Henrik Ibsen
Baumeister Solneß
Henrik Ibsen

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Dritter Aufzug.

Eine große breite Veranda vor dem Wohnhause des Baumeisters Solneß.

Ein Teil des Hauses mit einem Ausgang zur Veranda ist links sichtbar; vor dieser rechts ein Geländer. Rückwärts, an der schmalen Seite der Veranda, führt eine Treppe hinunter zum tiefer gelegenen Garten. Große alte Bäume im Garten strecken ihre Äste über die Veranda gegen das Haus hin aus. Ganz rechts, zwischen den Bäumen, erblickt man den untersten Teil der neuen Villa, um dessen Turmbau das Gerüst noch steht. Im Hintergrund ist der Garten von einem alten Steckenzaun begrenzt. Außerhalb des Zauns eine Straße mit niedrigen verfallenen Häuschen. Auf der Veranda eine Gartenbank längs der Hauswand, und vor der Bank ein länglicher Tisch; an der anderen Seite des Tisches ein Lehnstuhl und einige Taburetts. Alle Möbel sind geflochten.

Abendhimmel mit sonnenbeleuchteten Wolken.

Erster Auftritt.

Frau Solneß. Hilde Wangel.

Frau Solneß (die in einen großen weißen Kreppshawl gehüllt ist, ruht im Lehnstuhl und starrt nach rechts hinüber).

Hilde Wangel (kommt nach einer Weile die Gartentreppe herauf; sie ist gekleidet wie letzthin und hat ihr Hütchen auf; an der Brust trägt sie ein Sträußchen von gewöhnlichen Wiesenblumen).

Frau Solneß (wendet den Kopf ein wenig). Sind Sie im Garten herumgewesen, Fräulein Wangel?

Hilde. Jawohl, ich habe mich da unten umgesehen.

Frau Solneß. Auch Blumen gefunden, wie ich sehe.

Hilde. Freilich. Von denen ist ja mehr als genug da. Zwischen den Büschen drin.

Frau Solneß. Wirklich? So spät im Jahre? Ich komme ja fast nie hinunter.

Hilde (kommt näher). Was Sie sagen! Laufen Sie denn nicht jeden Tag in den Garten hinunter?

Frau Solneß (mit einem matten Lächeln). Ich »laufe« nirgends mehr hin. Jetzt nicht mehr.

Hilde. Aber gehen Sie denn nicht dann und wann hinunter, um all der Herrlichkeit einen Besuch zu machen?

Frau Solneß. Es ist mir alles so fremd geworden. Ich fürchte mich beinahe davor, es wiederzusehen.

Hilde. Ihren eigenen Garten!

Frau Solneß. Es kommt mir vor, als ob er nicht mehr mein wäre.

Hilde. Ach, was ist denn das für –!

Frau Solneß. Nein, nein, das ist er nicht. Es ist nicht wie damals, als der Vater und die Mutter noch lebten. Es ist jammerschade, wie viel sie vom Garten weggenommen haben. Denken Sie nur – da haben sie ihn zerstückelt – und Häuser gebaut für fremde Menschen. Leute, die ich nicht kenne. Und die können mich von ihren Fenstern aus beobachten.

Hilde (mit einem hellen Ausdruck im Gesicht). Frau Solneß?

Frau Solneß. Ja?

Hilde. Darf ich ein bißchen bei Ihnen bleiben?

Frau Solneß. Sehr gern, wenn Sie nur Lust dazu haben.

Hilde (rückt ein Taburett zum Lehnstuhl hin und setzt sich). Ah – hier kann man sich sonnen, so recht wie eine Katze.

Frau Solneß (legt die Hand leicht auf ihren Nacken). Das ist schön von Ihnen, daß Sie bei mir sitzen wollen. Ich dachte, Sie wollten zu meinem Mann hinein.

Hilde. Was sollte ich bei ihm thun?

Frau Solneß. Ihm helfen, dachte ich mir.

Hilde. O nein, übrigens ist er nicht drinnen. Er ist da drüben bei den Arbeitsleuten. Er sah aber so grimmig aus, daß ich mir nicht getraute, ihn anzureden.

Frau Solneß. Ach, im Grunde hat er ein so mildes und weiches Gemüt.

Hilde. Der!

Frau Solneß. Sie kennen ihn eben noch nicht recht, Fräulein Wangel.

Hilde (sieht sie mit Wärme an). Sind Sie jetzt froh, daß Sie ins neue Haus hinüberziehen sollen?

Frau Solneß. Ich sollte froh sein. Denn Halvard will es ja so haben –

Hilde. O nicht gerade aus dem Grunde, scheint mir.

Frau Solneß. Doch, doch, Fräulein Wangel. Denn das ist ja nur meine Pflicht, mich ihm zu unterwerfen. Aber manchmal fällt es so schwer, den Sinn zum Gehorsam zu zwingen.

Hilde. Ja, das muß gewiß schwer fallen.

Frau Solneß. Das können Sie mir glauben. Wenn man nicht ein besserer Mensch ist, als ich, dann –

Hilde. Wenn man soviel Schweres durchgemacht hat, wie Sie –

Frau Solneß. Woher wissen Sie das?

Hilde. Ihr Mann sagte es.

Frau Solneß. Mir gegenüber berührt er die Dinge so selten. – Ja, das können Sie mir glauben, Fräulein Wangel, ich habe mehr als genug durchgemacht in meinem Leben.

Hilde (blickt sie teilnehmend an und nickt langsam). Arme Frau Solneß. Zuerst hatten Sie ja den Brand –

Frau Solneß (mit einem Seufzer). Ach ja. All das meinige ging dabei zu Grunde.

Hilde. Und dann kam ja etwas noch Schlimmeres.

Frau Solneß (sieht sie fragend an). Noch schlimmer?

Hilde. Das Allerschlimmste.

Frau Solneß. Was, meinen Sie?

Hilde (leise). Sie verloren ja die beiden Kleinen.

Frau Solneß. Ach, die. Ja, sehen Sie, das war aber etwas ganz anderes. Das war ja eine höhere Fügung. Und wenn so etwas kommt, da muß man sich unterwerfen. Und Gott danken obendrein.

Hilde. Thun Sie denn das?

Frau Solneß. Nicht immer, leider. Ich weiß ja sehr wohl, daß es meine Pflicht wäre. Aber ich kann es trotzdem nicht.

Hilde. Nein, das kommt mir auch ganz natürlich vor.

Frau Solneß. Und oftmals muß ich ja mir selber sagen, daß es eine gerechte Strafe war –

Frau Solneß. Warum denn?

Frau Solneß. Weil ich nicht standhaft genug war im Unglück.

Hilde. Aber ich begreife nicht, wie –

Frau Solneß. Ach nein, Fräulein Wangel – reden wir nicht mehr von den zwei Kleinen. Über die sollen wir uns bloß freuen. Die haben es ja jetzt so gut, wie man es nur wünschen kann. Nein, es sind die kleinen Verluste im Leben, die einem wehe thun bis in die Seele hinein. Wenn man das alles verliert, was andere Leute fast für gar nichts achten.

Hilde (legt die Arme auf ihre Knie und blickt mit warmem Mitgefühl zu ihr auf). Liebste Frau Solneß – erzählen Sie mir davon.

Frau Solneß. Wie ich Ihnen sagte. Lauter Kleinigkeiten. Da verbrannten zum Beispiel alle die alten Porträts an den Wänden. Und alle die alten seidenen Kleider, die der Familie Gott weiß wie lange gehört hatten. Und die Spitzen der Mutter und der Großmutter – die verbrannten auch. Und denken Sie nur – die Schmucksachen! (Schwermütig.) Und dann alle die Puppen.

Hilde. Die Puppen?

Frau Solneß (mit Tränenerstickter Stimme). Ich hatte neun wunderschöne Puppen.

Hilde. Und die verbrannten auch?

Frau Solneß. Alle miteinander. Ach, wie ich mir das zu Herzen nahm.

Hilde. Hatten Sie denn alle die Puppen aufgehoben von der Zeit an, da Sie klein waren?

Frau Solneß. Aufgehoben, nein. Ich und die Puppen, wir blieben immer beisammen.

Hilde. Nachdem Sie erwachsen waren?

Frau Solneß. Ja, lange nachher.

Hilde Auch nachdem Sie verheiratet waren?

Frau Solneß. O ja. Wenn er nicht dabei war, da – Dann verbrannten sie ja aber, die armen Dinger. Die zu retten, da dachte niemand dran. Ach, das ist ein trauriger Gedanke. Sie dürfen mich deshalb nicht auslachen, Fräulein Wangel.

Hilde. Ich lache durchaus nicht.

Frau Solneß. Auf ihre Art waren die ja auch lebendige Wesen, sozusagen. Ich trug sie unter dem Herzen. Wie ungeborene kleine Kinder.

Doktor Herdal (den Hut in der Hand, erscheint in der Verandathür und erblickt Frau Solneß und Hilde).

Zweiter Auftritt.

Die Vorigen. Doktor Herdal.

Herdal. Na, Sie sitzen so im Freien und holen sich eine Erkältung, gnädige Frau?

Frau Solneß. Die Luft ist heut so herrlich mild.

Herdal. 's geht an. Aber ist hier im Hause etwas los? Ich bekam ein Briefchen von Ihnen.

Frau Solneß (erhebt sich). Jawohl, es ist etwas, worüber ich notwendig mit Ihnen reden muß.

Herdal. Gut. Dann gehen wir vielleicht hinein. (Zu Hilde.) Heute auch in Gebirgsuniform, Fräulein?

Hilde (steht auf, lustig). Freilich! In vollem Wichs! Heut will ich aber nicht in die Höhe, um mir's Genick zu brechen. Wir beide, Doktor, wir bleiben hübsch da und sehen uns das Ding von unten an.

Herdal. Was sollen wir uns ansehen?

Frau Solneß (erschrocken, leise zu Hilde). Still, still – um Gottes willen! Da kommt er. Sehen Sie doch zu, daß Sie ihn von dem Einfall abbringen. Und seien wir Freundinnen, Fräulein Wangel. Können wir das nicht sein?

Hilde (fällt ihr stürmisch um den Hals). Ach, könnten wir das nur!

Frau Solneß (macht sich gelinde los). So – lassen Sie es nur gut sein! Da kommt er, Doktor! Ich möchte mit Ihnen reden.

Herdal. Betrifft es ihn?

Frau Solneß. Ja freilich betrifft es ihn. Gehen wir nur hinein.

Frau Solneß und Doktor Herdal (gehen ins Haus hinein).

Baumeister Solneß (kommt fast gleichzeitig die Gartentreppe herauf).

Dritter Auftritt.

Solneß. Hilde Wangel.

Hilde (nimmt einen ernsten Ausdruck an).

Solneß (mit einem Blick auf die Thür, die behutsam von innen zugemacht wird). Haben Sie bemerkt, Hilde, daß sie weggeht, sobald ich komme?

Hilde. Ich habe bemerkt, daß Sie sie weg scheuchen, sobald Sie kommen.

Solneß. Mag sein. Dafür kann ich aber nichts. (Er sieht sie aufmerksam an.) Frieren Sie, Hilde? Sie sehen wenigstens so aus.

Hilde. Ich kam soeben von einem Grabgewölbe herauf.

Solneß. Was soll das heißen?

Hilde. Daß es mich frostig angeweht hat, Baumeister.

Solneß. (langsam). Ich glaube, ich verstehe –

Hilde. Weswegen sind Sie jetzt hier?

Solneß. Ich sah da drüben, daß Sie hier waren.

Hilde. Dann sahen Sie aber auch sie?

Solneß. Ich wußte, daß sie gleich gehen würde, wenn ich käme.

Hilde. Thut Ihnen das recht leid, daß sie Ihnen so aus dem Wege geht?

Solneß. Gewissermaßen empfinde ich es auch als eine Erleichterung.

Hilde. Daß Sie sie nicht unmittelbar vor Augen haben?

Solneß. Jawohl.

Hilde. Daß Sie nicht immer wieder sehen, wie sie sich die Geschichte mit den Kleinen zu Herzen nimmt?

Solneß. Ja. Darum am meisten.

Hilde (geht, die Hände auf dem Rücken, zum Geländer hin, bleibt dort stehen und blickt über den Garten hinaus).

Solneß (nach einer kurzen Pause). Sprachen Sie lange mit ihr?

Hilde (steht unbeweglich da, ohne zu antworten).

Solneß. Lange, frag ich?

Hilde (schweigt).

Solneß. Wovon redete sie denn, Hilde?

Hilde (schweigt noch immer).

Solneß. Die arme Aline! Es wird wohl von den Kleinen gewesen sein. Hilde (wird von einem nervösen Zucken durchfahren, dann nickt sie schnell ein paar Mal hintereinander).

Solneß. Sie verwindet es niemals. Ihr Lebtag verwindet sie's nicht. (Er nähert sich Hilde.) Jetzt stehen Sie wieder da wie eine Salzsäule. So standen Sie gestern Abend auch da.

Hilde (dreht sich um und sieht ihn mit großen Augen an). Ich reise ab.

Solneß (in scharfem Ton). Sie reisen ab!

Hilde. Ja.

Solneß. Das erlaube ich aber nicht!

Hilde. Was soll ich jetzt noch hier?

Solneß. Nur daß Sie da sind. Hilde!

Hilde (mißt ihn mit dem Blick). Wär nicht übel. Dabei würde es wohl kaum sein Bewenden haben.

Solneß (unüberlegt). Um so besser!

Hilde (heftig). Ich kann nichts Böses vorhaben gegen eine, die ich kenne! Ich kann ihr nichts nehmen, was ihr gehört.

Solneß. Wer sagt denn, daß Sie das sollen?

Hilde (ohne zu antworten). Bei einer Fremden, ja! Das ist etwas ganz anderes. Wenn's eine wäre, die ich in meinem Leben nie gesehen hätte. Aber bei einer, der ich nahe gekommen bin –! Nein! O nein! Pfui!

Solneß. Ja, aber etwas anderes habe ich ja auch nicht gesagt!

Hilde. Ach, Baumeister, Sie wissen recht gut, wie's gehen würde. Und darum reise ich auch ab.

Solneß. Und was soll aus mir werden, wenn Sie fort sind? Wofür habe ich nachher noch zu leben?

Hilde (mit dem unbestimmbaren Ausdruck in den Augen). Mit Ihnen hat's jedenfalls keine Not. Sie haben ja Ihre Pflichten ihr gegenüber. Leben Sie doch für die Pflichten.

Solneß. Zu spät. Diese Mächte – diese – diese –

Hilde. Teufelchen –

Solneß. Jawohl, die Teufelchen! Und der Unhold in mir auch. Die haben ihr alles Lebensblut abgezapft. (Er lacht in Verzweiflung.) Meinem Glück zulieb thaten Sie es! Ja freilich! (Schwermütig.) Und jetzt ist sie tot – um meinetwillen. Und ich bin bei lebendigem Leibe an die Tote gekettet. (In wilder Angst.) Ichich, der ein freudeloses Leben nicht tragen kann!

Hilde (geht auf die andere Seite des Tisches hinüber und setzt sich auf die Bank; die Ellbogen auf der Tischplatte ruhend, den Kopf auf die Hände gestützt, sieht sie ihn eine Weile schweigend an). Was werden Sie denn das nächste Mal bauen?

Solneß (schüttelt den Kopf). Glaub nicht, daß es was rechtes mehr wird.

Hilde. Keine so trauliche glückliche Heimstätten für Mutter und Vater? Und für die Kinderschar?

Solneß. Möchte wissen, ob so was vonnöten sein wird hernach.

Hilde. Armer Baumeister! Und da haben Sie volle zehn Jahre daran gearbeitet – das Leben sozusagen darauf eingesetzt – nur darauf.

Solneß. Da haben Sie recht, Hilde.

Hilde (platzt heraus). Ach, wie kommt mir doch das alles so albern vor! Wirklich so albern –!

Solneß. Was meinen Sie?

Hilde. Daß einer nach seinem eigenen Glück nicht greifen darf. Nach seinem eigenen Leben nicht! Bloß weil jemand dazwischen steht, den man kennt!

Solneß. Jemand, an dem man nicht vorbei darf.

Hilde. Ich möchte wissen, ob man das im Grunde nicht dürfte. Aber trotzdem – Ach, wenn man doch die ganze Geschichte verschlafen könnte! (Sie legt die Arme flach auf den Tisch, läßt die linke Seite des Kopfes auf den Händen ruhen und schließt die Augen.)

Solneß (dreht den Lehnstuhl um und setzt sich an den Tisch). Haben Sie ein trauliches glückliches Heim, Hilde – droben bei Ihrem Vater?

Hilde (unbeweglich, antwortet gleichsam halb schlafend). Nur einen Käfig hatte ich.

Solneß. Und Sie wollen durchaus nicht wieder hinein?

Hilde (wie oben). Der Waldvogel will nie hinein in den Käfig.

Solneß. Lieber jagen in freier Luft –

Hilde (noch immer wie oben). Der Raubvogel jagt am liebsten.

Solneß (läßt den Blick auf ihr ruhen). Wer doch Wikingertrotz im Leibe hätte –

Hilde (mit ihrer gewöhnlichen Stimme, indem sie die Augen aufschlägt, sich aber nicht rührt). Und das andere? Nennen Sie's!

Solneß. Ein robustes Gewissen.

Hilde (richtet sich lebhaft auf der Bank empor; ihre Augen haben aufs neue den freudefunkelnden Ausdruck; sie nickt ihm zu). Ich weiß, was Sie das nächste Mal bauen werden!

Solneß. Da wissen Sie mehr, als ich selber, Hilde.

Hilde. Ja, die Baumeister, die sind ja so dumm.

Solneß. Und was wird's denn werden?

Hilde (nickt wieder). Das Schloß.

Solneß. Was für ein Schloß?

Hilde. Mein Schloß natürlich.

Solneß. Jetzt wollen Sie gar ein Schloß haben?

Hilde. Sind Sie mir nicht ein Königreich schuldig, wenn ich fragen darf?

Solneß. Das behaupten Sie wenigstens.

Hilde. Schön. Das Königreich sind Sie mir also schuldig. Und zu einem Königreich gehört doch wohl ein Schloß, soviel ich weiß.

Solneß (immer aufgeräumter). Ja, das pflegt ja sonst der Fall zu sein.

Hilde. Gut, dann bauen Sie mir's also! Gleich!

Solneß (lachend). So auf der Stelle? – Das auch noch?

Hilde. Freilich! Denn jetzt sind sie um – die zehn Jahre. Und ich will nicht länger warten. Also – heraus mit dem Schloß, Baumeister!

Solneß. Es ist kein Spaß, Ihnen etwas schuldig zu sein, Hilde.

Hilde. Das hätten Sie früher bedenken sollen. Jetzt ist es zu spät. Also – (sie klopft auf die Tischplatte) das Schloß auf den Tisch! Es ist mein Schloß! Gleich will ich's haben!

Solneß (mehr im Ernst, beugt sich näher zu ihr hinüber, die Arme auf dem Tisch). Wie haben Sie sich denn eigentlich das Schloß vorgestellt, Hilde?

Hildes (Blick verschleiert sich allmählich; sie starrt gleichsam in sich selbst hinein). Mein Schloß soll hoch oben liegen. Sehr hoch soll es liegen. Und frei nach allen Seiten hin. So daß ich weit hinausblicken kann – weit hinaus.

Solneß. Und ein hoher Turm soll wohl dazu gehören?

Hilde. Ein ungeheuer hoher Turm. Und ganz oben auf dem Turm ein Söller. Und auf dem will ich stehen –

Solneß (greift sich unwillkürlich an die Stirn). Daß Sie daran Gefallen finden können, in so schwindelerregender Höhe zu stehen –

Hilde. O gewiß! Gerade dort oben will ich stehen und die andern ansehen – die, die Kirchen bauen. Und Heimstätten für Mutter und Vater und die Kinderschar. Und Sie dürfen auch hinaufkommen und sich's ansehen.

Solneß (gedämpft). Darf der Baumeister zur Prinzessin hinaufkommen?

Hilde. Wenn der Baumeister will.

Solneß (noch leiser). Dann, glaube ich, kommt der Baumeister.

Hilde (nickt). Der Baumeister – der kommt.

Solneß. Wird aber nie mehr bauen – der arme Baumeister.

Hilde (lebhaft). Doch! Zu zweien werden wir sein. Und dann bauen wir das Herrlichste – das Allerherrlichste, was es auf Erden giebt.

Solneß (gespannt). Hilde – sagen Sie mir, was das ist!

Hilde (sieht ihn lächelnd an, schüttelt den Kopf ein wenig, spitzt die Lippen und spricht wie zu einem Kinde). Die Baumeister – die sind sehr – sehr dumme Leute.

Solneß. Ja freilich sind sie dumm. Aber jetzt sagen Sie mir, was das ist! Das, was Sie das Herrlichste auf Erden nennen. Und was wir zwei miteinander bauen sollen?

Hilde (schweigt eine Weile, dann sagt sie mit einem unbestimmbaren Ausdruck in den Augen): Luftschlösser.

Solneß. Luftschlösser?

Hilde (nickt). Luftschlösser, jawohl! Wissen Sie, was so ein Luftschloß für ein Ding ist?

Solneß. Sie sagen ja, es ist das Herrlichste auf Erden.

Hilde (erhebt sich heftig und macht eine wegwerfende Handbewegung). Ja, versteht sich! Luftschlösser – die sind ja so bequeme Zufluchtsorte. Und auch so bequem zu bauen (sie sieht ihn höhnisch an), besonders für die Baumeister, die ein – schwindliges Gewissen haben.

Solneß (erhebt sich). Von heute an bauen wir zwei miteinander, Hilde.

Hilde (mit einem halb zweifelnden Lächeln). So'n richtiges Luftschloß?

Solneß. Jawohl. Mit einer Grundmauer darunter.

Ragnar Brovik (kommt aus dem Hause heraus; er trägt einen großen grünen Kranz, der mit Blumen und Seidenbändern geschmückt ist).

Vierter Auftritt.

Die Vorigen. Ragnar Brovik.

Hilde (mit einem Freudenausbruch). Der Kranz! O das wird entsetzlich schön werden!

Solneß (verwundert). Kommen denn Sie mit dem Kranz, Ragnar?

Ragnar. Ich hatte es dem Werkmeister versprochen.

Solneß (erleichtert). Nun, dann geht's jedenfalls Ihrem Vater besser?

Ragnar. Nein.

Solneß. Ermunterte ihn das nicht, was ich geschrieben hatte?

Ragnar. Es kam zu spät.

Solneß. Zu spät!

Ragnar. Als sie es mitbrachte, war er nicht mehr bei Besinnung. Er hatte einen Schlaganfall gehabt.

Solneß. Aber so gehen Sie doch zu ihm heim! Seien Sie doch bei Ihrem Vater!

Ragnar. Er braucht mich nicht mehr.

Solneß. Aber Sie müssen doch wohl bei ihm sein.

Ragnar. Sie sitzt an seinem Bett.

Solneß (etwas unsicher). Kaja?

Ragnar (blickt ihn finster an). Kaja – jawohl.

Solneß. Gehen Sie nach Hause, Ragnar. Zu ihr sowohl, als zu ihm. Geben Sie mir den Kranz.

Ragnar (unterdrückt ein spöttisches Lächeln). Sie wollen doch nicht selber –?

Solneß. Ich will selber damit hinüber gehen. (Er nimmt ihm den Kranz ab.) Und jetzt gehen Sie nach Hause. Wir haben Sie heute nicht nötig.

Ragnar. Ich weiß, daß Sie mich hernach nicht nötig haben. Aber heute bleibe ich da.

Solneß. Na, bleiben Sie da, wenn Sie's durchaus wollen.

Hilde (am Geländer). Baumeister – hier will ich mich hinstellen, um Ihnen zuzusehen.

Solneß. Mir!

Hilde. Das wird entsetzlich spannend werden.

Solneß (gedämpft). Davon reden wir zwei später, Hilde. (Er geht mit dem Kranz fort, die Treppe hinab und durch den Garten hin.)

Fünfter Auftritt.

Ragnar Brovik. Hilde Wangel.

Hilde (blickt Solneß nach; darauf wendet sie sich zu Ragnar). Mir scheint, Sie hätten ihm schon mit ein paar Worten danken können.

Ragnar. Ihm danken? Dem hätte ich danken sollen?

Hilde. Ja, das hätten Sie doch wahrhaftig thun sollen!

Ragnar. Da müßte ich wohl eher noch Ihnen danken.

Hilde. Wie können Sie so was sagen?

Ragnar (ohne ihr zu antworten). Aber nehmen Sie sich nur in acht, Fräulein! Denn den kennen Sie noch nicht recht.

Hilde (feurig). O ich kenne ihn am allerbesten!

Ragnar (lacht erbittert). Ihm danken, der mich jahrelang niedergehalten hat! Der den Vater dazu gebracht hat, an mir zu zweifeln. Der mich selber dazu gebracht hat – Und das alles nur um –!

Hilde (wie von einer Ahnung durchzuckt). Um –? Sagen Sie mir's gleich!

Ragnar. Um sie bei sich behalten zu können.

Hilde (springt auf ihn zu). Das Fräulein am Pult?

Ragnar. Ja.

Hilde (drohend, mit geballten Händen). Es ist nicht wahr! Sie verleumden ihn!

Ragnar. Ich wollte es auch nicht glauben bis heute – als sie's selber sagte.

Hilde (wie außer sich). Was sagte sie! Ich will's wissen! Gleich! Gleich!

Ragnar. Sie sagte, er beherrschte ihr ganzes Sinnen und Trachten. Alle ihre Gedanken gehörten nur ihm allein. Sie sagt, daß sie niemals von ihm lassen kann. Daß sie hier bleiben will, wo er ist –

Hilde (mit sprühenden Augen). Das darf sie nicht!

Ragnar (gleichsam forschend). Wer wird sie daran hindern?

Hilde (schnell). Er will's auch nicht haben!

Ragnar. Nein, natürlich nicht. Jetzt verstehe ich ja die ganze Geschichte. Hernach würde sie wohl nur – lästig fallen.

Hilde. Gar nichts verstehen Sie – wenn Sie so was reden können! Nein, ich will Ihnen sagen, warum er das Fräulein festhielt.

Ragnar. Und warum denn?

Hilde. Um Sie behalten zu können.

Ragnar. Hat er Ihnen das gesagt?

Hilde. Nein, es ist aber so! Es muß so sein! (Ungestüm.) Ich will – ich will, daß es so sein soll!

Ragnar. Und gerade als Sie kamen – da ließ er sie fahren.

Hilde. Sie – Sie selber sind's, den er hat fahren lassen! Was, glauben Sie wohl, kümmert der sich um fremde Fräulein?

Ragnar (nachdenklich). Sollte er mich denn die ganze Zeit insgeheim gefürchtet haben?

Hilde. Der sich fürchten! So eingebildet sollten Sie denn doch nicht sein.

Ragnar. O er muß doch schon lange gemerkt haben, daß ich auch was tauge. Übrigens – furchtsam – das ist er nun einmal von Natur, wissen Sie.

Hilde. Er! Das machen Sie andern weis!

Ragnar. Gewissermaßen ist er furchtsam. Er, der große Baumeister. Andere Leute um ihr Lebensglück zu bringen – wie er's meinem Vater und mir gethan hat – davor hat er keine Furcht. Aber bloß ein armseliges Gerüst hinaufzuklettern – Gott bewahre ihn vor so einem Wagestück!

Hilde. O Sie hätten ihn nur so hoch oben sehen sollen – so himmelhoch, wie ich ihn einmal gesehen habe!

Ragnar. Das hätten Sie gesehen?

Hilde. Ja, das kann ich Sie versichern. Und wie frei und kühn er dastand, als er den Kranz an der Wetterfahne befestigte!

Ragnar. Ich weiß, daß er es einmal in seinem Leben gewagt hat. Ein einziges Mal. Wir Jüngeren haben so oft davon gesprochen. Aber keine Macht der Welt wird ihn dazu bewegen, das Ding zu wiederholen.

Hilde. Heute wiederholt er es!

Ragnar (höhnisch). Glauben Sie doch das nicht.

Hilde. Wir werden's schon erleben!

Ragnar. Das werden weder Sie noch ich erleben.

Hilde (unbändig). Ich will es erleben! Ich will und muß es erleben!

Ragnar. Er thut's aber nicht. Er getraut sich's einfach nicht. Denn die Schwäche hat er nun einmal – er, der große Baumeister.

Frau Solneß (kommt aus dem Hause auf die Veranda hinaus).

Sechster Auftritt.

Die Vorigen. Frau Solneß.

Frau Solneß (sieht sich um). Ist er nicht da? Wo ist er hingegangen?

Ragnar. Herr Solneß ist drüben bei den Arbeitern.

Hilde. Er ging mit dem Kranze hin.

Frau Solneß (angstvoll). Mit dem Kranze! Ach Gott – ach Gott! Herr Brovik – Sie müssen zu ihm hinüber! Sorgen Sie dafür, daß er wieder herkommt!

Ragnar. Soll ich ihm sagen, daß die gnädige Frau ihn zu sprechen wünschen?

Frau Solneß. Ach ja, thun Sie das, bitte. – Nein, nein – sagen Sie ihm nichts von mir. Sagen Sie nur, es wäre jemand da. Und daß er gleich kommen müßte.

Ragnar. Sehr wohl. Ich werde es ihm ausrichten, gnädige Frau. (Er geht fort, die Treppe hinab durch den Garten.)

Siebenter Auftritt.

Frau Solneß. Hilde Wangel.

Frau Solneß. Ach, Fräulein Wangel, Sie können sich nicht vorstellen, welche Angst ich seinetwegen ausstehe.

Hilde. Ist denn die Sache gar so gefährlich?

Frau Solneß. O das begreifen Sie doch. Denken Sie nur – wenn es sein Ernst wäre! Wenn er nun wirklich auf das Gerüst hinaufstiege!

Hilde (gespannt). Glauben Sie, daß er's thut?

Frau Solneß. Ach, man kann ja nicht wissen, was ihm einfällt. Der könnte zu allem fähig sein.

Hilde. Aha, Sie glauben vielleicht auch, daß er nicht so – so recht –?

Frau Solneß. Ja, ich weiß wahrhaftig nicht mehr, was ich von ihm glauben soll. Der Doktor hat mir nämlich so vielerlei erzählt. Und wenn ich außerdem an gewisse Dinge denke, die ich ihn habe sagen hören –

Doktor Herdal (steckt den Kopf durch die Thür).

Achter Auftritt.

Die Vorigen. Doktor Herdal.

Herdal. Kommt er nicht bald?

Frau Solneß. Ich glaube, doch. Ich habe wenigstens nach ihm geschickt.

Herdal (näher). Sie werden aber wohl hineingehen müssen, gnädige Frau –

Frau Solneß. Nein, nein. Ich bleibe hier, um Halvard zu erwarten.

Herdal. Es sind aber einige Damen gekommen –

Frau Solneß. Ach Gott, das auch noch! Und gerade jetzt!

Herdal. Sie möchten nämlich gar zu gern die Feierlichkeit mit ansehen.

Frau Solneß. Ja, dann muß ich wohl doch zu ihnen hineingehen. Denn das ist ja meine Pflicht.

Hilde. Könnten Sie sich denn nicht bei den Damen entschuldigen lassen?

Frau Solneß. Nein, das geht durchaus nicht an. Da sie nun einmal gekommen sind, ist es ja meine Pflicht, sie zu empfangen. Bleiben aber Sie draußen derweile – und reden Sie mit ihm, wenn er kommt.

Herdal. Und halten Sie ihn durch Gespräch auf, so lange es nur möglich ist.

Frau Solneß. Thun Sie das ja, liebes Fräulein Wangel. Halten Sie ihn so fest, wie Sie nur können.

Hilde. Wäre es nicht besser, wenn Sie das selber thäten?

Frau Solneß. Du lieber Gott – meine Pflicht wäre es ja eigentlich. Wenn man aber Pflichten hat nach so vielen Seiten hin –

Herdal (in den Garten hinausblickend). Da kommt er!

Frau Solneß. Und in dem Augenblick muß ich gerade hinein.

Herdal (zu Hilde). Sagen Sie ihm nichts davon, daß ich da bin.

Hilde. O nein! Ich werde schon etwas anderes ausfindig machen, worüber ich mit dem Baumeister schwatzen kann.

Frau Solneß. Und halten Sie ihn ja fest. Ich glaube, Sie können das am besten.

Frau Solneß und Doktor Herdal (gehen ins Haus hinein).

Hilde (bleibt auf der Veranda stehen).

Baumeister Solneß (kommt die Gartentreppe hinauf).

Neunter Auftritt.

Solneß. Hilda Wangel.

Solneß. Es soll jemand da sein, höre ich, der mich sprechen will.

Hilde. Jawohl, das bin ich, Baumeister.

Solneß. So, Sie sind's, Hilde. Ich fürchtete schon, es könnten Aline und der Doktor sein.

Hilde. Sie sind gewiß überhaupt recht furchtsam!

Solneß. Glauben Sie?

Hilde. Die Leute sagen, Sie fürchten sich davor, auf den Gerüsten herumzukrabbeln.

Solneß. Nun, mit dem Ding hat's so seine eigene Bewandtnis.

Hilde. Aber sich davor fürchten – das thun Sie also?

Solneß. Ja, das thue ich.

Hilde. Fürchten Sie, daß Sie herunterfallen könnten und sich's Genick brechen?

Solneß. Nein, das nicht.

Hilde. Was denn aber?

Solneß. Ich fürchte die Wiedervergeltung, Hilde.

Hilde. Die Wiedervergeltung? (Sie schüttelt den Kopf.) Das verstehe ich nicht.

Solneß. Setzen Sie sich. Dann werde ich Ihnen etwas erzählen.

Hilde. Ja, thun Sie das! Gleich! (Sie setzt sich auf ein Taburett am Geländer und blickt ihn erwartungsvoll an.)

Solneß (wirft seinen Hut auf den Tisch). Sie wissen ja – das erste, womit ich anfing, das waren Kirchenbauten.

Hilde (nickt). Das weiß ich.

Solneß. Denn, sehen Sie, als Junge war ich in einem frommen Hause auf dem Lande aufgewachsen. Und da meinte ich denn, es könnte für mich gar nichts Höheres geben, als diese Kirchenbauerei.

Hilde. Ja, warum denn nicht?

Solneß. Und das darf ich schon sagen – ich baute diese kleinen ärmlichen Kirchen mit einem so ehrlichen und warmen und innigen Gemüt, daß – daß –

Hilde. Daß –? Nun?

Solneß. Daß ich meine, er hätte wohl mit mir zufrieden sein können.

Hilde. Er? Welcher er?

Solneß. Er, für den die Kirchen bestimmt waren, natürlich! Er, dem zum Ruhm und zu Ehren sie gebaut waren.

Hilde. Ach so! Aber wissen Sie denn so bestimmt, daß – daß er nicht – so – mit Ihnen zufrieden war?

Solneß (höhnisch). Er mit mir zufrieden! Wie können Sie nur so reden, Hilde? Er, der es zuließ, daß der Unhold in mir herumrumorte nach eigenem Gutdünken. Er, der ihnen gebot an Ort und Stelle zu sein Tag und Nacht, um mir zu dienen – all diesen – diesen –

Hilde. Teufelchen –

Solneß. Jawohl, von allen Arten. O nein, das bekam ich schon zu fühlen, daß er mit mir nicht zufrieden war. (Geheimnisvoll.) Das, sehen Sie, war eigentlich der Grund, weshalb er das alte Haus niederbrennen ließ.

Hilde. War das der Grund?

Solneß. Ja, begreifen Sie denn das nicht? Er wollte mir Gelegenheit bieten, ein ganzer Meister zu werden in meinem Fach – ihm um so ruhmvollere Kirchen zu bauen. Anfangs verstand ich nicht, wo er hinauswollte. Aber dann, auf einmal, ging mir ein Licht auf.

Hilde. Wann war das?

Solneß. Es war, als ich den Kirchturm baute droben in Lysanger.

Hilde. Das dachte ich mir.

Solneß. Denn, sehen Sie, Hilde, droben in dem fremden Städtchen, dort konnte ich meinen Grübeleien ungestört nachhängen. Und da sah ich's denn so klar, warum er mir meine Kleinen genommen hatte. Er hatte es gethan, damit ich von nichts anderem gebunden wäre. Nicht von so was wie Liebe und Glück, verstehen Sie. Ich sollte nur Baumeister sein. Nichts anderes. Und mein ganzes Leben sollte ich damit zubringen, für ihn zu bauen. (Er lacht.) Aber daraus wurde freilich nichts.

Hilde. Was thaten Sie denn?

Solneß. Zuerst erforschte und prüfte ich mich selbst –

Hilde. Und dann?

Solneß. Dann that ich das Unmögliche. Ich wie er!

Hilde. Das Unmögliche?

Solneß. Ich hatte es niemals zuvor vertragen, hoch und frei hinaufzusteigen. Aber an dem Tage konnte ich es.

Hilde (springt auf). Ja, ja, das konnten Sie!

Solneß. Und als ich ganz oben stand und den Kranz an die Wetterfahne hängte, da sprach ich zu ihm: jetzt höre mich an, du Mächtiger! Von heute an will ich auch freier Baumeister sein. Auf meinem Gebiet. Wie du auf dem deinigen. Nie mehr will ich Kirchen für dich bauen. Nur Heimstätten für Menschen.

Hilde (mit großen funkelnden Augen). Das war der Gesang, den ich hoch oben hörte.

Solneß. Aber nachher bekam er Wasser auf seine Mühle.

Hilde. Was meinen Sie damit?

Solneß (sieht sie mißmutig an). Heimstätten für Menschen zu bauen – das ist keine fünf Pfennig wert, Hilde.

Hilde. So urteilen Sie jetzt?

Solneß. Jetzt sehe ich's nämlich ein. Die Menschen haben die Heimstätten da gar nicht nötig. Jedenfalls nicht um glücklich zu sein. Und ich hätte auch so ein Heim nicht nötig gehabt. Wenn ich eins besessen hätte, heißt das. (Mit einem leisen erbitterten Lachen.) Sehen Sie, das ist der ganze Abschluß, soweit ich zurückblicke. Nichts gebaut, im Grunde genommen. Und auch nichts geopfert, um zum Bauen zu kommen. Nichts, gar nichts – alles miteinander.

Hilde. Und niemals wollen Sie etwas neues bauen hernach.

Solneß (lebhaft). Doch, gerade jetzt will ich anfangen!

Hilde. Was denn? Was denn? Sagen Sie mir's gleich!

Solneß. Das einzige, von dem ich glaube, daß Menschenglück darin wohnen kann – das will ich jetzt bauen.

Hilde (sieht ihn fest an). Baumeister – jetzt denken Sie an unsere Luftschlösser.

Solneß. An die Luftschlösser, jawohl.

Hilde. Ich fürchte, es würde Ihnen schwindelig werden, ehe wir halbwegs kämen.

Solneß. Nein, nicht wenn ich mit Ihnen Hand in Hand gehe, Hilde.

Hilde (mit einem Anflug von unterdrücktem Zorn). Nur mit mir? Sollen denn nicht noch andere mit dabei sein?

Solneß. Wer denn sonst noch, meinen Sie?

Hilde. O – zum Beispiel diese Kaja da am Pult. Das arme Ding – wollen Sie nicht die auch mitnehmen?

Solneß. Aha. War sie's, von der Aline vorhin mit Ihnen redete?

Hilde. Ist es wahr oder nicht?

Solneß (heftig). Auf so was antworte ich Ihnen nicht! Ganz und unbedingt sollen Sie an mich glauben!

Hilde. Zehn Jahre lang habe ich so felsenfest an Sie geglaubt.

Solneß. Sie sollen fortfahren an mich zu glauben!

Hilde. Ja, wenn ich Sie wieder oben sehe, hoch und frei!

Solneß (schwermütig). Ach, Hilde – so stehe ich nicht im Alltagsleben da.

Hilde (leidenschaftlich). Ich will es! Ich will es! (Bittend.) Nur noch ein einziges Mal, Baumeister! Thun Sie das Unmögliche noch einmal!

Solneß (blickt sie tief an). Wenn ich es versuche, Hilde, dann will ich oben zu ihm sprechen, wie ich's damals that.

Hilde (in steigender Spannung). Was wollen Sie ihm sagen?

Solneß. Ich will ihm sagen: höre mich, großmächtiger Herr – du magst nun über mich urteilen nach eigenem Ermessen. Aber hernach baue ich bloß das Herrlichste auf Erden –

Hilde (hingerissen). Ja – ja!

Solneß. Baue es mit einer Prinzessin zusammen, die ich lieb habe –

Hilde. Ja, sagen Sie ihm das! Sagen Sie ihm das!

Solneß. Gewiß. Und dann will ich ihm sagen: jetzt gehe ich hinunter und umschlinge sie mit den Armen und küsse sie –

Hilde. Viele Male! Sagen Sie's!

Solneß. Viele, viele Male, werde ich sagen.

Hilde. Und dann –?

Solneß. Dann schwenke ich meinen Hut und steige wieder hinunter auf die Erde – und thue, wie ich ihm sagte.

Hilde (mit ausgestreckten Armen). Jetzt sehe ich Sie wieder so, wie damals, als ich Gesang hörte hoch oben!

Solneß (sieht sie mit gesenktem Kopfe an). Wie sind Sie zu dem geworden, was Sie sind, Hilde?

Hilde. Wie haben Sie mich zu dem gemacht, was ich bin?

Solneß (kurz und fest). Die Prinzessin soll ihr Schloß bekommen.

Hilde (jubelnd, in die Hände klatschend). Ach, Baumeister –! Mein wunder – wunderschönes Schloß! Unser Luftschloß!

Solneß. Mit einer Grundmauer darunter.

Eine Menschenmenge (die nur undeutlich zwischen den Bäumen erblickt wird, hat sich auf der Straße versammelt).

(In der Ferne, hinter dem neuen Hause ertönt Musik von Blasinstrumenten.)

Frau Solneß (die einen Pelzkragen um hat, Doktor Herdal, der ihren weißen Shawl auf dem Arme trägt, und einige Damen kommen auf die Veranda hinaus. Ragnar Brovik kommt gleichzeitig vom Garten hinauf).

Zehnter Auftritt.

Die Vorigen. Frau Solneß. Doktor Herdal. Ragnar Brovik. Einige Damen.

Frau Solneß. Soll es auch Musik geben?

Ragnar. Jawohl, gnädige Frau. Es ist der Verein der Bauarbeiter. (Zu Solneß.) Der Werkführer läßt sagen, er wäre jetzt bereit, mit dem Kranze hinaufzugehen.

Solneß (nimmt seinen Hut). Gut. Ich gehe selber hinüber.

Frau Solneß (angstvoll). Was willst du drüben, Halvard?

Solneß (kurz). Ich muß drunten sein bei den Leuten.

Frau Solneß. Ja, drunten, nicht wahr? Nur drunten.

Solneß. Ich bin's ja so gewohnt. So im Alltagsleben. (Er geht fort, die Treppe hinab, durch den Garten.)

Elfter Auftritt.

Die Vorigen ohne Solneß.

Frau Solneß (am Geländer, ruft ihm nach). Bitte aber doch ja den Mann, recht vorsichtig zu sein, wenn er hinauf soll! Versprich mir das, Halvard.

Herdal (zu Frau Solneß). Sehen Sie nun, daß ich recht hatte? Er denkt nicht mehr an das tolle Zeug.

Frau Solneß. Ach, wie ist mir's leicht ums Herz. Zweimal sind uns jetzt Leute heruntergefallen. Und beide waren auf der Stelle tot. (Sie wendet sich zu Hilde.) Herzlichen Dank, Fräulein Wangel, daß Sie ihn so gut festhielten. Ich hätte ihn sicher nie herumgebracht.

Herdal (lustig). Ja – ja, Fräulein Wangel, Sie verstehen schon einen festzuhalten, wenn Sie den Vorsatz haben!

Frau Solneß und Doktor Herdal (gehen zu den Damen hin, die näher der Treppe stehen und über den Garten hinausblicken).

Hilde (bleibt am Geländer im Vordergrund stehen).

Ragnar (geht zu ihr hin; mit unterdrücktem Lachen, halblaut). Fräulein – sehen Sie alle die jungen Leute draußen auf der Straße?

Hilde. Gewiß.

Ragnar. Es sind die Kameraden, die gekommen sind, um sich den Meister anzusehen.

Hilde. Warum wollen sie ihn denn ansehen?

Ragnar. Sie wollen mit ansehen, wie er sich nicht getraut, auf sein eigenes Haus hinaufzusteigen.

Hilde. So, das wollen die grünen Jungen!

Ragnar (mit höhnischem Grollen). Der hat uns jetzt so lange unten gehalten. Nun wollen wir uns ansehen, wie er auch einmal gefälligst unten bleibt.

Hilde. Das bekommen Sie nicht zu sehen. Diesmal nicht.

Ragnar (lächelt). So? Wo bekommen wir ihn denn zu sehen?

Hilde. Hoch – hoch oben an der Wetterfahne werden Sie ihn sehen!

Ragnar (lacht). Der! Wer's glaubt, wird selig!

Hilde. Er will auf die Turmspitze und folglich werden Sie ihn dort auch sehen.

Ragnar. Er will, jawohl! Das glaub ich sehr gern. Er kann aber einfach nicht. Es würde ihm wirr im Kopfe werden, lange bevor er halbwegs käme. Er müßte herunterkriechen auf allen Vieren!

Herdal (hinüber zeigend). Sehen Sie! Da klimmt der Werkführer die Leitern hinauf.

Frau Solneß. Und dann hat er wohl auch noch den Kranz zu tragen. Ach, wenn er sich doch jetzt nur in acht nähme!

Ragnar. (starrt ungläubig hin und ruft). Aber das ist ja –!

Hilde (in Jubel ausbrechend). Es ist der Baumeister selber.

Frau Solneß (schreit entsetzt auf). Ja, es ist Halvard! Ach! du lieber Gott –! Halvard! Halvard!

Herdal. Still! Rufen Sie ihn nicht!

Frau Solneß (halb von Sinnen). Ich will zu ihm hin! Er muß herunterkommen!

Herdal (hält sie fest). Niemand darf sich rühren! Keinen Laut!

Hilde (unbeweglich, folgt Solneß mit den Augen). Er steigt, steigt. Immer höher. Immer höher. Sehen Sie! Sehen Sie nur!

Ragnar (in atemloser Spannung). Jetzt muß er umkehren. Da ist nichts anderes möglich.

Hilde. Er steigt, steigt. Jetzt ist er bald oben.

Frau Solneß. O ich vergehe vor Angst. Ich halte den Anblick nicht aus!

Herdal. Dann sehen Sie doch nicht hin.

Hilde. Da steht er auf den obersten Brettern! Ganz oben!

Herdal. Niemand darf sich rühren. Hören Sie!

Hilde (jubelt in stiller Innigkeit). Endlich! Endlich! Jetzt sehe ich ihn wieder groß und frei!

Ragnar. (fast sprachlos). Aber das ist ja –

Hilde. So habe ich ihn vor mir gesehen alle die zehn Jahre lang. Wie sicher er dasteht! Entsetzlich spannend ist es trotzdem. Sehen Sie! Jetzt hängt er den Kranz um die Turmspitze!

Ragnar. Das ist, wie wenn man etwas ganz Unmögliches mit ansähe.

Hilde. Ja, das ist ja eben das Unmögliche, was er jetzt thut! (Mit unbestimmbarem Ausdruck in den Augen.) Sehen Sie jemand anderen bei ihm droben?

Ragnar. Es ist kein anderer da.

Hilde. Doch, da ist einer, mit dem er Worte wechselt.

Ragnar. Sie irren sich.

Hilde. Und den Gesang hoch oben, den hören Sie auch nicht?

Ragnar. Es muß der Wind in den Baumwipfeln sein.

Hilde. Ich höre den Gesang. Einen gewaltigen Gesang! (Sie ruft in wildem Jubel.) Da, da! Jetzt schwenkt er den Hut! Er grüßt herunter! Ach, so grüßt ihn doch wieder! Denn jetzt, jetzt ist es vollbracht! (Sie entreißt dem Doktor den weißen Shawl, schwenkt ihn und schreit aufwärts.) Es lebe der Baumeister Solneß!

Herdal. Hören Sie auf! Hören Sie auf! Um Gottes willen –!

Die Damen (auf der Veranda schwenken die Taschentücher).

(Von der Straße her ertönen Hochrufe; plötzlich verstummen sie, und die Volksmenge bricht in einen Schrei des Entsetzens aus; zwischen den Bäumen sieht man deutlich, wie ein Menschenkörper mit Brettern und Holzstücken zusammen herunterstürzt.)

Frau Solneß und die Damen (gleichzeitig). Er fällt! Er fällt!

Frau Solneß (schwankt, sinkt ohnmächtig nach rückwärts und wird unter allgemeinem Rufen und Wirrwarr von den Damen aufgefangen).

Die Menschenmenge (auf der Straße durchbricht den Zaun und stürmt in den Garten hinein).

Herdal (eilt gleichfalls hinunter).

(Kurze Pause.)

Hilde (starrt unverwandt aufwärts und sagt wie versteinert Mein Baumeister.

Ragnar (hält sich zitternd am Geländer fest). Er muß zerschmettert sein. Auf der Stelle getötet.

Eine Dame (während Frau Solneß in das Haus hineingetragen wird). Laufen Sie zum Doktor hinunter –

Ragnar. Kann kein Glied rühren –

Eine andere Dame. Dann rufen Sie doch wenigstens jemandem zu!

Ragnar (versucht zu rufen). Wie steht's? Ist er am Leben?

Eine Stimme (vom Garten her). Der Baumeister ist tot!

Andere Stimmen (näher). Der ganze Kopf zerschmettert. Gerade in den Steinbruch heruntergefallen.

Hilde (wendet sich zu Ragnar und sagt leise) : Jetzt kann ich ihn droben nicht sehen.

Ragnar. Entsetzlich war das. Er vermochte es also doch nicht.

Hilde (wie in stillem irrem Triumph). Aber bis zur Spitze kam er. Und ich hörte Harfen hoch oben. (Sie schwenkt den Shawl aufwärts und schreit mit wilder Innigkeit.) Meinmein Baumeister!

 

Ende.

 

 

Im Weltkrieg auf K.-Papier gedruckt.


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