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Der Träumer

Das war Peter Günzel, ein Schmied, der im allerverlorensten Teil des Riesengebirges wohnte. Am 29. November hatte er von der Sonne Abschied genommen. Mittags um 1 Uhr. Da war sie untergegangen. Von seinem Hause aus hätte er sie nicht mehr sehen können um diese Zeit. Aber er hatte den weitesten Weg gemacht, den er überhaupt zurücklegt: vierhundert Schritt hinab zum Brünnlein, dreihundertsechzig Schritt seitwärts bis zum Wegweiser. Dort hatte er die Sonne gesehen, ehe er sie auf Wochen aus den Augen verlor.

Dagestanden, als sie in die graue Schneewand kroch, von der er wußte, sie würde auf Wochen einen unermeßlichen Nebel bringen, dagestanden mit der Pelzmütze in der Hand und gesagt:

»Behüt Gott! Glückliche Reise nach Afrika! Adieu, liebe Sonne. Da bist du nun alle Tage in Afrika. Und bei mir bist du nicht mehr! Es gefällt dir besser da unten, weil es da wärmer ist. Und vielleicht, weil es dort Giraffen und Kolibris gibt. Behüt Gott! – Da ist sie hin! Da ist sie hin!« –

Große steife Strahlen hatten aufgeglänzt in dem Nebel und in die Unendlichkeit hinein, wie ein weiser, harter Heiligenkranz – dann war sie »hin« gewesen.

Wird schwer sein, Peter Günzel, wird sehr schwer sein, diese einsame tote Zeit!

Wenn's gut geht, am 18. Januar, dann kannst du wieder zum Wegzeiger gehen, die Mütze abnehmen und sagen:

»Grüß Gott, liebe Sonne! Da bist du ja wieder! Was macht Afrika? Und wie geht's den Giraffen und Kolibris? Ich lebe unterdes auch noch immerfort, wie du siehst. Grüß Gott!«

Bis zum 18. Januar!

Wird schwer sein, Peter Günzel!

So setzte er sich zunächst die Pelzmütze auf und zog sie tief über die Ohren. Dann watete er zurück durch den hohen Schnee.

Am Brünnlein macht er halt. Das war auch hin. Gefroren! Hielt's mit der Sonne. Es war nicht recht von dem Wässerchen. Er mußte sich nun solange Schneewasser machen oder, wenn's was Gutes sein sollte, ein Stück Eis auftauen. Waren gar viele Umstände. Er klopfte mit dem Stock auf die gefrorene kreisrunde Wasserfläche.

»He, Schlingel, ich kenn dich! Tu nicht so dumm, ich kenn dich! Warum versteckst du dich? Warum sagst du kein Wort? Warum bist du so faul? Wart, ich werd' dir's auf den Kopf sagen: Schlittschuhlaufen willst du das Volk lassen und Schlitten fahren! Läßt das Volk auf dir rumkrabbeln, wie ein Pudel auf seinem Rücken die Flöhe, und läßt mich dursten!«

Er kicherte und klopfte noch einmal auf die Eisdecke.

»Es hält! Es wird keines einbrechen!«

Dann richtete er sich empor und stand eine Weile stumm und steif da wie ein Baumstumpf. Vom Himmel sank eine schwere graue Wolke wie ein dickes Tuch. In den Ästen der Bäume war ein Klirren und Knacken. Schatten schlichen vom Tal herauf, Schatten und Kälte.

Versonnen fuhr Peter Günzel noch einmal mit seinem Stabe über die Eisdecke.

»Wenn der Mond nicht kommt, werden auch die Waldkinder nicht kommen.«

Danach wandte er sich seinem Hause zu.

Die Waldschmiede lag in einer Nordschlucht des Gebirges an der alten Bergstraße.

Auf dieser alten Straße ging niemand mehr als Holzmacher, Pilzweiblein und Zollwächter. Die Schmuggler gingen unten auf der neuen Straße bequemer und sicherer. Im Winter war die Bergstraße ganz und gar verschneit, da wagte kaum ein Jägersmann auf Schneeschuhen den Weg. Jetzt war die Tür noch frei, aber bis an die Fenster lagen schon Windswehen. Wenn eine stille, milde Schneenacht kam, dann sanken Millionen, Millionen Flocken auf das kleine Haus, und am Morgen, wenn jenseits der Schlucht der Tag graute, war der Schmied mitsamt seinem Hause im Schnee begraben.

Dann lag er still in seinem Bett und lachte und lachte und rief seine Ziege, seinen Hund, seine Katze und seinen Papagei und sagte:

»Meine Lieben, wir sind tot! Freut euch, wir liegen im Grabe!«

Die Tiere nickten schläfrig und dehnten sich träg. Der Schmied aber träumte von seinem stolzen weißen Grab, darüber der Nordwind sein Lied sang und daran die beschneiten Tannen auf hohen Felsen standen wie weiße trauernde Frauen.

Nur die eine Frau trauerte nicht.

Still lag der Schmied und röchelte, wenn er an diese Frau dachte. Nein, sie trauerte nicht!

Sie hatte ihn ins Irrenhaus gebracht, ihn für einen Narren erklären lassen, daß sie geschieden wurde von ihm und den Talmüller heiraten konnte.

In das Irrenhaus hatte sie ihn gebracht, und derweil er dort war, Hochzeit gemacht und getanzt!

Weil sie nicht bleiben wollte in seiner Einsamkeit, weil sie sich oft fürchtete vor ihm und vor dem, was er sprach und tat.

Fürchtete sich vor ihm, von dem der klügste aller Ärzte gesagt hatte, er sei ein gutmütiger Sonderling und sonst nichts.

Hatte sich scheiden lassen! Und er hatte sie geliebt.

So lag er und röchelte tief innerlich, bis der Papagei rief: »Schmied, denk nicht dran, denk nicht dran!«

Das war das einzige, was Peter dem seltsamen Vogel eingelernt hatte.

*

Und so saß Peter auch heute wieder in tiefer Verlassenheit.

Die Dämmerung sah fahl zum Fenster herein; sie zog vorüber, hin nach dem fernen Westen, der Sonne nach, und die schwarze Nacht lagerte sich ums Haus.

Da kam die tote Stille.

Peter Günzel saß in einer Ecke hinter dem großen, rauhen Holztisch und regte sich nicht. Auch die Tiere waren in der großen Finsternis nicht zu erkennen und regten sich nicht.

Wie im Grabe war es – so still. Nur ein Wurm nagte an einem Brett. Peters Augen bohrten sich in die Dunkelheit. Er sah. Er sah seit seiner Kindheit mehr als die anderen.

Er sah jetzt den Frenzel Karl zur Tür hereinkommen mit einem großen Paket, sah ihn rasten auf der Holzbank am Ofen und sagte laut, als jener wieder gehen wollte:

»Frenzel, geh nicht, die Grenzer erschießen dich heut!«

Als wenn die Grenzer nicht wirklich den Frenzel erschossen hätten, als er, der Peter, noch ein Knabe war! Als wenn ihn der Peter nicht immer wieder mit seinem Paket kommen sähe wie an jenem Abend! Als wenn der Frenzel nicht immer wieder denselben Weg machen müßte, um sein Leben zu suchen! –

Jetzt spricht er mit seinem Vater, der auch Köhler und Waldschmied war. Der ist auch schon lange tot; aber er spricht mit ihm, als ob er ihm gegenübersäße am Tisch. Sie streiten, ob sie unten an der neuen Straße einen Wegzeiger machen sollen, der heraufweist und auf dem steht: »Zur Waldschmiede«. Er, der Peter, ist dagegen, aber der Vater setzt seinen Willen durch. Jetzt noch kommt der Vater oft und fragt nach dem Wegzeiger. Da höhnt ihn der Schmied, sagt, um den Wegzeiger kümmere sich kein anderer als hin und wieder ein Spatz. Wird der Alte wild und schmält, Peter sei kein Geschäftsmann. Die Holzkohle lasse er zu billig ab, und wenn sich ein Waldknecht um einen kupfernen Dreier die Axt schärfen lasse, saufe er dem Schmied unterdes um einen Silbergroschen Wacholderschnaps aus. Sie zanken hin und her, aber zuletzt wird der Alte weich, segnet den Peter und huscht in die Ewigkeit zurück.

Bei diesen Gesprächen mit dem Vater hatte sich die junge Frau immer am meisten geängstet. Sie hatte kein Verständnis für den Waldschmied. Mit wem soll er reden, wenn viele, viele Wochen kein Mensch kam, und wenn er reden mußte? Mit den Toten und mit den Tieren. Es redete sich gut mit ihnen, nur muß man es gewöhnt sein.

Die Frau hatte sich nicht daran gewöhnen wollen.

Und es gab doch auch viel Schönes und Lustiges. Wenn bei den Zwergen eine Hochzeit war und die Brautjungfern alle Runzelgesichter hatten und die Zwergherren der Feierlichkeit halber jeder einen altmodischen Zylinderhut auf die Kapuze gesetzt hatten, dann rief er die Frau heraus an den Weiler.

»Sitz ganz still, sitz ganz still, guck dorthin ins Grüne, dort kommen sie durch den Wurzelbogen. Siehst du nicht, daß der Wurzelbogen eine Ehrenpforte ist?«

Sie sah nicht hin, sie lief davon mit harten Worten.

Der Vater war anders gewesen, der hatte auch vieles gesehen. Und sie hatten oft Tage und Wochen nicht ein Wort gesprochen, und jeder war für sich mit seinen Gedanken gewesen, und es war nie ein Mensch gekommen, der diese Gedanken gestört hätte.

Die Frau hat sich nicht daran gewöhnen können. Sie war von denen unten, die sich für viel klüger und vernünftiger halten als den Peter, und die doch alle viel dümmer und unvernünftiger sind. Denn sie reden und lachen und weinen den ganzen Tag. Und was sie heute reden und lachen und klagen, wissen sie morgen nicht mehr. So dumm und nichtig war alles! Am Ende des Jahres wissen sie vom ganzen Jahr fast nichts mehr, nichts mehr von den Millionen Wörtern, die sie gesagt und gehört haben, und nichts mehr von all dem Geschrei und Gelächter. Wozu war es also nütze? Er und sein Vater vergaßen nie, was sie sagten, oder wenn sie einmal gelacht oder geweint hatten, das wußten sie nach Jahren noch.

Nicht einmal das mit dem Brünnlein hatte die Frau verstanden. Und als er einmal wochenlang heimlich gearbeitet hatte und ihr dann voll Stolz und Freude eine große Schachtel zeigte, in der ganz kleine Holzschiffchen waren und ganz kleine Schlitten und Schlittschuhe, und als er ihr sagte, das alles sei für die Waldmännlein, daß sie sich vergnügen könnten auf dem kreisrunden Brünnlein, das für die Kleinen so groß wäre wie ein riesiger Teich, vergnügen könnten im Sommer und im Winter, hatte sie sich entsetzt von ihm gewandt und war fortgegangen und nicht mehr wiedergekommen.

Erschrocken hatte Peter mit seinen Schifflein und Schlitten und Schlittschuhen am vereinsamten Tisch gesessen, bis fremde Männer gekommen waren und ihn fortgeschafft hatten in ein furchtbares, furchtbares Haus.

Dort hatten sie ihn festgehalten – lange. Er weiß nicht, wie lange. Wenn er raten dürfte, würde er sagen Jahrhunderte.

Und gerade als er daran war, vor Heimweh und Herzeleid zu sterben, ist einmal der klügste von allen Ärzten in seine häßliche weiße Stube gekommen, und zu dem hat Peter gesagt:

»Sie hat mich einsperren lassen, bloß, weil ich kleine Schiffchen und Schlitten und Schlittschuhe gemacht habe. Aber wenn sie Geduld gehabt hätte, wenn sie sich lange, lange an das Brünnlein gelegt hätte ins Gras und hingeschaut auf die Schiffchen, dann hätte sie die Männlein rudern sehen, rudern und lachen. Sie hätte es doch gekonnt, und ich hatte sie doch lieb, und ich dachte, sie würde sich freuen! Aber sie wollte nicht und hat mich in dieses Gefängnis gebracht. Ich habe ihr nie etwas zuleide getan!«

Da ist er nach ein paar Tagen freigelassen worden, denn der Arzt hat erklärt, der Peter sei nur ein gutmütiger Sonderling, so geworden durch sein einsames Leben.

Als Peter in die Waldschmiede zurückkam, hat er gejauchzt und geweint.

Die Anna aber kam nicht wieder. Die hatte mit dem Talmüller Hochzeit gehalten.

*

Es klopft an die Tür. Es tritt jemand ein. Es muß ein alter Mensch sein, denn der Gang ist schleichend.

»Waldschmied! Waldschmied, mach Licht!«

»Was brauchen wir Licht? Ich hör dich auch so. Wer bist du?«

»Das sag ich nicht! Aber ich sage dir: wenn du heute nacht für die Waldmännlein die Schlitten und die Schlittschuhe hinauslegst, und wenn sie auf dem Brünnlein fahren, dann werden die Wölfe kommen und alle fressen.«

»Die Wölfe? Sind Wölfe da?«

»Sie sind aus Polen gekommen. Es ist ein harter Winter. Sie haben schon viel Getier getötet, sie haben ein Mädchen zerrissen und werden alle deine Waldkinder fressen.«

Peter Günzel schwieg eine halbe Stunde lang. Auch der fremde Mensch sagte kein Wort. Dann öffnete Peter eine Schublade, nahm ein Stück Kreide heraus und schrieb in der Finsternis auf den Tisch: »Die Wölfe sollen sterben.«

Dann ging er in der Finsternis durch die Stube, holte aus einer Nebenkammer ein doppelläufiges Gewehr und lud es.

»Die Wölfe sollen sterben«, sagte er und öffnete die Tür ins Freie. Draußen sah er, daß ein altes Weib neben ihm stand, das er nicht kannte.

»Du fürchtest dich wohl, allein nach Hause zu gehen?« fragte Peter. Sie nickte.

»Ich wohne drüben im Böhmischen.«

Da ging Peter mit ihr.

Aufwärts durch dichten Wald. Seit Jahren hatte Peter diese Gegend nicht mehr aufgesucht. Schon nach einer halben Stunde war sie ihm fremd. Er sprach kein Wort. Die Alte schwatzte. Er hörte nicht zu. Rechts und links schaute er aus nach den Wölfen. Es war keiner zu sehen. Als sie nach beschwerlicher Wanderung vor dem böhmischen Grenzdorf standen, sagte er:

»Nun bist du zu Haus! Wo sind die Wölfe? Hast du gelogen?«

Da kicherte sie und sagte:

»Wirst sie schon noch sehen! Wirst sie schon noch sehen!«

Und ging davon.

Peter machte sich auf den Heimweg. Der Mond stand klar am Himmel, alle Fluren waren hell und weiß. Aber Peter ging fehl.

Da kam er plötzlich auf die neue Straße. Bergab führte sie. Rechts und links war hoher Fichtenwald.

Und da mitten auf der Straße, da hielt ein Schlitten. Ein Pferd war vorgespannt, ein Mann hantierte an dem Pferd herum, eine Frau saß im Schlitten.

»Ist wieder in Ordnung«, sagte der Mann, »aber das Pferd ist nicht scharf genug an den Hufen, und die Straße ist spiegelglatt.«

Peters Hand krallte sich fest um die Flinte. Der Mann, der da unten sprach, war der Talmüller. Ungesehen schlich sich Peter an den Wegrand und stellte sich hinter einen Baum. Da hörte er die Frau reden: »Wenn nur kein Unglück geschieht! Wenn nur die Wölfe nicht kommen! Ich habe eine Angst, ich habe eine Todesangst!«

Sie weinte.

Peter umklammert den beschneiten Baumstamm. Sie! – die Frau! Seine Anna!

»Die Wölfe! Die Wölfe! Ich habe so Angst!«

Der Mann steigt wieder in den Schlitten, setzt sich neben die Frau, das Pferd schnauft tief auf, rückt an –

Da huscht Peter hinter dem Baumstamm hervor, steigt auf die Schlittenkufen … fährt ungesehen mit.

Er steht dicht hinter der Frau, die in einen Pelz gehüllt ist. Trotz der dichten Kleidung glaubt er, ihr Blut klopfen zu fühlen, ein Schwindel faßt ihn an, und nur mit Mühe steht er auf den Kufen.

Da – ein Knacken, – ein heiseres, gieriges, teuflisches Bellen, – zwei laute Menschenschreie, – drei graue Bestien, – Bestien mit funkelnden Augen, fliegenden Flanken, roten, lechzenden Zungen, gelbleuchtenden, großen, spitzen Zähnen, – das Schnaufen, Keuchen, Rasen des Pferdes, – der schleudernde Schlitten, – links zwei Wölfe, rechts eine große graue Wölfin, – eine Fahrt auf Leben und Tod, – das wimmernde Weib, der ächzende Mann, – das tobende Pferd, die heulenden Wölfe –

Einer springt hoch – schnappt nach dem Arm des Weibes, einer springt gegen das Pferd.

Da – ein Schuß, – ein zweiter Schuß –

Die zwei Wölfe zur Linken brechen blutend zusammen.

Der Müller erschrickt, steht auf, wendet sich um, sieht den Schützen, taumelt, fällt nach rechts aus dem Schlitten und –

Und die graue Wölfin zerreißt ihm die Gurgel.

Peter aber springt lachend in den Schlitten, umfaßt mit der Linken den Hals des Weibes, faßt mit der Rechten die Zügel und fährt in sausender Fahrt dem Tale zu.

Am nächstfolgenden Abend saß Peter Günzel in der Ecke hinter dem Holztisch und schüttelt den Kopf.

Er war in der Stadt gewesen und wunderte sich über die Herren vom Gericht. Keiner hatte geschimpft, keiner hatte gesagt, er habe vielleicht den Müller aus dem Schlitten gestoßen oder er habe ihn so erschreckt, daß er hinausfiel, nein, keiner hatte so was gesagt, keiner hatte ihn eingesperrt.

Nun, so war es gut. Er war frei, und die Anna war auch wieder frei. Und sie hatte sich so warm an ihn gelehnt, als er bei ihr im Schlitten saß.

Dunkel ist es wieder in der Stube, ganz dunkel. So wie diesen ganzen langen, furchtbaren Winter hindurch. Der Papagei sagte: »Schmied, denk nicht daran!« Aber er denkt immerfort daran. Immerfort an die Anna. Und dann lacht er – lacht –

Da geht die Tür auf.

Ein weißer Schein kommt von draußen in die Stube.

Die Anna ist da!

»Ich werde wieder dein Weib sein!« sagt sie und setzt sich zu ihm und küßt ihn in warmer Liebe und heißer Reue.

Er schlägt den Arm um sie und sagt kein Wort. Selig ist er und still. Dann sagt sie:

»Ich glaube an dich! Ich glaube, daß du klüger bist und mehr siehst als alle. Hast du die kleinen Schlitten noch und die Schlittschuhe? Sieh, lieber Peter, draußen scheint der Mond. Es ist eine silberne Nacht. Trage die Schlitten und die Schlittschuhe zum Brünnlein und laß uns zusehen, wie die Zwerge spielen.«

Da ist seine Seligkeit voll. Nun taugte sie für die Waldschmiede. Er holt die alte, große Schachtel mit den Schlitten und Schlittschuhen. Er schlingt den Arm um Anna und führt sie hinaus in die strahlende, feierliche Nacht. Am Weiher schüttet er den Inhalt der Schachtel auf das blinkende Eis. Dann steht er mit der Anna abseits und wartet und hat immer wieder seinen Mund auf ihrem roten, weichen Munde. Da sagt sie:

»Dort – dort sind sie!«

Kobolde fahren Schlitten und Schlittschuhe auf dem silbernen Weiher. Peter ist mitten im Glück.

*

Am nächsten Tage trat der Talmüller in seine Stube und sagte zu seinem Weibe:

»Anna, erschrick nicht! Ich muß dir was sagen. Dein erster – der Peter ist tot. Die Holzarbeiter haben ihn erfroren gefunden an seinem Brünnlein.«

Das Weib bedeckt jäh das Gesicht mit beiden Händen und schluchzt jäh auf.

»Gönn ihm die Ruh, Anna! Es war wieder schlimm mit ihm. Er ist gestern in der Stadt gewesen im Irrenhaus und hat behauptet, er hätte mich von den Wölfen fressen lassen! Sie haben ihn vorläufig laufen lassen; aber sicher wäre er doch wieder ins Irrenhaus gekommen. Da ist es so am besten.«

Der Müller geht sacht und beklommen hinaus.

Die Müllerin ist allein.

Der Abend graut. Weit dehnt sich die Wiese zum Walde hin. Schauer fliegen dem Weib durch Leib und Seele.

Sie lehnt den hübschen Kopf an die Fensterscheibe, und Tränen fallen wie warmer Tau auf die Eisblumen.

So steht sie noch, als der Mond draußen schon scheint.

Und am anderen Tage starrt sie wieder auf die weiße Wiese.

Und am dritten Tage schaut sie abermals auf die Wiese.

Alle Tage schaut sie nun so hinaus.

Die Winter sind einsam und lang.

Heimlicher, furchtsamer werden die Augen der Frau Tag um Tag.

Eines Tages schreit sie auf:

»Der Peter, – der Peter kommt über die Wiese!« –

Der Müller umfaßt sie, redet ihr gut zu. Aber ihre Augen blicken starr und sie zeigt mit beiden Händen hinaus:

»Siehst du nicht, siehst du nicht auch die Zwerge? Siehst du nicht, wie sie mir drohen?«

Der Müller wird blaß.

Nun ist die Frau eine Träumerin geworden.


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