Eduard Graf von Keyserling
Die dritte Stiege
Eduard Graf von Keyserling

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XXI.

Als Lothar am Morgen in die Redaktion ging, fand er Branisch bei Klumpf.

»Ah!« sagte dieser, »wir warten auf Dich. Es gilt hier ernstlich zu überlegen, denn wir befinden uns, fürchte ich, in einem kritischen Augenblick.«

Mitten im Zimmer stehend, den Hut auf dem Kopf, mit seinem Spazierrohr sachte auf seine Stiefel schlagend, berichtete er: »Tost, Satzinger und Heyser sind verhaftet, sie stehen im Verdacht, die Urheber der Brände zu sein; bei Satzinger sind Sprengstoffe gefunden worden, bei Heyser hat man die geheime Druckerei der »Gemeinschaft« entdeckt. Dieses sind die Thatsachen. Ihre Bedeutung und ihre Gefahr für uns liegt auf der Hand.« Nun schwiegen alle drei und sannen. Die Nachricht kam überraschend und die Folgen waren nicht leicht zu übersehen.

Da lächelte Klumpf und sprang wie erfreut auf. »Das ist es!« rief er. »Seht Ihr denn nicht schon – unseren Artikel. Hier ist der Punkt, auf dem wir unsere Stellung klar und scharf zeichnen können. Das Bewußtsein, solchen Thaten fern zu stehen, macht uns stark. Jene Unglücklichen wollen zeigen, daß sie Macht besitzen. Mein Gott! Macht Leiden zu schaffen! Diese Macht wollen wir ja gerade aus der Welt schaffen; sie gehört zu der heutigen Gesellschaft – ist ihre Consequenz – sie, nicht wir stehen im Bund mit ihr...«

»Schön, sehr schön,« meinte Branisch nervös. »Aber Vorsichtsmaßregeln müssen getroffen werden; wir müssen die Papiere der Redaktion durchsehen...«

»Diese Verbindung mit jenen Leuten war ein Fehler, Oberwimmer hat uns dahin gebracht. Ich glaubte auch, sie könnten uns vielleicht nützen und Lemke behauptete, die anarchistischen Elemente seiner Gesellschaft in der Hand behalten zu können. Gleichviel, jetzt gilt es zu zeigen, daß wir mit solchen Tendenzen Nichts zu schaffen haben.«

Klumpf jedoch sah ganz heiter drein. »Ja, besorgt Ihr das Andere; ich will unseren Artikel schreiben. O! der soll zünden. Geht – geht – laßt mich allein.«

Erhitzt und verstört trat nun Rotter ein; er begann damit stumme Zeichen zu machen, die bedeuten sollten, daß Jemand im Nebenzimmer sei.

»Wer ist's? So sag's doch!« fragte Lothar.

»Still! Nicht so laut! Kehlmann ist's. Da haben wir's! Dieses Gesindel! Ihr wißt doch, die Anderen sind fest. Und – er sagt – ganz einfach – wir – oder einer von uns – – ist der Angeber.... Das sagt er mir eben klar und deutlich – – garnicht mißzuverstehen. Das mit der Druckerei soll Oberwimmer gewußt haben; Tost hat es ihm im trunkenen Muthe verrathen. Was sagt Ihr? Ist so etwas erhört. Der Kerl ist närrisch! Wir alle – die ganze Zukunft nur eine Bande von Spitzeln; es ist eigentlich lächerlich. Ich hab' ihn hergebracht... er soll's wiederholen. Er kam auch mit; er meint, ob auch er verhaftet werde, sei gleichgültig. Ihr werdet's ja gleich hören... ich kam mir wie verrückt vor, als ich ihn anhörte.«

Während Rotter dieses im Flüsterton hervorsprudelte – malte sich auf den Gesichtern der Zuhörer Erstaunen und etwas wie Ekel. Klumpf öffnete das Fenster und beugte sich in den leise niederrieselnden Regen hinaus.

Branisch streckte seine Arme aus, um seine Manchetten unter dem Rockärmel hervorzuziehen und sagte ruhig: »Ja so! das ist überraschend. An eine Gefahr von dieser Seite hatte ich nicht gedacht. Aber wir dürfen wohl den Herrn da draußen nicht länger warten lassen.« Damit ging er in das Nebenzimmer, von den Anderen gefolgt.

Kehlmann lehnte in der Fensternische, die Arme über der Brust gekreuzt, die schmale Stirn von einem Haarbüschel verdeckt, den Mund schief verzogen, als lachte er. Er begrüßte die eintretenden Herren mit einem kaum merklichen Kopfnicken.

»Nehmen Sie nicht Platz, Herr Kehlmann?« begann Branisch höflich.

»Ich danke. Ich stehe lieber,« erwiderte dieser, wie abwesend über die Köpfe der Anwesenden hinwegsehend.

»Sie haben hier,« fuhr Branisch fort – »dem Dr. Rotter Mittheilung über ein Gerücht gemacht, welches, so widersinnig es klingt, doch vielleicht nicht ganz unbeachtet bleiben darf. Wir sind Ihnen dankbar für diese Mittheilung. Vielleicht können Sie uns Näheres sagen...«

»Gerücht – ja, wenn Sie wollen,« meinte Kehlmann, »oder eine Behauptung –«

»Eine Behauptung wird sich doch wohl auf Beweise stützten?«

»Ich habe dem Dr. Rotter einige dieser Beweise genannt. Mit genügen sie. Was liegt mir übrigens daran, Ihnen Beweise beizubringen.«

»Wie ich Rotter verstanden habe, beschuldigen Sie uns, – die Redaktion – der Polizei bei Verhaftung Ihrer Freunde behilflich gewesen zu sein.«

Kehlmann nickte.

»Uns alle?«

Kehlmann zuckte die Achseln.

Branisch lächelte kühl und ironisch. »Die Lage, in der Sie und Ihre Freunde sich befinden, erklärt mir ganz den abnormen Zustand, in welchem Sie sich befinden, der Verfolgte sieht in Jedermann einen Detectiv. Unsere Theilnahme für Sie und Ihre Freunde ist gewiß aufrichtig.... Sie beschuldigen Oberwimmer, wie ich höre. Er ist nicht hier. Ich schlage Ihnen vor, zu ihm zu fahren. Er wird uns diese dunkle Angelegenheit gewiß aufklären. Wie?«

Ein herausforderndes Lachen, welches Kehlmann's Lippen schmerzhaft verzog, antwortete Branisch. »- Ja, fahren; von Pontius zu Pilatus. Als ich hierher kam, wußte ich wohl, dieses sei nicht der geeignete Weg, um aus Wien zu entkommen – – ha – ha –! Aber ich glaubte, es würde mir wohlthun, hier Ihnen Alles in's Gesicht zu sagen, doch, was hilft's? Der Ekel ist zu groß. Ich schweige lieber. Aber zu jenem Menschen hinfahren, mich ihm ausliefern... Wozu? Sie werden mich schon – in der Redaktion der Zukunft verhaften müssen – ha – ha – –«

Branisch wandte sich ungeduldig ab und meinte: »Er ist ein Narr.«

Kehlmann jedoch war in Schuß gekommen, er fuhr fort laut und hastig zu sprechen, sich fortwährend mit dem rauhen, schmerzhaften Lachen unterbrechend. »Ja – Sie werden sich beeilen müssen, denn ich hatte die Absicht, mich von hier auf den Bahnhof zu begeben. Aber, indem ich mich hier verhaften lasse, erweise ich unserer Sache auch einen Dienst, dann ist wenigstens die Rolle, welche dieses – dieses Idealisten-Nest spielt, unzweifelhaft.«

Es war wunderlich, wie ruhig, fast erstaunt sie Alle das anhörten. Klumpf begann sogar freundlich mit Kehlmann zu sprechen, wie mit einem Kranken. »Sie reden wie im Fieber, mein Lieber. Ist Gefahr für Sie vorhanden, so eilen Sie. Sie sehen, Ihre Worte treffen uns nicht.«

Kehlmann schlug die Augen nieder und sagte ruhiger: »Von Ihnen, Dr. Klumpf, dachten wir gut. Sie sind vielleicht auch der Betrogene; sehen Sie sich vor!... Glauben Sie mir... Uebrigens, das hat ja keinen Zweck, was sprech ich hier?...« unterbrach er sich ärgerlich. »Sollte einer von Ihnen es nicht wissen, so fragen Sie doch nach, welche Nummer Herr Oberwimmer auf der Polizei trägt. Die sucht sich stets solche hübsche, liebenswürdige Buben aus. Ha – ha... ein Meisterstück, wäre es nicht so teuflisch... Sie wollen mich unterbrechen, Dr. Branisch? Sie haben Recht. Hier in Ihrem Local muß man Rücksichten nehmen. Ich gehe schon, wenn ich kann.«

Er griff nach seinem Hut, ging auf die Thüre zu, die Beine gerade und steif, den Kopf zurückgeworfen, wie ein Mann, der mit selbstbewußtem Muth durch den Kugelregen schreitet.

Rotter folgte ihm bis auf den Flur. Es war ihm, als müßte er diesem wunderlichen Menschen noch etwas sagen, und doch fand er das rechte Wort nicht. Im Flur stand Frau Fliege und strickte. Ernst und würdig schaute sie aus ihrer weißen Haubenrüsche den Fremden an, ein wenig unzufrieden, weil er ohne Gruß an ihr vorüberging. An der Außenthüre rannte Kehlmann mit Lini zusammen, die erhitzt, mit hängendem Zopf, die Stiege heraufstürmte. Sie war über dieses Zusammentreffen sehr erschrocken, stieß einen leisen Schrei aus, schaute dem fremden Herrn mit ihrem spitzen Iltisgesichtchen unter den Hut und wandte ihm dann kichernd den Rücken, welches ihre Art mädchenhafter Verschämtheit war.

Rotter und Frau Fliege standen am Fenster, um zu sehen, wie Kehlmann aus dem Thor treten würde. Da kam er. Neben ihm ging ein kleiner, blonder Herr mit einer Brille, der bereitwillig über Kehlmann seinen Regenschirm ausspannte und eifrig auf ihn einsprach; hinter ihnen traten zwei Sicherheitswachleute aus dem Thor.

»Hm –,« meinte Frau Fliege, »dem Herrn scheint's nicht gut zu gehen...«

»Wie? Was? Wer ist jener Herr?« Rotter faßte erschrocken nach der Hand der alten Frau. »So sagen Sie's doch, liebe Frau Fliege.«

Sie lachte. »Aber, Herr Doctor, drücken Sie sich nicht so fest. Das halten meine alten Hände nicht aus... Der Herr unten ist der Polizeicommissär; kennen Sie ihn denn nicht?« Ohne zu antworten, stürmte Rotter in die Redaktion zurück. »Er ist verhaftet. Hier auf unserer Stiege...«

»Weißt Du das gewiß?« fragte Branisch streng, als wollte er Rotter zurechtweisen.

»Gesehen hab' ich's. Ja – jetzt kenn' ich mich nicht mehr aus. Bin ich ein Spitzel oder bin ich kein Spitzel?« Während Rotter tobend, mit dem Stock auf alle Stühle schlagend, berichtete, was er gesehen, hörten die Anderen stumm zu. Ja – auch sie verstanden nicht mehr, was um sie vorging – oder wagten es auch nicht zu verstehen.

Nur bei der Beschreibung des kleinen Herrn fuhr Lothar auf. »Blond, mit einer Brille, sagst Du?«

»Ja doch.« – –

»Weißt Du gewiß, daß er eine Brille trug?«

»Mein Gott, ich bin ja nicht blind... Die Brille ist auch das Schlimmste an der Sache nicht.« –

»Doch – das ist schlimm genug.« Lothar war bleich geworden und lachte gezwungen.

»Ja, mein Lieber, was ist da zu thun! Das aber möchte ich nicht zum zweiten Mal erleben, wie Jener da stand, wie Daniel in der Löwengrube... und wir sollten die Henker sein. Pfui!«

Lothar schüttelte sich. »Es ist, als steckte ich in einem bösen Traum; mir träumt, ich sei ein Spitzel und die Redaktion ein Polizeibureau.«

»Und unser armer Oberwimmer!« fiel Rotter ein. »Ist das eine Gemeinheit! Ich geh' zu ihm. In schweren Zeiten muß man zusammenhalten.«

»Halt!« rief Branisch. Er zeigte wieder seine entschlossene Feldherrnmiene. »Wir sehen noch nicht klar. Etwas ist hier nicht richtig. Seht Euch vor. Der Mann hat vielleicht Recht.«

Und wie das heraus war, schüttelte ein kalter Schauer die Anderen.

»Branisch!« schrie Rotter auf, »das darfst Du nicht sagen! Unser Oberwimmer?« Der gute Junge war so bewegt, daß Thränen ihm die Augen füllten.

Branisch that feierlicher und bestimmter denn je. »Brückmann, ich werde Dich bitten, mich zu Oberwimmer zu begleiten...«

»Was hat Freundschaft für einen Werth?« grollte Rotter. »Und warum Oberwimmer? Warum nicht ich? Ich bin vielleicht ein Spitzel.«

»O! Du nicht!« entgegnete Branisch und es klang fast wie verächtlich; Rotter ärgerte sich auch.

»Warum nicht? Wenn wir Einer den Anderen verdächtigen wollen. Gott! Gott! ist das eine Schand!«

Branisch zuckte die Achseln. »Ja – Klarheit muß doch geschaffen werden.«

* * *

Um die Mittagsstunde begann die Sonne zuweilen durch die gleichmäßig grauen Wolken hindurchzudringen, und sofort nahmen die Straßen, durch welche Lothar und Branisch hinfuhren, wieder ein lustiges Aussehen an, blinkend von all' dem Wasser, in welchem die Kinder mit ihren nackten Füßen herumpatschten; doch der Wind kam, zog den grauen Vorhang vor die Sonne und die Stadt sah wieder schmutzig und mürrisch aus. Der feine Regen schraffirte das Bild mit seinen schrägen Strichen, als habe eine unzufriedene Künstlerhand es durchstreichen wollen.

Lothar und Branisch, ein jeder in seine Wagenecke zurückgelehnt, schwiegen beharrlich. Sie wagten es nicht, voreinander, kaum sich selbst, ihre Gedanken auszusprechen.

Nur als sie Oberwimmer's Haus in Penzing erreicht hatten, bemerkte Lothar: »Immerhin ist's befremdlich, daß er uns nie in sein Haus, in seine Familie eingeführt hat.«

– »Dafür gäbe es Erklärungsgründe,« meinte Branisch.

– »O! freilich! Ich meinte nur so...«

Das Häuschen lag mitten in einem kleinen Garten. Wilder Wein, jetzt vom Regen ein wenig zerzaust, umflatterte mit seinen dunkelrothen Ranken den weißen Bau. Vorne auf dem Rasen umstanden triefende Georginen und Astern eine blaue Glaskugel auf grünem Pfosten. Endlich, auf den Stufen der Treppe, lag Kinderspielzeug; eine Puppe und ein Papp-Pferd, beide arg vom Regen durchweicht.

Auf Lothar's Schellen wurde das Hausthor sofort geöffnet. Vor ihnen stand eine junge Frau. Das runde Kindergesichtchen erröthete heftig. Sie wollte die Fremden würdig empfangen, aber die Wimpern der klaren, grauen Augen zuckten beständig und sie mußte mit den Zähnen ihre Lippe fassen, um nicht zu lachen. An ihrem Kleide hingen zwei Kinder, ein vierjähriger Bube und ein sechsjähriges Mädchen, blonde Lockenköpfe mit klaren, grauen Augen, und sie zerrten so heftig, daß ihre Mutter sich kaum auf ihrem Platz behaupten konnte.

»Was wünschen die Herren?« fragte sie.

»Ist der Herr Oberwimmer zu sprechen?«

– »Ach, der ist verreist. Vorige Nacht ist er abgereist. Aber Jesus!« nun lachte sie wirklich. »Sie sind gewiß der Dr. Branisch. Pepi hat Ihr Bild im Album. Ach bitte, kommen Sie doch herein. Pepi hat so viel von Ihnen erzählt. Aber Pepi – so laß doch!« Dieses war an den Buben gerichtet, der endlich seine Mutter einen Schritt von der Thüre fortgezerrt hatte und triumphirend aufjauchzte.

»Ich danke. Wir wollten Oberwimmer in Geschäften sprechen. Wir fragen wieder an, wenn er von seiner Reise zurück ist,« lehnte Branisch feierlich ab.

»Ach – doch – kommen Sie herein,« bat die junge Frau. »Wann mein Mann zurückkehrt, ist unbestimmt, aber er wäre unzufrieden, wenn ich Sie fortließe. Sie sind ja seine Freunde, und es regnet draußen so schrecklich.«

Zögernd traten die Herren näher. Lothar dachte noch über eine Ausrede nach, um dieser Einladung zu entgehen, Frau Oberwimmer jedoch hielt schon den Griff der Hausthüre in der Hand, um sie zu schließen. Sie steckte noch ein wenig den Kopf hinaus. Der Wind blies ihr den Regen in das Gesicht und ließ die braunen Stirnlöckchen wild flattern. Sie schloß die Augen und lachte. »Ach – ah – dies' Wetter! Aber Jesus Maria, Milli – guck' nur, wer da draußen liegt. Meiner Seel'! Deine Beate!«

Das kleine Mädchen drängte auch zur Thüre. »Meine arme Beate! Mama, ich will sie hereinholen.«

– »Das kannst Du nicht.«

»Aber dort kann sie doch nicht bleiben.«

Lothar erbot sich, die Puppe und das Pferd zu holen. Beate war im traurigen Zustande, gleich und weich. Milli begann zu weinen. Frau Oberwimmer jedoch fand das so lächerlich, daß sie die Hände vor das Gesicht schlug, weil ihr das Lachen zu ausgelassen für eine verheirathete Frau erschien. »Laß's gut sein, Millerl',« tröstete sie das Kind. »Die Beate ist todt. Wir wollen ihr eine schöne Leich' machen.«

»Mama!« rief Pepi triumphirend, den Zeigefinger tief in den aufgeweichten Bauch seines Pferdes steckend. »Der Hans ist auch todt, nicht?«

»Ja – ja. Sei nur ruhig,« beschwichtigte ihn die Mutter. »Er soll mit Beate zusammen beerdigt werden. Bitte, meine Herren – hier herein.«

Das Wohnzimmer sah ungeordnet aus. Die Bilder waren von den Wänden genommen und lehnten in einer Ecke. Der Tisch war mit Gläsern, Tellern, Schüsseln bedeckt und eine ältere Dame stand davor, damit beschäftigt, die Gegenstände abzustäuben. Lothar erkannte in ihr sofort die Mutter der Hausfrau, – dasselbe runde Kindergesicht – dieselben grauen Augen – nur matter und sanfter.

»Mutter!« sagte Frau Oberwimmer. »Dieses hier ist der Dr. Branisch, von dem der Pepi so oft spricht... und...«

»Mein Freund Brückmann,« ergänzte Branisch.

»Ich habe die Herren nicht fortgelassen,« plauderte die kleine Frau weiter. »Ein Glas Wein müssen Sie nehmen; es ist gar so schlechtes Wetter. Mutter, Du besorgst das wohl? Hier sieht es schrecklich aus; nicht wahr. Die Unordnung! Aber wir ziehen fort.«

– »Wie? Sie ziehen fort?« fragte Branisch.

– »Freilich! Hat der Pepi Ihnen das nicht gesagt? Wir haben ja eine Anstellung drüben in Ungarn. Pepi ist hin, um Alles einzurichten, dann holt er mich und die Kinder. Ach die Kinder und ich haben so geweint, als das Haus verkauft wurde, und ich könnte noch weinen.«

– »Und das so – so ganz plötzlich?« fragte Branisch.

– »Ja, ganz plötzlich.«

Die Mutter brachte den Wein und mischte sich auch in das Geplauder ihrer Tochter.

Lothar hielt das Gespräch höflich aufrecht, ja – er vergaß fast, warum er hier war und konnte mit der kindischen, kleinen Frau sogar lachen, während Branisch stumm und finster da saß. –

Endlich brachen sie auf.

»Es wird dem Pepi so leid sein, die Herren verfehlt zu haben,« sagte Frau Oberwimmer. »Und daß wir gerade jetzt, wo man sich kennt, fortmüssen. Milli – Pepi – gebt den Herren hübsch die Hand.«

Als sie draußen vor dem Wagen standen, bemerkte Branisch: »Also doch. Das ist unberechenbar.«

Lothar erwiderte nichts. Ein Gefühl tiefster Traurigkeit erfaßte ihn. Die kleine Frau und ihre hübsche, lustige Häuslichkeit und dann das! War das möglich? Kann soviel Hübsches mit so Garstigem zusammen wohnen?


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