Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

24. Summula

Mittagtischreden.

Aber unten am entgegengesetzten Tafel-Ausschnitt, wo Katzenberger neben seinem gastfreien Rezensenten saß, nahm man von Zeit zu Zeit auf den Damengesichtern von weitem verschiedene Querpfeifer-Muskel-Bewegungen und Mienen-Vielecke wahr. Der Doktor hatte nämlich bei der Suppe seinen Wirt gebeten, ihn mit den verschiedenen Krankheiten bekannt zu machen, welche gerade jetzt hier vertrunken und verbadet würden. Strykius wußte, als ein leise auftretender Mann, durchaus nicht, wie er auf deutsch (zumal da außer dem eignen Namen wenig Latinität in ihm war) zugleich die Ohren seines Gastes bewirten, und die der Nachbarinnen beschirmen sollte. »Beim Essen«, sagte eine ältliche Landjunkerin, »hörte sich dergleichen sonst nicht gut.« – »Wenn Sie es des Ekels wegen meinen«, versetzte der Doktor, »so biet' ich mich an, Ihnen, noch ehe wir vom Tisch aufstehen, ins Gesicht zu beweisen, daß es, rein genommen, gar keine ekelhafte Gegenstände gebe; ich will mit Ihnen Scherzes halber bloß einige der ekelhaften durchgehen und dann Ihre Empfindung fragen.« Nach einem allgemeinen, mit weiblichen Flachhänden unternommenen Niederschlagen dieser Untersuchung stand er ab davon.

»Gut«, sagt' er, »aber dies sei mir erlaubt zu sagen, daß unser Geist sehr groß ist und sehr geistig und unsterblich und immateriell. Denn wäre dieser Umstand nicht, so wartete die Materie vor, und es wäre nicht denklich; denn wo ist nur die geringste Notwendigkeit, daß bei Traurigkeit sich gerade die Tränendrüse, bei Zorn die Gallendrüse ergießen? Wo ist das absolute Band zwischen geistigem Schämen und den Adernklappen, die dazu das Blut auf den Wangen eindämmen? Und so alle Absonderungen hindurch, die den unsterblichen Geist in seinen Taten hienieden teils spornen, teils zäumen? In meiner Jugend, wo noch der Dichtergeist mich besaß und nach seiner Pfeife tanzen ließ, da erinner' ich mich noch wohl, daß ich einmal eine ideale Welt gebauet, wo die Natur den Körper ganz entgegengesetzt mit der Seele verbunden hätte. Es war nach der Auferstehung (so dichtete ich); ich stieg in größter Freude aus dem Grabe, aber die Freude, statt daß sie hienieden die Haut gelinde öffnet, drückte sich droben bei mir und bei meinen Freunden durch Erbrechen aus. Da ich mich schämte wegen meiner Blöße, so wurde ich nicht rot, sondern sogenannt preußisch Grün, wie ein Grünspecht. – Beim Zorn sonderten sämtliche Auferstandne bloß album graecum ab. – Bei den zärtern Empfindungen der Liebe bekam man eine Gänsehaut und die Farbe von Gänse-Schwarz, was aber die Sachsen Gänse-Sauer nennen. – Jedes freundliche Wort war mit Gallergießungen verknüpft, jedes scharfe Nachdenken mit Schlucken und Niesen, geringe Freude mit Gähnen. – Bei einem rührenden Abschied floß statt der Tränen viel Speichel. – Betrübnis wirkte nicht wie bei uns auf verminderten Pulsschlag, sondern auf Wolf- und Ochsen-Hunger und Fieber-Durst, und ich sah viele Betrübte Leichentrunk und Leichenessen zugleich einschlucken. – Die Furcht schmeckte mit feinem Wangenrot. – Und feurige, aber zarte Zuneigung der Ehegatten verriet sich, wie jetzt unser Grausen, mit Haarbergan, mit kaltem Schweiß und Lähmung der Arme. – Ja, als ...«

Aber hier lenkte der vorsorgende Brunnenarzt den ungetreuen Dichterstrom durch die Frage seitwärts: »Artig, sehr artig, und wie Haller, wahrer Dichter und Arzt zugleich – Aber Sie haben sich gewiß vorhin in der Wirklichkeit schöner gefühlt, da Sie aufmerksam unsern schönen Damenzirkel durchliefen?« – »Allerdings«, versetzte er, »und ich tue es auch in jeder neuen Gesellschaft in der Hoffnung, endlich einmal ein Monstrum darunter zu finden. Denn jetzt bin ich der blühende schwärmerische Jüngling nicht mehr, der sonst vor jeder schönen Gestalt oder Brust außer sich ausrief: Rumpf einer Göttin! Brustkasten für einen Gott! Und das feine Hautwarzensystem und das Malpighische Schleimnetz und die empfindsamen Nervenstränge darunter! O ihr Götter! – Auch Sie wie alle Schwärmer haben sich gewiß sonst nicht schwächer ausgesprochen; jetzo freilich wird der Ausdruck immer lahmer. Um aber auf die Mißgeburten zurückzukommen, nach denen ich mich hier nach dem ersten Komplimente vergeblich umgesehen, so sag' ich dies: Eine Mißgeburt ist mir als Arzt eigentlich für die Wissenschaft das einzige Wesen von Geburt und Hoch- und Wohlgeboren; denn ich lerne mehr von ihm als vom wohlgeborensten Manne. Aus demselben Grunde ist mir ein Fötus in Spiritus lieber als ein langer Mann voll Spiritus; und Embryonengläser sind meine wahren Vergrößer-Gläser des Menschen. – Ach wohl in jedem von uns«, fuhr er feuriger fort, »sind einige Ansätze zu einem Monstrum, aber sie werden nicht reif; mit dem Rückgrat-Ende, dem Steißbein, setzen wir z. B. zu einem Affenschwanz an, und auf dem neugebornen Kindskopfe erscheint nach Buffon eine hornartige Materie zu einem Gehörne, die man leider sauber wegbürstet; aber jeder will wahrlich nur seinesgleichen sehen, ohne nur im geringsten sich um die schon fürs Auge köstliche Mannigfaltigkeit zu bekümmern, welche z. B. an dieser Badtafel genossen würde, wenn jeder von uns etwas Verdrehtes an sich hätte, und wenn z. B. der eine statt der Nase einen Fuchsschwanz trüge, der andere einen Zopf unter dem Kinn, der dritte Adlerfänge, der vierte ordentliche, nicht etwa abgenutzte mythologische Eselohren. Ich für meine Person, darf ich wohl bekennen, ginge mit Jauchzen vor einer mißgebornen Knappschaft und Mannschaft an der Spitze, als verzerrter Flügelmann und monströses Muster, und würde Gott danken, wenn ich (nämlich körperlich) nicht wäre wie andere Leute, sondern wenn auf mir etwa Kamel und Dromedar, also drei Höcker zugleich verkettet wären zur Gebirgkette, oder wenn die Natur mir hinten eine angeborne Frau aufgesetzt hätte samt zwölf Fingern vorne, oder wenn ich sonst mit vielen Curiosis für mich und andere begabt wäre, insofern mir nämlich bei diesem lebendigen Naturalienkabinett auf mir mein gewöhnlicher medizinischer Verstand gelassen würde, der sich wie eine Biene auf alle Blumen-Monstrosen setzen müßte und könnte. Was hat aber jetzt mein Geist davon, daß mein Leib wohlgestaltet ist und die gemeinsten Reize für Volkaugen umherspreitet? – Nichts hat er; er sieht sich nach bessern um. Aber ich entsinne mich noch recht gut meiner Jugend, wo ich mehr idealisierte und weniger auf Erden als im Himmel wandelte, da weidete ich mich an geträumten, noch höhern Mißgeburten, als das teuere schwache Hasenpaar ist, das ich gestern gekauft; da war es mir ein leichtes, ganze ineinander hineingewachsene Sessionen geboren und zu Kauf zu denken, die ich dann nach dem Ableben leicht in einem Spiritus-Glase bewahrte und bewegte nach Lust – oder einen Knaben mit einem angebornen vollständigen fleischernen Krönunghabit – oder einen tafelfähigen Edelmann mit zweiunddreißig Steißen besetzt – und doch sind das nicht ganz arkadische Träume. Sonst wurden ja wirklich Menschen mit lebendigen Pluderhosen und Fontangen geboren zum Abschrecken vor genähten; warum könnte nicht unsern Zeiten der Fang zufallen, daß ihnen das Glück einen Incroyable mit pulsierenden Hutkrempen und Schnabelstiefeln und fleischernen Krawatten-Zacken bescherte? frag' ich.«

Der Brunnenarzt schwitzte, während er pries, mehre Schweiße von verschiedener Temperatur darüber, daß er einen Flügel seiner Patienten, zumal den weiblichen, eine Landjunkerin, eine Konsistorial-Rätin, eine halb bleich-, halb gelbsüchtige Zärtlingin, und am Ende sich selber in die Hör- oder Stech-Weite eines solchen geistigen Raufdegens gebracht als Wirt. Gern hätte er verschiedene kaltsinnige Mienen dabei geschnitten, wenn er versichert gewesen wäre, daß ihn der Doktor nicht als Rezensenten kenne und darum schärfer angreife. Doch tat er das Seinige und sprang von den Mißgeburten auf die Katzenbergerischen Geburten, um vorzüglich dessen Hämatologie zu huldigen, worin, sagt' er, Paragraphen wären, ohne welche er manche glückliche Bemerkungen gar nicht hätte machen können. »Schön«, versetzte der Doktor, »so denkt wohl nur ein äußerst parteiischer und guter Mann wie Sie – denn außer Ihnen gibts nur noch einen Leser, der gern alles redlich tut, was ihm Bücher vorschreiben, nämlich den Buchbinder, der jedes Wort an den Buchbinder befolgt –; aber Sie sollten meinen Hund von Rezensenten kennen und dagegen halten. Himmel, wie bellt der Zerberus, zwar nicht mit drei Köpfen, aber aus sieben Hundhütten und an sieben Ketten gegen mich! – – Ich wollt', ich hätte ihn da; ich wollte jetzt alles tun, da ich eben getrunken, was ich ihm längst geschworen, nämlich meine Blut-Machlehre (die haematologia) an ihm selber erproben. – Oder gibt es etwas Sündlichers, als wenn ein Narr – bloß weil er sieben Zeitungen dazu frei hat, wie zu sieben Türmen – die sieben Weisen spielt und sieben Todsünden begeht, um als einziger Zeuge vermittelst einer bösen literarischen Heptarchie seinen Ausspruch zu besiebnen? Ich kann von der bösen Sieben gar nicht los; aber ich werde, sollt' ich denken, in jedem Falle den Mann ausprügeln, erwisch' ich ihn. Hier fass' ich zum Glück den redlichen Stryk an der Hand, der denkt wie ich, wenn nicht zehnmal besser. Diesem Magen übergeb' ich mich – denn ich meine Magus, nicht Stomachus –, und er entscheide; für mich ist er der große Thor (ich spreche zwar nach einem Glas Wein, aber ich weiß recht gut, daß Thor unser erster altdeutscher heilender Gott gewesen) – der sage hier .... was wollt' ich denn sagen? Nun mir gilts sehr gleich, und die Sache ist ohnehin klar und fest genug. Kurz – –«

»Ich errate unsern guten Autor«, sagte Strykius, »denn vielleicht kann ich, als alter Leser seiner witzreichen Werke, ihn wenigstens zum Teil würdigen. Man kennt diesen tiefen Mann, er verzeihe mir sein Lob ins Gesicht, nur wenig, wenn man nicht seine gelehrte und seine witzige Seite zugleich bewundert und unterscheidet, die er beide so eng verschmelzt; aber er hat nun einmal, um spaßhaft-gemein zu sprechen, Haar im Mund.« – »Aber ich habe sie eben zwischen den Zähnen (versetzte er, einen Truthahn-Hals an der Gabel aufhebend); ich wünschte, mancher hätte so viel Haarwuchs auf dem Kopfe als der Truthahn hier am Halse, und solche herrliche Haarzwiebeln wären auf eine bessere Haut und Glatze gesäet, als ich eben käuen muß.«

»Ich tadle aber doch die Sauce dabei – fiel ein ältlicher, mehr blöd- und fünfsinniger als scharfsinniger Posthalter ein –, sie will mir fast wie abgeschmackt schmecken; aber jeder hat freilich seinen Geschmack.« – »Abgeschmackt, Herr Posthalter«, sagte der Doktor und hielt lange inne, »nennen die Physiologen alles, was weniger Salz enthält als ihr eigner Speichel; daher sind Sie wegen des Ungesalzenen wahrscheinlich ein Mann von Salz, ich meine den Speichel.« –

Eine schwergeputzte Landjunkerin, die ihren Kahlschädel mit einem Prunk- und Titular-Haar gekrönt, merkte (aber nicht leise genug, weil sie es französisch sagte) gegen ihre Tochter an: »Fi! Welch ein Mensch! Wer kann dabei essen?« – Der Posthalter, der ihn schlecht verstand und gut aufnahm, wollte es höflich erwidern und fragte: »Wie gefallen Sie sich hier, Herrrr ... ich weiß Ihren werten Charakter nicht?« – »Ich mir selber?« versetzte der Doktor. »Sehr!«

Eben bekam er und die Landjunkerin kleine, etwas klumpige Pasteten auf den Teller. Er schob seinen weit in den Tisch hinein, bemerkend: gerade in solchen Pasteten würden gewöhnlich die Frauen-Perücken ausgebacken, wie hier mehre an der Tafel säßen; indes find' er darum noch kein Haar aus Ekel darin, ja er ziehe in Rücksicht des letzten Pasteten den Perücken vor.

Die Edeldame brach mit Abscheu auf, um es zu keinen stärkern Ausbrüchen kommen zu lassen. Endlich taten es auch die übrigen. Wohlgemutet drückte Katzenberger dem Rezensenten die Hand und prophezeiete sich die Freuden, die ihn erwarteten, könn' er öfter so mit ihm zusammenhausen, und beschenkte ihn mit der Herz-Ergießung: »Ich habe am Ende (und nur mit Gewalt verschieb' ichs) sagen wollen zu Ihnen: Du!«


 << zurück weiter >>