Immanuel Kant
Kritik der Urteilskraft
Immanuel Kant

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§ 84
Von dem Endzwecke des Daseins einer Welt, d. i. der Schöpfung selbst

Endzweck ist derjenige Zweck, der keines andern als Bedingung seiner Möglichkeit bedarf.

Wenn für die Zweckmäßigkeit der Natur der bloße Mechanism derselben zum Erklärungsgrunde angenommen wird, so kann man nicht fragen: wozu die Dinge in der Welt da sind; denn es ist alsdann, nach einem solchen idealistischen System, nur von der physischen Möglichkeit der Dinge (welche uns als Zwecke zu denken bloße Vernünftelei, ohne Objekt, sein würde) die Rede: man mag nun diese Form der Dinge auf den Zufall, oder blinde Notwendigkeit deuten, in beiden Fällen wäre jene Frage leer. Nehmen wir aber die Zweckverbindung in der Welt für real und für sie eine besondere Art der Kausalität, nämlich einer absichtlich wirkenden Ursache an, so können wir bei der Frage nicht stehenbleiben: wozu Dinge der Welt (organisierte Wesen) diese oder jene Form haben, in diese oder jene Verhältnisse gegen andere von der Natur gesetzt sind; sondern, da einmal ein Verstand gedacht wird, der als die Ursache der Möglichkeit solcher Formen angesehen werden muß, wie sie wirklich an Dingen gefunden werden, so muß auch in ebendemselben nach dem objektiven Grunde gefragt werden, der diesen produktiven Verstand zu einer Wirkung dieser Art bestimmt haben könne, welcher dann der Endzweck ist, wozu dergleichen Dinge da sind.

Ich habe oben gesagt: daß der Endzweck kein Zweck sei, welchen zu bewirken und der Idee desselben gemäß hervorzubringen, die Natur hinreichend wäre, weil er unbedingt ist. Denn es ist nichts in der Natur (als einem Sinnenwesen), wozu der in ihr selbst befindliche Bestimmungsgrund nicht immer wiederum bedingt wäre; und dieses gilt nicht bloß von der Natur außer uns (der materiellen), sondern auch in uns (der denkenden): wohl zu verstehen, daß ich in mir nur das betrachte was Natur ist. Ein Ding aber, was notwendig, seiner objektiven Beschaffenheit wegen, als Endzweck einer verständigen Ursache existieren soll, muß von der Art sein, daß es in der Ordnung der Zwecke von keiner anderweitigen Bedingung, als bloß seiner Idee, abhängig ist.

Nun haben wir eine einzige Art Wesen in der Welt, deren Kausalität teleologisch, d. i. auf Zwecke gerichtet und doch zugleich so beschaffen ist, daß das Gesetz, nach welchem sie sich Zwecke zu bestimmen haben, von ihnen selbst als unbedingt und von Naturbedingungen unabhängig, an sich aber als notwendig, vorgestellt wird. Das Wesen dieser Art ist der Mensch, aber als Noumenon betrachtet; das einzige Naturwesen, an welchem wir doch ein übersinnliches Vermögen (die Freiheit) und sogar das Gesetz der Kausalität, samt dem Objekte derselben, welches es sich als höchsten Zweck vorsetzen kann (das höchste Gut in der Welt), von seiten seiner eigenen Beschaffenheit erkennen können.

Von dem Menschen nun (und so jedem vernünftigen Wesen in der Welt), als einem moralischen Wesen, kann nicht weiter gefragt werden: wozu (quem in finem) er existiere. Sein Dasein hat den höchsten Zweck selbst in sich, dem, so viel er vermag, er die ganze Natur unterwerfen kann, wenigstens welchem zuwider er sich keinem Einflusse der Natur unterworfen halten darf. – Wenn nun Dinge der Welt, als ihrer Existenz nach abhängige Wesen, einer nach Zwecken handelnden obersten Ursache bedürfen, so ist der Mensch der Schöpfung Endzweck; denn ohne diesen wäre die Kette der einander untergeordneten Zwecke nicht vollständig gegründet; und nur im Menschen, aber auch in diesem nur als Subjekte der Moralität, ist die unbedingte Gesetzgebung in Ansehung der Zwecke anzutreffen, welche ihn also allein fähig macht ein Endzweck zu sein, dem die ganze Natur teleologisch untergeordnet ist.Es wäre möglich, daß Glückseligkeit der vernünftigen Wesen in der Welt ein Zweck der Natur wäre, und alsdann wäre sie auch ihr letzter Zweck. Wenigstens kann man a priori nicht einsehen, warum die Natur nicht so eingerichtet sein sollte, weil durch ihren Mechanism diese Wirkung, wenigstens soviel wir einsehen, wohl möglich wäre. Aber Moralität und eine ihr untergeordnete Kausalität nach Zwecken ist schlechterdings durch Naturursachen unmöglich; denn das Prinzip ihrer Bestimmung zum Handeln ist übersinnlich, ist also das einzige Mögliche in der Ordnung der Zwecke, was in Ansehung der Natur schlechthin unbedingt ist, und ihr Subjekt dadurch zum Endzwecke der Schöpfung, dem die ganze Natur untergeordnet ist, allein qualifiziert. – Glückseligkeit dagegen ist, wie im vorigen nach dem Zeugnis der Erfahrung gezeigt worden, nicht einmal ein Zweck der Natur in Ansehung der Menschen, mit einem Vorzuge vor anderen Geschöpfen: weit gefehlt, daß sie ein Endzweck der Schöpfung sein sollte. Menschen mögen sie sich immer zu ihrem letzten subjektiven Zwecke machen. Wenn ich aber nach dem Endzwecke der Schöpfung frage: Wozu haben Menschen existieren müssen? so ist von einem objektiven obersten Zwecke die Rede, wie ihn die höchste Vernunft zu ihrer Schöpfung erfordern würde. Antwortet man nun darauf: damit Wesen existieren, denen jene oberste Ursache wohltun könne; so widerspricht man der Bedingung, welcher die Vernunft des Menschen selbst seinen innigsten Wunsch der Glückseligkeit unterwirft (nämlich die Übereinstimmung mit seiner eigenen inneren moralischen Gesetzgebung). Dies beweiset: daß die Glückseligkeit nur bedingter Zweck, der Mensch also, nur als moralisches Wesen, Endzweck der Schöpfung sein könne; was aber seinen Zustand betrifft, Glückseligkeit nur als Folge, nach Maßgabe der Übereinstimmung mit jenem Zwecke, als dem Zwecke seines Daseins, in Verbindung stehe.


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