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Neunter Abend

Ben Hafi erschien mit dem Glockenschlag, rollte seine Handschrift aus einander und begann:

Mahal befand sich nun auf einmal in einer ganz neuen Lage, einer ganz neuen Welt. Das vor ihm wallende weite Meer, das große ungeheure Haus, auf dem er sich befand und das auf dem Rücken dieses wallenden Meers so sicher schwamm; das unordentlich scheinende Gewühl und Geschrei der Schiffsleute, auf das immer eine neue überraschende Erscheinung erfolgte, versetzten ihn in das sonderbarste Erstaunen. Er bewunderte den Bau des ungeheuren Schiffs, die Kunst und Gewandtheit der kleinen Geschöpfe, welche diese schwimmende Masse nach ihrem Willen lenkten, und bereute ein wenig seine Verwünschungen gegen das Menschengeschlecht.

Doch seufzte er einigemal mitten in seiner Bewunderung: »Herr, warum hast du doch dieses wunderbare Geschöpf so böse, so geneigt zum Zerstören gemacht, da es so geschickt ist, solche Werke durch seinen Geist und seine Hände hervorzubringen? Warum müssen Diese so gern zerstören, die so große, wunderbare Schöpfer sein können? Seh' ich auf Das, was sie erschaffen, so muß ich über sie erstaunen, und in meinem Staunen weiß ich fürwahr nicht, wer Unrecht hat, sie oder – ach, Herr, ich wage es nicht herauszusagen, aber du vernimmst mich. Sollte das Geschöpf, das so viel vermag, nicht zu unterlassen fähig sein, was dich so sehr gegen dasselbe empört? Fehlt es ihm an Kraft oder an Willen? An Willen? Das Wort klingt in meinem Ohr, wie viele der Wörter, die ich unter den Menschen gelernt habe. Aber da ich von dem Gebirge herunterstieg, da wollte ich auch – und du weißt es, Herr, ich mußte wollen, denn der unruhige Geist in meiner Brust, die Begierde nach Kenntnissen trieben mich fort, und ich wollte, weil ich wollen mußte. Gewiß leben mehrere dieser unruhigen Geister in den Menschen, und sie müssen vielleicht gar oft, wenn sie nur zu wollen glauben. Oder wie, wenn sie ohne diese unruhigen Geister alles Dieses nicht hätten hervorbringen können, was mich so in Erstaunen setzt, daß mich beinahe meine Verwünschung gegen sie gereut. Wären sie schlimmer daran ohne diese Begierden und Triebe? Wäre Mahal schlimmer daran, wenn er nicht gesehen und gelernt hätte, was er sah und lernte?«

Mahal hatte während der Ueberfahrt nach dem Reiche Gin noch oft Gelegenheit, die Geschicklichkeit dieses so elenden und so erhabenen, dieses so bösen und trefflichen, dieses so schwachen und starken Geschlechts zu bewundern. Ein Sturm überfiel sie auf der Hälfte der Fahrt. Der bebende Mahal sah die Männer mit so kalter Gelassenheit, mit so vieler Festigkeit, Gewandtheit und Zuversicht die ungeheure Maschine durch die brausenden, Gebirgen ähnlichen Wogen lenken, daß sein Erstaunen über sie, sein grausendes Beben unter dem schrecklichen Getöse der schäumenden Wogen, dem heulenden, pfeifenden Zischen des Windes, dem rollenden Donner, der herabschießenden Blitze, die auf Augenblicke die dunkeln Fluthen, das auf ihnen wirbelnde und springende Schiff zu entzünden schienen, zu dem schaudervollsten, erhabensten Gefühl ward, das er je empfunden hatte. Er vergaß in diesem Augenblick Alles, was er an den Menschen erfahren hatte, und war stolz darauf, ihnen anzugehören. Der Sturm legte sich endlich, und seine muthigen Besieger sanken vor Mahals Augen bald wieder zu Dem herunter, was sie wirklich waren. Auch hatte er nun den Bau des Schiffs so lange bewundert, sich nach den Ursachen der Beweglichkeit desselben so lange erkundigt, dem Steuermann so viele Fragen gethan, bis seine Bewunderung da sank, wo sie eigentlich hätte steigen sollen, und darum, Herr der Gläubigen, ist für das menschliche Herz und einen gewöhnlichen Geist nichts Unangenehmeres und Nachteiligeres, als mathematische Kenntniß.

Khalife. Ben Hafi, dies lautet neu, und darum erkläre dich darüber, wenn es sich erklären läßt.

Ben Hafi. Eigentlich läßt es sich nur fühlen, wie Alles, wobei der Geist und das Herz in Widerspruch stehen, und wo Vernunft und Einbildungskraft sich so lange scheiden, bis Noth und Bedürfnisse sie wiederum vereinigen und zusammenschmelzen.

Khalife. Dies mag sein; aber es lautet wie Nichts; ist doch Alles nur darum, weil es einmal so sein sollte.

Ben Hafi. Laß mich doch nur erst alle meine Weisheit an das Licht hervorbringen und erinnere dich unsers Vergleiches. Beim Propheten, du mußt mich aushören, und ich wette, es springt Klarheit aus dieser Dunkelheit hervor.

Khalife. Es soll mir lieb sein.

Ben Hafi. Vor diesem mathematischen Sinne, Herr der Gläubigen, zerstiebt alles Wunderbare, in dem Augenblick, da er erwacht und mit seinem eiskalten Blick den Gegenstand der Bewunderung betrachtet. Er ruht dann nicht eher, bis er Alles aufgelöset, zu Gerippe, zu Federn, Triebrädern und Zugwerk gemacht hat; doch er selbst ist so wunderbar, daß nur durch ihn eigentlich sich der Mensch von dem Thier unterscheidet, daß er nur durch ihn Schöpfer aller der Werke wird, ohne die wir noch in den Wäldern lebten. Denn durch ihn allein ahmen wir im Kleinen die unermeßliche Schöpfung nach, und wenn Gott Welten und Sonnen durch den Raum wälzet, so bewegen wir, nach unserm Maße berechnet, ungeheure Massen auf dem stürmischen Meere, führen aus Kalk und Sande Gebirge auf, die wir Paläste nennen, und schlagen, aus zugerichteten Brettern, Balken und Steinen, Brücken über den reißenden Strom. Ein Mann, der wie Mahal zum ersten Mal ein solches Werk erblicket, steht es nur durch die Einbildungskraft, und der Zauber dauert nur, so lange ihm die mechanischen Hülfsmittel, durch welche die ihn in Erstaunen setzende Schöpfung nach und nach entstand, Geheimniß sind. Er muß aus dem noch grünenden Baume das Schiff entstehen und dann im Sturme über die Wogen hinfliegen sehen, um es für Das zu halten, was es ist: das Wunderwerk der menschlichen Schöpfungskraft. Was aber jetzt die Herabspannung von Mahals hochgeflogener Einbildungskraft beförderte, war die Aufführung dieser Männer, die er so sehr bewundert hatte. Nachdem sie sich von ihrer gewaltigen Anstrengung erholt hatten, überließen sie sich allen Ausschweifungen und fanden bald in Mahal einen trefflichen Gegenstand ihres Muthwillens und ihrer Neckerei. Jeder suchte es dem Andern durch Spott, grobe Streiche und Bosheiten zuvorzuthun, und der arme Mahal wünschte nun den Sturm zurück, der seine rohen Plagegeister so wacker beschäftigt hatte. Er strafte sie mit harten Worten, sie schnitten ihm Grimassen, wie eine Heerde Affen. Er verbarg sich in einen Winkel und seufzte: »Sind es dieselben Menschen, die so eben die empörten Fluthen bändigten, die ich als Geschöpfe höherer Art bewundert habe? Zu denen ich mich mit Stolz gezählt habe? Ich that ihnen nichts, und sie gewinnen nichts damit, daß sie mich plagen. Gleichwohl gibt es keine Schmach, die sie mir nicht anthun, und Derjenige, welcher die mir empfindlichste ersinnt, erweckt das Lachen Aller, und lauter Beifall ist sein Lohn. O Herr, was ist der Mensch? Wie hast du ihn doch so sonderbar böse gemacht, daß er da sogar Genuß in bösen Thaten findet, wo es ihm nichts nützt?«

Hier hatte nun freilich Mahal eine der schlechtesten Seiten der Menschen entdeckt, und hätte er die Quelle davon gefunden, so würde sein Groll gewiß noch giftiger geworden sein. Welche ist wohl unreiner als die Quelle des Spottes über ein Wesen, das wie wir gebildet ist, das da fühlt und leidet, wo wir fühlen und leiden? Was ist wohl giftiger als die Quelle des Muthwillens, den wir aus Schadenfreude mit einem Geschöpfe treiben, das daher kommt und dahin geht, woher wir kommen, wohin wir gehen? Gleichwohl ist dieses, nebst der Verleumdung, der Lieblingszeitvertreib der feinen und der rohen Menschen. Und wenn nun Einer den Andern ausspottet, Einer an dem Andern so viel des Spottes Würdiges findet, was soll man von dem Ganzen halten, über das die Einzelnen unter sich ein so unparteiisches Urtheil fällen?

Großvizir. Dies alles kommt von dem in dem Menschen eingewurzelten Bösen her, und darum muß man sie mit einem eisernen Scepter beherrschen und zum Guten peitschen.

Ben Hafi. Versuche nun deine Universalmedicin. – Wie, wenn nun dieses aus wahrer Selbsterkenntniß entspränge, und die Menschen, wenigstens in diesem Punkte, gegen sich gerecht wären?

Khalife. Haltet ein! Dies ist Alles nichts, und du verdirbst deine Märchen völlig mit deinen Glossen. Gegen deine mathematischen hatte ich nichts, weil man dadurch die Allmacht Gottes näher sieht. Mit dieser da ist es etwas anders. Der Spott, den ihr da so unverständig lästert, ist der Zuchtmeister der Thoren. Gott hat ihn so gewiß erschaffen und dem Menschengeschlecht absichtlich gegeben, wie das Salz dem Meere, das er ihm gab, damit es nicht verfaule. Glaubt mit nur, fürchtete der Mensch, und besonders die Großen, den Spott nicht, die Welt würde noch viel schlimmer gehen. Damit aber will ich nicht entschuldigen, was diese rohen Menschen dem armen Mahal zu leide thun; denn wahrlich, seine Lage geht mir an das Herz, und ob ich gleich sein Vernünfteln nicht leiden kann, so wünscht' ich ihn doch heraus.

Ben Hafi. Ich danke dir für Mahal, Herr der Gläubigen; für ihn, der noch immer an den ersten Linien zum Umrisse der menschlichen Gesellschaft arbeitete, ohne bis jetzt zu wissen, wo er den Cirkel ansetzen, von welchem Punkte er ausgehen sollte, worin denn auch eigentlich die Schwierigkeit allein zu liegen scheint. –

Khalife. Ben Hafi, dieses weiß nur der Allmächtige, er, der in einem Nu den Umriß aller Welten dachte, sie durch ein Wort mit Allem ausfüllte, was in ihnen lebt und ist. Sein Geist durchdringt sie Alle, Alle hat er sie mit einem einzigen Ring umfaßt, der ihn nicht schwerer dünkt, als mich der Siegelring an meinem Zeigefinger.

Ben Hafi. Herr, deine Worte klingen so erhaben, enthalten einen so großen Sinn, daß sie im Buche Der Koran. selber glänzen würden.

Khalife. Ist es wahr, so verdanke ich es dem Geiste des Buches; was wäre der Khalife ohne ihn?

Ben Hafi (für sich). Sünde wäre es, dich laut zu loben! Wie groß sitzest du unter deinen fühllosen Verderbern hier!

Khalife. Seht, der Prophet sagt in dem Buche der Bücher: »Gott ist es, der den Himmel empor hob, ohne eine sichtbare Säule, dann seinen Thron bestieg und der Sonne und dem Mond gebot, ihren Lauf zu beginnen. Jeder himmlische Körper durchschwebt seine ihm angewiesene Bahn. Deutlich läßt er euch seine Zeichen sehen, damit ihr gewiß seiet, daß ihr vor ihm am letzten der Tage erscheinen müsset. Er hat die Erde ausgedehnt, die Gebirge darauf befestiget und die Ströme und das Meer um sie herumgezogen. Alles hat er nach einem festen Maße geordnet, und ihm ist nichts verborgen.« Keiner ist groß vor ihm, und Keiner ist klein vor ihm. Er sieht das Wirken der Ameise, wie das Wirken des Khalifen. Er ist groß und gnädig, preise seine Geschöpfe nicht, es sei denn zu dem Lobe des Herrn. Friede sei mit dir!

Ben Hafi. Mahal, der nicht wußte, daß das Salz das Meer und der Spott die menschliche Gesellschaft vor Fäulniß bewahrt, fand die grobe, rauhe Lauge, womit ihn das Schiffsvolk rieb, ganz unerträglich, und er schreibt hier, daß, wenn man nicht zum Glücke: Land! Land! geschrieen hätte, er sich aus Verzweiflung in das Meer hätte stürzen müssen. Die Schiffsleute waren nun allzu sehr mit dem nahen Gewinne und den ihrer wartenden Ergötzungen beschäftigt, als daß sie seiner weiter denken konnten. Sie wurden endlich gar so artig gegen ihn, daß sie ihm ihre Dienste auf dem Lande anboten und ihn versicherten, sie hätten es nicht böse mit ihm gemeint; einen Narren müßte man bei jeder Fahrt zum Zeitvertreib haben, und wäre er es nicht gewesen, so würden sie sich genöthigt gesehen haben, einen unter sich selbst zu wählen. Mahal war von viel zu saurer Gemüthsart, als daß er sich mit ihnen hätte aussöhnen sollen, und sobald er nur das Land betrat, lief er ihnen, so geschwind er konnte, aus dem Gesichte.

Er befand sich nun in dem Mittelpunkte der volkreichen Stadt Gin. In glänzenden weißen Stoff gekleidete Bürger gingen freundlich und vertraulich auf und ab, oder standen in einzelnen Gruppen beisammen. Alles war heiter um Mahal her, Menschen, Luft, Gebäude und Himmel. Die glücklichste, seligste Eintracht schien über dem großen Platz zu herrschen und alles Lebende und Leblose in ein schönes Bündniß vereint zu haben. Mahal, der noch die goldbegierigen Blicke der Iraker, die von ihnen in Enoch verübten Greuel vor Augen hatte und die scharfe Lauge des Schiffsvolks erst gekostet hatte, erquickte sich eine Zeitlang an dem lieblichen Anblick und dachte bei sich: Diese da scheinen mir gute und glückliche Menschen zu. sein. Gewiß beten sie das Gold nicht an, das zu so abscheulichen Verbrechen reizt. Wie brüderlich sie sich besprechen! Wie ruhig und vergnügt sie einhergehen. Sie begleiten, was sie einander sagen, mit so vieler Gefälligkeit – verbeugen sich gegen einander so freundlich, umarmen jeden Neuankommenden so herzlich – ja, es muß ein gutes Volk sein, das den Zorn des Herrn gewiß nicht verdient. Ohne Zweifel werden sie mich gut aufnehmen: aber vor allen Dingen muß ich mich erst erkundigen, ob sich ihr Sultan für einen Gott hält: denn leider kommt all mein Unglück von diesen allzu menschlichen Göttern, in denen ich so viel Großes zu sehen hoffte.

Khalife. Ben Hafi, ich wette – ich fürchte, wollt' ich sagen – dein Mahal wird bei den Lächlern da noch schlimmer fahren; wenigstens traue ich den gar zu Freundlichen nicht viel.

Ben Hafi. Wir wollen sehen! Er nahte Einem, der sich eben von seinem Gefährten unter den heißesten Umarmungen trennte, mit dem sanftesten Lächeln, der artigsten Bescheidenheit, die er auszudrücken fähig war, und sagte: »Vergib einem Fremdling eine Frage.«

Der Giner. Ist stehe zu Befehl, du Guter, dir tausend zu beantworten, ohne zu ermüden.

Mahal. Ich danke dir; eine vor der Hand ist hinreichend. Sage mir, habt ihr hier zu Lande auch einen Sultan?

Der Giner (lächelte, doch ohne Spott). Allerdings, mein Lieber. Kann doch ein Volk so wenig ohne Sultan bestehen, als die Erde ohne Sonne.

Mahal. Das kann wohl sein, und ich muß es dir wohl glauben! aber sage mir nun, und dies ist eigentlich meine Frage: hält sich euer Sultan auch für einen Gott?

Der Giner. Wie sollte er kein Gott sein, da er über Götter herrscht?

Mahal (fuhr zurück). Was Götter? Ueber Götter?

Khalife. Wahr ist es, dein Mahal da erfährt wunderliche Dinge; und ich fürchte, all der Wirrwar muß endlich seinen Verstand angreifen, an dem, nach seinem Vernünfteln zu urtheilen, ohne dies nicht viel ist! aber warum blieb der Narr nicht auf seinem Gebirge?

Ben Hafi. So ist es. – Der Giner antwortete dem Erstaunten: »Freilich über Götter! Bist du von den Gestirnen heruntergefallen, daß du dieses Gewand nicht kennst und nicht weißt, daß Alle, die es tragen und deren so viele du auf dem Platze hier siehst, Götter sind? Was könnten sie auch anders sein?«

Mahal sah ihn lange mit solchen forschenden Blicken an, als suchte er ein Merkzeichen der Götterheit an ihm und Denen, die auf und nieder wandelten! endlich sagte er mit einem tiefen Seufzer: »Alle, die ich hier wandeln sehe, sind Götter und können gar nichts anders sein? Warum können sie denn nichts anders sein?«

Der Giner. Weil sie Götter sind und Menschen diesen Platz nicht betreten dürfen.

Mahal. Weil sie Götter sind – und Menschen diesen Platz nicht betreten dürfen? Warum dürfen sie nicht?

Der Giner. Weil sie Menschen sind, mein Lieber!

Mahal. Also bist du kein Mensch? Bist ein Gott dieses Landes?

Der Giner. Allerdings. Siehst du nicht die blutrothe Verbrämung um den Saum meines Gewands? das flammende rothe Schwert auf der Brust gestickt?

Mahal. Freilich sehe ich es, und diese Verbrämung, dieses flammende rothe Schwert macht dich zu einem der Götter dieses Landes?

Der Giner. Nicht doch, mein Bester! es ist nur das Zeichen, daß ich einer der Götter des Landes bin. Ich bin es, weil ich aus einem der Geschlechter abstamme, die man die Auserwählten, die Herrschenden in Gin nennt. Nur sie stehen um den Thron des Sultans und vollziehen seinen Befehl. Er ist die Sonne, wir die Gestirne; und so wie der Gott, der diese Welt erschaffen hat, Geister höherer Art um sich her versammelt und durch sie die Welt beherrschen läßt, eben so versammelt uns der Sultan um seinen Thron und beherrscht durch uns das Land, nebst den Menschen, die es bewohnen und bebauen.

Mahal. Sind diese auch Götter, die das Land bebauen?

Der Giner (lächelnd). Sie sind nur Menschen, Lieber, wie gesagt, Menschen, über die wir in des Sultans Namen gebieten und die alles Das thun und verrichten, was den Menschen zu verrichten und zu thun zukömmt, wenn sie leben wollen.

Mahal. Und worin besteht es?

Der Giner. Du thust sonderbare Fragen, Geliebter; doch die Höflichkeit gebietet mir, dir sie zu beantworten, und wären sie auch noch sonderbarer. Sie säen, pflanzen, handeln, bauen und bringen Alles durch ihrer Hände Arbeit hervor, was zur Noth und zum Vergnügen des Lebens gehört. Sie bauen die Häuser, die du hier siehst, für uns, weben uns diese schirmenden Kleider, besetzen unsre Tische. –

Mahal. Und was thut denn ihr?

Der Giner. Wir setzen uns daran und essen, leben überhaupt, wie es Göttern zukommt, ohne Mühe und Sorge.

Mahal. So viel ich sehe, so seid nicht ihr die größten Thoren dieses Landes, und beweiset dieses eure Götterheit, so fällt euch der Beweis, bei dem wahren Gott! nicht schwer.

Der Giner (ernsthaft). Fremdling!

Khalife. Der arme Narr ist unter noch gefährlichere Narren gerathen, als die Irader waren; Stolz ist rachsüchtiger als Habsucht.

Ben Hafi. Du kennst sie, Herr der Gläubigen, wie ich höre. Mahal fragte abermals: Und ihr – ihr habt also gar nichts zu thun?

Der Giner. Wir beherrschen sie dafür durch unsern Verstand und unsere Kenntnisse, außerdem haben wir der Mühe und Sorge genug; denn von frühester Jugend spornt uns der edle Trieb der Ehre, immer eine Staffel nach der andern hinaufzusteigen, und dieses ist nicht so leicht, mein Lieber, da unsrer so Viele sind, die zugleich den Fuß auf die Sprossen der Leiter setzen.

Mahal. Hinauf? Wohin? Zum Himmel, wo die Götter wohnen?

Der Giner (milde lächelnd). Zu der Gunst des Sultans! In der Rangordnung, die von ihm abhängt.

Mahal. Ich begreife es und habe abermals ein neues Wort gelernt. Trieb! edler Trieb der Ehre! – Doch sage mir noch Dieses: wie sehen denn Die aus, die ihr hier Menschen nennt?

Der Giner. Du sahst ihrer viele in dem Hafen und in den Straßen. Alle, die nicht wie ich gekleidet sind, die nimm nur immer geradezu für Menschen. Sieh, dort schleicht eben einer an den Häusern des Platzes hm!

Mahal. Jener, der sich so furchtsam an der Wand hindrückt! der es nicht wagt, nach dem Platze zu blicken?

Der Giner. Eben der. Der Weg, den sie um diesen Platz her wandeln dürfen, ist nur eine Elle breit, und klüger thun sie, nicht nach dem Platze zu sehen, wenn die Götter darauf lustwandeln.

Mahal. Warum?

Der Giner. Weil sie Menschen und wir Götter sind.

Mahal. Aber siehst du denn nicht, daß der Mann, dein weißes, feines Gewand ausgenommen, gerade so gebildet ist, wie du und Diese hier?

Der Giner. Dies scheint dir so von außen, im Innern sitzt die Götterheit.

Mahal. O, Sultan Puh!

Der Giner. Was sagst du, Lieber?

Mahal. O, ich erinnere mich eines armen Thoren von einem Sultan, der auch ein Gott ist, nun Lasten wie ein Thier zu Markte trägt, auf faulem Stroh schläft und es für einen Thron hält.

Der Giner. Wir haben von seinem Unglück gehört, er ist kein Göttersohn.

Mahal. Er nicht? Nun wahrlich, er wird dir dies so wenig glauben, als du mir es glauben würdest, wenn ich an deiner Götterheit zu zweifeln Ursache fände.

Der Giner. Besser, wage es nicht, um deinetwillen.

Mahal. Sage mir doch noch Dieses: wie viel sind ihrer denn eigentlich hier, die sich für Götter halten, und wie viel zählt ihr Derer, die ihr Menschen nennt?

Der Giner. Unfrei sind einige tausend Gerechter; die Zahl der Menschen weiß nur Der, der das Steuerbuch in Händen hat und die monatlichen Gefälle heben läßt.

Mahal. Was ist das?

Der Giner (seitwärts). Des beschwerlichen Fragers! – (Laut.) Der bestimmte Abtrag, Theurer, an Allem, was sie hervorbringen und was dazu dient, den Sultan und uns zu erhalten und den sonstigen Bedürfnissen des Staats genug zu thun.

Mahal. Wie, und Dieses ertragen und thun sie alles? Und ohne Zwang, ohne Murren? Sehen euch zu, wie ihr ein müh- und sorgenloses Götterleben führt, und schwitzen auf den Aeckern, keuchen in den Werkstätten, damit ihr Wenigen dieses Götterleben geruhig führen mögt?

Der Giner. Warum sollten sie nicht! Wie könnte es wohl anders sein?

Mahal. Aber warum sollen sie? Warum müssen Sie? Sie, die Mehrern, für die Wenigen?

Der Giner. Weil sie Menschen und wir Götter sind.

Mahal. Und sie glauben, daß ihr Götter seid? Ihr glaubt es, daß ihr es seid?

Der Giner. Fremdling, der Giner ist höflich und nachsichtig, dies dankt er seinen Göttern, und seine Götter danken es ihren Sultanen. Deine Frage ist sehr verwegen, hüte dich ja, sie einem Menschen in diesem Reiche zu thun. Ich gebe dir mit Sanftmuth diese Warnung, damit du den Zorn der Götter nicht reizest, die hier auf und nieder wandeln. Sie sind mild und gut, vergeben, ertragen Alles, nur Dieses nicht. Des blühenden Staats Erhaltung, dieser Menschen eigene Erhaltung hängt von diesem Glauben ab. Diese Menschen haben Kräfte, Hände, sogar Verstand; doch wozu würde ihnen Dieses alles nützen, wenn unser Geist sie nicht führte und leitete und ihre gefährlichen Leidenschaften so unterjochte, daß sie zu ihrem und unserm Besten gehorchen, arbeiten und einträchtig leben. Dafür verstatten wir ihnen alle Freuden des Lebens. Kein Volk der Erde thut es den Ginern an Geschicklichkeit voraus, sie haben die Kenntnisse von unsern Vätern, den Göttern, erhalten. Kein Volk der Erde übertrifft die Giner an Fleiß und Arbeitsamkeit; wir, die Söhne unsrer Väter, erhalten sie dabei. Kein Volk der Erde ist reicher, glücklicher, aufgeklärter, gesitteter und genießt des Lebens mehr; wir Götter theilen nur mit ihnen und unterrichten sie dafür in der feinen Lebensart und in der Kunst, des Lebens zu genießen.

Mahal. Setze immer noch hinzu: Und kein Volk ist verträglicher.

Der Giner. Warum, mein Bester?

Mahal. Muß es nicht verträglich sein, da es so viele Götter, sichtbare Götter vertragen kann?

Der Giner. Durch diese Götter ist es alles Dieses geworden, hat Alles erlernt, was es weiß, und Dies kann der dankbare Giner nicht vergessen.

Mahal. Vergib mir Unwissendem! sieh, ich glaube noch immer du spottest meiner.

Der Giner. Ich sollte deiner spotten? Ich sollte ein solches Verbrechen an einem Manne begehen, der uns die Ehre seines Besuches schenkt? So weit sollte einer der Götter in Gin die Höflichkeit verletzen? Du hast mich mit diesem ungegründeten Verdacht sehr tief gekränkt, und doch vergebe ich dir's.

Mahal. Du bist sehr gütig.

Der Giner. Es ist meine Pflicht; wie könnten wir anders über der Menschen Kinder herrschen, wenn wir nicht so milde, so nachsichtig, als gerecht und streng wären.

Mahal. Also doch auch strenge?

Khalife. Sieh doch den rohen Sohn des Gebirgs! Hat ihm der Giner, der kein Narr zu sein scheint, ob er gleich wahnsinnig ist, nicht Alles in wenigen Worten gesagt, was darüber nur zu sagen ist? Doch was antwortete ihm der Giner?

Ben Hafi. Er antwortete: weil leider die Noth es will.

Mahal. Wo sitzt die Noth?

Der Giner. Der größre Haufen wird leicht dem kleinern furchtbar.

Mahal. Was haben Götter von Menschen zu fürchten?

Khalife. Gut! gut, Mahal! Das erste gescheidte Wort, das ich noch von dir gehört habe, und spitz genug dazu. Ich liebe das.

Der Giner (sehr ernsthaft und feierlich). Fremdling!

Mahal. Dein Ernst kleidet dich noch besser, wie dein Lächeln; und solltest du auch ernsthafter werden, sieh, ich glaube noch immer, daß du meiner spottest.

Der Giner. Warum?

Mahal. Daß du dich für Das halten solltest, das ich ernsthaft nicht zu nennen wage, ohne Den zu beleidigen, der diese Welt, nebst allen Thoren und Weisen, die sie trägt und nährt, geschaffen hat.

Der Giner. Wer ist Der?

Mahal. Gott.

Der Giner. Er ist der Herr der Geister, wir der Erde, auf der wir wohnen.

Mahal. Und eurer nicht?

Der Giner. Auch unsrer, und vorzüglich, weil wir nach den Geistern, die um seinen Thron stehen, das Beste sind, das er geschaffen hat.

Mahal. O Adam! Adam! Vater der Menschen!

Der Giner. Er ist nicht der unsere.

Mahal. Nicht; und woher kommt ihr?

Der Giner. Unser Ursprung ist in glänzende Dunkelheit gehüllt; besser ist es, mein Lieber, davon zu schweigen, damit die Götter hier an dir nicht zu Menschen werden.

Mahal. Ich nahm mir vor, aus diesem Lande zu fliehen, sobald ich vernehmen würde, es herrschte ein Sultan, der sich für einen Sohn der Götter hielte. Ach, diese Söhne der Götter haben mir gar viel zu Leide gethan, sich gar zu menschlich gegen mich erzeigt; aber Das, was ich hier sehe und von dir vernehme, ist so unerhört, erinnert mich meines Berufs so stark, daß ich nicht entfliehen kann, bevor ich nicht die Quelle dieser außerordentlichen Erscheinung ausgespürt habe. Doch ich bin hülflos – habe nichts von dem Aftergott der Irader – du kennst ihn vermuthlich –

Der Giner. Ganz gewiß.

Mahal. Sieh doch, wie verkehrt die Menschen sind! In Irad hielten sie sich, den Sultan ausgenommen, für Menschen und ehrten in dem Golde ihren Gott. –

Khalife. Ben Hafi, dein heutiges Märchen ist das langweiligste, das ich noch gehört habe.

Ben Hafi. Gleichwohl schläfst du nicht darüber ein.

Khalife. Eben darum taugt es nichts.

Ben Hafi. Mahal fuhr fort: Hier finde ich nun gar Menschen, die mit ihrer eignen Götterheit einen noch weit vortheilhaftern Wucher treiben.

Der Giner. Und Beide, mein Lieber, haben Recht, nur sind wir die Weisern; wir nennen uns Götter, weil wir es sind, und brauchen nur das Gold, unsre Götterheit noch glänzender zu machen. Uebrigens sind die Irader ein kluges Volk, und nichts mangelt ihnen, als –

Mahal. Als daß sie keine Götter, wie ihr seid, zu Herren über sich setzen und für sie säen und pflanzen. Beruhige dich hierüber, denn ob sich gleich Diejenigen, die dort eure Rolle spielen, Menschen nennen, so haben sie doch die Mittel gefunden, Das für sich thun zu lassen, was man hier für euch thut. Ihr Sultan Zobar ist ein Meister in dieser Kunst. Da ich nun von diesem unglücklichen gelben Metalle nichts habe und von Hunger, Durst und Kälte leide, Uebel, die du, ohnerachtet deiner Götterheit, vielleicht selbst empfindest, so bitte ich dich, gewähre mir Schutz und Nahrung, damit ich hier verweilen und euer Wesen näher erkennen lernen möge.

Khalife. Siehst du, Ben Hafi, daß dein Mahal nun eben dieses Salz gebraucht, womit man die Thoren reibt, und daß er Unrecht hatte, über die Lauge des Schiffsvolks sich zu beklagen.

Ben Hafi. Ob es ihm bekommen wird? – Der Giner antwortete sehr höflich: Ach, mein Bester, wer könnte, dürfte dir die kleine Gefälligkeit wohl abschlagen! Wie sehr bedaure ich für meine Person, daß ich nicht eingerichtet bin, Gäste zu bewirthen und aufzunehmen. Ich sage dir's mit vielem Kummer und trenne mich sehr ungern von dir. Doch jeder dieser Götter hier wird dich gern aufnehmen.

Mahal. Ich danke dir und ihnen. Ich will lieber zu Denen gehen, die ihr Menschen nennet: vielleicht sind sie darum gastfreier.

Der Giner. Ich zweifle; sollt' es aber geschehen, so hüte dich ja, solche Fragen an sie zu thun, solche Bemerkungen zu machen, wie ich einige von dir vernommen habe. Wie leid würde es mir thun, mein Theurer, wenn ich dich an das Kreuz sollte schlagen sehen.

Mahal. Und was ist das nun wieder?

Der Giner. Die Strafe der Frevler. Siehst du jenes Kreuz an dem Eingänge des Platzes? An ihm stirbt Jeder des langsamen, qualvollen Todes, der unsrer Götterheit spottet oder sie bezweifelt.

Mahal. Um so schneller will ich fliehen.

Der Giner. Einen Augenblick! Vielleicht beleidigte ich gar die Pflicht – vielleicht bist du einer des Geschlechts, dem wir unser Haus nicht versagen dürfen – Wo kommst du her? Wer bist du?

Mahal. Ich heiße Mahal – bin einer der Söhne Seths, komme von dem Gebirge und bereue, es verlassen zu haben.

Der Giner (umarmt ihn feurig). Einer der Kinder Seths! O glückliches Ungefähr! Wisse, Geliebter, wir stammen alle von seinen Töchtern her, und du bist mit uns allen hier verwandt. Folge mir und beglücke meine Wohnung mit deiner Gegenwart.

Mahal. Ich danke dir. Ich bin ein Mensch, halte mich dafür und will erst sehen, was für Wesen eure Menschen hier sind, da ich ihre Götter nun gesehen und gehört habe.

Ben Hafi rollte seine Handschrift zusammen.

Khalife. Ich fürchte, es wird dem armen Narren bei diesen Menschen nicht besser ergehen.

Ben Hafi. Warum, Nachfolger des Propheten, fürchtest du dies?

Khalife. Ich traue ihnen wegen der Höflichkeit ihrer Herren nicht viel Gutes zu. Auch fügt man: wie der Sultan, so die Hofleute und seine Diener, wie die Hofleute und seine Diener, so seine Unterthanen. Doch wünschte ich, ich hätte mich betrogen. – Friede sei mit dir und euch! –


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