in ihm wecke, so fällt der Glaube, und mit ihm die Stärke.

Herzog Skule. Herr, das ist sündhaft, sündhaft, falls er der rechte ist!

Bischof Nikolas. Es wird in Eurer Macht stehen, ihm den Glauben wieder zu geben. Denn eh' ich von hinnen gehe, werd' ich Euch sagen, wo Pfarrer Tronds Brief zu finden ist.

Sira Viljam von rechts. Eben kommt der König mit Fackeln und Gefolge die Straße herab.

Bischof Nikolas. Willkommen soll er sein. Viljam ab. Herzog, ich bitt' Euch um einen letzten Dienst. Seid mir ein Verfolger aller meiner Widersacher. Er zieht einen Brief hervor. Da hab' ich sie aufgeschrieben. Die, so zu oberst stehen, hätt' ich gerne gehenkt, wenn sich's machen ließe.

Herzog Skule. Denkt jetzt nicht an Rache; Ihr habt nicht lange mehr –

Bischof Nikolas. Nicht an Rache, sondern an Strafe. Gelobt mir, das Schwert der Strafe über all meine Feinde zu schwingen, wenn ich tot bin. Sie sind Eure Gegner so gut wie die meinen; wenn Ihr König werdet, müßt Ihr sie züchtigen – gelobt Ihr mir das?

Herzog Skule. Ich gelobe und schwöre; – aber Pfarrer Tronds Brief –!

Bischof Nikolas. Ihr sollt wissen, wo er ist; – aber, seht – der König kommt; – verbergt die Liste unserer Feinde!

Der Herzog steckt das Papier ein; im selben Augenblick erscheint Håkon von rechts.

Bischof Nikolas. Willkommen zum Leichentrunk, Herr König!

Håkon. Ein scharfer Gegner wart Ihr uns zu allen Zeiten; aber das soll jetzt vergessen und vergeben sein – der Tod löscht selbst die größte Rechnung aus.

Bischof Nikolas. Das erleichtert! O, wie wunderbar groß ist die Milde des Königs! Herr, was Ihr heut abend an einem alten Sünder getan habt, das soll zehnfach –

Håkon. Laßt gut sein; aber ich muß Euch sagen, daß ich höchlich erstaunt bin. Ihr ladet mich hieher, um meine Verzeihung zu empfangen, und dann bereitet Ihr mir eine solche Begegnung.

Bischof Nikolas. Begegnung, Herr?

Herzog Skule. Ich bin's, auf den der König anspielt. Wollt Ihr, Herr Bischof, König Håkon bei meiner Treu' und Ehre versichern, daß ich nichts von seinem Kommen gewußt habe, eh' ich meinen Fuß auf die Brücke von Oslo setzte?

Bischof Nikolas. Ach, ach; alle Schuld ruht auf mir! Ich bin ein kränkelnder, bettlägeriger Mann das ganze letzte Jahr gewesen; ich habe mich wenig oder gar nicht um die Angelegenheiten des Landes gekümmert; ich habe geglaubt, alles wäre jetzt in schönster Ordnung zwischen den hohen Verwandten!

Håkon. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Freundschaft zwischen dem Herzog und mir am besten gedeiht, wenn wir einander fern bleiben; drum lebt wohl, Bischof Nikolas, und Gott sei mit Euch dorten, wohin Ihr jetzt gehet. Er will sich entfernen.

Herzog Skule leise und unruhig. Bischof, Bischof; er geht!

Bischof Nikolas plötzlich und mit Leidenschaft. Bleibt, König Håkon!

Håkon stutzt. Nun?

Bischof Nikolas. Ihr sollt diese Stube nicht verlassen, bis der alte Bischof Nikolas sein letztes Wort gesprochen hat!

Håkon legt unwillkürlich die Hand ans Schwert. Seid Ihr vielleicht mit Heeresmacht nach Vike gekommen, Herzog ?

Herzog Skule. Ich habe nicht teil an all dem.

Bischof Nikolas. Mit der Macht des Wortes allein werde ich Euch zu halten wissen. Wo ein Begräbnis im Hause ist, da ist ja der Tote die Hauptperson; er kann tun und lassen, was er will, – soweit seine Kräfte reichen. Deshalb will ich jetzt meine eigene Grabrede halten; in früherer Zeit fürchtete ich immer, daß König Sverre sie mir halten würde –

Håkon. Sprecht nicht so wüst, Herr!

Herzog Skule. Ihr schmälert die kostbare Zeit, die Ihr noch habt!

Håkon. Euer Aug' ist schon trübe!

Bischof Nikolas. Ja, mein Blick ist trübe; ich vermag kaum Euch zu sehen, die Ihr vor mir steht; aber in meinem Innern zieht mein Leben mit lichter Klarheit an mir vorüber. Da hab' ich Gesichte – höret und wisset, König! – Mein Geschlecht war das mächtigste im Lande; viele große Häuptlinge gingen aus ihm hervor; ich wollte der größte von ihnen allen sein. Ich war fast noch ein Knabe, als es mich schon nach Großtaten dürstete; ich glaubte, unmöglich warten zu können, bis ich erwachsen wäre; – da erstanden Könige mit geringerem Recht als ich, – Magnus Erlingsson, der Priester Sverre –; ich wollte auch König werden; aber Kriegshauptmann erst, – das war notwendig. Die Schlacht auf den Ilewällen sollte geschlagen werden; es war das erste Mal, daß ich mit war. Die Sonne stieg empor, und von tausend blanken Waffen gab's einen blitzenden Widerschein. Magnus und all seine Mannen rückten vor wie zum Spiele; mir allein war es beklommen ums Herz. Kühn drang unsere Schar vorwärts; aber ich konnte den Sieg nicht mit erfechten, – ich war feig! Alle anderen Häuptlinge des Königs Magnus stritten mannhaft, und manch Streiter fiel, ich aber floh über den Felsenhang, ich lief und lief und blieb nicht eher stehen, als bis ich wieder weit draußen am Fjord war. Mancher Mann mußte an jenem Abend seine blutigen Kleider im Fjord von Tronthjem waschen; – auch meine mußt' ich rein waschen, aber nicht von Blut. Ja, König, ich war feig; zum Häuptling geboren – und feig! Das traf mich wie ein Blitzstrahl; ich war von Stund an jedem Manne feind; ich betete heimlich in den Kirchen, ich weinte und kniete vor den Altären, ich gab reiche Geschenke, tat heilige Gelübde; ich versuchte und probierte mein Herz in einer Schlacht nach der andern, bei Saltösund, auf den Jonswällen in jenem Sommer, als die Bagler in Bergen lagen, – alles umsonst! Sverre war's, der es zuerst bemerkte; er erzählte es laut und mit Spott, und von dem Tag an lachte ein jeder im Heere, wenn Nikolas Arnesson in Kriegskleidern einherging. – Feig, feig –, und doch wollt' ich Häuptling sein, wollte König sein, fühlte mich in allem andern zum König geschaffen, hätte Gottes Reich auf Erden fördern können – aber die Heiligen selbst waren es, die mir den Schlagbaum schlossen.

Håkon. Klagt nicht den Himmel an, Bischof! Ihr habt viel gehaßt!

Bischof Nikolas. Ja, ich habe viel gehaßt – jedes Haupt in diesem Lande gehaßt, das sich über die Menge erhob. Aber ich haßte, weil ich nicht lieben konnte. Holde Frauen, – o, ich könnte sie noch jetzt mit glühenden Augen verschlingen! Ich zähle achtzig Jahr, und noch immer lechze ich danach, Männer zu erschlagen und Weiber zu umfahn; – aber es erging mir auch hier, wie in der Schlacht; nur Wille und Begier, entmannt von Geburt an; – heißes Lustverlangen – und doch ein Krüppel! So wurde ich denn Priester; König oder Priester muß der Mann sein, der über alle Macht gebieten will. Lacht. Ich Priester! Ich ein Mann der Kirche! Ja, für eine kirchliche Handlung hatte der Himmel mich besonders geschaffen, – dafür, die hohen Diskanttöne anzugeben, – mit Weiberstimme bei hohen Kirchenfesten zu singen. Und doch begehren die da oben von mir, – dem Halbmann, – was sie das Recht haben von jedem zu begehren, der die volle Kraft für sein Lebenswerk empfangen hat! Es hat Zeiten gegeben, da ein solcher Anspruch mir billig erschien; ich habe hier auf dem Krankenbette gelegen voll grausiger Angst vor Strafe und Gericht! Nun ist das vorüber; ich fühle wieder Mark in den Knochen der Seele! Ich habe nichts verbrochen; an mir wurde das Unrecht verübt; ich bin der Kläger!

Herzog Skule mit gedämpfter Stimme. Herr – den Brief! Ihr habt nicht viel Zeit mehr!

Håkon. Denkt an Euer Seelenheil und demütigt Euch!

Bischof Nikolas. Eines Mannes Tat ist seine Seele, und meine Tat soll auf Erden fortleben. Aber Ihr, König Håkon, Ihr solltet Euch hüten; denn wie der Himmel mir entgegen war und Schaden erntete als Lohn, so seid Ihr dem Manne entgegen, der das Glück des Landes in seiner Hand hält –

Håkon. Ha – Herzog, Herzog! Jetzt versteh' ich die Begegnung hier!

Herzog Skule heftig zum Bischof. Kein Wort mehr von dergleichen!

Bischof Nikolas u Håkon. Er wird wider Euch sein, solange sein Haupt fest auf den Schultern sitzt. Teilt mit ihm! Ich finde nicht Frieden im Sarge, ich kehre wieder, wenn Ihr beide nicht miteinander teilt! Keiner von Euch soll des andern Höhe seinem eigenen Wuchse zulegen; es gäbe einen Hünen hier im Lande, wenn das geschähe, und es soll hier keinen Hünen geben; denn ich war nie ein Hüne! Er sinkt matt auf die Ruhebank zurück.

Herzog Skule wirft sich neben der Bank aufs Knie und ruft Håkon zu: Schafft Hilfe! Um Gottes Barmherzigkeit willen, der Bischof darf noch nicht sterben!

Bischof Nikolas. Wie es düster wird und düstrer vor meinen Augen! – König, zum letzten Mal, – wollt Ihr mit dem Herzog teilen?

Håkon. Kein Scherflein schenke ich weg von dem, was mir Gott gegeben hat!

Bischof Nikolas. Gut denn, gut! Leise. Den Glauben soll er auf jeden Fall verlieren. Er ruft. Viljam!

Herzog Skule flüsternd. Den Brief! den Brief!

Bischof Nikolas ohne auf ihn zu hören. Viljam! Viljam tritt ein; der Bischof zieht ihn dicht zu sich heran und flüstert. Als ich die letzte Ölung empfing, da wurden mir doch alle Sünden vergeben!

Sira Viljam. Alle Sünden, von Eurer Geburt an bis zu dem Augenblicke, da Ihr die Ölung empfingt.

Bischof Nikolas. Nicht länger? Nicht ganz bis in meinem Tod?

Sira Viljam. Herr, Ihr sündigt nicht diese Nacht.

Bischof Nikolas. Hm, man kann nicht wissen –; nimm den Goldbecher, den ich vom Bischof Absalon erbte, – gib ihn der Kirche, – und laß noch sieben große Kirchengebete für mich lesen.

Sira Viljam. Herr, Gott wird Euch gnädig sein!

Bischof Nikolas. Noch sieben Gebete, sag' ich – für das, was ich heut nacht sündige! Geh, geh! Viljam ab; der Bischof wendet sich zu Skule. Herzog, wenn Ihr einmal Pfarrer Tronds Brief lest, und es sich vielleicht erweisen sollte, daß Håkon der rechte ist, – was werdet Ihr dann tun?

Herzog Skule. In Gottes Namen, – dann soll er auch König sein.

Bischof Nikolas. Überlegt's Euch – es gilt hier viel. Prüft jede Falte Eures Herzens; antwortet, als ob Ihr vor Eurem Richter stündet. Was wollt Ihr tun, wenn er der rechte ist? '

Herzog Skule. Mich beugen und ihm dienen.

Bischof Nikolas vor sich hinmurmelnd. Ja, ja, – so trage denn die Folgen! u Skule. Herzog, ich bin schwach und müde; es überkommt mich so milde und versöhnlich –

Herzog Skule. Das ist der Tod! Pfarrer Tronds Brief! Wo ist er?

Bischof Nikolas. Erst etwas anderes – ich gab Euch die Liste meiner Feinde –

Herzog Skule ungeduldig. Ja, ja; ich werde an ihnen Rache nehmen für alles –

Bischof Nikolas. Nein, gar mild ist nun mein Sinn; ich will ihnen vergeben, wie geschrieben steht. Gleichwie Ihr der Macht entsagt, so will ich der Rache entsagen. Verbrennt die Liste!

Herzog Skule. Gut, gut – wie Ihr wollt!

Bischof Nikolas. Hier im Kohlenbecken, daß ich's sehen kann –

Herzog Skule wirft das Papier ins Feuer. So, – da brennt sie! Und nun redet, redet! Es gilt das Leben Tausender, wenn Ihr jetzt nicht redet!

Bischof Nikolas mit funkelnden Augen. Das Leben Tausender! Schreit auf. Licht! Luft!

Håkon eilt zur Tür und ruft: Zu Hilfe! Der Bischof stirbt!

Sira Viljam und mehrere Diener des Bischofs kommen herein.

Herzog Skule schüttelt den Arm des Bischofs. Norwegens Glück für Jahrhunderte – seine Größe vielleicht für ewige Zeiten!

Bischof Nikolas. Ewige Zeiten! Triumphierend. Perpetuum mobile!

Herzog Skule. Bei Eurer Seele Seligkeit, – wo ist Pfarrers Tronds Brief?

Bischof Nikolas rufend. Noch sieben Gebete, Viljam!

Herzog Skule außer sich. Der Brief! der Brief!

Bischof Nikolas lächelt im Todeskampfe. Den habt Ihr eben verbrannt, guter Herzog. Er sinkt auf die Bank zurück und stirbt.

Herzog Skule stößt unwillkürlich einen Schrei aus, indem er zurücktaumelt und das Gesicht mit den Händen bedeckt. Gott, Du Allmächtiger!

Die Mönche in wilder Flucht aus der Kapelle. Rette sich, wer kann!

Einzelne Stimmen. Alles Böse ist heut nacht entfesselt!

Andere. Es lachte laut in der Ecke! – Es schrie: »Wir haben ihn!« – Alle Lichter erloschen!

Håkon. Eben starb Bischof Nikolas.

Die Mönche rechts hinausflüchtend. Pater noster, – Pater noster!

Håkon nähert sich Skule und spricht leise. Herzog, ich will nicht forschen, was für heimliche Pläne Ihr mit dem Bischof geschmiedet habt, eh' er starb; – aber von morgen an müßt Ihr Eure Macht und Würde in meine Hände zurückgeben; jetzt seh' ich deutlich, – wir beide können nicht denselben Weg zusammen gehen.

Herzog Skule blickt ihn wie geistesabwesend an. Denselben Weg zusammen gehen –?

Håkon. Morgen halt' ich Thing im Königsschloß; dort muß alles zwischen uns ins Reine kommen. Ab nach rechts.

Herzog Skule. Der Bischof tot und der Brief verbrannt! Ein Leben voller Zweifel und Kampf und Grauen! O, könnt' ich beten! – Nein, – handeln muß ich. Heut abend noch muß der entscheidende Schritt geschehen! Zu Viljam. Wohin ging der König?

Sira Viljam erschrocken. Christ steh' mir bei, – was wollt Ihr von ihm?

Herzog Skule. Glaubt Ihr vielleicht, ich will ihn morden in dieser Nacht? Rechts ab.

Sira Viljam sieht ihm kopfschüttelnd nach, während Diener die Leiche links hinaustragen. Noch sieben Gebete, sagte der Bischof – ich denke, das sicherste ist, wir lesen vierzehn. Folgt den übrigen.

 

Eine Stube im Königsschloß.

Im Hintergrund ist die Eingangstür; kleinere Türen an den beiden Seitenwänden; vorn an der rechten Seite ein Fenster. An der Decke hängt eine brennende Lampe. Dicht neben der Tür zur Linken steht eine Bank, weiter zurück eine Wiege, worin das Königskind schläft; Margrete kniet neben dem Kinde.

Margrete wiegt und singt.
Nun schweben Dach und Decke
Zum Sternendom hinauf;
Nun schwingt der kleine Håkon
Ins Träumereich sich auf.

Es raget eine Leiter
Von Erden himmelan;
Die steigt der kleine Håkon
Mit Engeln nun hinan.

Das Wiegenkindlein hüten
Die Engel Gottes sacht;
Gott schütz' Dich, kleiner Håkon, –
Auch Deine Mutter wacht.

Kurze Pause. Herzog Skule tritt ein durch die Mitte.

Margrete springt mit einem Freudenschrei auf und eilt ihm entgegen. Mein Vater! – O, wie hab' ich geseufzt und mich gesehnt nach dieser Begegnung!

Herzog Skule. Gottes Frieden mit Dir, Margrete! Wo ist der König?

Margrete. Beim Bischof Nikolas.

Herzog Skule. Hm, – ja, dann muß er bald hier sein.

Margrete. Und Ihr wollt miteinander reden und Euch vergleichen, – wieder Freunde werden, wie in alten Tagen?

Herzog Skule. Das wollt' ich gern.

Margrete. Håkon will es auch gern; und ich bete jeden Tag zu Gott, daß es geschehen möge. O, aber komm her und sieh –

Sie ergreift seine Hand und führt ihn an die Wiege.

Herzog Skule. Dein Kind?

Margrete. Ja, das liebe Kind ist mein; – ist das nicht wunderbar ? Er heißt Håkon, wie der König! Sieh nur, seine Augen – nein, Du kannst sie jetzt nicht sehen, – er schläft; – aber er hat große blaue Augen; und er kann auch lachen und die Hände ausstrecken und nach mir haschen, – und er kennt mich schon! Sie legt die Wiegendecken sorgfältig zurecht.

Herzog Skule. Håkon bekommt Söhne, weissagte der Bischof.

Margrete. Dies Kindlein ist mir tausendmal lieber als Land und Reich, – und auch Håkon geht es so. – Nein, mir ist, als könnt' ich immer noch nicht recht an das Glück glauben; ich habe die Wiege vor meinem Bette stehen; jede Nacht, wenn ich aufwache, seh' ich nach, ob sie noch da ist, – ich fürchte schier, es möchte ein Traum sein –

Herzog Skule lauscht und tritt ans Fenster. Ist das nicht der König –?

Margrete. Ja, er geht die andere Treppe hinauf; ich will ihn holen. Sie ergreift die Hand des Vaters und führt ihn scherzend wieder zur Wiege. Herzog Skule! Stellt unterdessen Wache beim Königskinde, – ja, denn er ist auch ein Königskind – das vergess' ich immer wieder! Und wenn er erwacht, so verneige Dich tief und grüss' ihn, wie man Könige grüßen soll! Jetzt hol' ich Håkon. O Gott, Gott! so soll nun endlich Freude und Frieden dem Geschlecht beschieden sein! Ab nach rechts.

Herzog Skule nach kurzem und düsterem Schweigen. Håkon hat einen Sohn. Sein Geschlecht wird fortleben nach ihm. Stirbt er, so ist ein Anwärter da, der dem Throne näher steht als alle anderen. Alles glückt Håkon. Vielleicht ist er der unrechte; aber sein Glaube an sich selbst steht fest nach wie vor; der Bischof wollte ihn erschüttern, aber der Tod ließ ihm keine Zeit, Gott gab es nicht zu. Gott schirmt Håkon, – er ließ ihm den Stärkegürtel. Es ihm jetzt sagen? Jetzt schwören auf des Bischofs Aussage? Was würd', es nützen? Keiner würde mir glauben, nicht Håkon, nicht die andern. Dem Bischof hätte er in der Sterbestunde geglaubt; der Zweifel hätte ihn vergiftet; aber es sollte nicht sein. Und so unerschütterlich wie die Zuversicht bei Håkon ist, so unerschütterlich ist bei mir der Zweifel. Welcher Mensch auf Erden vermöchte ihn auszujäten? Keiner, keiner. Die Eisenprobe ward bestanden, Gott hat gesprochen, und dennoch kann Håkon der unrechte sein, während ich mein Leben verspiele. Er setzt sich finster brütend an einen Tisch zur Rechten. Und wenn ich nun Land und Reich gewänne, würde dann nicht der Zweifel dennoch dableiben und nagen und bohren und mich aushöhlen mit seinen ewigen Eistropfen? – Ja, ja; aber es ist besser, auf dem Königssitze oben zu sitzen und an sich selbst zu zweifeln, als unten in der Menge zu stehen und an dem zu zweifeln, der oben sitzt. – Es muß ein Ende haben zwischen mir und Håkon – Ein Ende? Aber wie? Steht auf. Du Allmächtiger, der das über mich verhängt hat, Du mußt die Schuld auf Dich nehmen für das, was daraus folgt! Er geht auf und ab, bleibt stehen und sinnt. Es gilt alle Brücken abzubrechen, nur eine zu behalten und da zu siegen oder zu fallen, – sagte der Bischof auf der Königshochzeit in Bergen, das ist nun an die drei Jahre her, und in all der Zeit hab' ich meine Kräfte vergeudet und zersplittert, indem ich alle Brücken verteidigte. – Rasch. Jetzt muß ich dem Rat des Bischofs folgen; jetzt oder nie! Wir sind beide hier in Oslo; ich bin diesmal an Mannen stärker als Håkon; warum also nicht das Übergewicht ausnutzen – es ist so selten auf meiner Seite. Schwankend. Aber diese Nacht – sofort –? Nein, nein! Nicht diese Nacht! – Ha, ha, ha, – da ist sie wieder, die Überlegung, – die Unschlüssigkeit! Håkon kennt so etwas nicht! Der geht gerade drauf los, und so siegt er! Geht einige Schritte durch die Stube und bleibt plötzlich vor der Wiege stehen. Das Königskind! – Welch eine Schöne Stirn! Er träumt. Deckt das Kind besser zu und schaut es lange an. So einer wie Du kann in einer Mannesseele vieles aufrecht erhalten. Ich habe keinen Sohn. Beugt sich über die Wiege. Er sieht Håkon ähnlich. – Fährt mit einem Mal zurück. Das Königskind, sagte die Königin! Verneige Dich tief und grüss' ihn, wie man Könige grüßen soll! Stirbt Håkon vor mir, so wird dies Kind auf den Königssitz erhoben; und ich – ich soll unten stehen und mich tief verneigen und es als König grüßen! Mit wachsender Erregung. Dieses Kind, Håkons Sohn, soll oben auf dem Königsstuhl sitzen, auf den ich–vielleicht–ein größeres Anrecht habe, – und ich soll vor dem Schemel seiner Füße stehen, mit weißem Haar, gebeugt von Alter, soll mein ganzes Lebenswerk ungetan sehen, – sterben, ohne König gewesen zu sein! Ich bin an Mannen stärker als Håkon, – es bläst ein Sturm heut nacht, der Wind geht fjordwärts –. Wenn ich das Königskind entführte? Auf die Trondhjemer kann ich mich verlassen. – Was dürfte Håkon wohl wagen, wenn sein Kind in meiner Macht wäre! Meine Mannen werden mir folgen, werden für mich kämpfen und siegen. Ich will sie königlich belohnen, dann tun sie's. – Wohlan! Vorwärts denn! Hinweg über die Kluft – zum ersten Mal! –– Könnt' ich doch sehen, ob Du Sverres Augen hast – oder die Augen von Håkon Sverresson –! Er schläft. Ich kann es nicht sehen. Pause. Der Schlaf ist eine Waffe. Schlaf in Frieden, Du kleiner Königserbe! Er geht zum Tische hinüber. Håkon soll entscheiden; einmal noch will ich mit ihm reden.

Margrete tritt mit dem König von der rechten Seite ein. Der Bischof tot! O, glaube mir, aller Unfriede stirbt mit ihm.

Håkon. Geh zu Bett, Margrete – Du wirst müde sein von der Reise.

Margrete. Ja, ja! Zum Herzog. Vater, sei sanft und willfährig, – Håkon hat mir versprochen, es auch zu sein! Tausendmal Gutnacht Euch beiden!

Sie begibt sich an die Tür zur Linken, winkt und geht ab; ein paar Mägde tragen die Wiege hinein.

Herzog Skule. König Håkon, wir dürfen diesmal nicht als Widersacher scheiden. Alles Böse würde daraus entspringen; eine Zeit des Schreckens würde über das Land kommen.

Håkon. Daran ist das Land jetzt Geschlechter hindurch gewöhnt gewesen. Aber Ihr sehet, Gott ist mit mir; jeder Feind fällt, der mir in den Weg tritt. Es gibt nicht Bagler, nicht Slittunger, nicht Ribbunger mehr; der Jarl Jon liegt erschlagen, Guthorm Ingesson ist tot, Sigurd Ribbung ebenso, – alle Ansprüche, die auf der Reichsversammlung zu Bergen geltend gemacht wurden, haben sich als kraftlos erwiesen, – durch wen sollte die Schreckenszeit jetzt also kommen?

Herzog Skule. Håkon, ich fürchte, sie könnte durch mich kommen!

Håkon. Als ich König wurde, gab ich Euch den dritten Teil des Reiches –

Herzog Skule. Ihr selbst habt zwei Dritteile behalten!

Håkon. Immer dürstetet Ihr nach mehr; ich vergrößerte Euren Teil – jetzt ist das halbe Reich Euer.

Herzog Skule. Es fehlen zehn Ankerplätze noch.

Håkon. Ich machte Euch zum Herzog; das ist kein Mann bisher in Norwegen gewesen!

Herzog Skule. Aber Ihr seid König! Es darf kein König über mir sein! Ich bin nicht dazu geschaffen, Euch zu dienen; ich muß selbst herrschen und befehlen!

Håkon schaut ihn einen Augenblick an und sagt kalt: Der Himmel schütze Euren Verstand, Herr! Gute Nacht! Will gehen.

Herzog Skule vertritt ihm den Weg. So entkommt Ihr mir nicht! Hütet Euch, oder ich sage mich von Euch los. Ihr könnt nicht länger mein Obherr sein; wir zwei müssen teilen!

Håkon. Das wagt Ihr mir zu sagen!

Herzog Skule. Ich bin an Mannen stärker nach Oslo gekommen als Ihr, Håkon Håkonsson.

Håkon. Ist's vielleicht Eure Absicht – ?

Herzog Skule. Hört mich! Denkt an des Bischofs Worte! Laßt uns teilen! Gebt mir noch die zehn Ankerplätze; laßt mich meinen Anteil als freies Königtum besitzen, ohne daß ich Euch Zins und Gefälle zu entrichten hätte. Norwegen ist früher schon in zwei Reiche geteilt gewesen – wir wollen unverbrüchlich zusammenhalten –

Håkon. Herzog, Ihr müßt krank an der Seele sein, daß Ihr solches fordern könnt!

Herzog Skule. Ja, meine Seele ist krank, und auf anderem Wege gibt es keine Heilung für mich. Wir beide müssen einander gleichgestellt sein; es darf keiner über mir stehen!

Håkon. Jede baumlose Insel ist ein Stein in dem Bau, den Harald Hårfager und der heilige König Olaf errichtet haben; und Ihr wollt, ich soll auseinanderreißen, was sie zusammengefügt haben? Niemals!

Herzog Skule. Nun, so wollen wir uns ablösen in der Herrschaft. Laßt jeden von uns drei Jahre regieren! Ihr habt lange regiert – jetzt ist meine Zeit gekommen. Geht drei Jahre außer Landes; – ich will indessen König sein; ich will Euch den Weg ebnen, bis Ihr heimkehrt, will alles aufs beste verwalten und lenken; – es zehrt und stumpft ab, beständig auf der Wacht zu stehen. Håkon, hört Ihr, – drei Jahre jeder! Laßt uns abwechselnd die Krone tragen!

Håkon. Glaubt Ihr, daß meine Krone Euch um die Schläfen passen wird?

Herzog Skule. Keine Krone ist zu weit für mich!

Håkon. Es gehört göttliches Recht und göttlicher Beruf dazu, die Krone zu tragen.

Herzog Skule. Und seid Ihr dessen so sicher, daß Ihr ein göttliches Recht habt?

Håkon. Dafür hab' ich das Urteil Gottes.

Herzog Skule. Bauet nicht so fest darauf. Hätte der Bischof reden können, – doch, nun wär' es vergebens; Ihr würdet mir nicht glauben. Ja, gewiß habt Ihr mächtige Bundesgenossen dort oben; aber ich trotze dennoch! – Ihr wollt nicht mit mir abwechseln in der Königsgewalt? Ja, ja, – dann bleibt uns nur ein Ausweg noch offen: – Håkon laßt uns beide miteinander kämpfen, Mann gegen Mann, mit schweren Waffen, auf Leben und Tod!

Håkon. Sprecht Ihr im Ernst, Herr?

Herzog Skule. Ich spreche für mein Lebenswerk und für mein Seelenheil.

Håkon. Dann ist wenig Hoffnung für Euer Seelenheil.

Herzog Skule. Ihr wollt nicht mit mir kämpfen ? Ihr sollt, Ihr sollt!

Håkon. Verblendeter Mann! Ich kann Euch nur bedauern. Ihr wähnt, es sei die Stimme des Herrn, die Euch zum Königssitze emportreibt, – Ihr seht nicht, daß es eitel Hoffart ist. Was lockt Euch denn! Der Königsreif, der purpurverbrämte Mantel, das Recht, drei Stufen über dem Boden erhöht zu sitzen. – O jämmerlich, jämmerlich! – Bestände darin das Königtum, ich würf` es Euch hin, wie man einem Bettler ein Almosen hinwirft.

Herzog Skule. Ihr habt mich gekannt von Eurer Kindheit an und beurteilt mich so!

Håkon. Ihr habt alle trefflichen Geistesgaben, Klugheit und Mut, Ihr seid dazu geschaffen, nächst dem König zu stehen, aber nicht, selber König zu sein.

Herzog Skule. Das wollen wir jetzt erproben!

Håkon. Nennt mir ein einziges Königswerk, das Ihr vollbracht habt in all den Jahren, da Ihr das Reich für mich lenktet! Waren die Bagler oder Ribbunger je mächtiger als damals? Ihr wart der reife Mann, aber das Land wurde von aufrührerischen Horden verheert; – habt Ihr eine einzige niedergeworfen? Ich war jung und unerfahren, als ich das Steuer des Reichs ergriff, –seht her – alles fiel mir zu Füßen, als ich König wurde – es gibt keine Bagler, keine Ribbunger mehr!

Herzog Skule. Damit solltet Ihr am wenigsten prahlen; denn darin liegt die größte Gefahr: Gefolgschaft muß gegen Gefolgschaft stehen, Anspruch gegen Anspruch, Landesteil gegen Landesteil, wenn der König der Mächtige sein soll. Jedes Dorf, jedes Geschlecht muß entweder seiner bedürfen oder ihn fürchten. Rottet Ihr allen Unfrieden aus, so habt Ihr damit zugleich Euch selbst der Macht beraubt.

Håkon. Und Ihr wollt König sein, – Ihr, der so gesonnen ist? Ihr wäret ein tauglicher Häuptling geworden zu Erling Skakkes Zeiten; aber die Zeit ist Euch über den Kopf gewachsen, und Ihr versteht sie nicht. Seht Ihr denn nicht, daß das Reich Norwegen, so wie Harald und Olaf es errichtet haben, nur mit einer Kirche zu vergleichen ist, der noch die Weihe fehlt? Die Mauern erheben sich mit starken Pfeilern, die Dachkuppel wölbt sich weit darüber, der Turm weist himmelan, wie Tannen im Walde; aber das Leben, das pochende Herz, der frische Blutstrom geht nicht durch das Werk; Gottes lebendiger Odem ist ihm nicht eingehaucht: es hat nicht die Weihe empfangen – Ich will ihm die Weihe bringen! Norwegen war ein Reich, es soll ein Volk werden. Der Trondhjemer stand in Waffen wider den Vikväringer, der Agdeväringer wider den Hördaländer, der Hålogaländer wider den Sogndöller – sie alle sollen hinfort Eins sein, und alle sollen's wissen bei sich selber und fühlen, daß sie Eins sind! Das ist die Aufgabe, die Gott auf meine Schultern gelegt hat; das ist das Werk, das Norwegens König jetzt vollbringen muß. Das Werk, Herzog, das lasset Ihr, denk' ich, einem andern – denn wahrlich, dazu habt Ihr nicht die Eignung!

Herzog Skule vernichtet. Sammeln –? Zu einem Volke sammeln den Trondhjemer und den Vikväringer, – ganz Norwegen –? Ungläubig. Das ist unausführbar! Nie zuvor hat Norwegens Saga dergleichen gemeldet!

Håkon. Für Euch ist's unausführbar – denn Ihr könnt einzig die alte Saga wiederholen – aber für mich ist's leicht, wie es leicht für den Falken ist, die Wolken zu zerteilen.

Herzog Skule in unruhiger Aufregung. Alles Volk sammeln, – es erwecken, so daß es sich als Eins begreift! Woher habt Ihr solch seltsamen Gedanken? Er macht mir kalt und heiß. Leidenschaftlich. Ihr habt ihn vom Teufel, Håkon; nie soll er ins Werk gesetzt werden, solange ich noch die Kraft habe, mir den Stahlhelm aufs Haupt zu schnallen.

Håkon. Ich hab' den Gedanken von Gott, und ich geb' ihn nicht auf, solange ich des heiligen Olaf Kronreif um die Stirn trage!

Herzog Skule. So soll des heiligen Olaf Kronreif fallen!

Håkon. Wer will das vollbringen?

Herzog Skule. Ich, wenn kein anderer.

Håkon. Ihr, Skule, Ihr werdet morgen auf dem Thing unschädlich gemacht.

Herzog Skule. Håkon! Versuchet nicht Gott! Treibt mich nicht an den äußersten Rand des Abgrunds!

Håkon auf die Tür weisend. Geht, Herr, – und laßt es vergessen sein, daß wir diesen Abend mit scharfen Zungen geredet haben.

Herzog Skule sieht ihn einen Augenblick fest an und sagt: Wir werden das nächste Mal mit schärferen Zungen reden. Ab durch die Mitte.

Håkon nach kurzer Pause. Er droht! – Nein, nein; so weit wird es nicht kommen. Er muß, er soll sich beugen und mir zu Füßen fallen; ich bedarf dieses starken Armes, dieses klugen Kopfes. – Wenn sich Mut und Witz und Kraft in diesem Lande finden, so sind das Gaben, die Gott den Männern zu meinem Frommen verliehen hat – um mir zu dienen, empfing Herzog Skule alle guten Gaben; mir trotzen, heißt dem Himmel trotzen; es ist meine Pflicht, jedweden zu strafen, der sich dem Willen des Himmels widersetzt, – denn der Himmel hat so viel für mich getan.

Dagfinn tritt durch die Mitte ein. Herr, seid wachsam diese Nacht – der Herzog hat sicher Böses vor.

Håkon. Was sagst Du?

Dagfinn. Was er im Schilde führt, das weiß ich nicht; aber daß etwas im Werke ist, das ist wohl sicher.

Håkon. Sollt' er an einen Überfall denken? Unmöglich, unmöglich!

Dagfinn. Nein, es ist etwas anderes. Seine Schiffe liegen segelfertig zur Abfahrt; es soll Thing an Bord gehalten werden.

Håkon. Du irrst dich –! Geh, Dagfinn, und bringe mir sicheren Bescheid.

Dagfinn. Ja, ja – Ihr könnt Euch auf mich verlassen.

Ab.

Håkon. Nein, – das wäre undenkbar! Der Herzog darf sich nicht wider mich erheben. Gott wird ihm das verbieten, – Gott, der bisher alles so wundersam gut für mich gelenkt hat. Jetzt muß ich Frieden haben, jetzt soll ich ja eben beginnen! – Ich habe noch so wenig gewirkt; aber ich höre des Herrn untrügliche Stimme in mir rufen: Du sollst ein großes Königswerk in Norwegen vollbringen!

Gregorius Jonsson tritt durch die Mitte ein. Mein Herr und König!

Håkon. Gregorius Jonsson! Ihr kommt zu mir?

Gregorius Jonsson. Ich biete mich Euch als eidverpflichteten Mann an; bis jetzt bin ich dem Herzog gefolgt; jetzt darf ich ihm nicht länger folgen.

Håkon. Was ist denn geschehen?

Gregorius Jonsson. Was niemand glauben wird, wenn das Gerücht es über das Land trägt.

Håkon. Sprecht, sprecht!

Gregorius Jonsson. Mir schaudert vor dem Klang meiner eigenen Worte; – so wißt denn – Packt ihn am Arm und flüstert ihm etwas ins Ohr.

Håkon fährt mit einem Schrei zurück. Ha, Ihr seid von Sinnen!

Gregorius Jonsson. Gäbe Gott, ich wär's.

Håkon. Unerhört! Nein, das kann nicht sein!

Gregorius Jonsson. Bei Christi teurem Blute, es ist so!

Håkon. Geht, geht! Laßt zum Aufmarsch blasen! All meine Mannen sollen sich zusammenscharen!

Gregorius Jonsson ab.

Håkon geht ein paarmal auf und ab, dann nähert er sich rasch der Tür von Margretens Kammer, klopft an, geht wieder mehrmals auf und ab, geht abermals an die Tür, klopft und ruft: Margrete!

Er geht wieder hin und her.

Margrete in der Tür, im Nachtkleid, mit aufgelöstem Haar; um die Schultern trägt sie eine rote Schnürjacke, die sie dicht über der Brust zusammenhält. Håkon! Bist Du's?

Håkon. Ja, ja – Du mußt herauskommen!

Margrete. Dann darfst Du mich aber nicht ansehen – ich war schon im Bett.

Håkon. Ich habe jetzt an anderes zu denken.

Margrete. Was ist denn geschehen?

Håkon. Gib mir einen guten Rat! Eben wurde mir die schlimmste aller Botschaften überbracht.

Margrete ängstlich. Was für eine Botschaft, Håkon?

Håkon. Daß jetzt zwei Könige in Norwegen sind.

Margrete. Zwei Könige in Norwegen! – Håkon, wo ist mein Vater?

Håkon. Er nahm an Bord den Königsnamen an; jetzt segelt er gen Nidaros, um sich krönen zu lassen.

Margrete. O Du allmächtiger Gott –!

Sie sinkt auf die Bank, bedeckt ihr Gesicht mit den Händen und weint.

Håkon. Zwei Könige im Lande!

Margrete. Mein Eheherr der eine, – und mein Vater der andere!

Håkon geht unruhig auf und nieder. Gib mir einen guten Rat, Margrete! Soll ich durchs Oberland ziehen, zuerst in die Gegend von Trondhjem gehen und die Krönung verhindern? Nein – unmöglich; ich habe zu geringe Streitkräfte um mich; dort im Norden ist er mächtiger als ich. – Gib mir einen Rat; wie soll ich den Herzog verderben, eh' er nach Nidaros kommt?

Margrete flehend, mit gefalteten Händen. Håkon, Håkon!

Håkon. Weißt Du keinen vernünftigen Rat, den Herzog zu verderben, frag' ich!

Margrete sinkt vor Schmerz von der Bank herab auf die Knie. O, vergißt Du denn so ganz, daß er mein Vater ist!

Håkon. Dein Vater –; ja, ja, das ist wahr; das hab' ich vergessen. Er hebt sie auf. Setz' Dich, Margrete; tröste Dich; weine nicht; Du trägst ja keine Schuld daran. Er tritt ans Fenster. Herzog Skule wird mir gefährlicher als alle anderen Feinde! – Gott, Gott, – warum schlägst Du mich so hart, mich, der nichts verbrochen hat! Es klopft an der Mitteltür; er fährt zusammen, horcht und ruft: Wer klopft draußen so spät am Abend?

Ingas Stimme von draußen. Eine, die da friert, Håkon!

Håkon mit einem Aufschrei. Meine Mutter!

Margrete springt empor. Inga!

Håkon eilt an die Tür und schließt auf; Inga sitzt auf der Türschwelle. Meine Mutter! Sitzt wie ein Hund vor ihres Sohnes Tür! Und ich frage, warum Gott mich schlägt!

Inga streckt die Arme ihm entgegen. Håkon, mein Kind! Segen über Dich!

Håkon richtet sie auf. Komm, – komm herein. Hier ist's hell und warm!

Inga. Darf ich zu Dir hinein?

Håkon. Wir werden uns nie mehr trennen.

Inga. Mein Sohn – mein König, – o, wie gut und lieb Du bist! Ich stand in einem Winkel und sah Dich, als Du aus dem Bischofshofe kamst; Du sahst so sorgenvoll aus; ich konnte so nicht von Dir scheiden!

Håkon. Gott sei gedankt dafür. Du warst gewißlich die Beste, die jetzt kommen konnte! Margrete, – Mutter, – ich habe schwer gesündigt; ich habe mein Herz wider Euch beide verschlossen, die Ihr so reich an Liebe seid.

Margrete fällt ihm um den Hals. O, Håkon, mein geliebter Mann – bin ich denn nun Deinem Herzen nahe?

Håkon. Ja, ja, das bist Du; nicht, um mir klugen Rat zu geben, sondern um meinen Pfad leuchtend zu erhellen. Komme was da wolle, – ich fühle die Stärke des Herrn in mir!

Dagfinn kommt eilig durch die Mitte. Herr, Herr! Nun ist das Schlimmste geschehen!

Håkon lächelt zuversichtlich, indem er Margrete und Inga fest an sich drückt. Ich weiß – aber es hat keine Not, alter Dagfinn! Sind auch zwei Könige in Norwegen, so ist doch nur einer im Himmel, – und der wird's schon recht machen!

Der Vorhang fällt.


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