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Otto von Kontala war des Nachmittags in leicht begreiflicher Erregung nach Hause gekommen und hatte seiner Schwester selbstverständlich sofort erzählt, was geschehen sei. Seine Aufregung kam zu Hause erst, als er Ruhe hatte, vollständig zur Geltung. Der sonst starke Mann war so erschüttert bei dem Gedanken, welchen schrecklichen Tod Martha hätte finden können, daß er in Tränen ausbrach und die Schwester ihn nur mühsam beruhigen konnte.

Er beklagte sich darüber, daß er sie nicht gesehen habe, mußte aber selbst zugestehen, daß es nicht möglich gewesen wäre, sie zu besuchen. Auf der andern Seite glaubte er keinen Grund zu haben, den Versicherungen der Frau von Sembitzka, daß die Tochter keinen besonderen Schaden genommen habe, zu mißtrauen.

Erschüttert aber von dem Vorfall, öffnete er seiner Schwester sein ganzes Herz und enthüllte ihr die ganze Liebe, die er für Martha empfand, bis Hedwig zusammen mit ihrem Bruder Tränen des Glückes und des frauenhaften Mitgefühls mit ihm weinte.

»Ich habe dich angemeldet,« sagte Kontala endlich, nachdem er ruhiger geworden war, »und du wirst morgen früh hinaus. Ich selbst werde dich hinbringen. Du sollst dich dann persönlich davon überzeugen, wie es mit Martha steht, und ich hoffe, die Prüfungen, die sie und ich zu durchleben haben, sind endlich erschöpft. Ich will Gott danken, wenn ich von hier fort bin und auch Martha aus dieser unheilvollen Gegend fortbringen kann, denn jeder Tag längeren Aufenthalts erscheint mir wie ein Verbrechen an meinem Glück und an meinem Geschick.«

Länger als sonst blieb das Geschwisterpaar wach und plauderte abends von der Zukunft, von der Verheiratung Ottos mit Martha und auch darüber, in welcher Weise die Werbung Otto von Kontalas bei dem Herrn von Sembitzki und bei dessen Frau stattfinden sollte. Eine solche Werbung mußte natürlich jetzt hinausgeschoben werden, solange Herr von Sembitzki krank war. Aber da es mit ihm ja besser stand, so konnte sie doch vielleicht in den nächsten Wochen stattfinden, und Otto erwartete bestimmt, daß er keine abschlägige Antwort erhalten würde. Die Hochzeit konnte dann beschleunigt werden, sobald er nur erst versetzt war, und in einem Vierteljahr vielleicht war alles in Ordnung.

Das Geschwisterpaar trennte sich am Abend später als sonst, um zur Ruhe zu gehen, und doch war ihnen diese in der Nacht nicht beschieden.

Gegen drei Uhr nachts klopfte es an die Haustür so gewaltig, daß Otto von Kontala aus dem Schlafe auffuhr und zum Fenster hinausblickte, um zu sehen, was es gebe.

»Wer ist da?« fragte er.

»Eine Estafette«, antwortete von unten der reitende Bote. »Sind Sie der Obergrenzkontrolleur von Kontala?«

»Jawohl,« entgegnete der Gefragte, zog sich, so schnell es ging, an und eilte hinunter, um von dem reitenden Boten einen Brief in Empfang zu nehmen. Als er in sein Zimmer zurückkehrte, erbrach er denselben und fand die Mitteilung, daß die Regierung nicht nur sich entschlossen habe, seinem Gesuch um die Entsendung von Militär Folge zu geben, sondern daß bereits zwei Kompagnien Jäger requiriert seien und daß dieselben am nächsten Tage zur Verfügung des Obergrenzkontrolleurs und der dortigen Behörden stehen würden. Um alle Vorbereitungen zu treffen, so daß die Ankunft des Militärs geheim bliebe und dieses selbst überraschend und wirkungsvoll in die Erscheinung trete, wurde Kontala aufgefordert, schon in früher Morgenstunde des nächsten Tages in Guttentag zu sein, da von dort aus der Vormarsch gegen die Grenze geschehen sollte.

Die Stadt Guttentag liegt ungefähr zwei und eine halbe Meile von Lublinitz entfernt, und es hieß daher sofort aufbrechen, um die richtigen Dispositionen zu treffen und ein wirkungsvolles Operieren der Jäger zu veranlassen.

Otto von Kontala weckte seine Schwester und teilte ihr mit, daß er in einer Stunde, noch vor Anbruch des Tages nach Guttentag hinüberreiten müsse. Nun bat er sie dringend, zurückzubleiben und nicht nach Losachew zu fahren, da er am Abend eventuell mit dem gesamten Militär das Dorf umstellen würde, um es vollständig zu durchsuchen, und da es ja nicht unmöglich sei, daß man mit den Schmugglern einen Zusammenstoß habe, so bat er sie, den Besuch in Losachew bis zum nächsten Tage zu verschieben.

Hedwig bereitete selbst den Tee für den Bruder, damit er seinen morgendlichen Ritt nicht mit nüchternem Magen anzutreten brauche, und eine Stunde vor Sonnenaufgang verabschiedete sich Otto von Kontala von Hedwig, welche diesmal länger als sonst am Halse des Bruders hing und sich nicht von ihm trennen zu wollen schien.

»Wann kommst du wieder ungefähr?« fragte sie besorgt. »Laß mir irgendeine Aussicht, wann ich dich wiedersehen kann. Ich fürchte, der heutige Tag wird der schwerste und schlimmste für dich.«

»Habe keine Furcht,« entgegnete Otto von Kontala. »Vielleicht kann in der Tat der heutige Tag sehr schwer werden, aber er wird auch entscheidend sein und bringt für dich, Martha und mich Aussicht auf eine frohe Zukunft, wenn alles glücklich abläuft.«

»Gott beschütze dich!« sagte weinend Hedwig und entließ den Bruder, welcher bald darauf fortsprengte.

Hedwig legte sich noch einen Augenblick nieder und stand erst in den Morgenstunden auf. Die polnische Frau, welche die groben Hausarbeiten verrichtete, kam am Morgen, um aufzuräumen, und verständigte sich mit ihrem gebrochenen Deutsch nur mangelhaft mit Hedwig, die der polnischen Sprache respektive des Grenzdialekts nicht mächtig war.

Es mochte gegen elf Uhr sein, als die Aufwartefrau hereinkam und Hedwig in gebrochenem Deutsch meldete, es sei ein Mädchen draußen, welches den Obergrenzkontrolleur zu sprechen wünsche.

»Mein Bruder ist nicht zu Hause,« entgegnete Hedwig, »und kommt wahrscheinlich vor morgen früh nicht wieder.«

»Habe ich kleines Mädchen auch gesagt,« entgegnete die Aufwartefrau, »will aber durchaus sprechen. Kleines Mädchen weint und viel Angst.«

Hedwig war doch neugierig geworden und befahl, die Kleine hereinzuführen. Wenige Sekunden später stand vor ihr Ulka, die Haare wirr um das Gesicht hängend, beschmutzt, mit zerrissenen Kleidern, verstaubt von dem langen Weg, den das Kind gemacht hatte, und mit einem Gesicht, in dem Angst und Schreck sich ausdrückten und in dem die Augen fieberhaft glänzten.

Ulka warf sich vor Hedwig auf die Knie, erhob flehentlich die Hände und redete sie in rasch aufeinander folgenden Sätzen in polnischer Sprache an, von der Hedwig nichts verstand. Die Aufwartefrau wurde hereingerufen und erklärte, das Mädchen wolle den Obergrenzkontrolleur sprechen. Es sei höchst dringend, ein Menschenleben sei in Gefahr.

Auf weitere Fragen aber erklärte Ulka, daß sie nur dem Obergrenzkontrolleur die Sache anvertrauen könne; sie müsse diesen sprechen um jeden Preis. Es handle sich um eine Schmugglerangelegenheit, so viel wolle sie gestehen, mehr aber nicht.

Zufälligerweise kam einer der Offizianten Kontalas zu der Szene hinzu und erklärte Ulka sofort für verhaftet, da dieselbe erklärte, sie habe eine Nachricht über die Schmuggler, sich aber weigerte, diese Nachricht irgend jemand anderm als dem Obergrenzkontrolleur selbst anzuvertrauen.

Als ihr gesagt wurde, daß bis zum nächsten Morgen keine Aussicht vorhanden sei, Kontala zu sprechen, warf sie sich auf die Erde und schrie so erbärmlich, daß Hedwig über das Gebaren des Kindes ganz bestürzt war.

In der Tat, Ulka war verzweifelt. Die einzige Hilfe, auf die sie sicher gerechnet hatte, war nicht aufzutreiben. Sie war, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, daß Martha sich nicht mehr in ihrem Zimmer befinde und daß diese wahrscheinlich die Person war, welche von den Männern, in ein Tuch gehüllt, fortgeschleppt worden sei, wieder auf ihren Wildschuppen gestiegen und hatte darüber nachgedacht, was geschehen sollte. Vielleicht war Martha tot; dann wollte Ulka, daß sie gerächt würde. Vielleicht lebte sie noch, und dann mußte sie befreit werden. Niemand im Dorfe oder im Gehöft konnte aber Ulka vertrauen, und so war es wohl das Naturgemäßeste, daß sie daran dachte, Otto von Kontala herbeizuholen, da es sich ja um Schmuggler handelte und sie ihm wohl mit ziemlicher Sicherheit mitteilen konnte, daß Pique-Aß niemand anders sei als die Schloßherrin von Katzenberg.

Nachdem dieser Plan erst von Ulka gefaßt war, kletterte sie noch vor Anbruch des Tages von ihrem Versteck herunter, stärkte sich durch einen Trunk aus der Quelle des Parkes und machte sich dann, barfuß, auf den Weg nach Lublinitz, den sie kannte und den sie, getrieben von innerer Angst, in der verhältnismäßig kurzen Zeit von fünf Stunden zurücklegte. Dabei hatte sie noch einen Umweg gemacht und das Dorf vollständig umgangen: erst als sie weit hinter Losachew war, wagte sie sich auf die Chaussee, dabei aber immer ängstlich um sich blickend, ob sie nicht irgend jemand von Schloß Katzenberg sähe, vor dem sie sich verbergen müßte. Sie hatte sich dann in der Stadt nach Kontala herumgefragt, und nun erfuhr sie, er sei fort und nicht zu sprechen.

Sie verlangte, augenblicklich zu ihm gebracht zu werden, aber der Steueroffiziant erklärte ihr, wenn sie nicht sage, um was es sich handle, könne er nichts tun, als sie festhalten. Ulka empfand aber eine gerechte Scheu davor, irgendeinem andern als Kontala ihr Geheimnis anzuvertrauen. Mißtrauisch, wie ihre junge Seele war, wollte sie nicht ihr Geheimnis aus der Hand geben, ohne die Sicherheit zu haben, daß ihr Schutz für den Verrat wurde und daß nicht ein Unberufener ihr Geheimnis erfuhr und sie vielleicht selbst an die fürchterliche Schloßherrin von Katzenberg auslieferte.

Der Steueroffiziant sah sich sogar veranlaßt, Ulka in eine Kammer zu sperren, als sie einen Fluchtversuch machte, um, wie sie erklärte, nach Guttentag zu laufen und dort den Obergrenzkontrolleur aufzusuchen. Der Steueroffiziant, der in Abwesenheit Kontalas das Kommando führte und in dem Bureau neben der Wohnung sich aufhielt, bekam indes durch eine reitende Estafette gegen Mittag die Nachricht, daß er sich mit sämtlichen Offizianten vom Dienst gegen Abend eine Viertelstunde vor Losachew bereithalten solle und daß dorthin auch der Obergrenzkontrolleur selbst kommen würde. Als der Offiziant nun Ulka mitteilte, daß sie gegen Abend den Obergrenzkontrolleur sprechen könne, hörte das Kind endlich auf zu weinen und legte sich, erschöpft von der Nachtwache, von der Aufregung und dem weiten Weg, nieder, nachdem sie etwas Nahrung zu sich genommen hatte.

Die kleine Heldin hoffte noch immer, Martha würde gerettet werden, wenn vor Hereinbruch der Nacht Hilfe käme, und ihre Seele zitterte vor Freude, wenn sie daran dachte, daß sie vielleicht die Retterin der von ihr so sehr verehrten und geliebten Martha werden könne, zitterte vor Wonne, wenn sie daran dachte, daß sie der tyrannischen Herrin von Katzenberg einen Streich spielen könne, durch den sie sich für alle die Mißhandlungen, die sie von dieser direkt oder indirekt erlitten hatte, rächen könne.

*

Femia glaubte nicht anders handeln zu können, als sie getan hatte. Nach ihrer Überzeugung mußten die strengsten Mittel angewendet werden, um eine Entdeckung ihres Geheimnisses zu verhindern. Nachdem es ihr mißlungen war, die verhaßte Gegnerin und Feindin im Steinbruch zu töten, mußte etwas geschehen, wodurch diese beseitigt wurde, schon deshalb, weil jede Stunde neue Gefahr bringen konnte. Femia zitterte bei dem Gedanken, daß der Brief, den Martha an den Obergrenzkontrolleur geschrieben, in andre Hände als in die des Mikaz geraten wäre. Wurde der Brief an seine Adresse befördert, so nahm wahrscheinlich die ganze Sache ein schlimmes Ende, Femia wurde verhaftet, ihr der Prozeß gemacht, und alles war verloren. Sie mußte also schleunigst dafür sorgen, daß Martha zum Schweigen gebracht wurde, und so ließ sie durch ihre Getreuen Martha in der Nacht entführen und in der Schmugglerhöhle unterbringen.

Sie wußte wohl, daß sie ein gewagtes, gefährliches Spiel mit dieser Entführung unternahm, aber es galt, das kleinere Übel zu wählen, und das bestand darin, daß das plötzliche Verschwinden Marthas Aufsehen erregen mußte. Indes hatte Femia auch daran gedacht, hier Vorsichtsmaßregeln zu treffen, und sie war fest entschlossen, alles aufzuwenden, um das plötzliche Verschwinden ihrer Stieftochter wenigstens einigermaßen plausibel zu machen.

Unmittelbar nachdem sie nachts aus der Beratung zurückgekehrt war, in der ihr Wille auf Tötung Marthas nicht durchdringen konnte, hatte sie das Zimmer der Stieftochter durchsucht, um zu sehen, ob hier nicht irgendwo Aufzeichnungen oder Briefe vorhanden wären; aber sie hatte nichts entdeckt als einige Kritzeleien in der Schreibmappe Marthas, in welchen auffallend oft der Name Otto von Kontala vorkam. Mit dem eigentümlichen Instinkt des Weibes, der dem streng logisch denkenden Manne fast vollständig abgeht, ahnte Femia, daß zwischen ihrer Stieftochter und dem Obergrenzkontrolleur Beziehungen herrschten, welche sehr intimer Art sein mußten. Wenn nicht anders, dann interessierte sich Martha gar zu lebhaft für den ebenso interessanten als liebenswerten Mann, und dann war sie eine um so schrecklichere Gegnerin, wenn sie das Geheimnis wußte, an dessen Entdeckung Otto von Kontala so sehr viel liegen mußte.

Jetzt erst sah Femia ein, wie richtig es gewesen war, die gefährliche Gegnerin und Mitwisserin des Geheimnisses auf die Seite zu bringen. Sie nahm den Reisehut Marthas und deren Mantel aus dem Zimmer der Stieftochter fort und verbarg die Sachen bei sich selbst. Sie legte sich bis zum Morgen nicht zur Ruhe, kleidete sich vielmehr vollständig an, und als die Wirtschafterin in früher Morgenstunde zu ihr kam, um die Befehle für den Tag entgegenzunehmen, teilte Femia dieser mit, daß für Martha in den nächsten Tagen nicht gekocht zu werden brauche, da dieselbe verreist sei.

Als die Wirtschafterin erstaunt aufsah, erklärte ihr Femia, die Tochter sei von dem Unglücksfall, der glücklich verhütet worden sei, so ergriffen worden, daß sie beschlossen habe, aus Dankbarkeit eine Wallfahrt nach dem jenseits der Grenze belegenen und ungefähr fünf Meilen entfernten Czenstochau zu unternehmen, um Gott für ihre und ihrer Mutter Errettung zu danken. Gerne wäre sie, Femia, mitgegangen, aber sie müsse bei dem kranken Gatten bleiben; sie sei aber mit der Stieftochter einverstanden gewesen, als diese aus Dankbarkeit die Wallfahrt unternommen habe.

Der Wirtschafterin schien das Vorhaben des jungen Fräuleins durchaus plausibel; sie nickte mit dem Kopf und sagte: »Ich wußte es. Das Fräulein ist so fromm, daß es sich gewiß die Gelegenheit nicht nehmen ließ, Gott für die glückliche Rettung zu danken.«

Sie schien nicht den geringsten Zweifel in die Worte der Schloßherrin zu setzen. Die religiösen Gebräuche der Gegend und das religiöse Gefühl, das auch die Wirtschafterin besaß, ließen ihr die angebliche plötzliche Wallfahrt Marthas durchaus in glaubwürdigem Lichte erscheinen.

So war glücklich ein Vorwand gefunden, um Marthas Abwesenheit wenigstens vor den Leuten im Hause zu erklären. Schlimmer war diese Erklärung für den Obergrenzkontrolleur und für dessen Schwester, die im Laufe des Vormittags eintreffen sollten. Aber auch hier wußte Femia sich Rat. Sie überlegte, daß weder der Obergrenzkontrolleur noch seine Schwester Marthas Handschrift kannten, und sie schrieb einen Brief, den Martha angeblich an sie, die Stiefmutter, zurückgelassen hatte, um dieser von dem plötzlichen Entschluß zu der Wallfahrt, die sie in frühester Morgenstunde angetreten habe, Kunde zu geben. Dieser Brief sollte für alle Fälle produziert werden, wenn Otto von Kontala oder seine Schwester sich über die plötzliche Entfernung Marthas erstaunt gezeigt hätten.

Was die Zukunft weiter brachte, das wollte Femia ruhig abwarten. Kam innerhalb einer gewissen Zeit Martha von der angeblichen Wallfahrt nicht wieder, nun, so mußte eben Alarm geschlagen werden, und man mußte Nachforschungen nach ihr anstellen lassen. War aber die Schmugglerversammlung darüber einig geworden, die Verräterin zu töten, so war es leicht, den Leichnam am Grenzflusse auffinden zu lassen und dann die Nachricht auszusprengen, die Unglückliche sei von Schmugglern oder Grenzbeamten erschossen worden.

Femia glaubte sich einer großen Gefahr durch die Entfernung Marthas entronnen und sie wurde deshalb wieder entschlossener und energischer. Sie versprach sich viel von der Versammlung am Abend, in welcher sie mit Hilfe der andern Verschworenen ihre volle Autorität unter den Schmugglern wieder herzustellen gedachte.

Sie hätte aber kein Weib sein müssen, wenn sie nicht ruhig überlegt und in Betracht gezogen hätte, daß die ganze Sache schief gehen könne, daß auch die Schmugglergesellschaft, die heute eingeladen wurde, sich gegen sie wende, da es sich um eine Bluttat handelte, und daß vielleicht diese Gesellschaft Martha glimpflich behandelte, wenn diese sich dazu herbeiließ, den Schwur des Schweigens zu leisten und sich in den Bund aufnehmen zu lassen. Auch andre unvorhergesehene Umstände konnten eintreten, welche Femia veranlaßt hätten, Schloß Katzenberg plötzlich zu verlassen, und deshalb legte sie in die Kassette, die sie aus dem heimlichen Verschluß des Schrankes nahm, ihre Schmucksachen und ebenso einige Bündel russischer Banknoten zurecht, um eventuell augenblicklich bereit zu sein, über die Grenze zu gehen. Drohte ihr Gefahr, so blieb ihr immer noch, wenn sie den Park erreichte, die Flucht in die Schmugglerhöhle, wo sie sich unentdeckt tagelang aufhalten konnte. Gelang es ihr dann, die Grenze zu erreichen und dieselbe zu überschreiten, so fand sie jenseits derselben so viele Geschäftsfreunde und Mitglieder des Bundes, daß es ihr leicht wurde, sich weiter durchzuschlagen. Der betreffende russische Posten, auf den sie etwa beim Überschreiten der Grenze stieß, war mit einer Rubelnote höheren Betrages gewiß abzufinden.

Femia legte sich, nachdem sie sich eine Zeitlang mit ihrem Gatten unterhalten hatte, zur Ruhe nieder. Sembitzki hatte seine Besinnung vollständig wieder und fragte, wenn auch noch sehr schwach, nach seiner Tochter. Femia erklärte ihm, Martha sei ausgefahren und werde sich schon wieder an seinem Bette sehen lassen. Bevor sie sich zur Ruhe begab, erfuhr sie auch noch, daß Günther vollständig das Wundfieber überstanden hatte und sogar schon den Versuch gemacht habe, im Bette zu sitzen. Sie befahl, sie nicht zu wecken, wenn der Arzt käme, und ihr nur zu melden, wenn der Obergrenzkontrolleur mit seiner Schwester einträfe. Sie schlief bis in die Nachmittagstunden hinein und war nicht wenig erstaunt, als sie erwachte, zu erfahren, daß weder Kontala noch seine Schwester eingetroffen seien.

Dieser Umstand beunruhigte sie eine Zeitlang, aber sie hatte bald an andre Dinge zu denken, und vor allem galt es, sich für den Abend vorzubereiten, an dem in der Schmugglerhöhle die große Versammlung der Führer des Bundes stattfinden sollte.

*

Trotz der unangenehmen Lage, trotz der Fesseln an Händen und Füßen wurde Martha von Müdigkeit überwältigt und schlief ein. Als sie nach Stunden erwachte, fand sie sich wieder in der Höhle, sah über sich die Decke, welche von daruntergelegten Brettern und untergeschobenen Trägern getragen wurde, und sofort kam sie wieder zum Bewußtsein ihrer Situation. Sie sah das Gesicht einer alten Bauersfrau, die sie nicht kannte und die sich über sie beugte. Dann hörte sie sie fragen, ob sie zu trinken wünsche, und Martha bejahte es. Ein fürchterlicher Durst quälte sie, und sie beschloß, auf jeden Fall diesen zu löschen, selbst auf die Gefahr hin, einen Gifttrank zu erhalten. Was tat es auch, wenn sie vergiftet wurde? Ihre Qualen und Leiden waren dann mit einemmal zu Ende, und an einen günstigen Ausgang mochte Martha nicht mehr glauben. Sie hatte gehört, daß ihre Stiefmutter die Führerin einer ganzen Verschwörung sei; sie wußte aus den Worten, die sie gehört hatte, daß auch Mikaz, der Besitzer des Dorfwirtshauses, zu diesen Verschwörern gehörte, sie wußte, daß eine ganze Anzahl andrer Personen, die die Häupter des Bundes waren, zu der Sitzung am Abend geladen waren, und ebenso wußte sie aus den Erzählungen des Obergrenzkontrolleurs, daß die Organisation und Macht der geheimen Schmugglerbande so mächtig sei, daß man vor keiner Tat zurückschrecke, um das Geheimnis des Bundes zu wahren; es lag also im Interesse dieser Leute, Martha still zu machen um jeden Preis.

Der Maskierte, der gegen ihre Tötung gesprochen hatte und der noch, bevor er ging, ihr geraten hatte, einzulenken und den Eid des Schweigens zu leisten, schien die Absicht zu haben, sie zu retten, ob er aber mit seiner Ansicht in der großen Versammlung durchdringen würde, war ungewiß.

Wie nun, wenn Martha den verlangten Eid leistete? Sie sagte sich, daß man sie gewiß einen fürchterlichen Eid schwören lassen würde, um sie dann doch nicht freizulassen. Jedenfalls brachte man sie dann über die Grenze, um sie noch eine Zeitlang zu beobachten. Sie rettete sich aber gewiß von dem Tode, der ihr jetzt bevorstand. Und dennoch nahm sie sich fest vor, sich auf nichts einzulassen und das Schwören dieses Eides beharrlich zu verweigern. Sie wollte nicht die Genossin der Verbrechen ihrer Stiefmutter werden, sie wollte nicht moralisch mitschuldig werden an den Verbrechen der ganzen Schmugglerbande; sie wollte sich nicht binden, weil sie dann hätte dem Manne gegenüber schweigen müssen, dem ihr Herz und ihre ganze Seele gehörten, dem Geliebten gegenüber, den sie vielleicht indirekt durch ihr Schweigen tötete. Sie schauderte davor zurück, mit hineingezogen zu werden in das geheime Treiben dieser Schmugglergesellschaft, und beschloß, lieber zu sterben, als sich durch diesen Eid zu beflecken. Der Gedanke, im Augenblicke der Not und im Angesichte des Todes diesen Eid zu schwören, um ihn dann nicht zu halten, kam ihr nicht; dazu war sie zu fromm, zu religiös erzogen, als daß ihr nicht die Heiligkeit des Eides, selbst des erzwungenen, über allem andern gestanden hätte. Sie beschloß, sich durch keine Drohung zur Ableistung des Eides zwingen zu lassen und ruhig abzuwarten, was der Himmel über sie verhänge.

Der einzige Trost, den sie allerdings hatte, war das Bewußtsein, daß sie unschuldig sei, daß sie unschuldig und nur durch eine Reihe von Zufällen in den Besitz des gefährlichen Geheimnisses gelangt war und daß sie ruhig abwarten müsse, ob es dem Himmel nicht gefalle, sie aus den Mörderhänden zu retten.

Der Gedanke an ihren Tod war ihr nicht leicht. Sie war jung und lebenskräftig, und niemand stirbt gern, dem nicht das Leben zu einer unerträglichen Last geworden ist. Ein tiefes Weh erfüllte ihr Herz bei dem Gedanken an Otto von Kontala. Aber ihre Tränen besserten nichts an ihrer Situation. Es gab für sie keinen andern Trost mehr als den des Gebetes.

Jedenfalls um weniger Umstände mit der Gefangenen zu haben, hatte man ihr in das Wasser, das sie trank, etwas Betäubendes eingerührt. Sie schlief wieder ein, nachdem sie eine Zeitlang wach gewesen war, und erst, als sie Stimmengewirr um sich hörte, kam sie wieder zum Bewußtsein. Sie sah nichts und entdeckte, daß man sie wieder vollständig in Tücher eingeschlagen hatte, so daß sie nichts von ihrer Umgebung bemerken konnte.

Martha hörte Türen klappen, und immer noch schien die Versammlung, die sich da in ihrer Nähe einfand, zuzunehmen. Zum letztenmal klappte eine Tür, wie es Martha schien, aus einer andern Richtung als die vorherigen, und eine allgemeine Stille trat ein.

Dann hörte Martha eine Stimme, und zwar die des Mannes, der am Tage vorher zu ihren Gunsten gesprochen hatte und der ihr beim Abschied noch geraten halte, den Eid des Schweigens zu leisten.

»Brüder und Genossen,« sagte diese Stimme in polnischer Sprache, »ihr seid hierher entboten worden, um zu Gericht zu sitzen, um eine Entscheidung zu treffen wegen des Verrats eines Geheimnisses und wegen einer Entdeckung, die unserm Bunde und uns allen droht. Dort, eingehüllt in Tücher, liegt eine Person, die das Geheimnis unsers Bundes erfahren hat und die dasselbe verraten wollte. Man hat sie hierher gebracht, damit sie nicht weiter Verrat üben könne, und an euch ist es, diese Person zu richten nach eurem Eide und nach eurem Ermessen. Ihr sollt diese Person nicht sehen, bevor euer Urteil gesprochen ist, damit ihr durch nichts beeinflußt werdet in eurem Verdikt. Nur so viel muß ich euch mitteilen, daß diese Person kein eingeschworenes Mitglied unsers Bundes ist und daß sie wohl nur durch einen Zufall in den Besitz gewisser Geheimnisse gelangt ist. Zwei Meinungen haben sich bei den obersten Führern unsers Bundes geltend gemacht. Die eine ist dafür, jene dort gefangen liegende Person zu töten, weil sie einen Verrat begehen wollte. Die andre Meinung ist die, sie einen Schwur leisten zu lassen auf ewiges Stillschweigen und ihr dann, wenn auch nicht die Freiheit, so doch das Leben zu schenken. Welcher Meinung seid ihr, und welche Erklärungen wollt ihr noch haben?«

Eine Pause entstand, dann sagte eine Männerstimme:

»Es wird doch nötig sein, daß man uns mitteilt, was denn diese Person verraten hat und in welcher Weise dieser Verrat geschah. Wie sollen wir richten, wenn wir nicht das Vergehen der Person genau kennen?«

Die eigentümliche, scharfsinnige Klugheit des Slawen zeigte sich auch in dieser Antwort und in der darauf folgenden Debatte. Selbst der polnische Bauer ist verschlagen, denkt scharf und ist vorsichtig bei der Abgabe eines Urteils, besonders da, wo es sich um wichtige Dinge handelt.

Auf die Antwort folgte einige Stille, dann fuhr die erste Stimme wieder fort:

»Diese Person hat durch einen Zufall entdeckt, wer Pique-Aß ist, und hat darüber in einem Briefe dem Obergrenzkontrolleur dieser Gegend Mitteilung gemacht.«

Ein dumpfes Gemurmel ging durch die Versammlung. Alles schien bestürzt und erzürnt über den Verrat.

Dieselbe Stimme, welche die Frage vorher gestellt hatte, erklärte:

»Unter solchen Umständen bin ich für den Tod. Wer die Person auch sei und wenn sie auch nicht zu unserm Bunde gehört, wenn sie bereit war, dieses Geheimnis preiszugeben und uns vielleicht alle zu verderben, so bleibt uns nichts andres übrig, als ihr den Mund für immer zu schließen.«

»Sehr richtig!« hörte jetzt Martha die Stimme Femias. »Aber noch eine größere Schuld trifft diese Person, als ihr glaubt. Sie hat nicht zufällig das Geheimnis, das mich umgab, erfahren, sie hat durch Spionieren das Geheimnis herausgebracht, indem sie sich auf die Lauer legte und alles aufwendete, um hinter das Geheimnis zu kommen. Was zwang sie zu solcher Handlungsweise? Nichts andres doch als die Absicht, einen Verrat zu begehen. Und daß sie diese Absicht hatte, geht daraus hervor, daß sie sofort, nachdem sie das Geheimnis entdeckt hatte, einen Brief schrieb, der zum Glück in unsre Hände fiel und durch welchen dem Obergrenzkontrolleur, dem Führer unsrer Feinde, verraten wurde, wer Pique-Aß sei. Laßt mich zu euch sprechen, um euch zu zeigen, wie wichtig der Augenblick ist, in dem ihr hier über das Schicksal dieser Person beraten sollt. Vergeßt nicht, daß ihr die Führer eines großen Bundes seid, der dem Vaterlande dient und der keine andern Rücksichten kennt, als die Zwecke, die wir uns vorgesetzt haben, zu erreichen und dem Vaterlande möglichst viel Nutzen zu bringen. Wir befinden uns im Kriege gegen alle Vaterlandsfeinde und diejenigen, welche unsre Zwecke stören und sich uns entgegenstellen. Wir haben mit dem Tode bedroht stets alle Verräter und mußten dies tun, wollten wir uns nicht selbst gebunden in die Gewalt unsrer Feinde geben. Vergeßt nicht, welchen Ruf unser Bund diesseits und jenseits der Grenze hat, vergeßt nicht, daß unsre Freunde aus der Herzkarte jenseits der Grenze sich erst nach unserm Muster organisiert haben, daß sie uns bewundern wegen der Kunst, mit der wir unser Geheimnis wahrten, wegen der Energie, mit der wir an unserm Schwur festhalten. Vergeßt nicht daß der Verrat von unsrer Vereinigung bisher stets ferngehalten worden ist, weil mit unerbittlicher Strenge der Tod über jedes Mitglied verhängt wurde, das es wagte, zu unsern Feinden in Beziehungen zu treten. Ich erinnere euch daran, daß in dieser Versammlung in den letzten Jahren bereits zwei Todesurteile ausgesprochen worden sind über Leute, die Dinge begangen hatten, die nicht zum zehnten Teile so schlimm waren wie das, was diese Person verbrochen, die mich und dadurch euch alle verraten wollte. Glaubt nicht, daß ich den Verrat für meine Person fürchte; ich fürchte den Tod nicht und glaube euch Proben meines Mutes gegeben zu haben. Ich glaube, ihr bedauert es nicht, mich nach dem Tode meines Vaters an eure Spitze gestellt zu haben, und hundertfache Proben meines Eifers für den Bund habe ich euch gegeben, gebe ich euch in diesem Augenblicke. Wenn diese Person dort von euch zum Tode verurteilt wird, so hat niemand von den Folgen mehr zu fürchten als ich. Ich komme in die größte Gefahr. Wozu das Schweigen? Diese Gefangene dort ist meine eigne Stieftochter. Eingedenk des Eides, den ich geleistet, eingedenk der hohen Sache, der ich diene, habe ich nicht einen Augenblick gezögert, diese Gefangene euch zu überliefern. Mich wird man verantwortlich machen für ihr Verschwinden, mich wird man vielleicht bestrafen, ich laufe die höchste Gefahr. Ich allein müßte also Veranlassung haben, gegen den Tod dieser Verräterin zu sprechen, und doch verlange ich von euch, daß ihr das Todesurteil über sie aussprecht, ich verlange es im Namen des Vaterlandes, im Namen unsers Bundes, im Namen des Eides, den ihr geschworen habt, und im Namen der persönlichen Sicherheit jedes einzelnen von euch, die ihr nicht so närrisch sein werdet, euch dem Verrat eines schwatzhaften Mädchens auszusetzen.«

Die Rede Femias schien einen außerordentlichen Eindruck in der Versammlung zu machen. Nachdem sie geendet hatte, erhob sich ein Gemurmel, welches sobald nicht endete. Offenbar unterhielten sich die Verschworenen, welche soeben erst darüber belehrt wurden, wer die Verräterin sei, eingehend untereinander, und erst nach fast viertelstündiger Pause hörte Martha wieder die Stimme ihres Freundes, der sagte:

»Die Gründe, welche unser Führer für die Tötung dieser Person dort vorgeführt hat, sind wichtig genug. Aber in diesen Gründen selbst liegt vielleicht für uns eine Veranlassung, von einer Tötung Abstand zu nehmen. Pique-Aß hat euch gesagt, daß sie allein die Verantwortung für den Tod dieser Person, die ihre Stieftochter ist, zu tragen habe. Nun frage ich euch, droht uns allen nicht Gefahr, wenn unser Führer wegen eines Mordes zur Verantwortung gezogen wird? Ist es nicht möglich, daß durch eine Untersuchung, in welche Pique-Aß vielleicht gerät, Dinge zutage kommen, die uns allen schaden? Ist es nicht vielleicht unklug, eine Gefahr für unser Haupt und dadurch für uns alle heraufzubeschwören, indem wir unsre Hände mit Blut beflecken, während dies durchaus nicht nötig ist? Ich erinnere euch daran, daß diese Person dort nicht Mitglied unsers Bundes ist, daß nichts ihr die Zunge band und daß vielleicht nur Unbedachtsamkeit sie veranlaßte, den Versuch eines Verrates zu machen, der nicht einmal geglückt ist. Ihr seid Christen und werdet eure Hände nicht unnützerweise mit Blut beflecken wollen, am allerwenigsten mit dem Blute eines Weibes. Ich frage euch, ob ihr nicht geneigt wäret, die Person da einen Eid des Schweigens leisten zu lassen, wonach sie sich verpflichtet, nichts über alles das, was sie hier gehört hat, jemals zu verlautbaren, sich anheischig macht, den Zwecken unsers Bundes fortab zu dienen, zu schwören, nie, auch in ihrer Sterbestunde nicht, zu verraten, was sie von unsern Geheimnissen weiß. Ihr kennt diese Person dort und wißt, daß sie eine fromme Christin ist. Sie kommt erst aus dem Kloster, wo sie von frommen Schwestern erzogen wurde, von denen sie gewiß die Heiligkeit des Eides gelernt hat. Wäre es nicht besser, sie zu fragen, ob sie diesen Eid schwören will und sich bereit erklärt, ihn freiwillig zu leisten?«

Ein Gemurmel in der Versammlung besagte wieder, daß die Rede nicht ohne Eindruck vorüberging, und eine Stimme rief:

»Wir wollen uns über die Sache beraten und besprechen, doch im geheimen und nicht vor der Gefangenen da. Ihr, Pique-Aß, Pique-König und Pique-Ober, habt uns einberufen, um zu entscheiden, weil ihr nicht einig seid über das, was mit der Gefangenen geschehen soll. Wir haben eure Gründe gehört und werden uns jetzt untereinander beraten, um dann euch das Urteil unsrer Majorität mitzuteilen. Ihr könnt dann eure Stimmen für oder gegen den Beschluß kundtun, den wir euch vorlegen. So hat dies nach den Satzungen zu geschehen!«

Martha hörte darauf eine Zeitlang flüstern und murmeln, und sie ahnte, daß sich jetzt ihr Schicksal entschied. Sie ahnte, daß die Worte des letzten Redners so viel Eindruck auf die Anwesenden gemacht hatten, daß man ihr wahrscheinlich das Leben schenkte, wenn sie den Eid schwor. Sie war entschlossen, diesen Eid nicht zu leisten.

Martha betete jetzt um Kraft, um das zu ertragen, was ihr bevorstand. Soviel sie ersehen, waren ihre Gegner nicht grausame und blutdürstige Leute; man tötete sie wahrscheinlich rasch, und so betete sie denn zu Gott, wie nur ein Sterbender beten kann, der seinen Tod unabwendbar vor Augen sieht.

Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, als Martha fühlte, wie die Tücher entfernt wurden, in die sie eingehüllt lag; die Fesseln an ihren Füßen wurden gelockert, wenigstens der Strick nachgelassen, mit dem sie an irgendeinem Pfosten befestigt war. Sie wurde in eine halb sitzende Stellung gebracht, dann wurde ihr die letzte Hülle vom Gesicht genommen, und sie sah eine Anzahl maskierter Männer in dem nur notdürftig erhellten Raum, fast ausnahmslos in bäuerlicher Kleidung.

Marthas Augen suchten nach der Gestalt ihrer Stiefmutter, aber diese schien so zu stehen, daß sie von der Gefangenen nicht gesehen werden konnte. Derselbe Mann, der zu ihren Gunsten gesprochen hatte, trat an sie heran und sagte:

»Ihr habt gehört, was wir über Euch verhandelt haben?«

»Ja,« entgegnete Martha.

»Ihr habt,« fuhr der Maskierte fort, »das wichtigste Geheimnis, das wir haben, verraten wollen, und nach den Satzungen unsers Bundes muß Euch der Tod treffen. Ihr wißt aber, daß Stimmen zu Euren Gunsten sich hier bemerkbar gemacht haben, und nun beantwortet mir die Fragen, die ich an Euch stellen werde, wahrhaft und gewissenhaft. Schwört mir zu Gott dem Allmächtigen, Ihr wollt mir die volle Wahrheit auf meine Fragen antworten.«

»Ich schwöre es,« sagte Martha.

»Nun,« fragte der Maskierte, »kennt Ihr die Heiligkeit des Eides?«

»Ich kenne sie,« entgegnete Martha.

»Wißt Ihr, daß man einen Eid halten muß unter allen Umständen, und daß es keine Entschuldigung gibt, wenn man einen Eid bricht? Würdet Ihr einen Eid unter allen Umständen halten, wenn man Euch einen solchen abverlangte?«

»Ein Eid,« sagte Martha, »den man geschworen hat, muß gehalten werden unter allen Umständen; auch der gezwungene Eid muß gehalten werden. Aber laßt Eure Fragen. Ich schwöre den Eid des Schweigens, den Ihr von mir wollt, doch nicht. Ich will diesen Eid nicht leisten, und könnte ich mein Leben damit retten. Ich will nicht die Genossin Eurer Verbrechen werden, selbst wenn ich damit mein Leben retten kann. Was nützt mir mein Leben, wenn ich zur Verbrecherin werde und meine Seele verliere! Tut mit mir, was Ihr wollt, ich schwöre keinen Eid; verfahrt mit mir, wie es Euch gut dünkt.«

Martha erstaunte selbst über die Festigkeit, mit der sie diese Worte gesprochen hatte. Dieselben schienen auch auf die Versammlung Eindruck zu machen. Kamen sie doch aus dem Munde eines gefangenen, wehrlosen Mädchens, welches daran glauben mußte, daß ihr der Tod sicher bevorstand.

Martha wurde wieder mit dem Tuch bedeckt, und die Versammlung beriet sich im Flüsterton. Dann fragte eine Stimme: »Seid ihr alle bewaffnet?«

»Ja,« ertönte die Antwort.

»Ladet eure Terzerole,« klang die Stimme wieder. »Keiner von uns soll bei der Vollstreckung des Urteils gegen die Gefangene dort ausgeschlossen sein. Ladet eure Waffen, dann treten wir an die Gefangene heran, und auf das gegebene Kommando feuert ein jeder von uns sein Terzerol auf sie ab. Jeder von uns soll Schuld haben an ihrem Tode, damit nicht durch die Bestrafung dieser Verräterin ein neuer Verrat entsteht.«

Martha glaubte an der Stimme des Mannes, der soeben geredet hatte, Mikaz zu erkennen.

Noch einmal wurde das Tuch von dem Gesichte Marthas entfernt, der Mann, der vorher mit ihr verhandelt hatte, stand vor ihr und sagte mit trauriger Stimme:

»Die Versammlung hat Euch zum Tode verurteilt; bereitet Euch zum Tode vor. Ihr habt zehn Minuten Zeit, um Eure Rechnung mit dieser Welt abzuschließen.«

Dann deckte er das Tuch wieder über Marthas Gesicht und trat zurück.

*

Als Otto von Kontala am Morgen nach Guttentag gekommen war, fand er dort den Landrat und auch den Regierungspräsidenten vor und erhielt die Mitteilung, daß bis gegen Mittag die Jägermannschaften eintreffen würden und daß gegen Abend der Marsch auf Losachew angetreten werden sollte. Schon vorher wurden die Dispositionen festgesetzt, und Otto von Kontala entwickelte folgenden Plan: Unzweifelhaft war Losachew das Zentrum des Schmuggels, saßen hier die Hauptführer; ebenso unzweifelhaft befand sich hier das Hauptlager der Schmuggler, und erst von Losachew aus wurde das über die Grenze gebrachte Gut auf einer Menge von Wagen in das Binnenland geschafft, ebenso wie sich in Losachew die Schmugglerwaren stauten, welche über die Grenze nach Polen hinübergeschafft werden sollten. Die Auffindung dieses Lagers war ein Haupterfordernis, um die Schmuggler durch Wegnahme desselben schwer zu schädigen und gleichzeitig die Personen, in deren Häusern sich das Lager befand, zur Bestrafung zu bringen. Aber nur durch eine Radikalkur konnte hier Abhilfe geschafft werden, und Kontala wollte das ganze Dorf gewissermaßen gefangennehmen, indem er verlangte, daß die beiden Kompagnien der Jäger bis auf einen geringen Bruchteil bei Anbruch des Abends das Dorf so vollständig mit Posten umstellten, daß es unmöglich für jedermann wurde, das Dorf zu verlassen, ohne bemerkt zu werden. Niemand sollte während der nächsten Stunden gestattet werden, zu passieren; wer nicht stand, auf den sollte Feuer gegeben werden. Die Offizianten Kontalas aber sollten Führer von Jägerpatrouillen werden, welche von Haus zu Haus gingen und jedes einzelne Haus vom Keller bis zur Dachspitze hinauf untersuchten; kein Haus sollte verschont werden. Es sollte auch die Anwesenheit von fremden Personen, besonders von jenseits der Grenze, festgestellt und diese sofort verhaftet werden, wenn ihre Pässe nicht vollständig in Ordnung seien, weil man annehmen müsse, daß sie Mitglieder der Bande von jenseits des Grenzflusses seien. Die Untersuchung sollte so rigoros als möglich durchgeführt werden; fand man Widerstand, so sollte Gewalt gebraucht werden, und Kontala verhehlte seine Furcht nicht, daß es zu einem blutigen Zusammenstoß mit den Schmugglern kommen würde, wenn diese sich im eignen Nest gefangen sehen würden.

Otto von Kontala wäre es ja lieber gewesen, die Haussuchung, welche immerhin einige Stunden in Anspruch nehmen mußte, am Tage abhalten zu können, aber der Anmarsch der Jäger mußte so geschehen, daß im Dorfe niemand etwas von dem Herannahen des Militärs ahnte, so daß die Überraschung eine vollständige und desto wirkungsvoller wurde.

Das Schloß, welches am Ausgange des Dorfes, nach der Grenze zu, lag, sollte nicht besetzt werden, da nach Kontalas Meinung kein Bewohner des Schlosses oder des dazugehörigen Wirtschaftshofes mit den Schmugglern in irgendeiner Beziehung stände. Das Schloß war vielmehr zum Rendezvous der Patrouillen und zum Depot für etwaige Gefangene bestimmt; auch sollte dort das Hauptquartier aufgeschlagen werden, und alle Meldungen sollten nach dem Schlosse gehen, wo Kontala mit den Verwaltungsbeamten die Ergebnisse der militärischen Operationen abwarten sollte.

Am Nachmittage sollte der Vormarsch der beiden Jägerkompagnien so angetreten werden, daß die nächsten zwei Meilen gemeinsam zurückgelegt wurden, dann aber die eine der beiden Kompagnien nach rechts abbog, um einen weiten Bogen zu machen, um das Dorf Losachew vollständig zu umgehen, aber dabei so weit auszubiegen, daß das Herannahen des Militärs im Dorfe nicht bemerkt wurde. Die zweite Kompagnie sollte unterdes ungefähr eine Meile vor dem Dorfe haltmachen und erst zu einer bestimmten Stunde aufbrechen, um Punkt acht Uhr das Dorf von der andern Seite her zu umgehen und mit Posten zu umstellen. Um acht Uhr sollte ebenfalls die nach rechts ausgebogene Kompagnie an Ort und Stelle sein und die Besetzung vollzogen haben.

Otto von Kontala entwarf noch rasch ein paar flüchtige Terrainskizzen für die Führer der Kompagnien, um ihnen genau die Stellen zu bezeichnen, wo Posten auszusetzen seien, und er war mit der Arbeit kaum fertig, als Meldung gemacht wurde, daß außerhalb der Stadt die beiden Jägerkompagnien eingetroffen seien. Die Mannschaften lagen dort im Rendezvous und kochten ab.

Die Verwaltungsbeamten und der Obergrenzkontrolleur begaben sich hinaus und verhandelten mit den Offizieren, denen der Plan und die Absicht der Unternehmung vollständig auseinandergesetzt wurden und die sich aus den vorhandenen Karten und den neuen Kartenskizzen Kontalas vollständig informierten.

Am Nachmittage wurde aufgebrochen, und als Kontala am Schlüsse des militärischen Zuges ritt, war es ihm, als falle allmählich eine schwere Last von seiner Brust, als werde er binnen kurzem das Recht haben, aufzuatmen. Jetzt hatte er einmal das Heft in der Hand; die heimtückischen Gegner, die ihm so übel mitgespielt hatten und die ihn und seine Mannschaften monatelang in unausgesetzter Tätigkeit und Lebensgefahr gehalten hatten, sollten endlich darüber belehrt werden, daß auch für sie ein Abrechnungstag käme, nach dem es mit ihrer Herrlichkeit vorüber war.

Ganz bestimmt hoffte Otto von Kontala durch den Schlag, den er jetzt gegen die Schmuggler führte, dieselben bis ins Herz zu treffen und wenigstens für die nächste Zeit Ruhe an der Grenze zu schaffen.

Nachdem man ungefähr zwei Meilen marschiert war, wurde auf freiem Felde haltgemacht, die Oberjäger wurden von den Offizieren herangerufen und über den Zweck und die Absicht des Unternehmens vollständig aufgeklärt. Dann erteilten die Oberjäger den einzelnen Mannschaften genaue Instruktionen über das, was zu tun war, aus dem mitgenommenen Patronenwagen wurden scharfe Patronen an die Jäger verteilt, die Büchsen geladen und dann der Weitermarsch angetreten.

Nach kurzer Zeit bog die Kompagnie an der Spitze des Zuges in einen Weg nach rechts ein und marschierte in beschleunigtem Tempo davon, während die zurückbleibende Kompagnie ihren Weg weiter geradeaus nahm. Auch diese Kompagnie machte nach einem Marsche von zwei Stunden halt, und zwar in einem Walde, durch den der Weg hindurchführte.

Sie nahm absichtlich weit von der Straße entfernt Aufstellung, um nicht von dieser aus gesehen zu werden, und alles auffällige Geräusch wurde den Mannschaften verboten.

Otto von Kontala ritt inzwischen in der Richtung nach Losachew vor und begegnete bald seinen berittenen Offizianten, die seiner Bestellung gemäß ihm entgegenkamen. Er erstaunte nicht wenig, als er entdeckte, daß einer dieser Offizianten vor sich auf dem Sattel ein kleines Mädchen in Landestracht hatte, welches beim Anblick des Obergrenzkontrolleurs vom Pferde heruntersprang, auf ihn zueilte und seine Stiefel zu küssen begann.

Kontala kannte Ulka nicht; er hatte sie nicht auf dem Schlosse beachtet, wenn er sie vielleicht auch einmal gesehen hatte. Er war nicht wenig erstaunt, als ihm sein Offiziant mitteilte, das junge Mädchen sei seit dem Morgen in Lublinitz und habe wichtige Enthüllungen über die Schmuggler zu machen, doch weigere sie sich, irgend jemand anderm etwas zu sagen und wolle nur mit dem Obergrenzkontrolleur allein sprechen.

Ulka begleitete die Erzählung des Offizianten mit lebhaften Gebärden, und als sich jetzt Kontala, der der polnischen Sprache mächtig war, an sie wendete, verlangte sie, er solle mit ihr beiseitekommen, da das, was sie zu sagen habe, niemand hören dürfe.

Wenn auch kopfschüttelnd, so willfahrte Kontala doch ihrem Wunsche, und er glaubte es im ersten Augenblicke mit einer Irrsinnigen zu tun zu haben, als ihm Ulka sagte:

»Die Schloßherrin von Katzenberg, die Frau von Sembitzka, ist Pique-Aß. Das gnädige Fräulein ist heute nacht aus ihrer Wohnung entführt und von den Schmugglern fortgeschafft worden. Ich weiß, wo die Männer, die sie fortgeschafft haben, im Schloßpark verschwunden sind, weiß aber nicht, wie man dort weiter vordringen kann. Retten Sie das Fräulein, wenn es überhaupt noch zu retten ist!«

Die Nachricht schien natürlich Kontala so unsinnig, daß er den Kopf schüttelte und der Kleinen sagte:

»Du hast das Fieber, oder es hat dich irgend jemand genarrt. Wer hat dir diese Tollheiten erzählt?«

»Niemand,« sagte Ulka; »ich habe sie mit eignen Augen gesehen.«

Und dann begann sie umständlich zu erzählen, wie sie ihre Beobachtungen gemacht, was sie gesehen hatte, und kaum eine halbe Stunde war verflossen, als Kontala die Überzeugung hatte, daß jedes Wort, das ihm das kleine Mädchen da erzählte, wahr sei, und sein leichenblasses Gesicht bewies nur zu deutlich, wie sehr ihn die Nachricht erschüttert hatte.

Fast um den Verstand brachte ihn ja die Mitteilung, daß Martha sich in den Händen der Schmuggler befinde und von diesen geraubt und entführt sei. Fast ebenso niederdrückend aber war für ihn das Gefühl, daß die Frau, die er für eine Freundin seiner Sache gehalten, daß Frau von Sembitzka der Führer der verhaßten Feinde sei, und eine unsagbare Wut gegen sich selbst erfaßte ihn, wenn er daran dachte, wie er törichterweise alle seine Anschläge ihr verraten hatte.

Jetzt wußte er auch, weshalb der letzte Anschlag, den er gegen die Schmuggler geplant hatte, so sehr zu seinen Ungunsten und seiner Niederlage ausgefallen sei; jetzt ahnte er, wie sein ganzes Ringen und Kämpfen vergeblich gewesen, da er nie eine Ahnung davon gehabt, wo der Hauptherd der Verschwörung sei, und er sich beständig ahnungslos in dem feindlichen Lager aufgehalten hatte, als dessen Mittelpunkt er jetzt Schloß Katzenberg betrachten mußte.

Martha in der Gewalt der Schmuggler und von diesen entführt, geraubt, anscheinend auf Anstiften ihrer Stiefmutter!

Kontala konnte kaum die Gründe für dieses Verhalten auffinden. Er stellte immer neue Fragen an das Kind, welches indes nichts andres als seine Wahrnehmungen mitteilen konnte. Die Motive für die Entführung Marthas waren Ulka vollständig unbekannt, sie konnte nur die Tatsachen berichten. Sie erzählte von dem Eiskeller im Schloßpark und wie sie in demselben sich umgesehen habe, ohne auch nur das geringste zu finden. Kontala ließ sich von ihr auf das genaueste die Lage des Eiskellers beschreiben und fragte Ulka erstaunt, warum sie ihre so wichtigen Nachrichten nicht den Offizianten anvertraut habe.

Das Mädchen erklärte, es traue den Offizianten nicht. Dieselben hätten sie wahrscheinlich für verrückt gehalten, hätten ihr vielleicht mit Schlägen geantwortet oder hätten sie gar an die Schloßherrin von Katzenberg ausgeliefert, und das wäre ihr sicherer Tod gewesen.

Kontala, der vom Pferde gestiegen war und sich mit Ulka am Grabenrand der Straße niedergesetzt hatte, blieb eine Viertelstunde lang sitzen, ohne sich fassen zu können, ohne zu wissen, was er tun solle. Es drängte ihn natürlich, augenblicklich Schloß Katzenberg zu stürmen, um die Geliebte zu befreien. Aber das war unter keinen Umständen möglich, solange nicht das Dorf vollständig umstellt war.

Es war noch nicht sechs Uhr, vor acht Uhr konnte nichts unternommen werden, und zwei qualvolle, entsetzliche Stunden hatte der Unglückliche vor sich. Er zitterte bei dem Gedanken, daß Martha sich überhaupt nur in der Gewalt der Schmuggler befinde, die, wie er wußte, wenig Umstände mit Leuten machten, gegen die sie sich mit Gewalt vorzugehen genötigt sahen. Seine einzige Hoffnung war die, daß Frau von Sembitzka, die Stiefmutter Marthas, nicht dulden würde, daß ihr irgendwelches Leid geschehe. Er glaubte sich so viel zusammenreimen zu können, daß vielleicht Martha durch irgendeinen Zufall Kenntnis von dem Geheimnis ihrer Stiefmutter erhalten habe und daß sie infolgedessen beiseitegeschafft worden sei, um sie am Reden und Verrat zu hindern. Gewiß war es aber nicht leicht, Martha aufzufinden, wenn man sie erst aus dem Dorfe herausgebracht hatte; anderseits mußte die Generalhaussuchung, die man im Dorfe hielt, ihre Anwesenheit feststellen lassen, und eventuell war man in der Lage, Frau von Sembitzka auf den Kopf zu sagen, daß sie ihre Stieftochter habe fortbringen lassen.

Otto von Kontala warf einen prüfenden Blick auf die Kleine, die neben ihm am Grabenrande saß und mit ihren nackten Füßen im Sand spielte. Sie sah ihn ebenfalls prüfend an, und an ihren listig blitzenden Augen erkannte er, daß diese kleine Helferin in der Not für ihn wichtiger sei als alle Unternehmungen, die er jemals gegen die Schmuggler geplant hatte.

Es fiel ihm schwer, das, was er vernommen, seinen Beamten mitzuteilen, aber er rief die beiden ältesten seiner Offizianten herbei und teilte ihnen mit, was er von Ulka erfahren hatte.

Die Leute waren noch erstaunter als er, und besonders, als sie erfuhren, im Schloßparke selbst befinde sich der Ein- und Ausgang zu irgendeinem geheimnisvollen Orte, der von Wichtigkeit für die Schmuggler sei, fingen sie an, an der Zurechnungsfähigkeit und Wahrhaftigkeit Ulkas zu zweifeln.

Die Dispositionen, welche für den Abend getroffen waren, konnten nicht mehr geändert werden, nur beschloß Otto von Kontala, eine starke Truppe mit sich nach dem Schlosse zu nehmen, wo er augenblicklich zur Verhaftung aller verdächtigen Personen schreiten wollte.

Ulka fragte, ob sie nun gehen könne, Kontala aber befahl ihr, bis zum Abend zu warten, und geriet einigermaßen in Verlegenheit, als ihn das kleine Mädchen fragte, was er nun mit ihr zu beginnen beabsichtige. Nach Schloß Katzenberg könne sie nicht zurück, nach Losachew auch nicht; alle Leute im Dorfe seien Schmuggler, und man würde sie jedenfalls umbringen. Kontala beruhigte sie und sagte, ihre Anwesenheit sei doch am Abend dringend nötig, sie würde aber auf jeden Fall geschützt werden.

Dann befahl er ihr, mit ihm zu gehen, und als er mit ihr und den Offizianten zu der lagernden Jägerkompagnie kam, lächelte Ulka verständig, denn sie wußte und ahnte wohl, wozu das Militär erschienen war.

Zwei fürchterliche Stunden verlebte Kontala wie in einem Fieberzustande, bis endlich das Signal zum Aufbruch gegeben wurde.

Der Marsch wurde jetzt rasch auf das Dorf angetreten, und nach etwas mehr als einer Stunde sah man dasselbe vor sich liegen.

Wieder wurde im Walde haltgemacht, noch einmal die notwendigen Instruktionen an die Mannschaften und Oberjäger gegeben, und dann löste sich ein Teil der Kompagnie in Patrouillen und Posten auf, die das Dorf vollständig umstellten. Der Rest der Kompagnie und einige Offizianten begleiteten Kontala nach dem Schlosse, während die andern Offizianten sich quer durch das Dorf hindurch der andern Kompagnie entgegen begaben, um da als Führer bei der Postenaufstellung und Haussuchung zu dienen.

Es dunkelte, als man die Lisiere des Dorfes erreichte, und Kontala fühlte sich von einem unsäglichen Gefühl der Angst und Furcht um die Geliebte, des fürchterlichen Zornes und der Erregung ergriffen, als er den Weg nach dem Schlosse antrat, das für ihn plötzlich eine so große Bedeutung gewonnen hatte.

An der Spitze der Militärabteilung rückte Kontala, der vor dem Tore abgesessen war, in den Schloßhof und ließ sofort das Tor durch zwei Mann besetzen. Er schickte einen Offizianten mit einer Abteilung Jäger sofort nach dem Wirtschaftshofe und ließ hier ebenfalls alles besetzen. Er selbst begab sich in das Schloß.

Die alte Wirtschafterin, die ihm entgegentrat, antwortete ihm auf seine Frage, wo sich Martha befinde, dieselbe habe eine Wallfahrt angetreten und sei seit früh fort. Auf die Frage nach der Schloßherrin erfuhr Kontala, sie sei in ihrem Zimmer.

Begleitet von mehreren Offizianten, begab er sich nach dem Zimmer der Schloßherrin, klopfte, erhielt indes keine Antwort. Er suchte schonend den alten Sembitzki auf, der, bewacht von Simon, dem alten Diener, im Bette lag und sich ziemlich wohl zu befinden schien. Auch Simon wußte nicht anzugeben, wo sich die Schloßherrin befand. Das ganze Haus wurde durchsucht, man fand sie nicht.

Ulka kam zuerst auf die Vermutung, daß die Schloßherrin sich wieder nach dem Eiskeller begeben habe, um von dort auf irgendeine geheimnisvolle Weise nach dem Zusammenkunftsort der Schmuggler zu gelangen.

Kienspäne wurden herbeigeholt und angezündet, und unter der Führung Ulkas, die sich um so sicherer fühlte, je weniger Aussicht vorhanden schien, Femia von Sembitzka aufzufinden, begab man sich nach dem Eiskeller im Park. Ulka erzählte hier noch einmal genau, was sie gesehen, die Tür wurde geöffnet, einige brennende Kienspäne auf den Fußboden des früheren Eiskellers geworfen, und durchaus nichts Verdächtiges bot sich den Blicken der Eintretenden dar.

Stamm an Stamm gefügt bildeten die vier Seiten des Kellers, die Decke wurde durch einige mächtige Querbalken und darübergelegte Bretter getragen. Kontala und seine Offizianten prüften sorgfältig jeden Stamm, als plötzlich alle zusammenzuckten.

Eine kurze Salve von Schüssen, wie von Pistolen oder Terzerolen, klang aus dem Innern des Berges dumpf, aber doch deutlich vernehmbar zu ihnen.

* * *

 


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