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Aufruhr in Nubien.
Wirkung davon im abyssinischen Reiche.
Obgleich die willkürlichste, höchst tyrannische und drückendste Regierung in Abyssinien herrschte und allgemeines Verderbnis der Sitten täglich mehr Überhand nahm, so war es dem Negus doch unmöglich, den einmal angezündeten Funken von Freyheit im Denken und Reden gänzlich auszulöschen. So allgemein war denn auch wirklich die Corruption nicht, daß nicht, besonders in den Mittelständen und unter solchen Leuten, die bey Hofe nichts zu suchen hatten, noch Tugend, Weisheit und Gradheit geherrscht hätten. Brachte die übereilte Aufklärung in schiefen und aufbrausenden Köpfen verkehrte Wirkungen hervor, so gab sie doch auch in den besser organisierten Anlaß zu einer nützlichen Gärung, regte manche schlafende Kraft auf und erweckte auch wohl den echten Sinn für Wahrheit und Freyheit. Ich möchte wünschen, daß diejenigen, welche so geneigt sind, wegen des Mißbrauchs einer Sache die Sache selbst zu verwerfen, und die daher auch jetzt jede Anstalt zur Aufklärung verdächtig zu machen suchen, weil das Wort Aufklärung so oft mißverstanden wird und zur Firma schädlicher Zwecke dient; ich möchte doch wünschen, daß diese Leute recht wohl calculierten, ob es besser gethan sey, bey ausgemacht tödlichen und ansteckenden Krankheiten der Natur alles zu überlassen oder Mittel zu wählen, unter denen, wenn sie auch ein wenig gewagt sind, doch wohl Eines anschlagen kann und woran wenigstens kein Einziger stirbt, der nicht ohne dasselbe auch gestorben wäre oder einen siechen Körper behalten hätte.
Je strenger der Negus jedes kühne Wort, das gegen ihn ausgestoßen und ihm hinterbracht wurde, bestrafte, um desto größer (wie immer das Verbothene süßer schmeckt) wurde der Reiz, heimlich über die neue Regierung zu raisonnieren. Aber es war nicht bloß vom Raisonnieren die Rede, sondern das Elend, die Armuth, der Jammer der Völker rührten jedes gefühlvollen Mannes Herz und erzeugten den leisen Wunsch in ihm: möchte doch die Vorsehung Hilfe schicken! Er suchte dann unter dem Haufen einen Freund, dem er sich vertrauen konnte, dem, wie ihm, die allgemeine Noth des Landes die Seele erschütterte, und er fand bald einen solchen, da nach einem paar Jahren schon, außer dem glänzenden Pöbel, der in den Ringmauern des Palastes sein Wesen trieb, kein Mensch mit zufriedner, heitrer, froher und freyer Miene umherwandelte. Wenn dann zwey solcher Unzufriednen sich gegeneinander aufschlossen, dann stieß auch wohl Einer von ihnen das Wort heraus: Nein! das kann so nicht bleiben; es muß anders werden!
Die geheimen Verbindungen, welche seit einiger Zeit jeder Anführer einer Partey, jeder Erfinder eines Systems, jeder Reformator zu seinen Zwecken nützte, waren auch bey dieser Gelegenheit nicht unthätig. Man stiftete dergleichen, in welchen, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, kühne politische Grundsätze gepredigt und die Mitglieder mit Wärme und Enthusiasmus für Freyheit erfüllt wurden.
Der allgemeine Haß, der in allen Classen der Bürger gegen den corrumpierten Hof herrschte, erweckte einen sehr wohlthätigen Widerwillen gegen verderbte Sitten; und dieselben Menschen, welche bis dahin sich von dem allgemeinen Strome zu einem üppigen, wollüstigen und müßigen Leben hatten hinreißen lassen, suchten nun eine Ehre darin, eine Lebensart zu führen, die von jener abstach. Man sahe nun wieder, wenigstens äußerlich, Eifer für Keuschheit, Mäßigkeit, Simplicität und für alle gesellige Tugenden erwachen.
Bittre Spötter, die, ohne wahre Wärme für das Gute, nur jede Gelegenheit, etwas Witziges und Beißendes zu sagen, begierig ergriffen, schrieben Satyren auf den König, auf das Kebsweib und die Günstlinge. Man hört auf zu fürchten, was man einmal gewagt hat, in verächtlichem, burleskem Lichte anzusehen. Diese Spöttereyen liefen abschriftlich aus Hand in Hand und wurden endlich gar heimlich gedruckt. Einländische und auswärtige Dichter, Blätter-Schreiber, Maler und Kupferstecher wählten den abyssinischen Hof zum Gegenstande ihres Witzes. Bald circulierte eine ungeheure Menge solcher Pamphlete. Nun wollte die Regierung größern Ernst brauchen, Untersuchungen anstellen, ließ einen armen Pasquillanten einkerkern – das sicherste Mittel, das Übel ärger zu machen! Wer bis dahin noch nicht frey geschrieben, gelesen, geredet hatte, der fing jetzt erst an, und unter Menschen, die außerdem vielleicht geschworne Feinde waren, entstand eine stillschweigende Verabredung, sich einander nicht zu verrathen; die Buchhändler aber wurden reich dabey und sorgten für geheime Austheilung aller sogenannten rebellischen Schriften. Das Volk wurde immer kühner; der Minister Stilky fand auf seinem Schreibtische, unter den Suppliken, Schandschriften und Drohungen gegen ihn, und des Morgens prangten an den Thorpfeilern des Schloßhofs Pasquillen auf Se. Majestät.
Vielleicht hätte dennoch diese allgemeine Gärung weiter keine entscheidende Folgen gehabt, wenn nicht auf einmal die große Revolution, welche in Nubien anfing und vielleicht noch jetzt nicht gänzlich zu Stande gekommen ist, in Abyssinien eine Haupt-Catastrophe herbeygeführt hätte. Man wird sich erinnern, welche Schilderung ich im fünften und sechsten Kapitel des ersten Theils dieses Buchs von dem Despotismus in Nubien entworfen habe; die Völker seufzten dort alle unter dem abscheulichsten Drucke; aber noch war die Unzufriedenheit zu keinem thätlichen Ausbruche gekommen. Ein kleiner Umstand, dergleichen mehrentheils in dieser Welt die größern Begebenheiten zu erzeugen pflegt, reizte die Unterthanen des blödsinnigen Königs von Sennar zu einem Aufruhre gegen seine Statthalter. Man wählte verkehrte Mittel, um die Unruhen zu dämpfen, die dann bald weiter um sich griffen und sich den mehrsten nubischen monarchischen und republicanischen Staaten mittheilten. Der Pöbel, der keine Grenzen kennt, wenn er einmal die erste Linie überschritten hat, wurde nun in allen Reichen unbändig; Könige und Fürsten wurden aus ihren Ländern vertrieben, die Volks-Unterdrücker ermordet, Gefängnisse erbrochen, Paläste geschleift, Magazine geplündert, ganze Städte verwüstet. – Freylich gingen dabey fürchterliche Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten vor; aber an wem liegt denn die Schuld, wenn abscheuliche Mißbräuche verzweiflungsvolle Mittel unvermeidlich machen?
Die abyssinischen Zeitungen waren voll von den Erzählungen dieser Empörungen in Nubien, und so vorsichtig sie auch waren, dergleichen Unfug als verderblich, unglücklich und unerlaubt darzustellen, so machten doch diese Erzählungen dem abyssinischen Volke die Wahrheit einleuchtend: daß tausend vereinigte Menschen stärker sind als ein Einziger, und daß jene sich nur so lange von diesem mißhandeln zu lassen brauchen, als es ihnen beliebt. Diese an sich sehr einfache Wahrheit wurde jetzt laut und öffentlich gesagt und geschrieben.
Noch war der Zeitpunct da, wo der Negus alles hätte gut machen können, wenn er weise und redliche Rathgeber gehabt hätte; und sollten je ähnliche Scenen in einem europäischen Staate vorfallenVermuthlich hat Herr Noldmann dies vor dem Jahre 1787 geschrieben. , so möchte ich wünschen, daß die benachbarten Fürsten sich an diesen afrikanischen Begebenheiten spiegeln möchten, um bessere Maßregeln zu nehmen, als damals der Negus nahm. Ein ganzes Volk ist nicht so leicht zum Aufruhre geneigt, als man gewöhnlich glaubt. Jeder Einzelne liebt seine Ruhe, bauet, bey Revolutionen, nicht so ganz fest auf den Beystand des Nachbars, hofft noch immer auf bessere Zeiten. Viele sind dann auch durch Privat-Interesse an die jetzige Regierungsform geknüpft; sieht die Nation nur guten Willen von Seiten des Hofs und darf sich nur vergleichungsweise weniger gedrückt halten als das benachbarte Volk, so trägt sie mit Geduld das Joch, wenn dies Joch irgend ein wenig ausgefüttert, ausgepolstert ist. Nur dann, wenn die Unterthanen fast aller Classen, durch Tyranney aller Art, so aufs Äußerste gebracht sind, daß sie, deren Leben, Freyheit und Eigenthum ja ohnehin jeden Augenblick von der Willkür ihres Despoten abhängen, bey dem Aufruhre nichts mehr verlieren und alles gewinnen können, nur dann greifen sie zu diesem verzweifelten Mittel.
Hätte daher der Negus Deputierte aus allen Ständen versammelt und, ohne von seiner wahren Würde etwas zu vergeben noch kindische Furcht oder böses Gewissen zu verrathen, ihnen vorgestellt, sie sähen, welche schreckliche Unruhen in den benachbarten Ländern herrschten und wie nichts weniger als bessere Ordnung, sondern allgemeine Anarchie die Folgen der willkürlichen, gewaltsamen Schritte des großen Haufens wären; es sey aber billig, daß das Volk mit seinen Klagen über die Regierung gehört werde und daß man ihm Rechenschaft von der Staatsverwaltung ablege; der Fürst sey doch eigentlich nur der Vorsteher des Staats; es sey dies ein beschwerliches, gewiß weder angenehmes noch leicht zu verwaltendes Amt. Auch Er, der Negus, könnte vielleicht manches darin versehen; gern wollte er einem Würdigern den Platz auf dem Throne überlassen, auf welchem sich's wahrlich nicht so weich und ruhig sitzen ließe, als wohl mancher glaubte. Wollten sie aber fernerhin Zutrauen zu ihm fassen, so sey er bereit, allen billigen Beschwerden abzuhelfen und, gemeinschaftlich mit den Repräsentanten, Grundsätze zu bestimmen, nach welchen dann unabänderlich verfahren werden sollte u.s.w. – Ich sage, hätte er das gethan, so wäre alles gut gegangen.
Wenn doch nur die Fürsten weise genug seyn wollten, einzusehen, daß sie sichrer und unumschränkter ein Volk regieren können, das sich für frey hält, sich selber zu regieren glaubt, als einen Haufen immer unzufriedner, immer murrender Sclaven, denen man nie Rechenschaft gibt, sie nicht einmal dann, wenn man ihnen Gutes erweiset, genug würdigt, um ihnen die Ursache zu sagen, warum man es ihnen erweiset! Ein guter Fürst kann doch nur die Absicht haben, sein Volk glücklich zu sehen, von den weisesten, treuesten und besten Menschen umgeben und geliebt zu seyn und für sich und die Seinigen eine frohe, bequeme, auch wohl ein wenig glänzende Existenz zu haben. Das alles kann er ja erlangen, wie es der gute Vater Georg erlangt, und dennoch selbst den Gesetzen unterworfen seyn. Wo diese Gesetze regieren, diese Gesetze von der Nation selbst gegründet sind, der König aber nur die ausübende Macht hat, alles Gute und nichts Böses thun kann, da darf sich niemand an ihn halten, wenn nicht alles geht, wie es gehen sollte, und man wälzt nicht wie in unumschränkten Regierungen die Schuld von allem, was Schicksal, Zeit und Umstände herbeyführen, auf den, welcher sich als allmächtig ankündigt. Allein die kleinen Unter-Tyrannen, die sind es, welche den Fürsten solche verkehrte Begriffe einprägen. Sie fürchten, ihren Einfluß zu verlieren und von bessern Menschen aus dem Sattel gehoben zu werden, wenn ihr Herr einmal zu der Erkenntnis käme, daß sein und des Landes Interesse ein einziges und dasselbe ist.
Unser alberner Negus hatte für diese Wahrheiten keinen Sinn; auch sagte sie ihm niemand. Wie er sich betrug, davon will ich in den nächsten Blättern Bericht erstatten.