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Bevor Fyr mit dem Feuer zu seinem Stamm in den Tälern zurückkehrte, hatte er den Grund zu seinem eigenen Stamm gelegt; es war ihm selbst halb unbewußt gekommen; obgleich er ein Einsiedler war, bekam er häufig von Frauen Besuch und war schließlich von einer recht ansehnlichen Schar umgeben, die er nicht das Herz hatte fortzujagen.
Sie kamen von selbst, und es zeugte von Spürsinn, daß sie ihn überhaupt fanden, denn daß die eine es der andern mitteilte, war nicht anzunehmen, jede einzelne konnte sich selbst das Verdienst zuschreiben. Es war erstaunlich, wie gut sie zu suchen verstanden, denn Fyr meinte, daß er sich oben auf dem Berge gut versteckt hatte. Er wußte ja nicht, oder dachte nicht daran, daß jeden Morgen, wenn er den Tag mit den Vögeln begrüßte, ein gewaltig schöner Gesang vom Berge herabklang, als ob die Wolken jubelten. Das war's, was ihn verriet, dieser wunderbaren Stimme folgten die Weiber und kamen zu ihm, von Dornen zerkratzt und mit wunden Füßen; und jedesmal war er tief erstaunt über ihren unfehlbaren Ortssinn.
Es waren viele und sehr verschiedenartige Weiber, die die Stämme im Tal verließen, wenn sie den Gesang hörten, obwohl ihr Stammesoberhaupt auch kein schlechtes Organ hatte; das Ferne aber lockte, sie konnten der Stimme vom Berge nicht widerstehen und schlichen hinter einem Busch davon, wenn ihr Besitzer es nicht sah, trotzten steilen Pfaden und Morästen, um der herrlichen Stimme nah zu sein.
Die erste sah Fyr eines Morgens, als er, hingerissen von Einsamkeit, dem Sonnenaufgang zugejubelt hatte, fast ohne es selbst zu wissen. Die Sonne und die reiche Welt unter ihm brausten ihm mit Wonnegesang aus dem Herzen, er stolzierte auf einer Anhöhe umher und fühlte sich als Besitzer von Luft und Tag, sein war alles – und da fiel sein Blick auf ein Weib, das in seiner Nähe im Grase saß. Sie war ganz leise gekommen und hatte sich mit hochgezogenen Knien niedergesetzt, den Kopf gesenkt, so daß das schwarze, lange, wilde Haar ihr ins Gesicht fiel.
Kusch! Fyr wollte sie fortscheuchen, sie, die ihn in seinem Sonnenaufgang gestört hatte. Was wollte die Kreatur, wie war sie hergekommen? Er klatschte in die Hände, damit sie auffliegen sollte, aber es nützte nichts, sie saß ganz still da, einen Strohhalm zwischen den Fingern, machte sich so klein wie möglich, war nur ein Häufchen auf der Erde, von Haar bedeckt, war eigentlich gar nicht da, machte nicht die geringsten Ungelegenheiten, und da brachte Fyr, wie bereits gesagt, es nicht übers Herz, sie zu verscheuchen.
Zuleide tat sie auch keinem Menschen etwas; es konnte ja nicht schaden, daß man sie hin und wieder im Grase sitzen sah, wenn der Blick zufällig auf sie fiel; im allgemeinen war sie vergessen, sah man sie eines Tages wieder, gut, dann war sie da, still wie eine Maus, den Kopf in ihr Haar eingehüllt; man gewöhnte sich schließlich an sie.
Einmal aber schüttelte sie mit einer Bewegung alles Haar aus dem Gesicht und sah auf mit dunklen, wahnwitzigen Augen; sie meckerte mit geschlossenem Munde, als ob ein Gefangener in ihrer Brust riefe, die flehende Bitte einer Seele, die in Dunkelheit lebte, hoffnungslos in einer Notwendigkeit versunken, die sie selbst nicht kannte, eine heiße, stumme Welt, vermengt aus Mißhandlung und Wärme und dem Verlangen nach beiden. Da bekam Fyr Heimweh nach Güte. Er legte keinen Wert mehr auf Freuden, die er nicht mit ihr teilen konnte. Von nun an war er nicht mehr allein.
Ein Stück bergauf lag eine weite Hochebene, ein Land für sich, mit hoher Luft und offenen, kühlen Hainen; zwischen den verstreut stehenden Bäumen wuchsen Gras und wilde Blumen. Niemand außer den Tieren kannte diesen Ort, und von ihnen nur wenige; es war die Heimat der Bienen, und hier wohnte die Lerche.
Auf diesem Wiesenland begegneten sich Fyr und das Weib, hier machten sie sich Nester im Gras, von der ganzen Welt vergessen, außer von dem blauen Tag, der von oben zu ihnen hereinguckte. Zu essen gab es hier genug, wenn man genügsam war und Zeit hatte, den ganzen Tag zu kauen. Man sammelte die Ähren des wilden Korns, das auf den Wiesen verstreut stand, rieb die Körner in der hohlen Hand, blies die Spreu fort und schüttete sich das frische noch milchige Korn in den Mund. Wenn man Appetit auf Honig hatte, nahm man ihn den Bienen fort, große tropfende Kuchen, die man aus hohlen Bäumen fischte. Der wilde Apfelbaum wuchs auf der Ebene und streckte dem Vorübergehenden seine Äpfel entgegen, sie waren klein und hart, bessere aber hatte noch niemand geschmeckt.
Im Gehölz fanden sie Himbeeren, eine Frucht, die ihnen bisher unbekannt gewesen war, und sie verlockten sich gegenseitig, davon zu essen, nahmen vorsichtig zuerst eine Beere in den Mund, die schönste, von der sie beide kosteten; man nippte häufig und bekam wenig zu schmecken. Was war es für eine köstliche und berauschende Frucht? In seelischem Einverständnis blieb man lange zwischen den Sträuchern.
Das unbekannte Land auf dem Berge hatte seine eigenen Früchte, nicht die fleischigen und von dicken Säften triefenden, überreifen, die die Sumpffeuchtigkeit und der ewige Sommer zeugten, sondern verdichtete und nährende, unansehnliche kleine Dinge: die guten Körner im Gras; im Gehölz Nüsse, nicht größer als ein Nagel, aber von geheimnisvoller Süße, eine Verdichtung von vielerlei zarten Kräften, die hier in der Luft zu liegen schienen; wilde Pflaumen, die den Morgentau in sich gesammelt hatten und regenkühl und stark schmeckten, als ob sie sich mit Gewitterregen und frischen Nächten gesättigt hätten.
Sie erlebten den Laubfall, sahen, wie die Bäume krank wurden und ihre vergilbten Blätter abstreiften, bis sie kahl dastanden und der Wind durch die dünnen Kronen strich; sie lernten frieren und sich gegen Abend zusammenkauern, dann aber suchte man die Wärme weiter oben auf dem Berge auf, den ersten Herd, und später, als Fyr das Feuer gezähmt hatte, nahmen sie es mit sich, wohin sie gingen.
Und sie erlebten den Frühling, die Wiedergeburt der Bäume, wenn das Laub wiederkehrte und in betauter und duftender Kühle unter dem Spiel der Sonne und Wolken grünte; der Apfelbaum blühte und atmete Frische, die ganze Ebene wogte von neuen, grünen Gräsern und einer Fülle von Blumen. Die wilden Schafe führten ihre neugeborenen Lämmer von den Bergen zu Wiesen und klaren Wasserläufen herab; junge Kälber mit knorpeligen Hufen machten ihren ersten taumelnden Gang durch das Gras, mit dummen Mäulern, aber Nacht und Himmel im Blick. Die Lerche stand über der Ebene und stieg schmetternd auf Lichtbrücken zwischen Wolken himmelwärts; Wind und Gräser hielten Zwiesprache miteinander, ein ewiges Nicken und Flüstern, und Tausende von Bienen summten, eine lange gedämpfte Unterhaltung mit den Blumen, die wie ein einziger einschläfernder Ton war. Der Sommer entfaltete seine Pracht, die Gräser stäubten und bereiteten ihren Samen, die kürzlich ausgebrüteten Vögel machten den ersten Flug vom Nest.
Unvergänglich war der Sommer, wie die Mohnblume, ja, wie die Mohnblume, die ihre roten Flammen einen kurzen Augenblick in der Brise kühlte und die Blätter verlor, wenn sie am rötesten waren. Das junge wilde Paar schmückte sich mit dem Mohn und wurde schläfrig von seiner Frucht. Im Herzen der Mohnblume barg sich die Verführung des Sommers, die kurze Hitze und der lange Schlummer, der darauf folgte.
So lange der Mohn blühte, so lange währte ihre Freude. Sie weitete sein Herz, er trat vorsichtiger auf, Tag und Nacht kamen zu ihm wie ein Wunder; und sie wurde ein Mensch, bekam sehende Augen, es zeigte sich sogar, daß sie eine Stimme hatte, einen hohen, gellenden Mädchenton, der Freude ausdrückte; sie richtete sich auf, kroch nicht mehr zusammengeduckt durchs Gras, sondern sonnte ihre Schlankheit, nahm Bewunderung wie eine stets gefüllte Schale entgegen, solange ihr Sommer währte.
Es war ihr gemeinsamer Ausflug in ein Land, das noch niemand kannte. Ohne es selbst zu wissen, hatten sie in dem Vorhof kommender Zeiten und einer andern Menschlichkeit geweilt.
Später kehrten sie zum Flachland und den einförmigen, heißen Wäldern zurück, wo ihre eigene Zeit wieder über ihnen zusammenschlug. Sein Herz schloß sich von neuem, und sie zog sich stumm in ihre Einsamkeit zurück. In einem daunigen Kindchen aber, das eines Tages zwischen ihnen kroch, hatten sie das Wunder ihres Lebens und den Keim zu einem neuen niedergelegt.
Eine ganze Schar Weiber folgte Fyr, als er beim Waldvolk unten in den Tälern mit dem Feuer auftauchte. Es waren ihrer viele geworden, er wußte selbst nicht, wie es zuging. Weiber waren immer zahlreich, sie traten in gleichförmigen Mengen auf, wie Grashüpfer. Fyr war tatsächlich anfänglich in dem Glauben gewesen, daß es immer dieselbe sei, die er um sich hatte, wenn sie sich ihm einzeln näherten; der Unterschied war so unbedeutend, daß er ihm nicht aufgefallen war. Sie waren alle schön!
Ja, begehrenswert alle, am ganzen Körper prächtig ausgerüstet und mit reichen Gliedmaßen, über alle Begriffe rundlich, eine Augenweide alle! Wie konnte man dazwischen wählen, wie entscheiden, wer die eine oder die andere war? Von hinten waren sie überhaupt nicht zu unterscheiden, dasselbe Haar und dieselbe Rundlichkeit in der Mitte, die mit Nachdruck zugunsten einer Frau spricht, auch wenn sie einem den Rücken kehrt. Von vorn boten sie eine andere gespaltene Fülle zur Schau, liebreizend und recht gleichartig bei allen: sie waren vorn und hinten gespalten und doppelt, als ob eigentlich zwei Schöne aus dem üppigen Material gemacht werden sollten, der Kopf aber hatte nur für eine gereicht. Von Gemüt waren sie sich auch zum Verwechseln ähnlich, so kurz an Seele wie lang an Haaren, ohne gestern und morgen, doch gierig im Augenblick. Hörte man etwas, das sich kurz und kochend in der Nähe äußerte, dann war es sicher eine von ihnen, viel auf einmal, alle Schleusen geöffnet, das war ihre Losung. Gegen Männer und gegen ihr eigenes Geschlecht waren sie sehr verschieden, hatten zwei Sorten Wesen; doch lernte Fyr nur die eine Seite ihrer Garstigkeit kennen.
Wie viele in der Schar waren, wußte Fyr nicht; er war ja gewöhnt, sich seine Zahlenbegriffe nach den Himmelskörpern zu bilden, der Sonne und dem Mond und einem einzelnen großen Stern. Sterne dagegen konnte kein Mensch zählen, davon gab es ganze Felder, und mit Dingen wie Sand am Meer, Bienenschwärmen, Ebbe und Flut, Überschwemmungen, Regen, Wind und andern dunklen Naturkräften rechnete man nicht, sondern nahm sie in ihrer Unberechenbarkeit hin. Auch war es ihm nicht bewußt, die Frauen jemals an einem Ort beisammen gesehen zu haben; wer den Vortritt haben sollte, war offenbar eine Angelegenheit, die sie unter sich abmachten; es schien nicht immer in Eintracht vor sich zu gehen, nach dem Stöhnen und dumpfen Klatschen zu urteilen, das bisweilen in Fyrs Nähe hinter einem Busch ertönte, und manches Mal schloß Fyr eine atemlose, verschwitzte Schöne mit schändlich verkratztem Gesicht in seine Arme.
Je mehr man sich miteinander einlebte, desto selbstverständlicher wurde es, daß die Weiber für Fyrs Ernährung sorgten, daran waren sie in den Tälern gewöhnt; sie hatten das Verlangen, für andere zu sorgen, ihr einziger Kummer war nur, daß sie so viele waren, die sich in seine Fürsorge teilen mußten, jede einzelne hätte sich am liebsten für ihn totgearbeitet; sie balgten sich heimlich um die Arbeit, kratzten sich die Augen aus, rissen sich an den langen Haaren, bohrten sich die Knie in das Kreuz, um sich gegenseitig vom Mann fernzuhalten; wer aber auch den Sieg davontrug, das Essen gelangte stets rechtzeitig in Fyrs Mund, ob er hungrig war oder nicht; für seine Verpflegung war gesorgt, eine Annehmlichkeit für einen Einsiedler in der Wildnis und eine große Zeitersparnis, was wiederum seiner Ruhe und seinem Gedankenfrieden zugute kam.
Er beschäftigte sich den ganzen Tag mit seinen Feuerkünsten, zeichnete mit dem Finger im Staube Kraftzeichen, die man, nach seinem häufig aufwärtsgewandten Blick zu urteilen, mit den Himmelskörpern in Verbindung brachte; offenbar gab er ihnen die Richtung an, hielt Ordnung am Himmel, ohne ihn würde die ganze Herrlichkeit sicher eines Tages herunterfallen; Grund genug, ihn kräftig zu ernähren.
Häufig war Fyr so sehr in seine Erforschung der Naturgeheimnisse vertieft, die sich ihm nur widerwillig offenbaren wollten, daß er kaum bemerkte, wenn das Essen da war; er schlang es hinunter, kaute, über irgendein Rätsel grübelnd, bis ein kleiner Ausruf der Zufriedenheit, weil der Gott aß, seine Aufmerksamkeit zu der Hand, die die Nahrung reichte, lenkte – da war sie ja wieder, die Schöne; welche von ihnen mochte es diesmal sein?
Daß das Weibergefolge ihn für Gunung Api, den großen Feuergeist selbst, hielt, den Gott des Waldvolkes, hatte er längst begriffen. Sie sahen, daß er über das Feuer herrschte und trauten ihm ohne weiteres dessen Macht zu. Vor dem Feuer selbst, dem sie in seiner Gesellschaft und unter seinem Schutz nähertraten, äußerten sie weder Unterwerfung noch Andacht, vielleicht, weil sie nicht genug Einbildungskraft besaßen oder den Begriff Geist nicht zu fassen vermochten; sie betrachteten das Feuer mit einer gewissen Nüchternheit, scheuten es wie Wasser, wohl wissend, daß beides schädlich für die Haut ist; kamen sie der Glut zu nah, bliesen sie auf ihre Finger, ohne übrigens das nächste Mal klüger geworden zu sein; etwas anderes als körperlichen Schmerz aber vermochten sie vor dem Element nicht zu empfinden. Nein, das Feuer existierte für sie nur durch den Strahlenglanz, den es auf seinen Erzeuger und prächtig bebärteten Beschwörer warf; in seinem Licht verehrten sie Fyr!
Wahrlich, er war Gunung Api. Hatten sie ihn nicht in der Höhe singen hören, mit der Stierstimme des Berges? Sprach nicht ein jeder von Gunung Api wie von einem großen männlichen Wesen, Feuer, Stimme und Gewalt in einer Person? Es konnte also niemand anders als Fyr sein!
Wenn man Fyr wie das eigene Herz nährte, konnte es darum auch dem Feuer an nichts fehlen. Während die Frauen bei Fyr in die Lehre gingen, lernten sie bald das Feuer mit dem zu füttern, was es liebte, vor allem mit Holz, von dem es nie genug bekommen konnte, doch auch mit andern Opfern, Früchten, kleinen Tieren, Eiern und dergleichen, die man beim Umherstreifen sammelte. Ein Nimmersatt war das Feuer, und man gönnte ihm nicht immer alles, was es fraß; doch ging auch nicht alles in Rauch auf, einen Bruderanteil fischte Fyr mit seinem Stab aus der Asche heraus und verzehrte ihn. Und die Weiber waren selig, wenn ihr großer, entzückt brüllender Mähnenbüffel und Gott seine Lebenskraft zu erhalten geruhte.
So ging es zu, daß die Frauen sich zu Feuerhüterinnen entwickelten, zu Gunung Apis stets aufmerksamen und verantwortlichen Dienerinnen, Tag und Nacht.
Er war ein unersättlicher Herr, der die ganze Zeit versorgt sein wollte. Von da an hatten die Frauen außer ihren ewigen Säuglingen noch eine Bürde mehr zu tragen; wann immer man sie sah, schleppten sie ein Bündel Reisig auf ihrem Rücken.
Der Mann, der Schöpfer, grübelte über neue Dinge, nachdem er seiner Familie das Feuer gegeben hatte: seine nächste geistige Tat sollte die Waffe sein. Die Frauen aber begannen ihre lange Geduldsarbeit, ihre Nachtwachen, ihr mit verschlossener Seele und unerschöpflichem Herzen getragenes Leben in Wiederholung und abermals Wiederholung, am häuslichen Herd.