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Der Leder-Arm – Air à trois notes – Enthüllungen aller Art – Verhüllung
Nun gingen die Jahre einen sanftern Gang. Dem Sohne wuchsen immer längere Adlersfedern, und Cara, die weiße Taube, blühte zum Schwane auf. Perefixe gewöhnte sich immer fester an die nahe Tochter an, und sein Herz zerschmolz in Vater-Wärme, wenn er in den Mondschein ihrer lichten, aber ruhigen Seele blickte. Sie wurde jetzt vom Geschwornen und sogar von Ninetten mehr geliebt. Ja da nun nicht mehr die Vipern des pädagogischen Zanks um diese und Perefixen herumkrochen und beide mit ruhigern Händen nebeneinander auf ihrer freundschaftlichen Moos-Bank saßen: so gaben sie sie einander zuweilen. So sehr waren oft nur unsere Verhältnisse hart, indes unsere Herzen es geschienen.
Allein das Kriegsheer des Unglücks rückte doch im Nebel der Zeit ungesehen gegen den armen Vater fort. Josephine wurde immer dichter von der Schlange des alten Rätsels umwickelt; der Mann besuchte nicht nur die Geschworne jetzt fast öfter wie sonst (er mußte), sondern er blickte auch oft die liebe Cara mit wärmern Augen an, als ein Konsistorialis führen soll. Einmal ertappte sie ihn in einem Kusse; – das war ihr am galanten Mann nicht fremd, aber sein Erröten dabei. Ach es kam eben von jetziger Unschuld und früherer Schuld. Nur einmal ging der flüchtige Gedanke an die wahre Auflösung des ganzen Rätsels vor Josephinen wie ein kalter Gespenster-Schatten vorbei; aber sie erschrak, nahm ihre schöne Seele zusammen und stieß den zurückkriechenden, mit Krebsscheren umhergreifenden Argwohn weit von sich. Um sich davon zu entsündigen und das von ihm bekrochene Herz zu reinigen, ließ sie die Hälfte von ihrer räsonierenden Strenge gegen den für sich und andere zu nachsichtigen Gatten nach und säete um ihn einen neuen Blütenflor der Liebe aus; aber die gute Seele merkte nicht, daß sie zu derselben Zeit auch wärmer für seine Cara wurde, gleichsam als sei diese das, was sie – war. –
Wolfgang hatte sich unterdes ins Ingenieur-Corps hineingearbeitet mit seinem trigonometrischen Kopf und errang sogar die Ehre – glücklicherweise nahm der Fürst Anteil am französischen Kriege –, mit zu belagern. Josephine, deren Vater Major gewesen, zeigte weniger Besorgnisse als ihr Mann, der zwar großen Mut für die Gegenwart, aber ebenso große scheue Phantasien über die Zukunft hatte. Am schmerzlichsten pochte das junge kriegsunerfahrne Herz der sympathetischen Cara, aus Liebe für die Pflegeeltern, denen sie alles nachtat und nachempfand; zitternd hörte sie seine Briefe lesen, an denen ihr nichts so gefiel als seine Handschrift, das Dokument seiner Existenz.
Auf einmal hörten die Briefe auf – zum Glück auch die Belagerung (nach der Zeitung) – vor dem Posttag hatte die Hoffnung das Wort, sogleich nach ihm die Angst.
Ach nur diese hatte recht. Der im Kriege noch unbändiger gewordne Tollkopf wollte, da der Soldat im Frieden so langsam avanciert, als ein Kardinal fährt, die von den Glückskugeln des Todes geebnete und rasierte Rennstraße des Avancements recht wild durchrennen, als ihm unterwegs eine von diesen Kugeln den rechten Arm wegbrach. »Eine wahre Fatalität!« sagt' er und weiter nichts. Er gab während seiner Heilung keine Nachricht von sich, damit die Eltern nicht über ihren Ausgang Grillen fingen. Als aber die Stätte des Arms wieder mit Fleisch zugeschlossen und ein neuer von Leder darauf restauriert war: macht' er sich mit seiner ganzen fahrenden Habe, mit dem Reisekoffer, auf nach Krehwinkel.
Der Konsistorialrat reisete eben im Lande umher und arbeitete an Investituren und Kommissionen. Josephine und Cara wohnten miteinander in einem Garten vor dem Tore. Es war ein schöner blauer Vormittag, als er ankam; sogar in der Stadt lärmten die Vögel, alle Wiesen lagen noch in hohen Blüten um den Garten, und dieser selber war fast undurchsichtig vor duftender und grünender Fülle. Wolfgang blieb mitten im Garten ein wenig stehen vor einer Sonnenuhr, um seine Taschenuhr darnach zu stellen: als er hinter dem hochstaudigen Bohnenbeete seine Mutter hörte, die zu Cara sagte, sie solle das Postskript an Wolfgang machen. »Nicht nötig!« rief er und trat herum. »O Gott! das ist er«, rief Josephine. »Leibhaftig!« sagt' er und ging im abgemessenen Soldatenschritte auf sie zu und umarmte sie mit einem Arme, indes der künstliche vornehm zwischen die Westenknöpfe geschoben blieb. Die mitten in der Entzückung aufmerkende Mutter blickte mit fragendem Erschrecken auf den festen Arm und dann in sein vom Kriege gebräuntes Gesicht, auf dem eine von der Marmorsäge der Kur-Folter gezogne steilrechte Falte mitten auf der jungen Stirn und die Mischung von männlicher Resignation und von kindlicher Rührung über den Gedanken, daß er seinen Eltern einen Krüppel mitbringe, unaussprechlich wehe tat, und dann sah sie wieder auf den Arm mit den leisen Worten. »O Gott! Sohn?« – »Ja, ja,« sagt' er, »der Teufel hat den alten geholt.« Da lehnte der übertäubende Schmerz die starke Mutter an ihn, und Cara nahm seine Hand zwischen ihre beiden und bückte sich weinend mit den erstickten Worten darauf hin: »Ach Sie armer, guter Mensch!« – Er riß seine heraus, fuhr über das feurige Auge und sagte: »Pah! – Wo ist der Vater?« – Und so hatten wieder drei Menschen eine bitterste Minute überstanden.
Allmählich zog sich der Nebel ihrer Seelen auseinander, und der Himmel blickte wieder durch; nur für die gute Mutter war er als eine feste lange Wolke in ihr Blau gestiegen. Die Mütter legen einen größern Wert als die Väter auf gesunde und gerade Glieder ihrer Kinder, weil sie Teile ihres Wesens sind und die Denkmäler ihres Daseins.
Nach so vielen Kriegswettern und nach so vielem Schmerz aus dem schwülen Leben unter Fremden und Kranken war dem guten Soldaten dieser leise sanfte Tag zwischen zwei pflegenden Herzen ein geistiger Balsam, der eine gelinde Wärme durch sein Wesen verbreitete, ohne daß er wußte woher. Das Herz der guten Cara war auch voll, sie dachte, es sei von Mitleid; – auch war viel davon mit darin, da ohnehin Weiber die Schmerzen der Männer inniger bedauern als die eines Geschlechts, dessen Leben wie das Alter eine Krankheit ist –; aber Amor schneidet sehr oft aus der Binde um die Wunden eine um die Augen zu. Ich sehe ihn dasmal mit Vergnügen arbeiten; beiden unbefangnen treuherzigen Wesen, noch selig-fern von jener ästhetischen Besonnenheit des eignen Werts, die dem andern jede Perle des Schmucks auf der Perlenwaage hinwiegt, hatte die Natur die Ringfinger füreinander auf die Welt mitgegeben.
Wolfgang war in seinem eignen Lager ein Trompeter mit verbundnen Augen und wußte nicht, ob er eine Eroberung mache oder eine sei. Unter dem Essen sprach er bloß von blutigern Eroberungen, und sein Gespräch wurde ein Feuerwerk, das in die Luft die Gefechte zeichnete; aber er merkte nicht, daß er, indem vier zärtliche Augen aufmerkend und sorgetragend zu ihm aufgehoben waren, sich und andere an einem nähern als dem Kriegsfeuer erwärme. – Doch blieb er nicht bei den Weibern, er wollte schon heute wieder in die Achse-Bewegung seiner täglichen Arbeit kommen und konnte kaum erwarten, bis gegen Abend sein Arbeitszimmer zugerüstet war.
Man trug seinen Koffer hinauf, und die emsige Cara eilte nach, um seiner einzigen Hand mit ihren im Auspacken beizustehen; die Unschuldige dachte, da die edle Mutter ihn so liebe, so dürfe sie ihres Orts ihr auch an solcher Liebe nicht nachbleiben. – Sie trat hinein zum stillen einarmigen Menschen, er kramte schon mühsam aus; Abendschein und Baumschatten spielten zauberisch um seine schöne Gestalt, und Cara fühlte, wie sich ihr das Herz und eine Zukunft öffne. Sie litt sein einhändiges Auspacken nicht, sondern trug ihm alles zu – er hatte nur zu ordnen –, die großen Landkarten, die Festungs-Abrisse, seine mathematischen Bücher. Dann brachte sie drei schwarz gesiegelte Briefe, die an benachbarte Eltern gefallner Söhne waren: konnte sie da dem Gedanken entweichen, daß ein ähnlicher vierter an Josephinen schon angefangen war, nur aber nicht ausgeschrieben wurde, weil das Verhängnis sich die Libation der Armwunde statt des ganzen Opfers gefallen lassen? –
Sie reichte ihm einen sogenannten Kriegsschauplatz, er rollte ihn auseinander und zeigte ihr, was dieser häßliche Wundzettel der Menschheit eigentlich enthalte. Kriegskarte – wie leicht wird das Wort ausgesprochen, wie kalt sie verkauft und gekauft! Aber was bedeutet das Land darauf? Ein armes verfinstertes Stück Erde, das unter dem dicksten Hagel des Schicksals zittert. Was enthalten die Städte und Flüsse darauf? Jene die Verwundeten auf Wagen und diese die Leichen zwischen blutigen Ufern. Es gibt keinen Schmerz, der nicht auf diesem Schauplatz wohne, und keine Sünde, die da nicht siege, und alles ist fliehende Scheidung, und nur in Gräbern sind, wie sich gescheiterte Schiffer aneinanderbinden, die Menschen gehäuft beisammen. – Wirf sie weg, diese schwarze Karte der Erdflecken, sanfte Cara, und mal es nicht nach, was dir dein Freund davon vormalt, um dich in dem Geburtsort seiner Wunde einheimisch zu machen!
Endlich fand sie etwas Schöneres, was er tief verpackt hatte, um es nicht mehr zu sehen, die Flöte; sie trug sie hin. »Sind Sie klug, liebwertes Kind?« (sagt' er) »Mit meiner Pfeiferei ists nun aus auf immer.« – »Einige Noten doch noch!« sagte sie zärtlich – »so viele doch wenigstens!« setzte sie dazu und spreizte scherzend fünf Finger aus, wollte aber mit allem diesen bloß seine deutliche Verzweiflung über das von einer Kugel niedergerissene Lustschloß und Odeum mildern. »O noch eine mehr, wenn Sie da sind«, sagte er. »Wir brauchen nur die Hälfte«, versetzte sie – und lief davon – und kam wieder – und hatte Rousseaus Air à trois notes in Händen.
Guter Rousseau! wie oft haben in diesem nicht harmonischen, sondern melodischen Dreiklang deine Träume im weichen Italien und die in deinem gleitenden Boote und alles Abendgeläute eines fernen, unter dem Abendrote uns stillenden Arkadiens zu mir herüber geklungen! O vor deinen drei Tönen wachen drei sehnsüchtige Seufzer auf in der dürftigen Brust, und wir sehen uns um, und die Vergangenheit und die Gegenwart und die Zukunft gingen vorüber. – Weicher Rousseau! du hattest ein Herz –
Cara setzte sich mit der Arie: Comme le jour me dure, Passé loin de toiIn der Gotterschen Übersetzung: Wie der Tag mir schleichet, Ohne dich vollbracht. in das Fenster und sagte, sie woll' sie singen, wenn er sie blase. Sie saß ihm zur toten Rechten, die niedergehende Sonne glühte ihr seitwärts ins blühende Angesicht. Unter den mühsamen Tönen blickte sie in die abbrennende Tages-Flamme hinaus; denn sie konnt' ihn nicht anschauen bei dem immer umkehrenden Gedanken: dieser dreisilbige Überrest ist alles, was ihm noch von seiner reichen Kunst geblieben; und die beschattete Wange färbte sich ebenso rot als die angestrahlte. Am Ende des Gesangs wandte sie sich um, rührte spielend ein wenig an den gestorbnen Miet-Arm an, und endlich sah er aus den gesenkten Augenlidern Tropfen fallen, die ihr gar nicht der Gesang, sondern das nähere Bild entriß, das sie sich von seiner zerrissenen Gestalt nach dem Verluste des Armes entwarf.»Nu?« sagt' er gutmütig. Ihre weinenden Augen gingen zu ihm auf – – Da zog der Gott der Liebe vorbei und drückte in ein weiches, junges Herz leicht im Fluge den Pfeil und sah sich nicht um nach der Wunde.
Ohne Zeremonie ergriff er ihre Hand, zog sie vom Sitze auf und ging mit ihr in der Stube auf und ab und sagte nichts. Er fühlte seine feste Natur auf einmal in Bewegung, dieses auf dem festen Lande aufgebauete Schiff war in ein spielendes wankendes Meer gerollt; aber das Wiegen war sanft. »Nur noch einmal das Lied, liebe Cara, aber deutsch!« sagt' er. Sie setzte sich willig wieder vor die Sonne, die, selber eine Sonnenblume, sich gelb-rot ausdehnte und die Krone gegen die Erde senkte. Jetzt umflogen die Töne berauschend wie Düfte beide, und jede Zeile war eine schlagende Nachtigall, welche das ausspricht, was ein seliges Herz zuhüllt.
Aber als sie keine Sonne mehr zu sehen hatte und jetzt die Worte sang:
– Hab' ich dich verloren, Bleib' ich weinend stehn, Glaub', in Schmerz versunken, zu vergehn – |
sprang sie auf und sagte, die Mutter rufe sie. Er hielt sie – sie hob das Auge blöde auf und schlug es blöder nieder, und er schlang den linken Arm um sie und preßte sie an die lebendige Brust. – Unsäglich-schmerzhaft war ihr das neue Gefühl einer einarmigen Umfassung, und in der Bestürzung des Mitleidens umfaßte sie ihn mit beiden Armen, wich aber erschrocken zurück und sagte, sie habe ihm weh getan – – »Oh,« sagt' er heftig und warf den toten weg, »der kann fort!« – Und als sie im neuen Schauder über den hülflosen zertrümmerten Jüngling sich an ihn klammerte: da fand seine Lippe und sein Auge die ihrigen, und der Blütenstrauß der Wonne umzog sie süß verfinsternd wie der Abend, und das Leben trug alle seine vielfarbigen Juwelen schnell vor ihnen vorüber – – Und doch wußten sie kaum, ob sie sich liebten und wie unendlich – – – O die Unschuldigen und Glücklichen! – Und die Unglücklichen! – Denn auf dem Berge liegt schon das Gewitter, das in euer Tempe herabschlägt; es stieg an dem Tage auf, wo euer Vater sündigte, und bald bricht es los über der unschuldigen Liebe. –