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XI.

»Es wird nichts mit uns Beiden,« sagte Klementine niedergeschlagen zu ihrem Verlobten.

Und wirklich, jede Hoffnung schwand nachgerade. Guido war schon nahezu unzurechnungsfähig. Er vernachlässigte sein Geschäft, kam oft stundenlang nicht in's Bureau, suchte sich die wenigen Angelegenheiten, die er zu vertreten hatte, dadurch vom Halse zu schaffen, daß er sie dem einen oder anderen gefälligen Kollegen übergab. Und alle Vorstellungen Klementinens konnten daran nichts ändern. Schließlich mußte sie sich selbst sagen, er hatte keine Aussicht mehr zu einer guten Heirath, Kamilla wollte nichts von ihm wissen – gewiß, es sah trostlos aus, trotz der Villa, die immer nur Geld fraß. Sie und Albert waren allein in dem verödeten Bureau ihres Bruders. Guido war ausgegangen, zu Doktor Müllhardt, im Nebenzimmer hantirte ein Schreiber; einen eigenen Bureauvorsteher konnte sich Guido längst nicht mehr halten.

Jetzt nahmen sie die Civilprozeßordnung zur Hand und fanden, daß Schenkungen widerrufen werden können. O, das hatte sich Klementine längst gesagt, die Villa würde gewiß widerrufen werden, denn warum sollte jene Frau die Schwester eines Mannes beschenken, von dem sie nichts mehr wissen wollte? Wer weiß, die Schenkung war vielleicht schon in aller Form zurück genommen worden. Guido, der überhaupt kaum noch sprach, sagte nur nichts davon.

Klementine legte das Civilrecht bei Seite, sie sah sehr blaß aus, aber ein entschiedener Zug in ihrem sonst immer so freundlichen Gesicht deutete darauf hin, daß sie einen wichtigen Entschluß gefaßt hatte.

»Mein lieber Albert,« begann sie, »Du siehst es nun selbst, wir sind arm, ärmer denn je, und was das Schlimmste ist, wir sind ohne Aussichten. Und ich glaube, ich darf nicht mehr zögern mit einem lange geplanten, wohl überlegten Zugeständniß … Ich gebe Dich frei, Albert. Du kannst, Du darfst nicht so heirathen, so ohne Alles …«

Auch er seufzte tief auf, aber es klang wie ein Seufzer der Erleichterung.

»O, wie lange habe ich schon auf dies Geständniß gewartet,« rief er, beinahe froh, »auf das Geständniß, daß Du nichts hast! Wie glücklich bin ich – nun haben wir Beide nichts, und weißt Du, Klementine, wir lassen doch nicht von einander!«

Noch immer wollte der tiefe Ernst nicht aus ihrem Gesichte weichen. Und jetzt hielt sie ihm vor, daß er durchaus nicht ohne Geld heirathen dürfe, ja, sie bewies ihm, daß ein Mann, der in seinem Dienste avanciren, der einmal Schulvorsteher werden könnte, auch Geld zu fordern habe. Das sei sein gutes Recht, und er dürfe nicht darauf verzichten.

Sie sprach ernst und eindringlich zu ihm, sie wollte ihn überzeugen.

Er aber sagte jetzt, halb ärgerlich, halb lachend ausbrechend: »Willst Du mich denn wirklich los sein, Klementine?«

»Nein, aber …«

»Nun denn, ich lasse nicht von Dir! Ich versichere Dir, ich brauche wenig und Du brauchst wenig, aber Beide zusammen brauchen wir gar nichts, gar nichts. Du wirst es sehen, wir kommen aus.«

Er hatte die Probe bestanden, die sie schon lange vorgehabt. Eigentlich hatte sie es schriftlich machen wollen, das wäre sicherer gewesen; aber auch so, sie sah es an seinen ehrlichen, treuen Augen, er sprach aus innerster Ueberzeugung. Noch versuchte sie, ein paar Einwände zu machen, aber die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Sie waren nicht mehr jung, alle Beide, waren hart mitgenommen von den Enttäuschungen des Lebens. Dennoch, wie zwei junge Liebesleute, die sich im ersten Liebeskusse finden, sanken sie einander in die Arme.

Und in dieser Situation wurden sie überrascht durch Arnsburg, der seinen Freund aufsuchen wollte. Sie fuhren einen Augenblick erschreckt auseinander, schnell aber faßte sich Klementine und sagte in ihrer ruhig heiteren Weise, die Hand ihres Bräutigams festhaltend:

»Herr Arnsburg weiß ja auch ganz genau, wie gerne wir uns haben.«

Es lag sehr nahe, daß Arnsburg einige Scherze gemacht hätte, aber er war wieder einmal sehr melancholisch gestimmt:

»Ach, wie glücklich seid Ihr Beiden! Ihr könnt nur so darauf los lieben und heirathen – auf gar nichts.«

»Und warum können Sie das nicht auch?« fragte Klementine.

Mit betrübter Miene zählte er umflorten Tones die ungeheure Liste seiner Gläubiger auf, eine furchtbare Summe, und alle diese Gläubiger warteten auf die Mitgift. Ja, es war nicht anders, Arnsburg war ihnen diese Mitgift schuldig! Warum war er auch ein »Herr von«, ein Reservelieutenant, ein Privatdocent und ein »schöner Mann« dazu? Wer damit keine Mitgift erzielte, um seine Schulden zu bezahlen, der war einfach ein unredlicher Charakter, geradezu ein Betrüger!

Da er sich unter vertrauten Freunden befand, erzählte Arnsburg jetzt mit köstlicher Selbstironie, er hatte auf ein zweites Inserat richtig zwei Offerten bekommen, zwei Rendezvous. Das Eine in jener bekannten kleinen Konditorei in der Potsdamer Straße, in deren unscheinbaren Räumen schon so manches Herzensbündniß geschlossen wurde, und das Andere bei einer angeblichen Frau Hauptmann mit einem sehr langen, sehr polnischen Namen.

In der Konditorei traf er eine beleibte Wittwe, die er lange Zeit hindurch für die Mutter der Heirathskandidatin hielt. Die gute Dame trug sehr dicke goldene Uhr- und Armketten, aber sie schwitzte, schwitzte an einem Tage, da es draußen regnete und alle Welt fror. Und schließlich erfuhr er, daß sie selbst es noch einmal versuchen wollte, glücklich zu werden. Sie hatte sich's vorgenommen, dies Mal nur einen »gebildeten« Mann zu heirathen, das Geld dazu war ja reichlich da, und in der Unbildung ihrer beiden früheren Gatten hatte sie mehr als ein Haar gefunden …

Bei der polnischen Hauptmännin fand er ein junges Gänschen vom Lande, recht hübsch, recht frisch, angeblich auch in eine hübsche Mitgift eingewickelt, aber sie sagte unausgesetzt: »Ei herrjeses!« Derlei war doch unmöglich für seine Kreise.

Klementine meinte, die dicke Dame hätte vielleicht nur aus Verlegenheit geschwitzt und das hübsche Fräulein aus demselben Grunde »Ei herrjeses« gesagt. Aber Arnsburg hatte die Beiden bereits auf den Index gesetzt.

Jetzt hatte sich eine neue, wahrhaft glänzende Aussicht vor ihm aufgethan. Die Tochter einer einfach bürgerlichen Familie war ihm angeboten worden; der Vater »machte« in Nähmaschinen, ein sehr wohlhabender Mann, dazu reiche Verwandte, und Alle zusammen waren dahin überein gekommen, der Marianne eine glänzende Mitgift zu geben, wenn es sich um eine wirklich gute Parthie handeln sollte. Nun, und er, Doktor Hermann von Arnsburg, war doch eine solche, wie? Er schilderte jetzt Fräulein Marianne. Sie war hübsch, ein bißchen zu kühl und ein bißchen zu sehr gebildet, nicht entfernt so pikant als Lora, dafür sehr ruhig, und, wie er sich ausdrückte, scheußlich vernünftig. Allerdings, war er bei einer solchen Marianne seines Erfolges so gut wie sicher … Da brauchte man ja doch wohl nur anzuhalten, wenn man sich ernstlich entschlossen hatte. Na, und wenn auch das nichts würde, so wollte er anfangen zu sparen und in Raten à fünfzig Pfennige seine Schulden abtragen.

Klementine ermuthigte ihn, sich nochmals bei Lora in Erinnerung zu bringen, er aber zögerte, denn ihm war noch immer nicht eingefallen, wie er ihr die Uneigennützigkeit und Größe seiner Liebe beweisen sollte. Das war ja auch wirklich keine Kleinigkeit. Doch beschloß er jetzt, seinen Freund bei dem Justizrath aufzusuchen.

Er fand Doktor Müllhardt allein. Guido Horn war eben gegangen und der Rath einigermaßen zerstreut. Eben hatte man ihm ein großes Aktenbündel gebracht, ein Handtäschchen und eine Reisedecke; er war im Begriff, nach Thüringen abzureisen. Arnsburg begleitete ihn bis zur Droschke. Gewiß, meinte der Justizrath, er solle nur zu Lora gehen, ihr noch ein Adieu vom Vater bringen. Lora wußte von der Abreise, sie erwartete jedoch noch ihren Vater zum Thee. Der Justizrath aber mochte sich mit Horn verspätet haben und nun hatte er sich nicht mehr aufhalten können.

Arnsburg, hocherfreut über den ihm gewordenen Auftrag, eilte zurück in die Wohnung Müllhardts. Aber auch Lora fand er mit einer Reisetasche, gleichfalls im Begriff zu verreisen. Sie hatte sich entschlossen, den Papa auf dem Bahnhofe zu überrumpeln, d. h. ihn zu begleiten.

In Wahrheit war sie sehr verstimmt, daß Horn, den sie ja bei Papa wußte, sich nicht bei ihr vorgestellt hatte. Sie hatte doch ein Recht, derlei zu erwarten. Es war empörend, wie dieser Horn sich gegen sie benahm.

Uebellaunig und unfreundlich empfing sie Arnsburg und der verwirrte Privatdocent stammelte nichts weiter, als: »O, ich bin sehr unglücklich.« Sie lachte, während er ihr das Handtäschchen in den Wagen reichte und fuhr davon.

»Ich halte morgen um die vernünftige Marianne an,« sagte sich Arnsburg, »und diese Hexe Loreley soll der Satan freien.«

Doktor Müllhardt war wenig erfreut, als sein Töchterchen plötzlich auf dem Anhaltischen Bahnhof erschien und mitreisen wollte. Sie wäre tief melancholisch gestimmt, sagte sie, und wußte nicht wie dem entrinnen. Da war ihr eingefallen, daß die Reise vielleicht eine hübsche Abwechselung wäre. Sie wollte eben mit, wollte umsomehr, als Papa auf die Frage, ob Doctor Horn dagewesen, nur eine ausweichende Antwort gab. Ja, er mußte sie mitnehmen, denn hier verdroß und langweilte sie alles.

Sie hatte eine ihrer hübschen eleganten Reisetoiletten an, und ihr prächtiges Juchtennecessaire, in dem Handtäschchen etwas Parfum, ein paar Taschentücher u. s. w. Die Anwesenheit in Thüringen sollte ja auch nur ein bis zwei Tage währen.

Auch diesmal fügte sich Müllhardt willig der Laune der Prinzessin Tochter. Er war es so gewöhnt. Nur versäumten sie ihretwegen den Zug mit direktem Anschluß, konnten erst zwei Stunden später fahren und hatten überdies noch unterwegs ein paar Stunden Aufenthalt. So kam es, daß sie Doctor Horn, von dessen Abreise nach demselben Ziel sie ja keine Ahnung hatten, nirgends treffen konnten.

Ganz spät Abends erst langten sie in dem Städtchen bei Schwarzenau an, so daß Doctor Müllhardt nicht daran denken konnte, Frau Goldegg heute noch aufzusuchen. Zu seinem Aerger mußte er in dem einzigen Gasthaus des Ortes übernachten und da war auch wenig Aussicht zu schlafen, denn unten in dem niedrigen Saale fand eben eine Volksversammlung statt.

Lora war sehr ärgerlich und enttäuscht. Nun anstatt zu Kamilla, in angenehme Gesellschaft, zu einem guten Souper, in diesen schmutzigen »Adler« zu kommen. Aber Papa war jetzt schon an der Grenze seiner Toleranz angelangt. Sie wagte nicht mehr, ihre üble Laune an ihm auszulassen.

Nachdem er Lora in ihr Zimmer gebracht, begab er sich in den Versammlungssaal. Einmal interessirte es ihn, zu sehen, wie sich diese politischen Meinungsherde auf dem platten Lande ausnehmen, dann aber hatte er gehört, sollte Director Hassemann anwesend sein, wenn auch nur als Hörer auf der Orchestergallerie. Zu diesem wollte er sich begeben.

Er fand Hassemann knirschend vor Zorn. Paul Basler redete eben unten, er warf mit heftigen Vorwürfen gegen das Capital, gegen die Besitzer um sich; er sprach mit großem Feuer, wie Einer, dem's vom Herzen kommt, und unter lebhaftem Beifall. Wiederholt drohte der überwachende Commissar, ein bärtiger Landgendarm, die Versammlung aufzulösen.

»Unsere heutige Ordnung,« rief Paul Basler, »fordert geradezu heraus dazu, daß man die Brandfackel schleudere. Sie heischt Opfer um Opfer, sie läßt nur noch zwei Klassen bestehen, Herren und Sclaven, und wir, die Sclaven, sind in der Ueberzahl. Wenn wir das sind, welche Narren sind wir zugleich, daß wir stillhalten …«

Hassemann war wüthend, daß ein solcher Redner aus dem Etablissement hervorgegangen war, dem er vorstand. Nachdem Paul Basler seine Rede unter brüllender Zustimmung beendet, schilderte der erregte Hassemann dem Justizrath die ganze Anmaßung dieses Menschen. Und seinetwegen hatte Kamilla ihn, Müllhardt, herberufen, um den Ausgleich zu ordnen – lohnte das wohl der Mühe?

Hassemann hatte sich jetzt hinunterbegeben in den Saal, in diesen verqualmten, von übelriechenden Petroleumlampen nur spärlich erleuchteten Raum. Er wollte feststellen, wer etwa von seinen Arbeitern dem ausdrücklichen Befehl getrotzt hatte.

Paul Basler, der natürlich schon von Justizrath Müllhardts Anwesenheit wußte, hatte offenbar nur diesen Augenblick abgewartet. Mit flammenden Augen, brennenden Wangen, dem ganzen Pathos der Jugend und Leidenschaft, trat er jetzt vor den Anwalt hin:

»Ich möchte doch hören, ob Sie wirklich ein Anwalt des Rechtes sind,« apostrophirte er ihn.

Müllhardt, der vorher bei den zornigen Aeußerungen und Darlegungen Hassemanns ein wenig mißtrauisch geworden war, meinte jetzt wohlwollend:

»Erzählen Sie, junger Mann, was Sie auf dem Herzen haben, aber – ruhig, wenn ich bitten darf, nur ruhig.«

Und in beflügelten Worten berichtete Paul von dem Unrecht, das ihm widerfahren. Welchen Beweis er hätte, fragte Müllhardt. Ja eben, er hatte keinen, man mußte ihm glauben, weil er ein ehrlicher Mann war.

»Der Herr Director aber will Ihnen nicht glauben! So also kommen wir mit der Sache nicht weiter,« sagte der Justizrath theilnehmend. »Erinnern Sie sich doch der näheren Umstände, mein Lieber, vielleicht finden wir den Beweis.«

Aber Paul und Goldegg waren fast immer allein gewesen bei ihren Versuchen. Ein Probirgläschen mit dem neuen Färbestoff hatte Goldegg freilich an sich genommen, wie er sagte, zum Andenken. Was inzwischen aus dem Gläschen geworden war, konnte Paul nicht sagen, und was auch konnte es beweisen? Wer war dabei? Richtig, Jakob, aber der wußte auch nichts Rechtes.

»Wir wollen den Jakob vernehmen,« entschied der Anwalt, »vielleicht finden wir einen Anhaltspunkt.«

In diesem Augenblick wurden sie durch einen schnell anschwellenden Tumult im Saale unterbrochen. Der Redner, der eben angefangen hatte zu sprechen, verstummte plötzlich und der Ruf: »Feuer! Feuer – in der Fabrik Schwarzenau!« flog durch den Raum.

Paul taumelte zurück.

Man stürzte an die Fenster – wirklich, der ganze westliche Himmel flammte in heller Röthe, eine weiße Qualmschicht säumte diese Gluthwolken ein und ein dumpfer, unbestimmter Lärm drang aus der Ferne her in das um diese Stunde todtenstille Städtchen, und jetzt erdröhnte auch die Sturmglocke. »Feuer! Feuer! Hülfe!« rief es von allen Seiten. »Hinaus nach Schwarzenau!«

Auf einmal stürzte Hassemann herbei wie ein Wahnsinniger, das Gesicht verzerrt, die Augen aus dem Kopfe gequollen, Schaum vor dem Munde. Er sprang Paul Basler direkt an die Kehle.

»Du bist der Brandstifter, Elender!« schrie er außer sich, »Herr Doctor, der Diener Jakob kann es bezeugen: schon vor Jahresfrist hat der Schurke gedroht, die Fabrik anzuzünden. Er war auch da heute Abend, obgleich er nichts mehr da zu thun hat. Ich selber sah ihn in der Nähe der Villa Goldegg herumstreichen!« Und wieder zu Paul gewendet, noch immer mit wuthverzerrten Zügen fuhr er fort:

»Jetzt fasse ich Dich, Paul Basler, jetzt kriege ich Dich unter!«

Paul starrte ihn an wie ein wildes Thier. Er verstand ihn nicht. Aber lauter und immer lauter ertönte draußen der Feuerlärm.

»Ich lasse Sie auf der Stelle verhaften«, kreischte Hassemann.

Plötzlich taumelte er zurück, wurde leichenblaß, schlug sich vor die Stirn.

»Die Thuringia,« rief er tonlos, dann stürzte er wie vom Blitz getroffen zusammen.

Niemand kümmerte sich weiter um ihn, denn alles stürzte hinaus nach dem Feuer. Die freiwillige Feuerwehr des kleinen Ortes war mit Getute und Getrommle zusammengeholt worden. Nun standen die drei Wagen bereit und Doctor Müllhardt wie Paul Basler setzten sich auf eine Spritze.

Furchtbare Feuergarben stiegen zum Himmel empor. Die enormen Vorräthe von Baumwolle mußten sich entzündet haben und man sah nur noch ein Meer von Flammen. Ein schauerlich schöner Anblick in dieser dunklen Nacht. Das ganze ungeheure Etablissement stand in hellem Brande, man hatte dort den Schlüssel zum Fabrikspritzenhause nicht gleich finden können. Bärmann sollte ihn haben, der in der letzten Woche die Feuerwache hatte, aber wo war Bärmann?

Fast ungehindert hatte sich der Brand entwickelt, mit grauenhafter Geschwindigkeit über die Zinkdächer hinweg leckend und immer neue Gebäudetheile erfassend. Es handelte sich jetzt fast nur noch darum, die Villa zu retten.

Mit Todesverachtung stürzte sich Paul Basler in die Rettungsarbeit. Es schien fast, als suche er den Tod, aber man entriß ihn immer wieder der Gefahr.

Müllhardt hatte Kamilla aufgesucht, die im Garten der Villa herumirrte. Die verzweifelte Starrheit in ihrem Gesichte schrieb er dem Schrecken zu; dennoch schien sie den Brand kaum zu bemerken.

»Ich habe Ihnen viel anzuvertrauen, Herr Justizrath, eine furchtbare Sache, ein Schicksal.«

»Auch Sie, gnädige Frau,« meinte Müllhardt, dabei an Paul Basler denkend; hatten denn alle Leute hier Schicksale?

»Ich weiß in der That nicht recht, warum Sie mich rufen ließen. Anfangs dachte ich wegen der Sache mit Paul Basler.«

»Ja Anfangs war es so, inzwischen aber ist mir etwas Furchtbares widerfahren.«

»Gewiß, der gräßliche Brand, ich sehe ja.«

»Ach Gott, das dumme Feuer,« meinte Kamilla, »es ist alles hoch versichert – aber freilich ist es traurig, wegen der armen Arbeiter, die brotlos werden. Ein großes Opfer wird es immerhin kosten. Aber das ist mir heute Nebensache.«

Mein Gott, was war ihr denn die Hauptsache? –

*

Als der Morgen graute, war nur noch eine schwache Hoffnung vorhanden, einen Theil der kostbaren Maschinen zu retten. Inzwischen war von allen Seiten her Hilfe gekommen und zahllose kräftige Arme waren dabei, aus den rauchenden Trümmern ins Freie zu schaffen, was noch der Erhaltung lohnte. Glühend heiß stand im Garten die feuerfeste Kasse, auch ein paar Maschinen, die im Souterrain untergebracht gewesen waren, sonst nur verkohlte Trümmer.

»Ein verrücktes Frauenzimmer,« hatte Müllhardt sich ärgerlich gesagt, als er Kamillas Gleichgiltigkeit sah. »Mag es doch brennen!« warf sie hin, »ich werde das Letzte hergeben, für die brodlosen Arbeiter, etwas wird ja doch bleiben! Was mich betrifft, so wäre es am besten, ich wäre mit verbrannt.«

Das war natürlich irgend eine dumme Liebesgeschichte. Wenn junge, schöne Frauen so reden, so ist's nicht anders.

Er selbst, der alte Freund Goldeggs, war die ganze Nacht auf dem Posten gewesen und hatte, ohne eigentlich helfen zu können, gesehen, wie das große herrliche Werk in Schutt und Asche sank. Es ging ihn ja nichts an, dennoch blutete ihm das Herz. Freilich, er wußte, daß die Anlage mit einer enorm hohen Summe versichert war, der directe Brandschaden würde ersetzt werden; aber ein schwerer Rückgang des Geschäfts war nicht zu vermeiden. Es würde Jahr und Tag dauern, bis alles hier wieder aufgerichtet wäre und noch länger, bis der Verlust hereingebracht sein konnte.

Wer mochte an dem Unglück Schuld sein? Wirklich der junge Paul Basler, der so todesverachtend löschen half? Vielleicht, das war ein Fanatiker, daher unberechenbar, er glaubte sich benachtheiligt, er war es vielleicht auch! Das sind die Leute, die »Brandfackeln schleudern«, die mit den flammenden Augen, den beredten Lippen, den vor Leidenschaft zitternden Händen.

»Der arme Kerl,« dachte Müllhardt. Der Justizrath war ja abgestumpft; wie viele Spitzbuben hatte er nicht schon vertheidigt, wirkliche Gauner, aber dieser junge Mann da ergriff ihn. Wenn der ins Zuchthaus müßte, das wäre schade. Und Hassemann würde ja nicht ruhen, bis er es dahin gebracht.

Sonderbar, Hassemann war nicht da, ließ sich gar nicht blicken. Er, der Pflichtgetreue, der sonst so Unermüdliche! Paul Basler hatte statt seiner die Leitung der Löscharbeiten übernommen, bis berufsmäßig geschulte Feuerwehrleute kamen, und dann noch war er derjenige, der überall mit zufaßte, der überall zuerst am rechten Platze stand.

In den ersten Morgenstunden waren alle tief erschöpft. Die Mannschaften waren schon zum zweiten Male abgelöst worden, jetzt erschien auch Frau Goldegg und nahm Müllhardt und Paul Basler in die Villa. Hier waren viele Fensterscheiben gesprungen, Gardinen versengt, der Dachstuhl abgebrannt, aber die eigentlichen Wohnräume waren intact geblieben.

Basler war ihr willig gefolgt. Sowohl ihre unfreundliche Abweisung war verwischt wie die gütige Theilnahme die sie ihm gestern erwiesen, und dennoch bestand etwas wie ein stilles Einverständniß zwischen ihnen beiden. Paul Basler wurde von Frau Goldegg getröstet und gelabt. Sie brachte ihm eigenhändig Waschwasser, Thee, Wein, kaltes Fleisch, sie drückte ihm die Hände – ihr lag ja augenblicklich nichts an ihrem Eigenthum, aber eine enthusiastische Natur, wie sie war, rührte sie die Hingebung des jungen Mannes.

Auf der köstlichen Ottomane in Kamilla's Boudoir lag der erschöpfte Paul.

»Sie sind zu gütig, gnädige Frau – aber was nützt mir das Alles! Wenn Sie mir nicht zu meinem Rechte verhelfen, so ist's besser, ich sterbe – sterbe!«

Und von Mattigkeit überwältigt schlief er ein.

Kamilla schien nicht müde. Eine furchtbare Erregung hielt alle ihre Nerven wach. Auch Müllhardt fühlte seine Augen zufallen, obgleich draußen noch immer der wüthende Lärm der spritzenden, schleppenden, bergenden Mannschaft tobte. Er hätte gern geschlafen, aber Paul's Angelegenheit hielt ihn wach.

»Gnädige Frau,« begann er jetzt, »haben Sie denn die Sache Paul Basler's geprüft?«

»Welche Sache?« fragte sie ganz verstört. »Ach so – ja – ja, ich bat Sie deßhalb zu kommen. Es trat aber etwas Anderes dazwischen. Gut – ganz recht, der junge Mann meint Ansprüche zu haben … Ich wünsche auch, ihn abzufinden. Bitte, Herr Justizrath, arrangiren Sie das.«

»Nur so arrangiren, Gnädige,« versetzte er. »Sie denken, ein Anwalt macht das mit dem kleinen Finger, nicht wahr? Der Mann läßt sich nicht abfinden.«

»Ja warum nicht?« sagte Kamilla ungeduldig. »Sie bezweifeln doch nicht, daß ich mein letztes Stück Brot mit ihm theilen würde?«

»O nein,« sagte der Justizrath, »aber auch mit diesem letzten Stück ist ihm nicht gedient – er will eben sein Recht, auch wenn er vorläufig nicht einen Bissen Brod davon hat.«

»Ja, ja, ich verstehe. Das heißt, ich verstehe nicht,« sagte sie wie geistesabwesend. Man sah es deutlich, sie wußte kaum, was sie sprach, und auf einmal fiel sie mit einem furchtbaren Thränenstrom dem Anwalt fast in die Arme.

»Sie müssen mir helfen, Herr Doktor – er hat mir mein Kind entführt – während des Feuers.«

Einen Augenblick glaubte Müllhardt an Irrereden.

»Welcher Er?« fragte er ganz bestürzt, »welches Kind?«

»Ich will es Ihnen ein andermal erzählen,« keuchte sie, »ich habe mich wieder verheirathet, bin meinem Manne entflohen, und er hat mir heute mein Kind entführt!«

»Ich muß fast glauben, gnädige Frau, Sie erzählen mir einen Roman, an dem Sie schreiben. Und dieser Roman soll realistisch sein. Also wünschen Sie zu wissen, welcher Paragraph …«

Sie stampfte mit dem Fuße auf.

»Sehe ich aus, als ob ich scherzte?« protestirte sie in herzbewegender Erregung.

Er hatte Unrecht. Ihr Jammer, ihre Thränen waren wahr. Und mit der Gewissenhaftigkeit und Sachkenntniß eines geschulten Rechtsfreundes gab er ihr Bescheid, sagte ihr, was man thun könnte; er wollte sogleich an's Werk gehen, auf der Stelle.

»Bitte, wer ist der Mann?«

»Auch ein Anwalt,« stieß sie hervor.

Müllhardt schlug sich an die Stirn.

»Doch nicht Doktor Horn?«

»Ja,« rief sie, ihn anstarrend, »er ist es, wie wissen Sie …?«

»Er hat sich mir entdeckt, freilich ohne Namensnennung. Aber seien Sie ganz ruhig, gnädige Frau, das ist ein anständiger Mensch – man wird sich mit ihm arrangiren. Ich werde Ihnen das Kind zurückverschaffen. Beruhigen Sie sich nur. Natürlich – das bringe ich in Ordnung, Sie müssen mir gleich die Papiere geben.«

Kamilla machte einen Versuch, sich zu erheben, aber auch sie fühlte jetzt die bleierne Müdigkeit in allen Gliedern. Und genau so erging es Doktor Müllhardt. Nachdem noch Beide sich überzeugt hatten, daß das Feuer nunmehr endgültig lokalisirt sei, gestanden sie einander, wie todtmüde sie wären.

»Ach, ich habe noch so viel mit Ihnen zu reden,« sagte Kamilla, »Sie ahnen gar nicht, welch' furchtbares Schicksal mich erreicht hat.«

»Nur Muth und Fassung, gnädige Frau, wir werden der Sache noch Herr werden. Ich muß jetzt nach meiner Tochter sehen, die ich da drinnen im ›Adler‹ versetzt habe.«

»Wollen Sie nicht vorher ausruhen, Herr Justizrath?«

»Nein,« rief er, sich zum Gehen wendend, »erst Lora …« Und fort war er.

Kamilla selbst sank jetzt beinahe um, Thränenströme vergießend. Sie war fast ganz allein hier, alle Welt noch auf dem Brandplatze beschäftigt, auch Frau Smith war fort, sie mußte dem Kinde nachgelaufen sein. In dem furchtbaren Trubel von gestern, in der Angst, die Jeder um sich selbst ausstand, hatte kaum Einer beachtet, daß der fremde Herr mit nothdürftig verbundenen Händen davongefahren war, Frau Smith und das Kind mit sich nehmend, während Kamilla von Paul Basler zu irgend einem besonders gefährlichen Punkte gerufen worden war. Der Fremde hatte den erstbesten Wagen benutzt, man glaubte, den des Bürgermeisters.

Wie gesagt, in all' der Angst und Aufregung waren diese sonderbaren und unbegreiflichen Vorgänge kaum beachtet worden.

Doktor Müllhardt fuhr jetzt in einem überzählig gewordenen Feuerwehrwagen nach dem Städtchen. Er schlief ein, trotz des Schüttelns und Stoßens auf diesem ungewohnten Platze.

Allerdings, er hatte Lora im Laufe der Nacht eine Botschaft gesandt, dennoch war er in Sorge, weil er sie in Sorge wußte. Und dann, er mußte ruhen, er meinte es nicht mehr auszuhalten.

Aber es war ihm nicht vergönnt, nach diesen Strapazen Rast zu finden. Zuerst machte Lora, die in dem schlechten Hotelzimmer verzweifelte, ihm eine furchtbare Szene. Sie war rein außer sich. Schon ihre Abreise von Berlin war ein Akt der Verzweiflung gewesen und nun dieses gräßliche sogenannte Hotel und die ganze Nacht dieser Feuerlärm und Papa kam nicht … Ja, wo blieb er, um Gottes willen? Warum mußte er bei dem Feuer bleiben, wenn sie hier auf ihn wartete?

Sie hatte bis Mitternacht am Fenster gestanden. Da sah sie auf einmal unten einen Wagen halten, den sie anfangs für den ihres Vaters hielt. Bei dem spärlichen Schein der Hauslaterne sah sie einen Mann heraussteigen, der ihr so seltsam bekannt erschien. Aber das war doch rein unmöglich – wie käme Doktor Horn hierher? Gewiß, nur ihre uneingestandene Sehnsucht zauberte ihr dies Bild vor Augen!

Und dennoch war es Wirklichkeit gewesen. Es war Doktor Horn, der im Wagen saß, neben ihm Frau Smith mit dem Kinde.

Guido konnte keine Feder halten mit seinen verbrannten Händen; er diktirte dem Kellner auf einer Visitenkarte zwei Zeilen: »Liebe Klementine, nimm die Ueberbringerin dieses und das Kind freundlich auf – Näheres mündlich. Ich hatte einen Unfall mit der Hand. Frau Smith wird Dir das Nähere darüber berichten.«

Dann brachte er Frau Smith mit dem Kinde nach dem Bahnhofe, wo um Mitternacht ein Zug in der Richtung nach Berlin abging. Er selbst wollte noch bleiben, weil er inzwischen von der Ankunft des Justizraths Müllhardt erfahren hatte und sich wegen seiner Scheidung gleich mit ihm berathen wollte. Doktor Müllhardt sollte in seinem Namen der Frau Goldegg versichern, daß er lediglich auf Scheidung bestände, aber nichts von ihr annehme. Das Kind würde er selbst versorgen. Er fühlte in der ungeheuren Erregung kaum die Schmerzen in seiner Hand.

Nun war ja endlich Alles klar gestellt. Er war ärmer denn je – das Weib, das ihm sein Kind unterschlagen, glaubte er zu hassen, aber der Gedanke, für sein Kind zu kämpfen, würde ihm Riesenkräfte geben.

Nur flüchtig hatte er es an's Herz gedrückt. Ach, er nahm dem hülflosen kleinen Wesen die Mutter, aber er würde dem Kinde Alles ersetzen und – war nicht auch Klementine da, die Gute?

Dicht neben dem Stübchen, das er sich im »Adler« hatte geben lassen, weilte Lora, ohne daß sie von einander wußten. Beide standen sie jetzt am Fenster, die allmählich sich abschwächende Feuerröthe beobachtend.

»Mochte die verwünschte Fabrik verbrennen,« sagte er sich. Er fluchte dem Augenblick, wo er den Namen der »Firma« zuerst erfahren und sich in den Sumpf der Mitgift hatte locken lassen. Arm und beraubt, aber als ein Mann mit fleckenloser Ehre wollte er diesem Sumpf wieder entsteigen. Und er dankte dem Himmel, der ihm das Kind gegeben – diesen seinen guten Engel. Das Kind würde ihn retten. –

Ja, es wurde ein heißer Tag für Müllhardt, heißer noch als die Feuersbrunst gewesen.

Auf einmal hatte er es nur mit furchtbaren Schicksalen zu thun, die mit der bloßen Citirung von Paragraphen nicht zu bewältigen waren. Schon der Fall Paul Basler machte ihm Kopfzerbrechen. Er schämte sich, dem jungen Manne sagen zu müssen, daß er eigentlich keinen Rath wisse. Und doch, woher nur gleich den Beweis nehmen? Das war schon schlimm genug. Und kaum, daß er Lora für den Augenblick beschwichtigt hatte, nur für den Augenblick, denn sie mußte ja doch erfahren, wie es mit Guido Horn stand, da kam auch schon Hassemann schreckensbleich in's Zimmer getaumelt.

»Mir ist etwas Furchtbares widerfahren, Herr Justizrath,« lallte er.

»Um Gottes willen, Direktor, ein Mann wie Sie – die Nüchternheit, der praktische Sinn selbst – wie kommen Sie zu einem furchtbaren Schicksal? Das muß hier rein in der Luft liegen! Aber entschuldigen Sie mich, ich habe jetzt keine Zeit. Ein Vierteldutzend andere furchtbare Schicksale liegen auf mir. Bitte geduldigen Sie sich nur eine Stunde wenigstens. Ich muß mich auch noch waschen und etwas frühstücken.«

Mit einer schier unerklärlichen Niedergeschlagenheit antwortete Hassemann:

»Gewiß, ich kann warten. Meine Sache ist nicht so rasch zu ändern.«

Müllhardt blieb schließlich nicht einmal die Zeit, sich zu waschen. Hungrig, angerußt und todtmüde, wie er war, wurde er nun auch noch von Horn überrascht. Er winkte dem jungen Anwalt zu:

»Auch Sie leiden an einem furchtbaren Schicksal, Kollege, ich weiß – ich weiß Alles, von Frau Goldegg. Wo ist der Junge?«

Horn vermochte sich nicht gleich zu fassen. Auf ein Sopha sinkend stieß er hervor:

»Schon fort, zu meiner Schwester, nach Berlin.«

»Narr, der Sie sind,« rief der Justizrath, »das Kind unter fünf Jahren gehört der Mutter, das müssen Sie doch selbst wissen – Paragraph 204, alinea b. Warum machen Sie sich erst diese Schererei? Sind Sie nicht ein Thor?«

»Hole der Teufel die Paragraphen! Ich bin nicht nur Anwalt, sondern auch Mensch – Mann sogar! Eine Frau, die mir so davonläuft, erkenne ich nicht als die Mutter meines Kindes an. Ich behalte den Jungen – mag sie prozessiren.«

»Aber Mann, Mann,« suchte der Justizrath zu begütigen, »Sie stehen ja ohnehin nicht glänzend da. Und nun halsen Sie sich auch noch ein Kind auf, das eine reiche Mutter hat! Bedenken Sie doch, seien Sie vernünftig.«

»Ich kann nicht anders, Herr Justizrath – ich will mein Kind.«

»Das ist nur halb richtig, lieber Horn! Sie wollen nicht nur das Kind haben, sondern auch die Mutter ärgern!«

Horn erröthete. Es war nicht unwahr, was der Justizrath sagte – er liebte und haßte diese Frau in einem Athem, doch beharrte er darauf:

»Ich gebe das Kind nicht heraus! Natürlich sind Sie der Anwalt der Frau Goldegg – da muß ich mir einen Andern suchen.«

»Vorerst entschuldigen Sie, Kollege, ich muß mich waschen, und dann will ich Ihnen etwas sagen.«

Es trat eine kleine Pause ein, und jetzt sagte Müllhardt mit seiner alten Entschlossenheit:

»Ich werde einmal mit der Wahrheit herausrücken, wie das eigentlich immer meine Manier war. Sie gefallen meiner Tochter! Und da Sie außerdem ein tüchtiger Mensch sind, so will ich, wie ich Ihnen schon sagte, Sie zu meinem Sozius annehmen. Das ist eine glänzende Aussicht, nicht wahr?«

Guido Horn fuhr sich mit dem Tuch über die Stirn.

»Es ist mehr, als ich verdiene, Herr Justizrath,« brachte er mühsam hervor.

»Keine Redensarten, mein Lieber, wenn ich bitten darf! Sind Sie wirklich gesonnen, sich von Frau Goldegg zu scheiden, so werde ich die Sache beschleunigen. Aber ich bitte: werden Sie sich vor Allem klar und bleiben Sie fest. Die Goldegg wird Ihnen Geld bieten.«

»Das hat sie schon gethan,« sagte Guido knirschend, »ich habe es natürlich nicht genommen.«

»Sehr schön von Ihnen, lieber Freund, aber ich kann mir nicht helfen, ich glaube Ihnen nicht recht! Sie sind mir viel zu aufgeregt. Wenn es Jemanden wirklich ernst ist mit der Scheidung, so muß das ganz anders aussehen.«

Horn stampfte zornig auf.

»Mein Wort darauf! Es liegt allerdings nur ein Irrthum vor, ein schweres gegenseitiges Mißverständniß, ich will Ihnen nur nicht alle Einzelheiten erzählen – aber die Sache ist irreparabel.«

»Nun gut denn, ich will Ihnen glauben, will die Sache in die Hand nehmen und Frau Goldegg zu einer Scheidung auf Grund gegenseitiger, unüberwindlicher Abneigung bewegen.«

Horn fühlte den Angstschweiß auf der Stirn. War er nicht im Begriffe, eine neue Gemeinheit zu begehen? Denn er liebte doch Jene, die in diesem Augenblicke noch sein Weib war! Und wenn er Müllhardts Unterstützung annahm, so war das schon eine halbe Werbung um Lora …

Dennoch – noch einmal winkte ihm alles, was er je ersehnt hatte, Reichthum, Stellung, Sorglosigkeit. Und er hatte ein Kind, hatte die furchtbare Schuld an Klementine – das alles wirbelte ihm jetzt durch den Kopf. Durfte er diese glänzende Chance von sich weisen?

Und trotz alledem sträubte sich sein Herz. Sich verkaufen, zum zweiten Male! »Elender!« rief es ihm in seiner Brust zu. War nicht wieder die Mitgift der Kaufpreis?

Er wurde der Antwort auf Müllhardts Antrag enthoben, denn Lora trat ein. Sie hatte Horn gesehen und gehört – sie glaubte, er sei ihr nachgereist. Was hätte sie sonst glauben sollen? Wie käme er sonst hierher?

Müllhardt war beinahe erleichtert, als er sie kommen sah. Mochten nun diese beiden Leutchen mit einander fertig werden. Er ging, um ein wenig zu schlafen.

Eine kurze, bedeutungsvolle Pause trat ein, nachdem er die Thür hinter sich geschlossen hatte. Endlich ergriff Lora resolut das Wort.

»Wie kommen Sie hierher, Herr Doctor?« fragte sie und sie lächelte ihn so kokett an, als wäre sie im Ballsaal, wo sie einen Tänzer bestimmt erwartet. Er war also doch gekommen, der Tänzer? Aber sie freute sich und machte kein Hehl daraus, ihre Augen glänzten vor Befriedigung.

Sie sah ganz reizend aus. Vornehm bei aller Reiseeinfachheit, sie war die Personificirung alles dessen, was er so im Allgemeinen gewünscht hatte: Schönheit, Eleganz, Reichthum, Stellung. Er brauchte nur die Hand auszustrecken. Wie sehr würde er beneidet werden, als Gatte Loras. Und andererseits, warum war ihm so elend zu Muthe? Kamilla war ihm ja doch verloren, weshalb nicht zugreifen?

Aber gleichviel. Vor allem mußte Lora alles wissen. Ohne auf ihren leichten Ton einzugehen, antwortete er ernst:

»Ich bin hier, Fräulein Lora, in einer sehr traurigen Angelegenheit und hatte keine Ahnung, Sie hier zu treffen.«

Sie war sichtlich bestürzt. Er war ihr also nicht nachgereist? Und schien auch gar nicht gestimmt, sich zu unterhalten, ihr den Hof zu machen? Gott wie verdrießlich! Auch sie schwankte einen Augenblick. Sollte sie sich noch länger um diesen Mann bemühen? Schon verzog sie den Mund zu einer spöttischen Antwort, da besann sie sich. Ihn abfallen zu lassen, das blieb ihr ja noch immer. Es hatte Zeit, wenigstens bis zur Abreise …

Sie nahm eine theilnehmende Miene an.

»Was ist Ihnen denn geschehen, lieber Herr Doctor?« fragte sie ihn mit ihren leuchtenden Blicken ermunternd.

»Darf ich Sie mit einer sehr ernsten Angelegenheit behelligen?«

Sie hatte jetzt eine ganz würdige Miene aufgesetzt.

»Ich glaube, Sie unterschätzen mich, Herr Doctor! Ich bin nicht nur eine Modedame! Wollen Sie es auf eine Probe ankommen lassen?«

»Ja.«

»Nun denn, sprechen Sie.«

Und jetzt fuhr er rücksichtslos heraus:

»Was mich hierher führt, mein gnädiges Fräulein, ist nichts geringeres als die Scheidung von meiner Frau!« –

Lora wäre fast umgesunken vor Schreck, er aber fuhr fort:

»Ich habe mich vor mehr als Jahresfrist verheirathet; die Ehe nahm gleich von Anfang an eine so unglückliche Wendung, daß ich gar nicht dazu kam, sie zu publiciren. Und jetzt stehe ich im Begriff, mich zu scheiden.«

»Ach, das ist ja sehr interessant,« glitt es der Salonpuppe heraus.

»Vielleicht für Andere,« sagte er unwirsch, »für die Zeitungen – für den Betreffenden nicht.«

Er gefiel ihr in seinem Ernst. Aber sollte man sich mit einem Geschiedenen abgeben? Allerdings es kam auf die näheren Umstände an. Zunächst brauchte man ihn noch nicht fallen zu lassen.

»Sie werden frei und wieder glücklich werden, Herr Doctor,« sagte sie.

»Das hoffe auch ich, wenn es auch nicht so leicht ist. Die Scheidung freilich wird in aller Stille und ohne Schwierigkeiten unter Mithilfe Ihres Vaters erfolgen. Was aber nicht so leicht sein wird, ist eine Mutter für das Kind zu finden, das ich unbedingt behalten will.«

Diesmal taumelte Lora wirklich einige Schritte zurück.

»Ein Kind – ein Kind?« stammelte sie mit blassen Lippen. »Sie haben ein Kind?«

Das entschied. Ein fremdes Kind mochte sie nicht. Man würde das lächerlich finden. Aber ihre Neugier war auf das Höchste gereizt.

»Wo haben Sie es, wenn ich fragen darf?«

»Zu meiner Schwester geschickt, nachdem ich es fast gewaltsam der Frau Goldegg geraubt habe.«

Lora zuckte von neuem zusammen. Die Goldegg – die reiche schöne Frau? Sie war der Gegenstand der »großen Liebe« Horns, diese Liebe, die Lora schlaflose Nächte gemacht hatte? Diese Frau hatte ohnehin schon alles und sollte auch noch so geliebt werden?

Der einen Mann abjagen, das freilich, das lohnte. Und sie, Lora, sie wollte diesen Mann!

Sie trat jetzt auf Guido zu. Ihr Zögern, ihr Schreck schien nur zu sehr natürlich, nur zu begreiflich.

»Es scheint mir eine sehr schöne Aufgabe,« sagte sie mit schmelzender Stimme, »Ihnen alles zu ersetzen, was Sie verloren! Ich bin überzeugt, Herr Doctor, Sie werden ein Mädchen finden, das sich für diese Aufgabe begeistert. Sowie ich nach Berlin komme, soll es mein erstes sein, Ihr Kind zu besuchen … Ist es ein Knabe, ein Mädchen?« setzte sie lebhaft hinzu.

»Ein Knabe, ein Sohn.«

Ein Sohn! Wie stolz er das sagte. Und wirklich, in allem Leid schwoll seine Brust vor Hochgefühl.

Er sah ihr fest ins Auge.

Wenn sie diese Probe bestand, sich vor seinem Schicksal, vor dem Kinde sogar nicht graute, dann wahrlich, dann steckte mehr in ihr, als er vermuthete. Er küßte ihr die Hand.

»Ich danke Ihnen für die freundliche Absicht – meinen Sohn zu besuchen.«

Er sagte nicht anders als »mein Sohn …«

»Ich muß fort, mit dem nächsten Zuge, gnädiges Fräulein, ich war ja nur geblieben, um Ihren Papa noch einmal zu sprechen. Auf Wiedersehen denn in Berlin.« Und er schritt hinaus.

Ach, wie gefiel er ihr mit seinem stolzen, ernsten Wesen! Und den Jungen – nun der mußte eben in eine Pension, das würde man nachträglich schon machen.

Sie mußte doch alles dem Papa sagen, daß sie unbedingt den Doctor Horn heirathen wolle. Ja, Papa war schon wieder wach. Director Hassemann hatte ihn soeben rücksichtslos geweckt, er konnte nun doch nicht länger auf Bescheid warten.

Ob es eine juristische Möglichkeit gäbe, die versicherte Summe bei Brandschaden zu erhalten, wenn man versäumt hätte, die Police zu erneuern? fragte er.

»Nein,« antwortete der Justizrath, »eine solche juristische Verpflichtung besteht nicht.« Und mit plötzlichem Schrecken fügte Müllhardt hinzu: »Sie haben doch nicht etwa …?«

»Ich habe gestern Abend das Geld geschickt,« log Hassemann, »es war aber schon am Freitag verfallen.«

»Das ist sehr böse,« meinte der Justizrath, »indessen vielleicht ist man coulant. Haben Sie denn den Postschein?«

»Verbrannt, alles verbrannt, auch meine Baarschaft – aber das ist Nebensache!«

»Nun,« meinte Müllhardt, ein wenig ruhiger, »die Post hat ja ihre Eintragungen; ebenso muß der hiesige Beamte bestätigen können, daß das Geld aufgegeben und schließlich ist ja auch Ihr Bote ein Zeuge, wenn nur … Sie sehen ja so erdfahl aus?«

»Es wird sich alles arrangiren,« sagte Hassemann und taumelte davon.

Müllhardt setzte eine Depesche an die »Thuringia« auf, um anzufragen, ob der Prämienbetrag richtig angekommen sei. Mit halbem Ohre hörte er dabei zu, wie Lora ihm versicherte, sie und Horn hätten sich gefunden …


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