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IV. Kapitel.
Der Mystagoge.

Durch Bande der Dankbarkeit und der Bewunderung an den Großmeister gefesselt, beschloß Florian, sich noch einmal der Yogaschulung zu unterziehen. Der Großmeister, der ihn seines kindlichen Wesens halber liebgewonnen hatte, nahm sich seiner höchstpersönlich an, und Florian spielte als Lieblingsschüler eine erste Rolle in dem großen Chor der Adoranten und Adorantinnen, die den Erleuchteten umgaben.

Zunächst einmal besuchte Florian die Kurse der Geheimschule. Sodann las er – wenigstens gab er es vor – die zahlreichen Schriften des Großmeisters, in denen das ungeheure Wissen von den jenseitigen Welten aufgezeichnet ist. Wenn Florian etwa noch Zweifel gehegt hätte, so vergingen sie ihm, als er die Schwelle zu dieser unermeßlichen Kenntnis überschritt. Es war unmöglich, daß ein gewöhnlicher Mensch so viel zu erfinden oder gar Erfundenes in Übereinstimmung zu bringen vermochte wie der Großmeister, der die Unendlichkeit seiner Systeme mit spielender Beherrschung ordnete und von immer neuen Seiten nachschaffend anschaute.

Kein Wunder, daß Florian in täglichem, vertrautem Umgang mit dem Auserwählten trotz seines Anlesens sein Wissen, dessen Grundstock schon durch Magolimek und die Abende auf Schloß Ysenstein gelegt war, erweiterte und vertiefte. Hinzu kam, daß er aus Anstand allen Vorträgen des Großmeisters beiwohnen mußte. Auch sonst fischte er fleißig in Gesprächen mit erfahreneren Jüngern und Jüngerinnen, so daß er bald, in allen Satteln gerecht, einer der glänzendsten Diskussionsredner der Gemeinde wurde.

Denn nunmehr, wo er sich jeden Augenblick in die nebulösen Zwischenreiche der Jenseitigkeit zurückziehen konnte, schuf sich Florian, dessen Vokabular durch eine Menge nur den Allereingeweihtesten verständlichen Geheimworte bereichert war, eine so geschwollene Dialektik, daß selbst die an manche Dunkelheiten gewöhnten Hörer der Geheimschule seine gläsern unwirkliche, schon aus anderen Planen stammende Sprache bewunderten. Sein geniales Gesicht, seine fahrig-zackigen Gesten, die flammende Überzeugungskraft, die aus angeborener, schauspielerischer Selbsteitelkeit Sicherheit vorspiegelte, brachten ihn, zumal man den Großmeister, was sonst ganz selten geschah, täglich das Wort an ihn richten sah, in den Ruf, dessen größte Hoffnung, ja sogar sein Nachfahr zu sein. Sobald aber Florian das süße Gefühl hatte, wieder eine Rolle spielen zu können, wurde er ganz gesund, dachte nicht mehr an Virginia und Magolimek und war von unermüdlichem, fieberhaftem Betätigungsdrang. Das heißt wenn er auch für die Sache ständig unterwegs war, es kam selten etwas bei seinem Tun heraus, da er auf seinen Fahrten Pakete verlor, Aufträge vergaß und Zusammenkünfte verpaßte. Man nahm ihm das allerdings weiter nicht übel. Denn man war daran gewöhnt, daß die allzu intensive Beschäftigung mit den höheren Reichen die praktische Brauchbarkeit in umgekehrtem Verhältnis herabminderte. Entscheidend war und blieb der gute Wille, der reine Gedanke!

Um Ostern herum veranstaltete der Großmeister zur Erhebung der Gläubigen Spiele, die bestimmt waren, die antiken Mysterien zu neuem Leben zu erwecken. Gesprächsweise kam an den Tag, daß Florian sich schon früher mimisch betätigt hätte, und der Großmeister übertrug ihm eine führende Rolle, da sein Gesicht starke Bühnenwirksamkeit versprach. Zu aller, selbst zu des Großmeisters, als des Verfassers, Überraschung lernte Florian das umfangreiche, schwerverständliche Manuskript so schnell und sicher auswendig, daß niemand begriff, wie es möglich war, die seltsamen, orphisch dunklen Sätze rein inhaltlich zu bewältigen. Es war, als wüchsen Florian mit zunehmender Luftleere der Geistigkeit, wo anderen der Atem ausging, gerade im Gegenteil Flügel, so daß er sich in höheren Welten erst richtig daheim fühlte. Ohne Regieanweisungen führte er die Rolle Ahrimans mit so dämonischen Grimassen und hackend gespreizten Gesten durch, daß schon bei der Leseprobe Mitspielende und Zuhörer von Schauern gepackt wurden.

Bei der Aufführung am Gründonnerstag endlich sah Florian in weitem, goldgelbem Gewande und roter Kappe so verführerisch sündig aus, daß die bekannte Bildhauerin Charlotte Gerne bat, ihn modellieren zu dürfen. Florian sagte bereitwilligst zu. Geschmeichelt harrte er stundenlang in seiner anstrengenden, dämonischen Pose aus, bis die Künstlerin sie in den feuchten Ton gebannt hatte. Sie konnte sich nicht genug verwundern, daß Florian ohne Schwierigkeit tagtäglich, ungeachtet seiner verschiedenen Stimmungen, die gewünschte Stellung mit größter Genauigkeit wieder einnahm.

Sie fragte einmal: »Wie machen Sie das nur, Herr Windmacher? Die besten Berufsmodelle haben ihre schlimmen Tage. Sie sind immer auf der Höhe!«

»Wenn es weiter nichts ist! Ich kann Ihnen jede gewünschte Haltung in jedem Augenblick hinstellen. Das macht ja gerade Vergnügen! Wie langweilig wäre das Leben ohne Theater!«

Die Gerne lächelte.

Als das Bildwerk fertig war, wurde es in der Festhalle der Gemeinde ausgestellt und brachte der Künstlerin großen Erfolg. Aus Dankbarkeit stiftete sie Florian einen verkleinerten Abguß, der stets auf seinem Schreibtisch zwischen einer Photographie von Virginia und der des Großmeisters stand. In schwarzen Stunden der Niedergeschlagenheit genügte oft ein Blick auf die Statuette, um ihn durch die Erinnerung an seinen damaligen Ruhm aufzurichten.

Aus allen Ländern waren Angehörige der Bewegung herbeigeeilt, um die Mysterienspiele zu sehen. Florian wurde auf der Straße und im Hotel wiedererkannt und gefeiert. Er schien in Wahrheit die populärste Persönlichkeit nach dem Großmeister. Auf diese Weise erweiterte Florian den Kreis seiner Bekannten, der schon immer groß gewesen war, ins Ungeheuerliche.

Er konnte nachmals in keine fremde Stadt reisen, ohne daß er dort nicht sofort einen Bekannten oder mindestens einen Bekannten seiner Bekannten fand. Und diese Leute waren immer geistig oder gesellschaftlich Bevorzugte. Florian erhielt für die Ferien mehr Einladungen, als er annehmen konnte und wollte. Er bezahlte, um ein weiteres Beispiel für seine guten Verbindungen anzuführen, niemals ein Theaterbillett. Er kannte immer den Dichter, einen Schauspieler, eine Sängerin, den Regisseur oder endlich den Kapellmeister. Ebenso erhielt er zu allen Konzerten und sonstigen Veranstaltungen, auch den exklusivsten, die Eintrittskarten geschenkt. Es kostete ihn gewöhnlich nur einen telephonischen Anruf, den er im übrigen stets bei bekannten Besitzern eines solchen Apparates im Vorbeigehen erledigte.

Es konnte nicht ausbleiben, daß sich die Frauen an den in seinen Kreisen Berühmten herandrängten, zumal da Florian, namentlich auf der Bühne, mit Hilfe seiner sonorsten Stimmregister einen betont männlichen Eindruck hervorrief. Allein seine Verehrerinnen wurden zumeist bei näherer Bekanntschaft schnell enttäuscht. Dieser Mann, der als Ahriman von sündiger Männlichkeit förmlich knurrte, war im alltäglichen Leben ein sonniges Kind, das über seinem unwirklich vierdimensionalen Redestrom ganz die sehr dreidimensionalen Anforderungen seiner Verehrerinnen vergaß.

Denn Florian war noch immer viel zu stark von Erinnerungen an Virginia umlagert, als daß irgendeine Leidenschaft ihn hätte anrühren können.

Er führte, an Virginias Imago gebunden, mit dieser Imago ein Liebesleben abenteuerlichster Art. Er hatte es nach Lektüre altindischer Liebesbreviere zu einer Traumerotik gebracht, die an Raffinement jede Wirklichkeit in den Schatten stellte. Was waren alle Schalheiten der Fleischlichkeit gegen die Orgien der Phantasie, gegen die Buntheit seiner Tagträume, die sich mit zunehmender Einsicht in das geistige Leben ständig feiner, dünner, unwirklicher verstrickten!

Um diese Zeit befielen Florian, wahrscheinlich infolge astralischer Reperkussion, nie gekannte Empfindungen der Verbundenheit mit Heimatboden, Väterscholle und sogar Geburtshaus. Er, dessen Seele sich immer schweifend gern allem Fremden gesellte und sich auf ihre universelle Gelöstheit etwas zugute tat, wurde dadurch so gerührt, daß er beschloß, wieder einmal nach Reitzenau zu fahren, wo er lange nicht gewesen war.

Florian stand nunmehr im fünfundzwanzigsten Lebensjahr und ging in das fünfte Semester seines dritten Berufes. Allerdings sah er mit der mächtigen, kahlen Stirn, dem an den Schläfen völlig weißen Haar und den bleichen, verlittenen Gesichtszügen aus wie ein Vierziger. Die Großgrundbesitzer der Nachbarschaft, die den Verkehr des Ökonomierats ausmachten, spotteten über Florian als den mißratenen Sohn. Ihre Jungen waren in diesem Alter Gott sei Dank längst Offiziere, Referendare oder wiederum gutverheiratete Landwirte, wohingegen der junge Windmacher, wie man durch Bekannte, die viel in der Welt herumkamen, erfuhr, zwar in gewissen verstiegenen Kreisen eine führende Rolle spielen sollte, aber doch jedenfalls als halt- und zielloser Komödiant die Zeit vertat.

Als der Ökonomierat einmal in Florians Abwesenheit dessen Zimmer durchstöberte und neben zahlreichen okkulten Traktätchen, von denen er nicht einmal die Titel verstand, auch einige Bücher juristischen Inhalts vorfand, schloß er daraus, daß es mit Florians brieflich geschildertem Fleiß seine Richtigkeit habe, und ließ ihn gewähren. Er erzählte sogar, gestützt auf Florians lügenhafte Briefe, jedem, der es hören wollte, daß sein Sohn endlich in sich gegangen sei und demnächst sein juristisches Staatsexamen bestehen würde.

Trotz all dieser günstigen Umstände verflogen Florians Heimatgefühle dennoch schnell im Vaterhaus, das mit allen Dämonen des Ehezwistes und des Bluthasses vollgestopft war. Es herrschte in Reitzenau eine astralische Atmosphäre, die bedrückte und kein freies Vagabundieren im Ätherischen aufkommen ließ. Da er sich aber trotz ausgesprochener Begabung für ein rein beschauliches Dasein die nicht endenwollenden Wochen hindurch irgendwie beschäftigen mußte, unternahm er es, seine Mutter zu seinen Anschauungen zu bekehren, obwohl es nach der Lehre unstatthaft war, Proselyten zu machen.

Die Mutter, zermürbt vom Ehekrieg, gab sich vorbehaltlos der Heilsbotschaft, die Florian ihr erschloß, hin und erlangte so Frieden. Es fanden sich bald noch mehrere gleichgestimmte Seelen unter ihren Freundinnen. In Abwesenheit des Ökonomierats veranstaltete Florian auf Reitzenau, um gegen seine Überzeugung schneller zu überzeugen, Seancen, auf denen er unter ahrimanischen Grimassen und gräßlichen Gesten seine Kräfte dartat. Sein Können sprach sich bald herum. Wie immer, drängten sich namentlich Frauen heran. Auf ihre Bitten hielt Florian eine Reihe von Vorträgen, von denen die ländlich ungeschulten Hirne wahrscheinlich wenig genug verstanden, die ihm aber in der ganzen Gegend den Ruf eines Eingeweihten, eines hervorragenden Redners und allmächtigen Magiers eintrugen.

Der Ökonomierat erfuhr naturgemäß allmählich, welcher Tätigkeit sich sein Sohn neuerlich befliß. Er polterte über den Hokuspokus, ließ sich dann aber gelegentlich eines Rheumatismusanfalls, den Florian durch Handauflegen vertrieb, zumindest von des Sohnes magnetischen Heilkräften überzeugen und duldete danach wenigstens seine und der Mutter Betriebsamkeit. Denn wenn ihm auch als tätigem Manne der Praxis alles nicht Greifbare und alles Schwelgen in mystischen Zuständen verhaßt war, so schmeichelten Florians erste Erfolge in der Nachbarschaft dennoch seinem schon oft enttäuschten Vaterstolz.

Einmal kam es zu einer denkwürdigen Unterredung zwischen den beiden. Der Vater fragte: »Versäumst du denn über der okkulten Propaganda nicht die Vorbereitung zum Examen?«

»Ist dir nicht bekannt, daß selbst Unbegabte mit Hilfe der Repetitoren das juristische Examen in zwei Semestern bewältigen? Ich glaube bestimmt, daß ich es vermittels meines phänomenalen Gedächtnisses bequem in einigen Wochen schaffen könnte.«

»Ich glaube schon, daß du nicht unbegabt bist. Ich wünschte nur, du hättest erst dein Examen!«

»Du kennst meine Energie nicht. Du hast mich nie arbeiten sehen. Ich versichere dir, wenn ich mich erst einmal zu etwas entschlossen habe, sitze ich jeden Tag zehn bis zwölf Stunden in intensivster Denkarbeit am Schreibtisch.«

»Ich wollte nur, du entschlössest dich endlich,« seufzte der Alte, »damit du nachgerade einen Beruf ergreifen könntest.«

»Ganz offen gesagt, muß ich dir gestehen, daß alle kompetenten Beurteiler bedauern, daß ich nicht eine Dozentur für Philosophie anstrebe. Meine profunden Studien in der Metaphysik, meine Spezialbegabung für Logik und Phänomenologie würden mich dazu prädestinieren.«

Der Ökonomierat machte große Augen, da er nicht mehr zu folgen vermochte. Florian, der diese Wirkung beobachtet hatte, fuhr bombastischeres Geschütz auf: »Meine Konnexionen in der okkulten Bewegung würden mich, wenn ich mich habilitierte, meinetwegen für Ethik oder systematische Anthropologie, instand setzen, jederzeit vor einem Forum von größter Importanz, vor der spirituellen Elite Europas zu sprechen. Ich würde mir mit leichter Mühe Resonanz durch ganze Kontinente verschaffen. Überhaupt wissen alle Initiierten, daß das Weltenjahr der Geistesverfinsterung abgelaufen ist, daß die Zeit der Intuition an Stelle des Materialismus und des Kritizismus wieder gekommen ist. Es würde eine heroische Tat sein, wenn endlich einmal Menschheitsgeschichte oder überhaupt Wissenschaft vom okkulten Standpunkt aus betrieben würde!«

Der Vater entnahm aus alledem nur, daß Florian einem möglichen Mißerfolg oder einem erneuten Abschwenken vorbauen wollte. »Das ist alles ganz gut und schön und, soweit ich es verstanden habe, vielleicht deiner Ansicht nach richtig. Aber davon wird doch niemand satt! Daß du dermaleinst nicht zu hungern brauchst, dafür ist, wie du weißt, dank der Tüchtigkeit deines alten Vaters gesorgt. Aber dennoch muß ich als der Erfahrenere darauf bestehen, daß du nicht als Tagedieb das Gut deiner Väter verschleuderst! Du gehst in dein sechsundzwanzigstes Jahr, und wenn du nunmehr wieder einen neuen Beruf versuchst, so wirst du dreißig Jahre alt, ehe du einen Pfennig Geld verdienst. Wie ich so alt war, hatte ich das eingebrachte Vermögen deiner Mutter bereits verdoppelt! Nimm dir daran ein Beispiel und bleib bei der Stange!«

Florian langweilte dies Gespräch unsäglich. Es war kein Vergnügen, die Plattheiten des Alten anzuhören. Dennoch wollte er aus Höflichkeit antworten, obwohl er die Zwecklosigkeit seines Unterfangens von vornherein einsah. Das Gespräch würde wie immer mit einer wüsten Schimpferei des Hitzköpfigen endigen. Gerade als er den Mund öffnen wollte, kam ihm der Vater zuvor: »Ich meine, du hättest dir das mit der Privatdozentur – wenn ich dich recht verstehe, hast du doch von dieser brotlosen Laufbahn gesprochen – eher überlegen sollen. Ich will nicht behaupten, daß du ungeeignet dafür wärest. Du hast viel gelesen und verstehst deine Worte immer anders als andere Leute zu setzen. Auch deine Vorträge, die du hierherum gehalten hast, hat man mir gelobt. Ein guter Jurist wirst du niemals werden, weil du zu weltfremd bist, und ein guter Verwaltungsbeamter erst recht nicht, weil du Mutters verdammte Fahrigkeit geerbt hast. Aber was sollen die Leute – –«

Hier setzte Florian, der die Blöße, die sich der Alte gab, gewandt ausnutzte, ein: »Siehst du, du gibst selbst zu, daß es mit der Juristenlaufbahn nichts für mich ist. Warum willst du mich also zu etwas zwingen, wozu ich nach deinem eigenen Urteil ungeeignet bin? Im übrigen, was gehen uns die Leute an? Du sagtest selbst, daß ich mir dank deiner von niemand bezweifelten Tüchtigkeit keine materiellen Sorgen zu machen brauche. Also – –«

Wütend, von seinem überlegenen Sohn in die Falle gelockt zu sein, wußte sich der Ökonomierat nicht anders zu helfen, als indem er mit der Faust auf den Tisch hieb, daß die Kristallgläser auf der Kredenz klangen. »Also? Gar nichts also, verstehst du! Ich verlange klipp und klar von dir, daß du in kürzester Frist dein Examen ablegst und endlich wie jeder vernünftige, gutgeartete Sohn einen bürgerlichen Beruf ergreifst!«

Florian stand auf und schaute aus dem Fenster. Der Vater wollte fortfahren zu poltern, besann sich aber und machte sich Luft, indem er das Zimmer verließ und die Tür zuknallte.

Sein Sohn aber lächelte fein. Dies Gespräch war immerhin die erste Bresche, die er dank dem taktischen Fehler des Erzeugers in die Mauer der Juristenlaufbahn gelegt hatte. Er dachte nicht daran, sich die Schwingen seines Geistes, der längst höchsten Flug gewöhnt war, durch die Fron eines langweiligen Examens und eines noch langweiligeren Berufes stutzen zu lassen.

Rührig warf er sich auf die Durchorganisierung des von ihm in diesen wahrhaft fruchtbaren Ferien Geschaffenen. Er gründete in der nahegelegenen Stadt ein Miniaturgrüppchen des Weltverbandes der Erleuchteten, er warb auf dem platten Lande Abonnenten für das okkulte Blättchen, ließ sämtliche Geheimtraktate kommen und erhielt, wieder in Berlin, für seine Tätigkeit ein Lob des Großmeisters, das süßer war denn alle bürgerlichen Erfolge.

Kurz entschlossen ließ er sich zu Anfang dieses seines fünften Semesters von der juristischen in die philosophische Fakultät umschreiben. Es war nur eine Formalität. Denn in Wirklichkeit hatte er schon als Jurist ausschließlich philosophische, kunsthistorische und literarische Vorlesungen gehört.

Er war sich keinen Augenblick bewußt, daß dieser schnelle Wechsel nur eine überkappte Flucht vor der Examensarbeit darstellte. Seiner schweifenden Seele wäre es zu dieser Zeit unmöglich gewesen, sich auf einen äußerlichen Zweck hin zusammenzureißen. So scharf er dachte, wenn es sich um okkulte Probleme handelte, so unermeßliche Quantitäten sein Gedächtnis bewältigte, wenn es galt, ihm genehme Materien zu bergen, so völlig versagte er in diesseitigen Dingen.

Indem er das Unangenehme naiv weiter hinausschob, schmiedete er sich voll kindlicher Freude nunmehr seinen vierten Lebensplan. Man hatte ihm von seinen juristischen Semestern zwei angerechnet, da er nachweisen konnte, daß er sich bereits an allen möglichen Übungen metaphysischer und psychologischer Art beteiligt hätte. Er würde demnach nur noch vier weitere Semester zu studieren haben, um alsdann an einer möglichst kleinen Universität mit Leichtigkeit zum Doktor promoviert zu werden. Damit würde sich der Vater aller Wahrscheinlichkeit nach zufriedengeben. Alsdann gedachte Florian, gemächlich auf die Dozentur loszusteuern und das Gebäude der gesamten Wissenschaft zu erschüttern, indem er endlich einmal die Verblendung, die Trugschlüsse und die Stümperei der durch und durch von Ahriman besessenen Materialisten, Psychologaster und Kritikaster vom okkulten Standpunkt aus geißelte.

Diesen neuen, vierten Lebensplan, dessen Ausarbeitung Florian mit innerer Ruhe erfüllte, verkündete er seinen unzähligen Bekannten und erntete schon jetzt für ungetane Taten Anerkennung auf Vorschuß. Alle erblickten in Florian die größte Hoffnung der Bewegung. Sollte doch der Großmeister selbst gelegentlich bemerkt haben, Florian wäre vielleicht erkoren, die offizielle Wissenschaft dermaleinst mit der Geheimlehre zu durchdringen und zu versöhnen.

Florian setzte, nachdem er seine Segel mit neuem Wind gefüllt hatte, sein gewohntes Leben fort. Er hielt vor allem fleißig seine Meditationen inne. Wenn es ihm auch noch immer nicht gelingen wollte, die Schwelle des Übersinnlichen zu passieren – die neue Schulung war eben eine behutsame und darum langwierige –, so hatte er dennoch bereits Gesichte jenseitiger Art. Wenn er in Form war, erblickte er wieder seinen eigenen Ätherleib wie auch den anderer Menschen, Tiere und Pflanzen. Ließ er des Nachts die Fenster offen, so wurde er in den Stunden zwischen zwölf und zwei oft von Dämonen, Mondkobolden und Astralleichnamen heimgesucht. Er erzählte überall, daß, als er eines Nachts erwachte, auf seinem Arm ein riesiger Vogel saß. Er merkte sofort, daß es kein irdischer, sondern ein astralischer Vogel wäre. Daher fürchtete er sich nicht, sondern streichelte das Tier, das zutraulich stillhielt. Bald darauf jedoch erwies er sich als recht undankbar. Da jagte Florian es fort und betrachtete ärgerlich den Ärmel seines Nachtgewandes. Allein so scharf er auch hinschaute, da war nichts.

Vor allem aber hatte er vor dem Einschlafen häufig Farbvisionen berauschender Art. Landschaften von unermeßlicher Weite und unerhört bunter Pracht tauchten auf. Oder auch es kreisten wie früher geometrische Figuren in unwirklich leuchtenden Tönen durcheinander. Denn die Farben der Astralwelt sind ungleich zarter als die des physischen Planes, nicht Wiederzugeben mit irdischen Mitteln, allein vergleichbar den weichen Tönen des Abendhimmels und des opalisierenden Meeres.

War Florian bisweilen niedergeschlagen, daß sich das große Ereignis seiner Erweckung und damit die Entwicklung seiner hellseherisches Fähigkeiten immer noch hinauszögerte, so tröstete ihn ein Wort des Großmeisters. Er hatte nunmehr zu jeder Zeit die tiefinnerliche Gewißheit, daß er in rechter Hand war. Was spielte im übrigen die physische Zeit bei psychischem Geschehen für eine Rolle! Vor dem Hellseher waren Jahrtausende wie eine Sekunde und ein Augenblick wie ein Jahrtausend!

*

Als er in diesen Tagen – es war am 21. November – in einem Künstlercafé am Kurfürstendamm saß, glaubte er plötzlich die große Stunde gekommen! Es trat nämlich ein älterer Mann mit langem, silbernem Haar herein. Sein Gesicht fesselte Florian, schon weil es wie das des Großmeisters gütig, voll himmlischen Lächelns und nicht von dieser Welt war. In der Tür nun zog der Unbekannte einen Kalabreser vom Kopf, und siehe! In demselben Augenblick erschaute Florian über dem eindrucksvollen Haupt mit dem wallenden Haar eine Aura wie auf den Heiligenbildern der Trecentisten, in der sich unirdisch hellblaue mit goldenen Farbtönen auf sondere Weise mischten.

Florian wußte nicht, war er durch Gnade plötzlich hellsehend geworden? Oder bedeutete alles nur eine Spiegelung seiner überreizten Augennerven? Eine Sekunde lang befürchtete er, daß die schrecklichen Wahnzustände aus der Magolimekzeit wieder beginnen würden. Erst als der Fremde, der sich an einem Tisch ihm gegenüber niederließ, ihn mit seinen unendlich klaren, trotz seines Alters jugendlich frohen Augen anschaute, schöpfte Florian Mut. Aus eigener Unsicherheit machte er wie gewöhnlich seinen Geierblick dräuend, was dem Unbekannten ein zugleich mildes und trauriges Lächeln entlockte.

Unwiderstehlich angezogen von der goldblauen Aura, die unverrückt zu Häupten des Unbekannten mitten im Tabaksdunst des Raumes schwebte, ging Florian, ohne sich Rechenschaft abzulegen von dem, was er tat, an jenen Tisch heran und setzte sich auf einen Wink des Fremden an seine Seite.

Darauf sprach der Unbekannte mit wohllautender, klingender Stimme: »Ich lese aus Ihrer erschrockenen Miene, daß Sie ein Chela sind, der soeben das erste hellseherische Erlebnis hatte. Wahrscheinlich ist Ihnen meine Aura erschienen. Aber Sie werden sich nicht fürchten, da Sie ohne Zweifel wissen, was meine Farben zu bedeuten haben!«

Florian, dem vor dieser Durchdringung bang wurde, fragte unhöflich hastig: »Wer sind Sie? Wie können Sie das wissen?«

»Ich bin Jakob Beatus!«

Florians Herz, von aller Angst befreit, schlug stürmisch vor Freude. Der gütige Engel, der alle seine Wege leitete, hatte ihn just in die Hände eines Mannes geführt, dessen Name bei ihm in höchsten Ehren stand. Jakob Beatus war der erste und letzte große Kunsthandwerker des Jahrhunderts und zugleich einer der weisesten Mystiker seiner Zeit. Ein Künstler, dessen verehrter Name auf ewig mit dem des Großen Feierlichen verbunden bleiben wird, weil er wie die in Gott geduldigen Illuminatoren des Mittelalters die erzenen Verse des gestrengen Dichters in das einzig würdige Gewand der seltsamen Lettern und des gotischen Zierats gekleidet hat.

Florian neigte sein Haupt in stummer, glückseliger Ergebenheit. Kindlich und devot, wie er war, hätte er, ohne zu zögern, das Schicksal des Restes seiner Tage jederzeit in die Macht dieses Sehers gegeben, der im Rufe stand, uralter Weisheit Walter und Meister zu sein.

Beatus sah Florians weihevolle Ergriffenheit und lächelte, in Milde strafend: »Mein junger Freund, Sie sollten mehr an Ihr Kamaloca denken! Als ich, von einer Verabredung gezwungen, wahrscheinlicher aber von unserem Karma geleitet, das Café betrat, verletzten mich die Ausdünstungen der vielen Menschen, die mir das Atmen vergiften, die gemeinen Gesichter, die rohen Reden und die lauten Stimmen. Und mein Auge, angewidert von den Auren der anderen, aus deren gelbbraunen Tönen Völlerei und Unzucht sich spreizen, rettete sich in die Ihre, die neben dem Gelbbraun das unsäglich keusche Blau des Fra Angelico und darüber eine schwache silberne Wolke, das Zeichen der großen Eingeweihten, aufweist. Pflegen Sie mir die silberne Wolke, mein junger Freund! Wenn ich die Augen schließe und in mich blicke, schaue ich Krankheit und Zerfallenheit des Ichs! Hüten Sie sich vor der Finsternis des Geistes!«

Erblassend, daß er hüllenlos ausgeliefert war, berichtete Florian dem gütig Lauschenden sein okkultes Irren und seine Rettung durch den Großmeister. Beatus ehrte den Großmeister, wenngleich er der Ansicht war, daß jener die Urweisheit des Ostens für das Verständnis abendländischer Geister umgebogen und somit ihrer anfänglichen Meinung ein wenig entkleidet hätte. Er befehdete ihn nicht, aber er rechtete mit ihm.

Florian vernahm erstmalig aus dem Munde eines Gleichen kritische Worte über den für ihn Unanfechtbaren. Dennoch hielt er auch im Gespräch dem Retter seiner Seele die Treue. Beatus spürte wohl, was in des Chela Geiste vorging, ließ ihn aber mit indischer Duldsamkeit gewähren. Er verkündete in seiner einzigartig bildnerischen Sprache die tausendjährige Lehre der Veden, verknüpfte sie mit Formeln letzten Kunstschaffens und eröffnete Florian, der beglückt aufhorchte, neue Reiche der Durchdringung des Lebens mit der Geheimlehre.

Endlich unterbrach er sich: »Sie sehen, mein junger Freund, es führen viel Wege in das Nirwana! Doch jetzt muß ich Sie bitten, mich zu verlassen. Denn eben tritt derjenige durch die Tür, um dessentwillen ich hierhergekommen bin. Ich wußte, daß ich ihn hier treffen würde. Es ist ein Unreiner, und ich lasse ungern die Luft in meinen Räumen durch Unwürdige verdumpfen.«

An Gehorsam gewöhnt, erhob sich Florian trotz seines sehnsüchtigen Schmerzes darüber, daß ein abgründiges Gespräch, welches ihn wie selten noch der materiellen Welt entrückt hatte, enden sollte. Zugleich peinigte ihn ein Gefühl der Beschämung, daß ihn der Meister des fürderen Umgangs augenscheinlich nicht für würdig erachtete. Zu fragen und zu bitten getraute er sich aus Devotion nicht. Aber er wußte, durch alle seine Tage würde nunmehr die Erinnerung an das friedevolle Antlitz, das gütige Lächeln und die reinen, starken Augen gehen, die Sehnsucht nach der weihevollen Stimme klingen.

Beatus reichte ihm lächelnd die weiche, weiße Hand, auf deren Zeigefinger ein Topas, in einen mächtigen, goldenen Ring gefaßt, schimmerte, wie ihn Kirchenfürsten der Renaissance zu tragen pflegten. »Wir sehen uns wieder, mein junger Freund! Unser Karma will es so!«

Florian verließ sofort das Café, weil er mit diesem Erlebnis allein sein wollte. Er irrte durch die Straßen, wie Parsifal, gepeinigt von Reue, daß er verbannt war, weil er nicht zu fragen wagte.

*

Von jeher hatte Florian es aus rätselhafter, schweifender Getriebenheit, deren Ursache er niemals ergründen konnte, schlecht vertragen, allein zu sein. Die Unbehaglichkeit mit sich selbst ließ ihn immer auf der Suche nach Abenteuer, Anregung, Selbstübertäubung herumstreichen. Vielleicht war dieses auch der tiefste Grund dafür, daß er nie ein Buch zu Ende las. Er hielt es einfach nicht so lange in seiner eigenen Gesellschaft aus.

Der Vormittag war zumeist mit einigen Vorlesungen glücklich untergebracht. Für den Nachmittag hatte er jederzeit eine Auswahl von Einladungen. Häufig pilgerte er zwischen fünf und sieben von Teegesellschaft zu Teegesellschaft, wenn nämlich an der ersten Stelle seine Erwartungen auf interessante Menschen oder auf ein gutes Gespräch enttäuscht wurden. Wobei Florian unter interessanten Menschen solche verstand, von denen er mühelos lernen oder sonst einen Vorteil haben konnte, und unter gutem Gespräch eines, in dem er die führende Rolle mit entsprechenden Gesten spielen konnte.

Auf diesen Tees pflegte er gewandt und hellhörig diejenigen Kenntnisse zusammenzufischen, deren er benötigte, um in jeder hauptstädtischen Unterhaltung zu bestehen. Denn irgend jemand hatte immer das neueste Buch gewissenhaft durchgelesen oder die letzte Premiere gesehen und ließ sich von Florian, der größte Aufmerksamkeit an den Tag legte, bereitwilligst ausplündern. Die Naiveren waren sogar noch dankbar, weil ein so bedeutend aussehender Mensch, der dominierte, indem er tiefe Dinge sagte, ihnen Gelegenheit gab, zeitweilig im allgemeinen Gespräch hervorzutreten.

Wenn Florian die Fracht von mehreren solcher Raubfahrten in den Hafen seines Gedächtnisses heimgeschafft hatte, lachte er sich oft ins Fäustchen. Er sparte auf diese Weise Geld, Zeit und Mühe. Außerdem hielt er dafür, daß ihn diese von Fremden erarbeiteten oder erlebten Ansichten, die er ohne Skrupeln in eigene Regie übernahm, weniger der eigentlichen Aufgabe seines Geistes, der Höherentwicklung auf jenseitigere Plane, entzögen.

Unbedenklich wirtschaftete er dann an anderer Stelle, wo er seines Publikums sicher war, mit dem fremden Geistesgut, nachdem er ihm nur die Prägung seiner bombastisch schwerverständlichen Rhetorik gegeben hatte.

Als er wieder einmal etwas außer Atem die fünf Treppen, die zum Atelier der Bildhauerin Gerne führten, hinaufstieg, spürte er mit den feinen Fühlern seiner ahnungsvollen Seele, daß ihm heute Besonderes widerfahren müßte.

Als er eintrat, saßen auf dem blutroten Teppich, der eine Seitennische des weiten Raumes bedeckte, auf Kissen im Buddhasitz die Geladenen. Das Teegeschirr aber stand in der Mitte eines weißen Felles auf einem niedrigen, japanischen Tischchen. Florian wurde vorgestellt, begrüßte seine Bekannten, ließ sich ebenfalls im heiligen Sitz nieder und betrachtete zunächst einmal genau die Beine der anwesenden Damen. Zu den schönsten gehörte, wie er sodann zu süßem Schreck feststellte, ein dunkles, herrisches Gesicht, eine zwar kleine, aber kühngebogene Nase und volle Schultern. Wie in einem Telephonschrank bei Herstellung einer bestimmten Verbindung die zugehörige Klappe fällt, so stellte sich in Florians Hirn bei diesem Anblick die Assoziation Virginia ein. Aller Schmerz, aber auch alle schlecht vergrabene Sehnsucht erwachte wieder. Unerhörte Wallungen von ihm zu der Unbekannten hin stellten sich ein. Noch ehe sie den Mund aufgetan hatte, wußte er aus magnetischem Rapport, daß sie Amerikanerin sein mußte. Außer sich vor Unruhe, wartete er nun auf ein Stichwort, um in die Unterhaltung einzugreifen und wie ein Ritter vor der Dame auf dem Flügelroß seines Geistes Lanzen zu brechen.

Man sprach über die neue Kunst, die damals den Impressionismus abzulösen begann. Der Maler Maretzki focht verzweifelt für die von den Jüngsten aufgegebene Kunst. »Da schelten sie den Impressionismus roh und materialistisch. Als ob nicht er und gerade er die Kunstmittel zu höchster Empfindlichkeit und Beherrschung gesteigert hätte! Wo gab es vorher diese Sensibilität der Palette? Geht mir mit euren Niggerplastiken und quatschigen Verrenkungen, den Irrenkritzeleien und geometrischen Konstruktionen, die jeder Kitschierer, selbst wenn er gar nichts gelernt hat, nachäffen kann!«

Da erwiderte die junge Dame, die Florian aufgefallen war, mit schöner, dunkler Stimme und mit – natürlich! – autoritativ näselndem, amerikanischem Akzent: »Ich weiß doch nicht, verzeihen Sie, was die vielgerühmte Sensibilität der impressionistischen Nerven mit der seelischen Durchdringung der neuen Kunst zu tun hat. Impressionismus ist die passive Kunstäußerung einer im Materiellen erschlafften Zeit. In der Ausdruckskunst dagegen kündet sich eine Epoche der geistig-moralischen und vielleicht sogar sozialen Umwälzungen an. Von jeher waren es die Künstler, die vorahnend ihre Fühler in das Werden steckten!«

Höchst erstaunt horchte Florian auf. Er schaute Charlotte Gerne fragend an. Sie nickte. Also war die Dame auch von der Bewegung! Wie kam es nur, daß er sie noch nicht kannte? Aus ihren Worten sprach eine bewundernswerte Verwandtschaft ihrer Geister. Um sie für sich einzunehmen, beschloß er, ihr mit kräftigem Vorstoß zu sekundieren. Als Waffe bediente er sich des frisch gestohlenen Urteils des bekannten Kritikers Gußeisen, den er gestern auf einer Gesellschaft getroffen hatte. Die Mundwinkel gespannt, mit männlichster Stimme, harter Geste und überzeugender Sicherheit trug er vor: »Ich muß Ihnen, mein gnädiges Fräulein, völlig recht geben. Gleich wie zur Zeit der Gotik, mit der im übrigen die neue Bewegung die mannigfachsten Relationen hat, die in Banden liegende Seele hinauf zum Höchsten rang, wenn auch in Verzerrung und Verfädelung im Detail, so haben wir in der Ausdruckskunst die Revolution gegen das Wühlen im Kot, wie Nietzsche sagen würde, das Aufjauchzen der entmaterialisierten Zeitseele zum Wesen aller Wesenheiten. Es ist, als hätte die Schaffenden ein ungeheurer Ekel vor dem Objekt gefaßt, als rebellierten sie gegen die Maya, um durch die Hülle des Empirischen zum Ding an sich, zum Transzendenten vorzudringen und es wie im Krampf der Inbrunst, wenn auch noch stammelnd und mit unzulänglichen, diesseitigen Mitteln, darzustellen. Ich bin überzeugt, daß es mit der Zeit gelingen wird, für die heute noch in der Diaspora Ringenden, wenn dereinst unsere Augen nicht mehr vom Materialismus getrübt sind, den generellen Maßstab, die kritische Sonde zu finden, die über die nicht zu leugnende Abstrusität und Variabilität der momentanen Kunstäußerung hinweg die Einheit des absoluten Kriteriums schafft. Wenn Sie, Maretzki, dem Laien ein Kunsturteil gestatten wollen, so möchte ich Ihnen folgendes erwidern: Jene, wie Sie sagen, rohen Negerplastiken erscheinen dem okkult geschulten Blick jedenfalls als unmittelbarere Objektivierung des Transzendenten denn alle flimmernden Nuancierungen der Palette eines Monet. Die Welt ist des Gegenständlichen müde! Durch die vornehmsten Geister geht der Schrei nach dem Verharren, nach dem Absoluten!«

Alle hingen an Florians Worten. Manche hatten nicht viel davon verstanden, wenngleich sie sich wohl hüteten, zu fragen. Man bewunderte die Leichtigkeit, mit der dieser genial aussehende Mensch im orphischen Dunkel seiner Sätze so schwierige Dinge anscheinend spielend meisterte. Florian, seines Eindrucks gewiß, hüllte sich in Schweigen. Er hatte einen Blick der Dame, die Virginia so überraschend ähnelte, aufgefangen und verstand, daß er gefiel.

Später fügte es sich wie von selbst, daß er Miß Ethel Miller heimgeleitete. Sie erzählte, daß sie von deutschen Eltern stammte. Ihr Vater, der in Baltimore lebte, hatte seinen Namen aus Opportunitätsgründen amerikanisiert. Sie selbst war Malerin und seit Jahren, durch das Beispiel einer älteren Freundin bewogen, in der Baltimorer Ortsgruppe der Bewegung. Sie hatte Berlin ausgesucht, um den Großmeister persönlich zu hören und um in allen europäischen Hauptstädten den Expressionismus zu studieren, für den man in eingeweihten Kreisen Amerikas großes Interesse hegte. Sie wohnte, wie Florian zu seiner Befriedigung feststellte, in einer vornehmen Pension am Kurfürstendamm. Also war trotz des etwas plebejischen Namens augenscheinlich viel Geld und dadurch adelnde Kultur in der Familie.

Als Ethel sich an der Gittertür von ihm verabschiedete, sagte sie in der freimütigen Art der Amerikanerinnen, die Florian aus tiefsten Quellen seines Kindmannwesens liebte: »Wollen Sie nicht morgen auf mein Atelier kommen? Es liegt ganz in der Nähe. Sie gefallen mir. Ich möchte Sie malen! Sie sind ein wundervolles Porträt!«

Geschmeichelt und beglückt, daß sich alles so schnell ergab, sagte Florian zu. Die Sitzungen nahmen ihren Anfang, und Florian wanderte täglich in die Straße, wo das Atelier sich befand. Er ahnte, ja er wußte, daß diese rauschhafte Spannung, die ihn in Ethels Gegenwart überkam, verderblich werden mußte. Er kannte und fürchtete die amerikanische Frau seit seinem Erlebnis mit Virginia. Aber wie ein Lasterhafter immer weiter, immer verstrickender dem Laster frönen muß, das ihn beherrscht, so wartete Florian sein Leben lang auf diese herrischen, verwöhnten, launischen Wesen, die ihm von einem grausamen Karma zu seiner Qual vorherbestimmt waren. Die unverfrorene Sicherheit, die alle Angehörigen dieses Menschenschlages, namentlich aber die von den Männern verhätschelten Frauen, auszeichnet, zog Florians auseinandergelaufenes, verschweiftes, jeden Augenblick höchst unsicheres Ich magisch an. Wie ein Vampir entnahm er fremder Unverfrorenheit eigene Ganzheit und lebte schmarotzend, unangefochten vor sich und anderen, solange die Kraftquelle der Liaison währte. –

Bei den Sitzungen forderte Ethel Florian auf, zu sprechen, weil seine scharfen Züge dadurch beseelter würden. Florian schöpfte also aus dem Born seines angelesenen und angehörten Wissens und fand in der jungen Malerin eine kluge Zuhörerin, vor der er sehr auf der Hut sein mußte, um nicht auf Widersprüchen und Ungenauigkeiten ertappt zu werden.

Und – wie ein bedeutender Zeitgenosse sagt – alles kam, wie es kommen mußte: Florians Gefühle loderten bald so stark, daß sie schließlich auch auf Ethel übersprangen. Da er, obschon sie jünger war als er, eine große Scheu vor ihrer überlegenen Sicherheit empfand, dauerte es dennoch eine gute Weile, bis er Erklärungen und Zärtlichkeiten wagte. Ethel wehrte anfangs ab, ließ es dann aber unter einem Strom von Tränen geschehen. Florian erschrak! War Ethel hysterisch?

Der Einfachheit halber zog er am nächsten Monatsersten in Ethels Pension, die allerdings sehr teuer war. Er tröstete sich damit, daß er unschwer unter irgendeinem Vorwand mehr Geld als bisher vom Alten herausschlagen könnte.

Am liebsten hätte Florian Wand an Wand mit der Geliebten gewohnt. Allein Ethels amerikanische Sittsamkeit und nicht zuletzt eigene praktische Erwägungen des elementarsten Wohlbefindens hielten ihn dann doch davon zurück.

Durch sein Leiden um Virginia belehrt und gewitzigt, war er wohl auf der Hut. Auch hatte er geschworen, sich niemals wieder so zu verausgaben, daß er am Ende als ein Bettler dastand. Aber obwohl er all seine Unarten und Unsauberkeiten nach Möglichkeit in Ethels Gegenwart unterdrückte, fanden sich ungeahnt neue Anlässe zu Reibereien. Ethel war von einer Reizbarkeit ohnegleichen. Die geringste, wenn auch noch so vorsichtige Kritik an einem ihrer Bilder oder auch an ihrer Kleidung genügte, daß sie in Tränen ausbrach. Oft glaubte Florian unter der selbstverständlichen Sicherheit die Minderwertigkeitsgefühle geradezu hellseherisch wahrnehmen zu können.

Außerdem deuchte es ihn höchst unbequem, daß Ethel von früh bis spät arbeitete, unter dem Vorwand, wie Florian das wütend nannte, sie müsse jede Stunde des Tageslichts ausnützen. Er hingegen liebte die Beschaulichkeit. Wußte er doch aus okkulten Quellenschriften, daß aller Eifer, alles hastige Streben nicht das langsame, köstliche Keimen der Gnade ersetzen kann. Er hatte Ethel im Verdacht, daß sie nur, um heimliche Minderwertigkeitsgefühle übertäuben zu können, so gewissenhaft arbeitete. Sozusagen um sich selbst eine imaginäre Ethel vorzumachen, von der sie dann als Entschädigung für das langweilige Abmühen ihre Alltagssicherheit bezog. Mit dieser Erklärung von Ethels unbehaglicher Gewissenhaftigkeit, die er so einfach fand, daß er sich wunderte, nicht längst darauf gekommen zu sein, tröstete er sich in Stunden der Niedergeschlagenheit.

Gelang es ihm ab und zu, Ethel von der Arbeit weg zu einem Spaziergang oder auch nur zu einer Plauderei zu verleiten, so wurde sie bald mißgestimmt, und der Friede zwischen den Liebenden war wie gewöhnlich dahin. So jung Ethel auch war, sie kannte alle Waffen ihres Geschlechts und focht geschickt damit. Trotz aller Bemühungen Florians, seine Schwächen zu verschleiern, hatte sie ihn gar bald durchschaut und quälte ihn durch Hänseleien, wenn sie selbst in schwarzer Stimmung war.

Am meisten brachte ihn auf, daß sie ihn fast täglich fragte, was er gestern getrieben hätte, wann er endlich sein Examen machen würde, von dem er ihr in der ersten Zeit unvorsichtigerweise Andeutungen gemacht hatte, um sich in ihren Augen zu erhöhen. Denn nach Art der Amerikanerinnen, die fast jeden Satz mit »bei uns drüben« beginnen, hatte sie, als sie dereinst über Florians Zukunftspläne sprachen, gesagt: »Bei uns drüben verdienen die jungen Leute in deinem Alter längst so viel, daß sie Frau und Kind ernähren können!«

Obwohl nun Florian von den lautersten Absichten besessen war, ärgerte ihn dieser offenkundige, in schulmeisterlichem Ton hingeworfene Fingerzeig nicht wenig. So kam es, daß er zwischen Neigung und Abneigung täglich schwankte. Denn wenn Ethel auch mit ihren Amerikanismen die Bedürfnisse seines Virginia-gebundenen, erotischen Verlangens befriedigte, so stieß ihn ihre besserwisserische Art ebenso stark ab. Manchmal gedachte er bereits, sich zurückzuziehen.

Da unternahm er gegen Ostern an einem vorzeitig warmen Apriltag einen Ausflug mit ihr nach dem Wildpark. An einer schönen Stelle machten sie halt, weil Ethel der Schuh drückte. Sie vermutete, es sei ihr ein Steinchen hineingekommen. Sie zog den Schuh aus, entdeckte nichts und zog auch noch den Strumpf aus. Als Florian ihren weißen, kleinen Fuß erblickte, geriet er in stürmischste Wallungen und wollte diesen zu seiner Verwunderung ganz sauberen Fuß durchaus küssen. Sie versprach alles, wenn er ihr ewige Liebe und Treue schwüre. Florian schwor den Eid und hielt sich von Stund an für verlobt.

Als er jedoch darangehen sollte, den ihm gebührenden Anteil an diesem Handel zu realisieren, entzog sie sich ihm und schalt: »Nicht hier, daheim, Maus!« Ärgerlich gab Florian klein bei, wenngleich ihn bei dem neuartigen Kosewort, das sie zum erstenmal ausgesprochen hatte, ein süßer Schreck durchfuhr. An » Darling« und » my little boy« war er von Virginia her gewöhnt, aber »Maus« bedeutete eine Eigenleistung Ethels, aus der er ersah, daß irgendwelche Bindungen karmischer Art zwischen ihnen bestehen mußten. Wie anders als durch Eingebung hätte Ethel vermuten können, wonach seine Kindmannsehnsucht verlangte!

Eng umschlungen hasteten sie heim. Allein wider Erwarten kamen Florian auf der langen Bahnfahrt schmerzliche Überlegungen. Was hatte dieser erpreßte Schwur eigentlich mit Liebe zu tun? Ihm war, er wußte nicht recht warum, als sei er in einer Falle gefangen worden. Und sosehr er sich anfangs danach gesehnt hatte, Ethel ganz zu gewinnen, so schwer fiel ihm auf die Seele, daß er gleich morgen die Ringe besorgen müßte, daß er zufällig gerade kein Geld mehr besaß und daß sich nunmehr also die großen Tore, die in die Freiheit mündeten, für immer hinter ihm schlossen. So kam es, daß seine Stimmung auf der Rückfahrt völlig verflog.

Ethel aber hatte während der Fahrt, glücklich an ihn gelehnt, dagesessen. Nicht daß es ihr, wie Florian argwöhnte, gerade auf die Verlobung angekommen wäre. Ihr kam es auf Herrschaft an! Sie hatte genau gemerkt, daß Florian, das Spielzeug, an dem sie all ihre schlechten Launen auslassen konnte, der Sklave, an dessen Anbetung sie ihr kränkelndes Selbstbewußtsein aufrichtete, im Begriff stand, sie zu verlassen. Damit aber würde sie in schlimmsten Selbsthaß zurückgefallen sein. Also mußte sie höheren Einsatz wagen! Er hatte geschworen. Also besaß sie ihn! Darum war sie guter Dinge.

*

Andern Tages borgte sich Florian zunächst einmal Geld. Sodann besorgte er zwei breite, mattgoldene Ringe, die innen das Datum der Verlobung aufwiesen.

Florian trug sein mattgoldenes Joch leichter, als er gedacht. Wenn er auch halb wider Willen in diese Gebundenheit hineingeraten war, so milderte doch die Innigkeit der Beziehungen Ethels launisches Wesen.

Auch Zukunftsträume zu spinnen, war recht unterhaltend. Ethel schien nach allem, was er sah, recht wohlhabend zu sein. Wenn er sein Vermögen zu ihrem hinzutat, würden sie ein gutes Auskommen haben. Freilich dämpfte es seinen Frohmut, als Ethel bei Gelegenheit einmal sehr trocken bemerkte: »Bei uns drüben ist es nicht Sitte, daß die Eltern der Tochter eine Mitgift geben. Jeder Mann setzt seinen Stolz darein, seine Frau selbst zu ernähren. Andernfalls heiratet er eben nicht!«

Florian fuhr sich durchs Haar. Er durfte das, denn Ethel legte als Malerin weniger Wert auf ein gepflegtes Äußeres als Virginia. Im Gegenteil, sie fand, daß Florian ein unordentlicher Schopf besser zu Gesicht stünde, und liebte es, wenn er wie ein Kind zwischen ihren Knien auf dem Teppich saß, durch sein weiches Blondhaar zu fahren.

Allein das gute Einvernehmen dauerte nicht lange. Dann wankten die unsicheren Fundamente des Schwindelbaues dieser Liebe. Die mit Mühe überkapselten und zum Schweigen gebrachten Komplexe machten sich in Zänkereien Luft. Ethel merkte bald, daß für Florian der Ring, der ihn band, ein mystisches Symbol bedeutete. Darum marterte sie ihn, indem sie bei geringfügigstem Anlaß den Ring vom Finger zog und irgendwo ins Zimmer schleuderte. Florian, doppelt verletzt in seiner Mystik wie in seiner Eigenliebe, machte sich gleichwohl daran, den Ring, manchmal mit unsäglicher Mühe auf den Knien rutschend, unter Bett, Teppich, Chaiselongue, Schrank und Waschtisch wieder hervorzusuchen. Denn erstens hatte er sich nun doch immerhin so sehr an Ethel gewöhnt, daß er sie nicht mehr missen mochte, und zweitens hatte der Ring seinerzeit schweres Geld gekostet.

Einmal gingen die Liebenden auf dem Kurfürstendamm spazieren. Unvorsichtigerweise bemerkte Florian: »Der Hut, den du gestern aufhattest, stand dir besser!«

Sofort schoß Ethel Zornesröte ins Gesicht. Florian hatte in eine offene Wunde gestochen. Sie konnte nicht die geringste abfällige Kritik vertragen. Wütend riß sie den Ring vom Finger. »Wenn mein Hut dir nicht paßt, so geh! Da hast du deinen Ring wieder!« Sie warf den mattgoldenen Reif vor aller Augen in weitem Bogen auf den Fahrdamm, wo er munter trudelnd geradezu in eine Straßenbahnschiene hüpfte.

Trotz der Passanten, die belustigt und erstaunt dem seltsamen Paar zuschauten, sprang Florian hinterdrein. In diesem Augenblick grölte auf der sehr belebten Straße eine Hupe. Wie von etwas Ungeheuerlichem gehemmt, sauste Florian, torkelnd wie eine betrunkene Krähe, auf den rettenden Bürgersteig zurück.

Ethel wand sich vor Lachen.

Florian herrschte sie unmutig an: »Sei doch nicht so albern, Herzlein!« Dann machte er sich unverdrossen noch einmal auf den Weg und fand auch richtig den Ring, der in dem schwarzen Gleis blinkte.

So holte Florian den weggeworfenen Ring von Ostern bis Pfingsten an die hundert Male. Nach jeder solchen Szene gab es stürmische Versöhnungen, und Florian, der nicht unempfindlich für Abwechslung war, fand allmählich Geschmack an diesen Aufregungen.

Da es sich zum Pfingstfest nicht länger umgehen ließ, daß er nach Hause fuhr, und da er voraussah, daß es des aufgegebenen Examens wegen zu aufwühlenden Auseinandersetzungen kommen würde, hielt er es für geschickt, den Ausbruch des väterlichen Gewitters abzuschwächen, indem er sich seiner Verlobung als Blitzableiters bediente. Er schilderte also brieflich eine Verbindung mit Ethel unter menschlichen wie auch rein ökonomischen Aspekten in den verlockendsten Farben und fragte an, ob er sie den Eltern vorstellen dürfte. Denn zu seiner Freude hatte sich Ethel bereit erklärt, mit nach Reitzenau zu fahren, da sie neugierig darauf war, was sie von den Eltern ihres Verlobten zu erwarten hätte.

Der Ökonomierat antwortete unter Vorbehalten: »Ansehen wollen wir uns Deine Braut auf alle Fälle, bevor Du Deine Verlobung veröffentlichst. Dennoch scheint mir eine Einführung in unser Haus verfrüht, ehe ich nicht von meiner Bank zureichende Auskünfte über die Vermögenslage des Mister Miller eingezogen habe. Du weißt, daß ein Haushalt viel Geld verschlingt und daß Du dementsprechend unbedingt darauf sehen mußt, in wohlhabende Verhältnisse hineinzuheiraten.«

Wütend zerriß Florian diesen Brief. Stets dieselben platten, fertigen Redensarten! Was auch immer der Mann in die Hände nahm, alles zog er in die ungeistige Sphäre eines feilschenden Bauern.

Die Mutter hingegen schrieb herzlich an Ethel, sie würde sich freuen, die Erwählte ihres Sohnes in ihre Arme zu schließen.

*

Am Vorabend des Festes langten die Brautleute in Reitzenau an. Obgleich verwöhnt, war Ethel überrascht von dem großartigen Rahmen, auf den Florians väterliches Haus zugeschnitten war.

Zu Florians bitterem Schmerz fand sie gleich von vornherein großes Gefallen an seinem Vater. Die derb-offene, aber kraftvolle Art des tätigen Mannes gefiel ihr, während sie in der gütigen Mutter alle Schwächen ihres Verlobten wiederentdeckte, seine Zerstreutheit, Weltabgewandtheit und Vergeßlichkeit. Vermöge ihrer klugen Einsicht in eigene psychische Stärke- und Schwächezustände spürte sie nur zu gut, daß auf dem Grund von Florians Abneigung gegen seinen Vater Neid schlummerte auf das, was er nicht vermochte.

Gleich am zweiten Tage, als die Rede auf Florians Examen kam, merkte Ethel zu ihrem Befremden, mit welcher Gewandtheit und Feigheit Florian log. Er sprach ausführlich von seinen juristischen Arbeiten, obwohl er ihr von ganz anderen Berufsplänen erzählt hatte und obwohl sie am besten wußte, daß er eigentlich nichts tat, jedenfalls nichts, was man Vorbereitung auf ein juristisches Staatsexamen hätte nennen können. Sie runzelte die Stirn. Florian, der sie mitten im eifrigsten Reden mit verstohlenen Blicken beruhigend ansah, erspähte auf ihrem Gesicht voll Schrecken das heraufziehende Ungewitter. Schon hörte er das Klimpern des zum hundertundersten Male fortgeworfenen Ringes! Aber es mußte sein! Noch wagte er nicht, dem Alten reinen Wein einzuschenken.

Als er abends, schon in Schlafrock und Pantoffeln, in Ethels Zimmer, das die blind ergebene Mutter gegenüber seinem, fern vom Zimmer des Vaters gelegenen Räumen ausgesucht hatte, neben ihr saß, machte sie ihm Vorwürfe. »Wie kannst du nur deinen guten alten Vater so betrügen! Wie soll ich dir noch glauben, nachdem ich dich mit solcher Kaltblütigkeit die Unwahrheit habe sprechen hören! Du willst ein Eingeweihter, ein Chela sein? Geh –!«

»Erlaube mal, Lieblein, Herzlein, das ist doch nur Notwehr! Vater will mich zu etwas zwingen, was wider mein ganzes Wesen geht. Überlege dir, bitte, einmal die furchtbaren Folgen, die der Zwang eines verhaßten Berufes auf die seelischen Fähigkeiten ausüben muß. Alle Feinheiten, alle Hellsichtigkeit würden verkümmern! Und da Vater von solchen Dingen nichts versteht, muß man ihm eben mit gewöhnlicheren Mitteln beizukommen suchen.«

»Du kannst nicht ableugnen, daß du ein Lügner bist!« erwiderte sie drohend.

Florian kuschelte sein mächtiges Haupt auf ihre Brust und gebärdete sich wie ein schmeichelndes Kind. »Du mußt nicht gleich so grobe Worte gebrauchen, Ethel! Sieh mal, Herzlein, ich bin doch ein kleiner Florian, dein kleiner boy, das weißt du doch! Du bist viel zu gerade! Das heißt, ich bewundere natürlich deine Wahrheitsliebe. Ich bin halt komplexer, vielseitiger, weißt du? Bei mir schieben sich das Astralische und das Physische mehr durcheinander, verstehst du? Du hast eben gar kein schauspielerisches Talent!« Dabei versuchte er, sie zu küssen.

Sie aber stieß ihn kräftig zurück. »Laß mich, sag ich dir! Woher soll ich jetzt noch wissen, daß du nicht auch vor mir Theater spielst? Ich durchschaue dich seit heute! Du bist ein Nichtstuer, ein Gaukler, ein Vagabund!« Nun wimmerte sie hysterisch.

Hier fuhr Florian, der bis dahin wie ein gescholtener Knabe zugehört hatte, hoch: »Erlaube mal, Herzlein –«

Da schrie sie, in Tränen ausbrechend: »Wagst du, mir zu widersprechen? Geh jetzt! Ich will dich nie wiedersehen! Hier hast du deinen Ring wieder!«

Sie zog, wie Florian die ganze Zeit über richtig geahnt hatte, den Ring vom Finger und schleuderte ihn in weitem Bogen durch das halbdunkle Zimmer, wo er durch karmisches Verhängnis gerade in den Toiletteneimer aus Porzellan fiel und dort, durch Reperkussion wie toll herumspringend, einen höllischen Lärm vollführte.

Florian hatte lange zu tun, ehe er Ethel besänftigt und das Symbol ihres Bundes wieder an ihren Finger gesteckt hatte. Dann schlürfte er auf ausgetretenen Pantoffeln hinaus.

Kläglich klirrte, als er die Tür öffnete, im Zug der kühlen Nachtluft der lange Schlafrock um seine merkwürdigen Beine.

*

In den Tagen nach dem Fest erhielt der Ökonomierat die durch seine Bank eingeholte Auskunft. Ethels Vater leitete allerdings nur ein photographisches Atelier in Baltimore, von welcher Tätigkeit Ethel wahrscheinlich das Talent zur Malerei geerbt hatte, aber es war ein Unternehmen größten Stils. Mister Miller besaß eine Villa, ein Auto und galt, bankmäßig gesprochen, als sehr gut. Ein Photograph war zwar für den Geschmack des Ökonomierats kein sehr willkommener Beruf, aber da Ethel einen gesunden und tüchtigen Eindruck machte, schien sie als Frau für Florian recht geeignet. Denn es war deutlich zu merken, daß sie seinen fahrigen, unzuverlässigen Sohn in kräftige Führung nahm.

Er also hatte nichts gegen Ethel einzuwenden. War sie doch freundlich zu ihm, begleitete ihn als Frühaufsteherin auf seinen Morgenritten und zeigte regste Anteilnahme an der Bewirtschaftung des ausgedehnten Besitzes. Florian dagegen, der schlecht zu Pferde saß, weil er von Jugend auf eine Abneigung gegen diese unberechenbaren Geschöpfe hegte und durch den Großmeister neuerdings Ungünstiges über das Rassenkarma dieses unruhigsten aller Tiere gehört hatte, lag derweil schlafend oder meditierend im Bett.

An einem der letzten Tage, beim Abendbrot, kam es dann zur Entscheidung. Der Ökonomierat wunderte sich in seinem Laienverstand darüber, daß Florian sich so nah vor dem Examen keine juristischen Bücher mit auf die Reise genommen hatte. »Ich war heute auf deinem Zimmer und sah nur okkulte Schwarten herumliegen, mit denen du die ganze Umgegend verdreht gemacht hast!«

Florians schlechtes Gewissen ergriff diese gute Gelegenheit beim Schopfe. Er schrie den Vater an: »Ich verbitte mir diesen Ton gegenüber Dingen, die mir heilig sind!« Dabei warf er einen raschen Blick auf Ethel, ob ihr sein mannhaftes Auftreten auch genügt hätte. Sie schaute ihn groß an, als erwarte sie mehr von ihm. Doch Florian starrte auf seinen Teller und aß übereifrig.

Despotisch knurrte der Ökonomierat: »Deine Erwiderung ist keine Antwort auf meine Frage!«

Florian war seit einigen Tagen der Ansicht, daß die Wahrheit doch einmal gesagt werden müßte. Besser noch in Ethels Beisein, wo der Alte sich zusammennehmen würde, als allein mit ihm. Darum begann er nach einem peinlichen Schweigen mit unsicherer Stimme: »Ich habe dir schon bei unserer letzten hierauf bezüglichen Unterredung angedeutet, und du hast es mir, wie du dich erinnern wirst, bestätigt, daß ich für die Juristenlaufbahn ungeeignet bin.«

Der Ökonomierat wurde rot im Gesicht.

Also legte Florian schnell eine kühlende Kompresse auf. »Ich könnte zwar, wenn du es durchaus verlangst, noch heute jederzeit mein Examen machen, aber da ich intuitiv spüre, daß ich eine Vokation für ein Leben der Kontemplation und der Spekulation habe von den Müttern her, von denen schon Goethe spricht, so wäre der Umweg über das Referendarexamen eine Zeitverschwendung, die ich mir, wie du damals selbst sagtest, in meinem Alter nicht mehr leisten kann. Ich bin daher zu dem Entschluß gekommen, vorbehaltlich deiner Einwilligung, nur noch Philosophie zu studieren, werde in zwei Jahren promovieren und mich, sobald es geht, als Privatdozent irgendwo niederlassen, ganz wie wir es damals besprochen haben.«

Der Ökonomierat hatte, was ein böses Sturmzeichen war, mit dem Essen aufgehört. Nun stemmte er wütend Messer und Gabel mit den Fäusten auf den Tisch und brüllte: »Ich und das besprochen haben? Du lügst wie gewöhnlich!«

Mit schneidender Würde entgegnete Florian: »Ich bin kein Kind mehr und kann tun, was ich will! Im übrigen, wenn du weiter ohne Rücksicht auf Ethels Anwesenheit in so unparlamentarischen Ausdrücken schimpfst, anstatt zur Sache zu reden, stehe ich auf und gehe hinaus!«

»So geh, du Flausenmacher! Glaubst du, ich lasse mich weiter zum Narren halten? Jetzt hast du im sechsundzwanzigsten Lebensjahr den vierten Beruf angefangen und treibst dich immer noch nichtstuerisch herum, während andere längst unter Dach und Fach sind! Daß Ethel zuhört, ist nur ein Grund mehr für mich, dir die Wahrheit zu sagen. Ich halte es nämlich für eine Unehrenhaftigkeit, das Schicksal eines unerfahrenen, jungen Mädchens mit dem seinen zu verknüpfen, wenn man ihr nichts zu bieten hat!«

Damit war Florian an seiner empfindlichsten Stelle getroffen und vorläufig außer Gefecht gesetzt. Er saß still da wie ein gescholtenes Kind. Hilfe heischend, schaute er auf die Mutter. Die Arme tat so, als äße sie ruhig weiter. Von ihr war kein Beistand zu erwarten. Er schaute auf Ethel. Die blickte ihn zornerfüllt an. Warum nur? Ihr hatte er doch stets die Wahrheit gesagt!

In die Enge getrieben und von allen verlassen, nahm Florian da aus Hilflosigkeit wie gewöhnlich seine Zuflucht zur Gemeinheit. Mit angenommener Schroffheit schleuderte er heraus: »Deine Werturteile kannst du für dich behalten! Es handelt sich bei dieser Antinomie um Gegensätzlichkeiten, in die ich tiefere Einblicke getan habe als du! Ich lehne es also ab, mit dir darüber zu diskutieren! Ich könnte dir auch erwidern, daß nach uralt indischer Anschauung – was Mutter und Ethel dir übrigens bekräftigen werden – der Kontemplative dem Tätigen unendlich überlegen ist, weil er dem Nirwana um viele Stufen näher steht und es bei jeder folgenden Inkarnation um so leichter hat. Allein warum soll ich meine Worte an dich verschwenden? Wir reden jeder eine andere Sprache und werden uns nie verständigen können. Ich habe dich allerdings getäuscht, aber nur, weil du getäuscht werden willst! Kann man denn ein ruhiges Wort mit dir reden? Was deinen Vorwurf der Unehrenhaftigkeit anbetrifft, so frage Ethel selbst, ob ich ihr nicht von Anfang an reinen Wein eingeschenkt habe. Willst du nun noch behaupten, daß es unehrenhaft von mir ist, wenn sie sich in voller Kenntnis aller Umstände mit mir verlobt hat?«

Triumphierend sprühte er den Alten und Ethel an, weil es ihm gelungen war, den Streit gewandt auf ein anderes Gebiet hinüberzujonglieren.

Der Ökonomierat, noch ganz verstört von Florians Beweisführung, überlegte in seinem schwerfälligen Denken, wo er vorhin eigentlich stehengeblieben war.

Aber Ethel, die irgendwie die Unritterlichkeit, die in Florians strategischem Rückzug lag, herausfühlte, griff nun ein: »Ich muß deinem Vater beipflichten. Bei uns drüben würden sie einen Mann, der in deinem Alter noch kein Geld verdient und trotzdem ein unerfahrenes, junges Mädchen an sich fesselt, nicht als Gentleman bezeichnen!«

Nun hatte das Wort Gentleman für Florian noch aus der Zeit mit Virginia eine zauberische, ihn in allen Tiefen seiner Unsicherheit aufwühlende Macht. Rachekomplexgeladen, schrie er: »Überlege, was du sagst! Bist du es nicht gewesen, die immer zur Verlobung gedrängt hat?«

»Wie kannst du das behaupten? Wie kannst du wagen, mir vor deinen alten Eltern solch eine Schamlosigkeit vorzuwerfen! Ich habe es nicht nötig, mich einem Scharlatan wie dir aufzudrängen!«

»Herzlein! Lieblein! Ethel!«

»Ach was, Herzlein, Lieblein! Behalt deine albernen Namen für dich! Ich bin es müde, mich von dir hintergehen und obendrein noch beschimpfen zu lassen! Da –« Sie riß ihren Ring vom Finger und warf ihn über den Tisch nach Florian. Unglücklicherweise fiel der Ring gerade auf den hohen Stiel eines silbernen Pfeffer- und Salzfasses und trudelte schwingend und klingend allmählich tiefer.

Die Eltern saßen sprachlos über die Wendung, die der Streit nahm. Florian aber sprang auf: »Das wirst du bereuen, Ethel! Ich schwöre dir, daß ich den Ring diesmal nicht wiedernehme!«

Sie höhnte: »Ich tu es auch nicht!«

»Ist das dein letztes Wort?«

»Jawohl!«

»Dann habe ich hier nichts mehr zu suchen!« Er schluchzte wild auf und stürzte zur Tür hinaus. Als die Mutter sich von anfänglicher Verwirrung erholt hatte, eilte sie hinter ihm her.

Ethel aber, die einsah, daß es diesmal Ernst war, verfiel auf einen Weinkrampf. Der Ökonomierat, völlig ratlos gegenüber solchen Unwettern der Liebe, bemühte sich mit seinen Allerweltshausmitteln, Kognak und Rotwein, um sie.

*

Als die Mutter Florians Zimmer betrat, fand sie ihren Sohn quer über dem Bett liegend, das Gesicht in das Kissen vergraben und unverständliche Worte in die Federn stammelnd. Mit Mühe richtete sie ihn hoch. Er wimmerte: »Laß mich nicht wahnsinnig werden, Mutter! Die alten Dämonen suchen mich wieder heim! Du weißt nicht, was ich durchzumachen habe.«

Die Arme, Gütige, die noch keine von Florians astralischen Koliken mitangesehen hatte, wußte sich nicht zu helfen. In rührender Mütterlichkeit schlug sie ihm zunächst purgierende Tränklein und Latwergen und, als er das ablehnte, allerhand Leckerbissen vor, deren Wirksamkeit sie noch aus seiner Kindheit her im Gedächtnis bewahrte. Allein Florian wehrte auch dies ab.

Wie immer, wenn er aus Hochspannungen des Gefühls durch allzu plötzliche Entladungen in das Nichts zurückfiel, brach er zusammen und schaute das, was er Dämonen nannte. In Wirklichkeit all das Haltlose, Schwächliche und Anlehnungsbedürftige seines auf dieser Erde heimatlosen Ichs. Da er bis zur Selbsttäuschung bei Ethel das gefunden zu haben glaubte, was er aus Urtiefen seiner merkwürdigen Erotik heraus brauchte, nämlich das Gefühl, bei einer Frau, die nicht seine leibliche Mutter war, wie ein Sohn mütterlich geborgen zu sein, war es ihm gut ergangen wie jedem Liebhaber, der sein Ideal verwirklicht sieht. Zugleich wurde auch seine seit Virginia wunde Eitelkeit dadurch aufgerichtet, daß er wieder eine jener überlegenen, imperatorischen Amerikanerinnen besaß. Gerade dieser Seelenduft fremder Erdteile, dieser Hauch des Andersrassigen bedeutete ja für ihn, den stets nach Anregung Lechzenden, stärksten Reiz! Außerdem hatten ihm die ständigen Zerwürfnisse, so tief sie ihn vielleicht im Augenblick aufwühlten, über seine Unruhe hinweggeholfen und seine nichtstuerische Muße beschäftigt. Darum also, weil ihm erst jetzt sein Verlust klar vor der Seele stand, wenn er an das alte Suchen und rastlose Getriebenwerden dachte, verfiel er in Schwäche und sah sich wie damals in Westerland mit allen Mängeln, Lastern und Sünden.

Wie immer, suchte er sich dadurch zu helfen, daß er seine Hilflosigkeit in Haß übertrug. Aufgeregt forderte er: »Ethel soll weg! Sofort abreisen! Ich spüre ihren bösen astralischen Einfluß durch die Wände hindurch! Sie allein ist schuld daran, daß ich hellseherisch im Intelligiblen den Wunsch wahrnehme, Vater umzubringen. Du kennst meine okkulten Kräfte, nicht wahr? Wenn ihm ein Unglück zustößt, werde ich wahnsinnig! Sie hat mich die ganze Zeit unterdrückt und vergewaltigt! Nun rächt sich mein Wille an mir, und diese astralische Kontradiktion zerreißt mich. Schon treten Spannungen im Großhirn auf, mein ganzer Körper schmeckt, ätherisch ausgedrückt, leiddurchsäuert, weißt du? Ich bitte dich, geh! Das verdammte Weib soll sofort aus dem Haus! Oder ich komme für nichts auf! Sag ihr, daß ich sie hasse!«

Die Mutter hielt es für geraten, nicht zu widersprechen. Sie bestimmte Ethel, die inzwischen wieder zu sich gekommen war, noch in derselben Nacht Reitzenau zu verlassen, indem sie ihr Florians Zustand nach besten Begriffen darstellte. Der Ökonomierat war zwar außer sich, daß ein Gast, noch dazu ein junges Mädchen, bei nachtschlafender Zeit aus seinem Hause fort mußte, aber er ließ sich von der Angst seiner Frau anstecken und kutschierte Ethel eigenhändig zur nächsten Station. Von dort fuhr sie mit einem Frühzug nach Berlin zurück, und dies war das unrühmliche Ende von Florians zweitem Anlauf auf den Ehestand. –

Derweilen tröstete die Mutter ihren kranken Sohn: »Vater meint es nicht so schlimm! Es tut ihm jetzt schon leid, daß ihr euch entzweit habt. Er ist kurzsichtig, aber im Kern gut! Sieh, ich glaube an dich! Du wirst deinen Weg machen, langsamer vielleicht als andere, aber auch höher, ferner, geistiger! Und über Ethels Verlust wirst du auch hinwegkommen. Die Zeit heilt alles! Ich fand, daß sie gar nicht zu dir paßte. Es ist vielleicht recht gut, daß alles so gekommen ist!«

»O Mutter,« stöhnte Florian, »warum hast du mich auf den physischen Plan geboren! Warum habe ich nicht länger zwischen Tod und Geburt im seligen Devachan geweilt, wo die Seelen ohne Begierden im sanften Äther zur Sphärenmusik schweben und im Anschauen der höchsten Wesenheiten leben! So aber quält mein unvergängliches Ich der Fluch des Ererbten, daß ich unsaubere Gedanken denken und schlimme Taten tun muß!«

Die ganze Nacht hindurch hörte die Mutter die grausigen Schilderungen mit an, die Florian von den Dämonen und Mondgeistern machte, die ihn heimsuchten, um sich mit ihren Krallen seines Ichs zu bemächtigen. Die alte Frau ängstigte sich tödlich am Lager des offenbar Irren.

Endlich kam der Vater zurück. Als er das völlig verfallene, leichenfahle Gesicht seines Sohnes sah, schlug seine Strenge in Weichheit um, und er sagte Florian zu, daß er ihm in bezug auf die Gestaltung seines zukünftigen Berufes völlig freie Hand lassen wolle, wenn er nur wieder gesund würde.

Florian nahm ein Schlafmittel aus der Sammlung, die er für alle Fälle immer bei sich führte, und verbrachte den Rest der Nacht ruhig. Danach lag er, seine Schwermut lasziv genießend, noch zwei Wochen zu Bett, unfähig, sich zu erheben. Deuchte ihn doch, als sei von Äonen her durch alle Inkarnationen hindurch Unheil auf ihn gehäuft. Vielleicht hatte er zuviel Jenseitigkeit aus dem Devachan behalten, so daß es ihm nicht möglich war, sich in diesem Leben zurechtzufinden.

In müdem Nichtstun vertat er den Rest des Semesters in Reitzenau, da er um keinen Preis nach Berlin wollte, wo Ethel weilte.


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