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Im engen Giebelstübchen lagen Rosa und ihr Kind nebeneinander und warteten, daß das mächtige Band, mit dem eins an das andere geknüpft werden sollte, sich fühlbar mache. Rosas Blicke ruhten unausgesetzt auf dem weißen Paket wie auf einem Gegenstande, von dem sie eine große Wirkung auf sich erwartete. Sie ließ zwar die Leb für das Kind sorgen, beobachtete es jedoch eifersüchtig, als sei es ein Geschenk, das ihr noch nicht feierlich übergeben worden war, von dem sie aber wußte, daß es ihr gehören sollte. Erst als Frau Böhk ihr das Kind zum ersten Male an die Brust legte, empfand Rosa voll ihren Besitz. Sie nahm das Kind in ihre Arme, fühlte den Pulsschlag dieses zarten Lebens, fühlte, wie die warmen Lippen sich an ihre Brust festsogen, und ein heißes, tiefinneres Behagen durchwallte sie. Ihre Glieder bebten leicht. Am liebsten hätte sie mit all ihrer Kraft das Kind an sich gedrückt, hätte sie nicht gefürchtet, ihm Schaden zuzufügen. So hielt sie denn ganz still, das sonst so erregte, wechselvolle Mädchengesicht nahm einen Ausdruck milden Ernstes an, der ihm bisher fremd gewesen war. Dieser Augenblick hatte für Rosa soviel Feierliches, daß die Gegenwart der Hebamme sie störte. »Sie sehen, Frau Böhk«, sagte sie errötend, »nun kann ich's schon. Unten ging die Haustüre, vielleicht hat der Briefträger mir einen Brief gebracht.«
»Gut, ich gehe schon«, sagte Frau Böhk, die doch etwas von dem wahren Sachverhalt zu ahnen schien, »in zehn Minuten bin ich wieder bei Ihnen.«
Nun war Rosa mit ihrem Kinde allein und durfte sich ganz dem Anblick des kleinen, sorgenvollen Gesichtes widmen, konnte ungestört der wonnigen Aufregung Raum geben, die in ihr zitterte. Nicht Gedanken beschäftigten sie, es war ein nie empfundenes Überwallen ihres Gefühles, das sie verklärte. Ihr ganzes Wesen versenkte und verlor sich in das junge Leben an ihrer Brust. Der Bund erwachender Mutterliebe, der dort in dem Tiglauer Giebelstübchen geschlossen ward, bestand in einem plötzlichen und vollständigen Ausliefern des eigenen Daseins an das Kind. Zum ersten Male trat Rosas Seele aus ihrer Einsamkeit heraus, um sich mit einem anderen Wesen eins zu fühlen.
Als Rosa sich ihrer Zusammengehörigkeit mit dem Kinde bewußt ward, begann sie in ruhiger Vertraulichkeit sich mit ihm zu schaffen zu machen, mit ihm leise zu sprechen: »Wie? Du willst nicht mehr trinken? Nein, laß es nur, schlafe, ich halte dich. So, lehn dich an mich. Hier darf niemand dir etwas tun. Niemand darf dich fortnehmen. Hier kannst du ruhig schlafen.«
Das Kind schien sie zu verstehen. Es weinte nicht mehr, sondern lehnte seine weiche Wange an die Brust seiner Mutter, und der kleine Körper zog sich in sich selbst zusammen, wie es Menschen tun, die sich behaglich fühlen. – Von jetzt an trug Rosa ihre Krankheit mit Ungeduld. Sie wäre gern kräftig und Herr ihrer Bewegungen gewesen, um ganz allein ihrem Kinde dienen zu dürfen. Mit mißtrauischer Eifersucht betrachtete sie es, wie die Leb und Frau Böhk das Kleine umbetteten und bepflegten. Sie sehnte sich nach der Zeit, da sie allein das Kind würde berühren dürfen. Solche Ungeduld glaubte Rosa nur als ganz kleines Mädchen schon empfunden zu haben. In der Nacht, die dem Christabend folgt, pflegte sie in ihrem Bett zu liegen und vor Ungeduld mit den Füßen zu zappeln, wünschend, die Nacht wäre vorüber, und sie dürfte wieder bei den neuen, blanken Sachen sein.