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Der junge Pfarrer Theodor Salbei hatte schon als Kandidat des Predigtamtes eine stille Neigung für Lina Bender gefaßt.
Lina war eines jener Mädchen, die in der Gesellschaft nicht eigentlich liebenswürdig oder interessant, aber allgemein »lieb« heißen, indem sie mit anmuthigem Aeußern ein wohlwollendes Herz, mit gutem Sinn und Verstand gefällige Manieren in so angenehmer Mischung verbinden, daß sie, ohne hinzureißen, doch nicht gleichgültig lassen.
Der junge Bewerber selbst, obgleich vom Lande gebürtig, Sohn eines Schulmeisters, war doch in der Provinzialstadt nach und nach zu einer ziemlich ausgebreiteten Bekanntschaft gekommen. Als junger Theolog hatte er damit angefangen, in einigen guten Häusern Unterricht zu geben, und nachdem er einmal Boden gewonnen, war es ihm mit seiner angenehmen Erscheinung durch die kleinen geselligen Talente als Sänger und Vorleser nicht schwer geworden, sich allmälig zu heben und auszubreiten. So ward an den kleinen häuslichen Abenden der Familien bald auf ihn gezählt; wofür er denn wieder auf zahlreichen Besuch, besonders der Frauen, Sonntags unter seiner Kanzel rechnen konnte. Hier wie im Umgang vertrat eine sanfte Schwärmerei, was ihm an Geist fehlte, und sein klangvolles Organ schmeichelte den Zuhörern die Predigten ein, die ihrem Gehalte nach nicht immer gemacht waren, verschlungen zu werden.
In solchem geselligem Verkehre kam er mit Lina viel zusammen, spielte zuweilen vierhändig oder sang ein Duett mit ihr, bis er so zwischen den Noten sein Herz an sie verloren, dafür aber, wie es schien, das ihrige eingenommen hatte. Die Gunst der Tante aber, bei welcher das liebe Mädchen als frühe Waise lebte, und die es zu beerben hatte, wollte sich dem jungen Manne nicht so entschieden zuwenden. Gescheit und welterfahren, aber schon in den Jahren vorgerückt, in welchen Unvermählte mehr und mehr einen scharfen Geschmack anzunehmen pflegen, blieb Fräulein Sabine Bender mit ihrem Verstande weniger empfänglich für die untergeordneten Gaben eines jungen Mannes, die für junge Mädchen so einnehmend erschienen. Indeß ließ es der junge Theodor in seiner Aufmerksamkeit für sie nicht an den Tropfen fehlen, die, wie man sagt, nicht durch Gewalt, aber durch öfteres Fallen selbst einen Stein aushöhlen. So brachte er es, besonders nachdem er dritter Prediger an der Johanniskirche geworden war, endlich dahin, daß er auch zu den kleinen Gesellschaften der Tante Sabine gebeten wurde, und im Stillen hoffen durfte, sie bei seiner Bewerbung um die Hand ihrer lieben Bruderstochter nicht entschieden gegen sich zu haben.
Indem ihm jedoch Lina's gewohnte Nachgiebigkeit gegen die Tante und der letztern oft und rasch wechselnde Stimmungen nicht unbemerkt geblieben waren, zögerte er von einem zum andern Tage mit seiner Erklärung. Heut hielt ihn seine natürliche Schüchternheit in solchem Herzensanliegen und morgen eine Scheu vor dem scharfen Auge und der raschen Zunge der Tante zurück. Ja, schriftlich hätte er sich, wie er glaubte, über seine Liebe und seinen heiligsten Wunsch zart und innig, vielleicht hoch und glühend erklären können: wenn nur die Tante nicht früher einmal sich über das Unmännliche schriftlicher Bewerbungen allzustark ausgesprochen hätte. – »Es ist jedenfalls sehr ungalant von den Ehecandidaten – hatte sie unter Anderm behauptet –, ein Mädchenherz brieflich auf eine Schreibfeder herauszufordern: ein heirathsfähiger Mann muß auch wissen, daß die Körbe, die wir Frauenzimmer mündlich geben, wenigstens nicht unorthographisch ausfallen.«
Nach mancher schlaflosen Nacht empfand unser liebender Theodor eines Morgens über seine Unentschlossenheit eine so lebhafte Beschämung, daß er beim Kaffee mit Rahm und Milchbrot sich selbst das Ehrenwort darauf gab, den Nachmittag Besuch bei Fräulein Bender zu machen, und auf jede Gefahr hin sich zu erklären und zu bewerben. Da man aber auf solchem neuen Boden als angehender Läufling auch wieder wie ein Kind ängstlich und unsicher auftritt, ohne daß man doch einen Fallhut aufsetzen kann, so stellte er sich wenigstens vorher die Gegenstände zurecht, an denen er im Gespräch sich festhalten und den Gang zu jenem Ziel nehmen wollte, wo entweder eine aus Liebe bebende Hand oder ein aus Aengstlichkeit zitternder Korb zu erwarten war.
Und er hielt sich Wort! Gegen drei Uhr, um welche Zeit er beide Damen allein zu finden hoffte, machte er sich, wie zum Ball angezogen, nach ihrer Wohnung in der Grabengasse auf. Sein Anzug, dachte er, möge immerhin seine Absicht voraus verrathen. Ueberrumpeln wollte er kein zärtliches Herz; seinem Angriff sollte der auffallende Frack als Trompeter dienen.
Und das war gewiß ritterlich gedacht von einem dritten Pfarrer!
Wie er in die Nähe des Hauses kam, jagten ein paar Buben einen Hund, der seine Zuflucht über dieselbe Treppe nahm, die Herr Salbei mit salbungsvollen Gedanken zum Anbau seines Glückes betrat. Die Buben wollten dem Hunde, den sie Azor, Azorchen! riefen, in's Haus folgen, als sie die Hausmagd erblickten, die mit freundlichem Nicken den Herrn Pfarrer beschied, beide Fräulein, alte und junge Bender, seien zu Hause.
Leise und langsam auftretend fand der ängstliche Pfarrer eine Treppe hoch den Hund schnüffelnd und wedelnd vor der Thür des Wohnzimmers, an die er eben anklopfen wollte. Er blieb aber einen Augenblick stehen, um sein Herz ein wenig ausklopfen zu lassen, und bis an die Westentasche hinab ein- und auszuathmen. Dabei betrachtete er den lustig hüpfenden Hund. Das widerliche Geschöpf war ihm bisher noch nicht zu Gesicht gekommen, und er mußte unwillkürlich über den Hundegeschmack der Tante – nicht lächeln denn dazu war er zu beklommen, aber – den Kopf schütteln. Dickköpfig und um das linke Auge schwarz, um das rechte grau gefleckt, struppig von brandfuchsigen Haaren, rattenschwänzig und schiefbeinig, war das gutmüthig wedelnde Thier, das ihn zu kennen schien, wahrhaft widerwärtig anzusehen, hüpfte aber, sowie die Thür aufging, vergnügt mit in's Zimmer, und schnüffelte bellend um eine Dame, die eben im Begriff stand sich zu empfehlen.
Lina erröthete flüchtig als Theodor eintrat. Die Tante grüßte kurz und kalt; wobei sie mit dem Ausdrucke fragender Verwunderung bald den befangenen Pfarrer, bald den häßlichen Hund ansah. Desto zuthätiger und gesprächiger beeiferte sich die Nichte, ja, sie streichelte selbst den Hund, als er sich an sie schnupperte – Alles, wie es schien, um den Freund vor der aufsteigenden Empfindlichkeit der Tante in Schutz zu nehmen. Die Tante lächelte zu dieser mädchenhaften Aengstlichkeit und unterdrückte eine scharfe Bemerkung über den mitgekommenen Hund, vielleicht auch um den jungen Prediger vor ihrer Freundin nicht zu beschämen. Die Frau Amtsrath Herling war selbst eine Hundefreundin. Sie wendete sich auch noch mit einer artigen Frage an den jungen Prediger, ehe sie sich mit dem ziemlich nachdrücklich gesprochenen Wort empfahl:
»Nun, ihr Lieben, wünsche ich euch recht viel Vergnügen in eurer Kaffeegesellschaft!«
Dies Wort, das Theodor für einen Wink nahm, die Damen nicht aufzuhalten, überraschte und störte ihn auf das unangenehmste. Nun sah er auch schon Hüte, Shawl und Mantille bereit liegen. Durfte er jetzt mit seinem Anliegen kommen und langsam darauf hinlenkend die Damen aufhalten, oder sollte er damit wie mit der Thür in's Haus fallen? War's überhaupt eine Sache, die so unmittelbar vor einer Kaffeegesellschaft abzumachen wäre? Und doch war er gekommen, um nicht ohne Entscheidung für sein Herz nach Hause zurückzukehren! – Welche verdrießliche Klemme für einen jungen Pfarrer an der Johanniskirche!
Diese Gedanken überwältigten, zur Verlegenheit für Lina, seine Haltung bis er bemerkte, daß die Tante mit der abgegangenen Freundin das Zimmer verlassen hatte. Nun nahm er sich zur Frage zusammen:
»Sie gehen aus, meine theure Lina?«
»Wir sind von Hofrath Röhrig in seinen Garten zum Kaffee gebeten. Es ist aber noch früh!« antwortete sie, indem sie befangen lächelnd, mit dem Hunde tändelte.
Diese Befangenheit ging auch auf Theodor über; sodaß auch er mit dem Hunde spielen mußte, und er nahm ihn sogar auf die Knie und streichelte das struppige Haar.
Lebhafter als die beiden Liebenden, besprachen sich an der Treppenbrüstung die zwei Freundinnen, – »Es ist also richtig mit den Zweien da drinnen?« sagte Frau Herling. »Aber was habt ihr denn nur dabei, Sabine, daß Ihr so heimlich damit thut? Sind die Visitenkärtchen noch nicht gestochen? Mir auch kein Wörtchen zu sagen! Jedenfalls hättest Du mir ihn jetzt als Bräutigam vorstellen können, da er mir doch einmal in den Weg gekommen war.«
»Bist Du klug, Jette?« antwortete die Tante. »Wie kommst Du zu solcher Voraussetzung?«
»Es wäre nicht?« erwiederte die Andere. »Ei, Herr Salbei kommt doch, mir nichts, dir nichts, mit seinem Hund ins Haus, und dabei doch so elegant, daß ich dachte, er ging mit zum Kaffee in den Garten?«
»Es ist zum Lachen, Jette! Hast Du denn mein Erstaunen nicht gesehen, als er mit dem garstigen Igel in's Zimmer hereinkam? Aber stelle Dir auch nur die Taktlosigkeit von solch einem Textdreher vor! Die jungen Leute werden doch mit jedem Tage unmanierlicher; sogar das junge Predigervolk! Wahrhaftig, Jette, wärst Du nicht gewesen, ich weiß nicht, was ich ihn gefragt hätte.«
»Nun ist's zu spät, Sabine«, lachte die Freundin, »und kannst nur hineingehen und vernehmen, was er zu fragen hat. Denn so sieht er mir gerade aus – so geputzt, so feierlich, als ob er Euch etwas fragen wollte. Ich konnte mir nur den Hund nicht dazu reimen, und dachte darum, er habe schon gefragt, und ein Ja erhalten.«
Worauf die Tante versetzte:
»Dann hat er ihn vielleicht mitgebracht für den Fall er einen Korb bekäme, und will ihn gleich dem Hund zu apportiren geben, so – verstehst Du mich, wegwerfend, mißachtend.«
»O diese Besorgniß wird er nicht haben, scheint mir, liebe Sabine!« meinte die Amtsräthin, und die Tante erklärte vertraulich:
»Offen gestanden, sehe ich seiner Bewerbung alle Tage entgegen, und warum soll ich Lina's Herzensneigung durchaus entgegen sein? Beide sind einander werth. Nur heut soll er mir mit keinem Antrag kommen, oder ich werfe ihm den garstigen Hund dazwischen.«
»Das wirst Du bleiben lassen!« erwiderte Frau Herling. »Und gesteh' nur auch, – er hat sich mit seinen Predigten doch nach und nach in Dein Herz gestohlen.«
»Mit seinen Predigten?« lachte die Tante. »Nun ja, zuweilen ist Gurgelwasser von – Salbei recht gut!«
»Bösewicht!« schalt die lächelnde Freundin, und gab ihr einen Schlag mit dem Sonnenschirm. »Aber geh' nur hinein und sieh zu, was sie machen – die Drei!«
Sie eilte grüßend fort, und die Tante kehrte in ihr Zimmer zurück.
Wie sie eintrat, sprang Azor von des Pfarrers Knieen und hüpfte ihr am seidenen Kleide hinauf. Sie wehrte ihn mit dem Fuße von sich. Theodor rief ihn: »Azor, Azorchen!« und streichelte ihn, worauf er sich mit den Worten vom Stuhl erhob:
»Ich höre, Sie sind zum Kaffee gebeten, und will Sie durchaus nicht länger aufhalten. Es ist ein wunderschöner Nachmittag zu einem Kaffee im Freien!«
»Es thut mir recht leid, Herr Pfarrer«, erwiderte die Tante, »daß wir Sie nicht halten dürfen, und daß Sie es gerade mit Ihrem freundlichen Besuche so wenig getroffen haben, zumal Sie heut – so vertraulich gekommen sind.«
Sie warf bei den letzten, gedehnten Worten einen Blick nach dem Hunde, dem dieser Seitenblick unter Lina's eifrig streichelnder Hand zu gut kam.
Begreiflicherweise nahm Theodor, den ja der verdrießliche Hund nichts anging, den leisen Stich durchaus nicht für einen Vorwurf, der ihm gelte; vielmehr glaubte er, die Tante wolle ihm mit den so betonten Worten zu verstehen geben, daß sie die Absicht seines Besuches gar wohl durchblickt habe. Mit flüchtigem Erröthen, und indem er ihre schalkhafte Freundlichkeit für eine Aufmunterung nahm, versetzte er rasch:
»Vielleicht dürfte ich also morgen mein Glück versuchen?«
Die Tante hatte sein flüchtiges Erröthen bemerkt, und maß es einer Empfindlichkeit über ihre Stichelrede bei. Sie fand daher die heitere Wendung des gekränkten jungen Mannes sehr fein, indem er statt Verdrusses ein baldiges Wiederkommen anbot. Freundlich nickend sagte sie daher:
»Sie werden uns sehr angenehm sein, lieber Herr Pfarrer. Kommen Sie zu einer Tasse Kaffee!«
Er nahm es dankbar an, grüßte und ging seelenvergnügt. Wie er die Thür hinter sich zuzog, hörte er die Tante rufen:
»Herr Pfarrer!«
»Befehlen?« antwortete er, und war rasch wieder im Zimmer.
»Ihr Hund! Sie vergessen Ihren Hund! Es scheint dem – Köter bei uns zu gefallen.«
»Mein Hund?« fragte er verwundert. »Ich besitze keinen Hund. Der da? O ich bitte um Verzeihung! Nie würde ich mir doch erlaubt haben, mit einem Hunde meine Aufwartung zu machen! Ist denn der Azor nicht Ihnen?«
»Mein? Der Hund da, Herr Pfarrer? Pfui, das ekelhafte Thier! Also nicht Ihnen? Sie riefen ihn ja doch Azor, und er hörte darauf?«
»Die Gassenbuben riefen ihn so, als er vor mir in's Haus lief, und so fand ich ihn schnuppernd draußen vor der Stubenthür«, antwortete er.
»Ei ja, nun begreif' ich's:« lachte die Tante. »Die Amtsräthin ist so eine Hundenärrin. Sie war eben erst die Treppe heraufgekommen, und gewiß hatte das garstige Vieh den Geruch von dem Halbdutzend Pudel und Pintscher, die ihr den ganzen Tag auf den Kleidern liegen. – Willst du hinaus!« rief sie die Thüre öffnend, und versetzte dem fatalen Azor einen Schlag mit dem Sonnenschirm, daß er heulend davonrannte.
Jetzt brachen alle Drei in ein schütterndes Lachen aus, am lautesten die Tante, bis sie sich zu den Worten erholte:
»Verzeihen Sie nur, lieber Herr Pfarrer, daß ich Ihnen einen so schlechten Geschmack zutraute! Und ich hätte Ihnen beinahe eine bittere Bemerkung gemacht, als Sie mit dem Hund eintraten. Wie Sie nur den Unhold auf die Knie nehmen mochten! Sehen Sie nur, Sie sind noch staubig davon!«
»Ei«, erwiderte er verlegen, indem er das schwarze Beinkleid mit dem Sacktuch abwischte, – »ich dachte nicht anders, als es sei Ihr Hund.«
»Und darum streichelten Sie ihn? Wie gut Sie sind, um meinetwillen – das garstige Geschöpf – mit so viel Selbstüberwindung –!«
Sie reichte ihm mit gerührter Freundlichkeit die Hand. Er neigte sich mit den Lippen auf dieselbe, und sagte dann, gegen Lina gewendet:
»Aber Ihnen, liebe Freundin, ist der Hund erst recht lästig geworden. Und Sie waren so freundlich gegen ihn und haben ihn gehätschelt!«
»Ei – ich dachte wie die Tante, er sei Ihnen!« antwortete sie befangen und zerstreut; worauf der junge Freund halb schalkhaft, halb verlegen versetzte:
»Mein? Und haben mir zu Lieb' das widerliche Viehchen so –«?
Die Tante, weitere Erklärungen abzuschneiden, fiel lachend ein:
»Kommt, Kinder, wascht Euch die Hände! Wer weiß, wo das Thier gesteckt hat, und wem's gehört!«
Sie nahm Lina und den Pfarrer mit hinüber in ihr Ankleidezimmer vor ein blauporzellanenes Handbecken, goß ihnen Wasser über die Hände, und reichte ein frisches damastenes Handtuch hin, in der Mitte gehalten, daß Jedes von beiden einen Zipfel ergreifen konnte. Als so beide einander gegenüber standen, schien, wie das schimmernde Gebildzeugband zwischen ihren Händen auch einerlei Betrachtung zwischen beiden Herzen zu schweben. Sie rieben und rieben die Hände, die so schwer trocken wurden – Lina mit der bläßlichen Hast, als ob sie ihre Empfindung in das Tuch verwickeln und verwinden möchte, Theodor mit der Anstrengung, als ob er sich den Muth heraus ringen müsse, seinen Gedanken auszusprechen. Wirklich, als die Tante Hut und Mantille zu nehmen, das Zimmer verließ, begann er lächelnd und leise:
»Welch ein allerhäuslichstes Band uns eben verknüpft, theuerste Lina!«
Lina schwieg, und bebte mit niedergeschlagenen Augen; aber sie hielt das Tuch fest. Und Theodor fuhr etwas kühner fort:
»Ich wollte, Sie fühlten das so, wie ich es innig empfinde! Wie glücklich wäre ich, wenn Sie es als Symbol gelten ließen, und wir nun die von einer gemeinsamen Berührung gereinigten Hände für eine gemeinsame Zukunft ineinander legten!«
Bei diesen Worten sah und empfand er, wie sie von einem innern Schreck mit dem Tuche zuckte. Er ließ seinen Zipfel fallen, und beide Hände der Geliebten entgegenstreckend, rief er stehend: »Geliebte Lina?«
Sie schlug die feuchten Augen auf, lächelte, der Zipfel des Tuches entglitt ihren Fingern, und sie sank mit beiden Händen in die seinigen und an seine Brust. Nach einigen Momenten stummen Entzückens trat die Tante, die gelauscht hatte, angekleidet ein, und rief mit einem Tone, der munter sein sollte, aber in eine versteckte Weichmüthigkeit umschlug:
»Schönes Benehmen das! Ihr fangt damit an, das häusliche Band mit Füßen zu treten. Ihr denkt wohl mit dem Sprüchwort: Komm' ich über den Hund, komm' ich auch über – das Handtuch?«
»Es ist wahr, Herzens-Linchen«, sagte der fröhliche Pfarrer lachend, »wir fangen mit Undankbarkeit an: den Liebesvermittler Azor jagen wir mit Schlägen fort, und nun stehen wir mit den Füßen auf dem theuern Handtuche!«
Sie lachten wie die Kinder. Dann traten sie Hand in Hand vor die Tante und baten um ihre Zustimmung und um ihren Segen. – »In Gottes Namen!« sagte sie gerührt, »seht zu, wie Ihr miteinander fertig werdet!«
Nun folgten Umarmungen herüber und hinüber. Zuletzt erbat sich der Pfarrer das Handtuch von der Tante zum ewigen Andenken. »Es soll meine Stola sein«, sagte er, »worin ich alle die seligen Stunden unsers Bundes feiern, alle die hohen Schickungen unserer Zukunft segnen will!«
»In Gottes Namen, nehmen Sie's!« sagte die Tante, »und ich wünsche dann – gesegnetes Handtuch!«
»Aber auch nach dem armen Azor wollen wir uns umsehen, und ihn zu bekommen suchen«, erinnerte Lina. »Er soll von unserem Glück auch seine Knöchelchen haben. Theodor, Amor und Azor machen ja einen prächtigen Dreiklang!«
Wie nun aber das Paar, das sich wie vom Himmel gefallen fühlte, seine Zärtlichkeit erneuern wollte, gebot die Tante:
»Jetzt aber genug! Es ist die höchste Zeit, daß wir nach Röhrig's Garten wandern. Unser Ausbleiben fällt in's Unartige.«
»Ich dächte, Herzenstantchen«, meinte Lina, – »Theodor könnte jetzt mit dahingehen? Hm?«
»Theodor?« antwortete die Tante überlegend. »Das sind also Sie, Herr Pfarrer! So? Du meinst, Lina, wir sollten den Theodor so mitbringen, wie er den Azor?«
» Sans comparaison, Tante!« rief Lina.
»O warum?« fiel Theodor ein. »Wenn ich so hüben und drüben gestreichelt werde« –?
»Oho, mein lieber Freund!« versetzte Lina. »So geht's diesmal nicht. Ich sage gleich beim Eintreten in die Gesellschaft: Der Azor ist mein.«
Bei diesen Worten umarmte und streichelte sie ihn, und Beide lachten und lachten wieder.
»Meinethalben!« erklärte die Tante. »Ich wasche meine Hände in Unschuld!«
Dies war aber nur eine Redensart; denn sie wusch die Hände nicht, sondern betupfte nur mit dem feuchten Zipfel ihres Taschentuches die Augen, die bei heimlicher Rührung gern ein wenig roth wurden. – »Aber Eines bitt' ich mir aus: Sie, Herr Theodor, müssen die Geschichte vom Azor erzählen, wenn Sie mitgehen wollen.«
»Gewiß! und mit allen Umständen erzähle ich sie«, erwiderte er. »Azor mit Umständen!«
Fröhlich nahm nun Lina Hut und Schawl, und die Tante sagte im Weggehen:
»Es ist mir nur lieb, wenn ich Euch der Gesellschaft so unerwartet als Verlobte vorstellen muß, daß ich wenigstens etwas zu Euerem Lobe weiß. Soviel kann ich mit gutem Gewissen sagen: Es ist ein Paar, das sich – gewaschen hat.«
»Ja, liebe Tante, und ein Paar, – das Dein Handtuch segnet!« rief Lina, und umarmte mit einem langen Kusse die Tante.