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IV.

Klementine Horn war schon seit Wochen ohne Nachricht von ihrem Bruder. Das mußte ihr recht sonderbar erscheinen, denn er war sonst zärtlich und aufmerksam.

Sie führte seinen bescheidenen Haushalt und betreute den Bruder mit mütterlicher Sorgfalt. Klementine war eine hübsche, ganz leicht zur Fülle neigende Blondine, zwar über die erste Jugend hinaus, aber noch frisch und von einer gewissen stillen Lebensfreudigkeit. Sie besaß das Talent, sich auch das Unbequeme, ja selbst das Schmerzliche »zurechtzulegen«. War sie damit fertig, das heißt, hatte sie ihren Standpunkt zu irgend einer Widrigkeit gewonnen, so galt diese ihr schon als überwunden. »Drüberstehen,« pflegte sie zu sagen, »dann wird man leicht der Sache Herr.«

Freilich, es war die höchste Zeit zum Heirathen! Aber das ging nun einmal nicht, bevor nicht Guido verheirathet war. Sie hatte ihr bischen Geld hergegeben, damit Guido sich etabliren konnte und sie freute sich dessen, so klar sie auch die unmittelbare Folge ihrer nunmehrigen Armuth erkannte.

Hatte sie doch diesen Bruder immer angebetet! Er war um einige Jahre jünger, als sie. Die Mutter war früh gestorben und Klementine hatte ihr versprochen, den schönen Kleinen zu betreuen. Und treulich hatte sie Wort gehalten bis zu dieser Stunde. Der Vater war ein kleiner Beamter gewesen, den man seiner Kränklichkeit halber früh mit einer nirgend zureichenden Pension in den Ruhestand versetzt hatte. Bei aller äußeren Wohlanständigkeit lugte die Armuth – »Armuthey«, nannte es Klementine heiter – aus allen Ecken. Klementine besorgte das bischen Wirthschaft und nähte dabei für fremde Leute. Sie war eigentlich ein kluges, nicht unbegabtes Mädchen, aber etwas zu lernen, dazu hatte sie nie Zeit gehabt.

Als der Vater gestorben und Guido zur Universität abgegangen war, nahm Klementine eine Stelle bei einer alten Dame an. Dort hatte sie die schönsten Jahre ihrer Jugend verbringen müssen. Es war eine furchtbare Sclaverei bei Tag und bei Nacht. Nächte lang mußte sie der Schlaflosen vorlesen, mußte ihre Launen ertragen, sie pflegen. Die alte Frau war leidend und nervös. Oft sagte sie selbst:

»Tinchen, Sie werden es nicht bedauern, bei mir auszuhalten – ich werde Sie nicht vergessen!«

Trotzdem glaubte Klementine manchesmal verzweifeln zu müssen, bis sie endlich »drüber stand«. Dann sagte sie sich: »Wenn ich etwas erbe, so kommt es Guido zu Gute!«

Und sie hatte diese Meinung auch nicht geändert, als ihr Herz zu sprechen begann.

Da Frau Lambach die Kirche nicht besuchen konnte, hatte sie sich einen Kandidaten der Theologie engagirt, der ihr jeden Sonntag das Evangelium vorlas und erklärte. Das war auch ein armer Teufel, der Stunden gab und auf eine Stelle wartete.

Der Kandidat Frank hielt Klementine für einen leibhaftigen Engel, als er die unerschöpfliche Geduld des jungen Mädchens für die kranke, manchesmal fast unerträgliche Herrin, ihre Aufopferung für den Bruder und ihre häuslichen Tugenden sah. Er faßte eine stille Liebe für sie, die bei dem anspruchslosen Wesen Klementinen's bald ein lebhaftes Echo weckte und sie verlobten sich mit einander.

Vorläufig hatten sie nichts davon, als das innere Bewußtsein, denn sie mußten sich selbst sagen, noch waren keinerlei Aussichten für sie da. Sie waren Beide bettelarm; Klementine hatte ihren Bruder, der eben im letzten Semester stand, zu versorgen – er würde auch nach dem ersten Examen noch eine Ewigkeit unbesoldet bleiben – und Frank versorgte seine alte Mutter; Jahre würden vergehen können, bis er eine Stellung bekam. Sie aber, sie konnte auch nicht von ihrem Posten, ohne die Erbaussicht auf's Spiel zu setzen.

Und dennoch, sie waren einander ein Sonnenstrahl.

Klementine hatte jetzt noch eine andere Freude, als nur die auf Guido's Briefe – sie freute sich auf den Sonntag, wenn er kam!

Frau Lambach gegenüber mußte die Sache Geheimniß bleiben; sie hätte es vielleicht übel genommen, wäre mißtrauisch geworden. So konnten sie nur gelegentlich und ganz verstohlen einmal einen Blick, ein Lächeln tauschen, einen heimlichen Kuß auf der Treppe. Auf der Treppe hatten sie sich auch mit einander versprochen, ganz flüchtig, denn die Glocke der Herrin gellte dazwischen.

So vergingen Jahre in schwerem Kampf und doch nicht ohne stilles Glück. Bis eines Tages Frau Lambach einem Herzschlage erlag. Sie wurde von Klementine aufrichtig betrauert, denn sie hatte ja gütige Momente. Auch lernt der Gefangene seinen Kerker lieben.

Bei Eröffnung des Testaments ergab sich, daß die Herrin Wort gehalten hatte. Klementine war mit einem Legat von zehntausend Mark und mit einer kleinen Rente für die Zeit bis zu ihrer Verheirathung bedacht worden. Der Rest des ansehnlichen Vermögens fiel wohlthätigen Stiftungen zu.

Klementine war über Nacht reich geworden – für ihre Begriffe wenigstens. Guido hatte eben das letzte Examen hinter sich, war Doctor der Rechte und Assessor. Inzwischen hatte sich seine ursprüngliche Begeisterung für die richterliche Carriere sehr abgekühlt. Als Referendar schon und mehr noch als Hilfsrichter hatte er gesehen, wie auch der ideale Richterstand zum Handwerk herabsinken mußte im Angesicht einer geradezu unglaublichen dienstlichen Überlastung. Wer sollte auch in das innere Wesen eines Rechtsstreites eindringen, wenn er deren an einem Vormittag dreißig und noch mehr zu erledigen hatte? Schließlich blieb da der anerzogene Formelsinn noch der einzige Halt: man thut wenigstens der Form nach Niemandem Unrecht. Aber mitleben, mitempfinden konnte solch ein Richter nicht.

Und Guido entschied sich für die Anwaltslaufbahn. Da war gerade in einem der Berliner Vororte ein Advokat gestorben und kein zweiter vorhanden. Man konnte die Geschäfte des Collegen übernehmen, wozu freilich etwas Geld gehörte. Klementine bot dem Bruder ihr kleines Vermögen an; sie hatte ja nur auf diese Stunde gewartet. Guido zögerte anfangs, dann aber sagte er sich: »Ich darf es annehmen, denn erstens muß meine Praxis reichlich so viel tragen, um der Schwester pünktlich die Zinsen zu zahlen und dann – dann werde ich eben reich heirathen, was unmöglich schwer fallen kann. Von der Mitgift wird in allererster Reihe Klementine bezahlt.« –

Von diesem Augenblick war die reiche Heirath eine Pflicht für ihn – eine unabweisbare Pflicht.

Frank hatte noch immer keine Stellung und konnte nicht an's Heirathen denken. Und wenn sich das auch ändern sollte, so würde Klementine eben die Zinsen beziehen – bis zu dem keineswegs fernen Tage, wo Guido seine reiche Braut fände.

Endlich schlüpfte Frank in ein provisorisches Pöstchen hinein, er wurde Hilfslehrer an einer Volksschule. Das war wenig, aber doch etwas Sicheres! Ja, wenn man nun das Bischen Geld in der Hand gehabt hätte, um sich wenigstens einrichten zu können.

Aber Guido vermochte immer nur mit Mühe die Zinsen aufzubringen. Er zahlte sie an Frank, der sie auf die Sparkasse trug. – Sie hätten ja wohl Möbel auf Abzahlung nehmen können, aber das durfte man nicht wagen bei vierzehnhundert Mark Gehalt. Es hieß weiter warten, bis Guido die reiche Braut hatte.

Und das zog sich in die Länge. Obgleich er dazu entschlossen war, »mit Geld« zu heirathen, gefiel ihm doch Diese nicht und Jene nicht, die man ihm vorschlug. Denn, wie er sagte, er wollte und mußte seine Frau doch auch lieben können, obgleich sie Geld hatte. Er hoffte nebenbei auf irgend ein lohnendes Geschäft, auf einen guten Klienten, einen fetten Prozeß, der ihn in die Lage setzen würde, seiner Schwester das Vermögen herauszuzahlen. Wie viele Rechtsanwälte in Berlin sind schon über Nacht reich geworden. Aber jung und ideal gesinnt, wie er war, wollte es nicht glücken. Er hatte keine nennenswerthe Praxis – er scherzte oft bitter darüber, daß er nichts besaß als Schulden. So mochte er nun wollen oder nicht, seine ganze Existenz stand auf der Mitgift.

Dies Alles ließ sich Klementine jetzt wieder durch den Kopf gehen. Immer und immer diese Mitgift. Es war traurig. Da endlich lief ein Brief von Guido ein, ein dicker, doppeltschwerer Brief. Mit zitternder Hand öffnete sie das Couvert – mit klopfendem Herzen las sie. Der Bruder begann mit einer langen, stimmungsvollen Schilderung seiner Reiseerlebnisse, und schließlich platzte er heraus: er hatte sich verliebt! »Sie« war zwar ohne Vermögen, aber sie hatte große Erbaussichten. Er hatte Anfangs geglaubt es sei schon für den Augenblick eine Mitgift vorhanden; das war aber ein Irrthum gewesen. Sie müßten warten – warten, bis Kamillas Onkel, der selber Absichten auf sie gehabt, mit ihrer Verbindung versöhnt sein würde. Aus diesem Grunde sei auch bis auf Weiteres Heimlichkeit geboten.

»Erschrick nicht, liebes Schwesterchen,« schrieb Guido weiter, »über den plötzlichen Entschluß. Aber ich liebe Kamilla von ganzer Seele und bin auch ganz glücklich. Natürlich habe ich mir da keine geringe Sorge aufgeladen. Aber ich werde mit verdoppelter Kraft arbeiten. Es ist übrigens da noch ein unaufgeklärter Punkt, über den ich mich hier nicht äußern kann. Andererseits verdient Kamilla auch. Nun, wir werden uns einschränken, werden sparen und Dir und dem guten Albert Euer Geld geben … Der geheimnißvolle böse Onkel wird ja schließlich auch etwas thun. Kamilla verweist mich täglich auf ihn, tröstet mich mit ihm. Heute habe ich ihr von Dir und Deinen Opfern erzählt. Sie hörte mir zu, Thränen in den Augen. »Du hättest eine reiche Frau heirathen sollen,« sagte sie, »aber sei getrost. Du wirst noch eine bekommen –: ich werde es werden!« Selbstverständlich versicherte ich ihr, ich sei auch ohnedies ganz glücklich … Ich bin es ja auch, nur ein bischen sorgenvoll! Kamilla brennt darauf, Dich kennen zu lernen. Wir kommen am 15. dieses Monats nach Berlin, um uns standesamtlich trauen zu lassen. Wenn ich nur – außer Albert – noch einen diskreten Zeugen hätte! Kamilla hat nämlich gar keinen Anhang dort und wünscht um so mehr, sich an Dich anzuschließen …«

»Der gute Guido – wie glücklich er ist,« sagte sich Klementine gerührt. War es nur Rührung, was jetzt ihre Thränen rinnen machte? Es war nichts mit der Mitgift, mußte sie sich gestehen. Also hieß es warten – warten! Denn mit dem Onkel, die Geschichte klang doch einigermaßen fabelhaft …

Sie ließ Albert rufen – er war der Erste, der Alles erfahren mußte. Da war er, ein blasser, großer junger Mann mit schlichtem hellbraunem Haar. Sie neckte ihn gern, daß ihm nur Spuren eines Bartes wachsen wollten, ein paar kurze, wollige Flocken, die nach einiger Zeit immer wieder wegrasirt wurden, da sie doch kein Bart zu werden versprachen.

»Er hat sich verlobt?« rief er, ihr die große Neuigkeit von den Mienen ablesend.

»Ja, er ist schon ausgehängt,« antwortete sie, »da lies selbst, Albert.«

Er las. Einen Augenblick schien es, als ob das blasse, schmale Gesicht noch farbloser, noch länger wurde. Aber nur einen Moment, dann sagte er mit einer Art frommer Ergebung:

»Auch ich freue mich, daß Dein Bruder glücklich ist. Aber ich fürchte, Tinchen, uns wird es gehen, wie Moses, der das gelobte Land sehen und es nicht betreten durfte – das gelobte Land unserer Ehe!«

»Es bleibt ja noch der Onkel,« sagte Klementine tröstend, »hoffen wir auf den Onkel!«

Wie schon so unzählige Male, rechnete Albert ihr auch heute vor, daß sie ja eigentlich auch ohne Geld heirathen könnten. Er verstand gar wenig von praktischen Dingen. Von Zeit zu Zeit stellte er sich einen Haushaltsetat auf, dessen Schlußsummen er in Uebereinstimmung zu bringen suchte mit seinem geringen Einkommen. Auf dem Papier stimmte ja auch Alles leidlich; wenn aber die praktische Klementine die Rechnung prüfte, fand sie jedesmal, daß irgend etwas fehlte, daß er etwas vergessen hatte – entweder waren es die Kohlen oder die Plättwäsche oder der Schuster.

Mit einem leisen Seufzer hatte er sein Taschenbuch gezogen, um den Etat zum so und so vielten Male aufzustellen.

Kohlen und Plättwäsche standen nun darin, der Schuster war bei dem Posten »Bekleidung« mit inbegriffen.

Klementine nahm die Rechnung zur Hand. Freilich, es war Alles sehr knapp veranschlagt. Aber sie hatte sparen gelernt. Sie würde auf Petroleum kochen, würde Kragen und Manschetten selbst plätten und die Stiefel – ja, allerdings, da war gar nichts zu sparen. Ganze Stiefel mußte man haben!

»Du hast doch wohl noch Eines vergessen,« sagte sie sanft, »Extraausgaben.«

»Wieso,« wandte er ein, »wir dürfen keine machen! Das ist ganz klar!«

»Und Dein und Guido's Geburtstag? Und unser sowie Guido's Hochzeitstag? Und Weihnachten?«

Der arme Albert machte ein langes Gesicht.

»Gewiß, daran habe ich nicht gedacht!«

Er steckte sein Buch wieder ein. An den einzelnen Posten mußte noch etwas gespart werden – für »Extraausgaben.«

Heute Nacht noch würde er sich daran machen und morgen seine Braut mit einem neuen Etat überraschen.

Er war im Grunde froh, daß es mit Guido's Mitgift nichts war. Nun mußte es auch ohne diese Mitgift gehen und es würde – würde gehen!

»Mit der Zeit,« tröstete Klementine, »wird Guido uns unser Kapital zurückzahlen; seine Praxis wird sich ja vergrößern, wenn es auch langsam geht.«

»Das ist wahr,« meinte Albert, »der Etat braucht am Ende nur für die ersten Jahre gemacht zu werden. Dann werde ja auch ich avanciren!«

Und so schöpften sie wieder neue Zuversicht, obgleich im Grunde ihre Hoffnungen alle gescheitert waren.

Drei Tage später erfolgte die Ankunft des Brautpaares. Klementine war mit Allem versöhnt, da Kamilla so schön und lieb war. Nur Tante Rose mit ihrem mürrischen Wesen gefiel ihr nicht.

Sie fuhren direkt nach Guido's Bureau und Wohnung, nachdem Kamilla nur den Reisestaub im Hotel abgethan hatte. Ihr Bräutigam brannte darauf, seine »Armuthey« zu zeigen.

Klementine konnte nicht recht begreifen, warum der Bruder so bedrückt war. Kamilla dagegen war ausgelassen lustig.

»Also so sieht es bei einem Anwalt des Rechtes aus,« rief sie scherzend, »und das ist Dein Thron, Guido?«

»Es ist ein Beichtstuhl,« versetzte Guido, »nur mit dem Unterschiede, daß ich Niemanden entsühnen kann.«

Tante Rose brummte immer etwas vor sich hin; ihr schien die Sache wohl zu ärmlich.

»Rechts-Anwalt – Links-Anwalt,« knurrte sie witzelnd, »in der Mitte ein Habenichts!«

Aber Niemand achtete auf sie, am wenigsten Kamilla, die in einer Art froher Erregung war.

»Ich habe eine kleine Ueberraschung für Euch,« sagte Frau Goldegg lächelnd. »Bitte, Guido, laß eine Droschke holen.«

Sie stiegen ein, alle fünf – es war ein bischen eng. Aber Jedes war mit seinen Gedanken beschäftigt auf der langen Fahrt, Klementine und Albert drückten sich fest aneinander auf ihrem Rücksitz, von welchem noch Tante Rose ihr Eckchen beanspruchte. Kamilla und Guido im Wagenfond: er scheu und genirt – sie in einer, man möchte sagen: weihnachtlichen Stimmung.

Sie fuhren ziemlich lange: es war ein schöner, milder Sommerabend, und die westlichen Villenstraßen, die sie passirten, waren von Spaziergängern, Kindermädchen, eleganten Equipagen belebt. Endlich hielt der Wagen, zur Verwunderung Aller – bis auf Kamilla – vor einer der reizendsten Villen der Grunewald-Kolonie.

»Gewiß das buen retiro des geheimnißvollen Onkels,« dachte Guido.

»Mein Gott – was muß erst der Besitzer solch eines luxuriösen Hauses für einen ›Etat‹ haben,« ging es Albert durch den Kopf.

Klementine war ganz verblüfft über den Empfang durch zwei reich gekleidete Diener, welche die Herrschaften durch ein blumenduftiges Vestibulum führten. Nur Frau Rose zuckte die Achseln.

Kein alter Onkel kam ihnen entgegen, als sie in den festlich erleuchteten Saal traten. Eine mit ausgesuchtem Geschmack garnirte Tafel mit fünf Gedecken, prächtiges, anscheinend funkelnagelneues Silberzeug – eine kleine Flaschenbatterie auf dem Buffet, auf welchem auch das Kästchen mit Henry Clay nicht fehlte. – Das Ganze ein modernes Märchen aus Tausend und eine Nacht.

»Ich bitte Platz zu nehmen, meine Lieben,« sagte Kamilla.

Aber Guido war schon nach den ersten Schritten stehen geblieben. Ein unbestimmtes, unbehagliches Gefühl hatte sich seiner bemächtigt, eine peinliche Ahnung.

»Willst Du mir nicht erklären, Kamilla, was das Alles bedeutet?« fragte er jetzt in fieberhafter Erregung.

Mit strahlendem Lächeln fiel sie ihm um den Hals.

»Es bedeutet, mein theurer Guido, daß Alles Dein ist – Dein, Du lieber Mann!«

Er stotterte irgend etwas Unverständliches – er befand sich in einer unbeschreiblichen Verfassung.

»Verzeih, daß ich Dich getäuscht habe,« fuhr sie fort, »ich bin eine reiche Frau – bin seit eineinhalb Jahren die Wittwe eines kaum geliebten Mannes, der mir ein Vermögen hinterließ. Noch waren die Kränze nicht verwelkt, mit denen ich sein Grab geschmückt hatte – er hat mir Hochachtung und warme Dankbarkeit abgerungen – da begann man bereits, mich in einer mir abstoßenden Weise zu umwerben. Aber ich wollte nicht um meines Geldes, ich wollte um meiner selbst willen geheirathet sein. So reiste ich »incognito« – meine Gesellschafterin avancirte zur »Tante«. Und ich fand nur Kurmacher, Keinen, der das Loos der anscheinend armen Künstlerin hätte theilen wollen. Bis ich Dir begegnete, Guido! Du hast meine kühnsten Träume erfüllt. Du hast mich geliebt, um mich gefreit, ohne nur eine Ahnung von meinem Reichthum zu haben. O wie danke ich Dir! Du hast mich unaussprechlich selig gemacht. Mit Zittern sah ich Deinem Werben zu: täglich fürchtete ich, Du würdest Bedenken tragen – Du wußtest ja nichts von mir. Aber Du bist ein Mann, wie es kaum einen zweiten giebt auf dem Erdenrund. Du liebtest und deshalb vertrautest Du. Du nahmst das arme, unbekannte Weib, das zudem noch die Ansprüche einer Dame zu machen schien. Wie danke ich dem Himmel, daß ich Dich für Deinen beispiellosen Hochsinn belohnen kann. Ich bin reich, unabhängig, ich stehe allein auf der Welt. Und Alles, was ich besitze, ist Dein! Aber vergieb, daß ich schwieg! Du hättest die reiche Frau vielleicht verschmäht – darnach steht Dein Sinn nicht. Stolz, wie Du bist, wolltest Du eine Frau, die nur dasselbe besitzt wie Du: Liebe und ernstes Streben. Aber denke, es ist ja nur ein Zufall, der mich reich gemacht hat. Und liebe mich, wie vorher!«

Guido Horn war einer Ohnmacht nahe; hätte nicht seine Schwester ihn gestützt, er wäre zusammengebrochen.

Niemand ahnte, welch' furchtbares Gericht in diesen Augenblicken über ihn erging. Ja – hätte er dieses Lob verdient!

Und er stammelte noch immer fassungslos:

»O wärest Du lieber arm – bettelarm!«

Er meinte es ehrlich, denn er schämte sich vor sich selbst.

Klementine schluchzte vor Freude. Ja, so hatte es kommen müssen! Diesen unvergleichlichen Bruder, ihren Stolz, den Spiegel ihrer Seele – ihn mußte eine Fee beglücken!

War es denn wahr und wirklich? Dies Silber! Dieses kostbare Tafelgeräth – diese Weine – o, sie glaubte zu vergehen. Wortlos las sie in den Mienen Alberts, der, wie sie selbst, völlig gebannt war von der nunmehr so nahe gerückten Glücksmöglichkeit. Sie würden jetzt ihr kleines Vermögen herausgezahlt bekommen, konnten heirathen, sich an Guido's Märchenglück freuen! Es war zu schön!

Guido konnte weder essen noch trinken. Da waren nun seine kühnsten Träume erfüllt: Reichthum und Glanz, Unabhängigkeit und eine gesellschaftliche Stellung waren sein. Aber er konnte alles dessen nicht froh werden. Tausendmal sagte er: »Ich habe sie ja nur aus Liebe geheirathet.« Und tausendmal widersprach sein Herz: »Sie ist betrogen!«

Während des Essens, das von den wohlgeschulten Dienern mit vollendeter Eleganz servirt wurde, erzählte Kamilla ihre Geschichte. Sie war in jener Art von Armuth aufgewachsen, die sich den Blicken der Welt entzieht. Der Vater, ein angesehener Professor, machte ein Haus und kämpfte mit Sorgen. Immerhin, so lange er lebte, war ein leidliches Auskommen vorhanden. Als er aber plötzlich starb, war sie nur ein armes Mädchen, um so ärmer, weil an manchen höheren Lebensgenuß gewöhnt. Sie hatte als Achtzehnjährige einen sehr begabten Künstler geliebt, der sie um einer Geldheirath willen aufgab. Und nun entschloß sie sich, der Werbung eines um zwanzig Jahre älteren, wohlsituirten Fabrikanten nachzugeben. Der Mann hatte sich mit aufopferndem Fleiß emporgearbeitet und dabei kaum Zeit gefunden, ihr eigentlich näher zu treten. Auf der Höhe des Reichthums angelangt, war er, da er eben begann des Lebens froh zu werden, von einem Unglücksfall jäh dahingerafft worden. Kamilla war tief erschüttert. Zum zweiten Male seit verhältnißmäßig kurzer Zeit hatte der Tod eingegriffen in ihr Geschick. Diesmal aber war sie über Nacht Herrin eines großen Vermögens geworden, das unaufhörlich wuchs. Sie wußte gar nicht, wie ihr geschehen. Sie erschöpfte sich in Wohlthaten – das Geld kam ihr nicht vor, wie ihr eigenes. Aber schließlich siegte die Vernunft. Alles das, was Ernst Goldegg in einem Leben der Mühsal erworben, war ihr Eigenthum. – Was aber nun beginnen? Mit ihren sechsundzwanzig Jahren – alleinstehend in der Welt! Sie hatte, wie man zu sagen pflegt, »nicht Kind, nicht Kegel« – war jung, hatte nicht ausgeliebt, nicht ausgelebt. Nur noch ein Traum erfüllte ihre Seele: eine Liebesehe einzugehen. Und dieser berückend schöne Traum sollte sich jetzt erfüllen. – Sie schilderte, wie sie Guido vom ersten Augenblick an geliebt hatte; wie sie vor dem Ausgange gebangt und gezittert. Und wie sie jetzt selig, selig sei, da sich Alles so herrlich erfülle … Immer wieder bat sie ihn, er möge ihr ihren Reichthum verzeihen. Zum Beweise dessen möge er hier in diese Urkunde seinen Namen eintragen und diese vollziehen, wie bereits Kamilla das Schriftstück unterzeichnet hatte –: eine Schenkungsurkunde über die Villa »Eden« … Irgend ein Notar, den Kamilla erfragte, hatte die Urkunde ausgefertigt; es war nur noch der Name dessen einzutragen, dem die Villa künftig gehören sollte. Kamilla hatte dem Anwalt nur deßhalb diesen Namen nicht genannt, weil sie ihrem Verlobten nicht vorgreifen wollte. Hierher, in dieses reizende Nest, würden Sie jeden Sommer kommen, um sich ihrer Flitterwochen zu erinnern!

Das Schriftstück zitterte in Guido's Hand. Nein! Er konnte sich nicht entschließen, ein solches Geschenk anzunehmen. Er hatte aber auch in diesem Augenblick weniger als je den Muth, sich von der Seele zu reden, was ihn bedrückte. Dazu mußte die Stunde noch kommen.

Endlich fand er etwas, wie einen Kompromiß.

»Bitte, Kamilla, schenke die Villa Klementinen, die sich beispiellos für mich geopfert hat. Ich selber – ich kann nichts von Dir annehmen! Ich will nichts als Deine Liebe. Laß mich arm und einfach neben Dir leben!«

Klementine begriff den Bruder nicht, zum ersten Male in ihrem Leben. Warum plötzlich diese Skrupel, dieses Verzichten? Er hatte doch sonst nach Gelde heirathen wollen! Mußte er nicht Gott danken, daß es so gekommen?

Aber Kamilla schien sich zu freuen über Guido's selbstlosen Vorschlag. Sie zeichnete ohne Bedenken den Namen Klementinen's in die Urkunde ein, und diese mußte durch ihre Unterschrift bekräftigen, daß sie die Schenkung annahm. Ein letzter Akt, die gerichtliche Uebergabe, sollte so bald als möglich in Gegenwart des Notars stattfinden.

Auch Klementine bebte, als sie ihren Namen unter den Akt setzte. Aber es war Freude, was ihre Nerven erzittern machte. Weshalb aber sollte sie zögern, wenn Gott es so gefügt hatte? Auch sie und Albert durften nun ihre Flitterwochen und jedes Jahr ihre Ferien hier verleben. Natürlich würde die Villa für Kamilla und ihren Gatten jederzeit bereitstehen.

Es war zu schön! Der gute Albert wäre seiner großherzigen Schwägerin, die wie eine Göttin des Glücks selbst in sein armseliges Dasein eingriff, am liebsten um den Hals gefallen. –

Acht Tage später fand die standesamtliche Trauung Guido's und Kamilla's statt. In aller Stille, wie dies Kamilla ausdrücklich gewünscht hatte. Albert Frank war der eine der beiden Zeugen, der Bureauvorsteher Guido's der zweite. Auch von einem Festmahl war abgesehen worden. Nur in der Grunewaldvilla waren wiederum jene fünf Kouverts aufgelegt, wie an dem Abend, als Kamilla ihren Verlobten hierhergeführt.

Zwar lag ja zur Heimlichkeit keinerlei Grund mehr vor, aber Kamilla wollte, wie sie sagte, ihren romantischen Traum zu Ende leben. Nur keine Gratulationen – keine Besuche – auch keine Ovationen von Seiten des Fabrikpersonals! Nein, sie wollte nur noch bis morgen in der Villa »Eden« verbleiben, die Schenkungsangelegenheit erledigen und dann, noch ehe der Tag verging, sich aufsetzen und irgend wohin reisen – nach dem Süden – gleichviel wohin, nur fort aus dem Trubel der großen Stadt, nur ganz allein sein miteinander.

Guido hatte noch immer nicht den Muth gefunden, eine Meinung zu äußern. Ehe er nicht sein Herz erleichtern konnte, würde der Bann, der auf ihm lag, nicht weichen. So stimmte er immer nur stillschweigend zu, ließ geschehen, was seine überselige Braut bestimmte.

Frau Rose war nach Thüringen geschickt worden, um dort einige Koffer zu packen, wie Kamilla sie nun für ihre Hochzeitsreise brauchte. Am Tage der Trauung war Tante Rose, die auch jetzt noch nicht zufrieden schien mit dem Verlauf der Dinge, zurückgekehrt. Niemand in der Fabrik sollte etwas erfahren, weder der so kühl und scharf blickende Hassemann, noch der leidenschaftliche Paul Basler. Keinem von ihnen wollte Kamilla begegnen, bis sie von der morgen anzutretenden Flitterwochenfahrt heimkehren würde.

Mit gezwungenem Lächeln war Guido auf das Alles eingegangen. Und schließlich hatte er nur noch den einen Weg zu thun: er mußte einem Kollegen seine Praxis übertragen.

Zu dreien – Guido, Kamilla und Klementine – machten sie sich am Nachmittag nach der Hochzeit auf den Weg zu jenem Notar, der die Schenkungsurkunde ausgefertigt hatte; es war noch eine kleine Förmlichkeit zu erfüllen. Albert war taktvoll zurückgeblieben … Vielleicht würde Klementine ihn nicht mögen, nun sie Besitzerin einer Villa war.

Selbst die vielgeschäftigen Berliner blickten auf, als sie die schöne, glückstrahlende, junge Frau so stolz, so selig am Arme ihres Gatten daherschreiten sahen. Klementine glaubte, Jeder müsse es den Beiden von den Augen ablesen, daß sie nun den Himmel auf Erden hätten. Und erst sie selbst – ihr war noch immer zu Muthe, als müsse sie jeden Moment erwachen aus einem beglückenden, weltentrückenden Traume.

Das Vorzimmer des Notars war überfüllt; man würde warten müssen. Und Kamilla, die überdies eine unbeschreibliche Scheu vor Geschäften hatte, zog es vor, auf der belebten Straße – Unter den Linden – auf und ab zu gehen, bis ihr Mann sie hinaufrufen würde.

Es duldete sie nicht in dem dumpfigen, halb dunkeln Gemach.

Zehn Minuten vielleicht promenirte sie hier, als sie Jemand grüßte. Sie blickte verwundert auf und erkannte Herrn von Arnsburg, der seinerseits noch mehr erstaunt schien, als sie. Er wußte von nichts – konnte ja nichts wissen.

»Wie kommen Sie hierher, Herr Doktor?« fragte Kamilla, »und wo haben Sie gesteckt?«

»Offen gestanden,« sagte er, ihre letzte Frage zuerst beantwortend, »war ich einer Dame nachgereist – jener ›Loreley‹, von der wir Ihnen erzählten, ich und Horn, wissen Sie gnädige Frau? Von Zappot aus, wo ich mich von Ihnen verabschiedete, nach Ems – von da nach Wildbad, dann hierher, wo ›Loreley‹ haust. Und jetzt bin ich im Begriff, Horn aufzusuchen, der, wie man mir in seinem Bureau sagte, hier bei irgend einem Notar zu finden sein soll. Wissen Sie etwa, gnädige Frau, wie es ihm geht? Ein kurzes Telegramm ausgenommen, das ich vor etwa drei Wochen erhielt – es ist zu lächerlich, wie man manches Mal ganz werthlose, unbedeutende Papiere nicht los wird – gestern hatte ich die dumme Depesche noch in meiner Brieftasche – richtig – da ist sie! – bin beinahe beunruhigt seinetwegen.«

»Er befindet sich sehr wohl,« versetzte Kamilla lächelnd, »er ist seit gestern mein Gatte.«

Arnsberg war starr. Mitten auf dem Trottoir blieb er stehen.

»Ach – da gratulire ich – ihm! Freilich, seine Depesche ließ mich etwas vermuthen – aber doch eigentlich etwas Anderes!«

»Wieso Anderes?« fragte sie unbefangen. »Zeigen Sie mir doch das Telegramm, da Sie es nun einmal nicht los geworden sind, Herr Doktor, es interessirt mich immerhin …«

»Unter diesen Umständen darf ich das ja ohne Weiteres thun, gnädige Frau. Hier sehen Sie, vom fünften August: ›Goldfisch gefangen. Guido.‹ Ich dachte natürlich an eine gediegene Mitgift. Wie sollte man das auch anders deuten? Aber an Sie – pardon! – an Sie dachte ich nicht. Sie sind ja nicht reich … Sie sind trotzdem Gold für ihn, meine Gnädige, denn er liebt Sie, das ist klar. Und so kann ich nur noch einmal von ganzem Herzen gratuliren!«

Sie starrte auf das Telegramm und lachte so seltsam … Die schönen Züge waren ganz verzerrt. Was hatte nur die Frau?


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