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Vierte Schattenreihe

Erste Vorstellung

Ich ging mit der Menge ins Städtchen ein, die Bürgerwache durchzog, wie sie an Markttagen zu tun pflegt, gerade unter Trommeln und Pfeifen die Straßen.

Der Stadtlieutenant, so ein Perückenmacher war, hielt einen langen Spieß in den Händen, und war, weil er des schnellen Laufens gewohnt, eine bedeutende Strecke vor der Truppe voraus. – Ihm folgte die bunteste Auswahl von Schneidern, Schmieden und Schreinern mit Flinten, Säbeln und Spießen mörderisch ausgerüstet; auch alle von ihren staunenden Kindern begleitet; von denen einige ihre Väter fragend ansahen, andere sich hinter sie schlichen, und forschend in ihre Patrontaschen sahen.

Ich war nicht wenig verwundert, als ich im Trommler meinen Laternenputzer Felix erkannte.

Wahrscheinlich wollte er mich auf sich aufmerksam machen: denn als er an mir vorüberzog, schlug er so derb auf das Eselsfell, daß es mit einem lauten Knall zerborst.

Der anführende Perückenmacher schrie »halt!« und sah forschend um sich, der ganze übrige Zug aber stund da wankend, und in den Gesichtern wie eingepudert; maßen sie den Knall des Eselfells für einen verräterischen Schuß auf sie hielten, und da man eine Kugel, wie sie wohl wußten, oft erst eine Viertelstunde, nachdem sie einen getroffen, in sich fühlt, so vermeinte ein jeder, er hätte die Kugel im Leibe und fing zu wanken an.

Zweite Vorstellung

Endlich unterbrach der Unterlieutenant, ein Hufschmied, das Entsetzen, er sah die zerborstene Trommel, faßte den Trommler beim Haarzopf, hing sich die Trommel um, und entließ den Jungen mit einem Tritte seines Amts.

All dies gab nicht wenig Aufsehen; eine Menge Volks hatte sich in den Zug gedrängt, und das von einem pensionierten Hauptmanne beim Rathause mit vieler Mühe in Ordnung gestellte Korps, kam dadurch ganz aus- in- und umeinander.

»Marsch!« brüllte der Lieutenant, vergebens! er wurde nicht gehört, da immer ein Nebenmann den andern mit lautem Schreien suchte.

»Ins Teufels Namen marsch!« schrie er noch einmal. » Es ist unmöglich,« antwortete ihm ein Unteroffizier, so ein Schneider war, » den verwirrten Zopf könnt ihr durch kein Schreien zu recht kämmen!«

»Die Prostitution ist gar zu groß,« sprach der Lieutenant. »Schneider!« flüsterte er ihm ins Ohr, »ich geb' euch einen Sechsbätzner, wenn ihr den Faden wieder einfädelt.«

»Das mag der Teufel,« sprach der Schneider, »der Faden besteht aus lauter Knoten, ich zieh' mich aus der Schlinge!«

»Ich auch,« sprach der Lieutenant; da schlich sich einer nach dem andern nach Hause.

Dritte Vorstellung

Felix hatte, um nicht erkannt zu werden, schnell seinen Rock auf die Sonntagsseite gedreht, und folgte mir ins Wirtshaus nach.

Er erzählte mir, wie er als Stadttrommler Dienste genommen, auch zwölf Groschen Handgeld erhalten habe, mit denen er nun schon bis ans Meer reichen werde.

Die Harfnerin spielte schon im Wirtszimmer den Gästen vor, auch ein kleines braunes Mädchen war da; das machte gar seltsame Stellungen, legte sich bald in Form eines Rings, bald machte es eine Schlange, bald ein Meerfräulein, bald einen Vogel, auch ging es mit großer Fertigkeit auf den Händen, indem es den Körper gerad' ausstreckte, mit den Füßen aber einen Fischschwanz bildete.

In derselben Wirtsstube ließ sich auch ein Mann um das Geld sehen: denn derselbe hatte eine Nase, die er, wie ein Perspektiv, nach Belieben eine Strecke herausziehen, und wieder hineinstecken konnte, auch vermochte er mit derselben einen Knopf zu machen, welches ein lustig Gelächter kausierte.

Felix, den ich zu Tische genommen, aß nichts, wie ich im Stillen bemerkte, sondern brachte insgeheim, was ich ihm vorlegte: Suppe, Fleisch, Gemüs und Brot, alles unter dem Tisch in seine Rocktaschen, die mit Leder ausgefüttert waren; mit dem Munde aber tat er immer, als äße er, und lobte den Geschmack der Speisen überaus.

Vierte Vorstellung

»Welch elendes, dem Staate zur Last fallendes sittenverderbendes Gesindel!« sprach eine ausgebrannte schwarze Figur, so an einer Ecke des Tisches vor einer gebratenen Gans saß, indem sie den für die Harfnerin einsammelnden Knaben mit einem drohenden Blicke zurückwies. Ich erkannte in ihr alsbald den Pfarrer, besonders da ich schon im Hereintreten seine Kutsche, an der sich zwei Schweine abrieben, vor dem Wirtshause stehen sah.

»Solch Gesindel,« fuhr er weiter fort, »stellt sich bei Tage blind, bei der Nacht aber hat es nur zu gute Augen.«

Der Kerl war mir schon längst zuwider, daher sprach ich nur: »Felix!« indem ich den Pfarrer ansah. Felix verstund mich schon, er räusperte sich, spuckte dem Kerl auf die rotglühende Nase, daß es zischte, schlug seinen Rock eilend auf die Werktagsseite um und war verschwunden. Der Pfarrer sprang vom Stuhle auf und wollte ihm mit seiner Stockbibel nachsetzen, da fuhr der auf den Schwanz getretene Bullenbeißer des Wirts unter dem Tische hervor, und schmiß den Pfarrer zu Boden. Alles sprang zu Hülfe; der Pfarrer war vor Schrecken ganz außer sich; er sprach irre; er behauptete, ein wütender Hund hätte ihm auf die Nase gespuckt, und man solle ihm, ehe er noch das Gift hinaufschnupfe, die Nase augenblicklich abschneiden.

Der Mann wurde zu Bette gebracht; ein Jude, so auch bei dem Vorfall anwesend, war sehr geschäftig, den Operateur zu holen. – Ob nun dem Pfarrer die tolle Nase abgeschnitten wurde, oder nicht, weiß ich nicht: denn ich nahm alsbald meinen Bündel, um nach der Stadt Grasburg weiter zu ziehen. Vorerst aber hatte ich im Sinne, den Jahrmarkt mir anzusehen.

Fünfte Vorstellung

Eine Bude mit Volksbüchern und Volksliedern zog mich bald sehr an.

Die Mägde, so von dem nahen Brunnen kamen, hatten sich rings um sie versammelt, und ließen sich von dem Verkäufer die schönen neuen Lieder mit Begleitung eines Hackbretts vorsingen.

Den Jäger und den Mühlknecht fand ich auch wieder da.

Ersterer suchte sich den Jäger aus der Churpfalz; der Mühlknecht aber kaufte sich das Büchlein, so den Titel führt: Der Müllerehrenkranz.

Der Jäger, so ein schöner junger Mann war, küßte eines der Mädchen nach dem andern, und sie nahmen es nicht übel. Der Mühlknecht hätte es wohl auch gerne getan, das sah ich ihm wohl an, er war aber noch gar jung und unkeck, oder war er verliebt: denn er kaufte sich das Lied: »wenn ich ein Vöglein war!« auch rief er ja damals dem Echo zu: »Grüß meinen Schatz viel tausendmal!«

Der Jäger aber betrachtete die Mädchen wie Rehe in dem Walde, die alle ihm angehören; deswegen hielt er auch in jedem Arme zwei.

An dieser Bude war es auch, wo man schöne Bilder, Herzchen mit Reimen, und gedruckte Liebesbriefe verkaufte, die waren »geschrieben in der Stadt, wo die Lieb' kein Ende hat, und geschrieben in dem Jahr, da die Liebe Feuer war.«

Wohl stund manches liebe Kind da, das suchte ein gemaltes Herz, und fand im Stillen ein liebewarmes.

Die meisten Mädchen kauften sich die heilige Genovefa.

»Das ist doch nach der Bibel,« sprach eines, »das liebste Buch.«

»Nein! den gehörnten Siegfried hab' ich doch noch lieber,« sprach eine andere.

»Das macht, weil dein Schatz ein Soldat ist,« erwiderte ihr die Nachbarin; da lachten die Mädchen und die Getroffene errötete.

»Hat Er sie nun? sind sie jetzt da? her damit!« schrie ganz hastig ein frischer Junge, der sich durch die Menge an die Bude drang. Die Mädchen lachten über ihn. »Fort, ihr Ungeziefer!« schrie er, »dort hängen sie! Gott sei Dank! schnell her!« Es meinte der Junge die Historie von den vier Heimonskindern, die riß er auch alsbald von der Schnur, warf dem Verkäufer ein Geldstück hin, und eilte, ohne sich die kleine Münze herausgeben zu lassen, von dannen.

»Weh! o weh!« schrien bald darauf die Mädchen, »welcher Spitzbube hat das getan? Das ist ein Streich!« Sie wollten aus einander, und konnten nicht; ich sah mich um, da waren sie alle bei den Haarzöpfen zusammengebunden; Felix aber stund hinter mir, und hatte seinen Rock bereits wieder auf der Sonntagsseite an, woran ich erkannte, daß er abermals einen Spuk gemacht.

Ein Blatt so den Titel führte: »Schöne neue Historie von einem Maler, genannt Andreas, und einer Kaufmannstochter, genannt Anna« zog ich von der Schnur, gab dem Verkäufer einige Münzen dafür, und drängte mich nun durch das Getümmel des Marktes dem Tore zu, das nach der Stadt Grasburg führt.

Sechste Vorstellung

Der Weg war voll weinseliger Bauern, die von dem Markte nach Hause taumelten.

Der erste, welcher mir begegnete, war wahrscheinlich ein Soldat gewesen: denn er sang beständig von der Festung Belgrad. Sein Weib, so ganz ergrimmt neben ihm herging, suchte ihn durch Stöße in die Mitte der Straße zu leiten, wenn er sich dem Chausseegraben näherte. Sie machte ihm bittere Vorwürfe über seine Lebensart, er aber antwortete bloß damit, daß er zwischen ihre Strafreden hinein »Gott grüß dich, Alter, schmeckt das Pfeifchen?« ihr vordeklamierte.

Derselbe Bauer versicherte, daß, wenn er Nachts im Rausche wie ein Vieh nach Hause komme, er doch jedesmal noch nach seinen Kindern sehe, ob sie einen leichten Atem haben.

Der Bauer taumelte vorüber, drei Schneider kamen des Wegs gegangen, hinter denen ein Junge zufällig eine Herde Böcke hertrieb.

Die Schneider sahen sich beim ersten Meckern der Böcke um, blieben stehen, und sahen sich fragend an, ob das ihnen gegolten habe?

Die Böcke blieben auch stehen, und sahen sich gleichfalls an.

Darüber gerieten die Schneider in ein solches Entsetzen, daß sie über den Chausseegraben auf die Wiese sprangen, worauf die Böcke wieder meckernd weiter zogen.

Unter den Schneidern aber entstund bald ein sehr lebhaftes Gespräch, wovon ich vermöge eines Echos im Tale nur soviel vernahm, daß von einer gänzlichen Ausrottung der Böcke, wie einst der Wölfe in England, die Rede war.

Alles Verderben, so die Welt durchschleicht, wurde diesen Tieren zugeschrieben.

Bockslederne Hosen, behauptete der eine, verursachen kaltes Fieber; der andere versicherte: daß er für gewiß wisse, daß, wenn auf den Gestank einer Bocksherde der letzte Sonnenstrahl falle, der Gestank, in ein Heer von Wanzen verwandelt, weiter fliege.

Der dritte aber erzählte, daß er aus einem geschriebenen Blatte, so er einst in der Rocktasche eines Professors gefunden, für gewiß ersehen habe, daß von den Böcken die Pocken ihre Ursprung genommen.

Siebente Vorstellung

Auf einer steinernen Bank am Wege saß der Mühlknecht, das Haupt auf seinen Bündel gelehnt.

Er war vorausgegangen, und erwartete mich hier. Wir wanderten vertraulich die Straße hin.

Er erzählte mir, wie er im Sinne gehabt, auf die Wanderschaft zu gehen, weswegen er vor zwei Monaten aus seiner Heimat, einer Mühle in den Hallwäldern, ausgegangen; er sei nun aber wegen des ausgebrochenen Krieges genötigt, wieder zurückzukehren, um mit den Franzosen nach Österreich zu ziehen.

Er erzählte mir viel von den Wäldern, Tälern und Bergen seiner Heimat, auch von seiner Geliebten, und da traten ihm Tränen in das Auge.

»Es ist in mir,« sprach er, »die gewisse Ahnung, daß ich nicht lange mehr leben werde. Zudem,« sprach er, »ist mein Leben ja doch geendigt, das hab' ich gefühlt, als ich von meiner Heimat ausging, damit war's geschlossen. Fort lief ich, wie der Hingerichtete, der ohne Haupt vom Stuhle aufsteht, und noch vier Schritte unter die Lebendigen vorwärts tut.

Über das Grab bin ich hinausgetaumelt, jetzt holt mich der Tod zurück. Und dennoch ist es mir bei all' den Gefühlen, Gott! wie wohl zu Mute! weiß ich doch, daß alles geschlossen ist, daß mein Leben ein gemeines und langweiliges würde, wenn es sich länger hinauszöge.«

Derlei Rede bewundert' ich: denn ich fühlte tief ihre Wahrheit im Leben so vieler gegründet.

Wie viele, dacht' ich, irren noch umher, nicht fühlend, daß es mit ihrem Leben schon längst aus ist.

Die gleichen einem Drama, das gediegen gewesen wäre, wenn es beim vierten Aufzug geendigt hätte, das aber bis zum fünften Aufzug hinausgezogen, langweilig und kalt gescholten wird.

Vielleicht hat derlei Menschen der Tod nur abzuholen vergessen, sie sind so lächerlich als zum Ball geschmückte Jungfrauen, die keiner zum Tanze auffordert. Doch wird dies nie einem, den die Natur, der Tod liebt, geschehen. –


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