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Das Geständnis

Wenn ich, meine Herren Geschworenen, hier ein offenes Wort und freimütiges Bekenntnis ablege und auch die psychologischen Gründe meiner Schuld und meines Schicksals klarzulegen und manche Fäden, von Gott oder dem Teufel geknüpft, zu entwirren trachte, so geschieht dies nicht, um Milde und Gnade von Ihnen zu erbetteln. Milde und Gnade stehen mir nicht zu. Im Gegenteil möchte ich um Ihr unbestechliches und unerbittliches Urteil bitten. Ich fordere Gerechtigkeit: für mich und die Gesellschaft und die Gemeinschaft der Menschen, die ich geschändet und in Furcht und Elend gestürzt habe. Ich fordere Gerechtigkeit, und wenn Sie alles für mich und wider mich abgewogen haben – es gibt aber nur ein wider mich – so fällen Sie den Spruch, der nicht anders lauten kann, als: schuldig, schuldig und dreimal schuldig.

Vielleicht wäre alles anders gekommen, vielleicht wäre mein Leben in Ruhe und Seligkeit verflossen – Spinoza sagt, die Seligkeit ist nicht der Lohn der Tugend, sondern die Tugend ist schon die Seligkeit an sich – hätte sich nicht gegenüber meinem Elternhaus, dem Haus mit den zwei Eselsköpfen, eine Fleischerei und Metzgerei etabliert und wäre ich nicht durch einen lächerlichen Zufall mit dem Sohn des Metzgers, Munk geheißen, bekanntgeworden in einem Alter, das für das sensibelste und empfänglichste gilt. Ich schloß mit Munk Freundschaft und Blutsbrüderschaft und ging zuerst, von Munk gerufen, nur aus kindlicher Neugier, in den Metzgerladen, wo ich die toten, ausgeweideten Kälber und Schweine betastete und auf dem Hof mehr erstaunt als erschreckt zusah, wenn ein riesiger Ochse unter dem Hammer des Metzgers zusammenbrach. Dann aber tauchte ich einmal wie aus Spielerei meinen Finger in warmes Blut und leckte ihn ab. Und da war es um mich geschehen. Am selben Tag sah ich zufällig ein kleines Schlächtermesser in der Sonne blitzen. Es lag, noch blutbefleckt, auf einem Fensterbrett, wo es ein Metzgerbursche aus Vergeßlichkeit liegengelassen haben mochte. Noch zögerte ich. Hinter meiner Stirn donnerten die Schläfen. Das Herz schlug mir bis zum Halse. Obgleich ich erst dreizehn Jahre alt war, fühlte ich, nein wußte ich, daß die größte Entscheidung meines Lebens bevorstand. Ein Sonnenkringel hüpfte wie ein Teufelsauge immer um das Messer herum. Ich sah mich scheu um, ob jemand in der Nähe weile. Dann riß ich das Messer mit einem schnellen Griff an mich und steckte es in die Jacke.

Meine Untaten begannen, indem ich einem zahmen Kaninchen, das ich zu Hause hatte und das ich innig liebte, mit dem Messer kleine Wunden beibrachte. Die Zuckungen des armen Tieres ergötzten mich und erfüllten mich nur noch mit innigerer Zuneigung zu dem zarten Wesen. Oft wurde ich von seinen Schmerzen bis zu Tränen gerührt. Dann küßte ich die Wunden, die sich von seinem weißen Fell purpurrot abhoben und trank das frische heiße Blut. Und eines Tages vermochte ich meiner letzten Sehnsucht nicht mehr zu widerstehen.

Es war ein Sonntagnachmittag. Mein Vater und meine Mutter waren ausgegangen. Ich war zu Hause geblieben, indem ich Kopfschmerzen vorschützte. Ich blinzelte träge in die Sonne – bei allen meinen Untaten war das schönste Wetter und immer schien die Sonne; ich finde es lächerlich und der Wirklichkeit nicht entsprechend, wenn sensationslüsterne Skribenten in ihren nichtssagenden und langweiligen Schauerromanen ihre Verbrechen immer um Mitternacht oder bei Sturm und Gewitter in einer romantischen Kulissenwelt geschehen lassen. Die Sonne scheint über Gerechte und Ungerechte. Dies nur nebenbei. Ich blinzelte also in die Sonne, bis ich ein rotes Auge bekam und da – sah ich wieder das Messer in der Sonne glänzen. Ich ergriff das Messer, schlich in den Kaninchenstall auf dem Hof, zog das Kaninchen an seinen langen beiden Ohren heraus – es hatte noch Kohlblätter im jappenden Maul – und während mir schon die Tränen kamen und meine Liebe fast aufschrie, mein Gewissen sich in vorweggenommener Reue wand und krümmte, stieß ich mit dem Messer zu, dem Kaninchen in den Nacken. Ein Blutbach sprang im Bogen heraus, den ich mit meinem Munde aufzufangen trachtete. Und ich trank und trank das rote Blut, bis ich betrunken war und halb ohnmächtig in einer Hofecke hinter der Regentonne niedersank.

Der Abendtau erweckte und ernüchterte mich. Mit einem widerlichen Geschmack im Munde erwachte ich. Ich fuhr mir über meine Stirn. Ich ekelte mich vor mir selbst. Was war nur geschehen? Da sah ich neben mir das tote Kaninchen liegen und das blutbefleckte Messer. Und mit einem Male wußte ich alles. Schluchzend warf ich mich über die kleine Tierleiche. Ich herzte und küßte sie wie ein Kind. Dann trug ich sie heimlich in den Gemüsegarten und grub mit den bloßen Händen ein Grab im Kartoffelacker. Ich steckte das Messer als ein Grabkreuz hinein und schwor, niemals wieder einen Mord zu begehen. Mit verklebten und verweinten Augen ging ich hinauf in die Wohnung. Die Eltern waren noch nicht zurück. Ich zog mich aus, legte mich ins Bett und verfiel in ein hitziges Fieber, das wochenlang andauerte.

Als ich genas, glaubte ich, auch von meinem verbrecherischen Wahnsinn genesen zu sein. Ich sah offen und frei in die Sonne, kein Messer war mehr da, das in ihr glänzte. Den Fleischerladen betrat ich kein einziges Mal mehr, so sehr mich mein Freund Munk (mein Feind Munk) auch lockte. Ich lernte eifrig in der Schule, wurde das, was man einen guten Schüler nennt und verließ als primus omnium, mit einer Prämie »Antikes Heldentum« versehen, das Gymnasium. Ich studierte, ohne zu irgendeinem Berufe besondere Lust zu verspüren, Jura, und nichts Außergewöhnliches ereignete sich in meinem Leben. Ich wurde bei der Burschenschaft Teutonia aktiv, und mein Dasein war das übliche: Studium, Paukboden, einige Verhältnisse, Früh- und Dämmerschoppen, ein wenig Theaterbesuch am Abend. Ich stand auf der Mensur meinen Mann und konnte ein gewisses Wohlgefühl nicht unterdrücken, wenn ich das Blut meines Gegners fließen sah. Schon auf der Kneipe zeigte sich mein poetisches, satirisches und musikalisches Talent in allerlei anzüglichen Liedern und Couplets, die ich bei festlicher Gelegenheit, Stiftungsfesten, Kommersen usw. unter allgemeinem Beifall zum besten gab, indem ich mich selbst am Klavier begleitete. Ich machte den Referendar, den Doktor, wurde bei der Teutonia inaktiv, avancierte zum Assessor.

Da lernte ich eines Tages auf einem Pflichtbesuch bei einem Justizrat zufällig dessen siebzehnjährige Tochter kennen, ein schlankes, blondes, blauäugiges Geschöpf, von außerordentlichem äußerem und seelischem Charme. Ich hatte kaum einen Blick in diese blauen Augen getan, als ich wußte, daß zum zweiten Male das Schicksal vor mir stand.

Ich wurde von einer unsagbaren Leidenschaft zu dem schönen Mädchen ergriffen, das meine Liebe erwiderte. Ich hielt um ihre Hand an und ehe ein Jahr vergangen war, waren wir ein Paar. Unsere Seligkeit kannte keine Grenzen. Wir bewohnten ein kleines Haus ganz für uns. Ich war in die Kanzlei meines Schwiegervaters als Teilhaber eingetreten. Die Arbeit war nicht übermäßig anstrengend, wir konnten unser junges Glück von Grund auf genießen.

Da bemerkte ich eines Tages, wie meine junge Frau zuweilen abwechselnd rot und blaß wurde und wie sie (es war im Sommer) in ihr Taschentuch zu hüsteln begann.

Ich war sehr besorgt, wollte zum Arzt schicken, aber sie lachte mich aus.

Eines Morgens entdeckte ich ein Taschentuch, das sie beiseitegelegt hatte: kleine kreisrote Blutflecken.

Ich griff mir an Herz.

Mir wurde erst schwarz, dann rot vor den Augen.

Ich preßte das Tuch an meine Lippen und küßte die Blutstropfen.

Es war kein Zweifel, meine Frau litt an Lungenbluten. Ich liebte – und liebe noch heute – meine Frau über alles in der Welt. Ich schloß sie mit inbrünstiger Zärtlichkeit in meine Arme, und diese Zärtlichkeit war nicht erlogen oder geheuchelt. Ich schlug ihr vor, den Arzt zu konsultieren, aber sie lachte mich aus, wegen solcher Kleinigkeiten – das geht vorüber – und im Grunde, in meinem Unterbewußtsein freute mich diese Antwort. Dieses wollte nicht, daß der Arzt käme. Ein entsetzlicher Gedanke hatte Besitz von mir genommen, der mich mit seinen Polypenarmen nicht mehr losließ. Ich wünschte insgeheim, Maria – so hieß meine Frau – möge sich in meinen Armen verbluten, sie solle, wie einst Christus den Gläubigen, ihr Blut für mich hingeben. Und ich wünschte ihr Blut wie beim Abendmahl zu trinken. Es deuchte mich, dies nur könne die letzte Erfüllung ihrer und meiner Liebe sein. Und so wurde ich zum Vampir, zum Mörder aus Liebe, zum Mörder ohne Tat.

Ich liebte sie in den Wochen, die folgten, immer rasender, immer verzückter.

»Liebster«, lächelte sie zuweilen mit ihren Augen, die wie feuchte blaue Enzianblüten waren, »ich bin so glücklich, dies Glück kann nicht von langer Dauer sein. Ich fühle, ich werde sterben müssen – und ich sterbe gern.«

So war also mein Todesrausch schon in ihr Unterbewußtes eingegangen. Sie wollte sterben – weil ich es wollte.

Ich wußte, das heißt mein Bewußtsein wußte es nicht, aber mein Unterbewußtsein wußte es, daß bei ihrem körperlichen Zustand meine heiße sinnliche Liebe sie töten müsse, daß ihr zarter nymphenhafter Leib meine Bocksprünge nicht werde ertragen können - und ich liebte sie dennoch nur immer wilder, und sie gab sich immer seliger mir zu eigen.

Und eines Tages geschah es.

Mitten in einer wilden Umarmung brach ihr das Blut aus dem Mund in einem heißen Strom, das Blut floß über meinen nackten Leib, und ich trank von ihren Lippen ihr Herzblut. Meine Lippen blieben an den ihren haften, Blut klebte sie aneinander.

Als der Rausch in einer seligen Müdigkeit abebbte, spürte ich, daß Maria's Lippen erkalteten, ich riß meine Lippen los, ich sah entsetzt ihre aufgerissenen Augen: ich hielt eine Tote im Arm.

Ich hatte Maria mit meiner Liebe gemordet.

Der Arzt stellte Erstickungstod im Blutsturz fest.

Ich wußte es besser.

Ich fiel, wie einst beim Tod des Kaninchens, in hitziges Fieber; als das Begräbnis stattfand, lag ich in halber Ohnmacht und hörte nur die Glocken in meine Dämmerung dröhnen.

Ich kam nach Wochen zu mir.

Der Arzt stellte die gleiche Krankheit wie bei meiner Frau bei mir fest: Schwindsucht.

Ich ging zur Erholung ins Ausland.

Ich gab meinen Beruf auf und ließ mich zuerst von meinen Schwiegereltern unterstützen. Auch entsann ich mich meiner auf der Bierkneipe erprobten Fähigkeiten, verfertigte aktuelle Couplets und erntete damit Lorbeer und Geld. Während des Krieges sang ich Kriegs-, während der Revolution Revolutionslieder. Ich drehte mich wie ein Wetterhahn nach dem Wind. Ich bekam infolgedessen einen Namen. Viele Namen. Ein Kritiker verglich mich einmal höchst schmeichelhaft mit Bellmann, dem großen schwedischen Sänger. Ich ließ mich auch von allerlei Männern und Frauen aushalten und schändete und beschmutzte das Andenken von Maria. Ich bekam anonyme Briefe mit der Adresse: an den Zuhälter ... – und die Absender hatten nicht so unrecht. Aber keiner wußte, daß ich Schlimmeres begangen, daß mein Gewissen mit Zentnergewichten beschwert war, daß ich mein Liebstes auf der Welt – gemordet hatte, und daß meine wahre Adresse hätte lauten müssen:

An den Mörder ...

Und nun, meine Herren Geschworenen, geben Sie Ihr Urteil ab. Ich erwarte mit Sehnsucht Ihren Spruch – und den Tag, da im Frührot mein Kopf in die Sägespäne rollen wird. Meine offenen Augen werden mit Wollust das Blut aus meinem eigenen Halsstumpf schießen sehen –


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