Jean Paul
Biographische Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin
Jean Paul

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Dritte biographische Belustigung

Anfang der Historie – die magnetische Hand – das mütterliche Gespräch – das Echo bei Genetay

Der Graf Lismore aus Schottland, dessen Landgut dicht bei Rosneath liegt, hatte sich unter einem französischen Namen nach Frankreich und als eine Luftwelle mehr unter die Stürme geworfen, die im Frühlings-Äquinoktium des gallischen Freistaats wehten, anstatt daß sie sonst das Herbst-Äquinoktium andrer Republiken begleiten. Als das Schicksal in Gestalt der Sphinx vor dieses Reich trat und ihm das Rätsel aufgab, wie ein Land aus einem vierfüßigen Tiere ein zweifüßiges werde, aus einem gebückten ein freies – – ferner als diese fürchterliche Sphinx wie die ägyptische jede irrige Auflösung mit Verschlingen bestrafte: so gab sich der junge Lismore gern für einen Gallier aus, um mit unter denen zu sein, die entweder errieten oder erlagen. Noch jetzt ruht die grimmige Sphinx mitten im Lande und graset zugleich Arznei- und Giftpflanzen ab; aber im Jahre 93, diesem Stufenjahre der Freiheit, war sie noch hungriger: was konnte nun in jener blutigen Zeit – da der Statthalter des bösen Gottes, Robespierre, den Tempel der Freiheits-Göttin mit Gräbern unterminierte und da seine und fremde Mineurs sich unter der Erde in Katakomben feindlich begegneten – was konnte da ein edler, vom Laster und Schicksal zugleich Freigelaßner anders tun in der trüben Wahl zwischen Morden und Sterben, als sein Angesicht bedecken, sein tätiges Herz bezähmen und so resignierend und verhüllt es auf dem zitternden Boden abwarten, ob das Erdbeben glückselige Inseln versenke oder erhebe?

Lismore wollte daher seine mißliche und unfruchtbare Rolle und Frankreich verlassen. Sein Landweg von Paris aus war zum Glück der gekrümmte der Seine und führte ihn, wie diesen Strom, dem Meere erst durch einen Umweg zu, nämlich durch Rouen.

Eh' er in Schottland ankam, hielt ihn in Rouen etwas auf – eine Mutter und eine Tochter, die mit verzognen Namen in einem armseligen Hause, das Diogenes nicht ausgeschlagen hätte, sich verbargen und sich grämten. Lismore hatte die Mutter – ich nenne sie Gräfin von Mladotta, ob das gleich nur der Name ihres Namens ist – schon in Paris gesprochen und sie ihrer Sicherheit wegen daraus vertrieben, zwei Tage vorher, eh' ihren Gemahl die Menschen-Sägemühle der Guillotine ergriff. Sie war eine durch Philosophie, Welt und Tugend veredelte Frau, die nicht wie ein Kind über jedes harte Anfassen des Schicksals schrie und die es aus einem langen Leben wußte, daß uns, eh' wir es endigen und ehe der Tod uns zum zweitenmal säet, alle Flügel abgerissen werden müssen, wie dem Tannensamen, eh' er in die Erde kömmt. Ihre zwei Flügel waren ihr Gemahl und ihre Tochter. Sie hatte also wenig mehr, was sie über der letzten Grube noch schwebend erhielt. Das Ertragen des Kummers ermüdet oft den Körper so sehr wie das Erliegen darunter: die standhafte Gräfin reichte geduldig dem Schmerze ihr Haupt, das der Schlagfluß traf.

Als Lismore sie wiederfand: war ihr vom Schlage nichts geblieben als ein merkliches Zittern des Armes und die Gewißheit seiner Wiederkehr. Er zwang ihr – um es gleichsam gutzumachen, daß er unter der Fahne einer Partei gedient, die ihr soviel geraubt – das Versprechen ab, jetzt mit ihm nach Schottland zu fliehen, um da, wenn nicht glücklich, doch sicher zu sein.

Aber der Gram, der nur in ihrem Herzen ruhte, war noch im Auge ihrer Tochter Adeline, die ihren geraubten Vater nicht vergessen konnte. Sie sah oft lange ihre Mutter an, und wenn sie dachte, sie weine vor Freude und Liebe, war es bloß aus Schmerz und Anteil. Ihre Trauer über den entrückten Vater machte ihre Liebe gegen die zurückgelaßne Mutter heißer; – und umgekehrt diese jene; und zuweilen hielt sie eine für die andre. Mit weniger Erziehung oder Tugend wäre Adeline zu sehr verschlossen, d. h. versteckt geworden; aber beide hatten ihren schönen Gefühlen bloß die fehlerhaften Schleier genommen, nämlich die undurchsichtigen. In der Freude, im Gutestun sah sie einem Kinde ähnlich, das im Schlafe lächelt, weil es Engel erblickt. War auf des Grafen unglückliche riesenhafte Brust der Erdball wie ein Ätna gewälzt, daß sie nur unter fremden Erschütterungen und Verwüstungen sich recht zum Atmen aufhob: so trug Adelinens Busen das Leben geduldig wie ein Leichenstein, oder so wie eine erblaßte Mutter den an sie gelegten bleichen Säugling trägt, gleichsam als schliefen beide aneinander außer dem Grabe: die einsinkende Brust geht sanft unter der stillen morschen Bürde auseinander.

So war sonst ihr Schmerz; aber der jetzige nicht: er war wohl nicht wild, doch romantisch: denn ihr Geschlecht hat die schweigende Geduld nur für die Schläge, die auf dasselbe im gewöhnlichen Kreise seines bürgerlichen Lebens fallen; aber der Verlust dieses Kreises und die Schreckbilder außerhalb desselben martern es zu sehr, wie hier Adels-Verlust und Hinrichtung.

Dieses Übermaß eines hyperbolischen Kummers gab, zumal im Lärme einer Revolution, wo das Schwanken der bürgerlichen Scheidewände alle Gefühle mehr entblößt, ihrem so weiblichen Herzen einen männlichen Enthusiasmus, ihrer Zunge Beredsamkeit und ihrem kalten Auge Feuer, obwohl unter Tränen. – Und deswegen brach der Graf einen Vorsatz, den er so lange gehalten: nicht mehr zu lieben.

Bei ihm war ein solcher Vorsatz unvermeidlich: er suchte ein Mädchen, das auch noch etwas anders wäre – ein Jüngling. Wir wissen vom Grafen noch zu wenig; ich muß wenigstens ein Brustbild von ihm aus der römischen Erde der Vergangenheit graben und hieher stellen:

Er hatte eine unzufriedne Seele, die in der vollen Blüte aller ihrer Kräfte stand, deren jede fast bei ihm eine eigne Seele war: so sehr gebot eine um die andre herrisch über ihn, gleichsam örterungsweise. Daher brach die üppige, berstende Knospe seines Geistes, wie die einer überfüllten Nelke, ohne Ebenmaß der Reize auf. Bei dieser Kraft war ihm die genießende Untätigkeit des vornehmen Lebens – jener ekelhafte Wechsel zwischen geistigem und leiblichem Schlummer – ein Greuel. Ihm mangelte kein anderes Haus als ein Arbeitshaus und kein Konfekt-, sondern ein Arbeitstisch und einiger Hunger und Schweiß: eine arbeitsam Dürftigkeit hätte seinem treibenden Lebensbaum die Wasserschößlinge verwehrt und eben dadurch seinen ganzen Wuchs geregelt. Hatt' er weniger Zerstreuung – mehr Zeit – mehr Geduld – oder eine herrschende Kraft: so stand ihm für alles gewitterhafte Feuer ein herrlicher Ableiter bereit – die Schreibfeder: – wahrhaftig, das Feuer des Genies, das Länder entzündete, schlägt hundertmal nur ins Dintenfaß, und dann ist die Wolke erschöpft.

Daher behaupt' ich, verschwendet ein Shakespeare und Garrick die Kräfte, womit er einem großen Mann hätte nachkommen können, in der Schilderung desselben. Man nehme manchem Genie die Feder: so wird es den Freiheitsdegen, und manchem General diesen: so muß er jene ergreifen.Daher wurde sonst in Frankreich und Deutschland mehr für die Freiheit geschrieben als in der Schweiz und in England. Daher wird man in aufgeklärten Reichskreisen, wo man sich noch etwas aus echtem Freiheitsgeiste macht, diesen nie in Schriften dulden, sondern ihn wie Brunnengeist hermetisch in den Autoren verpetschieren, damit er nicht verrauche; sie sollen weniger frei schreiben, damit sie (hofft man) mehr frei handeln. Daher schadets einem Autor an der Moralität, wenn er zu tugendhaft schreibt; wenigstens suchten allezeit Skribenten, die ein reines Leben führen wollten, wie Martial, Katull, SanchezSanchez schrieb das Buch de matrimonio; aber er führte ein jungfräulich-reines Leben, und seine blühende Leiche wurde wie ein ausgestellter Heiligenkörper geküßt. Bayle, Sanchez. , die unreinsten Werke zu fertigen, um mit ihnen, wie mit gut angebrachten Ventilatoren oder Schiffspumpen oder Abzugsgräben, den Sündenstoff aus ihren Seelen abzuführen.

Was ohnehin die Moral anlangt: so kann man fodern, daß angesehene Adjunkten der philosophischen Fakultät auf ihren Kathedern, und unangesehene Adjunkten der theologischen auf ihren Kanzeln, da sie keine frères servants, sondern schon Gebrüder-Redner der Tugend sind, daß sie, sag' ich, als Kunstrichter der Tugend die höchsten Gesetze aufstellen, um deren Befolgung sich niemand als die Schöpfer guter Werke zu bekümmern haben: beide Adjunkten sind ihre eigne kantische Gesetzgeber und haben also in sich die gesetzgebende Gewalt vollkommen; von dieser aber kann in Menschen wie in Staaten die ausübende nicht genug gesondert werden.

Der Graf streckte, wie alle idealische Leute seiner Art, mit gleicher Heftigkeit seine Hände nach der Wahrheit – nach der Tugend – und nach einem weiblichen Herzen aus und zog sie immer voll Schaum zurück. Dieser gute Leolin Lismore mutete einem Weibe alle Tugenden zu, auch seine, ja sogar die, die ihm mangelten. Wenigstens mußt' er, wenn er sich auch im Handel noch einige Vollkommenheiten abbrechen ließ, doch durchaus auf zwei – oder es war sonst Läsion über die Hälfte – dringen: 1) auf ein Herz, wie ein Engel trägt, zart, unschuldig und milde – 2) auf einen Kopf, wie er führt, voll beredten aufbrennenden genialischen Enthusiasmus für alles Edle und Große. Seine Täuschung fing allezeit beim ersten Artikel an, und dann war sie beim zweiten natürlich.

Einem Lismore verübl' ich solche Foderungen nicht; aber was soll man sagen oder schreiben, wenn Libertins, die in ihrem ganzen Leben nichts taten, als gute Engel zum Abfall verlocken, am Ende als Gratial ihrer wohlverlebten Jugend weiter nichts begehren als einen Seraphim, wenn der vierzigjährige Schöpfer schuldiger Mütter und unglücklicher Kinder bloß die Unschuldigste, wenn der Treuloseste bloß die Treueste als einen geringen Preis seines redlichen Wandels fodert, weil er nicht gern mehr am Trauungsaltar verlangen will, als etwan der rechtschaffenste Jüngling im Lande fodern kann? – Noch besser war, es, ein solcher Plus-Lizitans hauste in Paris: er könnte dann in die rue St. Martin ins bureau de confiance Nro. 225 gehen und dieser Heirats-Börse, die in allen Provinzen die besten Unter-bureaux hält, folgende Affiche zu publizieren geben:
 

»Endesunterschriebener sucht eine Frau, bei der er alle die Tugenden haben kann, die ihm ausgegangen sind – die so lange in diesem Leben ein Engel ist, bis sie im andern einer wird – die alles erträgt, sogar einen Mann oder seine H. – die nichts vor ihm verbirgt als ihre Tränen und seine Kinder. – Dafür bringt ihr Sponsus seines Orts wieder (er macht sich dazu anheischig) ein adliges Alter von 6000 Jahren und ein hübsches Warenlager von Sklaven, womit er in zwei Welten handelt, und die Hörner zu, die sonst erst nach der Hochzeit angeschafft werden müssen; wobei er aber fodern muß, daß die Person, mit der er sich in solche Heiratsunterhandlungen einlassen soll, entweder die heilige Jungfrau Maria selber, oder deren Base, Stieftochter oder Enkelin sei, weil niemand mehr an seiner Ehre gelegen ist als dem

Beelzebub.«
 

Ach! es war eine glückliche Zeit für den edlern Lismore, da zwei Tropfen, die aus zwei schönen jungen Augen fielen, noch sein mit ungelöschtem Kalk befruchtetes Schiff in Brand setzten – da er zu einer seligen, aber kurzen Idylle nichts vonnöten hatte als eine schöne Landschaft und eine schöne Schäferin, die zugleich das schöne Schaf darin war – und da er noch nicht sagte, eine Frau sei nichts als eine geborne – Kastratin.


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