Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Niemand wird es mir verargen, daß ich die Vorgänge des Falles »Allan Garp« so schildere, wie sie dem Leser am schmackhaftesten sein dürften.
Greifen wir also nach dem soeben geschilderten Intermezzo einige Stunden zurück. Es war gegen elf Uhr vormittags, als der Mann auf seinem bescheidenen Stallbodenlager des Harst'schen Grundstückes durch eine Stimme erwachte, die etwas gedämpft an sein Ohr schlug. Der Hörer, den er neben seinen Kopf gelegt hatte, meldete sich, und der Mann hatte einen sehr leichten Schlaf, war im Nu munter und sprach in die Muschel hinein: »Hier Heuboden!«
Ein sanftes Lachen folgte vom andern Ende der Leitung, und das sagte eine melodische, ernste Frauenstimme:
»Ich habe ihn! Er ist hier!«
Harst war nun doch überrascht. »Eine Frechheit von dem Menschen, liebe Frau Berndt! – Etwa im Paradies?«
»Natürlich. Heute früh eingetroffen. Sie hatten also in der Fremdenliste vom März des Vorjahres doch den Richtigen herausgefunden.«
»Aber erst, nachdem Sie mir den Namen des Plantagendirektors beiläufig genannt hatten ...«
»Ja, – nur beiläufig. Der findige Kopf waren Sie, und Ihre Anweisungen, mich mit dem Portier durch einen papiernen Händedruck von dreihundert Mark anzufreunden, haben nun die besten Früchte getragen. Der Portier rief mich sofort an und beteuerte, es sei derselbe Herr von damals, eben Morwyn, Kaufmann ...«
»Morwyn, der so töricht war, an dem kritischen Abend vor einem Jahr allzu vermummt das Paradies zu verlassen«, sagte Harst etwas geringschätzig. »Selbst die schlauesten Verbrecher begehen grobe Fehler. Nur durch den Portier bin ich auf ihn aufmerksam geworden. – Geben Sie nun schleunigst Gallandy Nachricht ... Wir müssen Morwyn und den alten Herrn zusammenbringen. Gallandy soll sehr vorsichtig sein. Am besten, Sie sagen ihm nichts davon, daß der Fall für uns bis auf den Endzweck vollkommen klar liegt. – Ich habe Eile ... Schluß.«
Harst legte den Hörer weg, und eine Dame schlüpfte aus der Torpforte der stillgelegten Meierei, die an das Harst'sche Grundstück anstieß und in der Parallelstraße lag.
Gleich darauf schlug im Polizeipräsidium in Kommissar Becherts Dienstzimmer das Telefon an .»Hier Harst ... Ja, Sie staunen, alter Freund ... Aber zu langen Redensarten habe ich keine Zeit. Hören Sie genau zu und notieren Sie: Der Mann, der Allan Garp ins Gefängnis brachte und den Doktor Lohr überfiel, das Geld raubte und seine Helfershelfer niederknallte und verbrannte, ist heute im Paradies-Hotel abgestiegen und heißt Chester Morwyn ...«
Bechert fiel rasch ein: »Machen Sie Witze, Harst?!«
»Nein. Schreiben Sie weiter ... – Sie müssen diesem Morwyn gegenüber Komödie spielen, von einer anonymen telefonischen Meldung sprechen und Morwyn bitten, Ihnen zu helfen, da Garp wahrscheinlich bei seinem Onkel Gallandy, dem Rittergutsbesitzer auf Steubenhorst, sich verberge ...«
Der Kommissar, der zuerst zu träumen glaubte, begriff allmählich.
»... Abgemacht ... Geht in Ordnung, lieber Harst. Wir danken Ihnen vorläufig ...«
Harst hatte sich sehr kurz gefaßt und dabei all die Klippen umschifft, die ihn genötigt hätten, zu viel preiszugeben.
Uns rief er an, nachdem die Kriminalbeamten nach der umständlichen und ergebnislosen Unterredung sich kaum entfernt hatten.
Seine Befehle an uns überraschten uns vollkommen. Daß Garp Onkel Theodor Gallandy nach Deutschland zurückgekehrt war, stellte vielleicht die zweitwichtigste Neuigkeit dar. Noch eindrucksvoller war freilich die Mitteilung, daß der alte Musikus aus dem »Blauen Schwan« die Entführer Allan Garps bis in die Nähe der Südgrenze der Ländereien Gallandys verfolgt, dort aber aus den Augen verloren habe.
»Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein gewisser Morwyn dort irgendwo aus noch unklaren Gründen den armen gehetzten Garp gefangen halten will, um ihn zu jeder Zeit zur Hand zu haben, wenn er seine Endpläne vorbereitet ... – Ihr wißt nun, was eure Aufgabe ist. Nehmt Kautschuk-Gustav mit, denn ich traue ihm eine große Portion Findigkeit zu ...«
Gustav war stolz und trank zwei Gläser Kognak und steckte nachher zwei Flaschen Kognak zu sich.
Ich weiß nicht, ob sein Hirn durch den Kognak oder trotz des Kognaks so prompt arbeitete. –
Am späten Nachmittag (das erwähnte ich schon) tippelten drei Stromer und ein Hund die Chaussee gen Steubenhorst entlang. Der Motorradler amüsierte sich über den Pudel, und Gustav sprach etwas von gehetzten Hasen, obwohl doch nur der nette junge Allan das Opfer schändlichster Intrigen war.
Fred Steen, der ein Mundwerk wie ein Mühlrad besitzt, wurde immer schweigsamer, je mehr wir uns der ersten Station unseres Marsches und damit zugleich dem ersten Teil unserer Aufgabe näherten. – Vor dem Dörfchen Steubenhorst lag da abseits von der Chaussee in einem wundervoll gelegenen Garten eine einzelne größere Villa mit der Front nach dem Steubensee zu, – nicht gerade Villa, mehr ein idyllischer Sommersitz irgend eines reichen Berliners. Der dichte Mischwald zog sich bis dicht an die Südostecke des Gartens hin, und als wir hier in einem Gebüsch nun vorläufig unser Lager aufschlugen, tauchte zu unserer peinlichen Ueberraschung ein »Kollege« auf, ein baumlanger Kerl mit einem fuchsigen Bart und Haarwuchs, und begrüßte uns mit der rauhen aber herzlichen Art, die zwischen Stromern nun einmal Sitte ist. Unsere unfreundliche Haltung störte ihn nicht im mindesten, er setzte sich unaufgefordert zu uns und wenn je ein Mensch uns ungelegen kam, dann war es dieser unverschämte, großspurige Schwätzer, der mit dem seinen Instinkt der Enterbten sehr bald heraushatte, daß Kautschuk-Gustavs Scylla mit dem Krimmerpelz ein mißglückter Terrier in Wahrheit sein mußte.
Wir wußten nicht recht, was wir aus diesem anmaßenden, zweifellos arg entgleisten Burschen mit der teils rüden, teils sehr gewählten Ausdrucksweise machen sollten. Wenn wir nicht gewußt hätten, daß Chester Morwyn auf dem Rückwege nach Berlin sich befände, hätten wir allen Grund gehabt, diesen seltsamen »Kollegen« schon seiner scharfen Züge wegen für Morwyn zu halten, da unzweifelhaft eine gewisse Aehnlichkeit, die ja auch durch das Bild bestätigt worden, das die Verschleierte dem Wirt vom Blauen Schwan und uns vorgewiesen hatte, war mit der Anlaß gewesen, daß wir Richard Lohr – besonders ich – anfänglich so hartnäckig mißtraut hatten.
Der Mann, der nun zwischen uns im Gebüsch sich rekelte und seine erbettelten Brotschnitten. Wurst und Käse verzehrte, wurde mir noch unheimlicher, als er, gleichsam unsere geheimsten Gedanken erratend, nach der Sommervilla hinüberdeutete und kurz fragt«: »Wie wär's damit?! Die Besitzerin ist nicht daheim, die beiden Wachthunde sind faul und rühren sich nicht, und von Dienstboten sind nur ein alter Gärtner, die Köchin und ein Stubenmädchen vorhanden ...«
Gustav, doch ein Fachmann von einst, erwiderte grob: »Solche Zicken, – – nich in die Hand!! Da such dir nur andere ...«
Der Kerl grinste höhnisch. »Memmen!! Wo doch die Gnädige im Schlafzimmer einen Wandtresor hat!! Das Geschäft wär ein Kinderspiel, wenn ihr nur ein bißchen Schmiere stehen wolltet.«
In meinem Hirn spielten sich blitzschnell die merkwürdigsten Denkvorgänge ab. Ich hatte nicht umsonst mit Harst über ein Jahrzehnt zusammengelebt. Es mußte mir hier verschiedenes auffallen, und ich sah es auch Freds und Gustavs Gesichtern an, daß sie gründlich stutzig geworden waren. Harsts Befehl, Teil eins, hatte gelautet, in die Villa einzusteigen und den Wandtresor auf bestimmte Schriftstücke zu durchsuchen. Den Namen des Sommervillenbesitzers hatte er nicht genannt. «
»Wie heißt die Dame?«, fragte ich möglichst gleichgültig.
Die kalten und doch stechenden Augen des Fremden hafteten prüfend auf meinem Gesicht. Es dämmerte bereits, und der Mann schöpfte keinen Argwohn.
»Sie heißt Alice Berndt, eine junge reiche Witwe,« erwiderte er, an seiner Pfeife saugend, in der er trockene Buchenblätter rauchte.
»Ihr Beruf?«
»Beruf?!« Er lachte ... Und trotz der beißenden Ironie, die um seine Mundwinkel zuckte, hatte dieses Lachen etwas bestrickend Liebenswürdiges und Humorvolles an sich. »Beruf?! Als Alice Berndt ist sie nicht bekannt, aber ihr Pseudonym Alexander Berner glänzt auf Hunderttausenden von Kriminalromanen. Weiß Gott, – die Frau besitzt Fantasie. Und – – verdient klotziges Geld!«
In meinem aufgerührten Hirn schwamm jetzt ein gewisser Brief aus einem gewissen verbrannten Mantel an der Oberfläche. – Alice Berndt also, war die »Konkurrentin« Doktor Lohrs!!
Mir fiel's – es ist eine abgedroschene Redensart! – wie Schuppen von den Augen! Diese junge Witwe war die »Verschleierte«, ihre Freundschaft mit Lohr hatte insgeheim, wenigstens bei ihr, die schmale Grenze zur Liebe längst überschritten, auch sie war zweifellos dem Fall Allan Garp aus Fachinteresse gründlichst nachgegangen und hatte wie ich anfänglich, gegen Lohr Verdacht geschöpft.
Ein Glück, daß die Dunkelheit nun schnell zunahm ...
Der Fremde behielt mich im Auge, und die Erregung. die mich unwillkürlich ergriffen hatte, mußte sich auf meinen Zügen widerspiegeln. In solchen Fällen gähnt man am besten recht herzhaft ... Der Mann ließ sich täuschen.
Eine innere Stimme sagte mir, daß der Fremde, irgendwie mit Chester Morwyn, dem vielfachen Mörder, im Bunde stehe. Ich überlegte nochmals: Konnte es nicht doch Morwyn selbst sein?! Konnte er nicht Bechert unterwegs stumm gemacht und ebenso Harst beseitigt haben und umgekehrt sein?! – Möglich war alles, Morwyn kannte ja keine Gewissensbedenken, Morwyn hatte so ungeheure Schändlichkeiten begangen, daß man bei ihm mit jeder neuen Untat rechnen mußte. – Und dann noch die andere Frage, von der vielleicht unser Leben abhing: Hatte er uns erkannt, wußte er, wer wir waren?! – Ich zwang mich zur Ruhe. Nur jetzt nicht die Nerven verlieren! War es Morwyn?! War er's wirklich?! Ich kam zu dem Ergebnis, daß zumindest die Wahrscheinlichkeit dafür sprach. Und dann?! Dann kannte er uns, dann hatten auch wir ein ähnliches Schicksal zu erwarten wie Zaunlatte, Stotter-Fred und Krokodil! War's nicht äußerst verfänglich, daß auch er den Tresor Alice Berndts beehren wollte? – Was gab es da zu finden?! Geld, Schmuck?! – Wir sollten Papiere suchen, alles Schriftliche mitnehmen. Und er?!
»»... So schweigsam, he?!« Der spöttische Ton ließ mich zusammenschrecken. Ich mußte mich mehr in der Gewalt haben. Ich mußte ...
Der Mann sprach schon weiter. »Na, – wie ist's?! Die Berndt ist reich ... Macht ihr mit? Ja oder nein?«
»Ja!«, sagte ich sehr bestimmt. »Wir sind so abgebrannt, daß uns mit hundert Mark gedient ist – – für's Schmierestehen!«
»Soll ein Wort sein!«, erklärte der Fremde prompt. »Hier habt ihr das Geld ... Teilt es ...« Er warf uns ein paar schmierige Scheine hin. »Weckt mich um Mitternacht ... Bin hundemüde ... Fast zu müde ... Aber das Ding drehe ich!!« Er wälzte sich zur Seite, schob sein Bündel unter den Kopf und war auch schon im nächsten Augenblick eingeschlafen. –
Harst und ich, in letzter Zeit auch Fred Steen haben so manche komische Situation ausgekostet. Aber diese hier?! Wir drei Pennbrüder wagten uns untereinander nicht zu verständigen. Der tiefe Schlaf des unheimlichen Burschen konnte vorgetäuscht sein. Und wir wußten ja, wie flink er mit der Pistole bei der Hand war ... – Fred und Gustav saßen wie Oelgötzen da. Ich ärgerte mich über sie, – sie ahnten nicht den vollen Umfang der Gefahr. Dann streckte sich auch Gustav lang hin, Fred desgleichen, und ihr Schnarchkonzert bewies mir wie fest sie sich auf meine Wachsamkeit verließen. – Es war nun völlig dunkel, der Mond ging auf. Grillen zirpten im Grase, Waldeulen und Fledermäuse schwebten hin und her, und ich steckte langsam meine entsicherte Pistole in die Außentasche und bremste die Unrast meiner Gedanken, die durchaus dem Endzweck des Falles Garp auf die Spur kommen wollten. Gut. – es ging um Gallandys Millionen! Aber wie wollte Morwyn, selbst wenn der einstige Pflanzer plötzlich mit Nachhilfe sterben sollte, das Riesenvermögen erbeuten?! – Ueber diesen toten Punkt kam ich auch jetzt Nicht hinweg ...
Allmählich wurde ich selbst müde ... Ich nickte im Sitzen ein, schreckte hoch ...
Fernher vernahm ich da zwölf blecherne Schläge einer Kirchturmuhr und gleichzeitig, vom Winde herübergeweht, seltsame Tierlaute ... Ich horchte auf. Im Nu war ich vollkommen munter. Diese Tierstimmen kannte ich ...
Mit einem Male erhob sich der Fremde. Ein Streifen Mondlicht beschien seine Züge.
»Wie spät?!«, fragte er gähnend.
»Ich wollte dich gerade wecken: Mitternacht!«
»Dann los! Es ist Zeit ... Er stieß Fred und Gustav in die Rippen. »Faules Pack, – macht euch fertig!«
Scylla knurrte ...
Der Fremde lachte still ...
Es war eine unheimliche Situation. Meine rechte Hand lag auf dem Knie. Im Aermel steckte die treue Waffe.
Eins war gewiß: Sollte es hart auf hart gehen, würde ich zuerst abdrücken.