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Die Umgehung des Ortes war vollständig gelungen. Die ausgesendeten Patrouillen und Posten stießen genau um acht Uhr, als es vollständig dunkel geworden war, aufeinander, und das Dorf war mit einer so dichten Postenkette umgeben, daß es trotz der Dunkelheit niemand gelingen konnte, durch dieselbe hindurchzukommen.

Steueroffizianten und Jäger, denen mehrere Oberjäger beigegeben waren, holten den Schulzen des Dorfes aus seiner Wohnung ab, einen harmlosen Bauern, welcher kaum seinen Namen nachmalen konnte, wenn er ihn unter amtliche Schriftstücke setzte, und der von den andern Bauern wahrscheinlich wegen seiner Harmlosigkeit, um nicht zu sagen Beschränktheit, zu diesem Posten gewählt worden war. Es wurde ihm erklärt, man wolle im Dorf eine allgemeine Haussuchung halten und wolle sogar bei ihm beginnen. Der Schulze und seine Angehörigen waren sehr erschrocken, besonders als sie die Uniformen des Militärs erblickten; das Haus wurde vom Keller bis zum Dache untersucht, aber nichts gefunden, was verdächtig schien, und ähnlich resultatlos verliefen die Haussuchungen, welche von acht Patrouillen, geführt von Offizianten, gleichzeitig an verschiedenen Stellen des Dorfes vorgenommen wurden. Man ging von Haus zu Haus, untersuchte auf das genaueste und fand nicht das geringste, nirgends eine verdächtige Person, nirgends eine Spur von einem Schmuggellager, nirgends eine Spur von russischen Waren oder von Gegenständen, die über die russische Grenze geschafft werden sollten. In einzelnen Bauernhütten, die untersucht wurden, fehlten zwar die Familienoberhäupter, aber die Frauen erklärten, ihre Männer seien nach der Stadt oder im Wirtshause. Im Wirtshause selbst fehlte merkwürdigerweise Mikaz, der Wirt, aber die Frau sagte, er wäre auf dem Schlosse, um dort etwas abzumachen.

Eine der Patrouillen näherte sich dem Ausgange des Dorfes, wo einige erbärmliche Hütten standen. Dort sagte der Offiziant, der die Patrouille führte:

»Hier wohnen blutarme Leute, elende Auszügler, welche wohl kaum mit den Schmugglern in Verbindung stehen, sonst ginge es ihnen besser. Es lohnt sich kaum, dort eine Revision zu halten.«

»Ganz gleich,« erklärte der Oberjäger der Patrouille; »wir wollen nichts übergehen. Die Instruktion lautet, nichts undurchsucht zu lassen.«

Der Offiziant klopfte an die Tür der ersten Hütte, welche ihnen nicht sofort geöffnet wurde. Dann stieß er mit solcher Gewalt gegen dieselbe, daß der obere Riegel der Haustür, die in eine untere und eine obere Hälfte geteilt war, zersprang, und der Offiziant und der Oberjäger, gefolgt von sechs Mann, stiegen durch den geöffneten oberen Teil der Haustür und standen bald darauf in einem Zimmer, welches alle Spuren des Elends und der Armut zeigte und in dem sich nur eine Frau befand. Diese Frau war über den Anblick des Steuerbeamten und der Soldaten aber so bestürzt, daß sie einen lauten Schrei ausstieß. Dann schrie sie plötzlich, obgleich sich niemand im Zimmer befand:

»Rettet euch! – Soldaten!«

In diesem Augenblicke bewegte sich ein Teil der Hinterwand in der elenden Stube. Mit einem Sprunge waren aber der Steueroffiziant und der Oberjäger an der Holzwand und hielten zusammen dieselbe fest, als die auf Zapfen stehende Tür sich sogleich wieder schließen wollte.

Eine Salve von Terzerolen krachte ihnen entgegen. Im nächsten Augenblicke aber feuerten durch die schmale Öffnung die Jäger ihre Büchsen in den dunkeln, unbekannten Raum hinein. Ein Kolbenstoß warf die noch immer schreiende Frau zu Boden.

Der Steueroffiziant war allerdings von Terzerolkugeln getroffen, doch nur leichtverwundet. Er hielt die Tür in der Holzwand fest und verhinderte das Schließen derselben.

Pulverdampf erfüllte das Zimmer, man hörte aus der Finsternis hinter der Drehtür Stöhnen und Schreien. Mit außerordentlicher Geschwindigkeit aber hatten die Jäger ihre Büchsen geladen, einer von ihnen ergriff einen Feuerbrand auf dem Kamin des steinernen Ofens, der in der Stube stand, und warf ihn in den dunkeln Raum hinein.

Man sah Gestalten, die sich im Pulverdampf bewegten, und der Steueroffiziant hatte die Kraft, den Überfallenen zuzurufen, sie sollten sich ergeben. Noch ein Schuß aus einem Terzerol krachte, zum zweitenmal feuerten die Jäger, dann trat lautlose Stille ein, bis aus einer ganz entgegengesetzten Richtung her rasch zwei, drei Schüsse aus Büchsen knallten.

*

Begeben wir uns zu der Abteilung zurück, welche Kontala führte, mit der er zusammen das Krachen der Terzerole im Innern des Berges vernahm.

Unmittelbar darauf ertönte eine Salve von Gewehren, und plötzlich sahen die im Eiskeller Weilenden erstaunt in der Hinterwand vier Baumstämme sich seitlich bewegen und eine Holztür freimachen, die aufgestoßen wurde und in der mehrere maskierte Männer erschienen.

Einen Augenblick nur blieb die Tür geöffnet. Als die Maskierten hier Licht und Uniformen sahen, schlossen sie die Tür wieder zu, die indes sofort von Soldaten aufgestoßen wurde, um aufs Geratewohl einige Schüsse in die Dunkelheit abzugeben.

Nur an die Rettung Marthas denkend, stürmte Kontala in die Dunkelheit hinein, und nur mühsam folgten ihm die Jäger durch einen schmalen, aber mannshohen Gang, bis man in eine weite Aushöhlung kam, in der man Stöhnen und Schreien und gleichzeitig Kommandorufe hörte.

In einem Winkel lagen mehrere maskierte Männer auf den Knien und flehten um Gnade; zwei Verwundete lagen am Boden, zwei andre maskierte Figuren schienen tot zu sein.

Die Mannschaften Kontalas fanden die andre Jägerpatrouille, die von der entgegengesetzten Seite der Höhle hierhergelangt war. Der Pulverdampf verhinderte das Sehen, so daß selbst die herbeigeschafften Kienspäne nicht genügendes Licht verbreiteten.

Kontala stolperte über ein Bündel, das am Boden lag. In demselben schien sich etwas zu bewegen. Er riß zwei Tücher herunter, die das Bündel bedeckten, und das leichenblasse Gesicht Marthas blickte ihm mit schreck- und angsterfüllten Augen entgegen. Einen Ruf des Jubels stieß Kontala aus, dann schrie er den Mannschaften zu, ihm beim Losbinden Marthas behilflich zu sein.

Eine Szene unbeschreiblichster Verwirrung entstand unterdes. Einzelne Soldaten rissen den maskierten Schmugglern die Masken herunter, und die Offizianten erkannten in ihnen Bauern aus dem Dorfe. Die beiden Getöteten wurden untersucht. Man fand in dem einen Mikaz, den Dorfwirt, in dem andern Frau von Sembitzka mit einer Kugel im Herzen. Die beiden Verwundeten waren ebenfalls Ortsangehörige, einer von ihnen, durch die Brust geschossen, der Freund Marthas, welcher deren Tod verhindern wollte.

Nicht nur aber hatten die Offizianten und Soldaten das Glück gehabt, die sämtlichen Häupter der Schmuggler bei einer Versammlung zu überraschen, sie fanden in dieser Aushöhlung auch vor das vollständige Lager im Werte von vielen tausend Talern, bestehend aus Juchten, Tee und andern Produkten Rußlands, welche hier aufgestapelt waren, um weiter nach Preußen hinein befördert zu werden; umgekehrt aber auch ein kolossales Lager von zum Teil sehr wertvollen Schmucksachen und selbst goldenen Taschenuhren, welche bestimmt waren, über die russische Grenze gepascht zu werden.

Die ganze Anlage des Schmuggellagers sowie des Versammlungsortes war eine wunderbar geschickte. Von dem kleinen Häuschen, das am Abhange des Hügels stand, hatte man von dessen Hinterwand her einen schmalen Gang in den Hügel hineingetrieben und ihn sofort zu einer weiten Halle ausgebaut, welche vollständig in bergmännischer Weise mit Querbalken und senkrecht stehenden Rundhölzern gestützt war. Diese Halle glich einem kleinen Saal, war vollständig trocken, da sie in einen mürben Sandstein, mit Schiefer gemischt, eingehauen war. Dann führte durch eine Lehm- und Sandschicht ein Gang nach der andern Seite des Hügelabhanges bis zum Schloßpark, wo dieser Gang an einer Türe endete. Diese Tür ließ sich nach innen aufschlagen, und zur Linken derselben war ein höchst einfacher Mechanismus, bestehend aus einem hölzernen Hebel, der mit einem Kasten voll Steine belastet war, angebracht, mittels welchen sich vier lose Balken im Hintergrunde des Eiskellers durch einfaches Umdrehen des Hebels beiseiteschieben ließen und so eine Öffnung der Tür bewirkten. War der Hebel geschlossen, so behinderte die schwere Steinbelastung das Verschieben der Balken von der Eiskellerseite vollständig; dieselben bewegten sich auch beim Anfühlen nicht und mußten den Eindruck hervorrufen, daß die Balken fest in die Erde gerammt und mit dem andern Holzwerk verbunden seien.

Martha war gerettet worden wenige Minuten vor der Vollziehung des Todesurteils an ihr. Die Schmuggler hatten ihre Terzerole geladen, und Martha, die sich in ihr Schicksal ergeben, hatte ein Gebet zu murmeln angefangen, als der Angstschrei der Frau aus der elenden Hütte, die den Eingang zur Schmugglerhöhle maskierte, ertönte. Dann hörte man den Ruf:

»Rettet euch! – Soldaten!«

Pique-Aß war nach vorwärts gestürmt und hatte die Drehtür geöffnet, um dort von einem der ersten Schüsse tödlich getroffen zu werden. Martha wurde zum Glück von den Schüssen, die gewechselt wurden, nicht getroffen, da sie am Boden lag, während die Schüsse in ziemlicher Höhe über sie hinweggingen.

Welch ein Wiedersehen Otto von Kontala und Martha feierten, als Martha endlich nach ihrem Zimmer gebracht war, wo sie erschöpft auf dem Sofa lag, da von dem langen Zusammenschnüren ihre Arme und Beine vollständig bewegungslos waren, kann man sich wohl denken.

Die Pflicht aber rief Kontala nur zu bald von der Seite der geretteten Geliebten, die auch ihre Erzählung und ihre Aufklärungen für eine günstigere Zeit aufsparen mußte.

Die ganze Nacht hindurch gab es auf dem Schlosse Katzenberg Leben und Bewegung. Die fortwährend von ihren Streifereien zurückkehrenden Patrouillen meldeten, nichts gefunden zu haben. Nur in einem der Häuser hatte man zwei Leute entdeckt, welche nicht in das Dorf gehörten und welche, wie sich herausstellte, Leute aus der Herzkarte von jenseits der Grenze waren. Man hielt sie natürlich fest, mußte sie aber später laufen lassen, da ihnen nichts zu beweisen war.

Pique-Aß war getötet, ebenso Mikaz, welcher Pique-König war; schwerverwundet war Pique-Ober, leichtverwundet Pique-Unter, während Pique-Zehn ebenfalls erschossen war. Die übrigen Führer der Schmuggler, Pique-Neun, Pique-Acht und Pique-Sieben und andre, entschlossen sich zu einem vollen Geständnisse. Was wollten sie auch tun? Ihr Lager war entdeckt, sie selbst waren in einer Versammlung der Schmuggler verhaftet worden, als fürchterlicher Zeuge konnte ihnen Martha entgegengestellt werden. Sie legten ein unumwundenes Geständnis ab, durch welches noch eine große Menge Bewohner des Dorfes belastet wurden. Noch in der Nacht wurden sie verhaftet, und am Morgen schon kam eine extra ernannte Untersuchungskommission an, welche nun tagelang sich damit beschäftigte, alle Verbindungen der Schmuggler zu verfolgen und alle an dem Verbrechen beteiligten Personen dingfest zu machen. Es entspann sich ein Prozeß, der vor dem Schwurgericht mit der Verurteilung zahlreicher Angeklagten zu größeren und geringeren Zuchthausstrafen endete.

Pique-Ober starb an seinen Verletzungen, und auf seinem Sterbebett ließ er noch Martha bitten, zu ihm zu kommen, um ihr Enthüllungen über ihre Stiefmutter zu machen, aus denen Martha wenigstens klar wurde, daß nicht gemeiner Eigennutz, sondern Vaterlandsliebe und politischer Fanatismus ihre Stiefmutter zum Haupte der Schmugglerbande gemacht hatte.

Der alte Sembitzki wurde schonend auf das Vorgefallene vorbereitet. Auch er wählte Martha eines Tages zu seiner Vertrauten und erklärte ihr, er glaube, daß in den letzten Monaten ihm die verstorbene Gattin jeden Abend, wenn sie das Schloß verließ, um sich in die Versammlung der Schmuggler zu begeben, einen Schlaftrunk beigebracht habe, dessen Genuß ihn nervös vollständig herunterbrachte und wohl dem sicheren Tod entgegengeführt hätte. Er hatte fast jedesmal geahnt, daß er ein narkotisches Mittel bekam, und doch hatte er es nicht gewagt, dieser Frau zu widersprechen, die ihm geradezu unheimlich geworden war, vor der er sich fürchtete, der er auch einen Giftmord zutraute und um derentwillen er so sehr darauf gedrungen hatte, daß die Tochter aus dem Kloster nach Hause käme.

Die Nachricht davon, daß sich die Herzen seiner Tochter und des von ihm sehr geschätzten Obergrenzkontrolleurs gefunden hatten, erfüllte den alten Schloßherrn mit heller Freude und trug zu seiner allmählichen Genesung nicht unwesentlich bei.

*

Eine Reihe von Jahren ist verflossen. Der Grenzfluß Liswartha scheidet noch immer Rußland und Preußen voneinander; aber auf preußischer Seite ist es doch anders geworden. Die Verhältnisse haben sich sehr zum Besseren gewendet. Eisenbahnen haben das Land auf der rechten Oderuferseite erschlossen, Verbindungen auch durch die Wälder sind hergestellt worden, die Ortschaften sind im Aufblühen begriffen, man hat unterirdische Schätze entdeckt, und Bergbau und Hüttenindustrie sind zum Teil auch in jene Gegend gekommen. Die Bildung und Kultur sind in großartigem Maße gewachsen, besonders durch die lebhafte Fürsorge aller beteiligten Kreise für die Schule. Steht jene Gegend auch noch nicht auf der Höhe der uralten Kulturbezirke des Westens, so ist sie doch in beständigem Aufstreben und Aufblühen begriffen. Der Schmuggel an der Grenze hat sein Ende gefunden, wenigstens in jenem großartigen, organisierten Maßstabe, in dem er in den vorstehenden Zeilen geschildert wurde. Geschmuggelt wird immer und überall, wo es Grenzen gibt, und sei es selbst eine Handvoll Tabak, eine Schweinsblase voll Branntwein oder ein Päckchen Tee, das über die Grenze gebracht wird. Der kleine Schmuggel ist nicht auszurotten, er bringt auch weiter keinen Schaden; der große Schmuggel von und nach Rußland hat sich in die Nähe jener Orte gezogen, wo Eisenbahnübergänge sind, und besonders nach Rußland hinein blüht der Schmuggel noch heute.

Losachew blieb einige Wochen lang von Militär besetzt. Der russischen Regierung wurde das Material gegen die Mitglieder der Herzkarte, das heißt gegen die Schmuggler auf russischem Gebiet, zur Verfügung gestellt, und auf besonderen Befehl, der von Petersburg kam, räumte man auch hier auf.

Kontala wurde für seine Leistungen, welche man vollständig würdigte, befördert und nach der Provinzialhauptstadt versetzt, und die Pensionärinnen in dem Kloster der Ursulinerinnen erstaunten nicht wenig, als eines Tages sich eine junge Frau als ihre frühere Genossin Martha von Sembitzka vorstellte und ihnen mitteilte, daß sie Frau sei und Martha von Kontala heiße.

Der alte Sembitzki verkaufte sein Gut, das er wegen seiner Krankheit doch nicht bewirtschaften konnte und dessen Schloß zu grausige Erinnerungen für ihn barg. Er zog nach Breslau zu seiner Tochter, wo er in verhältnismäßig guter Gesundheit noch eine Reihe von Jahren friedlich lebte. Halb zur Familie gehörte Ulka, welche natürlich für immer bei Martha verblieb und so gut erzogen wurde, daß sie sogar den ihr angeborenen Hang zum Stehlen vollständig verlor.

Hedwig von Kontala pflegte den Kameraden ihres Bruders, Günther, eifrig während seiner Rekonvaleszenz, und da sich ihre Herzen hierbei fanden, wurde sie später seine Gattin.

Im Schloßpark von Katzenberg liegt Femia von Sembitzka begraben. An ihr Grab knüpfen sich allerlei abergläubische Sagen. Das Volk hat bis heut »Pique-Aß«, den einstigen Führer der geheimen Schmugglergesellschaft, nicht vergessen.

* * *


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