Jean Paul
Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele
Jean Paul

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VI.
Juno

[Flächeninhalt]

[Belohnung und Bestrafung – gegen das Radikal-Böse]

»Recht lieb war mirs,« sagte der Gesandtschaftrat, »daß Sie nicht die Kanzelsporen und die Kanzelzügel, nämlich Himmel und Hölle oder künftige Belohnung und Bestrafung unter die Beweise der Unsterblichkeit gestellt. Die Menschen lassen Tugend leicht ihr eigner Lohn sein, aber weniger das Laster seine eigne Strafe. Sie haben aber aus Tugendhitze eine solche Strafsucht, daß sie an einem holländischen Pflanzer auf dem Kap, der einen Sklaven totgeißeln läßt, sogleich dieselbe Geißelung an ihm selber wiederholen würden; und so gibt es keine Grausamkeit der Türken, die sie diesen nicht wiedergeben wollten; so daß zwischen der türkischen und der christlichen nur das Vorher und Nachher unterscheiden. Nur die Theologen vergelten 1200 nicht Gleiches mit Gleichem sondern stets mit Ungleichem – wie Tugend so Untugend – Zeit mit Ewigkeit, und einen Schmerz, den man gab, mit zahllosen Schmerzen, die man empfängt. Die Theologen haben nun die Unsterblichkeit nötig, um mehr als drei Viertel der Menschheit zu strafen und zu martern – Ich glaube, gäb' es lauter Gute, so könnten sie zur Not die Fortdauer entbehren. Diese muß da sein – und zwar eine ewige, weil sonst die Qual zu kurz und schwach ausfiele und eine zu ein paar Jahrtausenden abgekürzte einem langen Sündenleben von ein paar Jahren nicht gleichwöge. Aber man muß erst den Menschen zu einem Teufel machen, um ihn wie einen und wie einer zu behandeln. Deshalb nun [muß] ein Radikal- oder Wurzelböses im Menschen festgesetzt werden, da es eine Menschenmittelklasse gibt, wie die Wilden, die ganz Ungebildeten, die Minderjährigen, deren tiefe, einander fast das Gleichgewicht haltende Grade von unentwickelter Moralität und Unmoralität weder eine himmlische, noch höllische Unsterblichkeit der Vergeltung verdienen und begründen. Suchen wir aber je das Böse als Böses, und nicht als Mittel der Begierden? Verträgt sich mit einer wurzelbösen Natur jene innige Freude und Bewunderung, welche jeder, sogar der gesunkne Mensch an der Anschauung und Darstellung edler Taten, und noch mehr edler Menschen genießt? Müßte nicht eine böse Natur sich von einer verwandten angezogen und gerade von einer unähnlichen schönen abgestoßen fühlen? – Und beruht nicht die Süßigkeit der Dichtkunst, zumal der theatralischen für unsere verdorbne Städte auf dem Herz-durchdringenden und begeisternden, wonnevollen Anschauen moralischer Helden, die wir nicht zu erreichen hoffen, und die uns weniger schmeicheln als vorrücken? Selber die Geschichte ist obwohl ohne ästhetischen Goldrahmen ein Spiegel bloßer fremder Schönheit und keiner eignen für moralisch Blatternarbige und doch stehen sie bewundernd davor. Der Teufel würde den Plutarch ganz anders und verstimmter lesen als wir. Liebe zum Guten als Guten spürt der Mensch wenigstens zuweilen; aber statt der Liebe zum Bösen als Bösen trifft er in allen seinen Sünden nur Vorliebe zum Genuß – der ja an und für sich verstattet 1201 ist – Überwältigung durch Gewohnheit und Verblendung an, und die Reue über die böse Vergangenheit wie die Freude über die gute beweisen am besten, was er liebt. Wahrlich, der Unendliche, der das ganze Innen und Zeit-Außen eines Menschenlebens, das unsichtbare Bäumchen im Kerne durch die ganze Geschichte seiner einwirkenden Erden, Lüfte, Sonnenstrahlen und Regentropfen vollendet kennt, wird die Früchte des Gewächses ganz anders und ganz milder als ein engsichtiger Theolog würdigen, dem vom ganzen tiefen Innern und weiten historischen Außen des Menschen nur ein augenblickliches herausgeschnittenes Probestückchen erscheint. Der Kampf zwischen Du und Ich, der alle menschliche Blicke verfälscht, fällt auch bei den göttlichen hinweg.«

»So hör' ich dich gern, Alex «, sagte die Schwester. »Was sagen Sie dazu, lieber J. P.?« fragte er. Ich sagte: »Ganz dasselbe, aber ich werd' es einmal noch stärker sagen gegen die orthodoxen neuauflebenden Zerrmaler der menschlichen Natur.«

»Das Bestrafen fodert demnach keine Unsterblichkeit; aber das Belohnen ebensowenig, Schwester! J. P. bekennt es selber, daß Tugend ihr eigner Lohn ist und daß für diese weißglänzende Götterstatue die Zutat irgendeiner Nebenglückseligkeit nichts weiter wäre als das Farbenanstreichen einer Götterstatue. Aber wahrlich es ist an uns Menschen überhaupt nicht viel zu belohnen. Unser bißchen Gutsein ist so windstoßweise – so ein Sonntaganhang an die Geschäftwoche – so untermengt und verpackt in hundert andern Bestrebungen und Wünschen – und so wechselnd an Grad und an Auswahl, daß niemand für einige Stunden und partielle Sonnenunfinsternisse seiner Moralität einen ewigen Himmel verlangen kann. Bei den meisten hat ohnehin die Tugend nur Durchganggerechtigkeit. Die Menschen sind überhaupt, wenn sie sich auch noch so sehr durch moralisches Glänzen voneinander abzusondern glauben, etwa so verschieden wie nach der neuern Sternkunde die Sonnen, Planeten und Monde einander ähnlich sind und sich nur im Grade unterscheiden.«

»Gegen dein Vorwerfen unseres moralischen Stückwerks und Vereinzelns wend' ich ein,« sagte der Rittmeister, »daß es 1202 überhaupt gar nicht auf irgendeine Zahl von Handlungen [ankommt], da die Sittlichkeit nichts Endliches weder in Zeit noch Zahl anerkennt; eine einzige große Tat des Herzens offenbart wie ein helles stilles Meer, den ganzen Himmel über uns und nimmt ihn in seiner Größe in sich auf; eine einzige Tat gilt einem Leben gleich und zeigt die Kraft.«

»Ich nehm' es an,« erwiderte Alex, »aber ich setze etwas dazu: es durchlaufe jeder sein sittliches Leben und zähle die wenigen Handlungen, die ihm selber gefallen; so wird er finden, daß dieselbe Art immer wiederkommt, von der frühen bis zur späten Zeit, aber selten Handlungen ganz verschiedener Art; der Wohlwollende wird sich vieler Wohltaten und Verzeihungen, der Kraftcharakter sich kühner mutiger Taten, fester Wahrhaftigkeit erinnern; und jeder wird sich einer andern moralischen Fruchtbarkeit freuen und rühmen.

Aber das ganze Geheimnis, bei dem man einige Demut lernen kann, liegt in der angebornen moralischen Mitgabe und Ausrüstung eines jeden und die ganze Tugendhaftigkeit ist Naturell, nicht Entschluß und Opfer. – Und doch ist die irdische Gebrechlichkeit wieder so groß, daß wenn sie meinen Vorwurf des fragmentarischen Gutseins vermeiden und bloß auf dem engen Weg gegen die enge Pforte ohne Blick und Tritt neben hinaus zugehen will, [sie] nichts liefert als enge Heilige, sieche Selbbußprediger und feige Märterer ihres zänkischen Gewissens ohne Liebe zu Kunst und Leben und Wissenschaft. Ich mag sie gar nicht, die ganze Compagnie in Kannes geweihter Invaliden-Kaserne.«

»Und doch,« antwortete ich endlich, um wieder näher auf die Unsterblichkeit zu kommen, »wenn auch unsere Tugend keinen Anspruch auf Seligkeit machen kann: so kann es doch etwas anders, nämlich unsere Existenz.«

Davon, lieber Leser, im nächsten Kapitel, dessen Aufschrift: Ceres [sich] besser dazu schickt; die des jetzigen Juno paßt nicht einmal zu einem Streckverse, den ich daher lieber gar nicht versuche. 1203

 


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