Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Wir kehren vom Nachfluge hinter den unschuldigen Paradiesvögeln zurück, um noch einen Abend lang in die Bühne hineinzugehen, wo freilich kein erster Liebhaber spielt, obwohl ein letzter Haßhaber. Katzenberger ist Held und Regisseur zugleich. Gewissermaßen sing' ich in der 43. Summel, wie Homer den Zorn des Achilles, so Katzenbergers seinen.
Dieser – seit dem tückischen Handschlag in stiller Trauer und Wut – hatte diesen Abend dazu erlesen, um die Wolfgrube für seinen Freund mit noch einigen Blütenzweigen mehr zu bedecken und ihn an dieselbe zu geleiten, um den Isegrimm, wenn er unten saß, oben zu empfangen und anzureden mit einem und dem andern Wort. Zufällig mußt' er sich an der Wirtstafel dem Fürsten nahe setzen, folglich auch dessen Hintersassen und Unedelknaben oder Edelknechte, dem Arzte Strykius. Der Doktor pries vor dem Landesherrn stark die Höhle und alles; aber bloß um überall auf den Inspektor derselben, auf Strykius, schmeichelhafte Lichter zu werfen. Dieser wollte überall den Weihrauch wieder auf ihn zurückblasen; der Doktor versicherte aber, sein Lob sei um so unbestochner, da sie beide oft in ärztlichen Sachen frei auseinandergingen. – Da er absichtlich bloß mit der Linken aß: so fragt' ihn der Fürst darüber; er antwortete: wie mehre damit gemalt, so esse er noch leichter damit, bis eine schwache Wunde seiner Rechten, die er im Höhlen-Eingange von einem mit der Lampe herabfallenden Stein erhalten, sich geheilt; – und dabei schüttelte er die schlaffe Rechte und sah heiter genug aus.
Nur der Brunnenarzt stutzte innerlich darüber hin und her; inzwischen erhob er die Höhle und den Höhlen-Bären, den Doktor, hoch, doch zu hoch; aber er gehörte unter die wenigen Seelen, die von Natur klein sind; mit Seelen ists, nun wie mit Vergrößer-Linsen: je kleiner und winziger diese sind, desto breiter und ausgezogner stellen sie den Gegenstand vor. So, je kleiner Herz oder Auge ist, desto größer stellt es das Kleinste dar; – am Großen erliegt ein Vergrößerglas; – vielleicht ein Wink für Fürsten, welche gern sich und der Welt groß erscheinen wollen, daß sie sich mehr nach Menschen umsehen, welche klein genug zugeschliffen sind zu bedeutenden Vergrößerungen.
Der Fürst schlich sich am Ende unter die Bäume – und gar davon, wie die nachziehenden Lakaien bewiesen. Katzenberger hätte nun endlich die Freude haben können, seinen Strykius ganz allein zu genießen und die Frucht abzuschälen; aber die alte widerwärtige Landedeldame, die früher über seine medizinischen Tischreden ein Fi! ausgerufen, war so spät sehr nahe sitzen geblieben, nicht etwan aus heimlicher Hinneigung zu Katzenberger, sondern aus Dorfgehorsam gegen ein lindes sieches weiches Hoffräulein, das gerade von den Gerüchten seiner kecken Äußerungen nach ihm und nach seinen Ratgebungen für ihr Wohl und Wehe desto lüsterner gemacht worden; denn für eine Dame von Stand war ein wilder zackiger Doktor bloß ein englischer Park voll Stechgewächse. Die junge Dame hatte die alte, wie gewöhnlich, zum Schilderhaus oder zur Brandmauer ihrer freundschaftlichen Gefühle verbraucht oder als weibliches Meßgeleite des Anstands. Da nun der Doktor – der fein erriet, um grob zu handeln – sehr leicht fand, daß er bloß die Alte fortzutreiben habe, um beide weg zu haben: so tat er das Seinige und genierte vorzüglich die Alte. »Es zeige zu seiner ärztlichen Freude – wandte er sich an sie – schöne Jugendkräfte, daß sie sich so spät und kühn der Nachtluft aussetze, die oft viel Jüngern schlecht zuschlage.« – »Meine Brust ist ganz gesund«, antwortete sie kurz. – »Doch dadurch allein, meine Schönste«, versetzte Katzenberger, »Wäre wohl Ihr Brustfell nicht vor nächtlicher Entzündung gedeckt. Aber Sie haben gewiß damit allzeit selber gesäugt, und wie viele Kinder wohl? Schon an und für sich eine der edelsten tierischen Verrichtungen, um die ich Sie bis auf jedes Säugtier von Amme beneide.« – Strykius, der sie kannte, nahm eiligst das Wort für die Stumm-Entrüstete und sagte hastig: er sei im vollständigsten Irrtum über das Fräulein. »Nu, nu, mein Freund«, erwiderte der Doktor, »unter die Saugtiere gehören wir doch alle, wenn sich auch gleich nur die schönere Hälfte unter die Säugtiere zählen darf. – – Aber unser Herr Brunnenarzt – fuhr er gegen die beiden Fräulein fort – lag von jeher gern vor Damen auf den Knieen und dies, glaub' ich, mit Recht; denn er weiß als Arzt, der Schelm, recht gut, daß die Kniee, wie stark er sie auch beuge, den feurigsten Blutumlauf nicht im geringsten einhemmen. Wenn ein unmedizinischer Liebhaber vielleicht dächte, die großen Aderstämme der Beine liefen an den Kniescheiben hinauf und würden also durch das Drücken der Scheiben auf den Boden so gut wie unterbunden: so weiß dagegen unser Arzt aus seinem Sömmering, daß es anders ist und daß die großen Adern unten um die Kniekehle liegen und nicht leiden und stocken durch Biegen ....«
Da war des Bleibens nicht mehr für das Landfräulein, das unter die feinern Dorfdamen gehörte, welche vor einer Hofdame nie Füße, Strümpfe, Kniee, Beine anbehalten, sondern sie zu Hause ablegen, um nicht am Hofe damit anzustoßen; zarte Wesen, welche wie Sirenen nur ihre Hälfte zur Sprache bringen und aus Anstand sich nur als Büsten geben. – Zögernd und mit einer freundlichen Abschieds-Verbeugung an den Doktor zog das Hoffräulein dem aufbrechenden Landfräulein nach, das sich die größte Mühe gab, bloß von Strykius den Abschied zu nehmen durch Knicks und Blick und gute Nacht. –
Endlich saß Katzenberger ohne Scheidewand und Ofenschirm neben seinem Strykius. Er ließ sogleich viel Achtundvierziger bringen und verrichtete vor der Welt das Wunderwerk, daß er den Brunnenarzt mitzutrinken bat.
»Längst schon hab' er sich verwundert – hob er an –, daß die Ärzte ungeachtet des Sprichwortes (experimentum fiat in corp. vil.) so wenig Versuche an ihrem eignen Körper machten und nicht die verschiedenen Arten wenigstens der angenehmen Unmäßigkeiten durchgingen, um nachher besser zu verordnen. Ob sich nicht ein ganzes Collegium medicum so in die verschiedenen Unmäßigkeiten teilen könnte, daß z. B. das eine Mitglied sich aufs Saufen, das andere aufs Essen, das dritte aufs Denken legte, das vierte aufs sechste Gebot, davon oder von der Unnützlichkeit wünsche er doch einen Beweis zu vernehmen, und zwar um so mehr, da z. B. so viele glückliche Kuren der Aphroditen- oder Cypris-Seuche durch junge Ärzte in Residenzstädten bewiesen, daß ein solches Vorarbeiten und solche sich gelesene Selber-Privatissima der Praxis gar nicht schaden – Er wolle nicht hoffen, daß man sich dabei ans Laster stoße, das hier als ein Pestimpfstoff der Arzt ja nur so wie der Schauspieler oder Dichter an sich selber darstelle, um zu lehren und zu heilen.«
»Ich weiß fast – versetzte Strykius, der dasaß mit dem Ölblatt im Schnabel und wie Buridans Esel zwischen Ernst und Lächeln –, wohinaus Sie damit wollen.« – »Hinein will ich damit, mit dem Weine nämlich«, sagte der Doktor und eröffnete ihm ganz frei, er sei gesonnen, sich gegenwärtig vor seinen Augen zu betrinken, um den Effekt mit wissenschaftlichen Augen zu beobachten und jede Tatsache rein ausgespelzt zurückzulegen für die Wissenschaft. »Es wird – fuhr er fort – meinen Handel gewiß nicht schlechter machen, daß ein Mann vom Fache, wie Sie, dabeisitzt, den ich bitten kann, von seiner Seite mehr die nüchternen Beobachtungen über mich anzustellen und deshalb langsamer als ich zu trinken, da es genug ist, wenn Einer sich opfert. Spätere Folgen am nüchternen Morgen beobacht' ich allein.« – »Wie gebeten, zugesagt!« versetzte der Arzt.
Darauf rückte der Doktor noch mit einer Bitte ganz leise heraus, Strykius möge, da seinen schwachen Kopf der Wein leicht so zunichte wie der verschluckte Traubenkern den Anakreon, in diesem Falle sein Leib- und Seelenhirt, seinen Gesundheit- und Gewissens-Rat machen und besonders dann, wenn er wie alle Trinker am Ende anfangen sollte zu weinen, zu umhalsen, zu verschenken, ja die größten Geheimnisse auszuplaudern, ihn warnen und lenken und notfalls mit Gewalt nach Hause ziehen; er geb' ihm Vollmacht zu jeder Maßregel, mög' er selber betrunken dagegen ausschlagen, wie er wolle.
Der Brunnenarzt sagte lächelnd, er versprech' es für den undenklichen Fall, erwarte aber denselben Liebe-Dienst, falls er selber hineingeriete.
In der Tat ging bisher der Doktor mit Anschein genug zu Werke – und Strykius fing an, aus den geleerten Flaschen schöne Hoffnung Katzenbergerischer Ehrlichkeit zu schöpfen; doch war es mehr Trug; denn jenem, der sich längst als einen ehemaligen (wie Pitt in London) sogenannten Sechs-Flaschen-Mann gekannt, blieb das schöne Bewußtsein, daß er bei allem Trinken nicht aus den Fußstapfen der Griechen wanke, welche bekanntlich den Rachegöttinnen nur nüchtern opferten und deshalb keinen Wein vor ihnen libierten oder weggossen.
Jetzo berührt' er wieder von weitem den Rezensenten und sagte, er sei im Badmonat bloß nach Maulbronn wie die Juden zum Ostermonat nach Jerusalem gegangen, um das kritische Passahlamm oder den Passahsündenbock zu schlachten und zu genießen; noch aber fehle der Bock, und käm' er an, so sei doch manches anders, als ers haben möchte, Strykius konnte nicht anders, als er mußte stutzen. Bei der dritten Flasche oder Station hielt es der Doktor für seinen Schein zuträglich, ein wenig mit seinem Verständigsein nachzulassen und mehr ins Auffallende zu fallen; überhaupt mehr den Mann zu zeigen, der nicht weiß, was er will. »Noch gehts gut, Herr Kollege«, sagt' er, »doch sieht man, was der Mensch verträgt. Ich wäre jetzt imstande, jedem, der wollte, unangenehme Dinge mit einer solchen juristischen Kautelarjurisprudenz zu sagen, daß der Mann an keine Injurienklage denken dürfte. – Es böte mir z. B. eine vornehme Residenz-Frau ihr Herz und Hand, so könnt' ich, da es nach QuistorpQuistorps Grundsätze des teutschen peinlichen Rechts. 1. Bd. 2. Auflage., für Kleinigkeiten einen recht hämischen Dank zu sagen, keinen Animus injuriandi, Schimpf- oder Schmäh-Willen verrät, der trefflichen Dame ins Gesicht versichern: gut! Ich nehme noch dies an; aber nun beschämen Sie mich mit keinen größern Geschenken, da ich noch nicht einmal Ihre Kleinigkeiten zu vergelten vermocht. – Dies könnt' ich.