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Ich betete an der Wiege in mich versunken, wie ich seit Kinderzeiten nicht mehr gebetet hatte.
Als ich mich aus dem Gebet wieder aufrichtete – auch seelisch aufrichtete – da waren der Teufelsbeschwörer und Hyacinthe verschwunden.
Ich setzte mich auf den Bettrand und nahm die Hand des schlafenden Mädchens in meine Hand.
Ich weiß nicht, wie lange ich so saß.
Mit einem Mal wurde das Kind unruhig.
Es wachte auf, bewegte die Beine, verzog das kleine Gesicht, als hätte man es in Essig getaucht, und weinte leise vor sich hin.
Im Augenblick war auch die Mutter wach.
Sie sah mich mit großen erstaunten Augen an und es war, als ob sie aus einem tiefen Traum erwache.
Durch das halb geöffnete Fenster wehten Frühlingslüfte.
Sie sah mich noch einmal an – und erkannte mich.
Wortlos schlang sie die Arme um mich.
Das Kind weinte.
»Gib mir das Kind, Liebster, es hat Hunger.«
Ich hob das zappelnde Bündel aus der Wiege.
Sie streifte das Hemd von der linken Brust.
Von einem magischen Glücksgefühl durchschauert legte ich ihr das Kind an die Brust.
Auf den Zehenspitzen verließ ich Mutter und Kind, als beide, müde vom Empfangen und Gewähren, eingeschlafen waren.
Ich ging am Zimmer des Teufelbeschwörers vorbei, ich erkannte es an dem Zeichen des Kreuzes, des Fisches, der Taube, und ein unzähmbares Verlangen peinigte mich, ihm gute Nacht zu sagen, da ich fürchtete, daß die Nacht für mich sonst eine böse werden möchte.
Ich klopfte.
Erst beim dritten Klopfen öffnete sich die Tür und eine Stimme sprach:
Wer einmal klopft, dem schweigt mein Herz,
Wer zweimal klopft, dem lauscht mein Ohr,
Wer dreimal klopft, der wird erhört.
Beständigkeit schließt auf das Tor.
Und ich sprach:
Es hat mein Finger nicht geklopft,
Es hat mein Herz ans Tor geklopft.
Die Stimme erwiderte:
Tritt ein und schwing den Hammer nur,
So will ich gerne Amboß sein.
Ich trat vollends ein.
Der Teufelsbeschwörer ging mir mit ausgestreckten Händen entgegen: »Sei mir gegrüßt, Bruder, von dem der Bann gewichen, und sei bedankt, daß du kommst!«
Er führte mich an seinen gehobelten Tisch.
Da lag ein zweites Gedeck neben dem seinen: ein Zinnteller mit Brot, ein Zinnkrug mit Wasser.
»Setz dich nieder, Bruder, und nimm teil an meinem Mahl. Ich bin immer für einen Gast gerüstet. Du willst wissen, wie ich wurde, der ich bin – da du auf dem Wege zu werden, der du bist – so vernimm: mein Pfad war einst krumm und dornig wie der deine. Mein Name ist Fra Salvatore Ciavolino. Ich war der Sohn eines Neapler Conditors und begann damit, meinem Vater Süßigkeiten zu stehlen. Früh ward ich in ein Dominikanerkloster getan, wo ich dazu verwandt wurde, den Dominikanern ihre Liebesbriefe auszutragen. Das Geld, das ich von den Frauen empfing, benutzte ich, mir die Liebe von Küchenmägden zu erkaufen. Als eine Geliebte mich mit einem Bersagliere betrog, da wechselte ich von den Dominikanern zu den Franziskanern, wurde Mönch, Pater und endlich Fastenprediger. Ich bezauberte ganz Neapel: durch meine Eloquenz, die der des Demosthenes ebenbürtig, durch meine Jugend, meine Schönheit. Die Frauen zumal waren es, die mir ins Netz meiner Blicke gingen, aber auch zarte Knaben, denen ich im Beichtstuhl den geheimen Sinn des Lebens deutete, wie ich ihn damals verstand. Ein zweifacher war ich nämlich: des Tags ein frommer und demütiger Mönch, und des Nachts ein frecher und geiler Bock, der in den Bordellen herumhüpfte und es nicht verschmähte, sich zur männlichen Dirne zu prostituieren. In Laster und Lüge verfloß mein Leben – bis eines Tages ich gerettet wurde, wie auch du gerettet wurdest... Confrater.«
Ich hielt den Atem an.
»In einem Bordell der oberen Stadt war es, wo am Fronleichnam die heilige Jungfrau selbst als Hure mir ihren Leib preisgab und mich erlöste, indem sie vor mir, dem Niedersten der Niederen, im Staube kniete. Da brach eine Tränenstrom aus mir, der schwemmte alle meine Laster hinweg. Ich beschwor den Teufel in mir und ging in das dritte Kloster: hierher ...«
Er kniete vor mir nieder:
»Erteile mir deinen Segen und ziehe in Frieden deines Weges.«