Rudyard Kipling und Wolcott Balestier
Naulahka, das Staatsglück
Rudyard Kipling und Wolcott Balestier

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Viertes Kapitel.

Der Präsident stieg im Bahnhotel von Topaz ab und blieb den nächsten Tag da. Sheriff und Tarvin nahmen ihn ganz in Beschlag, zeigten ihm die Stadt und wiesen ihm ihre sogenannten natürlichen Hilfsquellen nach. Die Herren waren zur Stadt hinausgeritten, und jetzt veranlaßte Tarvin den Präsidenten zu einem Halt, um ihm angesichts der weiten Ebene und der schneebedeckten Berggipfel auseinanderzusetzen, wie zweckmäßig, ja notwendig es sei, Topaz als Knotenpunkt der neuen Linie zu wählen, die Verwaltung, die Reparaturwerkstätten, den Hauptbahnhof hier anzulegen.

Tarvin wußte im Grund seines Herzens ganz genau, daß der Präsident gegen den Plan war, die Linie über Topaz zu führen. Aber er zog vor, das Gegenteil vorauszusetzen. Es war tatsächlich viel leichter, ihm darzulegen, daß Topaz ein Knotenpunkt und der Verwaltungsplatz werden müsse, als zu beweisen, daß die Linie überhaupt über Topaz zu führen sei. Kam diese Bahn nach Topaz, so ergab sich der Knotenpunkt von selbst, die Frage war nur, ob sie kam.

Lage und Verhältnisse von Topaz kannte Tarvin in- und auswendig, sie waren ihm so geläufig, wie das Einmaleins. Man ist nicht umsonst Vorstand der Handelskammer und Aufsichtsrat einer Bodenverbesserungsgesellschaft, die mit einem Barbestand von zweitausend Pfund eine Million Aktien ausgibt. Alle soliden Geschäftsleute von Topaz waren an diesem Unternehmen beteiligt; sie hatten das ganze Flachland zwischen Stadt und Bergen angekauft und auf dem Papier in Straßen, Villenviertel und öffentliche Anlagen eingeteilt. Im Bureau der Gesellschaft in der Connecticutstraße, einem eichengetäfelten Raum mit Mosaikfußboden, persischen Teppichen und seidenen Vorhängen, konnte man den Uebersichtsplan einsehen. Dort waren auch alle Bauplätze im Umkreis von zwei Meilen zu erfahren und zu erstehen, dort hatte ja auch Tarvin eigene Grundstücke zu verkaufen. Beim Verkauf von Bauplätzen hatte er gelernt, alle erdenklichen guten Seiten hervorzuheben; er wußte aus praktischer Erfahrung genau, was man einem Menschen zu glauben zumuten kann oder nicht.

Was er zum Beispiel auch wußte, war, daß Rustler nicht nur jetzt schon reichere Minen in seiner Umgebung hatte als Topaz, sondern an ein Hinterland mit noch gar nicht ausgebeuteten, beispiellos ergiebigen Erzlagern stieß, und er wußte auch, daß der Präsident davon unterrichtet war. Noch weitere Thatsachen waren ihm vertraut. Zum Beispiel, daß die Minen in der Umgegend von Topaz sich zwar leidlich rentierten, aber keinen besonderen Mineralreichtum aufzuweisen hatten und daß die Lage der Stadt in einem weiten, gut bewässerten Thal der Viehzucht wohl günstig war, aber nicht in höherem Grad, als man es anderwärts auch traf oder herstellen konnte. In andern Worten, die »natürlichen Hilfsquellen« von Topaz begründeten die Notwendigkeit, einen großen Eisenbahnknotenpunkt daraus zu machen, keineswegs so unumstößlich, als Nikolas Tarvins beredter Mund.

Er führte aber ja jetzt kein Selbstgespräch. Sein Glaubenssatz war, daß Topaz geschaffen sei, eine Eisenbahnstadt zu werden, und daß es seine Bestimmung nur erfüllen könne, wenn man es dazu mache. Mit irgend einem System der Logik ließ sich dieser Satz zwar nicht beweisen, und doch beruhte er auf vollkommen logischem Denken. Und zwar folgendermaßen: Topaz war keine Thatsache, Topaz war eine Hoffnung. Gut! Was mußte im Westen geschehen, um solche Hoffnungen in Erfüllungen zu verwandeln? Man mußte andre daran glauben machen! Ohne die drei C. war Topaz wertlos – welchen Wert hatte es aber für die drei C.? Offenbar nur den, den sie ihm verleihen würden!

Tarvin hatte also dem Präsidenten nur die eine Bürgschaft zu bieten, daß sich Topaz der erwiesenen Gunst würdig zeigen werde, und das war ungefähr nur soviel, als jede Stadt von sich sagen würde und sagen konnte. Der Präsident mußte sich ein Urteil bilden, welche von den beiden Städten, Rustler oder Topaz, Aussicht biete, mit ihren höhern Zwecken zu wachsen, und Tarvin war der Mann, ihm zu beweisen, daß darüber gar kein Zweifel zulässig sei. Was am letzten Ende den Ausschlag geben müsse, sei die Eigenart der Bewohner, und die Leute von Rustler seien, wie er sagte, lebendig Begrabene. Alle Welt wußte es – keine Industrie, kein Handel, keine Thatkraft, kein Geld. Und dagegen Topaz! Wenn der Präsident ja nur durch die Straßen ging, mußte es ihm in die Augen springen, weß Geistes Kinder die Einwohner von Topaz waren! Die waren hell im Kopf, die betrieben ihre Geschäfte, die glaubten an ihre Stadt und waren bereit, ihr Eigentum darin anzulegen. Der Präsident durfte nur sagen, was er von ihnen erwarte. Und dann rückte er mit dem Plan heraus, daß er einen der großen Eisenhüttenbesitzer in Denver veranlassen werde, in Topaz ein Zweiggeschäft, einen Hochofen, anzulegen, ja, es war schon mehr als ein Plan, es war ein Vertrag, den er in der Tasche hatte, aber die Bedingung war, daß die C. C. C. nach Topaz komme. Ein derartiges Geschäft mit Rustler abzuschließen, wäre der Gesellschaft gar nicht in den Sinn gekommen, weil man in Denver sehr genau wußte, daß in Rustler die Zuschläge fehlten. Auf Kosten von Topaz waren die Sachverständigen herumgereist und hatten sich von der Richtigkeit der Angabe überzeugt, daß Rustler die entsprechenden ZuschlägeZuschläge sind erdige oder metallische Bestandteile, die das auszubringende Erz oder dessen Verunreinigungen aufnehmen. Anm. d. Uebers. zur Schmelzung seiner Erze erst in einer Entfernung von fünfzehn Meilen, nämlich eben in Topaz, finden könne.

Des weiteren führte Tarvin an, daß Topaz für seine Erzeugnisse Abfluß nach dem Golf von Mexiko brauche, und daß die C. C. C. diesen Abfluß herzustellen habe. Der Präsident mochte derartige triftige Gründe schon öfter zu hören bekommen haben, denn die himmelschreiende Vermessenheit dieser Behauptung störte seinen Gleichmut nicht. Ein Eisenbahnpräsident, der die Vorzüge wetteifernder Städte abzuwägen hat, mußte es natürlich unter seiner Würde finden, nach den Erzeugnissen zu fragen, wofür Topaz nach Erleichterung schrie, hätte er aber danach gefragt, so würde ihm Tarvin ohne Erröten die Antwort gegeben haben, Rustlers Erzeugnisse. Er deutete das sogar in Form eines gewissen Zugeständnisses an, denn er setzte sofort hinzu, wenn die Bahn auf den Erzreichtum hinter Rustler rechne, so brauche man ja nur eine Zweiglinie nach Rustler hinauf zu bauen, was eine Kleinigkeit sei, und das Erz zum Schmelzen nach Topaz zu befördern. Als Mittelpunkt der Minen hatte ja Rustler einen gewissen Wert, es falle ihm nicht ein, das zu bestreiten, aber eine Sekundärbahn sei ebensogut imstande, die Erze herunterzubefördern wie die Hauptlinie, und genüge völlig den Ansprüchen, die eine Stadt wie Rustler auf Beachtung erheben könne, und ermögliche dann den Knotenpunkt an die naturgemäß richtige Stelle zu verlegen.

Woher er denn die Dampfkraft nehmen wolle, fragte Tarvin den Präsidenten kühnlich, wenn er Rustler zur Hauptstation mache und dort Lokomotiven wechseln müsse? Es war eine Paßhöhe zu erreichen, der Ort lag schon in den Bergen; ein Praktiker des Eisenbahnbaus wie der Präsident müsse ja wissen, daß seine Lokomotiven von Rustler aus keinen Anlauf nehmen konnten. Schon innerhalb der Stadt begann die starke Steigung, die nötig war, um hinauszukommen, von einem Knotenpunkt mit Rangiergeleisen konnte daher gar nicht die Rede sein. Und wenn die Maschinen das Glück hätten, nicht stecken zu bleiben auf der Steigung, wie hoch würden sich wohl jährlich die Betriebskosten steigern, wenn täglich schwere Güterzüge vom ungünstigsten Gelände aus den Berg hinauf befördert werden mußten? Die C. C. C. brauchte als Abschluß der Strecke und letzte Haltestelle, ehe sie an die Überschreitung des Passes ging, einen von der Natur dafür hergerichteten Platz wie Topaz, mitten in der Ebene, wo sie noch fünf Meilen glatte Fahrt hatte, ehe das Klettern losging.

Auf diesem Punkt verweilte Tarvin mit der Energie und Sicherheit, die nur der Untergrund unumstößlicher Thatsachen verleiht. Das war sein zuverlässigstes Beweismittel, und als der Präsident jetzt schweigend die Zügel aufnahm und nach der Stadt zurücklenkte, fühlte Tarvin wohl, daß ihm dieser Grund eingeleuchtet hatte. Ein weiterer Blick in Mutries Gesicht sagte ihm aber, daß er in der Hauptsache doch fehlgeschossen habe. Diese Gewißheit wäre herzbrechend gewesen, wenn Tarvin die Niederlage nicht so bestimmt vorausgesehen hätte. Die Aussicht auf Erfolg lag auf andrem Gebiet, aber er hatte sich vorgenommen, dieses nicht eher zu betreten, als bis alle andern Mittel versucht waren.

Wie zärtlich Tarvins Augen nicht auf seiner Stadt ruhten, als jetzt die beiden Pferde auf die unregelmäßig über die breite Thalsohle zerstreuten Häusergruppen zutrabten! Sie konnte auf ihn zählen, er würde ihr durchhelfen!

Das Topaz seiner Liebe und das Topaz der nüchternen Wirklichkeit waren unglaublich zart und innig untereinander verwoben und verschmolzen, aber kein fremder Beobachter, wäre er auch noch so wohlgesinnt gewesen, hätte den Beziehungen zwischen dem wirklichen Topaz und dem Topaz Nikolas Tarvins wie aller andern guten Bürger auf den Grund gehen dürfen. Bei Tarvin besonders war es nicht festzustellen, wo wirklicher ernster Glaube und Wille zum Glauben anfingen und aufhörten. Er wußte nur, daß er an Topaz glaubte, und der beste Grund für diesen Glauben war, daß Topaz ihn gar so nötig hatte. Die Hilfsbedürftigkeit seiner Stadt war ein Grund mehr, sie zu lieben.

Der ans Regelrechte gewohnte Kulturmensch des Ostens würde wohl überhaupt kein »Städtebild« wahrgenommen haben, sondern einen Haufen rohgezimmerter, verwahrloster, weltentlegener Holzbauten, die man aufs Geratewohl über eine ebene Fläche hingestreut hatte. Das bestätigt wieder einmal die öfter gemachte Wahrnehmung, daß jeder nur sehen kann, was er sehen gelernt hat! Tarvin sah die Sache anders und hätte dem Ostländer wenig Dank gewußt, der seine Zuflucht zur Bewunderung der Landschaft genommen und die schneegekrönten Berge gerühmt hätte, die das Thal in der Runde umrahmten. Mochte der Bewohner des Ostens auf seiner Meinung beharren, daß Topaz die verfehlte Staffage in einem herrlichen Landschaftsbild sei, für Tarvin war diese Landschaft nichts als ein zufälliger und im Notfall entbehrlicher Rahmen für Topaz; einer seine vielen Vorzüge höchstens, eine ihrer Besonderheiten, wie das Klima, der Breitegrad und die Handelskammer.

Im Heimwärtsreiten nannte er dem Präsidenten die Namen der Berggipfel; er zeigte ihm, wo der große Bewässerungskanal seinen Zufluß von den Bergen aufnahm, wie er im Schatten der niedersten Hügelreihe blieb, bis er in die Ebene von Topaz heraustrat, er nannte ihm die Zahl der Kranken, die das Spital jährlich verpflegte, und machte den hohen Krankenstand bescheiden als weiteren Beleg für das Blühen und Gedeihen der Stadt geltend. In den Straßen machte er ihn dann auf das Opernhaus, das Postamt, das Schul- und Gerichtsgebäude aufmerksam, ohne dabei mehr Eitelkeit zu entfalten, als eine Mutter, die ihren Erstgeborenen vorführt.

Wenn er dem Präsidenten nicht die geringste Sehenswürdigkeit erließ, so geschah es nicht nur, um die Verdienste von Topaz geltend zu machen, sondern nicht minder, um seinen eigenen Gedanken zu entfliehen. Durch all die Zuversicht und Beredsamkeit hindurch machte sich in seinem Innern eine ganz andre Stimme vernehmlich, und das klare Bewußtsein, daß sein Werben hier vorläufig vergeblich war, erneuerte die Bitterkeit einer andern vergeblichen Werbung. Er hatte Käte seit seiner Rückkehr von der Wahlversammlung gesprochen und wußte nun, daß höchstens ein Wunder sie abhalten konnte, in drei Tagen nach New York abzureisen. In Groll und Verzweiflung, sowie Entrüstung über den Mann, der das zuließ, hatte er endlich mit Sheriff gesprochen und den Vater bei allem, was ihm heilig war, angefleht, das Unheil zu verhüten. Es gibt aber lappige Stoffe, die auch durch Steifleinwand keinen Halt bekommen, und so gern sich Sheriff seinem Gegner verpflichtet hatte, eine Kraftübertragung ließ sich nicht ausführen, so viel Tarvin auch abzugeben hatte. Die Unterredung mit Käte und der vergebliche Versuch bei ihrem Vater hatten ihm ein erbärmliches Gefühl von Hilf- und Machtlosigkeit hinterlassen, nur ein großer Erfolg auf anderm Gebiet hätte ihm den frischen Mut zurückgeben können. Er lechzte denn auch danach, und es hatte ihm wohlgethan, den Präsidenten in Angriff nehmen zu können, obwohl er im voraus gewußt hatte, daß er in diesem Fall nichts ausrichten werde.

So lang er für Topaz kämpfte, konnte er Käte vergessen, aber als er sich jetzt von Mutrie verabschiedete, fiel ihm das Leid um sie von neuem schwer aufs Herz. Sie hatte ihm versprochen, heute nachmittag an einem Ausflug nach den Heißen Quellen teilzunehmen, sonst hätte er wohl Topaz Topaz sein lassen und sich nicht mehr um den Präsidenten gekümmert. So schwebte ihm dieser Ausflug wie ein letzter tröstlicher Hoffnungsschimmer vor, er wollte all seine Kraft einsetzen, Käte umzustimmen, er konnte nicht glauben, daß seinem Willen Unbezwingliches gegenübertrete, konnte nicht glauben, daß sie gehen würde!

Der Ausflug war geplant worden, um dem Präsidenten und seiner Frau zu zeigen, daß ein Zukunfts-Topaz, wenn alle Stränge rissen, einen vorzüglichen Winterkurort abgeben würde, und Frau Mutrie hatte die Aufforderung mit Vergnügen angenommen und den Gatten dafür bestimmt. Im Gedanken, daß er um jeden Preis ungestört mit Käte sprechen müsse, hatte Tarvin außer Sheriff noch drei andre Herren eingeladen, den Postmeister Maxim, Heckler, den Verleger der Topazer Zeitung, beide mit ihm im Vorstand der Handelskammer, und einen liebenswürdigen jungen Engländer Namens Carmathan. So hoffte er, ohne Schaden für Topaz ein halbes Stündchen für Käte zu gewinnen, ja er sagte sich, es sei vielleicht recht gut, wenn dem Präsidenten andre Gesichtspunkte eröffnet würden, und Heckler war ganz der Mann dazu.

Der junge Carmathan, der vor zwei Jahren nach Topaz gekommen, war, wie man in England sagt, ein jüngerer Sohn, der sich irgendwo ansiedeln wollte und sich die Viehzucht als Beruf erkoren hatte. Was er dazu mitgebracht hatte, waren ein Paar Wasserstiefel, eine Reitpeitsche und zweitausend Dollars in bar gewesen. Das Geld hatte er schleunigst verloren, dafür hatte er gelernt, daß man zum Viehtreiben keine Reitpeitschen braucht, und diese Lehre wie andre nützliche Kenntnisse verwendete er zur Zeit im Beruf eines CowboysKuhjunge. Berittene Hirten, die das Vieh in den Prairieen zusammenhalten und als kühne Reiter berühmt sind. Anm. d. Uebers. auf einer benachbarten Ranche.Bezeichnung der Gehöfte großer Viehzüchter in Mexiko und Westamerika, spanisch. Anm. d. Uebers. Er verdiente dabei dreißig Dollars im Monat und nahm sein Geschick mit der weisen Gelassenheit hin, die den eingeborenen wie den eingewanderten Bürger des Westens kennzeichnet. Käte schätzte an ihm den Stolz, der ihn abhielt, sich auf bequemere Weise Geld zu verschaffen, nämlich sich's von zu Hause schicken zu lassen, und hatte sein frisches, zuversichtliches Wesen gern. Die erste halbe Stunde Weges ritt er denn auch an ihrer Seite, während Tarvin Herrn und Frau Mutrie auf die zackigen Felsen aufmerksam machte, denen sie rasch näher kamen. Er zeigte ihnen die Minengänge, die in großer Höhe ins Gestein eindrangen, und erklärte die geologische Bildung des Gebirgszugs mit der rein praktischen Sachkenntnis des Mannes, der Minen gekauft und verkauft hat. Die Straße zog sich längs der Topaz jetzt schon berührenden Eisenbahnlinie hin und überschritt diese mehrmals, wie Tarvin bemerkte, genau in dem Winkel, den die C. C. C. zu nehmen haben werde. Einmal rasselte ein Güterzug an ihnen vorüber, der sich schnaubend und pustend die Höhe hinanwand. Eine enge Klause bildete den ersten Einlaß in das Bergland; danach öffneten sich die Klippen wieder weiter, um sich zwanzig Meilen tiefer in einen gewaltigen CanonBezeichnung der dem Felsengebirg eigenen langen Schluchten. Anm. d. Uebers. über dem Abgrund fast zusammenzuschließen. Die in geschwungener Linie zu Häupten der Gesellschaft aufragenden Felsgipfel bildeten bald knorrige Kuppen, bald waren sie tief eingeschnitten, um dann wieder schlank und spitzig himmelan zu streben. Meist war es kahles Gestein, dessen dunkelrote, braune, ockerfarbige und violette Töne bald hart nebeneinander standen, bald durch lichtere Farben verschmolzen waren.

Tarvin blieb jetzt zurück und brachte sein Pferd an Kätes Seite, worauf Carmathan, mit dem er auf freundschaftlichem Fuße stand, ihm sofort das Feld räumte und sich dem vorderen Trupp zugesellte. Kätes sprechende Augen flehten zwar deutlich, ihr wie sich selbst die Qual des endlos erneuten Streits zu ersparen, aber Tarvins Gesicht verriet finstere Entschlossenheit. Auch eines Engels Stimme würde ihn nicht von seinem Vorhaben abgebracht haben.

»Ich weiß es wohl, Käte, daß ich dir lästig bin, aber ich muß über die Sache sprechen, ich muß dich retten.«

»O bitte, Nick, mach keinen weiteren Versuch mehr,« bat sie sanft. »Bitte, bitte, thu's nicht! Du willst mich retten, und doch ist's mein Heil, daß ich gehe! Ich will, ich muß! Wenn ich drüber nachdenke, ist mir's oft, als ob ich eigens dafür in die Welt gesetzt worden wäre. Jeder Mensch hat doch eine Bestimmung darin zu erfüllen, meinst du nicht, Nick, und wenn's eine noch so bescheidene, unscheinbare, niedrige wäre? Ich muß diese erfüllen – mach mir's nicht schwer, sondern leicht, Nick!«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das thue! Schwer will ich dir's machen, Zentnergewichte will ich dir anhängen! Deswegen bin ich auf der Welt! Alle andern geben dir ja nach, Vater und Mutter lassen dich machen, was du willst, dein kleiner Nickel von Willen setzt alles durch! Sie haben ja aber keine richtige Vorstellung davon, worauf du dein liebes Köpfchen gesetzt hast, und wenn du dir's einrennst, kann ich's nicht wieder ganz machen. Deshalb muß ich handeln, solang es Zeit ist, muß es auf mich nehmen, daß du mich abscheulich findest!«

Käte lachte.

»Ja, Nick, du bist abscheulich, aber es mißfällt mir nicht an dir! Ich glaube, es thut mir wohl, daß dir so viel daran liegt, und wenn ich einem Menschen zuliebe da bleiben könnte, so wär's deinetwegen. Das glaubst du mir doch?«

»Ich glaube dir alles und danke dir obendrein für das gute Wort, aber was hab' ich davon? Daß du meinetwegen am ehesten bliebest, nützt mir nicht viel, wenn du trotzdem gehst!«

»Ich weiß es wohl, Nick, ich weiß es. Aber Indien braucht mich noch nötiger als du, das heißt nicht mich, aber was ich leisten kann, was Frauen wie ich leisten können. Der Ruf nach Hilfe ist nun einmal an mein Ohr gedrungen und in mein Herz, und solang ich ihn höre, kann ich nicht froh werden, außer wenn ich ihm folge. Ich könnte ja deine Frau sein, Nick, es würde mir nicht schwer fallen, aber mit dem Hilfeschrei im Ohr wär's eine stete Qual.«

»Das ist hart gegen mich,« sagte Nick, wehmütig zu den überhängenden Felsen hinaufschielend.

»Nein, nein, mit dir hat es gar nichts zu schaffen!«

»Das ist's ja gerade,« stieß er zwischen zusammengepreßten Lippen heraus.

Sie mußte unwillkürlich lächeln, als sie ihn ansah.

»Wenn dir's wohlthut, das zu wissen, Nick, einen andern als dich werde ich nie heiraten,« sagte sie mit plötzlicher Rührung.

»Aber mich wirst du eben nicht heiraten?«

»Nein,« sagte sie schlicht und fest.

Eine Weile dachte er in tiefer Bitterkeit über diese Antwort nach. Die Pferde gingen im Schritt, die Zügel lagen lose auf ihren Hälsen.

»Du mußt nicht unglücklich sein über mich, Liebe,« begann Tarvin. »Es ist auch nicht allein Selbstsucht! Wohl möchte ich dich um meinetwillen zurückhalten, dich behalten, dich haben – immer, immer an meiner Seite. Mein Herz verlangt nach dir, ich brauche dich, aber nicht deshalb setze ich alles dran, dich festzuhalten, sondern weil mir davor graut, daß du dich schutzlos, freundlos, als ein Mädchen, all diesen Gefahren und Greueln aussetzen willst. Wenn ich mir das vorstelle, finde ich keinen Schlaf mehr; ich darf mir's gar nicht vorstellen! Die Sache ist ungeheuerlich, furchtbar, widersinnig – du darfst es nicht thun!«

»Ich darf nicht an mich denken,« versetzte sie mit zitternder Stimme, »ich muß an sie denken.«

»Aber ich muß an dich denken, und du sollst mich nicht irreführen, nicht täuschen, nicht verlocken an irgend etwas andres zu denken. Du siehst die Sache ganz einseitig an – sag mir doch, ob alles Elend der Welt gerade dir aufgebürdet worden ist? Liebes Kind« – er sprach leise, innig flehend – »es gibt allerorten Elend und Schmerz. Kannst du allem abhelfen? Wer wir auch sein mögen, was wir beginnen mögen, uns allen tönt lebenslang der Notschrei von Millionen im Ohr, wir können ihm nicht entrinnen. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen für die Vermessenheit, einen kleinen Augenblick glücklich sein zu wollen!«

»Ich weiß es, ich weiß es, ich will mich ja auch nicht bewahren davor, ich will ja meine Ohren nicht verschließen . . .«

»Nein, aber du bildest dir ein, der Not ein Ende machen zu können, und du kannst es nicht. Das ist, wie wenn du das Meer ausschöpfen wolltest, es ist unmöglich. Mit dem Versuch aber wirst du dein Leben zu Grunde richten, und wenn du mir sagen kannst, wie man ein zu Grund gerichtetes Leben wieder von vorne anfangen kann, so soll mir's lieb sein – ich weiß es nicht. O Käte, ich will ja nichts für mich verlangen, das heißt vielmehr, ich verlange alles, aber bedenke, eh du deine Arme um die Erde schlingst und den Versuch machst, sie in deinen kleinen weißen Händen aufzuheben, daß du außer deinem eigenen auch andrer Leben zu Grund richtest. Großer Gott, Käte, du brauchst doch wahrhaftig nicht nach Indien zu gehen, um Unglücklichen zu helfen und Leiden zu lindern, du könntest ja einmal bei mir den Anfang machen, Käte!«

Sie schüttelte wehmütig den Kopf.

»Ich muß da beginnen, wo ich meine Pflicht sehe, Nick! Ich sage ja nicht, daß ich die ungeheure Summe menschlichen Elends wesentlich herabmindern werde, ich sage auch nicht, daß alle thun sollen wie ich: für andre wäre es vielleicht nicht das Richtige, aber für mich ist es das. Ich weiß es, und das ist alles, was wir überhaupt wissen können. Die Gewißheit haben, daß unser Leben dazu gedient hat, die Menschen ein wenig, ach nur ein ganz klein wenig besser zu machen,« rief sie mit verklärtem Blick, »zu wissen, daß man Leid und Not, die ja freilich deshalb nicht aus der Welt verschwinden, ein wenig gelindert hat, das muß herrlich sein! Du empfindest das doch auch. Nick,« setzte sie, ihm leise die Hand auf den Arm legend, hinzu.

Tarvin preßte die Lippen aufeinander.

»Freilich, freilich, fühl' ich's!« gab er ingrimmig zu.

»Aber du hast noch ein andres Gefühl – ich ja auch . . .«

»O, dann laß dieses andre wachsen, gib ihm Gehör, laß es erstarken und vertraue dich mir an. Ich will dir eine Zukunft schaffen, einen Wirkungskreis, wo deine Güte vielen ein Segen werden soll. Glaubst du denn, ich möchte dich anders haben, als du bist, zweifelst du daran, daß ich gerade deine Güte liebe? Segne doch mich damit!«

»Ich kann nicht! Ich kann nicht!« rief sie in schwerem innerem Kampf.

»Du kannst gar nicht anders – am letzten Ende mußt du ja zu mir kommen! Glaubst du, daß ich weiterleben könnte, wenn ich das nicht voraussähe? Aber ich möchte dir ersparen, was dazwischen liegt, ich möchte nicht, daß du mir von der Not in die Arme getrieben würdest, mein kleines Mädchen! Ich will, daß du aus freien Stücken kommst, jetzt kommst.«

Statt aller Antwort senkte sie das Gesicht tief auf den Aermel ihres Reitkleids und begann bitterlich zu weinen. Ricks Finger umschlossen die kleine Hand, die sich krampfhaft am Sattelknopf festhielt.

»Du kannst nicht, Liebe?«

Sie schüttelte heftig den Kopf. Tarvin biß die Zähne zusammen.

»Nun denn, wie du willst – finden wir uns drein!«

Er nahm ihre Hand, die den Halt am Sattel aufgab, sanft in die seinige und sprach so mild und beschwichtigend zu ihr, wie eine Mutter zu ihrem verzagten Kind. Es war vorüber – nicht seine Liebe, nicht sein unerschütterlicher Entschluß, sie doch noch sein eigen zu nennen, aber der Kampf um diese indische Reise. Tarvin streckte die Waffen, sie konnte gehen, wenn sie wollte, es würden dann eben zwei übers Meer reisen.

Als sie die heißen Quellen erreicht hatten, ergriff Tarvin sofort die ihm freudig gebotene Gelegenheit, Frau Mutrie in Beschlag zu nehmen, während Sheriff dem Präsidenten den qualmenden Wasserstrudel und das Bad zeigte und ihm die Lage des geplanten Riesenhotels erklärte. Käte schloß sich den beiden Herren an, da sie keine Lust hatte, ihre verweinten Augen Frau Mutries neugierigen Blicken preiszugeben.

Tarvin hatte die junge Frau am Fluß entlang geführt, der seitwärts von den Quellen in sein Felsengrab hinabstürzte, jetzt blieb er im Schatten einiger Baumwollsträucher plötzlich stehen.

»Möchten Sie jenes Halsband wirklich haben, gnädige Frau?« fragte er sie ganz unvermittelt.

Sie lachte abermals, gurrend wie ein Turteltäubchen, noch nicht erregt genug, um ihre kleinen Schauspielerkünste zu vergessen.

»Ob ich's haben möchte?« fragte sie zurück. »Versteht sich! Und, bitte, den Mond hätte ich auch gern!«

Tarvin legte ihr Schweigen gebietend die Hand auf den Arm.

»Sie sollen das Halsband haben,« erklärte er bestimmt.

Jetzt verging ihr das Lachen, sie sah betroffen in sein ernstes Gesicht.

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Es würde Ihnen große Freude machen? Sie legen wirklich Wert darauf? Was würden Sie thun, um es zu erlangen?«

»Auf meinen Knieen würde ich bis nach Omaha rutschen, bis nach Indien, wenn es möglich wäre,« erwiderte sie mit gleichem Ernst.

»Dann ist die Sache entschieden,« versetzte Tarvin herzhaft. »Jetzt hören Sie mich an! Ich will, daß die C. C. C. nach Topaz kommt, Sie wollen das indische Halsband haben – wollen wir einen Vertrag abschließen?«

»Aber Sie können ja niemals . . .«

»Das braucht Sie nicht anzufechten – ich werde meiner Verpflichtung nachkommen, können Sie die Ihrige erfüllen?«

»Sie meinen . . .«

»Ja, ich meine,« sagte er mit starker Betonung. »Können Sie mir eine bestimmte Zusage geben?«

Mit zusammengebissenen Zähnen, die Hände gegen einander gepreßt, daß sich die Fingernägel ins Fleisch eingruben, stand dieser Mann vor ihr. Mit gewaltsamer Selbstbeherrschung wartete er ihre Antwort ab.

Sie legte den blonden Kopf auf die Seite und schielte aus den Augenwinkeln zu ihm auf, herausfordernd, zögernd, aber ihre Zuständigkeit eingestehend.

»Ich glaube, daß mein Wort viel gilt bei Jim,« sagte sie endlich mit einem verträumten Lächeln.

»Also, der Vertrag ist geschlossen?«

»Ja,« erwiderte sie.

»Geben Sie mir den Handschlag.«

Sie reichten sich die Hände und standen sich einen Augenblick schweigend gegenüber, jedes bemüht, in des andern Seele zu lesen.

»Sie werden es mir wirklich verschaffen?«

»Ja.«

»Sie werden Ihr Wort einlösen?«

»Ja.«

Er drückte ihre Hand, daß sie einen leisen Schmerzensschrei ausstieß.

»O! Sie thun mir weh!«

»Abgemacht,« sagte er mit heiserer Stimme, indem er ihre Hand fallen ließ. »Der Handel gilt. Morgen reise ich nach Indien ab.«


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