Henrik Ibsen
Baumeister Solneß
Henrik Ibsen

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Zweiter Aufzug.

Ein hübsch ausgestatteter kleiner Salon beim Baumeister Solneß.

An der Hinterwand eine Glasthür auf die Veranda und den Garten hinaus. Rechts eine stumpfe Ecke mit Erker, worin Blumenzierrat, und an dem ein großes Fenster angebracht ist. Links ebenfalls eine stumpfe Ecke; an dieser eine kleine Tapetenthür. An jeder Seitenwand eine gewöhnliche Thür. Rechts vorn Konsoltisch mit großem Spiegel. Blumen und Pflanzen in reicher Aufstellung. Links vorn Sofa mit Tisch und Stühlen. Weiter zurück ein Bücherschrank. Vor dem Erker ein Tischchen und ein paar Stühle.

(Es ist früh vormittags.)

Erster Auftritt.

Solneß. Frau Solneß. Dann Kaja Fosli.

Solneß (sitzt am Tischchen, die Mappe Ragnar Broviks vor sich aufgeschlagen; er blättert in den Zeichnungen und sieht einzelne genau an).

Frau Solneß (geht mit einer kleinen Wasserkanne unhörbaren Schrittes herum und macht sich mit den Blumen zu schaffen; sie ist schwarzgekleidet wie zuvor; ihr Hut, Mantel und Sonnenschirm liegen auf einem Stuhl am Spiegel).

Solneß (folgt ihr ein paar Mal unvermerkt mit den Augen. Keiner von beiden redet).

Kaja Fosli (erscheint, leise auftretend, in der Thür links).

Solneß (wendet den Kopf zu ihr hin und sagt in gleichgültigem Ton). Ach, Sie sind's?

Kaja. Ich wollte nur melden, daß ich da wäre.

Solneß. Schon gut. Ist Ragnar auch da?

Kaja. Nein, noch nicht. Er mußte noch ein wenig zu Hause bleiben und auf den Arzt warten. Aber nachher, da wollte er herkommen und sich erkundigen –

Solneß. Wie steht's mit dem Alten heute?

Kaja. Schlecht. Er läßt sich recht sehr entschuldigen, daß er den Tag über liegen bleiben müßte.

Solneß. Ach was, entschuldigen. Der soll nur ruhig liegen bleiben. So, jetzt gehen Sie an Ihre Arbeit.

Kaja. Jawohl. (Sie bleibt an der Thür stehen.) Wollen Sie vielleicht mit Ragnar reden, wenn er kommt?

Solneß. Nein – ich wüßte nichts Besonderes.

Kaja (nach links ab).

Zweiter Auftritt.

Solneß. Frau Solneß.

Solneß (blättert in den Zeichnungen weiter).

Frau Solneß (bei den Pflanzen). Ich möchte doch wissen, ob er nicht auch stirbt.

Solneß (blickt zu ihr hin). Der auch? Wer denn noch?

Frau Solneß (ohne zu antworten). Ja, ja, der alte Brovik – der stirbt jetzt wohl auch, Halvard. Paß nur auf.

Solneß. Liebe Aline, möchtest du nicht ausgehen und dir ein wenig Bewegung machen?

Frau Solneß. Ja, das sollte ich wohl eigentlich thun. (Sie macht sich fortdauernd mit den Blumen zu schaffen.)

Solneß (über die Zeichnungen gebeugt). Schläft sie noch?

Frau Solneß (sieht ihn an). Ist es Fräulein Wangel, an die du da denkst?

Solneß (gleichgültig). Sie kam mir so zufällig in den Sinn.

Frau Solneß. Fräulein Wangel ist schon lange auf.

Solneß. So – so.

Frau Solneß. Als ich drinnen war, da war sie damit beschäftigt, ihre Sachen auszubessern. (Sie stellt sich vor den Spiegel hin und setzt langsam den Hut auf).)

Solneß (nach einer kurzen Pause). So konnten wir dennoch von einer Kinderstube Gebrauch machen, Aline?

Frau Solneß. Allerdings.

Solneß. Und das ist ja immerhin besser, als daß alles leer steht.

Frau Solneß. Diese Leere ist entsetzlich. Darin hast du recht.

Solneß (macht die Mappe zu, steht auf und nähert sich ihr). Du wirst schon sehen, Aline, daß es hernach besser für uns wird. Viel gemütlicher. Leichter zu leben. – Besonders für dich.

Frau Solneß (sieht ihn an). Hernach?

Solneß. Ja, glaub mir, Aline –

Frau Solneß. Meinst du – weil sie hergekommen ist?

Solneß (bezwingt sich). Ich meine natürlich – wenn wir erst ins neue Haus eingezogen sind.

Frau Solneß (nimmt ihren Mantel). Ja, glaubst du das, Halvard? Daß es dann besser wird?

Solneß. Ich kann mir's nicht anders denken. Und das glaubst doch jedenfalls du auch?

Frau Solneß. Ich glaube gar nichts von dem neuen Hause.

Solneß (verstimmt). Das ist allerdings für mich verdrießlich zu hören. Denn ich habe es doch wohl hauptsächlich um deinetwillen gebaut. (Er will ihr beim Anziehen des Mantels behilflich sein).

Frau Solneß (indem sie sich seiner Hilfe entzieht). Im Grunde thust du doch viel zu viel um meinetwillen.

Solneß (mit einer gewissen Heftigkeit). Nein, nein, so was darfst du durchaus nicht sagen, Aline! Ich ertrage es nicht, solche Dinge von dir zu hören!

Frau Solneß. Nun, dann will ich es nicht mehr sagen, Halvard.

Solneß. Aber ich bleib bei meiner Meinung. Du wirst schon sehen, wie gut du dich zurechtfinden wirst da drüben im neuen Hause.

Frau Solneß. Ach Gott – ich mich zurechtfinden – !

Solneß (eifrig). Doch, doch! Darauf kannst du dich verlassen! Denn dort, siehst du – dort ist so unglaublich viel, was dich an dein eigenes Heim erinnern wird.

Frau Solneß. An das, wo der Vater und die Mutter drin gewohnt hatten. – Und das dann abbrannte – alles miteinander.

Solneß (gedämpft). Ja, ja, du arme Aline. Das war für dich ein furchtbar harter Schlag.

Frau Solneß (in Klagen ausbrechend). Du magst bauen so viel und so lange du nur willst, Halvard – mir baust du niemals ein richtiges Heim mehr auf!

Solneß (im Zimmer umhergehend). Nun, dann reden wir in Gottes Namen nicht mehr von alledem.

Frau Solneß. Wir pflegen ja sonst auch nie davon zu reden. Denn du schiebst es nur von dir –

Solneß (bleibt plötzlich stehen und sieht sie an). Ich? Und warum sollt ich denn das thun? Es von mir schieben?

Frau Solneß. Ach, ich verstehe dich ja so wohl, Halvard. Du willst mich ja so gern schonen. Und mich entschuldigen auch. Alles – was du nur kannst.

Solneß (sie erstaunt anblickend). Dich! Dich entschuldigen! Von dir selber redest du, Aline!

Frau Solneß. Ja, da muß doch wohl von mir die Rede sein.

Solneß (unwillkürlich vor sich hin). Das auch noch!

Frau Solneß. Denn mit dem alten Hause – mit dem mochte es noch gehen, wie es wollte. Du lieber Gott – wenn das Unglück nun einmal da war, dann –

Solneß. Darin hast du recht. Fürs Unglück kann man nicht – wie die Leute sagen.

Frau Solneß. Aber das Entsetzliche, das der Brand nach sich zog –! Das ist es! Das ist es!

Solneß (heftig). Nur nicht daran denken, Aline!

Frau Solneß. Doch, gerade daran muß ich denken. Und endlich einmal davon herausreden auch. Denn es kommt mir vor, als könnte ich es nicht länger ertragen! Und dann, daß ich mir niemals selber verzeihen darf –!

Solneß (mit einem Ausbruch). Dir selber –!

Frau Solneß. Ich hatte ja doch Pflichten nach zwei Seiten hin. Sowohl gegen dich wie gegen die Kleinen. Ich hätte mich unempfindlich machen sollen. Nicht den Schrecken so über mich Herr werden lassen. Auch nicht den Kummer darüber, daß mir das Heim abgebrannt war. (Sie ringt die Hände.) Ach, hätte ich nur gekonnt, Halvard!

Solneß (nähert sich, erschüttert, leise). Aline! – du mußt mir versprechen, daß du solchen Gedanken nie mehr nachgehen wirst. Versprich mir das ja!

Frau Solneß. Ach Gott – versprechen! Versprechen! Man kann ja alles mögliche versprechen –

Solneß (preßt die Hände zusammen und geht im Zimmer umher). Ach, es ist doch zum Verzweifeln! Niemals ein Sonnenstrahl! Nie soviel wie nur ein Streiflicht ins Heim hinein!

Frau Solneß. Hier ist ja kein Heim, Halvard.

Solneß. Ach nein, das ist nur zu wahr. (Schwermütig.) Und Gott weiß, ob du nicht darin recht behältst, daß es im neuen Hause auch nicht besser für uns wird!

Frau Solneß. Das wird es nie werden. Ebenso leer. Ebenso öde. Dort wie hier.

Solneß (heftig). Aber um's Himmels willen, warum haben wir's dann erst gebaut? Kannst du mir das erklären?

Frau Solneß. Nein, darauf mußt du dir selber Antwort geben.

Solneß (blickt mißtrauisch zu ihr hin). Was meinst du damit, Aline?

Frau Solneß. Was ich meine?

Solneß. Ja doch, zum Teufel –! Du sagtest es so sonderbar. Als ob du dabei einen verborgenen Gedanken hättest.

Frau Solneß. Nein, da kann ich dich wahrhaftig versichern –

Solneß (nähert sich ihr). Ist gar nicht nötig – ich weiß schon, was ich weiß. Und sehen und hören thu' ich auch, Aline. Darauf kannst du dich verlassen!

Frau Solneß. Was denn aber? Was denn?

Solneß (stellt sich vor sie hin). Witterst du etwa nicht einen tückischen versteckten Sinn in dem unschuldigsten Wort, das ich nur sage?

Frau Solneß. Ich, sagst du! Thue ich das?

Solneß (lacht). Hahaha! Das ist ja kein Wunder, Aline! Wenn du dich mit einem kranken Mann im Hause abquälen mußt, dann –

Frau Solneß (angstvoll). Krank! Bist du krank, Halvard!

Solneß (herausplatzend). Oder ein halbtoller Mann! Ein verrückter Mann! Nenn' mich, wie du willst!

Frau Solneß (greift nach der Stuhllehne und setzt sich). Halvard – um's Himmels willen –!

Solneß. Aber ihr irrt euch beide. Sowohl du als der Doktor. So steht's nicht mit mir. (Er geht auf und ab.)

Frau Solneß (folgt ihm ängstlich mit den Augen).

Solneß (geht zu ihr hin, ruhig). Im Grunde fehlt mir nicht das Geringste.

Frau Solneß. Nein, nicht wahr! Aber was hast du dann?

Solneß. Die Sache ist die, daß ich manchmal fast zusammenbreche unter dieser entsetzlichen Schuldenlast –

Frau Solneß. Schulden, sagst du! Aber du bist ja niemand etwas schuldig, Halvard!

Solneß (leise, bewegt). Doch – ich bin in bodenloser Schuld – dir gegenüber, Aline.

Frau Solneß (erhebt sich langsam). Was steckt hier dahinter? Sag' es lieber gleich.

Solneß. Aber es steckt ja nichts dahinter! Ich habe dir nie etwas Böses zugefügt. Jedenfalls nicht mit Wissen und Willen. Und trotzdem habe ich die Empfindung, als ob eine erdrückende Schuld fortwährend auf mir lastete.

Frau Solneß. Eine Schuld mir gegenüber?

Solneß. Am meisten dir gegenüber.

Frau Solneß. Dann bist du dennoch – krank, Halvard.

Solneß (schwermütig). Das wird's wohl sein. Oder etwas ähnliches. (Er blickt nach der Thüre rechts, die sich öffnet.) Da! Jetzt wird's wieder hell.

Hilde Wangel (kommt herein; sie hat an ihrem Anzug einzelnes geändert; das Kleid ist herabgelassen).

Dritter Auftritt.

Die Vorigen. Hilde Wangel.

Hilde. Guten Morgen, Baumeister!

Solneß (nickt ihr zu). Gut geschlafen?

Hilde. Wundervoll! Wie in einer Wiege. O – ich habe dagelegen und mich gestreckt wie – wie eine Prinzessin.

Solneß (lächelt ein wenig). Wohlauf und munter also.

Hilde. Das sollt ich meinen.

Solneß. Jedenfalls auch geträumt?

Hilde. Freilich. Das war aber unheimlich.

Solneß. So?

Hilde. Mir träumte nämlich, ich stürzte von einer ungeheuer hohen steilen Felswand hinab. Träumen denn Sie nie so was?

Solneß. O ja – zuweilen, da –

Hilde. Es ist so entsetzlich spannend – wenn einer so fällt und fällt.

Solneß. Es ist so ein eisiges Gefühl, scheint's mir.

Hilde. Ziehen Sie die Beine in die Höhe, wenn's kommt?

Solneß. So weit hinauf, wie ich nur kann.

Hilde. Das thu' ich auch.

Frau Solneß (nimmt ihren Sonnenschirm). Jetzt muß ich wohl in die Stadt, Halvard. (Zu Hilde.) Und dann bring' ich Verschiedenes mit nach Hause, was Sie nötig haben können.

Hilde (will ihr um den Hals fallen). Ach, liebste reizende Frau Solneß! Sie sind aber doch zu lieb gegen mich! Furchtbar lieb –

Frau Solneß (abwehrend, sich losmachend). Ach, durchaus nicht. Das ist ja einfach meine Pflicht. Und darum thue ich es so gern.

Hilde (verdrossen, spitzt die Lippen). Übrigens meine ich, daß ich mich ganz gut auf der Straße zeigen könnte – so hübsch, wie ich's jetzt zurechtgebracht habe. Oder kann ich das etwa nicht?

Frau Solneß. Aufrichtig gesprochen, glaube ich schon, daß Ihnen die Leute ein wenig nachblicken würden.

Hilde (geringschätzig). Pah! Weiter nichts? Das ist ja nur spaßhaft.

Solneß (übler Laune, die er zu verhehlen sucht). Ja, sehen Sie, die Leute könnten aber auf die Idee kommen, Sie wären auch verrückt.

Hilde. Verrückt? Giebt's denn so viele Verrückte in der Stadt?

Solneß (zeigt auf seine Stirn). Da sehen Sie wenigstens einen von ihnen.

Hilde. Sie – Baumeister!

Frau Solneß. Aber bester Halvard!

Solneß. Haben Sie denn das noch nicht bemerkt?

Hilde. Nein, das hab' ich allerdings nicht bemerkt. (Sie besinnt sich und lacht ein wenig.) Oder doch – in einem einzigen Punkt vielleicht.

Solneß. Nun, hörst du wohl, Aline?

Frau Solneß. Was ist denn das für ein Punkt, Fräulein Wangel?

Hilde. Nein, das sag' ich nicht.

Solneß. Ach, sagen Sie's doch!

Hilde. O nein – so verrückt bin ich nicht.

Frau Solneß. Wenn du mit Fräulein Wangel allein bist, dann sagt sie es schon, Halvard.

Solneß. So – glaubst du?

Frau Solneß. Ei gewiß. Du kennst sie ja doch so gut von früher. Von der Zeit, da sie noch ein Kind war – sagtest du. (Ab durch die Thüre links.)

Vierter Auftritt.

Solneß. Hilde Wangel.

Hilde (nach einer kleinen Pause). Ihre Frau – kann denn die mich gar nicht leiden?

Solneß. Kam es Ihnen vor, als ob ihr so etwas anzumerken war?

Hilde. Merkten Sie's denn selber nicht?

Solneß (ausweichend). Aline ist so menschenscheu geworden in den letzten Jahren.

Hilde. Das auch noch?

Solneß. Aber wenn Sie sie erst recht kennen lernten – Sie ist nämlich so treu – und gut – und brav, im Grunde genommen –

Hilde (ungeduldig). Aber wenn sie das alles ist – warum redet sie denn dann von Pflicht?

Solneß. Von Pflicht?

Hilde. Sie sagte ja, sie wollte in die Stadt und mir etwas kaufen. Weil es ihre Pflicht wäre – sagte sie. O ich kann das häßliche, garstige Wort nicht ausstehen!

Solneß. Warum denn nicht?

Hilde. Es hört sich so kalt und spitzig und stechend an. Pflicht – Pflicht – Pflicht. Finden Sie das nicht auch? Daß es einen gleichsam sticht?

Solneß. Hm – hab' drüber so genau nicht nachgedacht.

Hilde. Doch! Und wenn sie so gut ist – wie Sie von ihr behaupten – warum brauchte sie denn so was zu sagen?

Solneß. Du lieber Gott, was hätte sie denn sagen sollen?

Hilde. Sie hätte ja sagen können, daß sie es thäte, weil sie mich so furchtbar gern hätte. So was hätte sie sagen können. Irgend etwas recht Warmes und Herzliches, wissen Sie.

Solneß (sieht sie an). Auf die Art wollen Sie's also haben?

Hilde. Ja, just auf die Art. (Sie schlendert im Zimmer umher, bleibt am Bücherschrank stehen und sieht sich die Bücher an.) Sie haben aber viele Bücher.

Solneß. 's geht an. Ich hab mir hin und wieder einige angeschafft.

Hilde. Lesen Sie auch in all den Büchern?

Solneß. Früher probierte ich's. Lesen Sie?

Hilde. O nein! Jetzt nie mehr. Denn den Zusammenhang find ich doch nie heraus.

Solneß. Gerade so geht's mir auch.

Hilde (geht wieder ein wenig herum, bleibt an dem Tischchen stehen, öffnet die Mappe und blättert darin.) Haben Sie das alles gezeichnet?

Solneß. Nein, das ist von einem jungen Mann, der bei mir angestellt ist.

Hilde. Einer, den Sie selber ausgebildet haben?

Solneß. Nun, er hat jedenfalls auch von mir etwas gelernt.

Hilde (setzt sich). Dann ist er wohl sehr tüchtig? (Sie sieht sich eine Zeichnung ein wenig an.) Ist er das nicht?

Solneß. Nicht übel. Für meinen Gebrauch da –

Hilde. Doch, doch! Der ist gewiß ungeheuer tüchtig.

Solneß. Meinen Sie das den Zeichnungen ansehen zu können?

Hilde. Ach, was kümmere ich mich um den Plunder! Aber wenn er bei Ihnen in der Lehre gewesen ist, dann –

Solneß. Ach, was das betrifft – Da giebt's viele, die von mir gelernt haben. Aber weiter bringen sie's darum doch nicht.

Hilde (sieht ihn kopfschüttelnd an). Nein, wie Sie dumm sein können, das geht doch über meinen Verstand.

Solneß. Dumm? Komme ich Ihnen denn so sehr dumm vor?

Hilde. Ja, wahrhaftig. Wenn Sie sich dazu hergeben, alle die Kerle auszubilden, dann –

Solneß (stutzt). Nun? Und warum denn das nicht?

Hilde (steht auf, halb im Ernst, halb lachend). Ach nein, Baumeister! Wozu denn das! Kein anderer als Sie sollte bauen dürfen. Sie ganz allein. Alles sollten Sie selber machen. Jetzt wissen Sie's.

Solneß (unwillkürlich). Hilde –!

Hilde. Nun?

Solneß. Wie können Sie nur auf die Idee gekommen sein?

Hilde. Halten Sie sie denn für so ganz verkehrt?

Solneß. So war's nicht gemeint. Jetzt will ich Ihnen aber etwas sagen.

Hilde. Nun also?

Solneß. Da hab' ich mich unablässig – in der Stille und Einsamkeit – mit dem nämlichen Gedanken herumgebalgt.

Hilde. Nun, das ist ja ganz natürlich, scheint mir.

Solneß (sieht sie forschend an). Und das haben Sie jedenfalls schon bemerkt.

Hilde. Nein, das habe ich gar nicht bemerkt.

Solneß. Aber vorhin – als Sie sagten, Sie hielten mich für – verdreht? So in einem Punkt –?

Hilde. Ach, da dachte ich an etwas ganz anderes.

Solneß. Und was war denn das andere?

Hilde. Das kann Ihnen ja gleich sein, Baumeister.

Solneß (entfernt sich). Na – wie Sie wollen. (Er bleibt am Erker stehen). Kommen Sie hierher, da zeige ich Ihnen etwas.

Hilde (nähert sich). Was denn?

Solneß. Sehen Sie – da drüben im Garten –?

Hilde. Ja?

Solneß (zeigt hinaus). Gerade über dem großen Steinbruch –?

Hilde. Das neue Haus, meinen Sie?

Solneß. An dem gebaut wird, jawohl. Fast ganz fertig.

Hilde. Es hat einen sehr hohen Turm, kommt's mir vor.

Solneß. Das Gerüst ist noch dran.

Hilde. Ist daß Ihr neues Haus?

Solneß. Jawohl.

Hilde. Das Haus, in das Sie bald einziehen werden?

Solneß. Jawohl.

Hilde (sieht ihn an). Sind in dem Haus auch Kinderstuben?

Solneß. Drei, ebenso wie hier.

Hilde. Und keine Kinder.

Solneß. Kommen auch keine.

Hilde (mit einem halben Lächeln). Ja, hatt' ich da nicht recht –?

Solneß. Worin –?

Hilde. Darin, daß Sie doch so – ein wenig verrückt find.

Solneß. Daran dachten Sie also?

Hilde. Ja, an alle die leeren Kinderstuben. Da, wo ich drin schlief.

Solneß (gedämpft). Wir haben Kinder gehabt – Alin und ich.

Hilde (blickt ihn gespannt an). Haben Sie –!

Solneß. Zwei kleine Jungen. Beide waren – gleich alt.

Hilde. Zwillinge also.

Solneß. Ja, Zwillinge. Es ist jetzt elf oder zwölf Jahre her.

Hilde (behutsam). Und beide sind also –? Die Zwillinge haben Sie also jetzt nicht mehr?

Solneß (still bewegt). Wir behielten sie nur so drei Wochen. Oder nicht einmal so lange. (Mit einem Ausbruch.) Ach, Hilde, wie unglaublich gut ist es für mich, daß Sie kamen! Jetzt habe ich doch endlich jemand, mit dem ich reden kann.

Hilde. Können Sie denn das nicht auch mit – mit ihr?

Solneß. Nicht von dem da. Nicht so, wie ich will und muß. (Schwermütig.) Und auch nicht von so vielem andern.

Hilde (gedämpft). War's nur das, worauf Sie anspielten, als Sie sagten, Sie brauchten mich?

Solneß. Das war's wohl am ehesten. Gestern jedenfalls. Denn heute weiß ich nicht mehr so recht – (Abbrechend.) Setzen wir uns doch, Hilde. Setzen Sie sich da aufs Sofa – so daß Sie den Garten vor Augen haben.

Hilde (setzt sich in die Sofaecke).

Solneß (rückt einen Stuhl näher). Haben Sie Lust mich anzuhören?

Hilde. Ja, ich höre Sie sehr, sehr gern an.

Solneß (setzt sich). Dann will ich Ihnen also alles sagen.

Hilde. Jetzt habe ich sowohl den Garten als Sie vor Augen, Baumeister. So, nun erzählen Sie! Gleich!

Solneß (zeigt gegen das Erkerfenster hin). Da draußen auf der Anhöhe – wo Sie also das neue Haus sehen –

Hilde. Ja?

Solneß. Dort wohnten Aline und ich in den ersten Jahren. Da droben lag nämlich damals ein altes Haus, das ihrer Mutter gehört hatte. Und das bekamen wir nach ihr. Und den ganzen großen Garten, den bekamen wir dazu.

Hilde. War auf dem Hause auch ein Turm?

Solneß. Keine Spur von so etwas. Von außen nahm es sich aus wie ein großer, häßlicher, dunkler Holzkasten. Aber inwendig war's doch ganz nett und gemütlich.

Hilde. Rissen Sie dann die alte Bude nieder?

Solneß. Nein. Sie brannte ab.

Hilde. Alles miteinander?

Solneß. Jawohl.

Hilde. War das für Sie ein rechtes Unglück?

Solneß. Je nachdem man's nimmt. Als Baumeister kam ich auf den Brand hin in die Höhe –

Hilde. Aber –?

Solneß. Die zwei kleinen Jungen waren damals gerade geboren –

Hilde. Richtig – die armen Zwillinge.

Solneß. Sie kamen so gesund und kräftig zur Welt. Und wachsen thaten sie, so daß man's förmlich sehen konnte von Tag zu Tag.

Hilde. Kleine Kinder wachsen sehr rasch in den ersten Tagen.

Solneß. Es war der herzigste Anblick, den einer sich nur gönnen konnte, Aline mit den beiden daliegen zu sehen. – Da kam aber die Brandnacht –

Hilde (gespannt). Was geschah! Sagen Sie's doch. Kam jemand um?

Solneß. Das nicht. Alle wurden wohlbehalten aus dem Hause gerettet –

Hilde. Nun, aber was weiter –?

Solneß. Der Schrecken hatte Aline so entsetzlich erschüttert. Der Feuerlärm – der Auszug aus dem Hause – Hals über Kopf – und das noch dazu in der eisigen Nachtkälte – Denn sie mußten ja hinausgetragen werden, so wie sie dalagen. Sowohl sie als die Kleinen.

Hilde. Und die vertrugen's nicht?

Solneß. Doch – die vertrugen's schon. Aber Aline bekam das Fieber. Und das ging in die Milch über. Selber ihre Amme sein, das hatte sie ja durchaus gewollt. Denn das wäre ihre Pflicht, sagte sie. Und unsere beiden Kleinen, die – (er preßt die Hände zusammen) die – oh!

Hilde. Das überstanden sie nicht?

Solneß. Nein, das überstanden sie nicht. Das war's, was sie uns wegriß.

Hilde. Das muß furchtbar hart für Sie gewesen sein.

Solneß. Hart genug für mich. Aber zehn Mal härter für Aline. (Er ballt die Fäuste in verhaltener Wut.) O daß so etwas vorfallen darf in dieser Welt! Seit dem Tage, da ich sie verlor, baute ich ungern Kirchen.

Hilde. Vielleicht auch nicht gern den Kirchturm droben bei uns?

Solneß. Gern nicht. Ich weiß noch, wie froh und leicht mir zu Mute war, als der Turm da fertig war.

Hilde. Das weiß ich auch.

Solneß. Und jetzt baue ich nie – nie mehr so etwas! Weder Kirchen noch Kirchtürme.

Hilde (nickt langsam). Nur Häuser, wo Leute drin wohnen können.

Solneß. Heimstätten für Menschen, Hilde.

Hilde. Aber Heimstätten mit hohen Türmen und Spitzen.

Solneß. Das am liebsten. (Er geht zu einem leichteren Ton über). Ja, sehen Sie – wie gesagt – der Brand, der brachte mich empor. Als Baumeister, heißt das.

Hilde. Warum nennen Sie sich nicht Architekt wie die andern?

Solneß. Hab dazu nicht gründlich genug gelernt. Was ich kann, hab ich meistenteils selber ausgeheckt.

Hilde. Aber in die Höhe kamen Sie trotzdem, Baumeister.

Solneß. Nach dem Brande, ja. Fast den ganzen Garten zerstückelte ich in Bauplätze für Villen. Und dort durfte ich bauen, wie ich's selber haben wollte. Und da ging's ja reißend schnell mit mir vorwärts.

Hilde (sieht ihn forschend an). Sie sind gewiß ein sehr glücklicher Mann. So, wie's Ihnen geht.

Solneß (finster). Glücklich? Sagen Sie das auch? Wie alle die andern.

Hilde. Das müssen Sie doch sein, mein ich. Wenn Sie nur aufhören könnten an die zwei kleinen Kinder zu denken, dann –

Solneß (langsam). Die zwei kleinen Kinder – von denen ist es nicht so leicht loszukommen, Hilde.

Hilde (ein wenig unsicher). Sind sie immer noch ein so großes Hindernis? So lange, lange Zeit nachher?

Solneß (sieht sie fest an, ohne zu antworten). Ein glücklicher Mann, sagten Sie –

Hilde. Ja, aber sind Sie denn das nicht – im übrigen?

Solneß (sieht sie fortdauernd an). Als ich Ihnen die Geschichte vom Brande erzählte – hm –

Hilde. Nun!

Solneß. Kam Ihnen da nicht ein bestimmter Gedanke, der sich Ihnen – so ganz besonders aufdrängte?

Hilde (besinnt sich vergebens). Nein. Was sollte denn das für ein Gedanke sein?

Solneß (mit gedämpftem Nachdruck). Einzig und allein durch den Brand konnte ich dazu kommen, Heimstätten für Menschen zu bauen. Behagliche, trauliche, helle Heimstätten, wo Vater und Mutter und die ganze Kinderschar leben könnten in dem sichern und frohen Gefühl, daß es ein recht glückliches Los ist, dazusein in dieser Welt. Und am glücklichsten, einander anzugehören – im Großen und im Kleinen.

Hilde (eifrig). Jawohl, ist denn aber das nicht für Sie ein rechtes Glück, daß Sie solche reizende Heimstätten schaffen können?

Solneß. Der Preis, Hilde. Der entsetzliche Preis, den ich bezahlen mußte, um dazu zu kommen.

Hilde. Werden Sie sich denn darüber nie hinwegsetzen können? Solneß. Nein. Um dazu zu kommen, Heimstätten zu bauen für andere, mußte ich verzichten – für alle Zeiten darauf verzichten, selber ein Heim zu haben. Ich meine ein Heim für die Kinderschar. Und für Vater und Mutter auch.

Hilde (behutsam). Aber mußten Sie denn das? Für alle Zeiten, sagen Sie?

Solneß (nickt langsam). Das war der Preis für dieses Glück, von dem die Leute so viel reden. (Er atmet schwer.) Das Glück da – hm – das Glück war nicht billiger zu erkaufen, Hilde.

Hilde (wie oben). Aber kann's mit dem nicht doch noch wieder gut werden?

Solneß. Nie. Niemals. Das ist auch eine Folge vom Brande. Und von Alines Krankheit darauf.

Hilde (sieht ihn mit einem unbestimmbaren Ausdruck an). Und doch bauen Sie immer noch alle die Kinderstuben.

Solneß (ernst). Haben Sie nie gemerkt, Hilde, daß das Unmögliche – daß das einen gleichsam lockt und ruft?

Hilde (denkt nach). Das Unmögliche? (Lebhaft.) Gewiß! Haben Sie's auch auf die Art?

Solneß. Ja, so hab ich's.

Hilde. Dann ist wohl auch in Ihnen so – so etwas vom Unhold?

Solneß. Warum gerade Unhold?

Hilde. Nun, wie wollen denn Sie so was nennen?

Solneß (erhebt sich). Mag sein, daß Sie recht haben. (Heftig.) Wer muß ich denn nicht zum Unhold werden – so wie's mir immer und ewig in allem geht! In allem!

Hilde. Wie meinen Sie das?

Solneß (gedämpft, in innerer Erregung). Achten Sie auf das, was ich Ihnen sage, Hilde. Alles, was mir vergönnt wurde zu wirken, zu bauen, zu schaffen, Schönes, Trauliches – Erhabenes auch – (Er ballt die Fäuste.) O es ist doch ein entsetzlicher Gedanke –!

Hilde. Was ist so entsetzlich?

Solneß. Daß ich das alles unaufhörlich aufwägen muß. Dafür bezahlen. Nicht mit Geld. Aber mit Menschenglück. Und nicht mit meinem Glück allein. Mit dem Glücke anderer auch. Ja, da sehen Sie's, Hilde! Den Preis hat mich mein Künstlerplatz gekostet – mich und andere. Und Tag für Tag muß ich ansehen, wie der Preis aufs neue für mich bezahlt wird. Wieder und wieder – und immer wieder!

Hilde (erhebt sich und blickt ihn unverwandt an). Jetzt denken Sie gewiß an – an sie.

Solneß. Ja. Meist an Aline. Denn Aline – die hatte auch ihren Beruf im Leben. Ebenso wohl, wie ich den meinigen. (Mit bebender Stimme.) Aber ihr Beruf, der mußte verpfuscht, erdrückt, zermalmt werden – damit meiner mich vorwärts bringen könnte zu – zu dem, was aussieht wie ein großer Sieg. Denn das müssen Sie wissen: Aline – die hatte auch ihre Anlagen zum Bauen.

Hilde. Sie? Zum Bauen?

Solneß (schüttelt den Kopf). Keine Häuser und Türme und Pfeiler – nichts von dem, was ich selber treibe –

Hilde. Nun, aber was denn?

Solneß (weich und bewegt). Kleine Kinderseelen aufzubauen, Hilde. Kinderseelen aufzubauen, so daß sie groß werden in Gleichgewicht und in schönen edlen Formen. So daß sie sich erheben zu geraden erwachsenen Menschenseelen. Das war's, wozu Aline Anlagen hatte. Und das alles, das liegt jetzt da. Ungebraucht – und unbrauchbar für immer. Und ohne das mindeste zu nützen. Genau wie die Schutthaufen nach einem Brande.

Hilde. Nun – wenn's aber auch so wäre –

Solneß. Es ist so. Es ist so. Ich weiß es.

Hilde. Nun gut, aber Sie sind doch jedenfalls nicht schuld daran.

Solneß (richtet den Blick auf sie und nickt langsam). Ja, wissen Sie, das ist eben die große entsetzliche Frage. Das ist der Zweifel, der an mir nagt – früh und spät.

Hilde. Das?

Solneß. Ja, setzen Sie mal den Fall, ich wäre schuld daran. Gewissermaßen wenigstens.

Hilde. Sie! An dem Brand!

Solneß. An allem. Alles miteinander. – Und dann vielleicht – ganz unschuldig trotzdem.

Hilde (sieht ihn besorgt an). Ach, Baumeister – wenn Sie so etwas sagen können – dann sind Sie ja dennoch – krank.

Solneß. Hm – werd wohl mein Leben lang auch nie recht gesund werden in dem Stück.

Ragnar Brovik (öffnet behutsam die kleine Thür in der Ecke links).

Fünfter Auftritt.

Die Vorigen. Ragnar Brovik.

Hilde (macht einige Schritte).

Ragnar (Hilde erblickend). O – Entschuldigen Sie, Herr Solneß – (Er will sich zurückziehen.)

Solneß. Nein, nein, bleiben Sie nur. Dann ist's gethan.

Ragnar. Ach ja – wär's nur so weit!

Solneß. Ihrem Vater geht's ja nicht besser, wie ich höre.

Ragnar. Mit dem Vater geht's rasch abwärts. Und darum bitte ich Sie recht inständig – geben Sie mir ein paar gute Worte auf einem von den Blättern! Etwas, was der Vater zu lesen bekommen kann, ehe er –

Solneß (heftig). Sie dürfen mir von Ihren Zeichnungen nicht mehr reden!

Ragnar. Haben Sie sie angesehen?

Solneß. Ja – das hab ich.

Ragnar. Und sie taugen nicht? Und ich tauge wohl auch nicht?

Solneß (ausweichend). Bleiben Sie hier bei mir, Ragnar. Sie sollen's bekommen, wie Sie's selber haben wollen. Dann können Sie Kaja heiraten. Sorgenfrei leben. Glücklich vielleicht auch. Nur denken Sie nie daran, auf eigene Hand zu bauen.

Ragnar. Ja, da muß ich also heimgehen und das dem Vater sagen. Denn das versprach ich ihm. – Soll ich das dem Vater sagen – ehe er stirbt?

Solneß (mit sich selber ringend). Ach, sagen Sie ihm – sagen Sie ihm meinetwegen, was Sie wollen. Das beste ist, Sie sagen ihm gar nichts! Ich kann nicht anders handeln, als wie ich thue, Ragnar!

Ragnar. Darf ich also die Zeichnungen mitnehmen?

Solneß. Ja, nehmen Sie sie – nehmen Sie sie nur! Sie liegen dort auf dem Tisch.

Ragnar (geht hin). Ich bin so frei.

Hilde (legt die Hand auf die Mappen). Nein, nein, lassen Sie sie liegen.

Solneß. Warum denn?

Hilde. Ich will sie nämlich auch ansehen.

Solneß. Aber Sie haben sie ja – (Zu Ragnar.) Nun, lassen Sie sie also hier liegen.

Ragnar. Sehr gern.

Solneß. Und dann gehen Sie gleich heim zu Ihrem Vater.

Ragnar. Ja, das muß ich wohl.

Solneß (wie verzweifelt). Ragnar – Sie dürfen von mir nicht etwas verlangen, was ich nicht kann! Hören Sie, Ragnar! Sie dürfen das nicht!

Ragnar. Nein, nein. Entschuldigen Sie – (Er verbeugt sich und geht zur Eckthür hinaus).

Sechster Auftritt.

Solneß. Hilde Wangel.

Hilde (sieht Solneß zornig an). Das war recht häßlich von Ihnen.

Solneß. Meinen Sie das auch?

Hilde. Ja, furchtbar häßlich war's. Und hart und böse und grausam noch dazu.

Solneß. Ach, Sie begreifen nicht, was in mir vorgeht.

Hilde. Und doch – Nein, Sie sollen nicht so sein.

Solneß. Sie sagten ja selbst eben erst, nur ich sollte bauen dürfen.

Hilde. So was kann ich sagen. Aber Sie dürfen's nicht.

Solneß. Ich wohl am meisten. So teuer, wie ich meinen Platz erkauft habe.

Hilde. Nun ja – mit etwas, was Sie häusliches Behagen nennen – und dergleichen.

Solneß. Und mit meinem Seelenfrieden obendrein.

Hilde (erhebt sich). Seelenfrieden! (Innig.) Ja, darin haben Sie recht! Armer Baumeister – Sie bilden sich ja ein, daß –

Solneß (von einem stillen Lachen geschüttelt). Setzen Sie sich nur wieder, Hilde. Da erzähle ich Ihnen etwas Spaßhaftes.

Hilde (gespannt, setzt sich). Nun also?

Solneß. Es nimmt sich aus, wie ein lächerlich kleines Ding. Denn die ganze Geschichte dreht sich bloß um eine Ritze in einer Schornsteinröhre.

Hilde. Weiter nichts?

Solneß. Anfangs war's weiter nichts. (Er rückt einen Stuhl an den Hildes näher heran und setzt sich.)

Hilde (ungeduldig, klopft sich aufs Knie). Die Ritze in der Schornsteinröhre also!

Solneß. Ich hatte die Ritze in der Röhre bemerkt, lange bevor das Feuer ausbrach. Jedesmal, wenn ich auf dem Dachboden droben war, sah ich nach, ob sie noch da wäre.

Hilde. Und das war sie?

Solneß. Jawohl. Denn niemand anders wußte darum.

Hilde. Und Sie sagten nichts?

Solneß. Gar nichts.

Hilde. Dachten auch nicht daran, die Röhre ausbessern zu lassen?

Solneß. Dachte schon daran – kam aber nie weiter. Jedesmal, wenn ich mich dranmachen wollte, war's mir gerade, als ob sich eine Hand dazwischen legte. Heute nicht, dachte ich. Morgen. Es wurde nie was daraus.

Hilde. Ja, warum waren Sie denn so eine Schlafmütze.

Solneß. Weil mir allerlei im Kopf herumging. (Langsam und gedämpft.) Durch die kleine schwarze Ritze in der Schornsteinröhre könnte ich mich vielleicht emporschwingen – als Baumeister.

Hilde (blickt vor sich hin). Das muß spannend gewesen sein.

Solneß. Unwiderstehlich fast. Ganz unwiderstehlich. Denn damals kam mir alles so leicht und so einfach vor. Ich wollte, es sollte so mitten im Winter sein. Ein wenig vor der Mittagsstunde. Ich sollte draußen sein und Aline im Schlitten spazieren fahren. Die Dienstboten zu Hause, die sollten stark geheizt haben.

Hilde. Jawohl, denn an dem Tage sollte es wohl furchtbar kalt sein?

Solneß. Schneidend kalt. Und da wollten sie's natürlich für Aline recht warm und gemütlich herrichten, bis sie heimkäme.

Hilde. Denn die friert gewiß leicht.

Solneß. Ja, das thut sie. Und dann, auf dem Heimwege, sollten wir den Rauch sehen.

Hilde. Bloß den Rauch?

Solneß. Zuerst den Rauch. Aber wenn wir das Gartenthor erreicht hätten, dann sollte der ganze alte Holzkasten von lodernden Feuermassen umhüllt sein. – Auf die Art wollte ich's haben, sehen Sie.

Hilde. Aber du lieber Gott, daß es so nicht kommen konnte!

Solneß. Ja, das können Sie schon sagen, Hilde.

Hilde. Jetzt hören Sie aber, Baumeister. Wissen Sie denn auch ganz bestimmt, daß das Feuer von der kleinen Ritze im Schornstein herrührte?

Solneß. Im Gegenteil. Ich weiß ganz bestimmt, daß die Ritze im Schornstein insofern mit dem Feuer gar nichts zu thun hatte.

Hilde. Was!

Solneß. Es ist völlig erwiesen, daß das Feuer in einer Kleiderkammer ausbrach – in einem ganz andern Teil des Hauses.

Hilde. Ja, was faseln Sie denn dann immerfort von der ewigen Ritze im Schornstein!

Solneß. Darf ich noch ein wenig mit Ihnen weiterreden, Hilde?

Hilde. Ja, wenn Sie nur vernünftig reden wollen –

Solneß. Ich will's versuchen. (Er rückt seinen Stuhl näher.)

Hilde. Also heraus mit der Sprache, Baumeister.

Solneß (vertraulich). Glauben Sie nicht auch, Hilde, daß es einzelne auserkorene, auserwählte Menschen giebt, denen die Gnade verliehen wurde und die Macht und die Fähigkeit, etwas zu wünschen, etwas zu begehren, etwas zu wollen – so beharrlich und so – so unerbittlich – daß sie es zuletzt bekommen müssen. Glauben Sie das nicht?

Hilde (mit einem unbestimmbaren Ausdruck in den Augen). Wenn das der Fall ist, dann werden wir schon einmal sehen – ob ich zu den Auserkorenen gehöre.

Solneß. Allein wirkt einer so große Dinge nicht. O nein – die Helfer und die Diener – die müssen schon auch dabei sein, wenn's zu was werden soll. Aber die kommen nie von selber. Man muß sie recht beharrlich rufen. So inwendig, verstehen Sie.

Hilde. Was sind denn das für Helfer und Diener?

Solneß. Ach, davon können wir ein anderes Mal reden. Bleiben wir jetzt bei der Geschichte mit dem Brand.

Hilde. Glauben Sie nicht, daß der Brand trotzdem gekommen wäre – wenn Sie ihn auch nicht herbeigewünscht hätten?

Solneß. Hätte das Haus dem alten Knut Brovik gehört, dem wär's gar nie so gelegen abgebrannt. Davon bin ich überzeugt. Denn der versteht nicht die Helfenden zu rufen, und die Dienenden auch nicht. (Unruhig, steht auf.) Sehen Sie, Hilde – ich bin's also doch, der daran schuld ist, daß die zwei Kleinen das Leben einbüßen mußten. Und bin ich nicht auch etwa daran schuld, daß Aline nicht zu dem geworden ist, was sie werden sollte und konnte. Und was sie am liebsten wollte.

Hilde. Ja, wenn es nun aber bloß diese Helfer und Diener sind, dann –?

Solneß. Wer rief die Helfer und Diener? Das that ich! Und da kamen sie und unterwarfen sich meinem Willen. (In steigender Erregung.) Das ist's, was die Leute »Glück haben« nennen. Aber ich will Ihnen sagen, wie das Glück empfunden wird! Es wird empfunden wie eine große hautlose Stelle hier auf der Brust. Und die Helfer und Diener nehmen Hautfetzen von andern Menschen, um meine Wunde zu schließen! Aber die Wunde heilt doch nicht zu. Nie – niemals! Ach, wenn Sie wüßten, wie das zuweilen saugt und brennt.

Hilde (sieht ihn aufmerksam an). Sie sind krank, Baumeister. Schwer krank, glaub ich fast.

Solneß. Sagen Sie verrückt, denn das meinen Sie ja.

Hilde. Nein, am Verstande, glaub ich, fehlt Ihnen weiter nichts.

Solneß. Wo fehlt's mir denn? Heraus damit!

Hilde. Ob die Sache nicht die ist, daß Sie mit einem kränklichen Gewissen zur Welt gekommen sind.

Solneß. Mit einem kränklichen Gewissen? Was ist denn das für ein Teufelszeug?

Hilde. Ich meine, daß das Gewissen bei Ihnen recht schwächlich ist. So – zart gebaut. Daß es keinen Stoß verträgt. Daß es das, was schwer ist, nicht heben noch tragen kann.

Solneß (brummend). Hm! Wie sollte dann das Gewissen sein, wenn ich fragen darf?

Hilde. Bei Ihnen möchte ich am liebsten, daß das Gewissen so – so recht robust wäre.

Solneß. So? Robust? Na. Haben Sie vielleicht ein robustes Gewissen?

Hilde. Ich glaube schon. Ich habe wenigstens nichts anderes gemerkt.

Solneß. Ist wohl auch nicht sonderlich auf die Probe gestellt worden, denk ich mir.

Hilde (indem es um ihre Mundwinkel zuckt). Nun, so leicht war's doch nicht, vom Vater fortzugehen, den ich so ungeheuer gern habe.

Solneß. Ach was! Für einen Monat oder zwei –

Hilde. Ich komme gewiß niemals wieder heim.

Solneß. Niemals? Warum gingen Sie denn von ihm fort.

Hilde (halb im Ernst, halb neckisch). Haben Sie schon wieder vergessen, daß die zehn Jahre um sind?

Solneß. Ach, Unsinn. War zu Hause irgend etwas los? Nun?

Hilde (ernsthaft). Es war dieses Etwas in meinem Innern, was mich herjagte und mich herpeitschte. Und was mich lockte und anzog zu gleicher Zeit.

Solneß (eifrig). Da haben wir's! Da haben wir's, Hilde! Auch in Ihnen wohnt ein Unhold. Wie in mir. Denn es ist der Unhold in einem, sehen Sie – der ist es, der die Mächte herbeiruft. Und dann muß man nachgeben – man mag wollen oder nicht.

Hilde. Ich glaube beinahe, Sie haben recht, Baumeister.

Solneß (geht im Zimmer umher). O es giebt in der Welt so erstaunlich viele Teufelchen, die einer nicht sieht, Hilde.

Hilde. Teufelchen auch noch?

Solneß (bleibt stehen). Gutmütige Teufelchen und bösartige Teufelchen. Blondhaarige Teufelchen und schwarzhaarige. Wenn man nur immer wüßte, ob's die blonden sind oder die schwarzen, die einen in ihrer Gewalt haben! (Er schlendert herum.) Ja, dann wäre das Ding ganz einfach!

Hilde (folgt ihm mit den Augen). Oder wenn man ein recht kräftiges, von Gesundheit strotzendes Gewissen hätte. So daß man sich das getraute, was man am liebsten möchte.

Solneß (bleibt am Konsoltische stehen). Ich meinerseits glaube, daß die meisten in dem Punkt ebenso große Schwächlinge sind wie ich selber.

Hilde. Mag schon sein.

Solneß (lehnt sich an den Tisch). In den Sagenbüchern – Haben Sie von den alten Sagenbüchern etwas gelesen?

Hilde. Freilich! Zu der Zeit, da ich noch Bücher las –

Solneß. In den Sagenbüchern wird von Wikingern berichtet, die nach fremden Ländern segelten und plünderten und Häuser in Brand steckten und Männer totschlugen –

Hilde. Und Weiber gefangen nahmen –

Solneß. Und sie bei sich behielten –

Hilde. Und auf den Schiffen mit nach Hause nahmen –

Solneß. Und mit ihnen verfuhren wie – wie die schlimmsten Unholde.

Hilde (sieht mit einem halbverschleierten Blick vor sich hin). Mir scheint, das mußte spannend sein.

Solneß (mit einem kurzen brummenden Lachen). Weiber zu fangen? Jawohl.

Hilde. Gefangen zu werden.

Solneß (sieht sie einen Augenblick an). Ach so.

Hilde (gleichsam abbrechend). Aber wo wollen Sie denn mit den Wikingern hinaus, Baumeister?

Solneß. Ja, sehen Sie, die Kerle hatten ein robustes Gewissen! Wenn die wieder heimkamen, dann konnten sie fressen und saufen, als wenn nichts geschehen wäre. Und lustig wie Kinder waren sie auch noch. Und dann die Weiber! Die wollten manchmal gar nicht wieder von ihnen fort. Können Sie so was begreifen, Hilde?

Hilde. Die Weiber begreife ich ausgezeichnet.

Solneß. Oho! Könnten Sie etwa selber ebenso handeln?

Hilde. Warum denn nicht?

Solneß. Mit so einem – Gewaltthäter zusammenleben – freiwillig?

Hilde. Wenn's ein Gewaltthäter wäre, den ich recht lieb gewonnen hätte, dann –

Solneß. Könnten Sie denn so einen Menschen lieb gewinnen?

Hilde. Ach Gott, das steht doch nicht bei einem selber, wen man lieb gewinnen soll.

Solneß (sieht sie nachdenklich an). Ach nein – das entscheidet wohl der Unhold, der in einem wohnt.

Hilde (mit einem halben Lachen). Und dann alle diese merkwürdigen Teufelchen, mit denen Sie so gut bekannt sind. Sowohl die blondhaarigen als die schwarzhaarigen.

Solneß (mit Wärme, in gedämpftem Ton). Dann wünsche ich Ihnen, daß die Teufelchen mit Schonung für Sie wählen, Hilde.

Hilde. Für mich haben sie schon gewählt. Ein für allemal.

Solneß (blickt sie tief an). Hilde – Sie sind wie ein wilder Waldvogel.

Hilde. Durchaus nicht. Ich verstecke mich nicht im Gebüsch.

Solneß. Nein, das thun Sie wohl nicht. Da sind Sie eher noch einem Raubvogel ähnlich.

Hilde. Das noch eher – vielleicht. (Mit großer Heftigkeit.) Und warum kein Raubvogel? Warum sollte ich nicht auch auf Raub ausgehen? Die Beute an mich reißen, zu der ich Lust habe? Wenn ich sie nur packen kann mit meinen Krallen. Und die Oberhand behalten.

Solneß. Hilde – wissen Sie, was Sie sind?

Hilde. Ja, ich bin gewiß so ein sonderbarer Vogel.

Solneß. Nein; Sie sind wie ein anbrechender Tag. Wenn ich Sie ansehe – dann ist's mir, als blickte ich gegen Sonnenaufgang.

Hilde. Sagen Sie mir, Baumeister – wissen Sie bestimmt, daß Sie mich nie gerufen haben? So inwendig?

Solneß (leise und langsam). Ich glaube fast, ich muß es gethan haben.

Hilde. Was wollten Sie von mir?

Solneß. Sie sind die Jugend, Hilde.

Hilde (lächelnd). Die Jugend, vor der sie solche Angst haben?

Solneß (nickt langsam). Und die ich doch im Grunde so sehnlich herbeiwünsche.

Hilde (erhebt sich, geht zum Tischchen hin, holt die Mappe Ragnar Broviks, hält ihm die Mappe hin). Die Zeichnungen also –

Solneß (kurz, abweisend). Legen Sie das Zeug weg! Ich habe es lange genug angesehen.

Hilde. Aber Sie sollten ja etwas für ihn daraufschreiben.

Solneß. Daraufschreiben! In meinem Leben thu' ich's nicht.

Hilde. Aber wenn nun der arme alte Mann im Sterben liegt! Könnten Sie da nicht ihm und dem Sohn eine Freude machen, ehe sie sich trennen? Und vielleicht könnte er dann auch dazu kommen, nach den Zeichnungen zu bauen.

Solneß. Ja, das ist's ja eben, was er kann. Das wird er sich schon gesichert haben, der – der Monsieur.

Hilde. Aber du lieber Gott – wenn sich's so verhält – können Sie dann nicht ein klein bißchen lügen?

Solneß. Lügen? (Wütend). Hilde – gehen Sie weg von mir mit Ihren Teufelszeichnungen!

Hilde (zieht die Mappe ein wenig zurück) .Nanu – beißen Sie mich doch nicht. – Sie reden von Unholden. Mir kommt's vor, Sie betragen sich selber wie ein Unhold. (Sie sieht sich um.) Wo haben Sie Feder und Tinte?

Solneß. Giebt's nicht hier im Zimmer.

Hilde (will hinaus) .Aber draußen beim Fräulein haben Sie doch –

Solneß. Bleiben Sie, wo Sie sind, Hilde! – Ich sollte lügen, sagten Sie. Nun ja, seinem alten Vater zuliebe könnte ich das immerhin thun. Denn den habe ich einmal erdrückt. Über den Haufen geworfen.

Hilde. Den auch?

Solneß. Ich brauchte Platz für mich selber. Aber dieser Ragnar – der darf um keinen Preis in die Höhe kommen.

Hilde. Das wird er wohl auch nie, der arme Kerl. Wenn er nichts taugt, dann –

Solneß (näher, sieht sie an und flüstert) .Kommt Ragnar Brovik in die Höhe, dann schlägt er mich zu Boden. Erdrückt mich – wie ich's mit seinem Vater that. –

Hilde. Erdrückt er Sie? Taugt er denn? Solneß. Ja, darauf können Sie sich verlassen, daß der taugt! Der ist die Jugend, die bereit steht, bei mir anzuklopfen. Und dem ganzen Baumeister Solneß den Garaus zu machen.

Hilde (sieht ihn mit stillem Vorwurf an). Und trotzdem wollen Sie ihm den Weg versperren. Pfui, Baumeister!

Solneß. Er hat Herzblut genug gekostet, der Kampf, den ich durchgemacht habe. – Und dann habe ich Angst, daß die Helfer und Diener mir nicht mehr gehorchen.

Hilde. Dann müssen Sie's auf eigene Faust versuchen. Da ist nichts anderes zu thun.

Solneß. Hoffnungslos, Hilde. Der Umschwung kommt. Etwas früher oder etwas später. Denn die Wiedervergeltung, die ist unerbittlich.

Hilde (angstvoll, hält sich die Ohren zu). Reden Sie doch nicht so! Wollen Sie mir das Leben nehmen! Mir das nehmen, was mir mehr ist als das Leben!

Solneß. Und was ist denn das?

Hilde. Sie groß zu sehen. Sie zu sehen mit einem Kranz in der Hand. Hoch, hoch oben auf einem Kirchturm. (Wieder ruhig.) Nun, jetzt heraus mit dem Bleistift. Denn einen Bleistift haben Sie doch bei sich?

Solneß (nimmt seine Brieftasche heraus). Da habe ich einen.

Hilde (legt die Mappe auf den Sofatisch). Gut. Und jetzt, Baumeister, setzen wir uns, wir zwei.

Solneß (setzt sich an den Tisch).

Hilde (hinter ihm, beugt sich über die Stuhllehne). Und jetzt schreiben wir etwas auf die Zeichnungen hinauf. Etwas recht, recht Liebes und Warmes schreiben wir. Für diesen häßlichen Roar – oder wie er nun heißt.

Solneß (schreibt einige Zeilen, wendet den Kopf und blickt zu ihr auf). Ich möchte etwas wissen, Hilde.

Hilde. Nun?

Solneß. Wenn Sie also volle zehn Jahre auf mich gewartet haben –

Hilde. Was dann?

Solneß. Warum schrieben Sie mir nie? Dann hätte ich Ihnen antworten können.

Hilde (schnell). Nein, nein! Das war's gerade, was ich nicht haben wollte.

Solneß. Warum nicht?

Hilde. Ich fürchtete, das Ganze könnte mir dabei unter den Händen zusammenbrechen. – Aber wir sollten ja auf die Zeichnungen etwas hinaufschreiben, Baumeister.

Solneß. Ja freilich.

Hilde (beugt sich vornüber und sieht zu, während er schreibt). Wie warm und gut und herzig. O wie ich ihn hasse – wie ich ihn hasse, diesen Roald –

Solneß (schreibend). Haben Sie nie jemand so recht gern gehabt, Hilde?

Hilde (hart). Was sagten Sie?

Solneß. Ob Sie nie jemand recht gern gehabt haben?

Hilde. Jemand anderen, meinen Sie wohl?

Solneß (blickt zu ihr auf). Jemand anderen, jawohl. Haben Sie das nie? In diesen zehn Jahren? Niemals?

Hilde. O ja, dann und wann. Wenn ich recht wild auf Sie war, weil Sie nicht kamen.

Solneß. Da hatten Sie andere auch gern?

Hilde. Ein klein wenig. Eine Woche oder zwei. Du lieber Gott, Baumeister, Sie wissen ja doch, wie sich's mit so was verhält.

Solneß. Hilde – in welcher Absicht sind Sie hergekommen?

Hilde. Verlieren Sie doch die Zeit nicht mit dem vielen Reden. Der arme alte Mann ist vielleicht schon am Sterben.

Solneß. Antworten Sie mir, Hilde. Was wollen Sie von mir?

Hilde. Ich will mein Königreich haben.

Solneß. Hm – (Er blickt flüchtig nach der Thür links und fährt zu schreiben fort).

Frau Solneß (erscheint gleichzeitig; sie trägt einige Pakete).

Siebenter Auftritt.

Die Vorigen. Frau Solneß.

Frau Solneß. Da habe ich einige Kleinigkeiten für Sie mitgebracht, Fräulein Wangel. Die großen Pakete werden später nachgeschickt.

Hilde. O das war aber doch lieb von Ihnen!

Frau Solneß. Einfach meine Pflicht. Weiter gar nichts.

Solneß (liest das, was er geschrieben hat, durch). Aline!

Frau Solneß. Ja?

Solneß. Sahst du, ob sie – die Buchhalterin draußen war?

Frau Solneß. Ja natürlich war die da.

Solneß (legt die Zeichnungen in die Mappe hinein). Hm –

Frau Solneß. Sie stand am Pulte, wie sie immer thut – wenn ich durchs Zimmer gehe.

Solneß (steht auf). Dann will ich's ihr also geben. Und ihr sagen, daß –

Hilde (nimmt ihm die Mappe weg). Ach nein, gönnen Sie doch mir die Freude! (Sie geht zur Thür, dreht sich aber dann um.) Wie heißt sie?

Solneß. Sie heißt Fräulein Fosli.

Hilde. Ach, das hört sich ja so frostig an! Mit dem Vornamen, meine ich?

Solneß. Kaja – glaube ich.

Hilde (öffnet die Thür und ruft hinaus). Kaja! Kommen Sie herein. Schnell! Der Baumeister will mit Ihnen reden.

Kaja Fosli (kommt herein und bleibt an der Thür stehen).

Achter Auftritt.

Die Vorigen. Kaja Fosli.

Kaja (sieht ihn verschüchtert an). Da bin ich –?

Hilde (reicht ihr die Mappe). Da, Kaja! Sie können die Sachen mitnehmen. Denn jetzt hat der Baumeister daraufgeschrieben.

Kaja. Ach, endlich!

Solneß. Geben Sie's dem Alten so rasch wie möglich.

Kaja. Ich gehe gleich damit nach Hause.

Solneß. Thun Sie das. Und jetzt kann ja Ragnar dazu kommen, zu bauen.

Kaja. Ach, darf er herkommen, um Ihnen zu danken für alles, was –

Solneß (hart). Ich mag keinen Dank! Sagen Sie ihm das von mir.

Kaja. Jawohl, das werde ich –

Solneß. Und sagen Sie ihm zugleich, daß ich ihn hernach nicht mehr nötig habe. Und Sie auch nicht.

Kaja (leise, mit bebender Stimme). Mich auch nicht!

Solneß. Von nun an werden Sie sich ja um andere Dinge kümmern müssen. Und das ist ja nur in der Ordnung. Na, jetzt gehen Sie also mit den Zeichnungen nach Hause, Fräulein Fosli. Schnell! Hören Sie!

Kaja (wie oben). Jawohl, Herr Solneß. (Ab.)

Neunter Auftritt

Solneß. Frau Solneß. Hilde Wangel.

Frau Solneß. Gott, hat die tückische Augen.

Solneß. Die! Das arme dumme Gänschen.

Frau Solneß. O – mir macht sie nichts weis, Halvard. – Kündigst du ihnen wirklich?

Solneß. Gewiß.

Frau Solneß. Ihr auch?

Solneß. Wolltest du's nicht selber so haben?

Frau Solneß. Daß du aber die entbehren kannst –? Na, du wirst schon eine in der Hinterhand haben, Halvard.

Hilde (lustig). Ja, ich tauge jedenfalls nicht dazu, am Schreibpult zu stehen.

Solneß. Na, laß gut sein, Aline – das wird sich schon finden. Jetzt sollst du nur daran denken, ins neue Heim einzuziehen – so schnell wie's geht. Heut Abend hängen wir den Kranz hinauf, (zu Hilde) ganz oben auf die Turmspitze. Was sagen Sie dazu, Fräulein Hilde?

Hilde (starrt ihn mit funkelnden Augen an). Das wird entsetzlich schön sein, Sie wieder so hoch oben zu sehen.

Solneß. Mich!

Frau Solneß. Ach Gott, Fräulein Wangel, stellen Sie sich doch nicht so etwas vor. Mein Mann – so schwindelig wie der ist!

Hilde. Schwindelig! Nein, das ist er doch wahrhaftig nicht!

Frau Solneß. O doch, das ist er.

Hilde. Ich habe ihn ja aber selber ganz oben auf einem hohen Kirchturm gesehen!

Frau Solneß. Davon habe ich allerdings die Leute reden hören. Aber das ist rein unmöglich –

Solneß (heftig). Unmöglich – unmöglich, jawohl! Ich stand aber doch droben!

Frau Solneß. Wie kannst du nur so was sagen, Halvard? Du verträgst es ja nicht einmal, auf den Balkon hinauszugehen, droben im ersten Stock. So bist du ja immer gewesen.

Solneß. Du könntest vielleicht heut Abend etwas anderes erleben.

Frau Solneß (angstvoll). Nein, nein! Das werde ich doch mit Gottes Hilfe niemals erleben. Gleich schreibe ich dem Doktor. Der wird dich schon davon abbringen.

Solneß. Aber Aline –!

Frau Solneß. Ja, du bist ja doch krank, Halvard! Das kann ja nichts anderes sein! Ach Gott – ach Gott! (Sie eilt nach rechts ab.)

Zehnter Auftritt.

Solneß. Hilde Wangel.

Hilde (sieht ihn gespannt an). Ist es wahr?

Solneß. Daß ich schwindelig bin?

Hilde. Daß mein Baumeister sich nicht getraut – nicht so hoch steigen kann, wie er selber baut?

Solneß. Sehen Sie das Ding von der Seite an?

Hilde. Ja.

Solneß. Ich glaube, es ist bald kein Winkelchen in mir, das vor Ihnen sicher sein kann.

Hilde (blickt zum Erkerfenster hin). Da oben also. Ganz oben –

Solneß (näher). In der obersten Turmkammer könnten Sie wohnen, Hilde. – Könnten's dort haben wie eine Prinzessin.

Hilde (mit einem unbestimmbaren Gemisch von Ernst und Scherz). Ja, das haben Sie mir ja versprochen.

Solneß. Hab ich das eigentlich?

Hilde. Pfui, Baumeister! Sie sagten, ich sollte Prinzessin werden. Und daß ich von Ihnen ein Königreich bekommen sollte. Und dann faßten Sie – Na, mehr sag' ich nicht!

Solneß (behutsam). Sind Sie ganz gewiß, daß es nicht so ein Traum war – eine Einbildung, die sich bei Ihnen festgesetzt hat?

Hilde (unwirsch). Sie thaten's am Ende gar nicht?

Solneß. Weiß es kaum selber. (Leiser.) Aber das weiß ich jetzt allerdings, daß ich –

Hilde. Daß Sie –? Sagen Sie's gleich!

Solneß. Daß ich's hätte thun sollen.

Hilde (mit kühner Zuversicht). Sie waren in Ihrem Leben nie schwindelig!

Solneß. Heut Abend hängen wir also den Kranz hinauf – Prinzessin Hilde.

Hilde (mit einem bittern Zug um den Mund). Über Ihr neues Heim, jawohl.

Solneß. Über das neue Haus. Das niemals ein Heim wird für mich. (Ab durch die Verandathür.)

Hilde (sieht mit einem verschleierten Blick ins Leere hinaus und flüstert vor sich hin; man hört nur die Worte:) Entsetzlich spannend – –


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