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Im Gasthause zum »Osterlamm« geht es heute hoch her. Das niedere, verwitterte Haus, dem an der Seitenfront ein langgestreckter Saal angebaut ist, steht inmitten jenes stillen Teiles der alten Vorstadt Wieden, welcher mit einer schmalen, unsauberen und übelriechenden Passage, dem sogenannten »Hechtengaßl« beginnt und sich mit seinen vielverzweigten, meist engen und winkeligen Straßen und Gäßchen bis an den »Linienwall«, dem alten, festungsähnlichen Steuergürtel erstreckt, der Wien von seinen Vororten scheidet.
Hieher führt Franz seine beiden Nachbarinnen, Frau Schober und Lori.
Er hat der Mutter den Arm gegeben und Lori trippelt vergnügt neben ihnen her, immer einen halben Schritt voraus, denn sie kann ihren Eintritt in den Saal kaum erwarten. Die Vorübergehenden betrachten wohlgefällig das hübsche Mädchen und belächeln das ungleiche Paar, das langsam und schwerfällig folgt, wobei Franz seine Begleiterin mehr tragen als führen muß, denn Frau Schober ist an ihre bequemen Hausschuhe gewöhnt und vermag in den engen Feiertagsstiefelchen nur mit besonderer Behutsamkeit und nicht ohne ein leises Ächzen aufzutreten.
59 In dem schmalen Vorraume, der den Saal von der Straße trennt, stellt Franz den Frauen einen gleichzeitig mit ihnen eintretenden Freund, Herrn Pepi Burger, vor und tritt dann an die Kasse – ein wackliges Nähtischchen der Wirtin – um die Eintrittskarten zu lösen.
Herr Burger, welcher seiner Vorstellung nicht ohne stolzes Selbstbewußtsein die Bemerkung hinzufügt, daß er Geschäftsführer der Modewarenhandlung »zum Tiger« sei, sucht unterdessen mit Frau Schober und Lori ein Gespräch anzuknüpfen.
»Wenn mich die Damen einmal im »Tiger« besuchen wollen,« beginnt er zuvorkommend, »so werde ich die Ehre haben Ihnen das neueste in Halb-, Ganz- und Rohseide vorzulegen, durchaus Prima-Ware, solid und billig!«
Er sagt dies mit einer würdevollen Artigkeit, welche Frau Schober auf der Stelle für ihn einnimmt; es schmeichelt ihr übrigens nicht wenig, daß er sie für eine Käuferin so kostbarer Waren hält. Sie beeilt sich deshalb auch, ihm die höchst merkwürdige Geschichte eines Seidenkleides zu erzählen, das ihre Mutter einmal von einer Großtante erbte, später aber, da es brüchig zu werden drohte, an eine Puppenschneiderin verkaufen mußte, welche jedoch nur für die feinsten Herrschaften arbeitete.
Der würdevolle Geschäftsführer vom Tiger dreht sein kleines wohlgepflegtes Schnurrbärtchen, fährt sich mit der weißen, wohlberingten Hand vorsichtig durch die zierlich gescheitelten Haare und zeigt herablassend lächelnd seine schimmernden Zähne. Lori betrachtet ihn jetzt erst genauer . . . Er ist wirklich sehr hübsch! Und dabei so zierlich und sorgfältig gekleidet! Von den glänzenden Lackschuhen mit den gelben Tucheinsätzen, bis hinauf zur ziegelroten Kravatte mit der glitzernden Nadel darin, sitzt jedes Stück so tadellos und blinkt 60 so neu, . . . wie schade, daß Franz gar so wenig auf ein vornehmes Äußere hält!
Jetzt ertönt Musik aus dem Saale. Lori zuckt mit den Füßchen und blickt ungeduldig nach ihrem Begleiter aus, der noch immer wartend an dem Nähtischchen steht, da er vor jedem neuen Ankömmling, der sich herandrängt, bescheiden zurücktritt. Eben schiebt ihn wieder eine kleine Gesellschaft, die laut lachend den Vorraum betritt, kurzweg zur Seite.
Drei junge Männer sind es, nach der Art vornehmer Stutzer gekleidet. Sie unterhalten sich im gedehnten Tone über die Köpfe der Anwesenden hinweg; scherzen, um sich das Ansehen von alten Habitués zu geben, in ziemlich derber Weise mit der ältlichen Frau, die ihre Überröcke in Verwahrung nimmt, und werfen dem alten Manne, der ihnen dienstfertig die Saalthüre öffnet, eine kleine Münze zu, die durch den ganzen Raum kollert und von dem Alten schließlich unter einem Stuhle hervorgeholt werden muß.
Das scheint ihnen ein köstlicher Spaß, denn sie belachen ihn laut, die Hände in den Taschen vergraben und den Hut aus der Stirn geschoben.
Dabei bemerken sie Lori, die noch immer mit der Mutter und dem schönen Geschäftsführer in der Ecke steht und auf Franz wartet.
»O! Ein famoses Mädl!« sagt laut derjenige unter ihnen, welcher auch bisher zumeist das Wort führte. Er ist ein schlanker, leidlich hübscher junger Mann mit wenig ausdrucksvollen, doch regelmäßigen Zügen, die er freilich durch eine gelangweilte Grimasse entstellt.
Jetzt klemmt er ein Glas ins Auge und starrt Lori unverschämt an. Seine beiden Begleiter stimmen ihm bei. Es sind putzige Kerlchen von schmächtiger, kleiner Gestalt, aber trotz ihrer Jugend mit müden welken Zügen und schlaffer Haltung.
61 »Charmant!« rufen sie gedehnt. Dabei begucken sie das errötende Mädchen mit frechster Ungezwungenheit vom Kopf bis zu den Füßen.
»Wirklich ganz charmant!«
Da Franz nun endlich seine Karten erhalten hat und unter wiederholten Entschuldigungen herzueilt, um Mutter und Tochter in den Saal zu geleiten, treten die jungen Leute ein wenig beiseite, ihren lauten Ausruf wiederholend, während Lori an ihnen vorbeikommt.
Franz bemerkt sie nicht. Im Saale steuert er durch das Gewirre von Stühlen und Tischen den Freunden zu, welche einen vortrefflichen Platz ganz nahe der improvisierten Bühne erobert haben und ihm bereits zuwinken. Dabei ist er im Vorwärtsschreiten eifrig bemüht, keinen Gast zu belästigen, bittet ununterbrochen um Verzeihung »wegen der Störung«, hebt herabfallende Hüte und Schirme sorgsam wieder auf und verbeugt sich bald nach rechts, bald nach links, bis er endlich an sein Ziel gelangt.
Ihm folgt Lori. Sie senkt bescheiden den Kopf und sieht anscheinend unverwandt zu Boden. Aber ihre Blicke wandern doch heimlich durch den Saal und haften sekundenlang auf jedem Antlitze, das sich ihr bewundernd zuwendet.
. . . Ja, das ist das Gucken und Flüstern bei ihrem Eintritte, das sie erwartet hat; das sind die fröhlichen, schwatzenden Menschen, das ist das Summen, der Lichterglanz, . . . ach, hier ist's schön! Nur nicht daheim zu sitzen, nur nicht die alltägliche Langeweile erdulden zu müssen, schien ihr schon ein Vergnügen, nun merkt sie, daß es damit noch lange nicht gethan ist. Sie will sich unterhalten, will gefallen, will plaudern und lachen, . . . das alles kann sie hier.
Franz ist doch ein lieber Mensch, daß er sie hieher führte! Freilich hat sie ihn erst selbst dazu ermuntern müssen, . . . 62 wie schade, daß er überhaupt gar so ungeschickt und wenig leichtlebig ist! . . .
An dem Tische, den endlich auch Frau Schober keuchend erreicht, giebt es ein Aufstehen und Vorstellen. Der fettleibige junge Mann mit dem runden gutmütigen Gesichte, dem aber doch der Schalk aus den kleinen, zwinkernden Äuglein guckt, ist Herr Schanzl, der Sohn des reichen Fleischers vom Naschmarkt. Frau Schober kennt den Vater Fleischer sehr gut und macht dem Sohne ein respektvolles Kompliment.
Der beleibte junge Mann hat vor mehreren Jahren den kurzen Feldzug gegen die Aufständischen in der Civoscie als Reservist mitgemacht und widmet sich seither einzig und allein der Erholung von den Strapazen jener bösen, in den dalmatinischen Bergen zugebrachten Wochen. Böse Zungen behaupten zwar, daß er das Weichbild der sicheren Festung Cattaro nicht verlassen habe, da er nur bei der »Verpflegungsbranche« Verwendung finden konnte, aber das ist gewiß eine arge Verleumdung.
Sein Nachbar, der hagere lange Mann, der in militärisch strammer Haltung auf seinem Stuhle sitzt und zur Begrüßung der Herantretenden kaum mit dem Perrückenkopfe nickt, ist Herr Storch, einem viel verbreiteten Gerüchte nach Beamter im Ministerium des Innern. Ihnen gegenüber sitzt endlich noch Herr Brantner, Besitzer eines Dienstvermittlungs-Institutes, ein kleines, buckliges Männchen mit dünnen, graublonden Haaren und einem spitzen, scharf gezeichneten Gesichte, dem nur die leicht gerötete Nase einige Würde und Behäbigkeit verleiht.
Herr Brantner gilt im Kreise seiner Freunde als ein überaus witziger Kopf und ist als solcher arg gefürchtet, denn sein Witz ist von jener persönlichen Art, die stets ein Opfer, eine Zielscheibe braucht. Da er aber seine Stiche durchaus 63 unparteiisch verteilt und immer allen über alle zu lachen giebt, so mag ihn jeder wohl leiden und keiner wagt es mit dem »famosen Spaßvogel« ernstlich zu rechten.
Heute ist er besonders gut gelaunt. Er zappelt den Herantretenden höflich entgegen und reicht Sturm mit dem verbindlichsten Lächeln die Hand, die der Bauführer ergreift, aber sofort erschrocken fahren läßt, da ihm der kleine Lustigmacher einen nassen Schwamm in die Hand drückt. Diesen kleinen Scherz hat Brantner heute schon zweimal mit Erfolg ausgeführt, indem er sowohl den ehemaligen Krieger, als auch den langen Rat – wie Herr Storch zumeist genannt wird, – in gleicher Weise begrüßte. Diese beiden finden den Spaß, da nun die Reihe an Sturm kommt, ganz unvergleichlich.
Nach dieser vielversprechenden Einleitung nimmt die kleine Gesellschaft Platz, doch gelingt es erst nach einer geraumen Weile Frau Schober und Lori zum Ablegen ihrer Tücher und Mäntel zu bewegen, denn sowohl Mutter als Tochter beginnen nun plötzlich das Schwierige ihrer Lage inmitten eines so völlig fremden Kreises zu erkennen und sich recht unbehaglich zu fühlen. Dazu kommt das düstere Gesicht des unheimlich lächelnden Rates, die verdächtig zuvorkommende Geschäftigkeit des kleinen Dienstvermittlers, die im Zusammenhange mit dem unaufhörlichen Kichern des Fleischersohnes gleichfalls nicht wenig beängstigend wirkt, und endlich die sichtliche Verlegenheit ihres Begleiters, der zwischen Mutter und Tochter sitzt und anfänglich kaum aufzublicken wagt. Da aber Brantners Spässe sich jetzt ausschließlich gegen die Umsitzenden wenden, die er der Reihe nach in possierlicher Weise durchhechelt, so macht die Befangenheit bald einer freieren Stimmung Platz; Frau Schober und Lori beginnen allmählich ihre warmen Umhüllungen abzustreifen und von dem Weine zu nippen, den ihnen Franz vorsetzen läßt.
64 Frau Schober zieht ihren Nachbar, den kleinen, rotnasigen Lustigmacher, in ein Gespräch über das Wetter, welche Unterhaltung Brantner zur besonderen Belustigung des Fleischersohnes in der ernstesten Weise aufnimmt. Lori sieht sich inzwischen erwartungsvoll im Saale um.
An den zahlreichen Tischen, die so nahe an einander gerückt sind, daß es den Kellnern oft nur mit Mühe gelingt, sich mit ihren Gläsern und Schüsselpyramiden durchzuschlängeln, sitzen dichtgedrängt Leute aus allen Ständen, zumeist jedoch die kleinen Bürger der Vorstadt mit ihren Frauen, nicht selten auch mit ihren Kindern, halbflüggen Mädchen und Knaben.
Die Luft in dem überfüllten Raume ist nicht allzu rein und erfrischend. Aus der anstoßenden Küche dringt der Geruch von heißem Fett und schmorenden Braten, mengt sich mit der dumpfigen, säuerlich riechenden Luft im gegenüberliegenden Schankzimmer und streicht stoßweise durch den Saal. Trotz der frühen Stunde liegt auch bereits eine schwere Dunstwolke über den Tischen, von welchen immer noch neue Rauchsäulen zur geschwärzten Decke aufsteigen; die Flammen der Gaslichter flimmern rötlichgelb wie die Straßenlaternen an Nebelabenden und flackern nur heller auf, wenn die Thüre geöffnet wird und der Luftzug die dichten Wolken auf Augenblicke auseinander jagt. Die rußigen, feuchtglänzenden Wände blicken mit ihren längst erblindeten hohen Spiegeln wie aus erloschenen Augen recht trübselig in das Gewirre, und durch die schwüle, erstickende Atmosphäre zieht ein unausgesetztes dumpfes Summen, aus dem nur hie und da ein lautes Lachen aufschnellt. Dazwischen klappern die Teller, schlagen ungeduldige Gäste klirrend an die Gläser, trappen die schmutzigen Kellner auf und nieder, schwingen ihre graubraunen Servietten und schnarren dabei, ohne die rufenden Gäste weiter zu beachten, eintönig ihr albernes: »Bitte sehr, bitte gleich!« in 65 das Getöse. Dieses vermag auch der greise Musiker, der unmittelbar unter der Bretterbühne sitzt und auf einem alten verstimmten Klaviere irgend ein langweiliges Konzertstück abhaspelt, nur selten zu übertönen.
Lori lacht vergnügt vor sich hin.
»Was ist?« fragt Franz, der eifrig in den Saalwinkel späht, nach welchem Lori eben den Kopf wendet.
»Nichts, – es gefällt mir nur gar so gut!« lautet die geflüsterte Antwort. »Ich dank' Ihnen, daß Sie mich hieher geführt haben«.
Der junge Bauführer fühlt sich so glücklich, wie noch niemals in seinem Leben. Allerdings hat ihn Lori bei ihren Dankesworten nicht einmal angesehen, denn ihre Blicke wandern nach wie vor unermüdlich durch den Saal, als könnten sie sich noch immer nicht satt schauen an dem bunten Bilde, aber ihre Stimme klingt so freundlich und um ihre Lippen spielt ein so frohes Lächeln, daß Franz entzückt ihre Hand ergreift und leise zu drücken wagt. Sie widerstrebt nicht, ja er glaubt sogar eine Erwiderung des Druckes zu spüren; dabei merkt er nicht, wie Loris unruhiger Blick plötzlich an einem Tische haftet, den die Kellner an der gegenüberliegenden Saalwand aufgestellt haben und an welchem nun unter großem Geräusch die drei jungen Leute Platz nehmen, die das junge Mädchen bei ihrem Eintritte in den Saal so unverschämt – bewundert haben.
Der hübsche Blondkopf unter ihnen, den Lori schon draußen im Vorraum ganz wohl bemerkt hat, klemmt aufs neue und recht auffallend sein Glas ins Auge und blickt, die schlanke Gestalt ein wenig zurückgebogen und den Arm lässig auf die Stuhllehne gestützt, unverwandt herüber. Zuweilen lächelt er, dreht sich eine Cigarrette und bläst den Rauch in blauen Ringen vor sich hin, ohne aber die Augen 66 von Lori zu verwenden, welche errötend den Kopf neigt und verlegen bald an ihrem Halstuche zupft, bald die Haare an den Schläfen glatt streicht.
An ihrem Tische ist es stiller geworden, Frau Schober hat sich infolge der Liebenswürdigkeit, mit welcher der »famose Spaßvogel« ihre Bemerkungen über das Wetter aufnahm und erwiderte, veranlaßt gesehen, demselben vertraulich näher zu rücken und ihm halblaut die Geschichte ihrer Jugend zu erzählen: – – wie ihre Mutter sich einbildete, ein Prinz müsse kommen um das Töchterl zu holen, und wie der Prinz dann zwar nicht kam, dagegen aber Herr Schober, den sie endlich auch nehmen mußte.
Der immer vergnügte Fleischerssohn, der die ungeduldige, zerstreute Miene, mit welcher sein Freund diese Mitteilungen über sich ergehen läßt, ganz ausnehmend komisch findet, sucht auch den ernst blickenden Rat an diesem Vergnügen teil nehmen zu lassen, indem er ihn durch wiederholtes Anstoßen mit den Ellbogen und lautes Räuspern auf das allerdings wunderliche Paar aufmerksam macht. Der schöne Geschäftsführer spricht keine Silbe, nur hie und da hebt er die wohlgepflegte Hand, zieht erst die blütenweiße Manschette sorglich vor und betastet dann mit den Spitzen der reichberingten Finger die rote Kravatte, den steifen Hemdkragen, das glatte Kinn, um schließlich vorsichtig an den feinen Schnurrbartenden zu drehen und dabei wohlgefällig den langgespitzten Nagel des stets weit abstehenden kleinen Fingers zu bewundern.
Dagegen zeigt sich Franz völlig verwandelt. Er ruft laut nach den Kellnern, fordert die Speisekarte, schiebt sie seinen Nachbarinnen zu und ladet diese ein, ihre Wahl zu treffen.
»Nur etwas recht Feines, denn das beste ist mir noch 67 zu schlecht für Sie!« flüstert er stolz dem jungen Mädchen zu, das eben wieder errötend den Kopf neigt, was den jungen Bauführer vollends übermütig macht, da er es als eine Antwort auf seine galante Aufmerksamkeit betrachtet.
Und da Lori verlegen lachend eine Wahl ablehnt, bestellt er selbst die teuersten Speisen, welche er auf der Karte verzeichnet findet und überdies einige Flaschen ›vom besten‹. Er reibt sich dann vergnügt die Hände und blickt triumphierend um sich, als wäre ihm jetzt eine rechte Schelmerei gelungen.
Plötzlich ruft der dicke Fleischerssohn im Tone heftiger Erregung:
»Was guckt denn der Kerl so unverschämt herüber?«
»Wer?« fragen alle durcheinander, nur Lori schweigt, blickt zu Boden und errötet noch tiefer als bisher.
»Der Kerl mit dem Monocle!« erwidert der Reservist und deutet mit dem Finger auf den jungen Mann, der dies bemerkend mit einem kurzen herausfordernden Lachen die Asche von seiner Cigarette schnellt und seinen kleinen Begleitern eine Bemerkung zuflüstert.
»Mir scheint der schön angezogene Wurstel lacht uns noch aus!« fährt jetzt auch der kleine Lustigmacher auf.
»Er soll sich nicht spielen mit uns!« ruft der ehemalige Krieger laut hinüber, ballt seine Respekt einflößende Faust und klopft mit den Knöcheln auf den Tisch, daß es dröhnt.
Glücklicherweise schlägt jetzt der alte Klavierspieler einen volleren Accord an, der den Lärm im Saale übertönt und gleichzeitig treten die Volkssänger auf die niedere Bühne. Händeklatschen empfängt die beiden verwitterten Gestalten, deren tadelloses Festgewand, – schwarzer Frack und weiße Binde– ganz wunderlich kontrastiert sowohl mit der schmutzigen, wenig festtäglichen Umgebung, als auch mit ihren eigenen derben und weingeröteten Gesichtern.
68 »Ein Duett!« ruft jetzt der eine mit heiserer Stimme. Der andere vervollständigt: »Die Liab' zu der Weanerstadt!« und der Alte am Klavier beginnt ein kurzes Vorspiel.
Der Fleischerssohn, dessen Groll mit dem Auftreten der Sänger sofort einer milderen Stimmung gewichen ist, schüttelt leise mißbilligend den Kopf.
»Ein fades Lied!« bemerkt er mit Kennermiene, wendet sich aber trotzdem erwartungsvoll der Bühne zu. Er kennt alle Lieder dieser Art, da er jeden Abend bei anderen Volkssängern zubringt, was nach seinem eigenen, etwas schwermütigen Geständnisse »seine einzige Freud' auf der Welt« ist.
Die Sänger beginnen nun ihr Duett, ein ziemlich plumpes Loblied auf Wien und die Wiener. Sie singen es in ihrer Weise, den Text ohne jegliche Rücksicht auf die begleitende Musik in kurzen, scharf betonten Sätzen hervorstoßend. Nur die Schlußzeilen:
»I leb' und sterb' für d' Weanerstadt,
Weil i a Weaner bin!«
werden ein wenig der Melodie angepaßt, und mit jenem übertriebenen Vibrieren der ausgesungenen Stimmen und jenem falschen Pathos vorgetragen, das seine Wirkung auf die Menge niemals verfehlt.
Auch diesmal folgt jeder Strophe Beifall, doch klingt er ziemlich matt. Der Fleischerssohn wendet sich unzufrieden seiner Gesellschaft zu, der er während des Vortrages ungeniert den Rücken zugekehrt hat.
»Nun, was hab' ich g'sagt?« gestikuliert er eifrig. »Ein fades Lied, nicht wahr? Es is gar so dumm, wenn sie einem vom Brettel herunter immer vorsingen, wie gut und schön wir sind.«
Die Sänger haben mittlerweile ein zweites Duett 69 angestimmt, diesmal ein lustiges Lied, das die Schattenseiten Wiens und der Wiener witzig verspottet. Jetzt ist der Beifall ein allgemeiner und stürmischer.
Der ehemalige Krieger singt den Refrain halblaut mit und ruft immer wieder entzückt:
»Was? Ist das ein famoses Lied? So eine Hetz war noch nicht da!«
Auch die übrige Gesellschaft scheint sich vortrefflich zu amüsieren.
Brantner, der »unübertreffliche Spaßvogel«, knüpft an jede Strophe eine Bemerkung, die allgemein belacht wird, insbesondere von Franz, dessen Stimmung von Minute zu Minute ausgelassener und heiterer wird. Er schlägt sich wiederholt mit der Hand schallend aufs Knie und flüstert seiner jungen Nachbarin immer wieder ins Ohr, wie glücklich er sich fühle.
Lori nickt dann zerstreut, horcht ein wenig auf das Lied, lacht wohl auch hie und da, jedoch nur dann, wenn im Texte just von einem Liebeshandel die Rede ist und beobachtet dazwischen immer wieder heimlich den hübschen Blondkopf, der sie nach wie vor unverwandt anstarrt. Wenn er ihren flüchtigen Seitenblick bemerkt und sich lächelnd verneigt, errötet sie und spricht rasch einige Worte mit Franz oder nippt an dem süßen Weine, der vor ihr steht.
Frau Schober lacht nur von Zeit zu Zeit und dann zumeist bei Stellen, welche allen anderen nicht den geringsten Anlaß zu Heiterkeit bieten. Sie ist eben mit dem Vertilgen eines »Backhendels mit Salat« beschäftigt, welches der junge Bauführer für sie auftischen ließ, und kann deshalb nur dann lachen, wenn sie nicht gerade kaut, welche seltenen Augenblicke nicht immer mit den besonders lustigen Wendungen des Vortrages zusammenfallen. Im übrigen läßt auch ihre Stimmung nichts zu wünschen übrig.
70 Endlich schließt das lustige Lied. Der Beifall verrauscht und das Schwatzen und Lachen, das Tellerklappern und Gläserklirren im Saale beginnt von neuem. An dem Tische macht jetzt Sturms Schaumwein die Runde und findet allgemeinen Anklang. Auch der lange Rat läßt sich endlich bewegen, ein Gläschen von dem »guten Tropfen« anzunehmen, und findet ihn nach genauer, ersichtlich fachmännischer Prüfung ganz vortrefflich. Er kostet denn auch ein zweites und ein drittes Gläschen, lockert dann ein wenig die breite schwarze Binde, welche ihm den Hals zuschnürt, und leert sein viertes Glas bereits auf Loris Gesundheit, wobei er den jungen Bauführer einen beneidenswerten Glückspilz nennt.
Lori und ihre Mutter müssen nun der Reihe nach Bescheid thun und wenn sie auch jedesmal nur nippen, so spüren sie doch bald die Wirkung des ungewohnten Weingenusses. Dazu kommt der steigende Lärm ringsumher, die immer schwülere Atmosphäre in dem niederen, raucherfüllten Saale, – Lori kichert ununterbrochen, nimmt ihr Halstuch ab und fächelt sich damit Kühlung zu. Dabei schlagen die Enden des buntfärbigen Seidentüchleins ihrem Nachbar schmeichelnd über Augen und Wangen. Dem weichen Tuche, das an ihrem Nacken knapp unter den Haaren geruht hat, entströmt ein wundersamer Duft, der den jungen Bauführer völlig berauscht.
Er hascht nach dem Tuche, erfaßt dabei Loris Hand und küßt sie.
»Bravo!« ruft der lange Rat und vergißt seine Würde so weit, daß er Sturms Beispiele folgt und gleichfalls Loris Hand küßt.
Das Mädchen läßt es sich gerne gefallen, kichert immer zu und schlägt jetzt absichtlich mit dem Tuche bald nach rechts, bald nach links, läßt die Hand haschen und küssen, blinzelt 71 dabei aber unter den halbgeschlossenen Lidern nach dem blonden jungen Manne, der von Zeit zu Zeit grüßend nickt.
Auf Frau Schober wirken Wein und Hitze dagegen ersichtlich niederschlagend. Sie wird immer schwermütiger und versucht wiederholt die rührende Geschichte ihrer Jugend nochmals zu erzählen. Allein ihr Nachbar entzieht sich diesmal ihrer zutraulichen Redseligkeit, indem er dem schönen Geschäftsführer ins Ohr raunt, Frau Schober habe ihm etwas Wichtiges mitzuteilen, und dann eilends mit ihm den Platz wechselt.
»Der Brantner ist halt ein Vocativus!« meint der Reservist, welcher so herzlich lacht, daß ihm die Thränen über die Backen laufen. »Was treibt er denn jetzt wieder?«
Die Frage ist berechtigt, denn der unermüdliche Spaßvogel winkt eben das Blumenmädchen, das im Saale seine Sträußchen ausbietet, an den Tisch heran, beschnüffelt die Blumen, fragt nach dem Preise jeder einzelnen Blüte und schiebt schließlich das Körbchen wieder zurück, indem er sehr ernsthaft erklärt:
»Ja sehen Sie, meine Liebe, ich brauch' überhaupt keine Blumen, aber mein Freund da, der schöne Pepi, kauft Ihnen gewiß etwas ab!«
Die Blumenverkäuferin, ein junges, leidlich hübsches Mädchen, aber plump geschminkt und von keckem, aufdringlichem Wesen, wendet sich mit einem herausfordernden Lächeln an den schönen Geschäftsführer und steckt diesem ein Sträußchen ins Knopfloch, welches er errötend mit einem Gulden bezahlt, ohne den Rest, den sie ihm überreichen will, zurückzunehmen. Das Mädchen knixt dankend und versucht nun sein Glück bei Franz, der eben im Begriffe steht, zwei Sträußchen für seine Nachbarinnen auszuwählen, als Lori, das Blumenmädchen aufmerksam betrachtend, plötzlich überrascht ausruft:
72 »Aber das ist ja die Gruber-Fanny!«
Das Mädchen sieht auf.
»Natürlich bin ich's, aber Sie –?«
»Was ›Sie‹?« lacht Lori und springt auf, der Blumenverkäuferin herzlich die Hand entgegenstreckend. »Kennst denn die Lori nicht mehr, – die Schober-Lori . . . aus der Bürgerschul'?!«
»Jessas . . . ja! Wo ich nur hin gedacht hab'!« entgegnet nun das Mädchen, und die Begrüßung geht bald in ein gegenseitiges Fragen nach den seitherigen Erlebnissen über. Lori fragt und antwortet in einem Atem, ja sie plaudert so eifrig, daß sie darüber sogar vergißt, den Nachbartisch im Auge zu behalten.
Sie ladet die Jugendfreundin ein, bei ihr Platz zu nehmen und zwingt sie fast auf einen Stuhl nieder, worauf sie selbst niedersitzt und das vertrauliche Schwatzen nun erst mit rechter Behaglichkeit aufnimmt.
Das Blumenmädchen scheint sich jedoch trotz seiner sonstigen Keckheit nicht eben behaglich zu fühlen, denn die kleine Gesellschaft ist plötzlich still geworden und beobachtet verblüfft das Gehaben Loris, das selbst der wenig förmliche Fleischerssohn »ein bißl g'spaßig« findet.
»Man sollt' ihr doch einen Wink geben!« flüstert er seinem Nachbar zu.
Brantner wispert es hierauf dem schönen Geschäftsführer ins Ohr, dieser teilt es insgeheim Frau Schober mit, welche ihrer Tochter wiederholt, doch vergebens zuwinkt und zugleich Franz ins Vertrauen zieht. So geht ein Flüstern und Wispern um den Tisch, das Fanny wohl merkt. Sie sitzt unruhig auf der äußersten Kante ihres Stuhles, zerrt verlegen an ihrem enganschließenden schwarzen Cachemirkleidchen und will endlich aufstehen, allein Lori, die nichts ahnend weiter plaudert, hält sie zurück.
73 »So bleib doch noch einen Augenblick!« meint sie arglos. »Deine Blumen kannst ja später auch noch verkaufen! Der Herr Sturm nimmt Dir gleich was ab, – nicht wahr?«
Franz nickt verlegen und nimmt noch einige Sträußchen aus dem Korbe, wobei er Lori vergebens durch Räuspern und Winken zu bedeuten sucht, daß sie Fanny fortlassen möge.
Daran denkt Lori nun gar nicht. Sie hat noch ein wichtiges Thema mit Fanny zu besprechen, das wichtigste für ein junges Mädchen. »Hast Du eine – Bekanntschaft?« fragt sie eifrig. Zu ihrer Überraschung ziert sich Fanny nicht viel und nickt alsogleich zustimmend. Ob ›er‹ im Saale anwesend sei? forscht die Neugierige weiter. Fanny blickt an den Tischen umher und errötet plötzlich unter der Schminke. Lori ist ihren Augen gefolgt und gewahrt einen Kreis von jungen Burschen, in welchem besonders laut gelacht und stark getrunken wird.
»Der Braune mit dem kleinen Schnurrbartl ist's, – gelt?« flüstert sie Fanny zu. Diese nickt abermals schweigend. Lori hat mit sicherem Instinkte den »Rechten« herausgefunden und betrachtet ihn jetzt aufmerksamer. Er ist ein schlanker junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, der nachlässig zurückgelehnt zwischen seinen lebhaften Freunden sitzt, die Beine gekreuzt und die Hände in den Taschen seines kurzen Sammtrockes vergraben. Das scharf geschnittene gebräunte Gesicht mit dem dünnen Bärtchen unter der leicht aufgestülpten Nase und den sorgfältig gescheitelten, an den Schläfen zu breiten, fettig glänzenden »Sechsern« gedrehten dunklen Haaren gefällt Lori sehr wohl. Freilich, der unstäte Blick seiner tiefliegenden Augen und diese selbst mit ihren geröteten Lidern verderben den guten Eindruck ein wenig, aber gerade diese Zeichen eines ungeregelten Lebens sind es, welche ihn dem jungen Mädchen besonders anziehend 74 erscheinen lassen. Sie ist keine Freundin der »anständigen Langeweile«, wie Franz sie verkörpert . . .
Wie schade, daß der hübsche Bursche gar nicht herüber blickt! Eben sinnt sie nach, wie sie seine Aufmerksamkeit erregen könnte, da eilt ein Kellner herbei, drängt sich zwischen sie und Fanny, auf deren Stuhllehne er seine Hand mit der schmutzig braunen Serviette stützt, und tippt der Blumenverkäuferin mit unverschämter Vertraulichkeit auf die Schulter.
»Sie, Blumenmädl!« sagt er halblaut, »tummeln S' Ihnen ein bißl, die Herren drüben wollen Blumen haben!«
Und damit weist er auf den Tisch, an welchem der Blondkopf mit seinen kleinen Begleitern sitzt.
Die Verkäuferin springt hastig auf.
»Adie!« sagt sie verlegen.
»Kommst wieder?« fragt Lori gleichfalls aufstehend.
»Nein, ich kann nicht. Es ist auch schon spät und – – –«
»Aber Du besuchst mich doch morgen?«
»O ja, . . . das heißt, wenn es Deine Frau Mutter erlaubt!«
»Da ist keine Sorg'!« lacht Lori unbefangen. »Also, ich erwart' Dich. Aber Du kommst ganz sicher, – ja? Wir haben noch so viel mit einander zu plauschen!«
Damit reicht sie ihr abermals die Hand, die das Mädchen zögernd ergreift, worauf es ohne aufzublicken mit kurzem Gruße davoneilt.
Die Gesellschaft atmet erleichtert auf, kann aber die unbefangene Fröhlichkeit von vordem nicht sogleich wiederfinden. Der kleine Bucklige giebt zwar seine vorzüglichsten und sonst geradezu unfehlbaren Späßchen zum besten, allein sie bleiben wirkungslos, nicht einmal der dicke Fleischerssohn belacht sie so herzlich wie früher.
Eine lange peinliche Pause entsteht an dem Tische, nur 75 unterbrochen von dem Schwatzen und Lärmen der Umgebung.
Frau Schober knabbert verlegen an einem letzten Knochen ihres Backhendels, den sie noch auf dem Teller vorfand. Nach einer Weile wendet sie sich an ihren schweigenden Nachbar zur Linken.
»Mein Gott, sie ist halt noch jung!« flüstert sie ihm entschuldigend zu.
Der schöne Mann nimmt diese Mitteilung schweigend und mit jener würdevollen Ruhe entgegen, die selbst Loris Unbefangenheit nicht zu stören vermochte. Umso verlegener zeigt sich dagegen Franz, der gar nicht mehr aufzublicken wagt.
Nur Lori merkt den plötzlichen Umschlag der Stimmung an ihrem Tische nicht. Sie läßt ihre Blicke nach wie vor neugierig und vergnügt durch den Saal wandern, atmet entzückt die heiße Luft, die nun einmal zu einer richtigen Unterhaltung gehört, und beginnt endlich auch das Augenspiel mit ihrem hübschen Gegenüber aufs neue. Von Zeit zu Zeit lacht sie lustig vor sich hin und errötet, wenn ein fragender Blick des blonden Elegants sie trifft. Dieser spricht lange und heimlich mit Fanny, wobei es der scharf beobachtenden Polierstochter nicht entgehen kann, daß sie selbst den Gegenstand des Gespräches bildet.
Plötzlich springt der beleibte Fleischerssohn, von einer Eingebung erleuchtet, auf und sagt langsam, aber ungemein selbstzufrieden:
»Kinder, ich hab' eine Idee!«
Und durch dieses Ereignis in die heiterste, ja ausgelassenste Laune versetzt, schwippt er vergnügt mit den Fingern und fährt dann überlegen lächelnd fort:
»Ich sag' Euch . . ., nein, ich sag' Euch derweil noch 76 gar nichts! Aber eines ist gewiß: So eine Hetz war noch nie da!«
Damit verläßt er die Gesellschaft und kehrt nach einigen Minuten verklärt zurück. Gleich darauf tritt der Oberkellner mit gemessener Würde an den Tisch und rückt mit feierlicher Langsamkeit einen Stuhl herbei, auf welchen er einen kleinen Kübel stellt.
»Champagner?« ruft der Dienstvermittler, in freudiger Überraschung diese verheißungsvollen Vorbereitungen betrachtend. »Nun ja, Du kannst es schon thun!«
Der Fleischerssohn blickt selbstbewußt in die Runde. »Na, – was sagt Ihr jetzt? War das eine Idee? Ich bin halt ein Hauptkerl!«
Der Oberkellner löst die Drähte von dem Korke.
Frau Schober und Lori halten sich die Ohren zu und kreischen schon im voraus; ein Ruck, ein Knall, – und der rötliche Trank perlt in den langgespitzten Gläsern.
Der ehemalige Krieger bewegt nun auch den besonders entrüsteten Rat ein Glas zur Hand zu nehmen, was ihm überraschend leicht gelingt. Hierauf erhebt er sich langsam um einen Trinkspruch vorzubringen. Nach einigem Würgen und Räuspern beginnt er:
»Ich . . ., nun ja . . . zum Schampaninger muß geredet werden . . ., ich mein' halt, es wär' schön, wenn . . . eben und deshalb, . . . na, kurz und gut, ein echter Wiener sagt seine Meinung g'rad heraus, – Kinder, die Wiener Gemütlichkeit soll leben!«
Die Kürze und Klarheit dieses Trinkspruches, insbesondere aber die überraschende Schlußwendung findet allgemeine Anerkennung. Man stößt laut zustimmend an und das helle Zusammenklingen der Gläser verscheucht bald jede Mißstimmung. Das neugierige Herübergucken und Zischeln der Umsitzenden 77 trägt nur dazu bei, die frühere behagliche Fröhlichkeit wieder frei zu machen, ja allmählich wird die Stimmung immer ungezwungener, das Lachen immer lauter und kreischender, schon blickt der ganze Saal auf die kleine überlustige Gesellschaft, da rafft sich der greise Klavierkünstler wieder zu einem energischen Accorde auf, und die beiden Sänger betreten aufs neue die niedere Bühne.
Diesmal findet schon ihr erstes Lied jubelnden Beifall. Der Fleischerssohn springt entzückt vom Stuhle auf und brüllt über die Köpfe der Anwesenden hinweg den Sängern sein »famos!« zu. Nur mit Mühe gelingt es seinen Freunden, ihn zum Niedersitzen zu bewegen.
»So eine Hetz war noch nicht da!« ruft er unausgesetzt und schlägt dabei auf den Tisch, daß die Gläser und Flaschen klirrend aneinander prallen.
Franz findet es jetzt an der Zeit, seine Nachbarinnen heimlich zum Aufbruch zu mahnen, allein Frau Schober hält den Augenblick hiezu noch lange nicht für geeignet. Auch Lori schüttelt unzufrieden den Kopf.
– – Nein, so war es nicht gemeint! Nun, da es eben erst recht lustig zu werden beginnt, sollte sie fortgehen? Davon kann gar keine Rede sein! –
Franz schweigt und bleibt, aber er kann die fröhliche Stimmung der anderen nicht mehr teilen. Lori beobachtet jetzt wieder heimlich den vornehmen jungen Mann, der plötzlich aufgestanden ist und den Sängern etwas zugeflüstert hat. Was hat er vor? Sollte er etwa – – –?
Aber da geben die Sänger auch schon Antwort auf die ungesprochene Frage des Mädchens. Sie singen, – »auf allgemeines Verlangen!« wie sie stolz verkünden, – noch ein neues Lied:
»Die schöne Lori!«
78 An Loris Tisch wird es zuerst mäuschenstill, dann bricht ein Lachen und Schwatzen los, das die Aufmerksamkeit der Umsitzenden umsomehr auf das junge Mädchen lenkt, als dieses bis an die Haarwurzeln errötet ist und verschämt die Augen niederschlägt.
Ein Murmeln geht durch den Saal, alle Blicke wandern herüber und der Beifall, der jeder Strophe folgt, klingt wie eine Huldigung . . .
»Aber das ist ja das Lied von der schönen Lisi!« ruft endlich der Fleischerssohn, der das Repertoire der Sänger genau kennt. »Warum singen sie denn g'rad heute Lori statt Lisi?«
»Das möchte ich auch wissen!« meint Franz, der sich immer unbehaglicher zu fühlen beginnt.
»Dahinter steckt was, – ich krieg's aber schon heraus!« eifert der Reservist und eilt zu den Sängern, die eben die kleine Bühne verlassen.
Lori schweigt. Sie weiß, wer das veranlaßt hat, aber sie kann darin keine Beleidigung finden. Im Gegenteil, die allgemeine Aufmerksamkeit hat ihr ganz gut gefallen, der laute Beifall summt ihr noch in den Ohren – er klang durchaus nicht verletzend. Und ein langer Blick belohnt den hübschen jungen Mann für seinen vortrefflichen Einfall. Ihre Gesellschaft faßt die Sache freilich anders auf, und da der Fleischerssohn hoch gerötet die Nachricht bringt, daß es schon wieder der »geschniegelte Modewurstel da drüben« war, welcher diese Titeländerung des Liedes veranlaßte, bemächtigt sich der Gemüter eine immer wachsende Aufregung.
Eine kurze, hastig geführte Beratschlagung folgt, während welcher der kleine, bucklige Dienstvermittler die Sache als eine höchst ernsthafte bezeichnet und selbst der lange Rat, dessen gefurchte Denkerstirne ein edler Zorn rötet, auf das bestimmteste 79 erklärt, daß der Vorfall eine weitgehende Satisfaktion erheische.
Vergebens sucht Frau Schober die erzürnten Männer zu beruhigen, vergebens beschwört sie den Bauführer, doch jedes Aufsehen zu vermeiden, Franz vermag seine Freunde nicht mehr zu beruhigen, will es vielleicht auch nicht, denn ein Blick auf Lori lehrt ihn, daß dieser die allgemeine Aufregung mehr Vergnügen als Angst bereitet.
Der Reservist will zu alledem von einer Beruhigung durchaus nichts wissen.
»Laßt's mich!« poltert er ergrimmt. »Ich muß mit dem Burscherl da drüben deutsch reden!«
Und er stülpt mit nicht mißzuverstehender Geberde die Rockärmel auf. Seine Freunde bestärken ihn in seinem Vorhaben, sogar der schöne Geschäftsführer nickt zustimmend, soweit sein spitzer Hemdkragen dies gestattet, – da tritt die junge Blumenverkäuferin hastig an den Tisch heran.
»Bitte um Entschuldigung, wenn ich störe!« sagt sie verlegen. »Aber der blonde Herr dort schickt mich zu Ihnen. Er läßt sich empfehlen und meint, daß er die Herrschaften mit dem letzten Lied nicht beleidigen wollte. Er hat im Gegenteil gemeint, es würde Sie freuen, wenn er dem Fräulein Lori ein Kompliment singen läßt!«
Sie neigt sich leicht vor und wartet nun auf Erwiderung. Es dauert eine geraume Weile, ehe sie ihr wird, denn die offene Erklärung des jungen Mannes hat die Gesellschaft in nicht geringe Verlegenheit versetzt. Insbesondere der Fleischerssohn, welcher noch immer mit aufgestülpten Rockärmeln dasteht, und Herr Storch, dem das anscheinend vornehme Auftreten des jungen Mannes ersichtlich Respekt einflößt, sehen einander mit unverholener Ratlosigkeit an. Brantner, der sonst so schlagfertige Witzbold ihres Kreises hat sich heimlich vom Tische 80 gestohlen, um mit einem plötzlich entdeckten Bekannten am andern Ende des Saales ein Langes und Breites zu plaudern, aus den starren Blicken des schönen Geschäftsführers ist aber ebensowenig ein rettender Gedanke zu lesen, als aus dem unruhigen Kopfschütteln des jungen Bauführers.
Die Frauen haben zuerst ihre Ansicht gebildet. Die Poliersgattin findet den fremden jungen Mann ganz entschieden bewunderungswürdig, und Lori betrachtet zwar unverwandt die Falten des Tischtuches, an welchem sie unaufhörlich zerrt und reißt, allein ihr Erröten und das Lächeln, das ihren kleinen Mund umspielt, drücken keineswegs Mißbehagen oder gar Unmut aus.
Endlich unterbricht der Reservist das Schweigen. Er holt tief Atem, räuspert sich wiederholt, zieht als Beweis seiner versöhnlichen Stimmung die kriegerisch aufgestülpten Rockärmel glatt und murmelt dann eine Rede, aus welcher nur die Worte: »Nicht so arg gemeint,« . . . »Wenn der Herr selbst sagt« . . . und »alles in der schönsten Ordnung« hörbar werden.
Das Blumenmädchen erklärt nun, daß es den jungen Mann herzlich freuen werde, dieses Mißverständnis als aufgeklärt betrachten zu dürfen, worauf Herr Schanzl sich feierlich erhebt und dem jugendlichen Auftraggeber des Mädchens über die Tische hinweg mit einer stummen, aber überaus würdevollen Verbeugung begrüßt, welche der junge Mann mit einem nur mühsam unterdrückten Lächeln erwidert.
Eben will das Blumenmädchen grüßend zurückkehren, als der Rat es mit einer großartigen Handbewegung bleiben heißt. Er und sein beleibter Nachbar verständigen sich mit einem flüchtigen Blicke und lassen sodann den artigen jungen Mann höflichst ersuchen, samt seinen Freunden an ihrem Tische Platz zu nehmen.
81 Die Botschaft wird pünktlich besorgt, und nach einem kurzen Geflüster an dem Tische der jungen Leute kommen dieselben herüber. Der Blonde stellt rasch seine beiden Freunde als Baron Schneck und Ritter von Haberkorn vor, während er gleichzeitig seine Karte dem dicken Fleischerssohn überreicht.
Hatte sich in den Mienen der Tischgesellschaft schon bei der Nennung der ersten Namen eine gewisse Hochachtung ausgedrückt, so steigert sich dieselbe zu staunender Bewunderung, da der Reservist nach einem flüchtigen Blicke auf die Karte verlegen aufsteht und ein befangenes:
»Freut uns, freut uns außerordentlich, Herr Graf!« stottert.
Ein Graf! Und er hätte ihm bald die Faust unter die Nase gehalten. Oh! Unter dem Drucke dieser Erkenntnis vergißt der Fleischerssohn die Karte weiter zu geben. Er schüttelt nur mit einer neuerlichen Verbeugung die leutselig dargebotene Hand des Grafen, wendet sich hierauf an dessen kleine Begleiter, welche noch ziemlich verlegen an dem Tische stehen, und drückt auch ihnen die Hände.
Der junge Graf läßt neuen Champagner bringen und leert sein Glas auf das Wohl der Damen. Damit wird die Stimmung denn auch rasch eine gehobene. Der beleibte Fleischerssohn bietet den Fremden bereits nach einer halben Stunde seine Freundschaft an.
»Sie g'fallen mir!« erklärt er zutraulich. »Meiner Seel', Sie g'fallen mir ungeheuer gut!«
Und nach einer weiteren Stunde ruft er schon etwas lallend:
»Wissen S' was? Sagen wir Du zu einander!«
»Oh! Mit dem größten Vergnügen!« lächelt der junge Kavalier verbindlich, und Herr Schanzl, dessen Gesichtsfarbe allmählich in ein bedenkliches Blaurot spielt, gurgelt nun nach jedem Satze ein stolzes:
82 »Weißt Du, lieber Graf!« oder »Graf, Du bist ein famoser Kerl!«
Die kleinen Freunde des »famosen Kerls,« welche stumm an seiner Seite sitzen und nur von Zeit zu Zeit wie verlegene Mädchen kurz auflachen, bemühen sich zwar, recht unbefangen und harmlos dreinzusehen, doch gelingt ihnen dies nicht so ganz; überdies fühlen sie sich von dem Bauführer scharf beobachtet, der bald auf sie, bald auf den ungenannten Grafen einen finsteren, mißtrauischen Blick heftet.
Nach und nach beginnt sich der Saal zu leeren, und über Sturms wiederholte Aufforderung erhebt sich endlich auch die kleine Gesellschaft.
Frau Schober klammert sich an den Bauführer, der sich vergeblich dieser Ehre zu entziehen sucht und mit immer steigendem Verdrusse zusehen muß, wie Lori den Arm des galanten Grafen nimmt und mit gesenktem Köpfchen neben ihm einhertrippelt, während der Fremde sich vertraulich zu ihr herabneigt und unaufhörlich mit ihr flüstert.
Franz ist höchlich verstimmt. Der Abend, auf den er sich so sehr gefreut hatte, ist ihm aber auch gründlich verdorben. Was hat sich der freche Mensch in die kleine gemütliche Gesellschaft zu drängen? Was bedeutet sein sichtliches Einverständnis mit dem Blumenmädchen, diesem verrufenen Geschöpfe, mit welchem selbst der wenig prüde Reservist nicht an einem Tische sitzen mochte? Könnte er nur hören, was der zudringliche Mensch dem jungen Mädchen unausgesetzt zuraunt! . . . Sie gehen just vor ihm, aber er kann sie nicht einholen, kann sich ihnen nicht einmal nähern, denn die beleibte Frau an seinem Arme keucht und ächzt wie eine Kranke und muß nach je fünf Schritten eine Weile rasten, um »sich auszuschnaufen«, wie sie sagt. Vergebens sucht der junge Bauführer sie rascher vorwärts zu zerren, sie schleppt 83 sich immer langsamer dahin und hängt immer schwerer an seinem Arme.
»Ich bin halt den Wein nicht gewöhnt und das viele Lachen!« stöhnt sie. »Die neuen Schuh' thun mir auch gottsjämmerlich weh, aber . . .,« sie kichert dabei in der Erinnerung an die eben verlebten heiteren Stunden vor sich hin, »es war zu lustig . . . nein wirklich, zu lustig war's! Und der Herr Graf! Das ist doch einmal eine Bekanntschaft, mit der man Ehre aufheben kann! Die Frau Sobotka wird Augen machen, wenn ich ihr morgen erzähl', wie freundlich er mit mir und der Lori war. Und erst die hochnasige Rätin im ersten Stock, die wird sich ärgern. Er ist aber auch ein feiner Mann, was? So nobel, so manierlich und so diskursiv! Man spürt halt gleich, was ein »Gavlier« ist!«
Franz muß auch diese Entzückung über sich ergehen lassen.
Endlich langt die Gesellschaft vor dem Hauptthore des Freihauses auf dem Naschmarkte an. Der beleibte Fleischerssohn eilt voraus, reißt an der Glocke und läßt sich dann vor dem Hauptthore auf einem der Prellsteine nieder, indem er gleichzeitig die bestimmte Absicht äußert, den Rest der Nacht hier zu verbringen.
»I kann bei Nacht net schlafen,
Der Durst laßt mir ka Ruh'!«
singt er dabei immerzu nach einer weinseligen Melodie.
Nicht ohne Schwierigkeit gelingt es seinen Freunden ihn endlich zum Weitergehen zu bewegen, gegen welche Zumutung er sich nicht nur durch Schreien, sondern auch durch energisches Anstemmen der Füße sträubt.
Loris Begleiter flüstert ihr noch einige Worte zu und will ihr darauf die Hand küssen, wogegen sie sich jedoch errötend sträubt. So verabschiedet er sich denn artig, sowohl von ihr, als auch von ihrer Mutter, welche seinen respektvollen Gruß mit ihrer schönsten Reverenz erwidert.
84 »Ein feiner Mann!« flüstert sie dabei aufs neue ihrem Begleiter zu.
Das Thor wird geöffnet und schließt sich knarrend wieder. Der Mann, der das Sperrgeld von Franz entgegennimmt, schlürft langsam in seine Schlafstube zurück, Frau Schober, Lori und Sturm stehen allein im dunklen Eingange und hören nur noch die heiser krächzende Stimme des Fleischerssohnes, der von seinen Freunden weiter gezogen wird:
I kann . . . bei . . . Nacht . . . net . . .«
Die letzten Worte verschlingt das Gerassel eines vorüberrollenden Wagens.
Franz will jetzt Lori seinen Arm bieten, aber sie thut als merke sie es nicht und schmiegt sich eng an die Mutter. Trotz der Dunkelheit finden sie leicht den bekannten Weg, kreuzen zwei Höfe und gleiten durch die enge Passage, die hinter der Kapelle nach dem Haupthofe führt.
Frau Schober schwatzt immerzu und Lori hört ihre Bemerkungen über den Abend, die Gesellschaft, den Wein und das unvergleichliche Backhendel mit Salat schweigend an.
Franz folgt mißmutig in einiger Entfernung und verwünscht im stillen sich selbst, seine Freunde – und die ganze Welt.
Ein einzigesmal fragt Frau Schober über die Achsel hin:
»Herr Sturm, sind Sie da?«
Und aus dem Dunkel antwortet es verdrossen: »Ja wohl, nur vorwärts, Frau Schober!«
Jetzt betreten sie den Haupthof. Die Bäume der beiden Alleen, welche den weiten, nur von wenigen Laternen erhellten Raum durchziehen, strecken ihre dürren Äste wie drohend gegen Himmel, der Nachtwind rasselt und wimmert recht unheimlich über die Dächer hin, rüttelt an den Schornsteinen und wirbelt um die verrosteten Wetterfahnen, die sich knarrend 85 drehen. Dem lauen Abende ist eine kühle, stürmische Nacht gefolgt.
Die Mutter hüllt sich fester in ihr weites Tuch und drückt sich eng an die Tochter. Beide beschleunigen ihre Schritte, soweit Frau Schobers Feiertagsschuhe dies gestatten.
Aus dem kleinen Wirtshause dort in der Ecke des Hofes tönt wüstes Lärmen und Schreien; die rotverhängte Thüre wird jetzt aufgerissen und ein Mann torkelt über die niederen Stufen herab. Er schwankt an dem Hause hin und spricht laut mit sich selbst. Die Heimkehrenden hören nur abgerissene Worte, die der Wind herüberträgt, und sehen, wie der Betrunkene von Zeit zu Zeit gegen irgend einen unsichtbaren Gegner drohend die Faust ballt.
»Die Spelunk'n ist eine wahre Schand' für unsern Hof!« meint Frau Schober im Weitergehen zu ihrer Tochter. »Alle Nacht giebt's da Spektakel und Rauferei'n; man kann ja gar nicht mehr schlafen! Sie sollen sogar falsch spielen da drin, sagt die Frau Stölzl!«
Lori antwortet nicht, sondern hastet nur vorwärts. Plötzlich hemmt die Mutter den Schritt.
»Schau,« flüstert sie ängstlich, »jetzt ist der betrunkene Kerl hingefallen, – und just bei unserer Stieg'n!«
Sie wartet, bis Franz nachkommt, und bittet ihn zagend, ihr zur Seite zu bleiben.
»Ich fürcht' mich vor nichts in der Welt so sehr, als vor einem Betrunkenen!« zittert sie.
So kommen sie langsam dem Stiegeneingange näher. Franz geht voraus und sucht den hilflos Hingestreckten zur Seite zu schieben. Da er sich jedoch über ihn beugt, stößt er einen halb erstickten Schrei aus:
»Um des Himmels willen! Aber das ist ja nicht möglich!«
Mutter und Tochter suchen rasch die Stiege zu gewinnen, 86 aber der Betrunkene rafft sich eben ein wenig auf, stützt den schweren Körper auf einen Arm und starrt dem Bauführer blöde ins Gesicht.
»Was ist . . . nicht möglich?« lallt er. »Daß ich . . . be . . . betrunken bin?«
»Lori!« schreit Frau Schober auf und packt krampfhaft den Arm der Tochter. »Das . . . das ist der Vater!«
Dieser gurgelt heiser lachend weiter:
»Natürlich bin ich der . . . der Vater! Gelt, Alte, jetzt . . . schaust . . . halt! . . . die Herren von der . . . ver . . . verdächtigen Ge . . . Genossenschaft sollen recht haben, . . . der Schober ist ein Lump, ja . . . ein Lump, ein Wirtshaus . . . Brüderl! – – Kumpf! . . . Kumpf!« schreit er plötzlich wild dazwischen und ficht mit dem freien Arme wirr durch die Luft. »Wo steckt denn der . . . ver . . . verdammte Kerl? Kumpf, ich . . . ich möcht' noch was . . . trinken, . . . nicht allein lassen . . ., Kumpf!«
Und er sinkt trotz Sturms Unterstützung schwer auf die kalten Steinstufen zurück.
Frau Schober starrt ihn, keiner Bewegung mächtig, lautlos an. Lori lehnt an der Mauer und preßt die Hand vor die Augen.
»Wir müssen ihn hinaufbringen!« sagt leise der junge Bauführer, der neben Schober kniet und dessen Kopf vorsichtig unterstützt.
Frau Schober findet endlich die Sprache wieder.
»Jesus Maria!« wimmert sie, »die Schand' vor den Leuten!«
Sie rührt sich nicht vom Platze und Franz muß endlich den Kopf Schobers sanft auf den Stein zurückgleiten lassen, da ihm weder Mutter noch Tochter zu Hilfe kommen. Er steht auf und sieht sich um.
87 »Am besten ist's, ich hole Leute aus dem Wirtshause, wir allein bringen ihn nicht hinauf!« erklärt er kurz. Er blickt dabei erst Frau Schober, dann Lori mit großen Augen an und wendet sich nach einer Pause wieder an die Mutter.
»Bitte, bleiben Sie einen Augenblick hier, ich komme sogleich zurück!«
Damit geht er fort.
»Aber –!« ängstet Frau Schober, die ihn jammernd zurückhalten will. Zu spät, schon eilt er durch den dunkeln Hof; der nebelfeuchte Sand knirscht unter seinen Schritten.
Mutter und Tochter bleiben allein bei Schober, der immer noch regungslos vor ihnen liegt. Ringsumher das tiefe Schweigen der Nacht, nur der Nachtwind heult durch den einsamen Hof.
Plötzlich flüstert Lori:
»Mutter, ich schäm' mich, wenn die Leut' kommen. Bleiben S' da, – ich lauf' hinauf und hol' die Marie!«
Und ehe Frau Schober antworten kann, ist das Mädchen verschwunden.
»Lori! So bleib doch, laß mich nicht allein zurück . . . Lori!« ruft die Mutter angsterfüllt, allein Lori hört nicht, oder will nicht hören; sie huscht die Treppe hinauf und weckt oben ihre Schwester, die auf der Holzbank in der Küche eingeschlummert ist.
»Marie!« hastet sie, während sie bereits die Kleider herabzureißen beginnt, »steh' auf, unten im Hof liegt der Vater, er ist . . . betrunken.«
Marie starrt sie verwirrt an.
»Was ist's mit dem Vater?«
»Betrunken ist er, hörst Du denn nicht?!« wiederholt Lori ungeduldig. »So geh doch hinunter, die Mutter ist allein bei ihm und fürchtet sich, Du weißt ja, wie schreckhaft sie ist!«
88 Damit eilt sie in die Kammer, wo sie sich hastig entkleidet, ins Bett schlüpft und die Decke über die Ohren zieht.
Unten steht die Mutter zitternd vor ihrem Gatten und klammert sich an das Treppengeländer. Draußen im dunkeln Hofe treibt der immer lauter tosende Sturm sein Spiel mit den klirrenden, längst erloschenen Laternen und wirbelt pfeifend den Sand vor sich her. Jetzt raschelt es just vor dem Stiegeneingange, Schobers Rock bewegt sich leise, als höbe ihn jemand auf.
Das ist zu viel. Frau Schober schlägt ein Kreuz und schleppt sich mit festgeschlossenen Augen, so rasch sie nur irgend vermag, die Treppe empor. Dabei ist es ihr, als folge ihr ein leise schlürfender Schritt und eine eiskalte Hand fasse sie im Nacken an. Dehnen sich diese Stufen denn ins Unendliche?!
Da der junge Bauführer endlich mit zwei handfesten Burschen aus dem Wirtshause herüber kommt, liegt Schober allein auf dem Steinboden. Doch gleich darauf stürzt Marie im Nachtgewande die Treppe herab. Sie spricht kein Wort, sondern hilft nach Kräften den Vater aufheben und zur Wohnung hinauftragen.
Oben an der Thüre dankt sie den beiden Fremden und reicht dem Bauführer die Hand.
»Sie wissen ja, er trinkt sonst nie!« sagt sie leise. »Heute hat ihn der Kumpf verleitet. – Er wird's auch nicht wieder thun, – nein, ganz gewiß nicht!«
Und damit schließt sie die Thüre. 89