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17.

Das Hotel Bellevue war während des Krieges der Tummelplatz der Diplomatie gewesen, die so fein arbeitet, daß sie mit sich selbst nur im Flüsterton raunt. Damals war das Hotel Bellevue berühmt in der ganzen Welt. Elegante österreichische Reiteroffiziere, »zugeteilt dem Militärattaché,« wohnten dort, pikante Französinnen, rassige Russinnen, tadellose englische Gentlemen, jovial auftretende und gerissen arbeitende Amerikaner – – das lebte hier in Saus und Braus, während draußen auf den Schlachtfeldern die armen Teufel von Soldaten hungerten, darbten, froren und starben. Fäden wurden da gesponnen, die das Licht des Tages zu fürchten hatten, Intrigen, Flirts, Liebe, Frivolität – das alles wirbelte durcheinander. Als der Habsburger Thron zusammenbrach, kam Erzherzog Max, der Bruder des letzten Habsburger Kaisers, hierher und brachte ein Gefolge von lebenslustigen jungen Menschen mit, die die Sorgen ihres Vaterlandes jenseits von Feldkirch gelassen hatten. Da gab's rauschende Feste, hohe Spielpartien und Tanz und Gaudium. – –

Alles verrauscht! Heute ist das Hotel Bellevue wieder was es war. Eines der vornehmsten, ruhigsten Hotels der Schweiz.

Und nun krachte in diese vornehme Ruhe brutal der Revolverschuß hinein, der Richard Roland zu Boden warf.

Lärmen. Schreien. Zusammenlaufen. Erschrockene, sensationslüsterne Menschen preßten sich an die Tür. Starrten auf das todbleiche Mädchen, das, ohne sich zu rühren, neben dem Verwundeten stand. Zischeln. Raunen – – –.

Margot schreckte auf. – – Als sie die an der Tür sich zusammendrängende Menge sah, sprang Hohn und Verachtung in ihrem schmalen Gesicht auf.

»Will mir niemand helfen, ihn aufs Bett zu legen?« fragte sie.

Ein Kellner faßte mit an. Vorsichtig ließen sie Roland auf dem Bette nieder. Er war bewußtlos und gab keinen Laut von sich, als man ihn in die Höhe hob. Ein Arzt erschien. Von irgendwoher tauchte er auf und machte sich rasch an die Untersuchung.

Aufgeregt kamen der Direktor und mehrere seiner Gehilfen. Ein Schutzmann trat in Aktion. Hinter ihnen her drängte sich die Menge der Zuschauer.

»Würden Sie nicht die Tür schließen lassen?« fuhr Margot, weitaus die ruhigste von allen, den Schutzmann an.

Der gehorchte. Im Zimmer blieben vier Personen zurück: der Arzt, der Direktor, der Schutzmann und Margot.

Zunächst sprach niemand ein Wort, um den Arzt nicht zu stören. Das Mädchen kümmerte sich nicht um die Blicke, mit denen es gemustert wurde, sondern hielt sich aufrecht und mutig am Kopfende des Bettes und ließ die Augen nicht von dem Verwundeten. Richard begann sich unter den Händen des Arztes zu regen.

»Ich habe die Kugel,« sagte dieser, »bitte, rasch etwas Wasser.«

Ehe die Männer sich noch in Bewegung setzten, stand Margot schon mit einem Lavoir voll Wasser bereit. So ruhig und gefaßt sie war, so zitterte doch ihre Stimme, als sie jetzt den Arzt fragte: »Ist es gefährlich?«

Die Antwort war ein flüchtiges Achselzucken. Die nächsten fünf Minuten vergingen. Instrumente klirrten leise. – – Der Verwundete stöhnte. Dann hielt der Arzt in der Zange ein kleines, graues Ding. Die Kugel.

»Der Mann hat Glück gehabt,« erklärte er. »Das Geschoß muß an irgendeinem harten Gegenstand abgeglitten sein und ist dann in den oberen Brustmuskeln steckengeblieben. Keine Gefahr. In ein paar Tagen ist er wieder auf dem Damm!«

Man suchte in den Kleidungsstücken Rolands nach und fand schließlich in der oberen Westentasche eine große, dicke Dose aus Tulasilber. Sie war plattgedrückt. Sie hatte das Leben ihres Besitzers gerettet.

Inzwischen war ein Kriminalkommissar mit zwei Beamten eingetroffen. Man begann in einem leeren Nebenzimmer das Verhör mit Margot. Sie war ruhig, gelassen und überlegen. Der Kommissar, obwohl ein älterer, im Dienste ergrauter Mann, hatte das dunkle Gefühl, einer Intelligenz gegenüberzustehen, die der seinigen weit überlegen war. Ab und zu glaubte er sogar so etwas wie Spott in ihren Antworten zu fühlen.

»Sie müssen zugeben, Fräulein,« begann er die Unterhaltung, »daß die Dinge schlecht für Sie aussehen. Ich möchte Sie nicht zu unüberlegten Antworten drängen, aber vielleicht können Sie uns doch Erklärungen geben, die die Sache weniger bedenklich erscheinen lassen.«

»Ich habe keine Erklärungen zu geben,« erwiderte das Mädchen. »Ich wohne auf demselben Korridor, war gerade im Begriff, mich zur Treppe zu begeben, als ich den Schuß im Zimmer 323 fallen hörte. Ein Mann stürzte heraus, lief an mir vorbei und verschwand über die Treppe. Ich sprang in das Zimmer und fand den Herrn am Boden liegen.«

»Und der Revolver?«

»Glauben Sie, Herr Kommissar, daß ich, wenn ich die Tat begangen hätte, wirklich mit dem Revolver in der Hand stehengeblieben wäre, bis alle Welt herbeikommt und mich sieht?«

»Kennen Sie den Herrn?«

Einen Moment lang zauderte Margot. »Ja, ich kenne ihn sehr gut aus Berlin.«

An die nächste Frage traute sich der Kommissar nicht recht heran. Ein-, zweimal setzte er an, ehe er mit ihr herauskam: »Standen Sie zu Mr. Bowers in näheren Beziehungen?«

Margot machte eines ihrer hochmütigsten Gesichter. »Ich glaube nicht, daß ich es nötig habe, diese Frage zu beantworten, Herr Kommissar.«

Dem Beamten war nicht wohl zumute. Er hatte vor sich eine Dame vom Kopf bis zu den Zehen, die sowohl ihre Nerven wie ihren Verstand vollkommen in Ordnung zu haben schien. Sie war hübsch, modern angezogen und auch modern in ihrem Gehaben. Sie wich keinem seiner Blicke aus, und ihre Antworten kamen klar und präzis. Er sah vorläufig nichts anderes als ein Eifersuchtsattentat. Irgendeine Liebesgeschichte. Im Hotel hatte man ihn kurz darüber informiert, daß der Verwundete mit einer anderen, gleichfalls sehr schönen Person angekommen sei. Hm – –.

Der Portier gab sehr belastende Auskunft. Er erinnerte sich, daß die Angeschuldigte gerade in dem Moment an den Empfangsschalter getreten war, als Mr. Bowers sich dort anmeldete. Sie ging dann in die Halle zurück, und kurz darauf erschien Mr. Bowers wieder. Sie verschwanden ihm hierauf aus dem Blick. Doch ein Kellner und ein Page bekundeten, daß sie den Herrn und die Dame im eifrigen Gespräch im Wintergarten gesehen hätten. – –

Diese Aussagen wurden in Gegenwart Margots gemacht. Sie hörte sie an, ohne eine Miene zu verziehen. Sie war augenscheinlich nicht im geringsten besorgt und geängstigt. Im Gegenteil. – – Je nachdenklicher und strenger das Gesicht des Kommissars wurde, desto deutlicher wurde das höhnische Lächeln, das um ihren hübschen Mund spielte. Nicht ohne Gefühl der Bewunderung schauten die Männer zu ihr hin.

Ein Hotelangestellter platzte aufgeregt in das Verhör hinein und winkte den Direktor beiseite: »Der Verwundete ist erwacht und bittet die Dame sowie den Herrn Kommissar zu sich.«

Ohne auf die anderen zu achten, lief Margot in Rolands Zimmer hinüber. In der Tür blieb sie wie angewurzelt stehen. Über das Bett beugte sich das schöne Mädchen, mit dem sie Roland das Hotel hatte betreten sehen.

Die andere.


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