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Betrachtungen über das Klagelied – fernere Strophen desselben – das edle Bergwesen – Wolfgang – Cara.
Ein paar Oktavseiten, und was darauf steht, werden nicht verloren sein, wenn man sie bloß zum Schildern und Bedauern der jetzigen Männer verbraucht, welche ich in ganzen Singschulen beisammen stehen sehe und mit den ausgeteilten Singstimmen in der Hand das Klaglied intonieren höre. Selten kann ich über den Markt weggehen, ohne auf ein oder ein paar männliche Gesichter zu stoßen, auf denen herbe Sorgen über ihre Kinder der ersten, zehnten, zwanzigsten Ehe stehen, ob es gleich denen von der letzten Ehe, worin sie wirklich leben, ganz gut ergehen möge. Die Venus am Himmel zieht nicht nur die Erdkugel aus ihrer Bahn, sondern auch die Insassen derselben noch mehr, und ich habe über die letztern Weltkörper genauere Perturbations- und Nutationstafeln im Beschluß als viele andere. Männer, die weit herumgereiset, denk' ich mir hierin als die größten Dulder, weil sie in jeder Seestadt, auf jeder Insel, in jeder Residenzstadt von den georgiques françaises ihrer Schäferstunden – wie Delille von seinem Buch – 12 Ausgaben veranstaltet haben, so daß – wenn Linné in seinen alten Jahren alles, sogar den Namen seines Schwiegervaters vergaß und man sich darüber in Europa wunderte – man sich gar nicht zu wundern hat, wenn diese Pilgrime in ihren besten die Schwiegerväter nicht behalten können; weils die Menge macht. Das heimliche Abhärmen eines solchen Heerführers seiner in ganz Europa postierten enfants perdus ist offenbar genug.
Was den Adel anlangt, so ists, hoff' ich, anerkannt, welche Schritte der größere Teil desselben tut, sich mit dem tiers-état zu vereinigen, auch dadurch; – und der état seinerseits will auch nicht nachbleiben – und auf diese Weise mag sich Gleichheit wie sonst in Norden das Christentum fortpflanzen, nämlich durch Weiber. Es kann sein, daß man aus diesem Grunde in Spanien alle Fündelkinder für adelig erklärt. Aber man setze sich einmal in die Seele eines sechzehnschildigen landtagsfähigen Edelmanns, der auf der Hausflur vor seinem Stammbaum stehen bleiben und denken muß: »Meine besten rüstigsten Junker und Fräulein hab' ich in Bauernhäuser, Fuggereien, Kaufhäuser verteilt – sie wachsen in der schlechtesten Gesellschaft auf, die nicht turnierfähig ist, und werden selber nichts Bessers – zu den Legitimationen der Würmer fehlt Geld – nur gerade was in meinem Schlosse mit meinem adeligen Geblüte und Wappen herumläuft, sind ein paar dünne weiße Schatten: ist das nicht nagend?« – Gratulieren sollte sich noch der Edelmann, daß er doch die weißen Schatten hat und aus allen Völkern gerade diese Kinder Israels zu seinen erwählten machen können. Bei Männern, die zur Ehe nur wie Mädchen zur Tabakspfeife greifen, nämlich in der Zeit der Not, sind Schatten ein wahres unerwartetes Geschenk; denn gewöhnlich lässet die künstliche Ehe, wie künstliche Blattern, wenig Spuren zurück.
Diese ganze büßende Brüderschaft wird sich mehr erholen, wenn man mit Hülfe der neuern Romane noch weiter in der Sache geht, so daß Kinder nicht sowohl, wie in Sparta, von gemeiner Stadt erzogen werden als vollends erzeugt, Lands-Kinder im schönsten Sinn. Immer nötiger wird es daher, daß schon jetzt die Konsistorien von allen verbotnen Verwandtschafts-Graden auf einmal dispensierten, weil bei dem allgemeinen Föderalismus und der galvanischen Kette der Liebe, die um das seidne Band der Ehe herumläuft, kein junger Mensch mehr gewiß sein kann – wenn er eine verwandte Seele heiratet –, ob er nicht seine Schwester trifft.
Das ist nun das heimliche Klaglied der jetzigen leidtragenden Männer, wovon ich im Titel sprach, und welches das einzige ist, in welches sie gutmütig die Weiber nicht einzufallen zwingen; denn diesen verbleiben glücklicherweise immer die Kinder, wenigstens die natürlichen. – Auch das mißmütige mürrische Gesicht vornehmer und reicher Jünglinge leit' ich leicht von diesem innern Passionsliede ab; die armen jungen Narren werden schon von tausend stillen Vatersorgen verfolgt und angepackt. – –
Wieder zur Geschichte! – Perefixens Leben lief über lauter Stacheln und spanische Reiter weg. War er mit Ninetten allein: so übergoß er sie nach seiner Lebhaftigkeit mit pädagogischen Bitten, die nichts fruchteten, weil sie auf viel wärmere rechnete. Einmal an einem Sonnabend überraschte der Geschworne beide in einem heftigen Zank, der für ihn arabisch war, nämlich französisch. Perefixe hatte feuchte Augen. »Wir streiten über die Erziehung meiner Cara« – sagte frech Ninetta – »der Herr Konsistorialrat interessiert sich schon für das hübsche Ding.« Traupel übersah Perefixens wetterleuchtenden Blick und sagte verschmitzt: »O charmant, charmant!« Bei solchen Rätseln passete er bloß auf den Abend nach dem Essen und auf ganz spaßhafte Aufschlüsse, die ihm die Frau über den närrischen Konsistorialis übermachen werde. Daher bestrich er ihn häufig mit jenen listigen muntern Epopten-Blicken, die sagen wollten: »Teuerster Rat, um Gottes willen nur nicht groß getan mit Seinem Verstand und Dem und Jenem – man führt Ihn, so wahr Gott – – Verdammt! darf man denn reden?« –
Gleichwohl mußte Perefixe bei diesem Segment eines Kopfes geduldig ausharren. Ja er gewann ihn lieb zuletzt aus Mitleid, weil die Frau die schlechten Augen berückte und verhöhnte, die der Bergmann außerhalb seines Maulwurfshaufens der Bergwissenschaft für fremde Gänge hatte. Perefixens Herz vergitterten keine harten Brustknochen, und er konnte auf der Gasse vor keinem gepeitschten Kinde vorübergehen, ohne hinzuspringen im Priesterornat. Darum nahm er sich des betörten Bergmanns an und drückte diesen nicht in seinem heimlichen Aufblasen. Er trat gern näher hin zu dem Geschwornen (und zur Langweile) – indes Ninetta fortlief –, wenn dieser anfing, mit Wenigem das Hüttenwesen und die Zechen zu berühren – der Phantasie des Zuhörers den Berghabit anzulegen – als ihr Steiger mit ihr ins Elysium der Unterwelt einzufahren, nachdem er sich vorher kaum im Vorbeigehen nach dem Hundejungen und dem Schwenzel umgesehen – und mit ihr drunten in den Gängen und hinter den Wasserwerken herumzukriechen. Perefixens Aufmerksamkeit setzte dann den Geschwornen auf den Thron. Er fuhr mit der Phantasie wieder zu Tage und ging (und Perefixe mit) in seine Schreibstube, um das Wunder- und Meisterwerk seines Daseins, wornach er allein gewogen sein wollte, ein wenig zu zergliedern, nämlich ein tragbares Zwerg-Bergwerk, worin er das ganze Bergwesen mit allen Flözen und Knappen nachgebosselt hatte bis zum kleinsten Fäustel und woran er nichts ausgelassen als die Berggeister. Wenn nun der Vulkanist seine Zangengeburt in allen ihren Gelenken auf einmal überschauete und die 1000 Schöpfungstage summierte – und wenn er noch dazu etwan in dem Krönungsanzug des Berghabits, worin er einmal seinen gnädigsten Herrn mit der Knappschaft einholte, dastand, die Stirn unter Blech, den H. unter Leder: so tat er freilich nichts anders, als was von der schwindelnden Menschentextur auf solchen Höhen zu erwarten ist, wenn er den Konsistorialrat zuerst kaltblütig fragte, ob er seines Orts auch glaube, daß bei dem Bergbau ein anschlägiger Kopf nicht ganz übel angebracht sei, und wenn er dann, sobald Ja gesagt war, mit vollen Segeln herausfuhr: »Nun so lassen Sie sichs von einem, ders inne hat, gesagt sein, daß alle euere Wissenschaften nur Fixfaxerei ist gegen wahres Bergwesen; denn wahrlich ein Bergmann steht in seiner Grube über euch alle und braucht niemand anzusehen.« –
Perefixens Kummer nahm mit den Jahren seiner Tochter, mit der Liebe zu ihr und mit Ninettens Einfluß auf sie zu. Oft wenn er sah, wie die Mutter ein Vulkan war, welchen die Kleine wieder vertrauend bestieg, sobald er ausgedonnert hatte, und wie sie noch mehr – als der Mutter – dem trocknen, selten erscheinenden Traupel das ganze Herz zukehrte: so seufzete er über die schöne Liebe, die sich an den scheinbaren Vater verirrte, und über den wahren, der sie entbehrte; ja mitten durch die Freude über die eiserne Geradheit seines Sohnes – das Gebilde der mütterlichen Erziehung; denn er pflegte, wie die meisten Väter, die Kinder mehr zu genießen als zu erziehen – fuhr der stechende Gedanke an das Verderben der Tochter.
Geheimnisse in der Ehe sind gefährlich und nichtig, ihre Scheide bedeckt immer einen Dolch, den die Zeit endlich zieht. Josephine wurde zuletzt unruhig und beklommen, wenn sie den daliegenden Sphinx ansah. Seine Trauer über die Badreisen, in welche Ninetta immer die Kleine zu den Brunnenbelustigungen, d. h. zu den Brunnenvergiftungen mitschleppte, nahm bei Josephinen die Nebenbedeutung eines Schmerzes über Ninettens Entfernung und über die Gewißheit an, daß ein Badort eine Redoute voll Gleichheit und Freiheit sei. – Noch irriger wurde sie, als sie vollends auf die Geschworne näher und ruhig, wie ein Stern, die geraden scharfen Strahlen fallen lassen und an ihr eine prangende Tulpenglocke gefunden hatte, deren beißende Tulpenzwiebel in der Erde schwillt. Josephinens Härte und Schärfe gegen den Fehler – so groß wie ihr Vertrauen auf den Wert – wurde eheweiblich aufgeregt durch Ninettens satirisches Betragen gegen das Beten und Wissen des ehrlichen Traupels, der seinen Geist wie seinen Magen gern mit einer BerghenneDie schlechteste Bergmannskost. ernährte und es dem Konsistorialis dankte, daß er seiner Frau feine goutées vorsetzte. Und was mußte Josephine erst über die verschiedenen Gestalten denken, in welche sich jene vor Perefixen brach, indes sie selber in einer blieb, wie unreines Wasser in mehrere Figuren gefriert als reines? – War er, wenn er allein da war, nicht ein hüpfendes Eichhörnchen neben der Klapperschlange – ein Schneußvogel, der sich in einem Haare fängt, wenn es in einem Ringe schöne Worte bildet, und vollends in einer Locke? –
Sie nahm sich vor, ihm einen sonderbaren Vorschlag zu tun; und die Zeit, worin sie es wollte, schien erlesen dazu.
Er und sie hatten nämlich ihren Sohn mit gleichem Willen zum Soldaten bestimmt. Ihr Wolfgang war einseitig, störrisch, ehern ohne Phantasie, aber voll Mark und Mut, voll Treue und Liebe. Er war stets wieder vom Musenberge herabgerutscht, so hoch man ihn auch hinaufgezogen hatte, bis man endlich einen festen Sandboden – und einen Archimedes dazu – für ihn ausmittelte, worein er seine Figuren und Zahlen treten und schreiben konnte; – es konnte ein guter Mathematiker und Krieger aus ihm werden. – In der Woche, wo Josephine den Vorschlag tun wollte, sollt' er in die Welt hinausgeschickt werden, in eine Kriegsschule eigentlich und uneigentlich. Die Eltern waren gerührt, der Vater noch mehr als die Mutter, weil seine größere Phantasie sein zweites Herz wurde; – die Wüste der kinderlosen Einsamkeit dehnte sich vor ihnen aus.
An einem Abende, als Wolfgang, dem schon alles eingepackt war, ausgenommen sein letztes Arbeitszeug, die Flöte, im obern Zimmer diese blies, sahen sich die Eltern mit Augen voll wechselseitiger Schmerzen an. »Ach, eine Tochter«, sagte Josephine nach dem Abtrocknen der ihrigen, als antwortete sie dem Manne, »verließe uns nicht so früh.« Er sah sie erschrocken an, aber in ihren Augen war Liebe und Mutterschmerz und nichts weiter. »Höre einen Vorschlag an, du Lieber! Ich kenne eine, die ich und du so lieben, als wäre sie unser Kind. Nimm sie ins Haus. Rate wer!« – Er sah ihr starr ins Angesicht – ob dieser Vorschlag vielleicht ein Luftreinigkeitsmesser seiner Treue sei –; aber dieses trug, da sie durch die Adoption des Kindes einer Nebenbuhlerin etwas Verdienstliches zu tun glaubte, bloß den Glanz der offnen begeisterten Unschuld. Er riet leise: »Wer? – Cara?« – »Aber ohne die Mutter!« sagte sie scherzhaft. – »Josephine,« (antwortete er, indem sein Angesicht flammte und sein Herz weinte) »glaubst du an mich, so wie ich an dich glaube?« – »Nein,« sagte sie leicht – »o ja, ja! ewig,« und fiel in seine Arme, und als sie seine Tränen fühlte, setzte sie leise und ernst dazu: »Ewig! o sonst stürb' ich ja!«
Er eilte zufolge seiner Flughitze noch diesen Abend zu Ninetten. Seine Beredsamkeit und Rührung gewann vor ihr die Gestalt des Anteils an ihr – die Vaterliebe zur Tochter gefiel ihr als eine Nachbarin der Liebe zur Mutter – sie hielt alles bloß für seinen Wunsch, nicht für Josephinens – an der unverwelkenden Blumenkette der väterlichen Liebe konnte sie ihn noch immer ziehen und lenken, ja jene wurde jetzt eine festere Fruchtschnur – kurz sie küßte ihn und ließ ihm Cara.
Ich will es beiläufig mit herwerfen, daß das größere Alter Carens und die gleiche Länge, so wie ihre Aufmerksamkeit auf manchen Herren-Besuch ihr es leicht machte, das Kind um einige Gassen weiter zu wissen; Mütter, die keine sind, büßen durch Töchter ein; der alte Wein im Fasse trübt sich, wenn der junge aufblüht. – Ihren Mann, der Cara sechs Tage lang entbehren konnte, weil er nur am siebenten kam, versöhnte sie am leichtesten mit der Auswanderung in ein geistliches frommes Haus; »du weißt,« sagte sie, »daß ich eben nicht die Frömmste bin; – und wer kann wissen, wie es mit Wolfgang geht?« – sie tat, als wenn sie eine Heirat meine; sie war eine Philosophin, Perefixe ein Kapitalist.
Lasset uns die Augen auf schönere Seelen richten und auf den überirdischen Tag, wo morgends die geliebte Tochter einzog, indes abends der treue Sohn fortwanderte. Zuweilen malt das Geschick die nackte Leinwand der Wirklichkeit so gut, als Dekorateur, daß diese in der Tat ins poetische Spiel des Herzens eingreift, und streicht die Hanf-Seile, an denen die Götter zu uns niedersinken, mit der Farbe der Unsichtbarkeit an. Ein solcher dekorierter übermalter Tag war der, wo die zwanglose, zärtliche, biegsame Cara aus der schwülen kosmetischen Folterkammer in die luftige Laube dieses Hauses hüpfte und mit herzlichen Augen den Kreis liebender Seelen umlief, und wo Perefixe alle Herzen auf einmal erbte und Josephine sich ihres edeln Werkes erfreuete.
Was Wolfgangen anlangt, so trug er sich den ganzen Tag – um nicht unsoldatisch gerührt zu werden – gute Flötenstücke vor; und nur als er abends ausgeflötet hatte, fuhren acht Tropfen in seine blauen Augen. Cara rechnete sich sehr mit zur Familie und nahm daher, als er sich nachts auf die Post setzte, so gut ihren gerührten Anteil mit daran als jeder andere.