Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

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Neunzehntes Kapitel

Noch ein Gespräch mit dem großen Negus, moralischen und vermischten Inhalts.

Manche Leser mögen mir vielleicht Schuld geben, ich hätte das Gemälde, welches ich dem großen Negus von unsern deutschen Höfen entwarf, mit zu starken Farben aufgetragen. Wer das Glück hat, in dem nördlichen Theile von Deutschland, unter einer milden Regierung und umringt von zufriednen, nicht gedrückten Menschen zu leben, dem kömmt das unglaublich vor, was in den südlichen Gegenden täglich vorgeht und was der warme Freund der Menschheit nicht ohne Unwillen und Zähneknirschen sehen und hören kann. Allein es ist nun einmal so, und da es öffentlich vorgeht, so muß es auch öffentlich erzählt werden dürfen. Doch hatte ich noch einen andern Grund, warum ich dem Könige dies Unwesen so fürchterlich schilderte; einige der Gebrechen, die ich hier als meinem Vaterlande eigen angab, waren, wie man sich aus meinen Fragmenten der abyssinischen Geschichte erinnern wird, hier nicht weniger eingerissen. Es war ein delicater Punct, dies gegen den Monarchen zu rügen; indem ich aber die Scene nach Deutschland hin verlegete und dennoch der Wahrheit treu blieb, gab ich ihm Gelegenheit, die Übel mit allen ihren Folgen kaltblütig zu überschauen.

Ich hielt dies um so mehr für Pflicht, da ich sah, wie mein Vetter, nicht eigentlich aus bösem Herzen, aber aus einer unverzeihlichen Schwäche und aus Furcht, Gunst und Ehrenstellen zu verlieren, dem Negus auf unendliche Weise schmeichelte, sein Steckenpferd, die Aufklärung zu verbreiten und von sich als einem Beförderer der Wissenschaften und Künste reden zu machen, streichelte, und wie mit der europäischen sogenannten Aufklärung alle unsre schädliche Thorheiten und Ungehörigkeiten mit nach Abyssinien zogen. Hindern konnte ich das nicht; aber ich wollte wenigstens nichts dazu beytragen. Benjamin Noldmann ist weit davon entfernt, sich denen zum Muster aufdringen zu wollen, die Einfluß auf Potentaten haben; aber das kann er doch nicht verhehlen, daß er die Erfahrung gemacht hat, daß man mehr als bloß die innere Beruhigung, die Pflicht der Rechtschaffenheit erfüllt zu haben, dabey gewinnt, wenn man freymüthig die Partey der Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit nimmt. Die Fürsten verachten doch im Grunde den sclavischen Schmeichler und schonen und ehren den unbestechbar redlichen Mann. Und ist es nicht das feinste Lob, das man einem Fürsten zu geben vermag, wenn man in seiner Gegenwart Andre seines Gleichen tadelt? Heißt das nicht soviel gesagt, als daß man ihn unfähig hält, in ähnliche Fehler zu verfallen? Geschieht dies ohne Bitterkeit und Leidenschaft, so kann es auch wirklich, insofern es oft wiederholt wird, eine Sinnes-Änderung bey ihm bewirken und ihn wenigstens von manchem raschen Schritte abhalten, wenn er sieht, daß auch er der öffentlichen Prüfung unterworfen ist.

Diesem Systeme bin ich immer treu geblieben, solange ich in Gondar war. Ich hatte einige Belesenheit in der Geschichte der europäischen Staaten, und das gab mir Gelegenheit, was ich vorzubringen hatte, zuweilen von daher zu entlehnen. Wir redeten von Ludwig dem Vierzehnten, den die Schmeichler einst den Großen genannt haben, und ich machte ihm bemerklich, welch ein elender, kleiner, eitler Kerl dieser große König gewesen wäre, wie er die Menschen als das Vieh betrachtet hätte, erzählte ihm unter andern, wieviel Tausende er in seinen unnützen Kriegen aufgeopfert; wie er an armen Leuten Proben mit Arzneyen und gefährlichen Fistel-Curen hätte vornehmen lassen, um zu sehen, ob sie daran stürben oder ob er seinen gesalbten Körper einer gleichen Behandlung unterwerfen dürfte. Ich hätte ihm einen ähnlichen Zug von einem deutschen Fürsten erzählen können, unterließ das auch nicht etwa aus Menschenfurcht – denn an den Ufern des Nils pflegt man sich nicht viel um einen Despoten zu bekümmern, der an den Ufern des Rheins hauset – aber ich erlangte ja denselben Zweck durch das Beyspiel eines verstorbnen Königs. Ich zeigte ihm, wie bis dahin unsre mehrsten historischen Werke nicht etwa die Geschichten der Völker, sondern das Inventarium der Thorheiten der Großen enthielten, und machte ihn unter andern aufmerksam auf die Reihe von Octavbänden: la vie privée de Louis XV, in welchen mit großer Wichtigkeit Armseligkeiten erzählt sind, worüber die Nachwelt nur spotten kann.

Ich erzählte ihm, wie tyrannisch einige deutsche Fürsten mit ihren Dienern umgehen, und bestritt das Recht des Landesherrn, seine Räthe willkürlich zu verabschieden, die ebensowohl als er selbst in Diensten des Staats stehen, dessen oberster Aufseher er ist, und die, wenn sie ihre Pflicht erfüllen, nicht nach Gutdünken abgeschafft werden können. – Ein Satz, den der Freyherr von Moser in einer eignen, sehr lesenswerthen Schrift mit den wichtigsten Gründen unterstützt hat!

Einst hatte ein abyssinischer Schriftsteller sehr frey über die Landes-Verfassung geschrieben und den persönlichen Character des Negus angegriffen. Die Censur-Commission verboth nicht nur die öffentliche Bekanntmachung dieses Buchs, sondern trug auch darauf an, den Verfasser für seine Kühnheit zu bestrafen. Se. Majestät verzieh ihm und bildete sich sehr viel auf diese gnädige Nachsicht ein. Ich schwieg; aber einige Tage nachher nahm ich Gelegenheit, dem Könige einen Aufsatz über Scheintugenden vorzulesen; er war von mir, ich gab aber vor, er stehe in einem gedruckten Werke. Folgende Stelle sollte auf jenen Vorfall zielen; es hieß da: »Man nennt das Großmuth, wenn der vornehme Beleidigte dem geringern Beleidiger verzeiht, wenn man sich im Glücke nicht an dem rächt, der uns im Unglücke gekränkt hat. Begreift man denn nicht, daß es kein Verdienst seyn kann, wenn angenehme Verhältnisse uns in eine heitre Laune setzen, sich nicht durch das unangenehme Gefühl der Rache wieder zu verstimmen; daß stolze Verachtung nicht Großmuth ist; daß der Reiz des Ehrgeizes, deswegen gelobt zu werden, weit größer geworden seyn kann als das Gefühl der alten Wunde; daß der Mann uns vielleicht nicht wichtig genug ist; endlich, daß uns daran gelegen seyn muß, eben ihn um so mehr zu unserm Anhänger zu machen, je furchtbarer er als Feind gewesen ist?« –

Ich sah mit Vergnügen, daß solche hingeworfne Ideen nicht ohne gute Wirkung blieben, und hätte mein Vetter und das Heer der Hofleute mit mir gemeinschaftliche Sache gemacht, so zweifle ich nicht daran, daß wir noch etwas Gutes aus unserm alten Negus würden haben ziehen können.

Da nun die Zeit unsrer Abreise immer näher heranrückte, so bat ich um Erlaubnis, noch vorher eine kleine Reise in einige Provinzen von Abyssinien machen zu dürfen, die ich auch erhielt. Hauptsächlich aber war mir's darum zu thun, den merkwürdigen Mann kennenzulernen, von dem ich nun schon ein paarmal Erwähnung gethan habe; ich meine den Erzieher des jüngern königlichen Prinzen. Mit wahrer Traurigkeit bemerkte ich auf dieser Reise das abscheuliche Verderbnis der Sitten in allen Ständen, das leider! mit den Graden der Cultur in gleichem Verhältnisse stand, und ich rief oft mißmüthig aus: »Müssen denn die Menschen um so lasterhafter werden, je mehr sie ihre intellectuellen Anlagen ausbilden; oder ist dies alles nur Folge der halben Aufklärung; werden nicht endlich diese Nebenwege, diese Abwege dennoch zu dem letzten großen Ziele, zu dem Triumphe der Aufklärung, zu der auf Erfahrung gestützten Wahrheit hinführen, daß der höchste Grad von Weisheit in dem höchsten Grade von Tugend beruhe und daß nur der mäßige, nüchterne, von unruhigen Leidenschaften freye Mensch den großen Genuß des Lebens, aller geistigen und körperlichen Kräfte, häuslicher Glückseligkeit und bürgerlicher Vortheile schmecken könne?«

Die Weiber in Abyssinien, besonders die in Tabelaque, sind im höchsten Grade frech und verbuhlt,Siehe Bruce. sie spotten öffentlich der Pflicht und der Tugend; die Priester und Mönche sind allen Ausschweifungen ergeben und dabey die ärgsten Diebe. – Und dennoch hält man strenge auf Beobachtung der religiösen Ceremonien, betet sehr viel und besucht fleißig die zahlreichen Kirchen.

Über alle diese Gegenstände, und hauptsächlich über die Kraft des Einflusses der Religion auf die Sittlichkeit, hatte ich, nach meiner Zurückkunft, sehr weitläufige Gespräche mit dem großen Negus. Eines Tags fragte mich der König, ob es wahr sey, daß in Deutschland jeder Mann sich mit Einer Frau, jede Frau sich mit Einem Manne begnügte?

Ich: Das nun eben nicht; aber gesetzmäßig sind doch die Vielweiberey und Vielmännerey verbothen.

Negus: In der Bibel steht nichts von dem Verbothe der Vielweiberey. Was die Vielmännerey betrifft, so sagt uns schon die gesunde Vernunft, daß unter Menschen, die nicht wie das Vieh leben wollen, eine Frau nicht mehr als Einen Mann haben dürfe, der ihr Herr, ihr Ernährer und der Vater ihrer Kinder sey; aber das sehe ich nicht ein, warum Eure bürgerlichen Gesetze dem Manne nicht erlauben, soviel Weiber zu nehmen, als er ernähren kann.

Ich: Weil in Europa die Gattin zugleich des Mannes treue Gefährtin, seine theilnehmende Freundin im Glück und Unglücke, die sorgsame Mutter und Mit-Erzieherin seiner Kinder seyn soll – Bande, die nur durch gegenseitiges Zutrauen, durch gegenseitige Hochachtung, durch gegenseitige ausschließliche Hingebung und durch die Überzeugung fester geknüpft werden können, daß, auch außer den Augenblicken der Befriedigung sinnlicher Begierden und auch dann, wenn Schönheit und Jugend von ihr weichen, die Frau dem Manne noch etwas seyn werde. – Und wo findet man das in einem orientalischen Harem?

Negus: Das Ding klingt ganz hübsch; aber wenn nun der Mann sich bey der Wahl seines Weibes übereilt hat, so hat er dann ein solches Geschöpf seine ganze Lebenszeit hindurch auf dem Halse und darf sich für dies Ungemach nicht an der Seite eines liebenswürdigem Gegenstandes entschädigen.

Ich: Das ist freylich ein großes Leiden; allein dem sind ja beide Theile ausgesetzt; und muß nicht jedermann die Folgen seiner Übereilungen tragen?

Negus: Nein! das steht mir nicht an, und das Gesetz soll in Abyssinien nie eingeführt werden. Aber Du sagtest vorhin, man begnügte sich auch in Deutschland damit nicht.

Ich: Ey nun! Die Verfeinerung der Sitten, die Galanterie, worin uns zuerst unsre Nachbaren, die Franzosen, unterrichtet haben, hat meine verheiratheten Landsleute gelehrt, jenes beschwerliche Gesetz von beiden Seiten durch Conventionen aufzuheben. Die Dame hat einen Freund, der zugleich sich des Herrn Gemahls Zutrauen und Zuneigung zu erwerben weiß; folglich kann die Welt nichts darüber sagen, wenn er Tag und Nacht im Hause freyen Zutritt hat, insofern der Ehemann nichts dagegen zu erinnern findet. Und dieser ist sehr zufrieden mit der Einrichtung, wenn man ihm nur unterdessen die Freyheit erlaubt, bey seinem verheiratheten Nachbar gleichfalls den Hausfreund zu spielen. So bleibt das Äußere der bürgerlichen Verfassung immer in seinen Würden, und der Teufel verliert doch nichts dabey.

Negus: Ihr seyd, wie ich sehe, in Deutschland gewaltig anhänglich an Formen. Um die Sachen selbst bekümmert Ihr Euch wenig, wenn Ihr nur den Schein davon seht, und dann raisonniert Ihr mächtig viel, über Eure vortrefflichen Einrichtungen, indes es im Innern bey Euch hergeht wie bey uns und aller Orten.

Ich: Freylich gibt es überall auf der Erde menschliche Unvollkommenheiten; aber sehr cultivierte Staaten haben denn doch das zum Voraus, daß sie, durch diese Anhänglichkeit an äußere Formen, dem allgemeinen Einreißen mancher Verderbnisse steuern. Sehr unweise handeln daher solche Fürsten, die öffentlich das Beyspiel von Hinwegsetzung über dergleichen Conventionen geben, die vor den Augen ihres Volks einer feilen Buhlerin alle Ehre und Rechte einer Gattin einräumen. Hat Politik oder ein unglückliches Geschick einen solchen Fürsten an ein Geschöpf gekettet, das Seiner unwerth, das unfähig ist, durch angenehmen Umgang die Sorgen seines wichtigen und schweren Berufs zu erleichtern, so erlaube man ihm denn, in der Stille, an der Seite eines liebenswürdigern Wesens, seine Sorgen zu vergessen und das Glück der Liebe und Freundschaft wie ein Privatmann zu schmecken! Aber er, und zwar Er mehr als irgendein Andrer, respectiere die äußern Formen, welche die Gesetze vorschreiben (solange nun einmal die Menschen nicht nach natürlichen, sondern nach conventionellen Vorschriften handeln sollen)! Und das nicht etwa bloß, weil Aller Augen auf ihn gerichtet sind, weil er schuldig ist, dem Volke aller Classen Beyspiel zu geben, sondern auch seines eignen Vortheils wegen. Denn wenn er den Unterthanen zeigt, daß derjenige den Gesetzen nicht zu gehorchen braucht, der mächtig genug ist, sich Impunität zu verschaffen, so gibt er ihnen den Wink, daß auch Jeder den Pflichten gegen ihn und dem ihm schuldigen Gehorsame sich entziehen dürfe, der nur die Mittel ausfindig machen könne, dies heimlich oder ungestraft zu thun.

Negus: Das läßt sich hören; aber wenn Ihr mit den Pflichten des Ehestandes so viel Zwang verbindet, so hoffe ich, Eure Gesetze schränken desto weniger die freye Wahl der Leute ein, die sich nun einander heirathen und ihr ganzes Leben ausschließlich miteinander hinbringen wollen.

Ich: Ew. Majestät wissen, daß die Grade der Blutsverwandtschaft wenigstens einige Einschränkungen in diese Freyheit legen.

Negus: Warum denn das?

Ich: Ey! schon in den Mosaischen Gesetzen –

Negus: Das ist ein albernes Geschwätz! Was kümmern Euch die Gesetze, die man einem Volke in Palästina gegeben hat und die nach dem Clima und nach den Bedürfnissen der Juden eingerichtet waren? Ich sehe gar nicht ein, warum bey Euch nicht der Bruder seine Schwester heirathen soll, wenn sie ihm gefällt, um so mehr, da er diese besser als andre Mädchen kennt und also weiß, ob ihre Gemüthsart sich zu der seinigen schickt.

Ich: Wenn aber das Vorurtheil von Blutschande ausgerottet würde, sollten dann nicht die frühern Ausschweifungen unter jungen Leuten beiderley Geschlechts, die uneingeschränkt in den Häusern der Eltern miteinander umgehen, allgemeiner werden?

Negus: Gar nicht! Der Reiz der Neuheit und die Überwindung der Schwierigkeiten – das ist es grade, was verbothene Begierden erweckt; und Menschen, die sich täglich sehen und mit allen ihren Unvollkommenheiten kennenlernen, werden nie lüstern nach einander werden; und wenn sie dennoch Liebe zu einander fassen, so wird das eine vernünftige Liebe seyn, bey welcher die Sinne nur die Nebenrolle spielen und der man keine Hindernisse in den Weg legen sollte. Allein von den Schwierigkeiten, die das Vorurtheil der Verwandtschaft der freyen Wahl bey den Heirathen in den Weg legt, redete ich nicht; sondern das wollte ich von Dir hören, ob Du ein so schweres Monopolium nicht unbillig fändest, da auch die Verhältnisse des bürgerlichen Lebens es Euern Jünglingen unmöglich machen, bey der Wahl ihrer Gattinnen gänzlich ihrer Neigung zu folgen. Du siehst, daß ich nicht ohne Kenntnis der Sache rede; ich lese deutsche Bücher. Alle Eure Schriftsteller klagen über den steigenden Luxus, der es zur Nothwendigkeit macht, bey den Heirathen vorzüglich auf die Vermögens-Umstände Rücksicht zu nehmen.

Ich: Und dennoch halte ich diese Klagen für unbegründet. Aufwand in Kleidern hat zugenommen; aber dagegen kostet auch jetzt ein seidnes Gewand weniger als ehemals eines von Leinen oder Wolle. Man besetzt die Tafeln mit mehr Speisen und trinkt mehrere Arten von Wein; aber dagegen werden auch jährlich mehr Gärten und Weinberge angebaut, mehr Bäume gepflanzt, mehr Wüsten urbar gemacht. Die kleinen Bedürfnisse des Lebens vervielfältigen sich, aber mit ihnen zugleich die Anstalten, sie in größrer Zahl und zu wohlfeilem Preisen zu liefern. Seiden-, Porcelain- und andre Fabriken werden aller Orten angelegt, und indes alle Preise steigen, vermehrt sich auch die Summe des Geldes durch die ungeheure Menge des Metalls, das jährlich der Erde entlockt wird. Jetzt sind also hundert Thaler grade das, was ehemals zehn Thaler waren. Gehalt, Gagen, Lohn und Tagelohn steigen in demselben Verhältnisse; der Arbeitsmann nimmt mehr für seine Waren, und so wird in allen Ständen das Gleichgewicht wiederhergestellt, außer daß der Verschwender jetzt mehr Anlockung hat, sein Eigenthum zu verprassen; aber wessen Schuld ist das anders als seine eigne?

Negus: Der Unterschied der Stände legt denn auch den Heirathen nach bloßer Neigung Hindernisse in den Weg.

Ich: Für Leute, die nicht den Muth haben, sich über Vorurtheile hinauszusetzen.

Negus: Und der Unterschied der Religion?

Ich: Bey der jetzt immer allgemeiner werdenden Toleranz –

Negus: Ihr mögt mir ja tolerant seyn! In Worten seyd Ihr es, aber in der That nichts weniger als das. In allen Euren Journalen lese ich Klagen darüber. In Einer deutschen Stadt kann niemand zum Bürger aufgenommen werden, als der die Prädestination glaubt; in der andern darf niemand gute Schuhe machen, als der den heiligen Kerl in Rom für unfehlbar hält; in der dritten hilft dem Manne die größte Geschicklichkeit nicht, er kann keinen Thorschreibers-Dienst erlangen, wenn er nicht Martin Luthers Begriffe vom Abendmahle hat. – Das ist mir eine schöne Toleranz! Und wie zanken sich nicht Eure Gelehrte, und zwar solche, die gar keine Pfaffen sind, schimpfen wie die Bettelbuben aufeinander und suchen Einer den Andern auf die abscheulichste Weise verhaßt und verdächtig zu machen, wenn Einer, der bis jetzt für einen Calvinisten gegolten, sich einmal hat merken lassen, daß es doch wohl möglich wäre, daß der liebe Gott die Menschen nach dem richten würde, was sie gethan, und nicht nach dem, was sie geglaubt hätten! – Nein! so etwas mußt Du mir nicht aufhängen wollen. Ich weiß wohl, was Ihr in Deutschland Gutes und Böses habt; aufgeklärter seyd Ihr im Ganzen als wir; das muß wahr seyn; aber toleranter mitnichten!

Im Grunde konnte ich hierauf wenig antworten; der Negus hatte nicht so durchaus Unrecht. Zur Ehre meines Vaterlandes hätte ich wohl wünschen mögen, daß er weniger belesen in deutschen Büchern gewesen wäre, in welchen wir ewig über die Gebrechen unsrer Verfassung schreyen, ohne daß die, welche ihnen abhelfen könnten, desfalls mehr oder weniger thun. Von einer andern Seite aber war mir's doch lieb, daß diese Klagen Eindruck auf ihn gemacht hatten, weil ich hoffte, er würde dadurch aufmerksam auf die Mängel in seinen eignen Staaten werden.

Ich gab sogar hierzu nähere Gelegenheit, indem ich ihm bemerklich machte, wie sehr es noch in allen europäischen Ländern an Gesetzen fehlte, welche die moralische Verbesserung der Menschen zum Gegenstande hätten. »Dafür«, sagte ich, »wird so ziemlich gesorgt, daß das Eigenthum und das Leben der Bürger gesichert sey; aber in welchem Lande ist eine Strafe auf heimliche Verleumdung, auf Lügen, auf falsche Betheuerungen, auf offenbar verwahrlosete Kinder-Erziehung, auf Betrug und unvernünftiges Überfordern im Handel und Wandel, auf Verspottung des Schwachen, Verkleinerung des Rufs des Edeln, auf Einmischung in fremde Geschäfte gesetzt? Ja! wir haben einige Gesetze und bürgerliche Einrichtungen, die offenbar die heimlichen Übertretungen der Pflichten begünstigen. Ein armes Mädchen, welches das Unglück gehabt hat, einen einzigen Fehltritt zu begehen und schwanger zu werden, wird wirklich härter bestraft als eine offenbare Gassenhure, die man ertappt und die dasselbe Verbrechen täglich begeht. Durch diese Härte gegen verunglückte Mädchen und durch den Schimpf, womit sie und ihre unehliche Kinder belegt sind, befördern wir den Kindermord und bestrafen dann diesen auf die grausamste Art. Das Zeugnis eines Menschen, der das schändliche Handwerk eines Kupplers treibt oder von dem sich beweisen läßt, daß er ein Lügner oder sonst ein sittenloser, seinen Pflichten untreuer Mensch ist, gilt, wenn er einen Eid ablegt, vor Gericht ebensoviel als das Wort des Mannes von unbescholtnen Sitten.

Und bey allen diesen Gebrechen unsrer Staats-Verfassungen legt man noch in manchen Ländern den Leuten den Zwang auf, nicht auszuwandern zu dürfen. Es scheint so billig als möglich, daß man sich entweder den Verordnungen eines Landes unterwerfen oder dasselbe verlassen muß; grausam aber ist es, die Menschen zwingen zu wollen, da zu leben, wo sie nicht leben mögen, und sich Gesetzen zu unterwerfen, zu deren Bestimmung sie ihre Einwilligung nicht gegeben haben.«

Dem Könige mochte es wohl gefallen, daß ich, unparteyischer als mein Herr Vetter, das Gute und Mangelhafte in meinem Vaterlande mit gleicher Freymüthigkeit bekannte; endlich aber schien ihm doch mein Gespräch über diese ernsthafte Gegenstände lange Weile zu machen. – Und gestehen Sie es, liebe Leser! es geht Ihnen auch so! – Er beurlaubte mich also für heute; und da meine Unterredungen mit ihm in den folgenden Tagen nur den Plan zu meiner bevorstehenden Reise betrafen, so will ich Sie mit Erzählungen dieser unwichtigen Dinge nicht ferner ermüden.


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