Rudyard Kipling
Das Dschungelbuch
Rudyard Kipling

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Rikki-Tikki-Tavi

      An des tiefen Loches Rand,
In dem Ringelhaut verschwand,
Rotaug' wartet, Rotaug' droht:
Nag, heraus! Tanz mit dem Tod!
Aug' an Auge, Kopf an Kopf!
    . . .Halte Takt, Nag!
Einem kostet's Haut und Schopf!
    . . . Wie du willst, Nag!
Zug um Zug und List um List!
    . . . Auf und ab, Nag!
Wie's beim Tanze üblich ist!
    . . . Stoße zu, Nag!
Links geschielt und rechts geschielt . . .
    . . . Hei! Vorbei, Nag! Hast verspielt . . .
   Weh dir, Nag!

Dies ist die Geschichte der Schlacht, die Rikki-Tikki-Tavi schlug, ganz allein, in dem Badezimmer des großen Bungalows im Distrikt Segowlee. Darsie, der Webervogel, half ihm, und Chuchundra, die Moschusratte, die an Platzangst leidet und deshalb immer an den Wänden entlangkriecht, gab ihm guten Rat. Aber den Kampf führte Rikki ganz allein durch.

Ein Mungo war Rikki – nach Pelz und buschiger Rute glich er fast einer Katze, doch Kopf und Art waren die eines Wiesels. Seine Augen und die immer bewegliche Nase schimmerten rosig; leicht konnte er sich am ganzen Körper kratzen und putzen und dabei ganz nach Belieben einen seiner Läufe benutzen. Seine Rute konnte er aufplustern, daß sie wie eine Flaschenbürste aussah; und wenn er durch das hohe Gras schnürte, ließ er seinen pfeifenden Schlachtruf ertönen: Rikki-Tikki-Tikki-Tschick!

Eines Tages schwoll der Fluß, an dem Rikki mit seinen Eltern lebte, mächtig an, denn während der ganzen Nacht war der Regen in Strömen vom Himmel gefallen. Zuletzt ergriff das schäumende Wasser den armen Rikki und riß ihn mit sich fort, sosehr er auch um sich stieß und sich wehrte. Aber er hielt seine kleinen rötlichen Augen offen, und als er an einem herabhängenden Zweige vorbeiglitt, schnappte er zu und hielt fest, bis ihm die Sinne vergingen.

Als Rikki erwachte, lag er in der heißen Sonne auf dem Rasenplatz eines fremden Gartens; und ein Knabe, der neben ihm stand, rief: »Mutter, das Wasser hat einen toten Mungo angeschwemmt. Komm, wir wollen ihn begraben.«

»Wer weiß, ob er tot ist«, meinte die Mutter. »Trage ihn herein, wir wollen ihn wärmen und trocknen.«

Sie brachten ihn ins Haus; und ein großer Mann nahm ihn hoch und sagte, er wäre nicht tot, sondern nur betäubt. So wurde er sorgsam in Watte gepackt und gewärmt. Dann schlug Rikki die roten Augen auf und nieste.

»Still jetzt«, sagte der große Mann (ein Engländer, der vor kurzem in den Bungalow eingezogen war). »Erschreckt ihn nicht, sonst läuft er davon.«

Einen Mungo erschrecken, das ist nun so ziemlich das Schwerste auf der Welt, denn er ist ganz Neugier von der Nasenspitze bis zum Schwanz. Und alle Mungovölker haben den Wahlspruch: »Lauf und sieh.« Rikki blinzelte die Watte an, beschnüffelte sie und entschied, daß sie nicht gut zu essen sei; dann streckte er sich, rannte um den Tisch, setzte sich aufrecht und leckte sich nach Katzenart – dann kratzte er sich, und mit plötzlichem Sprunge saß er auf der Schulter des Knaben.

»Keine Angst haben, Teddy«, lachte der Vater. »Das ist nun einmal seine Art, Freundschaft zu schließen.«

»Hu! Er kitzelt mich – am Kinn und nun am Halse«, rief Teddy.

Rikki-Tikki schob seinen Kopf hinter den Kragen des Knaben und schaute neugierig am Hals hinab, er schnupperte am Ohr – oben und unten – und als er in der Mitte ein Loch sah, schob er seine rosa Nase hinein. Teddy schrie auf und schüttelte sich, während Rikki zur Erde sprang und sich die Pfoten leckte.

»Das soll ein wildes Tier sein?« rief Teddys Mutter. »Es ist wohl zahm, weil wir gut zu ihm waren?«

»Alle Mungos sind so zahm«, antwortete der Vater. »Wenn Teddy ihn nicht quält, ihn nicht am Schwanz zieht oder ihn in einen Käfig zu sperren sucht, wird er ganz zutraulich werden und bei uns bleiben. Vielleicht frißt er schon.«

Man gab ihm ein Stückchen rohes Fleisch, das ihm anscheinend sehr gut schmeckte. Dann lief Rikki zur Veranda, setzte sich mitten in die Sonne und blies sich auf, bis sein schöner Pelz bis auf die Haut trocken war. Nun erst fühlte er sich wirklich wohl.

»Es gefällt mir hier viel besser als daheim im alten Loche«, sagte er zu sich selber. »Hier im Hause sind mehr Dinge zu finden, als meine ganze Familie je gesehen hat. Ich muß hierbleiben, bis ich alles beschnüffelt und ausgekundschaftet habe.«

Den ganzen Tag spürte er in allen Winkeln umher. In der Badewanne wäre er beinahe ertrunken; seine rosa Nase färbte sich ganz schwarz in dem Tintenfasse auf dem Schreibtisch, und er verbrannte sich die Zunge, als er das glühende Ende der Zigarre untersuchen wollte, die aus dem Munde des großen Mannes qualmend hervorragte. Am Abend beobachtete er neugierig in der Kinderstube, wie die Lampen angezündet wurden; und als Teddy sich ins Bett legte, probierte er, ob ihm die Strümpfe oder die Hosen des Knaben paßten. Er kletterte dann auf die Kissen und schloß die Augen, als ob er schlafen wollte. Aber er war ein rastloser Gefährte, denn bei dem kleinsten Geräusch schreckte er auf und begann eine umständliche Untersuchung anzustellen. Teddys Mutter und Vater kamen in die Stube, um gute Nacht zu sagen, und Rikki blinzelte ihnen von den Kissen entgegen.

»Nein, das geht nicht«, sagte die Mutter. »Vielleicht beißt er Teddy.«

»Er denkt nicht daran«, erklärte der Vater. »Im Gegenteil, dieser kleine Kerl hält besser Wache als ein Bluthund. Käme zum Beispiel eine Schlange in die Stube . . .«

Aber Teddys Mutter wollte an etwas so Schreckliches gar nicht denken.

Am nächsten Morgen stellte sich Rikki-Tikki rechtzeitig zum Frühstück ein; er hatte einen lustigen Ritt auf Teddys Schulter zur Veranda gemacht und sog schnuppernd den Duft der Teekanne, des Schinkens und der Eier in die Nase, die er sich während der Nacht wieder rosa geleckt hatte. Man gab ihm ein wenig von den süßen Bananen und gekochten Eiern, und zum Dank sprang er von Schoß zu Schoß und schnüffelte allen an den Händen herum. Er hatte sich vorgenommen, der Hausliebling zu werden, denn seine Mutter, die in der Familie des Kommandierenden Generals in Segowlee gelebt, hatte ihm genau erzählt, wie man so etwas anfangen müsse.

Nach dem Frühstück lief Rikki-Tikki in den Garten, um zu sehen, was es dort gab. Der Garten war groß und nur zur Hälfte bebaut; da standen ungeheure Rosenbüsche, um die man kaum mit zwölf großen Schritten herumgehen konnte, und Orangen- und Zitronenbäume, die das ganze Jahr lang mit Blüten und Früchten bedeckt waren. In dem anderen, wilden Teil des Gartens wuchsen Bambusrohr und dichtes Gras bis zur Manneshöhe empor – kurz, es war ein Platz, wie ihn sich ein Mungo nicht schöner wünschen konnte. Vergnügt sprang Rikki einigemal in die Luft und leckte sich die Lippen. »Das gibt hier eine prächtige Jagd«, sagte er, und bei dem Gedanken hob sich sein buschiger Schwanz erwartungsvoll wie eine Flaschenbürste. Und dann lief er umher, drang in das Dickicht, roch hier, schnüffelte dort, bis er plötzlich im Dornbusch klagende Stimmen vernahm. Es waren Darsie, der Webervogel, und seine Frau. Sie hatten ein prächtiges Nest gebaut aus zwei großen, zusammengelegten, kunstvoll mit Fasern verschnürten Blättern; und innen war es mit Watte und allerhand weichen Sachen ausgepolstert. Jetzt aber saßen sie vor dem Nest und weinten.

»Was habt ihr denn?« fragte Rikki-Tikki.

»Ach, uns ist es schlimm ergangen!« sagte Darsie; sein Weibchen konnte vor Schluchzen nicht sprechen. »Eins unserer Jungen ist gestern aus dem Nest gefallen, und Nag hat es gefressen!«

»Hm!« machte Rikki-Tikki. »Das ist allerdings sehr traurig. Aber wer ist denn Nag? Ich bin hier nämlich fremd und kenne die Völker des Gartens nicht.«

Darsie und seine Frau verstummten und duckten sich tief in das Nest, denn aus dem dichten Grase unter dem Dornbusch klang ein Zischen – so scharf und klar und drohend, daß Rikki-Tikki vor Schreck zwei volle Fuß zurücksprang. Und dann kroch es Zoll für Zoll heraus aus dem Gebüsch, voran der Kopf mit der ausgebreiteten Haube, bis der ganze, fünf Fuß lange Körper sichtbar war – der Körper von Nag, der großen schwarzen Kobra. Dann richtete Nag den Kopf hoch und schwang ihn hin und her und starrte auf Rikki-Tikki mit dem bösen, kalten Schlangenblick, der immer den gleichen starren Ausdruck behält, was der Kopf auch für Gedanken haben mag.

»Wer Nag ist?« züngelte die Kobra. »Schau mich an. Ich bin Nag. Der große gnädige Brahma drückte all unserem Volk das Zeichen auf, weil die erste Kobra mit ihrer Haube den schlafenden Gott vor der brennenden Sonne schützte. Schau und zittere!«

Er spreizte weit die Haube, und Rikki-Tikki sah auf der Kehrseite das brillenförmige Zeichen. Rikki fürchtete sich wirklich einen kurzen Augenblick, dann aber erinnerte er sich, wer er sei. Obgleich er noch niemals eine lebende Kobra gesehen, so hatte ihn doch seine Mutter oft genug mit toten Kobras gefüttert, und er wußte, daß es die Lebensaufgabe eines erwachsenen Mungos war, Schlangen zu vertilgen. Nag wußte das gleichfalls, und trotz seines undurchdringlichen, starren Auges hatte er Furcht im Grunde seines kalten Herzens.

»Dummes Geschwätz!« sagte Rikki-Tikki. »Brahma hin, Brahma her, aber du solltest dich schämen, kleine Nestküken aufzufressen.«

Nag schwieg und starrte unverwandt auf das Gras hinter Rikki-Tikki. Er wußte, daß die Anwesenheit eines Mungos im Garten für ihn und seine Familie über kurz oder lang den Tod bedeutete, und so sann er auf eine List. Um Rikki sorglos zu machen, senkte er den Kopf ein wenig und hielt ihn zur Seite.

»Laß uns vernünftig reden«, sagte er. »Du frißt Eier. Warum soll ich nicht kleine Vögel schlingen?«

»Hinter dir! Schau zurück!« piepste angstvoll Darsie.

Rikki-Tikki war zu klug, um Zeit mit Umschauen zu verlieren. Er sprang gerade in die Luft, so hoch er konnte, und breit zischend schoß Nagainas Kopf unter ihm durch. Das Weibchen Nags war unbemerkt hinter seinen Rücken gekrochen, um ihn mit einem Biß zu erledigen. Rikki fiel auf Nagainas Rücken herab, und wäre er ein wenig älter gewesen, so hätte er ihr mit einem Biß das Rückgrat gebrochen. Wohl schlug er seine scharfen Zähne in den Körper der Schlange, aber er fürchtete einen zweiten Angriff und biß nicht tief genug, um Nagaina zu töten. Dann sprang er davon, während sich die Schlange vor Schmerzen wand.

»Jämmerlicher Verräter, Darsie!« zischte Nag und reckte sich so hoch wie möglich empor, aber Darsie hatte sein Nest so hoch gebaut, daß es aus dem Bereich der Schlange lag, und wippte nun frohlockend auf dem Ast.

Rikki-Tikki setzte sich auf die Hinterfüße und stützte sich auf den Schwanz, gerade wie ein kleines Känguruh. Seine Augen wurden ganz rot (das ist bei den Mungos immer ein Zeichen der Wut), und er schalt und schimpfte, während er nach allen Seiten scharfen Auslug hielt.

Nag und Nagaina jedoch waren im Grase verschwunden. Wenn eine Schlange ihren Stoß verfehlt hat, verrät sie niemals, was sie zunächst zu tun beabsichtigt. Rikki-Tikki hatte keine Lust, den Flüchtlingen in das Dickicht zu folgen, denn er getraute sich nicht, den Kampf mit zwei Schlangen zu gleicher Zeit aufzunehmen. Er trabte davon und setzte sich auf den Kiesweg, nahe beim Hause, um nachzudenken. Die Sache stand ernst genug für ihn.

In alten Büchern kann man lesen, daß die Mungos sich durch ein Kraut zu heilen wissen, wenn sie beim Kampf mit einer Schlange gebissen werden. Aber das ist ein Märchen. Schärfe des Auges und Schnelligkeit allein entscheiden bei einem solchen Kampf – Stoß der Kobra gegen den Ansprung des Mungos. Aber da kein Auge scharf genug ist, den blitzschnellen Bewegungen des zustoßenden Schlangenkopfes zu folgen, so ist der Kampf des Mungos mit der Kobra an sich wunderbar genug, auch ohne die Sage vom Zauberkraut. Rikki-Tikki wußte, daß er ganz unerfahren war, aber gerade deshalb war er stolz darauf, daß er dem listigen Angriff von rückwärts siegreich ausgewichen war. Dieses Bewußtsein gab ihm Selbstvertrauen, und als Teddy herbeikam, ließ er sich gerne die Liebkosungen als schuldigen Tribut gefallen.

Plötzlich zischte ganz in der Nähe eine dünne Stimme: »Zittert alle, denn ich bin der Tod!« Karait war es, die kleine graubraune Schlange, die sich arglistig im Staube verkriecht, so daß man sie von ihrer Umgebung nicht zu unterscheiden vermag. Winzig ist der Körper Karaits, aber sein Biß ist so giftig wie der Biß der großen Kobra; und wenn man die kleine Schlange entdeckt, ist es meist schon zu spät.

Rikki-Tikkis Augen glommen wieder rubinrot. Rasch entschlüpfte er Teddys Händen und tänzelte mit dem eigentümlich schwingenden Gange seines Volkes auf Karait zu. Sie sieht sehr komisch aus, diese Gangart, aber ermöglicht eine volle Lageverschiebung des Körpers und befähigt den Mungo, ganz nach Belieben zur Rechten oder zur Linken im stumpfen oder spitzen Winkel plötzlich abzuschwenken. Rikki ahnte nicht, daß ein Kampf mit Karait weit gefährlicher war als ein Kampf mit Nag; denn Karait ist klein und dreht und wendet sich so schnell, daß er den Rückstoß blitzhaft nach dem Opfer führt, wenn er das erstemal gefehlt hat. Rikki tänzelte vor und zurück, während er nach einer Stelle zum Zufassen suchte. Karait stieß zu. Rikki sprang zur Seite und wollte schon zum Angriff übergehen; aber da stieß Karait zum zweitenmal zu, und der kleine, graue Kopf schoß um Haaresbreite an Rikkis Schulter vorbei. Dieser mußte über die Schlange hinwegspringen, deren Kopf sich wieder rasch drehte.

»Mutter! Vater!« rief Teddy begeistert. »Unser Mungo macht eine Schlange tot.«

Teddys Mutter schrie laut, und der Vater kam mit einem dicken Stocke herbeigelaufen, als Karait zum dritten Male zustieß und zum dritten Male ihr Ziel verfehlte. Da schnellte Rikki vorwärts, nahm die Schlange zwischen die Läufe und biß mit gesenktem Fang tief in den Rücken, dicht hinterm Kopfe, und dann rollte er auf dem Kieswege mit dem zuckenden Körper zwischen den scharfen Zähnen. Der Biß hatte Karait erledigt; und Rikki schickte sich eben an, den toten Körper von dem Schwanzende an nach der Gewohnheit seines Volkes hinunterzuschlingen, als ihm einfiel, daß ein allzu gutes Mahl die Glieder lähmt, und daß er dünn bleiben müsse, um mit Schlangen kämpfen zu können. So nahm er nur ein Staubbad unter den Rizinusbüschen und sah befremdet zu, wie Teddys Vater die tote Schlange mit einem Stock bearbeitete.

Wozu noch? dachte Rikki-Tikki. Es ist doch alles zu Ende.

»Süßer Rikki«, sagte Teddys Mutter unter Tränen, während sie ihn aufnahm und auf die staubige Nase küßte. »Du hast meinen Jungen vom Tode gerettet, ich werde dir ewig dankbar sein!« Und dann küßte sie ihn wieder und lachte und weinte zu gleicher Zeit. Der Vater stimmte ihr bei, und alle streichelten Rikki, der die rosa Nase hin und her bewegte und die Familie verwundert ansah.

Beim Abendessen durfte Rikki-Tikki auf dem weißen Tischtuche zwischen all den Gläsern und Schüsseln umherspazieren. Er hätte sich dreimal mit den schönsten Leckerbissen satt essen können, aber er dachte an Nag und Nagaina, und obgleich es sehr angenehm war, geküßt und gestreichelt zu werden und auf Teddys Schulter zu sitzen, so stieg ihm dennoch ab und zu die rote Farbe in die Augen, und er stieß laut und trotzig seinen Schlachtruf hervor: »Rikki-Tikki-Tschik!«

Teddy nahm ihn mit ins Bett und legte ihn sich um den Hals. Rikki-Tikki war zu gut erzogen, um zu kratzen oder zu beißen; aber sobald der Knabe eingeschlafen war, sprang er ab und begab sich auf seine nächtliche Streife durch das Haus. Im Dunkeln stieß er auf Chuchundra, die Moschusratte, die an der Wand entlangkriecht und immer kläglich piepst, als wolle ihr das Herz vor Kummer brechen.

»Töte mich nicht!« flehte Chuchundra. »Liebster Rikki-Tikki, laß mich am Leben!«

»Dummes Geplärr«, sagte Rikki verächtlich. »Glaubst du, ein Schlangentöter vergreift sich an Ratten?«

»Wer auf Schlangenjagd geht, kann leicht selbst gefressen werden«, meinte die Ratte, bekümmerter denn je. »Und könnte es denn nicht leicht sein, daß Nag uns beide im Dunkel der Nacht verwechselt?«

»Keine Gefahr«, sagte Rikki verächtlich. »Überdies – Nag wohnt im Garten, und du wagst dich nie aus dem Hause.«

»Nag ist überall, Rikki-Tikki! Meine Base Chua, die Feldratte, hat mir erzählt . . .« Chuchundra hielt plötzlich inne.

»Erzähle – Was?«

»Pst! Leise! Nag ist überall . . . Du solltest zu Chua gehen und mit ihr sprechen.«

»Weiß ich, ob ich sie finde? Heraus mit der Sprache! Sonst beiß ich dich!«

Chuchundra setzte sich hin und heulte, bis ihm die Tränen in die Barthaare liefen. »Arm bin ich und alt«, schluchzte er. »Ich traue mich kaum aus meinem Winkel heraus, und nun soll ich dir etwas so gräßliches erzählen! . . . Pst! Hörst du denn nicht?«

Rikki-Tikki lauschte. Alles lag im tiefsten Schweigen; doch nein – da tönte ganz, ganz leise ein Geräusch herüber – Schrab! – Schrab! Es war das trockene Schürfen einer Schlangenhaut auf Ziegelsteinen.

Ha, dachte Rikki, das ist Nag oder Nagaina. – Ich hätte doch mit Chua reden sollen.

 

Behutsam huschte er davon, zu Teddys Zimmer, und als er dort nichts Verdächtiges fand, schlich er weiter zum Badezimmer von Teddys Mutter. In der einen Ecke hatte man ein Abflußloch angelegt, und hier hörte Rikki, wie Nag und Nagaina draußen beim Mondschein miteinander flüsterten.

»Wenn niemand mehr im Hause wohnt«, sagte Nagaina zu ihrem Manne, »so wird auch er fortgehen, und der ganze Garten gehört uns wieder allein. Und nun gehe vorsichtig hinein und denke daran, daß du den großen Mann zuerst tötest! Ist das geschehen, so komme heraus, und dann wollen wir beide auf die Suche nach Rikki-Tikki gehen.«

»Aber bist du auch sicher, daß es uns nützen kann, die Menschen zu töten?«

»Darüber kann kein Zweifel sein. Hatten wir hier einen Mungo im Garten, als das Haus leerstand? Nein. Damals waren wir König und Königin. Und bedenke, bald, vielleicht schon morgen kriechen die Jungen aus unseren Eiern, und dann brauchen sie Ruhe und viel Platz.«

»Du hast recht. Daran habe ich nicht gedacht. Ich werde den großen Mann, die Frau und das Kind töten, wenn ich kann. Dann brauchen wir uns Rikki-Tikkis wegen keine Sorge zu machen. Sobald erst das Haus leer ist, wird sich der Tunichtgut von selbst verziehen, und wir haben nicht nötig, mit ihm zu kämpfen.«

Rikki-Tikki zuckte am ganzen Körper vor Wut, als er dies hörte. Und dann schob sich Nags Kopf durch das Abflußloch, und der kalte, fünf Fuß lange Körper folgte langsam nach. Trotz seiner Wut erschrak Rikki-Tikki gewaltig, als er den ungeheuren Körper der Kobra so dicht vor sich sah. Nag rollte sich zusammen, hob den Kopf und lauschte in das Dunkel. Rikki konnte das kalte Glitzern seiner Augen sehen.

Wenn ich ihn hier angreife, überlegte Rikki, wird Nagaina ihm zu Hilfe kommen; wenn ich aber warte, wird er vielleicht den großen Mann töten. Was soll ich tun?

Nag schwang den Kopf hin und her und trank dann aus der Wasserurne, die zum Füllen der Wanne diente. »Der große Mann hat einen Stock«, zischte die Schlange, »mit dem er Karait tötete. Er hat ihn wohl noch, aber sicherlich wird er ihn nicht mitbringen, wenn er morgens zum Bade kommt. Ich werde hier auf ihn warten. Nagaina . . . hörst du mich? Ich werde hier im Kühlen bis zum Morgen auf der Lauer liegen.«

Auf das Zischen der Schlange erfolgte keine Antwort von draußen. Alles war still, und Rikki-Tikki wußte nun, daß Nagaina fortgekrochen war. Nag rollte sich rund um die große Wasserurne, und Rikki-Tikki lauschte atemlos dem Schlürfen der rauhen Schuppen an dem irdenen Gefäß. Er wagte nicht, sich zu rühren, und erst nach einer Stunde begann er sich langsam vorwärts zu bewegen. Nag schlief; Rikki-Tikki musterte prüfend den ungeheuren Körper und überlegte, wo er wohl am besten zupacken könne. »Falls ich ihm nicht das Rückgrat beim ersten Ansprunge zerbreche, dann gute Nacht, Rikki!« Er betrachtete die Stärke des Genicks unterhalb der Haube, aber auch hier konnte er den Hals nicht umspannen, und ein Biß weiter unten würde Nag nur rasend gemacht haben.

Der Kopf bleibt allein übrig; ich muß den Kopf oberhalb der Haube packen und nicht wieder loslassen.

Er stand still, schaute noch einmal mit den roten Augen auf den schlafenden Nag, und dann . . . dann sprang er. Der Kopf lag an der Wand des Gefäßes an, und somit hatte Rikki einen Augenblick Zeit, sich gegen das Gefäß zu stemmen und zuzubeißen, bis er seine Zähne aufeinander fühlte. Und dann begann der Kampf. Rikki wurde gezerrt und geschüttelt und hin und her geschleudert wie eine Ratte, mit der ein Hund sein grausames Spiel treibt, schlug auf den Steinboden, gegen die Wand in kurzen Stößen oder weiten Schwüngen. Aber in seinen Augen saß die rote Wut, und er hielt fest, fest an dem großen Körper, der gewaltig hin und her peitschte und mit hohlem Klange gegen die Mauern und Badewanne hämmerte. Und trotz der Stöße und Schläge preßte Rikki die Zähne fester und fester aufeinander, denn er war ganz darauf gefaßt, zu Tode geschlagen zu werden, aber zur Ehre seines Geschlechts wollte er mit geschlossenen Kiefern sterben. Er fühlte sich halb betäubt, der ganze Körper schmerzte ihn, als plötzlich ein Blitzstrahl durch das Zimmer fuhr, gefolgt von lautem Krachen. Ein heißer Wind benahm ihm den Atem, und rotes Feuer sengte ihm das Fell. Der große Mann, vom Lärm geweckt, hatte die beiden Läufe seiner Flinte auf Nag abgeschossen, gerade hinter der Haube am Kopfe.

Rikki-Tikki hielt mit geschlossenen Augen und geschlossenen Kiefern fest an dem zuckenden Körper, denn nun war er ganz überzeugt, daß er selber tot war. Der große Mann wollte ihn aufnehmen, aber Rikki ließ nicht los, bis der Mann den Kopf der Schlange mit einem Messer vom Rumpfe getrennt hatte. Dann sperrte Rikki die Kiefer auf und ließ Nags Kopf zu Boden fallen. »Alice!« rief der Mann. »Schon wieder der Mungo! Diesmal hat der kleine Kerl unser beider Leben gerettet.« Teddys Mutter kam herbei mit blassem Gesichte und starrte auf die blutigen Überreste von Nag.

Rikki-Tikki humpelte in Teddys Schlafzimmer und kroch mit Mühe auf das Bett. In den weichen Kissen streckte und leckte er sich und untersuchte, ob Nag ihm nicht alle Knochen im Leibe zerschlagen habe.

Als der Morgen kam, fühlte er sich zwar steif, aber zufrieden wie ein Held. Nun bleibt mir noch Nagaina übrig, überlegte er. Und der Kampf mit der Frau ist schlimmer als der mit fünf Nags. Und ihre Jungen können jeden Augenblick auskriechen, wie sie sagte. Wahrhaftig, keine Zeit ist zu verlieren. Ich muß schleunigst mit Darsie sprechen.

Noch vor dem Frühstück lief Rikki-Tikki zum Dornbusch, wo Darsie einen Triumphgesang in die Morgenröte hinausjauchzte. Die Kunde von Nags Tode war bereits in den ganzen Garten gedrungen, denn der Diener hatte den toten Körper auf den Müllhaufen geworfen.

»Leichtsinniger Federball!« rief Rikki ärgerlich. »Dein Gesang kommt zu früh.«

»Nag ist tot – tot, tot, tot!« flötete Darsie. »Der tapfere Rikki-Tikki packte ihn am Kopfe und ließ ihn nicht los. Und der große Mann brachte die Donnerbüchse – bum – bum, und Nag zerfiel in zwei Stücke! Niemals wieder wird er meine Kleinen fressen!«

»Gewiß, gewiß! Aber wo ist Nagaina?« fragte Rikki, sorgenvoll umherblickend.

»Zum Badezimmer kam sie und rief nach Nag!« fuhr Darsie fort. »Nag aber wurde herausgetragen auf dem Ende eines Besenstiels, und der schwarze Diener warf ihn auf den Müllhaufen. Heil dem rotäugigen Rikki-Tikki, dem großen Schlangentöter!« Und Darsies kleine Kehle füllte sich mit neuem Jubel.

»Könnte ich nur zu deinem Neste kommen, ich wollte dir bald Vernunft beibringen!« rief Rikki. »Du dummer Blasebalg! Du bist dort oben sicher, aber hier unten heißt's für mich Kampf auf Leben und Tod. Halte doch nur eine Minute deinen Schnabel, Darsie.«

»Für den großen, herrlichen Rikki-Tikki will ich alles tun«, sagte Darsie. »Was befiehlst du, Bezwinger des furchtbaren Nag?«

»Wo ist Nagaina? Ich habe doch schon zweimal gefragt.«

»Auf dem Müllhaufen sitzt sie bei dem toten Körper ihres Gatten. Hoch, König Rikki-Tikki, der Unbezwingliche!«

»Gehe zum Kuckuck mit deinem König! Kannst du mir sagen, wo Nagaina ihre Eier versteckt hat?«

»Im Melonenbeete, ganz nahe an der Mauer – dort, wo die Sonne am stärksten sticht, vom Morgen bis zum Abend – unter den großen Blättern, dort hat sie die Eier vor drei Wochen versteckt.«

»Und du hast es niemals der Mühe für wert gehalten, mir das zu erzählen? Im Melonenbeet, nahe der Mauer, sagst du?«

»Rikki-Tikki, du willst doch nicht ihre Eier fressen?«

»Aus ihren Eiern schlüpfen junge Kobras, und junge Kobras verschlingen dich und deine Kinder bei lebendigem Leibe. Darsie, wenn du nur ein Lot Vernunft hast, so fliegst du zum Müllhaufen und gibst vor, du habest dir den Flügel gebrochen, und lockst Nagaina hierher zum Dornbusch. Ich muß zum Melonenbeet gehen, aber solange sie in der Nähe des Stalles ist, kann sie mich sehen.«

Darsie besaß mehr Herz als Verstand und konnte immer nur einen Gedanken auf einmal in seinem kleinen Kopfe festhalten. Da er wußte, daß Nagainas Kinder aus Eiern geboren wurden, ganz wie seine eigenen, schien es ihm unrecht, sie zu töten. Aber seine Frau war verständiger, und sie machte keinen großen Unterschied zwischen Kobras und Kobraeiern. Sie flog deshalb vom Neste und ließ Darsie zurück, um die Kleinen warm zu halten und seinen Triumphgesang vom Tode Nags zu vollenden. Darsie war in manchen Beziehungen den Menschen recht ähnlich. –

Sein Weibchen flog mittlerweile zum Müllhaufen und piepste ganz jämmerlich: »Ach, mein Flügel ist gebrochen! Der Knabe im Haus hat mit einem Stein nach mir geworfen!« Und dann flatterte sie ganz verzweifelt umher, dicht vor Nagainas Nase.

Nagaina hob den Kopf und zischte: »Oho! Du bist's? Du hast Rikki-Tikki gewarnt, als ich ihn töten wollte. Wahrhaftig, du hast dir einen schlimmen Platz ausgesucht, um lahm herumzuhüpfen!« Und sie schlängelte sich über den Kehricht vorwärts.

»Der böse Knabe hat mich mit einem Stein geworfen!«

»Nun, es mag dir vielleicht ein Trost sein, bevor du stirbst, zu wissen, daß ich dich an dem Knaben rächen werde. Mein Mann lag heute morgen tot auf dem Haufen hier, aber bevor der Abend anbricht, wird der Knabe in dem Hause ebenso still liegen. Warum läufst du fort? Ich fange dich doch. Sieh mich an, kleiner Vogel.«

Darsies Weibchen wußte Besseres zu tun, als dieser Aufforderung Folge zu leisten, denn ein Vogel, der in die starren Augen einer Schlange sieht, wird vor Entsetzen so gelähmt, daß er sich nicht vom Flecke rühren kann. Der kleine Schlaukopf flatterte von Ort zu Ort, ängstlich piepsend, aber ohne aufzufliegen; und Nagaina folgte ihm.

Rikki-Tikki hörte, wie sie auf dem Kieswege sich von dem Stalle entfernten, und er galoppierte rasch zum Melonenbeete. Dort fand er in einem schlaugewählten Verstecke fünfundzwanzig Eier etwa von der Größe kleiner Hühnereier, jedoch mit einer weißlichen Haut statt einer Schale überzogen.

»Ich kam keinen Augenblick zu früh«, sagte er, denn schon bewegten sich die jungen Schlangen unter der Haut, und seine Mutter hatte ihm eingeschärft, daß die jungen Kobras vom ersten Augenblicke an imstande seien, einen jungen Mungo oder gar einen Menschen zu töten. Er biß deshalb schnell die Spitzen der Eier ab und zerquetschte die jungen Kobras. Dann untersuchte er sorgfältig, ob er auch kein Ei verfehlt habe, und wie er sie alle drehte und wandte, entdeckte er eins, das er übersehen hatte. Er lachte grimmig und wollte eben das letzte Ei zermalmen, da hörte er, wie Darsies Weibchen entsetzt ausrief:

»Rikki-Tikki – Nagaina folgte mir in der Richtung des Hauses, und als sie sah, daß ich sie getäuscht hatte, schlüpfte sie zur Veranda . . . Schnell . . . dort sitzen sie alle . . . und diesmal will sie den großen Mann und alle anderen töten!«

 

Rikki-Tikki nahm das letzte Ei in den Mund und stürmte zur Veranda, so schnell, als habe er Flügel. Teddy saß dort mit seinen Eltern am Frühstückstische – doch Rikki-Tikki konnte sehr wohl sehen, daß sie nicht aßen. Sie glichen nicht lebenden Menschen, sondern saßen reglos wie Marmorfiguren mit weißen Gesichtern. Nagaina lag dicht neben Teddys Stuhl – ganz dicht, so daß sie leicht in seine nackten Waden beißen konnte; sie schwenkte den Oberkörper hin und her und züngelte einen Rachegesang.

»Du bist der Sohn des großen Mannes, der meinen Nag getötet hat«, zischte sie. »Sitze still. Ich bin noch nicht willens, dich zu töten. Warte noch ein paar Augenblicke. Verhaltet euch ruhig, ihr drei, ganz ruhig. Falls ihr euch regt, stoße ich zu, und falls ihr euch nicht regt, so seid ihr dennoch verloren. Hört mich an, denn dies ist mein Rachegesang.«

Teddys Augen starrten auf den Vater, der ihm angstvoll zuflüsterte: »Ruhig sitzen, Teddy, um Gottes willen. Rühre kein Glied. Ganz ruhig, Liebling.«

Da plötzlich tönte Rikki-Tikkis Stimme durch das furchtbare Schweigen: »Umgeschaut, Nagaina! Hier bin ich – kämpfe um dein Leben!«

»Alles zu seiner Zeit!« sagte sie, ohne die Augen abzuwenden. »Auch du wirst an die Reihe kommen. Sieh doch nur deine guten Freunde an, Rikki! Wie bleich sie sind! Angst haben sie. Nicht zu rühren wagen sie sich, und wenn du nur einen Schritt machst, stoße ich zu.«

»Sieh doch nach deinen Eiern in dem Melonenbeet nahe der Mauer«, keckerte Rikki. »Gehe hin und sieh nach.«

Die Schlange drehte sich halb um und erkannte das Ei neben Rikki-Tikki. »Ssss! Ah . . . gib es mir!« sagte sie.

Rikki-Tikki nahm das Ei zwischen die Füße, und seine Augen leuchteten tief rot. »Was für einen Preis gibst du? Für ein Schlangenei? Für eine junge Kobra? Für eine Königskobra? Für das allerletzte – das allerletzte von fünfundzwanzig jungen Kinderchen? Die Ameisen fressen alle die anderen draußen auf dem Melonenbeete.«

Nagaina entrollte sich schnell wie der Blitz und vergaß alles, des einen Eies wegen. Da langte Teddys Vater mit schnellem Griffe über den Tisch und riß den Knaben zu sich, aus der Sprungnähe der Kobra, während die Kaffeetassen und das Geschirr klirrend durcheinanderrollten.

»Überlistet! Angeführt! Angeführt!« kicherte Rikki-Tikki. »Der Knabe ist gerettet. Ich war es – ich, der Nag gestern nacht am Schopfe faßte und der ihm das Rückgrat zerbrach! Ich, Rikki-Tikki-Tschik!« Und er sprang mit allen vier Füßen zugleich kerzengerade in die Luft. »Er versuchte, mich abzuschütteln, aber ich hielt ihm fest zwischen den Zähnen! Er war lange tot, bevor der große Mann ihn in zwei Stücke zerschnitt. Ich war es, Rikki-Tikki-Tikki-Tschik! Komm herbei! Nagaina! Komm herbei und tröste dich: du sollst nicht lange eine trauernde Witwe bleiben.«

Nagaina sah, daß sie den rechten Augenblick verpaßt hatte, Teddy zu töten, und das Ei lag immer noch zwischen den Pfoten Rikki-Tikkis. »Gib mir das Ei! Gib mir das letzte meiner Eier, und ich verspreche dir, fortzugehen und niemals wiederzukommen«, bat sie und ließ demütig die Haube sinken.

»Ganz gewiß – du wirst von hier fortgehen, um den Kehrichthaufen an der Seite deines Gatten zu schmücken. Vorwärts, du arme Witwe! Bereite dich zum Kampfe! Der große Mann ist fortgegangen, seine Donnerbüchse zu holen! Kämpfe, ehe es zu spät ist!«

Rikki-Tikki tanzte wie besessen um Nagaina im Kreise herum; er hielt sich stets außer Sprungweite, und seine Augen glühten wie heiße Kohlen. Nagaina raffte sich auf und stieß zu. Rikki-Tikki sprang senkrecht empor und zu gleicher Zeit nach rückwärts. Wieder und immer wieder stieß die Schlange zu, und jedesmal sauste ihr Kopf mit dumpfem Krachen auf die Matten nieder. Endlich versuchte Rikki-Tikki, seiner Feindin in den Rücken zu kommen, und Nagaina wand und drehte sich, um ihn im Auge zu behalten.

Während der Staub noch aufflog, näherte sich Nagaina allmählich dem Ei, das noch auf der Veranda lag und an das Rikki-Tikki in der Hitze des Kampfes gar nicht mehr dachte. Rikki-Tikki sann eben auf eine neue Kriegslist und holte tief Atem, als plötzlich die Schlange das Ei mit dem Maul aufraffte, die Stufen der Veranda hinabglitt und wie ein Pfeil den Pfad entlangschoß. Wenn es sich um Leben und Tod handelt, zuckt der Körper einer Kobra auf der Flucht schnell dahin, wie die schwarze Peitschenschnur auf dem Rücken eines Pferdes.

Rikki jagte ihr nach, denn er wußte, daß seine Arbeit von neuem beginnen würde, wenn sie entkäme. Die Schlange glitt geradewegs zum hohen Gras beim Dornbusch, und dort schmetterte Darsie noch immer seinen Jubelgesang aus voller Kehle. Doch seine Frau war viel vernünftiger. Sobald sie Nagaina kommen sah, flog sie vom Neste und schlug mit den Flügeln dicht vor Nagainas Nase. Hätte Darsie ihr nur geholfen, so würden sie die Schlange vielleicht in anderer Richtung abgelenkt haben, so aber stutzte Nagaina nur einen Augenblick und setzte dann ihre Flucht weiter fort. Doch in diesem Augenblick hatte Rikki-Tikki sie eingeholt; und als sie in das Rattenloch stürzte, wo sie mit Nag ihr Heim eingerichtet hatte, saßen ihr Rikki-Tikkis weiße Zähne tief im Schwanze. Er ließ nicht los, und hinab ging's in die schwarze Öffnung über Steine und Wurzeln. In der Regel lassen es die Mungos schön bleiben, einer Kobra in ihr Loch zu folgen, aber Rikki dachte an keine Gefahr. Es war ganz dunkel in dem Loch, und Rikki konnte nicht wissen, wann Nagaina Raum finden würde, um zu wenden und zuzustoßen. Dennoch hielt er fest und streckte alle vier Füße steif aus, um sie möglichst tief in den heißen, nassen Boden einzustemmen und Nagaina in ihrem Lauf aufzuhalten.

Dann bewegte sich das Gras am Eingang des Loches nicht mehr; und Darsie sagte traurig: »Wir werden ihn niemals wiedersehen, unsern tapfern Rikki-Tikki! Der große Held ist in sein Grab hinabgestiegen! Denn Nagaina wird ihn sicherlich unten in der Erde totbeißen.«

Und damit setzte er sich vor das Nest und sang seinen Kleinen ein Trauerlied vor, das seinem betrübten Herzen entfloh, ohne daß er es erst zu dichten brauchte. Wie er nun gerade an der allerrührendsten Stelle angelangt war, zitterte das Gras hin und her, und heraus kroch Rikki-Tikki, langsam und steif und ganz mit Schmutz bedeckt. Rikki-Tikki blinzelte, denn das grelle Licht schmerzte ihn in den roten Augen, und Darsie hielt plötzlich mitten in einem tiefen Seufzer inne. Rikki leckte und schüttelte sich und nieste. »Das wäre erledigt«, sagte er. »Die Witwe wird niemals wieder ans Tageslicht kommen.« Und die roten Ameisen, die zwischen den Grashalmen lebten, hörten es und begannen sofort, eine nach der anderen, in das Loch hinabzusteigen, um zu sehen, ob er die Wahrheit gesprochen hatte.

Rikki-Tikki rollte sich in das Gras und schlief, wo er gerade war – schlief und schlief, bis die Sonne ganz tief am Himmel stand. Aber er hatte auch wirklich harte Arbeit getan.

»Oooah!« gähnte er, als er endlich erwachte. »Ich gehe jetzt ins Haus zurück. Darsie, melde dem Kupferschmied, daß Nagaina tot ist – er soll es der ganzen Nachbarschaft verkünden.«

Der Kupferschmied ist ein Vogel, dessen Stimme klingt wie der Schlag eines Hammers gegen einen Kupferkessel. Er ist deshalb in allen indischen Gärten und in der ganzen Dschungel der Dorfschreier, der weithin die Tagesneuigkeiten ausruft. Als Rikki-Tikki den Kiesweg hinaufging, hörte er hinter sich schon den wohlbekannten Ruf: »Ding-Dong-Tock! Nag ist tot! Ding-Dong! Nagaina ist tot! Dong-Dong-Tock!«

Da brachen alle Vögel in ein Jubelgeschrei aus, und sogar die Frösche sangen aus vollem Halse, denn Nag und Nagaina hatten für kleine Frösche eine ganz besondere Vorliebe gehabt.

Als Rikki im Hause anlangte, wollten ihn alle umarmen – Vater, Mutter und der Knabe –, und die Mutter weinte, und der Knabe küßte ihn einmal über das andere auf seine lehmbedeckte Nase, bis sie wieder ganz rein war. Rikki bekam ein prächtiges Essen, und dann ging er mit Teddy zusammen zu Bett.

Ganz spät am Abend kamen Vater und Mutter, um ihrem Liebling gute Nacht zu sagen. Und sie vergaßen auch Rikki-Tikki nicht dabei.

»Er hat unser aller Leben gerettet«, sagte die Mutter. »Denke doch nur, das herzige Wesen hat unser aller Leben gerettet!«

Rikki-Tikki erwachte, denn er hatte einen leisen Schlaf.

»Ach, ihr seid es«, sagte er. »Was macht ihr denn für Gesichter? Die Kobras sind alle tot, und wenn noch eine lebt, so bin ich doch da.«

Rikki-Tikki wurde bei all seinem Stolze nicht übermütig. Er hielt den Garten frei von Schlangen, denn er verstand sein Geschäft von Grund aus, und sogar die größten Kobras zitterten, wenn sie nur aus der Ferne seinen Schlachtruf hörten:

»Rikki-Tikki-Tikki-Tschik.«

 


 << zurück weiter >>