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Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag, rollte seine Handschrift auseinander und begann:
Als Mahal sich gerettet sah, murrte er für sich: »Also ein Dolchstich von der Hand eines dieser Götter sollte meinem Leben und meiner Götterheit ein Ende machen. Und der verständige Sultan, den ich zum Menschen und dadurch zum Herren dieser Götter machen wollte, gibt einem von ihnen einen Verweis dafür, daß er mich ermorden wollte. Vermuthlich haben sie es gemerkt, und der schön und erhaben sprechende Sultan ließ mich fallen, um mit ihnen ferner zu bleiben, was er ist, ein Unglücklicher unter Thoren und obendrein ein armer, mit goldnen Ketten gefesselter Unglücklicher. Herr, was soll Mahal dabei thun und dazu sagen? Der grämliche Puh und meine schöne, böse Tochter, die Sultanin, wollten mich verstümmeln lassen, weil ich ihnen ihren Unsinn und ihre Bosheit zeigte. Der wilde Sultan Zobar jagte mich fort, weil ich so dumm war, nichts von ihrem schändlichen Gott nehmen zu wollen. Diese Göttersöhne geben mir nun einen Dolchstich, und der Sultan läßt es dabei, und Das alles geschieht, weil ich Gott und die Menschheit wieder in diesem verdorbenen Lande herstellen wollte. So wird mir jede neue Erfahrung zu einer neuen Pein, und jeder neue Zusatz der Kenntniß neuer Schmerz. Das Zeichen der Wunde auf meiner Brust, einige neu erlernte Wörter, die auch nur Zeichen in meinem Gehirne sind, ist nun abermals Alles, was ich aus Gin mitnehme. Ach, Herr, was soll ich nun zu meinem Ruhme, zum Ruhme der Menschen einst vor dir sagen! O meine Gebirge, meine Felsenquelle! mein süßer Schlaf! meine glückliche Unwissenheit!
Diese Standrede hielt nun Mahal ganz für sich, während sich das Schiffsvolk zur Abfahrt rüstete. Er hatte nun so reichen Stoff zum Nachsinnen gesammelt, daß ihn die äußern Gegenstände nicht sehr reizen konnten. Er bewunderte für diesmal weder das Schiff, noch die Geschicklichkeit der Schiffer, und aus Furcht, Herr der Gläubigen, vor dem Salze der Gesellschaft, das er so scharf und beißend gefunden hatte, verbarg er sich unter der Decke des Schiffs in einen Winkel und ließ es über sich ergehen, wie Wind und Wellen wollten. Gleich einem reisenden Philosophen, der auf Menschenkenntniß auszieht und bei Andern weislich damit anfängt, war es ihm gleichviel, an welchem Landstrich man landete, überzeugt, daß, wohin auch der Wind ihn blasen möchte, er immer Thoren finden würde; vorausgesetzt, daß das Land von Menschen bewohnt sei. Meinst du, Herr der Gläubigen, Mahal habe sie alle in seiner eigenen Person schon auf dem Gebirge finden können, so habe ich nichts dawider; Alles, was sich dagegen sagen ließe, ist dies: der Philosoph wird es nicht glauben, und die Verschiedenheit ergötzt. Was aber das Sonderbarste bei Mahal war, so erwachte trotz Allem, was er zu Zeiten sagte, und trotz Allem, was er erfahren hatte, gleichwohl der Wunsch zur Rückkehr auf das Gebirge nicht lebhaft in seinem Herzen. Ihn spornte der Reiz des Schauspiels, die Begierde, immer mehr zu wissen, Alles philosophisch zu bemerken, das, wie ein weiser Sultan des grauen Alterthums sagt, die böse Beschäftigung ist, welche Gott dem Menschen, ihn zu ermüden, gegeben haben soll. Er hoffte doch endlich, ob sich sein Geist gleich immer mehr verdunkelte, heller zu sehen, die Quelle aller ihn plagenden Erscheinungen zu entdecken und genau zu erfahren, woher eigentlich der unreine Zu- und Einfluß herkäme, ob aus dem Menschen selbst, oder ob ihn Der so gemacht hätte, der ihm nun mit Verderben drohte. So erging es ihm wie jedem Späher des Labyrinths des menschlichen Geistes und Lebens, der unbegreiflichen Erscheinungen der physischen und moralischen Welt. Dieser überzeugt sich immer mehr von seiner Unzulänglichkeit, den verworrnen Knäuel loszuwinden, gleichwohl läßt er nicht ab, wird nur hitziger, schmollt, murrt, hadert mit sich, durch sich mit Gott und verwirrt das Verworrene immer mehr. O selige Einfalt! du Balsam des Lebens!
Die Worte, die Mahal bisher erlernt hatte, stehen hier unter allerlei Formen und Gestalten. Bald steht das letzte zuerst, bald das erste zuletzt, und es scheint, Mahal war mit ihnen in einem unablässigen Kampfe. Ein Luftgefecht, Herr der Gläubigen, aus welchem bisher noch Keiner als gekrönter Sieger zurückgekommen ist. Mahal wenigstens scheint in diesem Kampfe nicht glücklich gewesen zu sein; ich sehe dieses daraus, daß er am Ende seiner Fechterstreiche immer dieselben Fragen aufwirft: »aber Wohin? Woher? Wozu? Warum? Was ist der Hauptsinn davon?« Es scheint ihm ebenso gegangen zu sein, wie allen Denen, die über Gott und die Welt Systeme bauen, ein Gerüste von Worten zusammentragen –
Khalife. Genug! Genug! O Ben Hafi, du fängst dein heutiges Märchen so arg an, daß ich an meinem gegebenen Wort zu zweifeln anfange.
Ben Hafi. Dieses fürchte ich nicht, und vielleicht lohnt es am Ende. – Sieh, Nachfolger des Propheten, schon bin ich mit Mahal im Lande der Faraker angelandet. Die aufgehende Sonne vergoldet den Himmel, Mahal steht vor einer mit Gräben, Thürmen und Mauern umgebenen Stadt und wartet, bis das eherne, feste Thor sich öffnet. Es geschieht; das eherne Thor öffnet sich so langsam auf den Angeln, so ächzend und knarrend, wie das Thor eines Gefängnisses. Mahal wird eingelassen, ausgekundschaftet, sein Inneres und Aeußeres mit Zeichen aufgemerkt; schon wandelt er in den noch stillen und einsamen Straßen und wundert sich sehr, ganz klare und durchsichtige Häuser zu sehen, die wie eine Reihe ungeheurer Laternen neben und gegeneinander über standen. Er sah die Bürger Faraks mit den Bürgerinnen in den Betten und in den übrigen verschiedenen Lagen des häuslichen Lebens. Mahal dachte –
Khalife. Laß mich dir erst sagen, Ben Hafi, was ich davon denke. Ich denke nun, dein Mahal findet hier, was er schon so lange suchte: gute, gottesfürchtige und vortreffliche Menschen, die das Tageslicht nicht scheuen, die, weil wir nun einmal kein Guckglas an unsrer Brust anbringen können, wogegen ich für meine Person und als Regent nichts hätte, ihr ganzes Haus zu einem Guckglas machten. Glücklich ist das Land, wo es die Bürger in der Sittlichkeit und Gottesfurcht so weit gebracht haben, daß die ganze Stadt Zeuge von dem Thun und Handeln eines Jeden sein kann!
Ben Hafi. Und sogar eines Jeden Worte hören kann, wenn man sie auch noch so leise lispelte.
Khalife. Warum nicht? Hört sie doch Gott! – Fahr fort, Ben Hafi; leicht könnte mir dieses ein unterhaltendes Märchen werden, und Zeit wäre es einmal.
Ben Hafi. Ich wünsche es von Herzen; doch mäßige immer ein wenig deine Erwartung, da ich nichts anders geben kann, als was ich in dieser Handschrift finde.
Noch mehr wunderte sich Mahal, Männer an den Thüren stehen zu sehen, die ihr Ohr an eine Oeffnung derselben legten und, während sie sehr aufmerksam horchten, Zeichen auf Tafeln niederschrieben. Diese Männer waren mit schönen, vielfarbigen Mänteln bekleidet, die ihnen bis zur Ferse herunter hingen, und auf ihrem Haupte trugen sie tief herunter hängende Deckel.
Mahal schlich nach ihrem Beispiel an eine der Oeffnungen und hörte ein leises Lispeln. Dieses Geschäfts ungewohnt, vernahm er nicht gleich den Sinn des Lispelns und wollte nun eben recht aufmerksam lauern, als einer der Männer zu ihm trat, ihn an dem linken Ohr ergriff und das Zeichen forderte, das ihn zu diesem Geschäft berechtigte. Da nun Mahal kein Zeichen vorzuweisen hatte, so befahl ihm der Mann, ihm zu folgen. Er führte ihn in eine sehr breite und lange Straße, deren Häuser nach der Außenseite alle sehr fest vermauert, und ganz das Gegentheil der Laternen waren. Sie hielten vor einem großen Hause, und Mahals Führer sagte: »Hier wohnt der erste Gomer in Farak, unser Oberhaupt.«
Dieses Wort, Herr der Gläubigen, hat nach Mahals Erklärung dreierlei Bedeutungen, die es nach und nach in guten und bösen Zeiten erhalten hat. Du weißt ja wohl, daß die Worte, deren sich die Menschen bedienen, mit den Menschen besser oder schlimmer werden. Die erste Bedeutung war die ursprüngliche, die Sache bezeichnende. Die zweite die figürliche oder auch verschlimmerte. Die dritte die ganz veredelte. In der Geschichte dieser Worte hast du zugleich die Geschichte Derer, die man damit bezeichnete. Nach der ersten ursprünglichen, die Sache bezeichnenden bedeutet das Wort Gomer einen Mann, der von den Zeichen der Worte lebt. Nach der figürlichen, verschlimmerten einen Mann, der mit der Wahrheit Wucher treibt, auch der sie verkauft, und sogar einen Lügner mit geschminkten Lippen. Nach der dritten und ganz veredelten bedeutet es einen Büchermacher oder Schriftsteller, und dieses letztern Worts bediene ich mich nach Mahal, wenn ich von den Gomern in Farak rede.
Sie fanden das Oberhaupt der Gomer oder der Schriftsteller in einem großen Saale, an dessen Wänden rundum Schränke voller wohlgeordneter Handschriften standen. Es ist Schade, daß die Sündfluth sie weggeschwemmt hat, da wir nun an Büchern Mangel haben!
Der Führer Mahals, ein untergeordneter Schriftsteller, lispelte dem sehr ernsten Oberhaupte seiner Zunft etwas in das Ohr, und der sehr stattliche ernsthafte Mann wandte sich zu Mahal und fragte ihn in einem sehr derben Tone: »Wie hast du, Unglücklicher, es wagen können, den Weisen in Farak in das Amt zu greifen und dein Ohr an die Thüre des Hauses eines unsrer Bürger zu legen?«
Mahal. Herr, ich kenne weder die Weisen, noch die Thoren dieses Landes. Ich kam diesen Morgen vor eurer Stadt hier an, man ließ mich ein, ich sah diesen Mann sein Ohr an eine Thüre legen, ich that es ihm nach, in der Hoffnung etwas zu erfahren, das ich noch nicht wüßte und das vielleicht des Wissens werth wäre.
Hierauf erzählte Mahal den ersten Theil seiner Geschichte, und der stattliche Mann sagte ihm: »Lege ferner nicht dein Ohr an die Thüren der Faraker. Gehe durch die Straßen, ohne in die Häuser zu sehen, denn dieses kommt nur Denen zu, die du so gekleidet siehst wie mich und diesen Weisen hier, und die das geheime Zeichen von sich geben können. Man vergibt für diesmal deiner Unwissenheit, und da du so weit herkommst, so will ich dich dem mächtigen, großen Sultan der Faraker vorstellen. Neige dich dreimal bis zur Erde vor ihm, erzähle ihm, was dir in Farak widerfahren ist, vielleicht lächelt er, und dein Glück ist gemacht. Vor allen Dingen vergiß ja nicht, dich dreimal bis zur Erde zu neigen und deinen Zeigefinger auf den Mund zu legen, bis er dir zu reden gebietet.«
Mahal. Sei doch so gütig und sage mir: Hält sich der mächtige und große Sultan der Faraker auch für einen Gott? Verzeihe mir diese Frage, ich fürchte mich gar zu sehr vor den menschlichen Göttern.
Der ernsthafte Mann lächelte und sagte: »Ich merke schon, du kommst aus Gin, dem Lande der Thoren und Betrüger.«
Mahal. Ach ja, und beides sind sie.
Das Oberhaupt der Schriftsteller. Du bist nun im Lande der Weisen, die durch ihren Verstand und den Geist ihrer Schriften alle Thorheit ausgerottet haben.
Khalife. Weniger erwarte ich von Weisen nicht.
Ben Hafi. Der ernsthafte und vornehme Mann fuhr fort: »Der Macht nach, Fremdling, ist der große Sultan Komar ein Gott in Farak, denn er kann da wohl und weh thun, wo es Männer unsrer Farbe für ersprießlich und nöthig finden. Uebrigens ist er ein Mensch, wie ich und du, und zu weise, sich für mehr zu halten.«
Khalife. Das ist mir lieb.
Ben Hafi. Mahal antwortete: »Ist dem so, so führe mich nur immer zu ihm. Ich versichere dich, er ist der erste Mensch auf dem Throne, den ich auf meiner mühseligen Wanderung gefunden habe; auch mache ich mir daraus im Voraus einen großen Begriff von ihm.
Das Oberhaupt der Schriftsteller. Du kannst nicht groß genug von ihm denken, und jede deiner Vorstellungen wird er übertreffen, denn er ist der erste Sultan, den Schriftsteller ganz gebildet und ausgebildet haben.
Hierauf winkte das Oberhaupt der Schriftsteller dem Mahal abzutreten, lispelte dessen Führer etwas in die Ohren, und Mahal ward von diesem in ein Zimmer geführt, worin man ihn sehr reichlich speiste und tränkte. Dieser an sich unbedeutende Umstand erhöhte Mahals Begriff von dem vornehmen Manne, den Schriftstellern, dem Sultane und den Farakern insgesammt. Das Oberhaupt der Schriftsteller erhob sich bald unter der Begleitung einer großen Anzahl vielfarbiger Mäntel, und Mahal vergaß während des Zuges seines Befehls nicht, starrte gerade vor sich hin, und schielte er auch ein wenig seitwärts, so geschah es nur, um die vielfarbigen Mäntel zu beobachten, die rechts und links in die Laternen sahen und sich ihre Bemerkungen zuzischelten. Sie traten nun alle in einen ungeheuren Palast, dessen Höhe und Breite das Auge kaum erreichen, kaum ausmessen konnte. Die Wächter und Diener neigten sich vor dem Oberhaupte der Gomer und seinem Gefolge, und nun traten sie in einen glänzenden, sehr langen, sehr hohen und breiten Saal, der, so wie der Palast, für Wesen gebaut zu sein schien, wie sie sich Mahal unter den Gewaltigen auf dem Gebirge einst dachte. An einem Ende dieses ungeheuren Saals saß der Sultan Komar auf seinem Throne, bei dessen Erblickung Mahal einen lauten, starken, heftigen Schrei des Staunens und des Entsetzens ausstieß.
Khalife. Ich wollte wetten, der rohe Mann vom Gebirge macht wieder einen dummen Streich, oder hat ihn schon gemacht.
Ben Hafi. Mit Recht nennst du ihn so, Beherrscher der Kinder des Apostels Gottes! Der Sultan Komar war weder ein Gegenstand des Staunens noch des Entsetzens. Höchstens war er für einen ausgebildeten Mann der Gegenstand eines stillen, leisen Lächelns, denn der große und mächtige Sultan Komar, wie ihn das Oberhaupt der Schriftsteller nannte, war ein ganz kleiner Zwerg, ein wenig über eine Elle hoch, prächtig geschmückt, auf seinem Haupte einen sehr dicken, mit einer reichen Feder gezierten Turban tragend, der seinen rechten Fuß auf eine große Kugel stemmte, auf welcher das Zeichen der Erde in Gold zu sehen war. Sein Angesicht war etwas runzlicht, dabei aber sehr majestätisch; er spielte seine Sultansrolle in der kleinen Person sehr gut, sah sehr ernsthaft und kalt über die Versammlung hin und zupfte zu Zeiten an seinem sehr dünnen, langen Barte. Auch hatte er einen sehr langen Stab in der rechten Hand. Der Schrei Mahals unterbrach gleich im Anfange den feierlichen Auftritt. Der Sultan blickte auf den rohen Gebirgsmann, das Oberhaupt der Gomer bemerkte es, er nahte dem Sultan, küßte ehrerbietig seinen langen Bart, lispelte ihm etwas leise dem Stabe hinauf zu, worüber der Sultan Zwerg vergnügt zu sein schien.
Khalife. Ich habe lange an mich gehalten; doch bei dem dünnen Barte dieses kleinen Sultans! nun erzählst du eine Fabel und kein Märchen. Ein Zwerg ein Sultan! – Ich weiß wohl, Ben Hafi, daß ein Mann, der ein Märchen erzählt, das Recht hat, zu lügen, es nach Gefallen auszuschmücken; aber er muß in den Grenzen der Wahrscheinlichkeit bleiben, wenn er will, daß man ihm glauben soll, so lange wir ihm erlauben, uns Langeweile zu machen.
Ben Hafi. Bei der Wahrheit, ich erzähle nichts, was sich nicht in dieser seltenen Handschrift findet. Sieh hier, Herr, diesen Zwerg mit Turban, Stab und Kugel abgebildet, den Maßstab unter ihm, der gerade eine Elle und etwas darüber ausmacht.
Khalife. Wahrlich ganz natürlich! und wie du sagst, so lächerlich es ihm auch läßt, doch sehr majestätisch, – und dieses Zeichen da, was soll es vorstellen?
Ben Hafi. Die Erde.
Khalife. Gleicht es doch gerade dem Dinge, womit das Volk bei tollen Festen den Schädel seiner Narren ziert. Aber wie konnte das kleine Ding da Sultan sein?
Ben Hafi. Und warum sollte es ein so kleines Ding nicht sein können? Ist es doch nicht der Körper, sondern der Geist, der die Menschen beherrscht und leitet, und so gut ein Riese ein Zwerg an Geist sein kann, so gut kann ein Zwerg ein Riese an Verstand sein.
Khalife. Das Erste mag sein und ist um so schlimmer, das Zweite glaube ich gar nicht.
Ben Hafi. Warum, Herr der Gläubigen?
Khalife. Weil des Riesen Geist in dem Zwerge nicht Platz hätte, den Körper des armen Zwerges leicht zersprengen könnte, besonders wenn er in ihm zu brausen anfinge. Glaubt mir, Gott gibt dem Zwerge und dem Riesen, was sich für jeden schickt, und gibt er dem Riesen Dummheit, so geschieht es darum, daß ihn der Verstand der Zwerge bändige. Der Zwerg, Ben Hafi, der Gott fürchtet, ist so groß wie der Riese und noch größer wie der Riese, wenn der Riese ein Ungläubiger ist und Gott nicht fürchtet; aber zum Sultan taugt er wahrlich nicht. Nehmt einmal an, Ich, der Herr der Gläubigen, der Nachfolger des Propheten, der ich über mehr Länder und Menschen herrsche, als alle Sultane zusammen vor der Sündfluth, wäre ein Zwerg, wie dieser da – was meint ihr davon?
Großvizir. Herr, du würdest auch dann so groß und gütig sein, als du nun bist.
Khalife. Ich habe nichts dagegen, daß du dieses glaubst, weil es doch nichts schaden kann; aber ich glaube es nicht.
Ben Hafi. Ich auch nicht.
Khalife. Und warum nicht?
Ben Hafi. Weil Kraft zum Guten gehört, und wenn sie auch nicht da ist, diese Kraft, so muß doch wenigstens die Wahrscheinlichkeit davon da sein.
Khalife. Ja, die thut viel in unsrer Lage: denn ist auch der Herrscher nicht, was er sein soll, so müssen oder sollen wenigstens doch Alle glauben, daß er es sein kann, wenn er nur will.
Ben Hafi. Es recht will. Du hast's gesagt, und ich fahre fort.
Das Oberhaupt der Schriftsteller nahm nun einigen Untergebenen verschiedene Rollen ab und las dem Sultan ganz leise vor, was die Kundschafter gesehen und gehört hatten. Es schien den Sultan sehr zu unterhalten, und er gebot, über das Gehörte weiter zu verordnen. Nun mußte Mahal vortreten, die drei Verbeugungen bis zur Erde machen und seinen Zeigefinger auf den Mund legen. Auf ein Zeichen des Sultans mit dem langen Stabe durfte er reden, sein Vergehen, gegen die Sitte des Landes und dann seine Geschichte erzählen. Des Sultans Runzeln zertheilten sich auf seiner Stirne, und da ihm gar das Oberhaupt der Gomer Mahals Frage wegen seiner Götterheit vorbrachte, so brach der vernünftige Sultan in ein so starkes Gelächter aus, daß die Kugel unter seinem rechten Fuße hin- und herrollte, der dicke, hohe Turban um sein Haupt schlotterte und sein kleiner Bauch sich aufblies und zusammenfiel, wie ein Blasebalg. Die ganze hohe Versammlung ward hierbei ehrerbietig heiter.
Hierauf gebot der Sultan, dem Fremdling eine Wohnung und Unterhalt zu geben. Ein Haufen der Schriftsteller nahmen nun Mahal in die Mitte, führten ihn durch die Straßen und riefen: »Faraker! er hat ihn gesehen – er hat den Großen, den Herrlichen, den Mächtigen gesehen! – er hat den erhabenen Weisen gesehen, den wir gebildet haben! Er hat ihn gesehen, den Schlußstein der menschlichen Gesellschaft, der Alles zusammenbindet, ohne den Alles zusammenfällt! Er hat ihn gesehen, den gewaltigen Sultan Komar, und der gnädige Sultan Komar hat ihm zugelächelt!«
Die Faraker riefen, Jung und Alt, Mann und Weib, Greis und Kind, in wehmüthig freudigem Tone, aus ihren Laternen heraus: »Ach, der Glückliche hat ihn gesehen – hat den Schlußstein gesehen, den Großen, den Mächtigen gesehen, und er hat ihm zugelächelt. Wir Unglückliche haben ihn nicht gesehen – wann werden wir Unglücklichen ihn sehen und nicht mehr unglücklich sein!«
Ein Schriftsteller rief: »Weise und glücklich ist, der ihn nicht sieht und doch glaubt.«
Man führte nun Mahal in eine sehr helle und durchsichtige Laterne ein, wies ihm seinen Unterhalt an und rieth ihm, behutsam zu sein. Ganz natürlich war es, daß Mahal fragte, worin er eigentlich behutsam sein müßte, und aus seinen zerstreuten und sehr dunkeln Bemerkungen habe ich nur Folgendes zusammenbringen können.
Die Faraker waren ehemals, wie es scheint, ein sehr widerspenstiges, zu Empörungen und Neuerungen sehr aufgelegtes Volk. Sie stritten mit eben so viel Ungestüm und Feuer, wenn sie Recht, als wenn sie Unrecht hatten. Es war ihnen genug, wenn sie nur streiten und kämpfen konnten, mochte es ihnen auch schädlich oder nützlich sein. Daher waren sie selten mit ihren Sultanen und ihre Sultane noch seltner mit ihnen zufrieden. Beliebe, Herr der Gläubigen, ein für allemal zu bemerken, daß nur der Gomer oder Schriftsteller in Farak die Geschichte schreiben durfte. – Die Faraker fühlten, wie es scheint, den Kitzel der Freiheit ein wenig allzu lebhaft und ihre Beherrscher den Kitzel der Allgewalt nicht minder lebhaft. Dieses nun sind zwei einander so entgegenstrebende Kitzel, daß der eine immer Schmerz empfinden muß, wenn der andere den seinigen befriedigt; ja, es kann beinahe Keiner derselben seinem Kitzel ganz genug thun, ohne ihn dem Andern auszutreiben. Sogar nach der Sündfluth ist es noch Keinem gelungen, diese sich so sehr widerstrebenden Kitzel oder Empfindungen durch Verstand und Weisheit so zu vereinigen, daß jede Partei zufrieden wäre und jede derselben ihren Kitzel fühlen könnte, ohne der andern Schmerz zu verursachen. Demnach war nun in Farak ein beständiger Krieg, und der kleinste von der einen oder der andern Partei errungene Sieg endigte mit Mißbrauch. Die Gomer, Weisen, Gelehrten oder Schriftsteller des Landes hätten nun sehr leicht dem verderblichen und wilden Kampfe ein Ende machen können. Sie hatten weiter nichts zu thun, als eine scharfe Linie zwischen den Parteien zu ziehen, die Rechte und Vorrechte einer jeden genau abzusondern und zu wachen, daß jede derselben in den angewiesenen Schranken ruhig blieb. Doch es scheint, die Gomer in Farak trauten der menschlichen Natur nicht Vieles zu, vielleicht war dieses Mißtrauen eine Frucht ihrer Weisheit oder ihrer Erfahrung an sich selbst. Leicht soll auch das Ding überhaupt nicht sein. Dem sei nun, wie ihm wolle, die Schriftsteller in Farak waren dieser Meinung, und wer kann mit ihnen darüber streiten? Sie hielten sich, als Leute, die das Waffengeräusch, das Blutvergießen aus Menschlichkeit verabscheuen, während des Kampfes sehr still und lagen den Wissenschaften ob. So sehr sie aber mit den erhabenen und entfernten Wahrheiten beschäftigt waren, so entgingen ihnen doch die gemeinen und nähern nicht. Sie entdeckten, daß der Vortheil für sie sehr groß sein würde, wenn sie es mit Dem hielten, der alle Macht in einer einzigen Person vereinigte: und daß, wenn diese einzige Person durch sie zum Sieger über die wilde Menge würde, diese einzige Person viel leichter durch sie zu leiten wäre, als diese wilde Menge. Alle Fehde mußte auch alsdann auf einmal ein Ende nehmen. Diesen sehr patriotischen Gedanken theilten sie sich unter einander mit, verbanden sich zur Ausführung desselben, theilten die Vorbereitungsrollen aus und arbeiteten eine Zeitlang ganz im Stillen für die Ruhe der Faraker. Man überlistete die Rohen nach und nach, fing mit Vernichtung unbedeutender, den einfachen Gang der Regierung störender Vorrechte an, als: Sicherheit der Person, des Guts, des Rechts, selbst zu bestimmen, was ein Jeder nach Vermögen zum Bedürfniß des Staats beizutragen fähig ist u. s. w., und endigte, wie es immer geht, mit Vernichtung derer, ohne deren Besitz man gerade Das wird, was du, Herr der Gläubigen, die Faraker wirst werden sehen. Doch muß ich zum Lobe dieser Schriftsteller sagen, daß, wenn sie den Geist der Freiheit in den Farakern ausrotteten, sie sich ihn weislich ausschließend vorbehielten. Und damit der ihrige nie Gefahr liefe, so umspannen sie den Sultan mit einem so feinen Netze, daß er etwas mehr als ein Zwerg hätte sein müssen, um sich heraus zu wickeln. Darum sorgten sie dafür, daß der schwächste Erbe dem letztverstorbenen Sultan auf dem Throne folgen mußte. Die Stärkern verblühten früh, und bevor sie in ihrer allzu gefährlichen Kraft ganz aufgeschossen waren. Sie übernahmen die Vormundschaft über den Sultan Zwerg und schnitten während derselben den Plan zu der glücklichen Regierung zu, die ich hier, dir zur Erbauung und zur Freude aller Genies dieser Art, aus Mahals Handschrift zusammenlese.
Khalife. Sie erbaut mich schlecht, und ich fürchte sehr, ich habe mich in diesem Volk und seinen Laternen betrogen. Es ist mir leid.
Ben Hafi. Der erste Schriftsteller war und blieb für immer Großvizir. – Die Wahl nur verursachte einen großen Krieg unter der ganzen Zunft, weil sich Jeder für den ersten hielt, und sie waren nah daran, sich unter einander durch Uneinigkeit, zum Unglück Faraks, aufzureiben, als sie glücklicher Weise auf den Einfall kamen, für diesmal den ältesten Greis zum Großvizir zu wählen. – Damit aber in Zukunft die Wahl keine weitere Uneinigkeit verursachen und das Wohl des Staats Gefahr laufen möchte, so ward einstimmig ausgemacht, daß nur Der zu diesem hohen Amte sollte gewählt werden, der die meisten und die dicksten Bücher geschrieben hätte. Ich brauche dir nicht zu sagen, wie dieser Sporn die Schriftsteller in Farak in Athem setzte! Bei dem Absterben eines Großvizirs trug Jeder, der Anspruch machen konnte, seine Handschriften, keuchend unter der Last, nach dem Saal der Wahl, in welchem eine sehr richtige Wage aufgestellt war. Die Handschriften oder Bücher wurden dann so genau wie Gold und Edelsteine gegen einander abgewogen, und das Uebergewicht entschied die Wahl. Alle übrigen Stufen von dem Großvizir bis zum niedrigsten Diener des Sultans wurden gleichfalls von Schriftstellern besetzt, und ihre Rangordnung nebst weiterer Beförderung eben nach dem Gewichte ihrer Schriften bestimmt. Der vielfarbige Mantel unterschied sie von den übrigen Farakern. Ein Theil derer von ihnen, die in Kronbedienung standen, hatten zugleich das sehr wichtige Geschäft, ihr Ohr an den Mund ihrer Mitbürger zu legen, in ihre Laternen zu sehen und Alles aufzuzeichnen, was ein Faraker sprach, dachte und that. Damit dieses nun ohne alle Schwierigkeit geschehen möchte, ward einem Bauverständigen aufgetragen, den Riß zu einem Hause zu machen, in dem nichts geschehen könnte, was man nicht von außen sähe, in dem nichts gesprochen werden könnte, was man nicht an der Thüre hörte. So entstanden die schönen, hellen, durchsichtigen Laternen, über die sich Mahal so sehr bei seinem Eintritt in Farak wunderte. Durch alle Zimmer wurden künstliche Röhren gezogen, diese mit einem Hauptrohr, dessen Oeffnung in der Mitte der Thüre sich befand, verbunden, und das Machwerk davon war so vortrefflich eingerichtet, daß es das allerleiseste Lispeln verstärkte und dem Lauscher verständlich machte. Dieser nützliche Beamte hielt Griffel und Tafel in der Hand und zeichnete das Gehörte auf. Die Berichte Aller insgesammt wurden jeden Morgen dem Großvizir überbracht, der den Sultan damit unterhielt und das Weitere selbst verfügte. Bei Todesstrafe durfte Keiner den Gomer oder Schriftsteller in seiner Amtsverrichtung stören, und der Faraker lief Gefahr, verdächtig zu werden und für einen schlechten Bürger zu gelten, wenn er in dem Augenblicke, da er den Horcher merkte, seine angefangene Rede unterbrach. Für alle diese große Mühe, den Staat zu beherrschen und die Faraker zu belauschen, lebten ganz natürlich die Schriftsteller in Farak, gleich den Göttern in Gin, auf Kosten Derer, die diese große Mühe verursachten und für deren Glück und Ruhe sie so weislich sorgten. Der Sultan Zwerg lebte durch ihre Sorgfalt als unumschränkter Herr in seinem ungeheuern Riesenpalast, schlief immer ruhig, lebte vergnügt, hatte nichts zu fürchten und durfte auf seinem goldenen Throne denken, er sei Beherrscher der Welt, Alles zittere vor ihm und Niemand dürfe wagen, etwas zu reden, das ihm mißfallen könnte. Auch wußten die Gomer das Netz, worin sie den Zwerg gefangen hielten, so fein zu verbergen, daß er, wäre er auch ein Riese an Leib und Geist gewesen, doch nicht hätte merken können, er sei der erste Sklave in Farak. Und in diesem Sinne, Herr der Gläubigen, sagt Mahal, ist jeder Sultan ein Zwerg, wenn er aus Güte, oder Schwäche, oder Weichlichkeit, oder Stumpfheit, oder Mangel an echtem, starkem Willen sein Volk durch seine Vizire regieren läßt.
Khalife. Darin hat Mahal vollkommen recht, und der Sultan, den es trifft, der mag es sich gesagt sein lassen.
Der Großvizir fand dieses Märchen Ben Hafis bis hierher ganz erträglich, nun aber änderte er seine Meinung.
Ben Hafi. Den Farakern war übrigens erlaubt, mit Kopf und Händen so viel zu arbeiten, als sie Kräfte hatten; das Bücherschreiben doch ausgenommen. Und was brauchten sie mehr? Sie durften sogar lustig sein, sagt Mahal, Alles thun, was sie ergötzte, wenn man nur sah und hörte, was sie thaten und sprachen, und es weiter keinen Verdacht gegen die Ruhe und die eingeführte Ordnung des Staats erweckte.
Die Schriftsteller fanden diese ihre Staatsverfassung so vortrefflich, daß des Lobens und Preisens derselben von ihrer Seite kein Ende war, und die Faraker wurden mit Schriften in gebundener und ungebundener Rede über ihre glückliche Verfassung überschwemmt, die Jeder lesen, bewundern, zur Erholung von der Arbeit abschreiben und sammeln mußte, wenn er sich nicht als schlechter, unpatriotischer Bürger verdächtig machen wollte. Dabei gewannen nun die Gomer oder Schriftsteller zwiefach; denn erstlich arbeiteten sie für ihre herrliche Staatsverfassung, und zweitens erschrieben sie sich Ehrenstellen, da ihnen jedes dicke Buch, das ihnen von ihren Fingern floß, eine Stufe weiter helfen konnte, wenn es zum Wägen ihres Verdienstes kam. Auch waren die Bücher sehr schön geschrieben, denn die Gomer wandten alle Gaben ihres Geistes an, ihr Lieblingsgeschäft recht auszuschmücken. Es ist Schade, daß die Sündfluth sie weggeschwemmt hat!
Sieh, Herr der Gläubigen, so machten Leute, die kein Schwert gezogen, kein Kriegsroß bestiegen hatten, die vor dem Wort Kampf erbebten, der wilden, blutigen Fehde in Farak ein Ende, und Farak ward unter ihrer sanften Leitung das glücklichste, ruhigste, seligste Land, das vor der Sündfluth auf dem Erdboden geblühet hat. Man hörte da keinen raschen, tollen Schrei, keinen kühnen, gefährlichen Gedanken, keine kraftvolle, zarte, der Ruhe gewohnte Sinne beleidigende Ausdrücke. Der Zwerg Sultan konnte vergnügt auf seinem Throne sitzen, die Schriftsteller konnten sich ruhig in ihren Gemächern Ehrenstellen, bis zum Viziriat hinauf, erschreiben; Jeder war gewiß, keine Gefahr, keine Veränderung bedrohe ihn, und auch die Bürger waren fest überzeugt, man würde ihnen nichts zu Leide thun, wenn sie Das verblieben, wozu die Gomer sie gemacht hatten. Kurz, die Faraker lebten so ruhig, wie die Todten in den Gräbern, und unterschieden sich nur dadurch von ihnen, daß sie thun mußten, was die Todten nicht mehr thun, für die Gomer und sich so lange zu arbeiten, bis sie den Todten völlig glichen.
Khalife. Ben Hafi, ich hatte im Anfange deines Märchens eine bessere Meinung von diesem Lande: nun sehe ich, daß ich mich betrogen habe, und dies ärgert mich. Dein Märchen da, es sei nun Fabel oder Wahrheit, ist eins der widrigsten, das ich noch gehört habe, und beim Glanze meiner Vorfahren! der Mann, der so und über solche Menschen, in solchen Laternen und mit solchen Sprachröhren an den Thüren der Laternen herrschen mag, muß ein Zwerg an Leib und Seele sein, wie dieser dann es ganz gewiß sein muß. Es ist mir nur lieb, daß du ihn dazu gemacht hast, und ich sehe daraus, daß oft ein Märchen durch Das wahrscheinlich wird, wodurch es anfangs unwahrscheinlich zu sein schien. Und diese Schriftsteller, diese Gomer – ich spreche nicht gern Böses von den Menschen – aber wahrlich, ich wünsche sie meinen Feinden – ich wünsche sie den Ungläubigen – doch nein! es ist zu viel – ich nehme meinen bösen Wunsch zurück – ist es an mir, sie zu richten? Gott hat sie gerichtet und wird an jenem Tage sie richten, an welchem die Mutter ihren durstigen, schreienden Säugling selbst nicht hören wird. – Aber was sagte Mahal von dem Dinge? Ben Hafi. Er dachte gerade so wie du, nur durfte er es nicht wagen, in seiner Laterne laut zu denken. Unvorsichtiger Weise fragte er einen Schriftsteller: »Woher es käme, daß nur sie in undurchsichtigen Häusern und nicht in Laternen wohnten, wie die übrigen Faraker?« Der Schriftsteller antwortete: »weil wir dem Staate nicht gefährlich sind.« Mahal erwiederte lächelnd: »ich glaube es wohl!« und machte sich verdächtig.
Zu seinem Unglück konnte er nicht unterlassen, wie du schon oft bemerkt wirst haben, laut zu denken, und so sehr er es sich auch vorgenommen hatte, sich während seines Aufenthalts in Farak in Acht zu nehmen, so entwischte ihm doch eines Tages aus Langerweile folgendes Selbstgespräch: »Dieser Sultan da gleicht wahrlich meinem ehemaligen Schwiegersohn Puh im Kleinen, und seine Unterthanen, die, so wie ich, in Laternen wohnen und gleich mir nicht zu reden wagen, sind gerade eines solchen Sultans werth. Diese Schriftsteller da, die nichts thun als die Bürger zu belauschen und dicke Bücher zu schreiben, sind noch ärger als die Götter in Gin. Diese legten doch ihr Ohr nicht an die Brust der Giner, und der Ehemann durfte ihnen wenigstens einen Sklaven zeugen, ohne daß sie zusahen, wie er es machte. Lange halte ich es hier nicht mehr aus! Ach, Herr! was sind die Menschen! Was ist aus deinen Geschöpfen geworden! Wie konnte, was ich sehe und erfahre, aus deinen Geschöpfen werden?«
Kaum hatte Mahal diese letzten Worte ausgesprochen, als einer der Gomer in sein Zimmer trat und ihm von seiner Tafel herlas, was er eben gesprochen hatte. Hierauf sprach der Gomer in einem sehr ernsten Tone: »Fremdling in Farak, ich bin dein zugestellter Schutzgeist und habe es über mich genommen, für deine Ruhe, deine Sicherheit und dein Glück zu sorgen, so lange du in Farak unter unsrer weisen Leitung lebst. Ueberbrachte ich deine kühnen und unvernünftigen Worte unserm Oberhaupte, so würde es dich dein theures Leben kosten. Doch unser gütiges Oberhaupt hat mir, als er dich meinem Schutze übergab, bedeutet, mit dir bei deinem ersten Fehler gelinde zu verfahren. Ich weiß nicht, wodurch du diese besondere Gnade vor seinen strengen Augen gefunden hast. Ich gehorche indessen gerne und lege dir nun, als dein dich liebender Schutzgeist – nicht zur Strafe – denn wie kann dies eine Strafe sein? – sondern zu deiner Erleuchtung auf, daß du alle die Bücher, wodurch sich unser erhabenes Oberhaupt das Viziriat erschrieben hat und die alle, in gebundener und ungebundener Rede, zum Zweck haben, die Bürger über ihre glückliche Staatsverfassung aufzuklären, durchlesest. Ich hoffe, du wirst durch sie überzeugt werden, daß Farak das einzige Land auf dem Erdboden ist, welches weise und glücklich regiert wird.«
Auf des Schriftstellers Befehl kamen bald viele Lastthiere, mit den Büchern des Großvizirs beladen, vor der Laterne Mahals an. Mahal mußte sie abladen und sehr sorgfältig, nach der Anweisung des Gomers, in Ordnung aufstellen. Hierauf gab ihm sein Schutzgeist einen strengen Aufseher, und Mahal mußte sich, noch denselben Tag, über das ungeheure schreckliche Geschäft hermachen.
Zwanzig Monate brauchte Mahal, um alle die dicken Bücher des Großvizirs zu durchlesen. Oft seufzte er still in seinem Herzen, denn dies war Alles, was er in seiner Laterne und in Gegenwart seines strengen Aufsehers ohne Gefahr thun durfte: »Ach, Herr! Herr! du strafest mich schrecklich für meine Wißbegierde! Deine Strafe geht über meine Kraft! Tödte mich und laß mich nicht an diesen fürchterlichen Büchern den Tod der Langeweile sterben!«
Während der zwanzig Monate sah und hörte er nichts von Dem, was um ihn her vorging. Das einzige Neue und Sonderbare, was er bemerkte, war ein Auftritt, der sich gerade vor seiner Laterne, die mitten auf dem Platze stand, ereignete. Ein alter Schriftsteller, in einem neuen, prächtigen, vielfarbigen Mantel, erschien auf einmal öffentlich. Einige seiner Diener hielten neben ihm drei sehr schön geschmückte Kameele, die mit seinen Handschriften beladen waren. Als er nun durch Trompetenstöße die Aufmerksamkeit der Faraker aufgefordert hatte und diese sich ehrfurchtsvoll um ihn her versammelten, fing er gleich einem Vogel schwarzer Vorbedeutung an, Folgendes zu sagen:
»Hört mich, Faraker, ich will euch etwas Großes sagen und, wie man spricht, den Mund recht voll nehmen. Die Thoren sprechen, wahre Größe schweigt von sich. Doch ich kenne euch und weiß, daß man euch seinen Werth in die Ohren schreien muß, denn ihr seid gar stumpfen Herzens.
Es sind nun vier und vierzig Jahre, seitdem ich, der Verfasser aller dieser Handschriften, zum erstenmal im Chor der Dichter und Schriftsteller auftrat.
Meine Laufbahn umfaßt beinahe ein halbes Jahrhundert. Ich begann sie da, eh die Morgenröthe unsrer Literatur vor der aufgehenden Sonne zu schwinden anfing, und ich beschließe sie – wie es scheint, mit ihrem Untergange.
So stellt nun Gebete und Opfer an, damit ich noch lange unter euch leben möge; denn ob es mir gleich zum großen Ruhm gereichte, wenn mit mir aller Witz und alle Einbildungskraft zu Grabe ginge, so dauert ihr armen Faraker mich doch gar zu sehr.«
Die armen Faraker waren über die schwarze Prophezeiung, die ihnen mit lauter Mißjahren an Werken des Witzes und der Einbildungskraft drohte, sehr tief gerührt. Viele weinten und schluchzten.
Ein Verständiger unter ihnen sagte: »Der berühmte Mann hat sein Lebenlang viel Schönes und Herrliches geschrieben, viel Artiges über die Staatskunst gedichtet, aber wahrlich, dies ist das erste erhabene Wort, das er gesprochen hat. Laßt es uns bewundern und es unsern Kindeskindern überliefern. Haben wir indessen doch seine Schriften noch, um uns daran zu erwärmen, wenn der kalte, unfruchtbare Winter kommt, womit er uns so fürchterlich bedroht!«
Mahal sagte: »Die Faraker sind doch ein gutes Volk!« und sein strenger Aufseher antwortete: »Wie sollte es nicht, da wir es gebildet haben?«
Als nun Mahal sein schreckliches Geschäft beendigt hatte, war er so zerschlagenen und zerrütteten Geistes geworden, daß er bei seinem ersten nun verstatteten Ausgang die gröbste aller Thorheiten und, nach der Sprache der Schriftsteller in Farak, das größte aller Verbrechen beging. Er ging vor der Stadt an dem Ufer des Meeres herum, um frische Luft zu athmen und Gott zu danken, daß er mit dem Leben von seiner schrecklichen Strafe davon gekommen sei. Auf einmal kam ein Haufen Volks aus der Stadt, in ihrer Mitte drei Faraker, deren Hände gebunden waren. Ein vielfarbiger Mantel oder Gomer führte den Haufen an. Als sie nun an das Ufer des Meers kamen, öffneten sie drei Säcke, legten schwere Steine in jeden, steckten hierauf die drei gebundenen Faraker hinein und wollten sie in das Meer schleudern. Mahal sah zu bis auf diesen Augenblick, dann fuhr er sehr heftig hinzu und fragte um die Ursache dieses grausamen Unternehmens. Der vielfarbige Mantel oder Schriftsteller hatte die Güte, ihm zu sagen:
»Der Erste da hat das entsetzliche Verbrechen begangen und unsern großen Sultan Komar einen Zwerg genannt!
»Der Zweite hat das entsetzlichere Verbrechen begangen und unsere treffliche Staatsverfassung getadelt!
»Der Dritte hat das allerentsetzlichste Verbrechen begangen und ein Buch unsers erhabenen Oberhaupts, des Großvizirs, ein plattes Ding genannt!
»Darum nun haben wir Gomer sie zum Tode verdammt, Andern zum Schrecken und zur Warnung.«
Da sagte der Mann vom Gebirge in seinem Grimm: »Ihr Wahnsinnigen und boshaften Heuchler! Ist eure Staatsverfassung nicht ein Ungeheuer? Ist euer Sultan nicht ein Zwerg? Sind die Bücher des Großvizirs, an denen ich mich beinahe zu Tode lesen mußte, nicht die plattesten, elendesten Schmierereien?« Der weise Gomer rief: »Faraker, seid taub!« und die Faraker schrieen: »Wir waren taub! wir sind taub!«
Der Gomer winkte, und man verband Mahal den Mund und umgürtete seine Hände.
Die drei Verurtheilten mußten nun vor ihrem Ende aus den Säcken rufen: »Der Sultan sei kein Zwerg! die Staatsverfassung in Farak sei die beste der Welt! und das Buch des Großvizirs das herrlichste Werk, das die Vernunft zur Erleuchtung und Aufklärung der Menschen aufgestellt hatte!«
Hierauf schleuderte man die Faraker in das Meer, und Mahal ward in die Stadt zurück geführt. Weil er nun ein Fremder war und der Sultan über ihn gelacht hatte, so ward er aus besonderer Gnade zur Landesverweisung verdammt, zuvor aber sollte er, des Andenkens an Farak halben, gestäupt werden.
Khalife. O, Ben Hafi, ich bitte dich, laß ihn nicht stäupen! Der Arme leidet für die Wahrheit, und ich vergesse in diesem Augenblick all sein kühnes Vernünfteln.
Ben Hafi. Ich wollte dir es gerne zu Gefallen thun, Herr der Gläubigen! aber die Pflicht – das Gewissen – und beruhige dich nur immer – Mahal versichert, die Ruthenstreiche auf seinem Rücken seien ihm lange nicht so schmerzlich und beschwerlich gewesen, als das Lesen der Bücher des Großvizirs in Farak.
Khalife. Es kann leicht sein, und er muß es am besten wissen; doch ist es hart, die beiden schrecklichen Züchtigungen nach einander auszustehen, und ich hätte ihm gerne die letzte erlassen sehen. Auch hat er nur die erste verdient, wie er selbst gesteht. Indessen da es geschehen ist, und er doch nicht anders aus diesem abscheulichen und mir ganz verhaßten Lande kommen konnte, so ist es gut, daß es vorüber ist.
Ben Hafi. Mahal sprach das Verdammungsurtheil über die Faraker, die Giner, die Irader, die Enocher, über alle Büchermacher aus und ward über die Grenze gebracht.
Ben Hafi rollte seine Handschrift zusammen.
Khalife. Es ist mir lieb, daß du ihn dahin gebracht hast, denn dein Märchen war nicht allein langweilig, es war abscheulich. – Friede sei mit dir und euch!