Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Jean Paul

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Ich streifte auf geradewohl über gemähte Raine und durch kleine, wie aus Waldungen ausgeschnittne Gruppen wie Kränze. In einer solchen transparenten Holzung lag ein Mensch auf dem Gesicht und neben ihm ein braunes Pudelhündchen. Ich dachte, er schliefe; aber als ich mich bückte und ihm unters Gesicht schauete, waren die Augen offen, aber erstarrt und auf ewig blind. Ich langte nach dem rechten Ärmel und dem Puls darin, aber letzterer war samt dem rechten Arme heraus. Es war ein Bettler, der vermutlich wie andre auf die Oberseeser Kirmes ziehen wollte und der schon seit gestern so still daliegen mochte, denn das Hündchen hatte den ganzen Bettelsack mit dem Mußteil darin schon beerbt und ausgekernt. Es blieb, als ich seinen Herrn sanft umwandte, wie ein amerikanisches schweigend daneben liegen und trieb mich nicht zurück, ob es gleich die Leichenwache hatte: ich kann mirs denken, abgetragner Pudel, wenn man gleich dir so arg verwundet und zerstoßen wird als ein Edler in einem Roman, so bellt man niemand mehr an und unterscheidet sich vom fetten bissigen Schoßkläffer: in den Rücken eines solchen armen ausgestreckten Hundes drückt das Schicksal die längsten Stacheln, und er murrt nicht, sondern wedelt nur.

Nein, weder der rührt mich am meisten, der, überzogen vom Schlangengifte des Schmerzes und leichenblaß umgesunken, unter den Stichen schreiet und fortwimmert – noch der, welcher seine Brust erhebt und mit ihr den schweren eisernen Amboß des Stoizismus trägt und der nun das Schicksal auf dem Amboß ohne Erschütterung schmieden lässet – nicht diese beiden, sondern du rührst mich am tiefsten, du, der alles empfindet und alles verhehlt, dem lange und schwere Jahre das trockne Auge und die unbewegliche Lippe gegeben, dem die blaßroten Rosenblätter, die sich über das nagende Würmchen krümmen und es verbergen, ohne Rauschen alle entsinken und der alle Menschen, die dich beklagen wollen, nur schmerzlich anlächelt und zu ihnen sagt: es fehlt mir nichts.....

Ich nahm mir vor, der Undertaker und curator funeris und Leichenbesorger beim alten armen Manne zu werden: ich griff deswegen in seine Taschen, die leider gleich Wespennestern und Fuchsbauen außer dem Eingang noch unten einen Ausgang hatten, und wollte mich in Besitz seiner hinterlassenen Briefschaften und andrer Verlassenschaft setzen. Die Erbschaftsmasse fiel aber kleiner aus, als zu vermuten war: sie belief sich auf einen Morgensegen und auf einen gelben zerbrochnen zerknitterten Brandbrief mit eingeschaltetem Wundzettel, worauf er aber – denn das wenigste war noch zu lesen – die letzten Jahre her unmöglich konnte gebettelt haben. Der Wund- und Brandbrief attestierte, Vorzeiger dieses sei ein Bergmann aus Viesel--- – vermutlich Vieselbach bei Erfurt –, seines Namens Zaus oder Saus (man konnte die Buchstaben nicht unterscheiden), Vater von zwei lebendigen Kindern, dem das Lossprengen des Steins den rechten Arm weggerissen. Den Morgensegen, in Sedez, mit Nomparel-Fraktur gedruckt, las ich nicht ganz hinaus, da es schon nachmittags war; die übrigen Segen im Büchelchen samt dem Einband hatte der Erblasser abgegriffen und weggebetet, und man muß auf die Vermutung verfallen, daß er abends den Morgensegen repetiert habe, der auf den Teufel, gegen den der Segen des Tages zweimal wie eine Doppelflinte gehalten wurde, wie ein Rikoschetschuß wirken mußte.

Ich ließ den stillen Siebenschläfer auf dem breiten, grünen Sterbebette und im Trauerhause der Erdkugel und nahm seine Relikten auf den Arm – den Hund – und ging in die Stadt zurück, um durch Polizei-Anstalten den alten Saus heute unter die Erde, worunter er so oft war, zum letzten Male zu bringen. Der Stadtrichter und der Adjunkt hatten ein froheres, geistreicheres Blut als Weinsolution im Herzen, und jener dankte dem Himmel für den Bettler, den er recht herrlich zum ersten Amtsaktus, zur Debit-Rolle verwenden konnte. Der Gerichtsfron zitierte als Leichenbitter den Schultheiß – dieser die Stadtgemeinde in die Holzung – ich und die zwei andern gingen voran hinaus. Das Ermenonville des Bergmanns, das statt der Zypressen Fichten um sich hatte, wurde bald mit Oberseesern, die heute faulenzen konnten, angefüllt.

Der Stadtrichter fing an und sagte: »als zeitiger wohlbestallter Gerichtshalter von Obersees verordne und befehl' er hiemit, daß der arme Bergmann Zaus ehrlich begraben werde noch heute.« Die halbe Trauerversammlung brummte: »Es kann auch ein Fallmeister sein, wir greifen ihn nicht an.« – Ich begann: »Hier ist ein Dokument, an das sich die Oberseeser Marktgemeinde halten kann.« – Ich verlas es. Die Weiber sagten (und guckten nach seinem Äquator, wo der Mensch und die Erde größere Dicke und höhere Berge hat als an den Polen): »sie könnten keines Arschleders ansichtig werden – er möge wohl aus weiter nichts sein als aus dem Schäfergeschlecht.« – Ein Garnweber sagte: »Vor drei Jahren hätte hier ein Schmierschäfer gerade mit einem solchen Pudel gebettelt, der aber bräuner gewesen sei.« – Ich antwortete: »Ich wills wiederholen, daß seine Briefschaften aussagen, daß er ein grundehrlicher, abgebrannter Bergknapp aus Viesel ist, und es wird Vieselbach heißen sollen, und er selber schreibt sich entweder Saus oder Zaus.« – Weyermann fügte mit dem Mute eines Trinkers dazu: »Dem ersten besten, der widerspenstig ist, lass' ich den toten Kerl vor die Türe schieben und dort stehen, bis er stinkt.«

»Sie werden,« – sagt' ich laut – »Herr Amtsrichter allhier, erlauben, anzumerken, daß ihn nicht alle auf einmal tragen oder einsenken können: die übrigen werdens nachher den Leichbesorgern im Soffe vorwerfen. Ich will ihn daher, gesetzt, er wäre nicht ehrlich, ehrlich machen, wie Professores dem Kadaver eines Missetäters das Fakultäts-Insiegel aufdrücken. Ich Hans von Torsaker, Großkreuz vom Seraphinen-Orden und Kammerherr aus dem Königreich Schweden, rühre dich, Johann Zaus, Bergknappe aus Viesel, mit dieser meiner heiligen Ordenskette und mit meinem Kammerherrn-Löseschlüssel an und erkläre dich auf undenkliche Zeiten für hinlänglich ehrlich und von ehrlichem Herkommen. – Nun könnt ihr ihn alle ohne Schaden angreifen.« – Der Schulz mußte zuerst, ab er sah aus wie einer, der einem Krampffisch an die Kehle greift und davon wie von einer berührten Bundeslade das Erschlagen befährt. Der Garnweber wollte bloß einige Male mit seinem Fuß an des Seligen Ferse stoßen; er wurd' aber höhern Orts angewiesen, mit der Hand Zausens Busen auszufühlen, ob nichts drinnen klopfe. Ein Schneidermeister nahm seine Elle zum Fühlhorn und zog es wie ein Visitiereisen über das ehrliche corpus; er mußt' ihn aber zur Strafe aufrecht setzen. Als im fehlenden cercle die Reihe an die Weiber kam: war keine hinanzubringen, und der verstorbne Zaus hatte unmöglich bei Lebzeiten eine Frau so sträubend berührt, als ihn hier jede berührte: denn der Vernunftgrund, warum es die Männer lieber taten und den ich oben vergessen – der nämlich, daß ich und das Gericht dem leidtragenden Kondukt zwei Eimer Leichbier zum Versaufen versprochen –, griff die Weiber wenig an. Ich ließ mir aber die Hand der nächsten spröden Dulderin reichen und tauchte solche auf des Alten Magen nieder. Eine zweite, die leicht über seinen dünnen Glatzen-Nachflor streifte, wurde genötigt, seinen Bart zu streichen, damit sie der dritten nichts vorwürfe, mit deren Hand ich sein rechtes Auge zu schließen suchte. Den furchtsamern wurde bloß gerichtlich aufgelegt, seine Weste – jede einen Knopf daran – aufzuknöpfen und – weil mehr Weiber als Knöpfe waren – richtig wieder zuzuknöpfen. – Der Hund fuhr gegen niemand los, gleichsam als wollt' er zu verstehen geben: mein Herr ist alle Arten von Angriffen schon gewohnt.

»Wir können abends in der Dämmerung«, sagt' ich, »auf dem Kirchhof wieder zusammenkommen und den alten Mann hintun, wo er hingehört. Ich erbiete mich, einen Leichen-Sermon umsonst zu halten, und dem Herrn Seelsorger wird es vielleicht auch auf einige geistliche Reden nicht ankommen. – Wenn wirs spät tun unter dem Gebetläuten,« sagt' ich zu Graukern, »so siehts doch aus, als hätte unser sel. Mitbruder ein Trauergeläute, das freilich tausendmal kürzer und leiser ist als das eines römischen Kaisers, und die paar Sternbilder am Himmel passieren für einige der nötigsten Gueridons mit Trauerkerzen.«

Wir gingen aus dem Parade-Trauerzimmer des Ordensheiligen fort, dessen Berührung gerade von dem moralischen Siechtum herstellte, womit andre heilige Reliquien anstecken. Weyermann besorgte das Leichenbegängnis; und ich ging ins Schloß zum Sequester zurück. Meine Klugheit hatte heute einen Bauerkrieg gegen die Ungläubigen im Ei zerdrückt, der der scheerauischen Regierung und dem Kaufherrn Oehrmann, die beide auf ehrliches Begraben dringen, Dinte und Federn genug gekostet hätte.

Im Schlosse räumte eben Eva meinen Schreibtisch auf. Ich faßte auf der Schwelle den Entschluß, endlich für Schnäzlern Sturm zu laufen, ich meine, sein Ofenheizer zu werden, nämlich sein Freiwerber. Ich setzte mich an den Tisch, den ihr Flederwisch abbürstete, und fing diesen und sagte nichts – sie auch nicht, sie geduldete sich: – »Die Flügel an meinen goldnen Engelsköpfen« (fing ich an) »sind mir nicht so lieb als dieser Gansflügel.« Das konnt' ich leicht deutlicher machen. Ich sagte darauf: »ich wär' ein Schulmeisters-Sohn aus Sawolax, hätte mich aber durch außerordentliche Verdienste aufgeschwungen zu einer solchen Höhe, und daher hätt' ich, wie jeder Schulmeister, einen besondern Hang zu Männern, wie der Herr Aktuarius juratus wäre, und zu Bräuten derselben, wie sie wäre.« Ich bauete dann in der Eile eine Ehrenpforte und Heroldskanzlei für Schnäzlern auf und sagte dann, ich würde mich schämen, sie zweier Worte gewürdigt zu haben, wenn sie gewiß den ausgeprügelten Ranzenadvokaten nähme. – Ich kam auf Schnäzlers Härung und insinuierte ihr, kein Kopf habe einen Zopf vonnöten als einer, der oben einen Federbusch trägt, ein Soldat nämlich, so wie bei den Römern alle Opfertiere einen langen SchwanzPlin. H. N. VIII. 45. besitzen mußten: denn dieser Haarsperrstrick und Schwanzriemen soll' es bloß dem nachsetzenden Feinde erschweren, einen militärischen Läufer oder Sturmläufer von hinten zu köpfen. Endlich führt' ich den Beweis durch Zeugen und Urkunden am besten durch meinen eignen Kopf, den ich sie oben zu betrachten bat, weil nichts auf ihm ist. Ich sagte ihr, unter Leuten von Stande wären jetzt Haare ungewöhnlich, wenn nicht unschicklich, und Haarwuchs sei immer, man sage, was man will, ein umgekehrter Bart in aufsteigender und Seitenlinie.

Daran glaub' ich aber noch jetzt. In unmännlichen Zeiten wie unsern sucht sich jeder von den Weibern wenigstens dadurch zu unterscheiden, daß er kahl wird, welches diese nicht vermögen. Ein verständiger Mann wählt aber, da die jesuitische Tonsurierung so sehr verschrien wird, lieber die griechischeDie römische Tonsur beschiert den Scheitel, die schottische den Vorder-, die griechische den ganzen Kopf. Seml. Select. cap. hist. eccles. T. II. und beugt den Vermutungen der Berliner Monatsschrift vor; nur stößt er, wenn sonst die Ritter auf einmal den Vorderkopf beschoren, um nicht von Feinden daran gepackt zu werden, seine Haare – man solls weniger merken – einzeln ab und tut also das weg, womit ihn Feindinnen an sich ziehen könnten. Daher man auch in den höhern Ständen nicht eher heiratet, bis man kahl genug ist, und auf eines Weibes Haupt immer eine Glatze: die Weiber gleichen den Schäfern, die die Hammel und Schöpsen nicht eher kaufen – weil sonst nichts zu sehen ist – als gleich nach der – Schur.

Ich fuhr fort und zeigte, »wie ich den Kantor liebte, da ich Dinge für ihn unternähme, die ich nicht für meine Cousinen täte«. Ich ließ sie dann nicht lange in Sorgen, ob ich mich bedenken oder weigern würde, ihr – wiewohl drei Kammerherrnknöpfe und noch dreimal soviel Engelsköpfe an mir hingen – ihr, sobald ich damit Schnäzlers Glück zu machen wüßte, soviel als Kaufschilling zu geben auf ihre – Lippen, als recht und christlich wäre. Ich wußte, was ich sagte und wollte und daß ein Mann seine Gaben viel gescheuter für Geschenke als für Injurien ausgibt: ich tat ihr ein hohes Gebot von 10 Injurien ( Geschenken). Sie schwieg betroffen und nötigte mich, da ich das Schweigen für ein höheres Darüberschlagen nehmen mußte, noch weiter hinaufzugehen. »Schönste Jungfer,« sagt' ich, »ich verstehe mich endlich zur doppelten Summe, wenns Herrn Aktuarium juratum glücklich machen kann – Personen wie Ihr, Schönste, legt man ohnehin lieber den Mund als die Hand auf den Mund. Aber jetzt denke Sie nach – Großkreuze aus Schweden mit einer blauen Kugel sind rar, Evchen, und dergleichen kann eine Jungfer selten zum Munde führen – in der Stadt werden die vornehmsten Damen oft, Jungfer, von keinem Seraphinen-Ritter geküßt. – Ein Wort! ich biet' Ihr jetzt, was Sie fodert – eingeschlagen!« Dieser Klimax machte sie ganz irre, und es war nicht sowohl das Wenigste, daß sie schwieg, als das Gescheuteste. »Noch das letzte! Ich glaube, Sie ist christlich und ehrlich und übersetzt keinen Seraphinen-Ritter: hier will ich Ihr auf Ihre Rechtschaffenheit vorausbezahlen und nicht einmal unterdessen zählen.« Ich hielt Wort und zählte nicht. »Ach!« sagte sie darauf; und dieses weibliche Ach ist so schön, daß es viele verleitet, das Zählen von neuem zu vergessen. Ich schlug ihr nun vor, mit mir auf den Kirchhof zu ziehen, wo der Aktuarius sein müsse. Nach einem solchen Ach bewilligt jede gute Miß nichts lieber als etwas Kleineres, eine Begleitung nach dem Kirchhof. Es war damals nur Zufall, was hätte bewußte Absicht sein sollen, daß ich auf ihr ja für Schnäzlern nicht schärfer drang: man muß diesen Holden immer ihr mattes Ja, Nein – ihr chiaroscuro – lassen, und wer von ihnen eine bestimmte Antwort ertrotzt, wird mit einer fortgeschickt, die seinem und ihrem Wunsch zugleich zuwider ist. Überhaupt ists mit Ratgebungen wie mit Büchern, die aufklären: beide gleichen den Schneeflocken – die ersten zerfließen nach dem Fallen, aber wenn es weiter schneiet, setzen sich einige fest, und dann wird Schlittenfahrt.


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