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V.
Aus der Tiefe des Zweifels und der Finsternis.

HErr Gott, mein Heiland, ich schreie Tag und Nacht vor dir. Laß mein Gebet vor dich kommen, neige deine Ohren zu meinem Geschrei. Denn meine Seele ist voll Jammers, und mein Leben ist nah bei der Hölle.

Ps. 88, 1-3.

Wo soll ich hingehen vor deinem Geist! Und wo soll ich fliehen vor deinem Angesicht! Spräche ich: Finsternis möge mich decken; so muß die Nacht auch Licht um mich sein.

Ps. 139, 7 u. 11.

HErr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden, und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: »Kommet wieder, Menschenkinder.«

Ps. 90, 2. 3.

Aber Gott wird meine Seele erlösen aus der Höllengewalt, denn Er hat mich angenommen.

Ps. 49, 16.

Es kann keine dunklere, schwerere Versuchung über den Menschen kommen, als wenn der Teufel ihm Gedanken eingiebt wie diese: »Gott kümmert sich nicht um mich – Er haßt mich – alles, auch das Glück ist gegen mich – es ist, als läge ein Fluch auf mir. – Warum soll ich meinen Sinn ändern, wenn Gott Seinen Sinn gegen mich nicht ändert, ja entschlossen ist kein Erbarmen mit mir zu haben? Ich sehe es klar, denn es will mir nichts gelingen. Was hilft mir alle Reue? Ich will nun meine eigenen Wege gehen.«

Hast du je solche Gedanken gehabt? Dann höre des Herrn Wort, das zu dir kommt: »Wo sich der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er gethan hat, und hält alle meine Rechte, und thut recht und wohl, so soll er leben und nicht sterben. Meinest du, daß ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht der HErr HErr; und nicht vielmehr, daß er sich bekehre von seinem Wege und lebe?« Glaube dem Teufel ja nicht, wenn er dir zuflüstert, daß Gott dich haßt, daß Gott hart und ungerecht zu dir ist und dich selbst in diese traurigen Verhältnisse der Versuchung, Schwachheit und Armut gestellt hat, an denen du nichts ändern kannst.

Was verspricht dir Gott dagegen in deiner Taufe? »Ob du gleich arm, thöricht, schwer versucht, unwissend bist, bleibst du doch Gottes Kind, deines Vaters Liebe ist über dir, Seine Gnade immer bereit, dir zu helfen.« Fühlst du dich noch zu schwach, dich zu bekehren, dann bitte Gottes Geist, daß er dir niegefühlte Willensstärke gebe. Bist du zu stolz, um deinen Sinn zu ändern, so bitte Gottes Geist, daß er dein hochmütiges Herz demütige, deinen harten, trotzigen Sinn erweiche. Wenn dann dein Stolz gebrochen ist, wenn an seine Stelle eine aufrichtige Sündenerkenntnis getreten ist, und du dich unwürdig fühlst, nur zu Gott aufzublicken, dann wirst du zu deinem Erstaunen innewerden, daß bald ein edles, heiliges, echt männliches Gefühl, – ja Selbstachtung und ein reines Gewissen in dir Raum gewinnen. Du fühlst es, daß, seist du auch noch so schwach und einfältig, du dennoch auf dem rechten Wege bist, daß Gott und Seine heiligen Engel sich deiner freuen; daß du wieder mit Himmel und Erde in Einklang stehst, weil du so bist, wie Gott dich haben will. Du bist nun nicht mehr Sein stolzes, murrendes, unzufriedenes, eigensinniges Kind, das sich stark genug dünkt seinen Weg allein zu gehen, sondern Sein liebender, gehorsamer Sohn durch die Kraft aus Gott nun wahrhaft frei, denn was du willst, das will Gott auch.

*

Halte fest an dem Gedanken, daß der Schöpfer aller Dinge, der alle Verhältnisse des Lebens leitet und ordnet, nicht der Zufall oder die Natur, sondern der Vater unsers Herrn Jesu Christi, unser Vater ist. Wenn du das nie vergißt, so bist du bewahrt vor den Tiefen der Tiefen: dem Atheismus, der Verzweiflung.

Darum – fühlst du, daß du dich in Zweifel verstrickst, so bete das Gebet des Versinkenden, rufe: »HErr, wenn du ein lebendiger Gott bist, so gieb mir ein Zeichen, daß du lebst, führe meine Seele in deine Wahrheit auf einem Wege, den ich nicht kenne!« Und Gott wird dich aus dem Banne befreien.

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So traurig dein Brief auch war, so habe ich mich doch daran gefreut, denn Freude ist es immer zu sehen, wie das Leben aus dem Tode entspringt, wie Gesundheit nach der Krankheit zurückkehrt, obgleich nach Ausspruch der Ärzte das Wiederaufleben nach dem Ersticken oder Ertrinken ebenso peinvoll ist, als der zeitweise Tod schmerzlos war. Der Glaube wird aus dem Zweifel geboren. »Wo nichts sich regt, ist's Tod, nicht Leben.« Nimm an, daß alle diese deine Zweifel und Kämpfe einfach ebenso viele Beweise dafür sind, daß dein Vater im Himmel dich echt väterlich behandelt, daß Er dich nicht verlassen hat, dir nicht zürnt, sondern dich in Seine Schule nimmt, und zwar auf die Weise, welche zu deiner Eigenart am besten paßt. Er erteilt dir die größte aller Lehren: »Mache dich leer von dir selbst, und Gott wird dich füllen.«

Gehe mit deinen Sorgen zu deinem Vater im Himmel; hat der Name Vater überhaupt einen tiefen Sinn, so sagt er dir vor allem, daß der, welcher ihn trägt, sich von Seinem Kinde nicht abwenden kann mit einer Kälte, deren du deinem Kinde gegenüber nicht fähig wärest. Wohnen Mitleid, Treue, Liebe, Geduld im Menschen, so können sie nur von Gott stammen, denn ihr Urbild ist allein in Ihm zu finden. Daher mußt du zu deinem Vater im Himmel als zum Urbild dieser Christentugenden täglich zurückkehren.

Der Apostel Paulus verstand genau deinen augenblicklichen Gemütszustand; er sagt, daß er das Heilmittel dafür gefunden. Und wahrlich seine Worte, wenn wir urteilen nach der sieghaften Weise, in der sie Wurzel gefaßt und sich ausgebreitet haben – sie müssen Tiefe und Leben in sich tragen. Warum hältst du dich nicht an diese Worte? Lies die ersten neun Kapitel von Pauli Epistel an die Römer und nimm es für unerschütterlich wahr an, daß sie den einfachen, faßbaren Sinn wirklich enthalten, den man ihnen beigelegt hat.

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Wenn die Stunde der Versuchung über dich kommt, so giebt es nur ein Mittel, zu entrinnen. Kehre zurück zu den einfachen Glaubenswahrheiten und Gnadenverheißungen, die dir deine Mutter gelehrt, als du ein Kind warst; denn allein darin wirst du sicher geborgen sein in diesem und dem zukünftigen Leben.

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Aus Zeiten, wo Tag und Nacht der Himmel über mir ehern war, habe ich die Erfahrung davongetragen, daß, wenn Zweifel und dunkle Gedanken über einen kommen, man mit ihnen kämpfen, ihnen die Stirn bieten muß, grundsätzlich mit ihnen ringen, mit Ausdauer ihnen widerstehen, auch wenn sie die Oberhand zu gewinnen scheinen. »Von solcher Betrübnis der Seele lebet man, und das Leben meines Geistes wohnet gar in demselbigen« (Jes. 38, 16). Nur wer herabgestiegen ist zur Hölle, kann am dritten Tage wieder auferstehen.

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Ich kann nur schreien: »Mein Gott, ich hoffe auf dich, lasse mich nicht zuschanden werden, daß sich meine Feinde nicht freuen über mich und sprechen: Wo ist nun dein Gott?« Aber während ich mich am meisten also abmartere, spricht zu mir eine innere Stimme: Was thut es, ob du zuschanden wirst, Gott wird es nimmer werden. Glaube nur fest, daß Gott so gut ist, wie es deine beschränkte Vernunft fassen kann. Dann wird Er dir endlich geben, daß du die ganze Fülle Seiner Allgüte in dich aufnehmen kannst, und den Segen schmeckst, Gott zu schauen wie Er ist.

Du wirst sagen ich rede in Widersprüchen. Nun so ist es auch, und ebenso findest du es in Davids Psalmen, wenn du sie eingehend liesest. Diese Widersprüche sind es, die sie dem menschlichen Herzen so innig nahebringen, die Worte eines Mannes, der in tiefer Finsternis und Zweifel um Licht fleht und nicht umsonst, ebenso wenig wie mein Seufzen ungehört bleibt. Ach, ich weiß nur eins – nämlich daß ich nichts weiß; doch hoffe ich, daß Christus der Menschensohn mir nach und nach sagen wird, wenn ich in Wachen und Geduld ausharre, was ich bin und was der Mensch ist.

*

Es giebt Dinge, die ich immer klar vor mir sehe, und an die ich mich mit verzweifeltem Griff anklammere – ein Vater im Himmel für uns alle, ein Sohn Gottes, Fleisch geworden für alle (diese Fleischwerdung ist für mich die eine Thatsache, die mir mehr wert ist wie alle anderen, weil sie mir die übrigen Glaubenswahrheiten möglich und verständlich macht); und ein Geist, vom Vater und vom Sohne ausgehend, die Quelle alles Guten auf Erden, welcher das Wollen und Vollbringen Seines guten und gnädigen Willens wirket. In wem? In jedem menschlichen Wesen, das in sich einen Funken von wahrem Seelenadel trägt, ein noch so schwaches Verlangen fühlt, das Rechte und Gute zu thun oder von Nutzen zu sein. Weiter kann ich nichts sehen, es müßte denn das eine sein: Das Rechte ist göttlich und allüberwindend – das Unrechte aber höllisch und dennoch schwach, thöricht, nichts wie ein prahlendes Gespenst, welches die Flucht ergreifen wird bei jedem tapfern Streich, wenn wir nur den Mut haben, ihn im Namen Gottes zu thun.

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Es gießt kein menschlich Leiden, das Jesus Christus nicht gekostet und erfahren hätte. Der Becher des Elends war Ihm bis zum Überlaufen gefüllt, und Er leerte ihn bis auf die Neige. Er schmeckte den Tod für jedes Menschenkind und stieg hinab in die tiefsten Tiefen von Entsetzen, Schande, Todesgrauen – und in das Schwerste – in das Gefühl der Gottverlassenheit, in das Gefühl, daß für Ihn keine Hilfe, keine Hoffnung sei, im Himmel und auf der Erde. Mit einem Wort: Er fuhr hernieder zur Hölle, und so hat Er Hölle und Tod, die Finsternis der unbekannten Welt besiegt und ist wieder siegreich heraufgekommen, daß Er uns befreie von der Furcht vor Hölle und Tod, uns trösten könne auf dem Krankenbett, wenn wir mit uns selbst ins Gericht gehn, oder in anderer bitterer Betrübnis und Schande, wenn der Vater der Lüge, der Teufel, uns zuflüstert, daß wir verdammt, verloren, von Gott verlassen sind, wenn die Sünden der Vergangenheit vor uns auftauchen und uns ins Angesicht starren – ja, daß Er in wahrem Mitleiden uns beistehn könne in der Stunde des Todes.

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Wie dunkel auch das Geheimnis ist, das Leben und Tod einhüllt, es giebt ein Geheimnis, welches das Kreuz Christi uns offenbart, und das ist die unendliche, unwandelbare Gnade Gottes. Darum lasse alles andere ein Geheimnis bleiben, wenn nur das Geheimnis von Christi Kreuz uns den Glauben verleiht, der das Dunkel durchdringt. Das Evangelium will uns das Rätsel von Sünde, Schrecken und Tod nicht lösen, aber es sagt uns, daß dies große Rätsel gelöst werden wird. Gott selbst hat es zu lösen auf Sich genommen, und Christus hat durch das Opfer Seines Lebens und Sterbens bewiesen, daß, wenn das Böse in der Welt ist, Er nichts damit gemein hat, denn Er haßte es, kämpfte dagegen, ja, kämpfte bis zum Tode. Das Kreuz spricht: Vertraue auf Gott! Frage nun nicht mehr: »Warum hast du mich so gemacht?« Frage nicht mehr: »Warum lässest du es den Bösen wohlergehen?« Frage nicht mehr: »Woher kommen Schmerz und Tod, Krieg, Seuche, Hungersnot, Erdbeben, Unwetter und alle Übel, welche des Fleisches Erbe sind?« – Alle solche fruchtlose, müßige Fragen, alles unzufriedene Murren ist ausgeschlossen durch den Tod und das Leiden Christi. Stehst du in des Leidens Tiefen? Du kannst nicht mehr leiden als der Sohn Gottes. Fühlst du den Schmerz deiner Brüder wie den eigenen? Dein Mitgefühl kann kein innigeres sein als das des Sohnes Gottes. Sehnst du dich danach, deine Leidensgenossen zu rechtfertigen, sie zu befreien, ja möchtest du dein Leben für sie hingeben? Dein Verlangen kann nicht heißer sein wie das des Sohnes Gottes, der Sein Sehnen zur That werden ließ, als Er für dich und sie alle starb.

Wie aber, wenn das Leid kein Ende nimmt? Wie, wenn das Böse fortdauert? Wie, wenn die Arzenei die Krankheit noch nicht überwand? Halte aus in Geduld, Glauben und Hoffen, der du am Fuße von Christi Kreuz stehst und dich daran anklammerst, als an den Anker deiner Seele, deiner Vernunft, deines Herzens. Denn so verkehrt es in der Welt zugeht oder zu gehen scheint – das Kreuz ist doch das unwandelbare Zeichen, daß Gott also die Welt liebte, daß Er Seinen eingeborenen Sohn nicht geschont hat, sondern Ihn freiwillig für alle dahingab. Was nun sonst auch zweifelhaft sein mag, eins ist sicher, daß Gott siegen muß, weil Gott der Inbegriff alles Guten ist, daß das Böse vergehen muß, weil Gott das Böse haßt bis in den Tod.

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Wie kann die grundlose Tiefe, in die wir gefallen sind, uns zum Pfad werden, der zum unerschütterlichen, ewigen Felsen führt? David sagt es uns. »Aus der Tiefe rief ich HErr zu Dir.« Ja, er rief zu Gott; nicht sich selbst rief er an, oder sein eignes Wissen, Einsicht, Talente, nicht Lehrsätze, Bücher, seine eigne Werkthätigkeit, nicht seine Glaubenserfahrungen, Stimmungen und Gefühle. Der Schaden war zu tief und schrecklich, als daß er in dieser oder anderer Weise zugedeckt oder geheilt werden konnte. David stand Aug' in Auge mit Gott allein, und in völliger Schwäche, in völliger Nacktheit der Seele schrie er zu Gott selbst. Da hat er die gute Lektion in der schweren Schule gelernt. Gott nahm ihm alles, damit er niemand anzurufen habe, als nur Gott.

Moses ging allein hinauf zum Berge Gottes und fastete vierzig Tage und vierzig Nächte unter Erdbeben, Donner und Blitz und den Felsen, die da zerschmolzen vor dem HErrn. Und siehe, als alles dies vorüber war, redete Moses von Angesicht zu Angesicht mit Gott, wie ein Mann redet mit seinem Freund, und sein Antlitz glänzte wie himmlisches Licht, als er siegreich herabkam vom Berge Gottes – so wird es auch sein mit jeder Menschenseele, die aus dem Dunkel und der Tiefe der Trübsal zu Gott allein schreit.

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In Seiner Marter am Kreuz betet Christus für Seine Mörder: »Vater vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun.« Und die äußersten Tiefen des Leidens bringen wohl manchen von uns in solche Seelenverfassung, dem Heiland nach. Wir werden, wie Christus, für alle, mit allen empfinden, uns freuen mit den Fröhlichen, weinen mit den Weinenden, anderer Prüfungen verstehen, uns in ihre Versuchungen hineindenken. Ja, wir lernen aus solcher Tiefe heraus uns in die Stelle des Nächsten versetzen, bis wir mit seinen Augen sehen, mit seinem Herzen fühlen, keinen Menschen richten und für alle hoffen; gütig, geduldig und zart mit jedem umgehn, dem wir begegnen, keinen verachten, an keinem verzweifeln, weil unser Heiland keinen verachtete, an keinem verzweifelte; auf jeden, der uns naht, mit Liebe blicken, weil er auch vielleicht in denselben Tiefen des Schreckens war wie wir, oder jeden Tag dahin geraten könnte. Wir lernen unsere Sünden, wie in einem Spiegel, in den Sünden andrer erkennen, uns eingestehn, daß wir auch zu thun imstande wären, was sie thun, und zu fühlen, wie sie fühlen, wenn Gott uns verließe; geben, vergeben, leben und leben lassen, wie Christus uns giebt und uns vergiebt, wie er für uns lebt und uns leben läßt trotz aller unsrer Sünden.

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Freue dich, daß Gott der Vater, des Name Liebe ist, ein Feuer entzündet hat, das da ewiglich und unauslöschlich brennt, damit es in dem Herzen jedes einzelnen Menschen, in dem Herzen ganzer Nationen, in der leiblichen und geistigen Welt verzehre alles, was ein Ärgernis giebt und dem Lügengeist fröhnt. Freue dich, daß in dies Feuer der Sohn Gottes sicherlich allen falschen Schein werfen wird, alle Heuchelei, Tyrannei und falsche Lehre. Ist's nicht gute Botschaft, daß dieses Feuer nicht verlischt, daß dieser Wurm nicht stirbt? Vielleicht ist das Feuer auch schon für uns entzündet – vielleicht wird der Wurm auch unser Herz ergreifen. Gebe Gott, daß, wenn der Tag kommt, wir den Mut haben, Feuer und Wurm ihre Arbeit thun zu lassen und zu Christo zu sprechen: »Auch diese, der Wurm und das Feuer, sind rein, auch sie kamen aus Deiner unendlichen Liebe. Du verlangst Wahrheit in Herz und Nieren, und ich will Dir danken für jedes Mittel, auch für das bitterste, das Du anwendest, um mich treu und wahrhaftig zu machen. Ich will ein ehrliches, lauteres Menschenkind werden. Und, o Freude! in Deinem Liebesrat ist es beschlossen, daß ich es sein soll. O Freude! daß ich dein Feuer nicht löschen kann, wenn auch der feige, natürliche Mensch in mir es möchte. Reinige mich darum, o HErr, und wenn es auch durch Feuer ist. Verbrenne die Spreu der Eitelkeit und Selbstsucht, der oberflächlichen Vorurteile, diese wertlosen Schalen, mit denen ich meine Seele nicht nähren kann, die mich nicht befriedigen können, ja deren ich mich täglich schäme. Findest du aber, o HErr, hier und da ein Weizenkorn in mir, irgendein Wort, einen Gedanken, eine Kraft zum Wirken, die als guter Samen zum Segen werden kann für Dein Reich, so sammle sie in Deine himmlischen Scheuern.« – Amen.

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Das Läuterungsfeuer unseres Gottes stählt einen Menschen und sänftigt ihn zugleich. Er kommt daraus hervor abgehärtet und gestählt, wie denn geschrieben steht: »Leide dich als ein guter Streiter Jesu Christi.« Und ferner: »Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe Glauben gehalten, ich habe den Lauf vollendet« – aber auch gesänftigt zu der Herzensweichheit und Milde, von der geschrieben steht:: »Seid aber unter einander freundlich, herzlich und vergebet einer dem andern gleich wie Gott euch vergeben hat in Christo.« Und wiederum: »Wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleid haben mit unserer Schwachheit, sondern der versucht ist allenthalben gleich wie wir.« Glücklich, dreimal glücklich, die so gewandelt sind durch das finstre Thal, und denen es ein Pfad geworden, der ins ewige Leben führt. Glücklich die, welche sich eine Weile voll Schmerz gekrümmt haben in der Glut von Gottes Feuer, und denen Spreu und Schlacken ausgebrannt sind, ausgebrannt alles, was den Geist Gottes beleidigt, was sie eitel und leicht, zugleich aber auch schwerfällig und träge machte, und sie zu Boden zog; – ausgebrannt – bis nur das reine Gold der Gerechtigkeit Gottes übrig blieb, siebenmal im Feuer geläutert, unverweslich, kostbar vor Gott und Menschen. Sie brauchen nicht zu trauern, werden nicht trauern über alles, was sie durchgemacht. Nun sind sie tapfer, nüchtern, geduldig geworden, nun haben sie erlangt den festen Willen, die Zucht, das Ausharren, den klaren Blick, die Kraft zu allem Guten. Sie sind nun gestaltet in das Bildnis Christi, der auch durch Leiden vollkommen gemacht ward; ja, ob Er gleich der Sohn Gottes war, hat Er doch in den Tagen Seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert, und ist erhört, darum daß Er Gott in Ehren hatte. Und ob Er gleich am Kreuze starb und nieder zur Hölle fuhr, hat Er doch durch eben diesen Tod und durch seine Höllenfahrt gesiegt über Tod und Hölle, und hat sie überwunden, weil Er sich ihnen unterwarf im Gehorsam gegen Gott.

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Unser Gott ist für Seine Menschenkinder voll Mitgefühl, Langmut und liebevollen Erbarmens. Er kennt, was für ein Gemächte wir sind, Er gedenket daran, daß wir Staub sind. Wie einst den ersten Menschen, so schickt Er auch uns in diese Welt, damit wir Erfahrung sammeln in schwerer Schule und unser Brot essen im Schweiße unseres Angesichts, bis wir unsere Schwachheit und Unwissenheit erkannt haben, bis wir innewerden, daß wir nicht auf eignen Füßen stehen können, daß Stolz und Sicherheit uns nur in Schuld und Elend und Schande bringen, ja, daß unter dem Himmel kein anderer Name ist, der uns erlösen kann, denn allein der Name unseres HErrn Jesu Christi. Er ist der Weibessame, der nach Gottes Verheißung der Schlange den Kopf zertreten sollte, und Er hat ihn zertreten. Ja – Er ist ein Mensch wie wir, mit menschlicher Natur, aber unbefleckt von Sünde, auf daß Er uns von der Sünde frei mache. Laßt uns zu Ihm aufblicken, sobald wir wahrnehmen, daß unser Fleisch uns herunterzieht, daß es uns stolz und eigensinnig macht, unzufrieden und lüstern bald nach diesem oder jenem.

Laßt uns Ihm vertrauen, Tag für Tag um Seine Gnade flehen, daß Er uns in Sein Bildnis hineingestalte und verändere, daß wir mehr und mehr zur Freiheit gelangen – frei werden von Sünde, frei von dem unruhigen, elenden Verlangen nach diesem oder jenem Ding, frei von bösen Gewohnheiten und der Sünde, die uns immerdar anklebt; frei von der Angst des bösen Gewissens, frei von der knechtischen Furcht vor Gott.

Laßt uns Ihn bitten, daß Er uns umwandle, reinige und erneure, Tag für Tag, bis wir in Seine Ähnlichkeit hineinwachsen, zum Stande der vollkommenen, der freien Menschen, Menschen, die nicht Sklaven sind ihres alten Adams, Sklaven ihres Stolzes, Sklaven ihrer Eitelkeit, ihrer Launen, Sklaven ihrer Begehrlichkeit und bösen Lüste, sondern die frei sind, wie der HErr Christus frei war, fähig ihren Leib in Zucht zu halten, sich aufzuschwingen über die sündliche Natur, und durch die ewige Gnade Gottes fähig, in der Welt und nicht von der Welt zu sein; fähig, Gott zu danken für alle Segnungen dieses Lebens, und aus ihnen köstliche Lehre zu ziehen; fähig, Gott zu danken für alles Leid dieses Lebens, und so heilsame Zucht anzunehmen; ja und dann königlich über all' dem stehend, fähig, sich von allem loszumachen und zu sprechen: »Solange als ich fest halte an Christus, meinem König, kann mir diese Welt nicht schaden. Mein Leben, mein wahres Leben, hängt nicht davon ab, ob ich in der kurzen Spanne Zeit hienieden glücklich oder unglücklich bin. Mein wahres Leben ist verborgen in Gott durch Jesus Christus, der, nachdem Er die menschliche Natur erlöst hat durch Seinen vollkommenen Gehorsam, und hat sie reingewaschen durch Sein Blut am Kreuz, sitzet zur rechten Hand Gottes, auf daß, wie Er erhöhet wurde, Er auch alle Menschen zu Sich ziehen könne, so viele wie zu Ihm kommen wollen, damit sie das ewige Leben haben.«

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